Düstere Tage - Andrea Rosenhahn - E-Book

Düstere Tage E-Book

Andrea Rosenhahn

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Beschreibung

Retten Sie die Tieroase Sandhausen – Bruchhausen Warum schweigt ein Zeuge, als ein unschuldiges Kind verschwindet? Was verrät eine Botschaft, obwohl der Serienmörder keine Spuren hinterlässt? Warum endet eine Verfolgungsjagd in einem tödlichen Spiel, bei dem der Gewinner längst feststeht? Und wird ein perfekt geplanter Mord an einem winzigen Fehler scheitern? Diese Sammlung packender Kurzgeschichten zieht Sie in ein Labyrinth aus Täuschung und Gefahr, bevor sie "Düstere Tage" hinab stößt in die dunkelsten, menschlichen Abgründe von Schuld, Rache und Verzweiflung. Herausgeber Patrick Woywod vereint in dieser Anthologie die Arbeiten erfahrener Autoren und aufstrebender Talente aus den Genres Krimi und Thriller. Der Erlös kommt dem Gnadenhof "Tieroase" zugute, der alten Tieren in Rente und Not ein Zuhause bietet. So vereinen sich bereits zum zweiten Mal nervenaufreibende Geschichten mit einem guten Zweck. Ein literarisches Projekt, das nicht nur unter die Haut geht, sondern auch seinesgleichen sucht.

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Seitenzahl: 243

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DÜSTERE TAGE

ANTHOLOGIE

HERAUSGEBERPATRICK WOYWOD

Texte: © bei den jeweiligen Autoren

Umschlaggestaltung: © by Nadine Most

Korrektorat und Buchsatz: Carolin Kretzinger

Zusätzlicher Blick: Ulrich Papke

E-Book erstellt mit Vellum

Herausgeber: Patrick Woywod, Büchertstr. 2/1,

69207 Sandhausen // [email protected]

Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

INHALT

Vorwort

1. Isabella Archan: Pralinen

2. Britta Bendixen: Nachts im Kloster

3. Heike Meckelmann: Mord im alten Gasthof –Dunkle Balken

4. Ulrich Papke: Wimpernschlag (inspiriert von Carolin Kretzinger)

5. Rebecca Schneebeli: Ein Blaulicht zu viel

6. Marco Schreiber: Auswärtsspiel

7. Carola Christiansen: Die Wohnung

8. Manuela Maer: Das Unwetter

9. Britta Bendixen: Das Geheimnis der Schatulle

10. Rita Janaczek: Zum Sterben schön

11. Sybille Lengauer: Die Hirschfrau

12. Eva Lirot: Mörderische Werbung

13. Jutta Wilbertz: Antilopen

14. Carolin Kretzinger: Himmelgrün

15. Ulrich Papke: Alles Gesagt

16. Britta Bendixen: Für immer

17. Andreas Pittler: Drei Seiten einer Medaille

18. Carola Christiansen: Die Spur der Krebse

19. Rita Janaczek: Geldwäsche de luxe

20. Lars Naber: Ein ganz normaler Tag im Revier

21. Daniela Schnappauf: Zerronnenes Glück

Die Autoren

Die Tieroase Sandhausen

Spendenkonto

Danksagung

VORWORT

Vierzehn Autoren haben dunkle wie tiefe Geschichten für den guten Zweck gespendet: für die Tieroase, ein Gnadenhof in Sandhausen.

Entstanden ist ein herrlich facettenreiches Sammelwerk voll düsterer kreativer Erzählungen.

Begeben Sie sich auf eine „buchstäbliche“ Reise durch die Vielfalt schattiger Gedanken und Emotionen – lesen Sie über Trauer, Rache und Gier sowie Verzweiflung und Begierde … und zu was der Mensch in den tiefsten Abgründen seiner Seele noch alles imstande ist …

KAPITEL1

ISABELLA ARCHAN: PRALINEN

Drei Leute saßen in dem Zugabteil, als er die Schiebetür zur Seite drückte. Mit Emil waren sie zu viert. Er schaute auf seine Uhr. Die Bahn hatte nur vier Minuten Verspätung. Was erstaunlich war. Und das am vierten Tag dieses Monats. Mehr Magie konnte er nicht erwarten. Vorsichtig lächelte er in die Runde.

„Ist hier noch frei?“

Nur der Mann im himmelblauen Hemd, der einige Kilos zu viel mit sich herumschleppte, sah zu ihm hoch und nickte. Allerdings ohne zu lächeln. Die anderen zwei nahmen keine Notiz von Emil.

Er setzte sich dem übergewichtigen Mann gegen-über, neben die Frau. Seinen Rucksack lehnte er an sein Knie, das Hochstemmen wäre Emil zu mühsam gewesen, abgesehen davon, dass die Ablagen auf beiden Seiten bereits voll waren.

Kaum fuhr der Zug los, drückte er seinen Kopf gegen die grauen Polster und sah aus dem Fenster. Wie jedes Mal kam es Emil so vor, als würde der Bahnhof vor seinen Augen weggerissen werden. Die auf die folgende Bahn wartenden Reisenden auf dem Bahnsteig verschwanden einer nach dem anderen wie Gespenster aus Emils Blickfeld.

Ob Lotte ein Geist war? Ob er selbst jemals einer werden würde?

Fragen, auf die Emil keine Antworten wusste, deshalb schob er sie aus seinem Denken fort.

Während sie die Stadt hinter sich ließen, verabschiedete sich auch die Sonne und versteckte sich hinter Wolkenbergen. Ein schwüler Sommer-nachmittag, der mit einem abendlichen Gewitter enden könnte.

Emil schloss die Augen und atmete tief durch. Für Sekunden war Lottes schmerzverzerrtes Gesicht direkt vor ihm. Dunkelrote Punkte auf ihren bleichen Wangen. Ihr Haar ein Kranz auf dem hellen Kissen. Sie öffnete ihren Mund. So als wollte Lotte Emil noch etwas sagen. Etwas Wichtiges. Etwas Essentielles. Emil beugte sich zu ihr hin. Ganz nah. Ein dicker Speicheltropfen hing an ihrem rechten Mundwinkel und glitzerte. Mit letzter Kraft packte sie ihn an den Oberarmen und spuckte ihm ins Gesicht. Emil schrie. Voller Wut und Angst. Aber natürlich vor allem aufgrund der verschmähten Liebe. Seiner Liebe.

Er riss die Augen wieder auf und schaute sich hastig um.

Keiner seiner drei Mitreisenden war aufgeschreckt, keiner hatte sich ihm zugewandt. Nur ein Traum, beruhigte er sich, es war bloß ein Albtraum.

Lottes letztes Aufbäumen hallte in Emil nach. Zeit, das Ritual zu beginnen, länger zu warten brachte nichts. Er öffnete seinen Rucksack und betrachtete die kleine Pralinenschachtel. Vier Stück waren darin.

Heute, früh am Morgen, hatte er sie frisch geformt. Als der Tag noch jung gewesen war, unschuldig. Ein fröhlicher Pralinenmorgen, konnte man sagen. Gekühlt waren die Köstlichkeiten, glasiert, verziert. Sie hatten einen cremigen Ge-schmack und zerschmolzen im Mund, wenn man sie eine Weile auf der Zunge zergehen ließ. Das wusste Emil, denn er hatte gekostet, genascht. Eine der Pralinen, die unbehandelt geblieben war.

Lotte wäre ebenso zufrieden gewesen, mehr noch. Emil wagte zu behaupten, sie hätte verzückt gelächelt. Vor dem Schmerz und dem Sterben.

Mit einer schnarrenden Stimme aus dem Laut-sprecher wurden die neu zugestiegenen Fahrgäste willkommen geheißen. Draußen hatte es leicht zu regnen begonnen. Die Tropfen hinterließen schmale Streifen am Fenster.

„Was für ein Sommer!“, seufzte die Frau der Gruppe im Abteil.

Emil schätzte sie auf Mitte vierzig.

Ihr Gesicht war geschminkt, aber so dezent, dass man die Make-up-Schicht gerade erahnen konnte. Dazu eine weite Bluse über der dreiviertel Jeans und offene Sandalen mit Perlen darauf. Gelber Nagellack. Gelbe Handtasche. Lange Ohrringe mit gelben Steinen.

Sportlich und doch weiblich war ihr Kleidungsstil, überlegte Emil. Das Älterwerden würde ihr sicher hart zusetzen. Emil konnte sich vorstellen, dass ihr jedes neue Fältchen Kummer verursachte. Vielleicht würde sie bald einen ersten Termin beim Schön-heitschirurgen machen. Wo sollte das am Ende hinführen? Armes in Jahre gekommenes Mädchen.

Er beendete seine Analyse der Frau und trieb sich zur Eile an. Schon in zwanzig Minuten erreichte der Zug den nächsten Halt, dort konnte einer der drei bereits aussteigen. Also musste Emil rasch Kontakt aufnehmen und dabei Vertrauen erzeugen. Gerade so viel, dass alle eine Praline nehmen würden.

Er faltete das Infoblatt der deutschen Bahn auseinander. Blätterte darin, räusperte sich.

„Es ist gut, dass heute die Temperaturen nicht über dreißig Grad klettern, finde ich. Bei meiner letzten Fahrt ist die Klimaanlage ausgefallen.“ Er imitierte die schnarrende Lautsprecherstimme: „Wir be-grüßen die Zugestiegenen in der Sauna. Ha, ha!”

„Da reden alle von der Klimaerwärmung, und unsere Sommer werden immer winterlicher“, sagte der übergewichtige Mann Emil gegenüber.

Sein Gesicht war leicht gerötet und auf seiner Oberlippe zeigten sich Schweißperlen. Sein himmelblaues Hemd spannte sich über den Wohlstandsbauch.

Emil konnte vor seinem geistigen Auge sehen, wie das Cholesterin durch die Adern des Mannes schwamm und sich klumpte. Eine Thrombose war sicher unausweichlich. Am Ende würde sich eine Herzarterie verstopfen, und der Arme würde auf der Intensivstation landen. Schrecklich.

Emil ließ diesmal ein breites einladendes Lächeln über seine Lippen gleiten. Der Mann und die Frau lächelten endlich zurück.

Es begann zu laufen. Lotte hätte sich gefreut. Oder? Aber das gute Gefühl hatte Emil bereits heute Morgen gespürt. Magie lag in der Luft.

Emil hatte die Augen um vier Uhr vier aufge-schlagen. Im Kaffeesatz war ganz klar ein Herz zu erkennen gewesen. Das Schicksal forderte Emil endlich einmal wieder heraus und er freute sich darüber. Vielleicht war es sogar Lotte, die ihm Zeichen schickte.

Er stellte sie sich auf einer Wolke sitzend vor. Glücklich und zufrieden. Lottes Mund war dort oben wieder weich, ihre Lippen rosig, ihr Gesicht entspannt. Es gab keine Panik mehr, auch keinen Hass.

Emil vermisste Lotte täglich ein Stück mehr. In seiner Erinnerung ging er zurück zu dem magischen Tag, es war der vierte Tag des vierten Monats vor vier Jahren gewesen, als er sie bei einer Zugfahrt getroffen hatte und von der ersten Sekunde an in sie verliebt gewesen war.

Bis zur letzten.

Alles war nur aus Liebe geschehen. Ohne Liebe und Tod war der Himmel nur ein Wort. Ohne das Ritual war es undenkbar, den Vierten eines Monats zu überstehen. Vier war die Hölle, zugleich aber auch das Versprechen einer Vergebung. Mit Glück schaffte Emil einen Neuanfang.

Ohne die Pralinen-Lotterie wäre Lottes Tod nur ein schnöder Mord gewesen.

Stopp! Niemals! Emil hackte den Gedanken förmlich ab.

Zurück zu heute Morgen. Um zwanzig nach vier hatte er schon in der Küche an der Arbeitsplatte gestanden und die Zutaten sorgfältig zusam-mengestellt. Davor hatte er sich im Internet eine passende Verbindung herausgesucht. Wegen Bauarbeiten war diese Bahn heute am Gleis vier abgefahren.

Wenn das kein weiteres Zeichen war.

Eindeutig hatte sich die Magie gezeigt. So gefreut hatte sich Emil, so sehr und so innig. Und gerührt. Und geformt. Und gekühlt. Und verpackt. Mit Liebe. Die durch den Magen geht. Eine neue Rezeptur, auch aus dem Wunderland Internet.

Lotte jedenfalls hatte keiner süßen Versuchung widerstehen können. Nach Emils Erfahrung liebten fast alle Leute die runden Köstlichkeiten.

Pralinen und die Magie der Vier.

Der Vierte und Letzte im Abteil, Emil mit eingerechnet, war ein Teenager. Höchstens achtzehn, wahrscheinlich jünger. Am Fenster hockte er, die Füße angezogen, neben dem Mann im hellblauen Hemd. Der Teenager hatte die Augen geschlossen und Kopfhörer auf seinen Ohren. Ein leises Wummern von Bässen war zu hören, der Kopf des Jungen wippte wie ein Blatt im Wind. Er würde sicherlich taub werden, später, die Welt würde um diesen armen Kerl herum verstummen. Emil fühlte eine Träne des Mitleids in seinen Augenwinkeln kitzeln.

Jetzt nicht weinen. Das konnte die Stimmung kippen.

Natürlich dachte er sofort wieder an Lotte. An die Lotte auf der Wolke, nicht die auf dem Boden, sich windend. Auch nicht die, die an dem Gift gestorben war. Das war wahrlich kein schöner Anblick gewesen. Warum nur hatte sie Emil abgewiesen? Er verstand es bis heute nicht.

Der Zugbegleiter öffnete mit einem Ruck die Tür zum Abteil.

„Fahrkarten, bitte!“

Der Mann wuchtete seinen Bauch hoch und holte seinen Fahrschein mit einem Ächzen aus der Hosentasche. Die Frau kramte in ihrer gelben Hand-tasche, zückte ihr Handy und begann zu scrollen:

„Moment noch!“

Der Teenager zeigte, ohne seine Position zu ändern oder die Kopfhörer abzunehmen, das Ticket auf seinem Display.

Emil suchte seine Monatskarte in seinem Rucksack. Dabei brachte er die Schachtel in Position. Gerne hätte er den Zugbegleiter mit ins Pralinenboot geholt, aber vier war die magische Zahl und daran war nichts zu ändern. Außer Emil hätte diesmal verzichtet.

Auf keinen Fall! Niemals würde sich Emil die Chance entgehen lassen, zu Lotte auf die Wolke aufzusteigen. Heute könnte sein Tag sein. Dort oben würde sie ihm nicht noch einmal einen Korb geben.

Pralinen und Chancen. Zumindest das war ihm geblieben.

Lärm und Rufen drangen unvermittelt aus dem Großraumwagen neben dem Abteil. Ein Streit schien ausgebrochen zu sein. Der Zugbegleiter schob hastig die Tür zu und war verschwunden.

Emils Herz machte einen Sprung. Es war so weit. Mit elegantem Schwung präsentierte er die Pralinenschachtel.

Seine Mitreisenden hatten ihre Aufmerksamkeit alle in die Richtung des Krachs gewandt. Emil musste selbst rufen, um das allgemeine Augenmerk auf sich zu lenken.

„Eine Praline gefällig?“

Die Frau winkte ab. Der übergewichtige Mann nach kurzem Zögern auch. Nur der Junge griff sofort zu.

„Hey, klasse!“, sagte er, schob sich die Köstlichkeit in den Mund und widmete sich wieder seiner Musik.

Draußen ebbte der Lärm ab. Der Streit war anscheinend geschlichtet. Der Zugbegleiter kam nicht zurück.

Die Zeit lief. Jetzt hieß es, Überzeugungsarbeit zu leisten.

„Einmal ist doch keinmal, oder?“

Gezielt schwenkte Emil die Schachtel direkt unter der Nase des Mannes und ließ den leichten Duft aus Nougat mit einem Hauch Ingwer ausströmen.

„Außerdem, wenn uns die Sonne schon im Stich lässt, sollten wir uns was Leckeres gönnen.“

Der Regen draußen trommelte inzwischen gegen die Scheiben und verband sich mit dem Wummern aus den Kopfhörern des Teeangers. Zu Emils Überraschung schnappte sich die Frau die zweite Praline.

„Wissen Sie was, Sie haben vollkommen recht. Bevor mich der Regen depressiv macht.“ Sie biss eine Hälfte ab und schmatzte. Ihre Stimmung besserte sich augenblicklich. „Wirklich ein Genuss. Ist das Ingwer? Herrlich!“

Sie verschlang die zweite Hälfte förmlich und lachte dabei. Auf den Zähnen der Frau konnte Emil die braunen Reste sehen. So als wären ihre Zähne alt und faul geworden.

Auch Lotte hatte Nougat auf ihren Lippen gehabt. Wie sie gestrahlt hatte, als sie die Tüte auf der Matte vor ihrer kleinen Wohnung entdeckt hatte. Als aber Emil hinter der Mauerecke hervorgesprungen war, wollte sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Lotte, Lotte, Lotte, hatte er streng gesagt und in einer Blitzreaktion seinen Fuß dazwischengestellt.

Alles, was folgte, war nicht schön. Aber jedes magische Ritual musste irgendwann seinen Anfang nehmen. Das hatte auch Lotte einsehen müssen. Wenn sie sich nur nicht so gewehrt hätte. Schlimm.

Die Bilder an das Geschehene vertreibend, konzentrierte sich Emil nun ganz auf den Mann im himmelblauen Hemd. Er war am schwersten zu überzeugen. Seine Hände waren in einer Abwehrhaltung in Richtung Schachtel gespreizt. Schweißtropfen liefen über seinen Hals und verschwanden unter dem Kragen.

Emil zog sein persönliches Ass aus dem Ärmel, das er stets für Menschen mit ein paar Kilos mehr parat hatte:

„Diätnougat!“

„Wirklich?“ Der Mann und die Frau sprachen gleichzeitig.

Eine Durchsage kam. Die Lautsprecherstimme schnarrte noch mehr. Nur Sekunden später wurde der Zug langsamer und stoppte.

Der Junge sprang abrupt auf, hievte einen Rollkoffer von der Ablage und zog die Abteiltür auf. Ohne Gruß war er draußen.

„Also, ich will ja nicht meckern, aber die Kinder heutzutage sind wirklich zu lasch erzogen.“

Die Freude der Frau über die leckere Praline hatte nur kurz gedauert. Sie kramte in ihrer gelben Tasche, holte einen kleinen Spiegel und ein Taschentuch heraus und begann, sich den Mund zu säubern.

Emil konnte für einen Moment nicht atmen. Er wollte sich die Katastrophe gar nicht vorstellen, wenn statt des Teenagers der Mann ausgestiegen wäre, ohne eine Praline gegessen zu haben.

Ein derartiges Versagen war in der Zeit nach Lottes Tod tatsächlich einmal vorgekommen: Ein Allergiker durfte keine Schokolade essen und Emils magischer Tag war zerstört.

Er hatte fast drei Monate und damit drei mal vier Wochen verstreichen lassen, bevor er wieder ans Werk gegangen war. Nach dem Frust aber war ihm klar geworden, dass nur eine einzige missglückte Mission ein fantastischer Schnitt war. Emil hatte mehr Glück, als jede Statistik vorhergesagt hätte. Die Magie wirkte. Es gab keinen Grund, jemals aufzuhören.

Außer er selbst war endlich an der Reihe. Das große Los für eine Freifahrt zu Lottes Wolke.

Vielleicht heute?

Der Zug fuhr wieder an.

Der Mann strich sich mit einer Hand über den Wohlstandbauch und streckte die andere zur Schachtel hin:

„Also, wenn es Diätnougat ist, dann haben Sie mich überredet. Ich hatte heute tatsächlich noch nichts Süßes. Danke!“

Der Regen ließ nach, und ein paar vorsichtige helle Streifen zuckten über den vorbeiziehenden Himmel. Der Mann schob sich die herrliche Kugel als Ganzes in den Mund und kaute schnell.

Keiner redete mehr. Jeder hing seinen Gedanken nach.

Mit höchster Konzentration und in froher Erwartung nahm Emil seine für ihn gedachte Köstlichkeit und legte sie sich auf die Zunge.

Die Schachtel war leer.

Die Praline zerschmolz und hinterließ einen scharfen brennenden Geschmack in seiner Kehle. Der konnte natürlich vom Ingwer kommen. Oder er hatte den Jackpot heute geknackt.

Lotte, es ist so weit!, hätte er am liebsten gerufen.

Immer nur eine von vieren enthielt die tödliche Dosis. Welche, entschied das Schicksal. So war es.

Die Stimme über Lautsprecher meldete sich, diesmal klar und verständlich. Die Frau erhob sich:

„Ich muss hier raus. Und danke nochmal! Echt köstlich.“

„Selbst gemacht!“

„Oh! Wenn ich noch Zeit hätte, würde ich Sie um das Rezept bitten. Tschüss, die Herren!“

Dann war sie fort. Emil und der übergewichtige Mann blieben zurück.

Zwei junge Frauen erschienen in der offenen Tür des Abteils.

„Ist hier noch frei?“

Emil nickte. Er verstaute die leere Pralinen-schachtel in seinem Rucksack und holte eine Zeitung heraus. Er blätterte zu den Todesanzeigen. Benei-denswerte Menschen, von denen er dort las.

Lotte hatte keine Anzeige bekommen, was Emil bis heute ärgerte. Er hätte von sich aus eine bezahlen sollen.

Weiter bewegte sich der Zug.

Emils Kehle hörte auf zu brennen. Sein Magen beruhigte sich. Es ging ihm leider wieder gut.

Traurigkeit erfasste ihn.

Er blickte über den Rand der Zeitung. Der Mann hingegen rieb sich den Bauch. Auf seinen Wangen zeigten sich zwei dunkelrote Punkte. Sein Atem ging schwerer. Sein Schweiß stank süßlich und bitter.

Die beiden Mädchen sahen sich an und verdrehten die Augen.

Die Magie verschwand mit dem Regen.

Emil seufzte. Den Siegespokal hatte heute wohl der Übergewichtige im himmelblauen Hemd gewonnen.

Einmal mehr hatte Emil verloren.

Er entschied sich spontan, am nächsten Bahnhof auszusteigen und den Zug zurück zu nehmen. So schnell wie möglich wollte Emil nach Hause.

Dort im Kühlschrank lagerten noch eine Menge Pralinen auf Lottes blauem Meissener Porzellan-Teller, den er damals als Souvenir mitgenommen hatte.

Diese Köstlichkeiten waren noch unbehandelt, warteten auf ihren Einsatz, wenn die Magie der Vier wieder startete.

Mit einem Seufzen erhob sich Emil. Er würde am Ausstieg auf den Halt warten. Vor dem Verlassen des Abteils drückte er spontan die Hand des Mannes. Dessen Haut fühlte sich heiß und fiebrig an.

Was für ein Glück der doch hatte!

Bei einer der Toiletten blieb Emil stehen. Die Enttäuschung überwältigte ihn. Eine Träne löste sich aus seinem linken Augenwinkel. Wieder einmal bloß eine Niete für ihn, obwohl er stets bereit war.

„Wie oft denn noch, Lotte. Wann darf ich endlich bis in alle Ewigkeit bei dir sein? Ich liebe dich, dass weißt du doch. Warum, Lotte?“

Emil merkte, dass er laut gesprochen hatte. Ein Mitreisender vor ihm im Gang drehte sich um und sah ihn forschend an. Sofort verstummte Emil, senkte den Kopf und ging schnell weiter in Richtung Speisewagen. Er hatte plötzlich und intensiv Lust auf etwas Herbes nach seiner Praline und würde sich rasch noch ein Sandwich kaufen.

Angekommen, entdeckte Emil auf der Theke vier leere Kaffeebecher, die jemand nebeneinander abge-stellt hatte.

Magie lag wieder in der Luft.

KAPITEL2

BRITTA BENDIXEN: NACHTS IM KLOSTER

Bruder Samuels leichte Sandalenschritte verursa-chten kaum einen Laut, als er mit einem vollen Tablett zum Gästetrakt des Klosters eilte. Gewiss wartete Mr. Jack Turner, der bekannte Bestseller-Autor, bereits auf sein Frühstück.

Obwohl noch satt vom Porridge, war der ungewohnte Duft von Eiern, Speck und Kaffee verführerisch. Aber Samuel verspürte keinen Neid.

Er verschlang statt einer üppigen Mahlzeit lieber Jack Turners Romane über den verwegenen Privat-detektiv Johnny Lancaster. Es war eine wunderbare Fügung des Himmels, dass Turner sich ausgerechnet das St. Mary Kloster ausgesucht hatte, um in Ruhe und Abgeschiedenheit sein neuestes Buch zu vollenden.

Endlich erreichte der Mönch sein Ziel. Er balancierte das Tablett auf einer Hand und klopfte an. Eine tiefe Stimme bat ihn herein. Bruder Samuel stieß die Tür auf. Qualm, so dicht, dass man ihn hätte schneiden können, empfing ihn und ließ seine Augen brennen.

„Ihr Frühstück, Sir“, sagte er und unterdrückte mühsam ein Husten.

„Ah, Bruder Samuel.“

Turner, ein Hüne mit breiten Schultern und vor Müdigkeit roten Augen, drückte seine Zigarette in dem überquellenden Aschenbecher aus. Vermutlich hatte er die ganze Nacht hindurch geschrieben – und geraucht. An sich sah man das nicht gern im Kloster, doch bei einer Persönlichkeit wie Jack Turner ließ der Prior eine Ausnahme gelten.

Der Schriftsteller winkte Samuel zu sich.

„Leisten Sie mir wieder Gesellschaft beim Essen, Bruder?“

„Es wäre mir eine Ehre, Sir.“

Erfreut ließ sich Bruder Samuel auf dem zweiten Stuhl nieder und schenkte dampfenden Kaffee in den Keramikbecher.

Jack Turner begann heißhungrig zu essen.

„Und?“, fragte er kauend. „Was gibt es Neues in der Welt der Kutten und Tonsuren?“

Samuel musste nicht lange überlegen.

„Letzte Nacht wurden einige unserer Hennen getötet, Sir.“

„Ach, darum gibt es heute nur zwei Eier“, scherzte Turner. „War es ein Fuchs?“

Bruder Samuel gab etwas Zucker in den Becher und rührte klingelnd um.

„Nein, Sir, gewiss nicht. Den armen Wesen wurde die Gurgel durchgeschnitten.“

Turner sah auf und schüttelte den Kopf.

„Wie barbarisch! Steht schon fest, wer das getan hat?“

„Bisher nicht, Sir. Leider.“

Der Mönch schob Turner den Kaffee zu. Dabei streifte sein Blick die rechte Hand des Autors, die gerade eine Gabel mit Ei und Speck zum Mund führte. Was waren das für seltsame Flecken an seinen Fingern? Sie sahen aus wie …

Dem Mönch stockte der Atem. Wie getrocknetes Blut! In seinem Kopf wirbelten Gedankenfetzen wie Herbstblätter im Klostergarten. War es denkbar, dass …? Nein, sagte er sich selbst, unmöglich!

„Können Sie ein Geheimnis für sich behalten?“, fragte Turner plötzlich.

Bruder Samuel räusperte sich und nickte.

„Selbstverständlich, Sir.“

„Johnny spricht neuerdings mit mir. Ich kann ihn hören.“ Turner stellte den Kaffeebecher ab und tippte sich gegen die Schläfe. „Hier drin.“

Der Mönch riss die Augen auf.

„Sie meinen … Johnny Lancaster? Den Helden Ihrer Romane?“

„Ja. Er will bestimmen, wie sich die neue Geschichte entwickeln soll, macht mir Vorschriften, gibt mir Befehle. Es ist gelinde gesagt sehr ver-wirrend.“

„Das kann ich mir vorstellen, Sir.“

Bruder Samuel konnte seinen Blick nicht von der rechten Hand des Autors lösen. Er blieb dort kleben wie das Blut an dessen Fingern.

Als der Mönch am nächsten Morgen das Frühstück zu Turners Gästezimmer brachte, war sein Gang zögerlicher als üblich und sein Klopfen fiel zaghaft aus.

„Herein!“

Samuel öffnete die Tür. Turner saß wie üblich rauchend vor seinem Laptop. Er sah blasser aus als am Vortag, wirkte beinahe krank.

„Ihr Frühstück, Sir“, sagte Bruder Samuel.

„Ich hab keinen Hunger“, nuschelte Turner, eine heruntergebrannte Kippe im Mundwinkel. „Geben Sie mir nur einen Kaffee.“

„Sehr gerne, Sir.“ Bruder Samuel schenkte ein, gab Zucker dazu und reichte dem in seine Arbeit ver-tieften Turner den dampfenden Becher. „Geht es Ihnen gut, Sir?“

Zur Antwort erhielt Bruder Samuel lediglich ein Brummen, verbunden mit einem halbherzigen Nicken. Turner nahm den Becher und trank vorsich-tig einen Schluck, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. Er war offenbar nicht allzu erpicht auf Gesellschaft.

Samuel nahm all seinen Mut zusammen.

„Darf ich … Darf ich Sie etwas fragen, Sir?“

„Wenn’s unbedingt sein muss.“

Der Mönch holte tief Luft, dann brach es aus ihm heraus:

„Was genau befiehlt Lancaster Ihnen, Sir?“

Der Autor stellte seinen Kaffeebecher ab, drückte die abgebrannte Zigarette aus und winkte ab.

„Dies und das. Warum fragen Sie?“

„Nun, weil …“

Turner hatte sich wieder seinem Manuskript zugewandt und tippte drauflos. Das Tastengeklapper drohte Bruder Samuel aus dem Konzept zu bringen. Aber er musste diese Neuigkeit loswerden.

„Letzte Nacht hat jemand versucht, Bruder Cuth-bert zu erwürgen, Sir“, stieß er rasch hervor.

Das Geklapper verstummte. Turner musterte seinen Besucher mit finsterer Miene.

„Erzählen Sie mehr.“

„Nun, Bruder Cuthbert konnte in der Dunkelheit nicht sehen, wer plötzlich über ihm stand und die Hände um seinen Hals legte. Er hatte Todesangst und wehrte sich nach Kräften. Mit Gottes Hilfe konnte er den Übeltäter daran hindern, sein grau-siges Werk zu vollenden. Der Mann flüchtete.“

Jack Turners Augen, dunkel wie Kohlestückchen, sahen ins Leere.

„Dann weiß man nicht, wer es war?“

„Nein, Sir. Bruder Cuthbert sagte nur, der Mann habe …“, der Mönch räusperte sich unbehaglich, „stark nach Rauch gerochen.“

Turner lehnte sich zurück, starrte auf seinen vollen Aschenbecher und atmete hörbar aus. Dann beugte er sich wieder vor, drehte seinen Computer herum und wies auf den Bildschirm.

„Lesen Sie das“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und zündete sich mit zitternden Fingern eine neue Zigarette an.

Bruder Samuel wandte sich dem Monitor zu und las:

Lancaster tobte vor Wut und stürzte sich auf Phil. Wie von selbst legten sich seine Hände um den Hals des Ganoven und drückten zu.

Phil röchelte, seine Augen quollen ihm aus dem Kopf …

Entsetzt schob Bruder Samuel den Computer von sich.

„Gott steh mir bei“, ächzte er. „Lancaster hat Ihnen befohlen, Bruder Cuthbert …?“

„Ich weiß es nicht!“, erwiderte Turner heftig, stand so schwungvoll auf, dass der Stuhl um ein Haar umgefallen wäre, und begann, in der schlichten Zelle auf und ab zu gehen. „Es deutet aber alles darauf hin, dass ich die Kontrolle über Johnny verloren habe. Oder sehen Sie das anders?“

Der Mönch schüttelte den Kopf. „Warum nur verlangt er so etwas von Ihnen?“

Turner schien ratlos.

„Aus Recherchegründen? Er will offenbar, dass ich genau weiß, worüber ich schreibe. Das ist nur eine Vermutung, aber eine andere Erklärung fällt mir nicht ein.“

„Was sollen wir jetzt tun, Sir?“

Turner seufzte schwer. „Ich habe keine Ahnung.“

Samuel überlegte. „Wie wäre es, wenn ich heute Nacht bei Ihnen bliebe, Sir?“

„Mein Bett ist etwas zu klein für zwei, fürchte ich“, erwiderte Turner spöttisch, den Blick auf die schmale Pritsche gerichtet, die selbst für ihn allein kaum ausreichte, um wirklich bequem zu sein.

„Ich lege mich auf den Boden, Sir, das macht mir nichts aus“, meinte Samuel. „Schlafen werde ich ohnehin nicht.“

Der Autor atmete tief durch und nickte dann.„Also gut. Einverstanden.“

Am Abend, als Turner sich hinlegte, ließ sich Bruder Samuel dicht an der Tür auf dem Boden nieder. Er hatte ein Kissen und eine dünne Decke dabei, mehr benötigte er nicht. Auf dem Tisch flackerte eine dicke weiße Kerze und ließ unheimliche Schatten über die gekalkten Wände tanzen.

„Gute Nacht, Bruder“, murmelte Turner. „Gewiss wird nichts geschehen, ich bin so erschöpft, dass ich schlafen werde wie ein Toter.“

„Dafür werde ich beten, Sir.“

„Tun Sie das.“ Turner gähnte und drehte sich mit dem Gesicht zur Wand.

Es dauerte in der Tat nicht lange, bis sein gleich-mäßiger Atem zu hören war. Bruder Samuel dagegen starrte gedankenverloren an die gewölbte Decke.

War es tatsächlich möglich, überlegte er, dass die Stimme von Johnny Lancaster den Autoren dazu brachte, nachts zu einem mordenden Monster zu werden? Es schien so abwegig. Andererseits waren da die Blutflecken an seinen Händen, die Schilderung von Bruder Cuthbert und der verstörende Text, der so gut zu dem Vorfall passte …

„Lass mich in Ruhe, Johnny“, murmelte Turner plötzlich und wand sich auf seinem Lager. Das Ächzen des Metallgestells klang in der Stille unnatürlich laut. „Nein, ich will das nicht!“

Bruder Samuel setzte sich auf. Sein Herz klopfte schneller als der hämmernde Schnabel eines Spechts. Er sah zu dem schlafenden Autor hinüber und schluckte.

„Du bist eine Nervensäge, Johnny“, stöhnte Turner, schlug die Decke zurück und setzte sich auf.

Was geschah denn jetzt? Bruder Samuel hielt es nicht mehr am Boden. Er kam ungelenk auf die Füße und lehnte sich gegen die Tür. Hielt den Atem an.

Turner stand auf und begann, in seinem Gepäck zu wühlen, das auf einer Ablage neben dem Bett stand.

Wonach suchte er?

„Sei nicht so ungeduldig, Johnny!“, rief Turner gereizt. „Ich weiß genau, es muss hier irgendwo sein … Ha! Ich hab’s.“

Er wandte sich um.

Bruder Samuels Hände wurden feucht. Der Wunsch, diese Zelle zu verlassen, war übermächtig, doch er zwang sich, zu bleiben. Mit schmalen Augen versuchte er, zu erkennen, was Turner in der Hand hielt. Es war ein länglicher, dünner Gegenstand, der im Kerzenlicht silbern schimmerte …

Bruder Samuel stieß zischend die angehaltene Luft aus und presste sich noch fester an das raue Holz der Tür.

Turner hatte ein Messer!

„Ich will das nicht tun“, nörgelte der Autor. „Samuel ist ein netter Kerl. Das hat er nicht verdient.“

Die Knie des Mönchs wurden weich wie Porridge. Turner wandte den Kopf und sah seinen nächtlichen Gast an. Kam langsam auf ihn zu.

Bruder Samuel beschloss, nun doch lieber von der anderen Seite der Tür aus Wache zu halten. Er drehte sich um und griff nach der Klinke.

„Hiergeblieben, Mönchlein!“

Turner packte dessen Kutte in Höhe der Schulter und schleuderte ihn herum, sodass Samuel hart gegen die Tür stieß. Seine Füße verfingen sich in der Decke am Boden. Er taumelte, doch Turner riss ihn hoch, ließ ihn dann los und hob drohend das Messer.

Vergib mir, Herr, bat Bruder Samuel, holte aus und rammte seine Faust in Turners Gesicht. Etwas fiel klirrend zu Boden. Dem Autor war wohl vor Verblüffung das Messer aus der Hand geglitten, doch er selbst stand noch. Zorn funkelte in seinen Augen und im nächsten Moment legten sich mit einem ungnädigen Knurren seine Hände wie Eisen-klammern um den nackten Hals des Mönchs. Drückten zu.

Bruder Samuel riss den Mund auf, er bekam keine Luft mehr. Vergeblich versuchte er, Turner von sich zu schieben oder dessen Griff zu lösen. Der Autor war schon in normalem Zustand viel stärker als er, nun aber glich er einem wilden, hungrigen Bären.

Samuels Lunge schien zu bersten, Schwindel erfasste ihn, sein Blick verschwamm. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Noch einmal flehte er Gott um Vergebung an, dann riss er mit letzter Kraft sein rechtes Knie hoch.

Tuner gab einen erstickten Laut von sich und sank gekrümmt zu Boden. Der Mönch lehnte keuchend an der Tür und rieb seine schmerzende Kehle, während er auf Turner hinabsah, der sich beide Hände in den Schritt presste und jammervolle Töne von sich gab.

Unglaublich, ich habe ihn zu Fall gebracht, dachte Samuel mit einem Anflug von Stolz, schob dieses Gefühl aber rasch von sich.

Stolz war eine Todsünde.

Nach einer Weile richtete sich der Autor auf und schüttelte sich, als erwache er aus einem Traum.

„Es … Es tut mir leid, Sir“, krächzte Bruder Samuel.

Turner starrte den Mönch perplex an. „Zum Teufel nochmal, haben Sie halbe Portion mir gerade in die …?“

„Verzeihen Sie, Sir“, unterbrach ihn Bruder Samuel mahnend. „An diesem Ort wird nicht geflucht.“

„Muss es wirklich sein?«, fragte Jack Turner etwas später und blickte trübsinnig auf den Bildschirm.

Sein linkes Auge war von dem Faustschlag Samuels geschwollen. Der Mönch wandte verlegen den Blick ab und konzentrierte sich auf Turners Frage.

„Ich fürchte ja, Sir. Ich weiß keinen anderen Ausweg.“

„Meine Leser werden schockiert sein.“

„Auch mir wird er fehlen“, gestand der Mönch. „Aber nur so können wir ihn daran hindern, sich Ihrer erneut zu bemächtigen.“ Er bekreuzigte sich. „Zumindest hoffe ich das.“

„Sie haben ja recht, eine andere Möglichkeit sehe ich auch nicht.“