Ein Hologramm für den König - Dave Eggers - E-Book + Hörbuch

Ein Hologramm für den König E-Book

Dave Eggers

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Beschreibung

Ein literarischer Messerwurf ins Herz unserer Zeit – ein Mann, den die Globalisierung an den Abgrund drängt Dave Eggers ist einer der interessantesten, engagiertesten und wagemutigsten Schriftsteller der Gegenwart. Das darf, das muss man so sagen. Sein neuer Roman erzählt die anrührende, absurde Geschichte von Alan Clay, einem amerikanischen Geschäftsmann kurz vor dem Bankrott, der mitten in der Wüste von Saudi-Arabien auf den alles rettenden Deal hofft.Alan Clay ist ein Mann der Old-Economy, der nicht ganz ohne eigenes Zutun so gut wie ausrangiert ist und nun darum kämpft, die Studiengebühren seiner Tochter bezahlen und einen Rest seiner Würde bewahren zu können. Er hat noch eine Chance, um seiner Finanzlage und damit seinem Leben die entscheidende Wendung zu geben: Für eine amerikanische IT-Firma fliegt er mit einem Team von jungen Leuten nach Saudi-Arabien. Dort, wo mitten in der Wüste eine funkelnde Wirtschaftsmetropole entstehen soll, wollen sie dem saudischen König ihre hochentwickelte IT-Technik vorführen, mit der sie die Stadt versorgen möchten. In einem Zelt am Rande der riesigen Baustelle, aus der eines Tages die Stadt erwachsen soll, kämpfen sie nicht nur mit drückender Hitze und wackligem WiFi, sondern warten auf einen König, der einfach nicht kommt.»Ein Hologramm für den König« ist ein Roman über das, was die globalisierte Wirtschaft mit dem Menschen macht. Mit großer Empathie und herrlich absurder Komik erzählt, zielt er mitten ins Herz der heutigen Zeit. Vielschichtig, traurig, rührend. Ein literarischer Meilenstein.

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Seitenzahl: 379

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Dave Eggers

Ein Hologramm für den König

Roman

Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Dave Eggers

> Über dieses Buch

> Impressum

> Klimaneutraler Verlag

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

WidmungMottoI. KapitelII. KapitelIII. KapitelIV. KapitelV. KapitelVI. KapitelVII. KapitelVIII. KapitelIX. KapitelX. KapitelXI. KapitelXII. KapitelXIII. KapitelXIV. KapitelXV. KapitelXVI. KapitelXVII. KapitelXVIII. KapitelXIX. KapitelXX. KapitelXXI. KapitelXXII. KapitelXXIII. KapitelXXIV. KapitelXXV. KapitelXXVI. KapitelXXVII. KapitelXXVIII. KapitelXXIX. KapitelXXX. KapitelXXXI. KapitelXXXII. KapitelXXXIII. KapitelXXXIV. KapitelDanksagung
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Für Daniel McSweeney, Ron Hadley und Paul Vida, allesamt großartige Männer[*]

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Uns braucht man nicht alle Tage.

– Samuel Beckett –

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I.

Alan Clay erwachte in Dschidda, Saudi-Arabien. Es war der 30. Mai 2010. Er hatte zwei Tage in Flugzeugen verbracht, um dort hinzukommen.

 

In Nairobi hatte er eine Frau kennengelernt. Sie saßen nebeneinander, während sie auf ihre Flüge warteten. Sie war groß und kurvenreich und trug kleine goldene Ohrringe. Sie hatte einen rötlichen Teint und einen singenden Tonfall. Alan fand sie sympathischer als viele der Menschen in seinem Leben, Menschen, die er jeden Tag sah. Sie sagte, sie lebe im Norden des Staates New York. Also nicht allzu weit entfernt von seinem Haus in einem Bostoner Vorort.

Hätte er Mut gehabt, hätte er sich irgendwas überlegt, um sie wiederzusehen. Doch stattdessen stieg er in seine Maschine und flog nach Riad und weiter nach Dschidda. Ein Mann holte ihn am Flughafen ab und fuhr ihn zum Hilton.

 

Mit einem Klicken betrat Alan um 1.12 Uhr sein Zimmer im Hilton. Er machte sich rasch bettfertig. Er brauchte Schlaf. Am nächsten Morgen um acht wurde er in der King Abdullah Economic City erwartet, und er würde sich für die einstündige Fahrt nach Norden um sieben Uhr auf den Weg machen müssen. Er und sein Team würden dort ein holografisches Telekonferenzsystem einrichten und es dann König Abdullah persönlich vorführen. Falls sie König Abdullah überzeugten, würde er Reliant den IT-Auftrag für die ganze Stadt erteilen, und mit Alans Provision, einem Betrag im mittleren sechsstelligen Bereich, würde Alan alles aus der Welt schaffen können, was ihn plagte.

 

Er musste also ausgeruht sein. Sich fit fühlen. Doch stattdessen hatte er vier Stunden wach im Bett gelegen.

 

Er dachte an seine Tochter Kit, die aufs College ging, ein sehr gutes und teures College. Er hatte nicht das Geld, um ihre Studiengebühren für das Herbstsemester zu bezahlen. Er konnte ihre Studiengebühren nicht bezahlen, weil er in seinem Leben eine Reihe von törichten Entscheidungen getroffen hatte. Er hatte nicht gut geplant. Er hatte keinen Mut gehabt, als er welchen gebraucht hätte.

 

Seine Entscheidungen waren kurzsichtig gewesen.

Die Entscheidungen seiner Kollegen waren kurzsichtig gewesen.

Diese Entscheidungen waren töricht und halbherzig gewesen.

 

Aber damals hatte er nicht gewusst, dass seine Entscheidungen kurzsichtig, töricht und halbherzig waren. Er und seine Kollegen wussten nicht, dass sie Entscheidungen trafen, die sie, die Alan zu dem machen würden, was er jetzt war – praktisch pleite, beinahe arbeitslos, Inhaber einer Ein-Mann-Consultingfirma, die er von seinem Homeoffice aus betrieb.

 

Er war von Kits Mutter Ruby geschieden. Mittlerweile waren sie länger getrennt, als sie zusammen gewesen waren. Ruby war eine furchtbare Nervensäge, lebte jetzt in Kalifornien und steuerte finanziell nichts zu Kits Ausbildung bei. Für das College bist du zuständig, erklärte sie ihm. Das ist Männersache, sagte sie.

Jetzt würde Kit im Herbst nicht weiter aufs College gehen können. Alan hatte sein Haus zum Verkauf angeboten, aber noch keinen Interessenten gefunden. Andere Optionen hatte er kaum noch. Er schuldete vielen Leuten Geld, so zum Beispiel zwei Fahrradkonstrukteuren, die noch 18.000 Dollar von ihm bekamen, weil sie für ihn den Prototyp eines neuen Fahrrads gebaut hatten, von dem er glaubte, er könnte es im Bostoner Raum produzieren. Dafür hatte man ihn einen Idioten genannt. Er schuldete Jim Wong Geld, der ihm 45.000 Dollar geliehen hatte, damit er Material und die erste und letzte Pacht für ein Lagerhaus bezahlen konnte. Außerdem schuldete er einem halben Dutzend Freunden und möglichen Geschäftspartnern rund 65.000 Dollar.

 

Er war also pleite. Und als ihm klar wurde, dass er die Studiengebühren für Kit nicht bezahlen konnte, war es zu spät, um noch irgendeine andere Unterstützung zu beantragen. Zu spät, um umzuschichten.

War es eine Tragödie, dass eine gesunde junge Frau wie Kit ein Freisemester einlegen würde? Nein, es war keine Tragödie. Die lange, schmerzensreiche Geschichte der Welt würde keinerlei Notiz davon nehmen, wenn eine kluge und fähige junge Frau wie Kit ein Semester am College verpasste. Kit würde es überleben. Es war keine Tragödie. Alles andere als eine Tragödie.

 

Eine Tragödie, so hieß es, war das, was Charlie Fallon passiert war. Charlie Fallon war in dem See nicht weit von Alans Haus erfroren. In dem See gleich neben Alans Haus.

Alan dachte an Charlie Fallon, während er in seinem Zimmer im Dschidda-Hilton nicht schlief. Alan hatte gesehen, wie Charlie an jenem Tag in den See watete. Da fuhr Alan gerade los, er wollte zum Steinbruch. Irgendwie war es nicht normal, dass ein Mann wie Charlie Fallon im September in den schimmernden schwarzen See watete, aber extrem ungewöhnlich war es auch nicht.

Charlie Fallon hatte Alan ständig irgendwelche Seiten aus Büchern geschickt. Zwei Jahre lang. Charlie hatte im fortgeschrittenen Alter die Transzendentalisten für sich entdeckt und eine Verbundenheit zu ihnen verspürt. Er hatte festgestellt, dass die Brook Farm nicht weit von seinem und Alans Wohnort lag, und glaubte, das hätte etwas zu bedeuten. Er erforschte seine Bostoner Herkunft in der Hoffnung, auf irgendeine Verbindung zu stoßen, fand aber keine. Trotzdem schickte er Alan Buchseiten mit markierten Passagen.

Ein privilegiertes Gehirn bei der Arbeit, dachte Alan. Hör auf, mir noch mehr von dem Mist zu schicken, sagte er zu Charlie. Aber Charlie grinste und schickte noch mehr.

Als Alan also sah, wie Charlie an einem Samstagmittag in den See watete, hielt er das für eine logische Erweiterung der neuen Leidenschaft des Mannes für das Land. Er war erst bis zu den Knöcheln im Wasser, als Alan an dem Tag an ihm vorbeifuhr.

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II.

Als Alan im Dschidda-Hilton erwachte, war er schon zu spät dran. Es war 8.15 Uhr. Er war kurz nach fünf eingeschlafen.

 

Er wurde um acht in der King Abdullah Economic City erwartet. Die Fahrt dahin würde mindestens eine Stunde dauern. Er musste duschen, sich anziehen und ein Auto besorgen, konnte also frühestens um zehn da sein. Er würde am ersten Tag seines Einsatzes hier zwei Stunden zu spät kommen. Er war ein Idiot. Er wurde mit jedem Jahr idiotischer.

 

Er wählte Cayleys Handynummer. Sie meldete sich mit ihrer heiseren Stimme. In einem anderen Leben, einer anderen Drehung des Rades, wo er jünger und sie älter und sie beide dumm genug wären, es zu versuchen, wären er und Cayley etwas Erstaunliches gewesen.

– Hallo, Alan! Es ist wunderschön hier. Na ja, vielleicht nicht wunderschön. Aber Sie sind nicht da.

Er erklärte es. Er log nicht. Dafür hatte er nicht mehr die Energie, die nötige Kreativität.

– Ach, keine Sorge, sagte sie mit einem kleinen Lachen – ihre Stimme barg die Möglichkeit, zelebrierte die Existenz eines fantastischen Lebens beständiger Sinnlichkeit –, wir bauen gerade erst auf. Aber Sie werden sich selbst eine Transportmöglichkeit besorgen müssen. Weiß einer von euch, wie Alan herkommen kann?

Offenbar rief sie das dem übrigen Team zu. Der Raum klang riesig. Er stellte sich einen dunklen und leeren Ort vor, drei junge Leute mit Kerzen in Händen, die auf ihn und seine Laterne warteten.

 

– Er kann kein Auto mieten, sagte sie zu ihnen.

Und dann zu ihm. – Können Sie ein Auto mieten, Alan?

– Ich regele das, sagte er.

 

Er rief in der Lobby an.

– Hallo. Alan Clay hier. Wie ist Ihr Name?

Er fragte nach Namen. Eine Angewohnheit, die Joe Trivole ihm eingeschärft hatte, als sie zusammen für Fuller-Brush-Produkte unterwegs waren. Frag nach Namen, wiederhole Namen. Wenn du dich an die Namen von Leuten erinnerst, erinnern sie sich an dich.

Der Mann an der Rezeption sagte, sein Name sei Edward.

– Edward?

– Ja, Sir. Mein Name ist Edward. Was kann ich für Sie tun?

– Wo kommen Sie her, Edward?

– Jakarta, Indonesien, Sir.

– Ah, Jakarta, sagte Alan. Dann merkte er, dass er nichts zu Jakarta sagen konnte. Er wusste nichts über Jakarta.

– Edward, meinen Sie, ich könnte über das Hotel einen Wagen mieten?

– Haben Sie einen internationalen Führerschein?

– Nein.

– Dann sollten Sie das lieber nicht tun.

Alan rief den Hotelportier an. Er erklärte, er brauche einen Fahrer zur King Abdullah Economic City.

 

– Das wird ein paar Minuten dauern, sagte der Portier. Sein Akzent klang nicht saudisch. Anscheinend arbeiteten keine Saudis in diesem saudischen Hotel. Alan hatte sich das schon gedacht. Ihm war gesagt worden, dass überall nur wenige Saudis arbeiteten. Sie importierten Arbeitskräfte für alle Bereiche. Wir müssen jemanden Geeigneten finden, der Sie fahren kann, sagte der Portier.

– Können Sie nicht einfach ein Taxi rufen?

– Nicht direkt, Sir.

 

Alan wurde sauer, aber dieses Problem hatte er sich selbst eingebrockt. Er dankte dem Mann und legte auf. Er wusste, dass er in Dschidda oder Riad nicht einfach ein Taxi rufen konnte – so stand es jedenfalls in den Reiseführern, die allesamt hysterisch auf die Gefahren hinwiesen, die ausländische Reisende im Königreich erwarteten. Das US-Außenministerium hatte für Saudi-Arabien die höchste Warnstufe ausgegeben. Entführungen waren nicht unwahrscheinlich, Alan könnte an Al Kaida verkauft, als Geisel festgehalten, über Grenzen verschleppt werden. Aber Alan hatte sich noch nie irgendwo gefährdet gefühlt, dabei war er in den Neunzigern beruflich in Juárez, in den Achtzigern in Guatemala gewesen.

 

Das Telefon klingelte.

– Wir haben einen Fahrer für Sie. Wann möchten Sie ihn?

– So schnell wie möglich.

– Er ist in zwölf Minuten da.

 

Alan duschte und rasierte sich den fleckigen Hals. Er zog sich an: Unterhemd, weißes Button-down-Hemd, Kakihose, Slipper, hellbraune Socken. Kleide dich einfach wie ein amerikanischer Geschäftsmann, war ihm geraten worden. Es gab abschreckende Beispiele von übereifrigen Westtouristen, die lange Thawbs trugen und den Kopf bedeckten. Die sich anzupassen versuchten, mit allen Mitteln. Derlei Bemühungen wurden nicht geschätzt.

 

Während er den Kragen seines Hemdes richtete, befühlte Alan den Knoten, den er einen Monat zuvor im Nacken entdeckt hatte. Er hatte die Größe eines Golfballs, stand von der Wirbelsäule ab und fühlte sich an wie Knorpel. An manchen Tagen dachte er sich, dass der Knoten Teil der Wirbelsäule war, was könnte er denn sonst sein?

Es könnte ein Tumor sein.

Ein solcher Knoten, direkt an der Wirbelsäule – der musste aggressiv und tödlich sein. In letzter Zeit fühlte sich Alan etwas wirr im Kopf und unsicher auf den Beinen, und es war irgendwie vollkommen und schrecklich einleuchtend, dass da irgendwas wuchs, an ihm nagte, ihm die Lebenskraft raubte, alle Klarheit und Zielstrebigkeit auspresste.

 

Er hatte vorgehabt, zum Arzt zu gehen, hatte es dann aber doch nicht getan. Kein Arzt konnte so etwas operieren. Alan wollte keine Bestrahlung, wollte nicht kahlköpfig werden. Nein, der Trick war, das Ding ab und an zu betasten, auf Begleitsymptome zu achten, es noch ein bisschen mehr zu betasten und dann nichts zu tun.

 

Innerhalb von zwölf Minuten war Alan startklar.

Er rief Cayley an.

– Ich verlasse jetzt das Hotel.

– Gut. Bis Sie ankommen, haben wir alles aufgebaut.

 

Das Team konnte ohne ihn dahin kommen, das Team konnte ohne ihn alles aufbauen. Also warum war er dann überhaupt da? Die Gründe waren dürftig, aber für seine Mitwirkung ausschlaggebend gewesen. Erstens war er älter als die anderen Teammitglieder, die allesamt eigentlich noch Kinder waren, keiner über dreißig. Zweitens hatte er einmal König Abdullahs Neffen kennengelernt, als sie Mitte der Neunziger an einem Kunststoff-Projekt beteiligt gewesen waren, und Eric Ingvall, der New Yorker Reliant-Chef, meinte, die Beziehung würde ausreichen, um die Aufmerksamkeit des Königs zu gewinnen. Was wahrscheinlich nicht stimmte, aber Alan hatte es vorgezogen, ihn in dem Glauben zu lassen.

 

Alan war heilfroh über den Job. Er brauchte den Job. Die gut achtzehn Monate vor Ingvalls Anruf waren demütigend gewesen. Eine Steuererklärung für ein zu versteuerndes Einkommen von 22.350 Dollar einzureichen war eine Erfahrung, auf die er in seinem Alter nicht mehr gefasst war. Er hatte seine Consultingfirma sieben Jahre lang von zu Hause aus betrieben, und Jahr für Jahr waren die Einnahmen geschrumpft. Kein Mensch wollte Geld ausgeben. Noch vor fünf Jahren waren die Geschäfte gut gelaufen; alte Freunde hatten ihm Aufträge verschafft, und er war nützlich für sie. Er brachte sie mit Verkäufern in Kontakt, zog Strippen, fädelte Deals ein, machte Kohle. Er hatte sich nützlich gefühlt.

Jetzt war er vierundfünfzig Jahre alt und für die amerikanische Unternehmenswelt so faszinierend wie ein Flugzeug aus Lehm. Er konnte keine Arbeit finden, konnte keine Aufträge an Land ziehen. Er war von Schwinn zu Huffy gegangen, weiter zu Frontier Manufacturing Partners, dann zu Alan Clay Consulting, um schließlich zu Hause zu hocken und sich auf DVD anzugucken, wie die Red Sox die Finalspiele von ’04 und ’07 gewannen. Das Spiel, in dem sie gegen die Yankees vier Homeruns in Serie schafften. 22. April 2007. Er hatte sich die viereinhalb Minuten hundertmal angesehen und jedes Mal so etwas wie Freude empfunden. Ein Gefühl von Richtigkeit, von Ordnung. Es war ein Sieg, der nie wieder weggenommen werden konnte.

 

Alan rief die Rezeption an.

– Ist der Wagen da?

– Es tut mir leid, der Fahrer verspätet sich.

– Sind Sie das, der Mann aus Jakarta?

– Ja.

– Edward.

– Richtig.

– Hi, Edward. Wie viel später kommt der Wagen denn?

– In zwanzig Minuten. Darf ich Ihnen vielleicht etwas zu essen aufs Zimmer schicken?

 

Alan trat ans Fenster und schaute hinaus. Das Rote Meer war ruhig, unscheinbar aus dieser Höhe. Eine sechsspurige Schnellstraße führte direkt an ihm entlang. Ein Trio Männer in Weiß angelte am Pier.

 

Alan blickte auf den Balkon neben seinem. Er betrachtete sein Spiegelbild in der Scheibe. Er sah durchschnittlich aus. Wenn er rasiert und ordentlich gekleidet war, ging er als seriös durch. Aber unter seiner Stirn hatte sich irgendwas verdunkelt. Seine Augen waren eingesunken, und das fiel den Leuten auf. Bei seinem letzten Highschool-Klassentreffen sagte ein ehemaliger Footballspieler, den Alan nicht hatte ausstehen können: Alan Clay, du hast einen leeren Blick. Was ist los mit dir?

 

Eine Windböe wehte vom Meer heran. In der Ferne schob sich ein Containerschiff übers Wasser. Hier und da ein paar andere Schiffe, winzig wie Spielzeug.

 

Auf dem Flug von Boston nach London hatte ein Mann neben ihm gesessen. Er trank Gin Tonic und hielt Monologe.

Eine ganze Weile war’s gut, oder?, hatte er gesagt. So etwa dreißig Jahre oder so? Vielleicht auch nur zwanzig, zweiundzwanzig? Aber es war vorbei, keine Frage, das war es, und jetzt mussten wir uns genau wie Westeuropa auf eine Ära gefasst machen, die von Tourismus und Krämerseelen geprägt sein würde. Das hatte der Mann im Flugzeug doch sinngemäß gesagt, oder? So was in der Art.

Er konnte einfach nicht den Mund halten und ließ sich einen Drink nach dem anderen bringen.

Wir sind eine Nation von Stubenhockern geworden, hatte er gesagt. Eine Nation von Zweiflern, Bedenkenträgern, Grüblern. Gott sei Dank waren die Amerikaner, die dieses Land besiedelt haben, nicht so. Die hatten ein ganz anderes Format! Die haben das Land in Planwagen mit Holzrädern durchquert! Die haben kaum angehalten, wenn unterwegs einer den Löffel abgab. Damals wurden die Toten beerdigt, und weiter ging’s.

Der Mann, der betrunken war und vielleicht auch gestört, war wie Alan in die Produktion hineingeboren worden und hatte sich irgendwann später in Welten verirrt, die nur am Rande mit der Herstellung von Dingen zu tun hatten. Er ließ sich mit Gin Tonic volllaufen und war mit allem fertig. Er war auf dem Weg nach Frankreich, wo er sich in der Nähe von Nizza zur Ruhe setzen wollte, in einem Häuschen, das sein Vater nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut hatte. Das war’s.

Alan hatte den Mann reden lassen, und sie hatten ein paar Gedanken ausgetauscht über China, Korea, über die Herstellung von Kleidung in Vietnam, über den Aufstieg und Untergang der Bekleidungsindustrie auf Haiti, den Preis für ein gutes Zimmer in Hyderabad. Alan hatte ein paar Jahrzehnte mit Fahrrädern zu tun gehabt, sich dann in rund einem Dutzend anderen Bereichen versucht, Consulting, Unternehmen dabei helfen, durch schonungslose Effizienz wettbewerbsfähig zu werden, Roboter, Schlanke Produktion, und so weiter. Und doch gab es von Jahr zu Jahr immer weniger Arbeit für einen Mann wie ihn. Keiner wollte mehr auf amerikanischem Boden produzieren. Mit welchen Argumenten sollte er oder sonst wer dafür plädieren, fünf- bis zehnmal höhere Produktionskosten als in Asien in Kauf zu nehmen? Und falls die asiatischen Löhne auf ein unhaltbares Niveau anstiegen – zum Beispiel auf 5 Dollar die Stunde –, war da Afrika. Die Chinesen produzierten bereits Sportschuhe in Nigeria. Jack Welch hatte gesagt, die Produktion von Waren sollte am besten auf einem Schiff stattfinden, das auf der Suche nach möglichst billigen Bedingungen ständig den Globus umkreist, und anscheinend hatte die Welt ihn beim Wort genommen. Der Mann im Flugzeug jammerte empört: Es sollte eine Rolle spielen, wo etwas hergestellt wird!

Aber Alan wollte nicht verzweifeln und wollte sich nicht von der Malaise seines Sitznachbarn runterziehen lassen. Alan war schließlich optimistisch, oder? Er sagte es jedenfalls. Malaise. Das war das Wort, das der Mann wieder und wieder benutzte. Der schwarze Humor macht dich erst richtig fertig. Die Witze!, jammerte der Mann. Ich hab sie in Frankreich, England, Spanien gehört. Und in Russland! Leute, die über ihre miserablen Regierungen gemeckert haben, über die elementare und irreparable Dysfunktion ihrer Länder. Und in Italien! Die Verbitterung, die Erwartungshaltung, dass es bergab geht. Das war überall spürbar und jetzt auch bei uns. Dieser düstere Sarkasmus. Das ist der Killer, garantiert. Das Zeichen dafür, dass du am Boden bist und nicht mehr hochkommst!

Alan hörte das nicht zum ersten Mal, aber er wollte es nicht mehr hören. Er setzte seinen Kopfhörer auf und schaute sich den Rest des Fluges Filme an.

 

Alan ging vom Balkon zurück in die dunkle Kühle des Zimmers.

Er dachte an sein Haus. Er fragte sich, wer wohl gerade in seinem Haus war. Wer wohl gerade hindurchging, Sachen anfasste, es wieder verließ.

Sein Haus stand zum Verkauf, seit vier Monaten. Ist das der See, in dem der Typ erfroren ist?

 

Wenn Ruby anrief, dann nur wegen des Hauses. War es verkauft? Sie brauchte das Geld und fürchtete, Alan würde das Haus verkaufen und ihr den Verkauf irgendwie verheimlichen. Du erfährst schon, wenn es verkauft ist, sagte er zu ihr. Außerdem gibt’s ja noch das Internet, sagte er. Er legte auf, als sie loszeterte.

 

Eine Frau hatte Alans Haus aufgehübscht. Es gibt Leute, die so was machen. Die kommen zu dir und machen dein Haus ansprechender, als du es je könntest. Sie hellen die Dunkelheit auf, die du mit deiner menschlichen Misere hineingebracht hast.

 

Danach lebst du bis zum Verkauf in einer Version deines Hauses, einer besseren Version. Einer mit mehr Gelb und Blumen und Tischen aus aufgearbeitetem Holz. Deine eigenen Habseligkeiten sind irgendwo eingelagert.

 

Ihr Name war Renee; sie hatte flaumiges Haar, das hochtoupiert war wie Zuckerwatte. Sie müssen zunächst mal ausmisten, sagte sie. Sie müssen neunzig Prozent von Ihrem ganzen Kram in Kartons packen und aus dem Haus schaffen, sagte sie und machte dabei eine ausladende Armbewegung über alles hinweg, was er in zwanzig Jahren angesammelt hatte.

Er packte es ein. Er schaffte es aus dem Haus, alles. Er ließ die Möbel stehen, aber als sie wiederkam, sagte sie: Jetzt tauschen wir die Möbel aus. Möchten Sie welche kaufen oder mieten?

Er schaffte seine Möbel aus dem Haus. Im Wohnzimmer standen zwei Couches, und er verschenkte sie beide. Die eine an eine Freundin von Kit. Die andere an Chuy, der für ihn den Rasen mähte. Renee mietete Kunst. Unverfängliche Abstraktionen, nannte sie sie. Sie hingen in jedem Zimmer, Gemälde mit angenehmen Farben, vagen Formen, die nichts bedeuteten.

 

Das war vier Monate her. Er wohnte die ganze Zeit in dem Haus, verschwand, wenn die Makler es zeigen wollten. Manchmal blieb er. Manchmal schloss er sich in seinem Homeoffice ein, während die Besucher durch sein Haus gingen, Bemerkungen machten. Niedrige Decken, sagten sie zum Beispiel. Kleine Schlafzimmer. Sind das die Originalböden? Es riecht muffig. Sind die Bewohner ältere Leute?

 

Manchmal sah er zu, wie die Interessenten hereinkamen, wieder gingen. Er spähte durch sein Bürofenster wie ein Schwachsinniger. Einmal blieb ein Pärchen so lange, dass Alan in eine Kaffeetasse urinieren musste. Eine Besucherin, eine Geschäftsfrau in einem langen Ledermantel, sah ihn durchs Fenster, als sie wegging, die Einfahrt hinunter. Sie drehte sich zu dem Makler um und sagte: Ich glaube, ich habe gerade einen Geist gesehen.

 

Alan sah zu, wie die Wellen sich sanft am Ufer brachen. Wer wusste schon, dass Saudi-Arabien eine ausgedehnte und unberührte Küste hatte? Alan hatte das nicht gewusst. Er blickte nach unten auf ein paar Dutzend Palmen, die im Hof entweder von diesem Hotel oder von dem nebenan gepflanzt waren, dahinter das Rote Meer. Er überlegte, hierzubleiben. Er könnte einen neuen Namen annehmen. Er könnte sämtliche Schulden abwerfen. Kit irgendwie Geld schicken, den würgenden Schraubstock seines Lebens in Amerika zurücklassen. Er hatte es vierundfünfzig Jahre ertragen. War das nicht genug?

 

Aber nein. Er war mehr als das. An manchen Tagen war er mehr als das. An manchen Tagen konnte er die Welt umfassen. An manchen Tagen konnte er meilenweit sehen. An manchen Tagen kletterte er über die Ausläufer der Gleichgültigkeit und sah die Landschaft seines Lebens und seiner Zukunft als das, was sie wirklich war: kartografierbar, bezwingbar, erreichbar. Alles, was er machen wollte, war schon gemacht worden, also wieso sollte er das nicht können? Er konnte es. Wenn er nur dauerhaft daran arbeiten könnte. Wenn er nur einen Plan aufstellen und ihn ausführen könnte. Er konnte es! Er musste glauben, dass er es konnte. Natürlich konnte er es.

 

Dieses Abdullah-Geschäft war so gut wie unter Dach und Fach. Niemand konnte mit der Größe von Reliant konkurrieren, und jetzt hatten sie ein gottverdammtes Hologramm. Alan würde den Sack zumachen, seine Provision einstreichen, alle Schulden in Boston bezahlen und dann loslegen. Eine kleine Fabrik aufmachen, mit tausend Rädern pro Jahr anfangen, dann peu à peu aufstocken. Kits Studium aus der Portokasse bezahlen. Die Makler wegschicken, das Haus vollständig abbezahlen, mit großen Schritten die Welt durchmessen, ein Riese, mit genug Geld, um sagen zu können, ich scheiß auf dich und dich und dich.

Ein Klopfen an der Tür. Sein Frühstück war da. Kartoffelpuffer innerhalb von fünf Minuten auf seinem Zimmer. Unmöglich, es sei denn, er aß das Frühstück, das für jemand anderen zubereitet worden war. Was vermutlich der Fall war. Es störte ihn nicht. Alan ließ den Kellner alles auf einem Tisch auf dem Balkon servieren und unterschrieb dann mit Schwung die Rechnung, während er zehn Stockwerke hoch saß und in den Wind blinzelte. Er hatte für einen Moment das Gefühl, dass er das hier war. Dass er das hier verdient hatte. Er musste die Haltung eines Mannes annehmen, dem das zustand, der dazugehörte. Wenn er nämlich die Sorte Mann war, der die Kartoffelpuffer von jemand anderem essen konnte, ein Mann, den das Hotel unbedingt beeindrucken wollte, so sehr, dass man ihm das Frühstück von jemand anderem schickte, dann war er vielleicht auch die Sorte Mann, der eine Audienz beim König bekommen konnte.

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III.

Das Telefon klingelte.

– Wir hatten ein Problem mit dem ersten Fahrer. Wir haben einen zweiten gerufen. Er ist auf dem Weg. Er müsste in zwanzig Minuten da sein.

– Danke, sagte Alan und legte auf.

 

Er setzte sich, atmete bedächtig, bis er sich wieder ruhiger fühlte. Er war ein amerikanischer Geschäftsmann. Er schämte sich nicht. Er konnte heute etwas bewirken. Er konnte besser sein als ein Idiot.

 

Sie hatten Alan keine festen Zusagen gegeben. Der König ist sehr beschäftigt, hatten sie ihm wiederholt in E-Mails und Telefonaten erklärt. Selbstverständlich, hatte Alan wieder und wieder entgegnet und erneut zum Ausdruck gebracht, dass er bereit war, sich überall mit dem König zu treffen, wann immer es Seiner Majestät beliebte. Aber so einfach war das nicht; der König war nämlich nicht nur sehr beschäftigt, sondern sein Terminplan änderte sich obendrein kurzfristig und häufig. Der Terminplan musste sich häufig und kurzfristig ändern, da es viele gab, die den Wunsch haben könnten, dem König Schaden zuzufügen. Daher änderte sich der Terminplan des Königs nicht nur aufgrund der Staatsgeschäfte häufig, sondern er musste sich auch zum Wohle des Königs und des Königreichs häufig ändern. Die Vertreter von Reliant, so wurde Alan gesagt, sollten daher, ebenso wie eine Reihe anderer Anbieter, die daran interessiert waren, Dienstleistungen für die King Abdullah Economic City zu erbringen, ihre Produkte vorbereiten und sie an einem Ort präsentieren, der noch festgelegt werden würde, irgendwo im küstennahen Herzen der entstehenden Stadt, und sie würden kurz vor der Ankunft des Königs verständigt. Das könne jeden Tag der Fall sein, und es könne zu jeder Uhrzeit der Fall sein, so wurde Alan gesagt.

– Also Tage, Wochen?, fragte er.

– Ja, sagten sie.

 

Und so hatte Alan diese Reise geplant. Er machte so etwas nicht zum ersten Mal – den Ring küssen, die Produkte präsentieren, ein Geschäft abschließen. Kein unmögliches Unterfangen, normalerweise, wenn du die richtigen Mittelsmänner hattest und den Kopf einzogst. Und für Reliant zu arbeiten, den größten IT-Anbieter der Welt, war dabei kein Hindernis. Abdullah wollte vermutlich den Besten, und Reliant hielt sich für den Besten, sicherlich für den Größten, zweimal so groß wie ihr schärfster US-Konkurrent.

Ich kenne Ihren Neffen Jalawi, würde Alan sagen.

Vielleicht: Ich stehe Ihrem Neffen Jalawi nahe.

Jalawi, Ihr Neffe, ist ein alter Freund.

Anderswo spielten Beziehungen keine Rolle mehr, das wusste Alan. Sie spielten in Amerika keine Rolle, sie spielten so gut wie nirgends eine Rolle, aber hier, bei den Angehörigen eines Königshauses, hoffte er, dass Freundschaft etwas zählte.

 

Es waren drei weitere Leute von Reliant mitgekommen, zwei von der Technik und eine Marketingdirektorin – Brad, Cayley und Rachel. Sie würden demonstrieren, wozu Reliant fähig war, und Alan würde grob die Zahlen überschlagen. Der Auftrag, die IT für KAEC zu liefern, würde Reliant für den Anfang mindestens ein paar Hundert Millionen einbringen, mit Aussicht auf mehr, und, was noch entscheidender war, er würde Alan ein Leben im Luxus bescheren. Vielleicht kein Leben im Luxus. Aber er könnte einen drohenden Bankrott abwenden, hätte etwas für den Ruhestand, Kit könnte auf dem College ihrer Wahl bleiben und wäre nicht mehr so enttäuscht vom Leben und ihrem Vater.

 

Er verließ das Zimmer. Die Tür schloss sich wie ein Kanonenschuss. Er ging den orangefarbenen Flur hinunter.

Nichts an dem Hotel deutete darauf hin, dass es sich im Königreich Saudi-Arabien befand. Der ganze Komplex, abgeschottet von der Straße und vom Meer, war frei von Inhalt oder Kontext, bar jedes arabischen Ornamentes. Dieses Hotel, Palmen und Lehmziegel, wohin das Auge blickte, hätte in Arizona stehen können, in Orlando, überall.

Alan spähte hinunter ins Atrium, zehn Stockwerke tief, wo Dutzende Männer herumwuselten, alle in traditioneller saudischer Kleidung. Alan musste sich die Terminologie merken: Die langen weißen Gewänder hießen Thawbs. Das Tuch, das Haare und Hals bedeckte, war die Ghutra, die durch die schwarze, runde Kordel namens Iqal gehalten wurde. Alan sah die Männer herumwuseln, und die Thawbs ließen ihre Bewegungen beinahe schwerelos wirken. Eine Versammlung von Geistern.

Am Ende des Flurs bemerkte er eine sich schließende Fahrstuhltür. Er trabte hin und schob im letzten Moment eine Hand in die Lücke. Die Türen öffneten sich zuckend, erschrocken und kleinlaut. In dem Glasfahrstuhl waren vier Männer, alle in Thawbs und Ghutras. Ein paar blickten kurz zu Alan hoch, richteten die Augen dann aber rasch wieder auf einen neuen Tablet-Computer, den sie zwischen sich hielten. Der Besitzer führte die Keypad-Funktion vor und drehte das Gerät unentwegt, wobei sich die Tasten brav neu konfigurierten, was seinen Freunden großen Spaß bereitete.

Der Glaskasten, der sie alle barg, sackte durch das Atrium in die Lobby, lautlos wie Schnee, und die Türen öffneten sich vor einer falschen Felswand. Chlorgeruch.

 

Alan hielt für die Saudis die Tür auf, keiner von ihnen dankte ihm. Er folgte. Springbrunnen warfen Wasser in die Luft, grundlos und unrhythmisch.

Er setzte sich an einen kleinen gusseisernen Tisch in der Lobby. Ein Kellner erschien. Alan bestellte Kaffee.

In der Nähe saßen zwei Männer zusammen, einer schwarz, der andere weiß, beide in identischen weißen Thawbs. Laut Alans Reiseführer herrschte in Saudi-Arabien ein ausgeprägter, sogar unverhüllter Rassismus, und jetzt das. Vielleicht kein Beweis für gesellschaftliche Harmonie, aber dennoch. Ihm fiel kein einziges Beispiel dafür ein, dass eine in einem Reiseführer beschriebene Sitte oder Behauptung je in der Praxis bestätigt worden wäre. Die Vermittlung von kulturellen Normen war wie die Durchsage von Verkehrsmeldungen. Wenn du sie bekannt gabst, waren sie schon nicht mehr relevant.

 

Jetzt stand jemand in der Nähe von Alan. Alan blickte auf und sah einen rundlichen Mann, der eine sehr dünne weiße Zigarette rauchte. Er hob eine Hand, als wollte er winken. Alan winkte, verwirrt.

– Alan? Sind Sie Alan Clay?

– Der bin ich.

 

Der Mann drückte seine Zigarette in einem Glasaschenbecher aus und gab Alan die Hand. Seine Finger waren lang und dünn, weich wie Fensterleder.

 

– Sind Sie der Fahrer?, fragte Alan.

– Fahrer, Reiseführer, Held. Yousef, sagte der Mann.

Alan stand auf. Yousef war klein, und der cremeweiße Thawb verlieh seiner stämmigen Statur die Silhouette eines Pinguins. Er war jung, kaum älter als Kit. Sein Gesicht war rund, faltenlos, mit dem flaumigen Schnurrbart eines Teenagers.

 

– Sie trinken Kaffee?

– Ja.

– Wollen Sie ihn austrinken?

– Nein danke.

– Gut. Dann hier lang.

 

Sie gingen nach draußen. Die Hitze war ein lebendiges Raubtier.

– Da drüben, sagte Yousef, und sie hasteten über den kleinen Parkplatz zu einem alten pfützenbraunen Chevy Caprice. Das ist meine große Liebe, sagte Yousef, präsentierte ihn wie ein Zauberer einen Strauß falscher Blumen.

Der Wagen war eine Schrottkiste.

– Sind Sie startklar? Haben Sie keine Tasche oder so?

Alan hatte keine. Früher trug er immer eine Aktentasche bei sich, Schreibblocks, aber er hatte sich die Notizen, die er auf irgendwelchen Meetings machte, kein einziges Mal angesehen. Jetzt saß er in Meetings, ohne irgendwas aufzuschreiben, und diese Praxis war eine Kraftquelle geworden. Die Leute setzten bei jemandem, der sich keine Notizen machte, große Scharfsinnigkeit voraus.

 

Alan öffnete die hintere Tür.

– Nein, nein, sagte Yousef. Ich bin kein Chauffeur. Setzen Sie sich nach vorn.

 

Alan gehorchte. Der Sitz stieß eine kleine Staubwolke aus.

– Sind Sie sicher, dass uns der Kasten ans Ziel bringt?, fragte Alan.

– Ich fahre andauernd damit nach Riad, sagte Yousef. Er hat mich noch nie im Stich gelassen.

Yousef stieg ein und drehte den Zündschlüssel. Der Motor blieb stumm.

– Ah, Moment, sagte er und stieg aus, öffnete die Motorhaube und verschwand dahinter. Nach einem Moment schloss er die Motorhaube, stieg wieder ein und startete das Auto. Es erwachte hustend zum Leben, klang wie die Vergangenheit.

 

– Motorprobleme?, fragte Alan.

– Nein, nein. Ich musste die Batterie abklemmen, bevor ich in die Lobby gegangen bin. Ich muss einfach sichergehen, dass keiner sie verdrahtet.

– Verdrahtet?, fragte Alan. Für eine Sprengladung?

– Es ist nichts Terroristisches, sagte Yousef. Bloß so ein Typ, der glaubt, ich vögele seine Frau.

 

Yousef legte den Rückwärtsgang ein und setzte zurück.

– Könnte sein, dass er versucht, mich umzubringen, sagte er. Los geht’s.

Sie verließen den Kreisel vor dem Hotel. An der Ausfahrt fuhren sie an einem wüstenfarbenen Panzerwagen mit einem aufmontierten Maschinengewehr vorbei. Ein saudischer Soldat saß daneben auf einem Liegestuhl, die Füße in ein aufblasbares Planschbecken getaucht.

 

– Das heißt, ich sitze in einem Auto, das explodieren könnte?

– Nein, jetzt nicht. Ich hab es ja gerade überprüft. Haben Sie doch gesehen.

– Ist das Ihr Ernst? Jemand versucht, Sie umzubringen?

– Könnte sein, sagte Yousef und bog auf die Schnellstraße, die parallel zum Roten Meer verlief. Aber sicher weiß man das erst, wenn es passiert, hab ich recht?

– Ich hab eine Stunde gewartet, um einen Fahrer zu bekommen, dessen Auto in die Luft fliegen könnte.

– Nein, nein, sagte Yousef, der jetzt abgelenkt war. Er versuchte, seinen iPod zu aktivieren, ein älteres Modell, das zwischen ihnen in der Getränkehalterung lag. Irgendetwas stimmte nicht mit der Verbindung zwischen dem iPod und der Stereoanlage des Wagens.

– Kein Grund zur Besorgnis. Ich glaube nicht, dass er weiß, wie man einen Wagen für so was verdrahtet. Er ist kein harter Bursche. Er ist bloß reich. Er müsste schon jemanden dafür engagieren.

 

Alan starrte Yousef an, bis der junge Mann sich klarmachte, was er da gerade gesagt hatte: Ein reicher Mann könnte nämlich durchaus jemanden dafür engagieren, den Wagen des Mannes zu verdrahten, der seine Frau vögelt.

– Scheiße, sagte Yousef und sah Alan an. Jetzt haben Sie mir aber Angst eingejagt.

Alan erwog ernsthaft, die Tür zu öffnen und sich aus dem Wagen fallen zu lassen. Das erschien ihm klüger, als mit diesem Mann zu fahren.

Derweil holte Yousef eine weitere dünne Zigarette aus einer weißen Packung und steckte sie an, spähte dabei mit zusammengekniffenen Augen auf die Straße vor ihnen. Sie fuhren an einer langen Reihe riesiger bonbonfarbener Skulpturen vorbei.

– Scheußlich, was?, sagte Yousef. Er nahm einen langen Zug, und jedwede Besorgnis wegen möglicher Auftragsmörder schien wie weggeblasen. Also, Alan. Wo kommen Sie her?

Irgendetwas an Yousefs lässigem Verhalten färbte auf Alan ab, und er hörte auf, sich Sorgen zu machen. Mit seiner Pinguinfigur und seinen dünnen Zigaretten und seinem Chevy Caprice war Yousef nicht die Sorte Mann, für die sich Meuchelmörder interessieren würden.

 

– Boston, sagte Alan.

– Boston. Boston, sagte Yousef und klopfte aufs Lenkrad. Ich war mal in Alabama. Ein Jahr College.

Wider besseres Wissen unterhielt Alan sich weiter mit diesem Irren.

– Sie haben in Alabama studiert? Wieso Alabama?

– Sie meinen, weil ich der einzige Araber im Umkreis von ein paar Tausend Meilen war? Ich hatte ein Stipendium für ein Jahr. Das war in Birmingham. Ziemlich anders als Boston, vermute ich?

Alan mochte Birmingham und sagte das auch. Er hatte Freunde in Birmingham.

Yousef lächelte. – Die große Vulkanstatue, was? Unheimlich.

– Stimmt. Ich finde die Statue toll, sagte Alan.

 

Das Jahr in Alabama erklärte Yousefs amerikanisches Englisch. Er sprach nur mit einem ganz schwachen saudischen Akzent. Er trug handgemachte Sandalen und eine Oakley-Sonnenbrille.

 

Sie brausten durch Dschidda, und es sah alles sehr neu aus, nicht viel anders als Los Angeles. Los Angeles mit Burkas, hatte Angie Healy mal zu ihm gesagt. Sie hatten eine Weile zusammen bei Trek gearbeitet. Er vermisste sie. Noch eine tote Frau in seinem Leben. Es waren zu viele, Freundinnen, die alte Freundinnen wurden, dann alte Freundinnen, Freundinnen, die heirateten, die ein wenig alterten, deren Kinder inzwischen erwachsen waren. Und dann waren da die Toten. Gestorben an Aneurysmen, Brustkrebs, Non-Hodgkin-Lymphomen. Es war Wahnsinn. Seine Tochter war jetzt zwanzig und würde bald dreißig sein, und bald danach setzten die Gebrechen ein wie Regen.

 

– Vögeln Sie denn nun die Frau von dem Typen oder nicht?, fragte Alan.

– Nein, nein. Das ist die Frau, die ich heiraten wollte. Vor gut zehn Jahren. Sie und ich waren total verliebt, aber ihr Vater …

Er blickte Alan an, um seine Reaktion so weit abzuschätzen.

– Hört sich an wie eine Seifenoper, ich weiß. Jedenfalls, ich war dem Vater nicht gut genug. Also verbietet er ihr, mich zu heiraten, bla, bla, und sie heiratet prompt einen anderen. Jetzt langweilt sie sich und simst mir andauernd. Sie schreibt mir auf Facebook, überall. Ihr Mann weiß das, und er denkt, wir haben eine Affäre. Wollen Sie was essen?

– Sie meinen, sollen wir anhalten und was essen?

– Wir könnten zu einem Lokal in der Altstadt fahren.

– Nein, ich hab gerade gefrühstückt. Wir sind spät dran, wissen Sie noch?

– Ach. Wir haben es eilig? Davon hat mir keiner was gesagt. Wir sollten nicht diese Route fahren, wenn wir spät dran sind.

Yousef wendete und gab Gas.

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IV.

Vielleicht war es für Kit besser, ein Jahr zu Hause zu bleiben. Ihre Zimmergenossin im Studentenwohnheim war ein komischer Vogel, eine spindeldürre Frau aus Manhattan, eine Merkerin. Die Zimmergenossin merkte zum Beispiel, dass Kit unruhig schlief, und sie hatte ein paar Ansichten darüber, was das bedeutete, wie es behandelt werden könnte, die tieferen Ursachen für so ein Verhalten. Wenn sie irgendwas bemerkt hatte, folgten Fragen, Vermutungen, welche diversen Probleme Kit haben könnte. Sie bemerkte, dass Kit kleine blaue Flecken an den Armen hatte, und wollte wissen, welcher Mann ihr das angetan hatte. Sie bemerkte, dass Kit eine hohe, recht dünne, fast kindliche Stimme hatte, und das, so erklärte die Zimmergenossin, sei häufig ein Zeichen für sexuellen Missbrauch in der Kindheit, weil die Stimme des Opfers quasi in dem Alter einfror, in dem es das Trauma erlebte. Hast du schon mal gemerkt, dass du eine Kinderstimme hast?, fragte sie.

 

– Machen Sie das oft?, fragte Alan.

– Leute durch die Gegend fahren? Das mach ich bloß nebenher. Ich studiere.

– Was denn?

– Ich studiere das Leben!, sagte Yousef, lachte dann. Nein, ich erzähl Scheiß. Wirtschaft, Marketing. Die Richtung. Keine Ahnung, warum.

 

Sie kamen an einem großen Spielplatz vorbei, und zum ersten Mal sah Alan Kinder. Sieben oder acht, die an den Klettergerüsten hingen und auf die Rutschen stiegen. Und bei ihnen waren drei Frauen in Burkas, kohlrabenschwarz. Burkas waren ihm nicht fremd, aber beim Anblick dieser Schatten, die sich über den Spielplatz bewegten, die Kinder verfolgten, lief es Alan kalt über den Rücken. War das nicht albtraumhaft, von einer schwebenden Gestalt in Schwarz mit ausgestreckten Händen gejagt zu werden? Aber Alan wusste nichts und sagte nichts.

 

– Wie lange dauert die Fahrt?, fragte Alan.

– Zur King Abdullah Economic City? Fahren wir dahin? Alan sagte nichts. Yousef schmunzelte. Diesmal machte er einen Scherz.

– Ungefähr eine Stunde. Vielleicht ein bisschen mehr. Wann sollten Sie da sein?

– Acht. Halb neun.

– Tja, Sie werden gegen Mittag da sein.

 

– Mögen Sie Fleetwood Mac?, fragte Yousef. Er hatte den iPod ans Laufen gekriegt – das Ding sah aus, als wäre es jahrhundertelang im Sand vergraben gewesen und dann zutage gefördert worden – und ging jetzt seine Songs durch.

Sie ließen die Stadt hinter sich und waren schon bald auf einer schnurgeraden Straße, die durch raue Wüste verlief. Es war keine schöne Wüste. Es gab keine Dünen. Es war eine erbarmungslose Fläche. Eine hässliche Straße durchschnitt sie. Yousefs Wagen passierte Tankwagen, Lastwagen. Dann und wann war in der Ferne ein kleines Dorf aus grauem Zement zu sehen, ein Labyrinth aus Mauern und Stromkabeln.

 

Alan und Ruby waren mal quer durch die Vereinigten Staaten gefahren, von Boston nach Oregon, zur Hochzeit einer Freundin. Solche absurden Möglichkeiten stehen einem zur Verfügung, bevor man Kinder hat. Sie hatten sich mehrfach gestritten, lautstark, meistens wegen ihrer jeweiligen Expartner. Ruby wollte über ihre sprechen, ausführlich. Sie wollte Alan vermitteln, warum sie sie verlassen und sich für ihn entschieden hatte, und Alan wollte nichts davon hören. War ein Neuanfang zu viel verlangt? Bitte hör auf, bat er sie. Sie redete weiter, suhlte sich in ihrer Vergangenheit. Aufhören, aufhören, aufhören, brüllte er schließlich, und sie sprachen kein Wort mehr zwischen Salt Lake City und Oregon. Jede stumme Meile verlieh ihm mehr Kraft und stärkte, so stellte er sich vor, ihren Respekt vor ihm. Seine einzigen Waffen gegen sie waren Schweigen, Trotz; er kultivierte eine gelegentliche grüblerische Intensität. Er war nie so stur gewesen wie bei ihr. Das war die Version von ihm in den sechs Jahren, die er mit ihr zusammen gewesen war. Diese Version von Alan war feurig, eifersüchtig, immer auf Trab. Nie hatte er sich lebendiger gefühlt.

 

Yousef zündete sich wieder eine Zigarette an.

– Keine besonders männliche Marke, bemerkte Alan.

Yousef lachte. – Ich versuche aufzuhören, deshalb hab ich von der normalen Größe auf diese umgestellt. Die sind halb so dick. Weniger Nikotin.

– Aber eleganter.

– Elegant. Elegant. Das gefällt mir. Ja, sie sind elegant.

Einer von Yousefs zwei Vorderzähnen stand schief, kreuzte seinen Zwilling. Dadurch wirkte sein Lächeln irgendwie besonders irre.

– Sogar die Schachtel, sagte Alan. Sehen Sie sich die an.

Sie war silbern und weiß und klein, wie ein Minicadillac, der von einem Insektenzuhälter gesteuert wurde.

Yousef öffnete das Handschuhfach und warf die Schachtel hinein.

– Besser?, sagte er.

Alan lachte. – Danke.

Zehn Minuten lang sprachen sie kein Wort.

Alan überlegte, ob dieser Mann ihn überhaupt zur King Abdullah Economic City brachte. Ob er ein charmanter Kidnapper war.

– Mögen Sie Witze?, fragte Alan.

– Sie meinen Witze, die man sich merkt und erzählt?

– Ja, sagte Alan. Witze, die man sich merkt und erzählt.

– Das ist nicht typisch saudisch, solche Art von Witzen, sagte Yousef. Aber ich hab schon welche gehört. Ein britischer Typ hat mir den über die Queen und den dicken Schwanz erzählt.

 

Ruby konnte seine Witze nicht ausstehen. – Wie peinlich, sagte sie, wenn sie abends ausgegangen waren und er einen oder zehn erzählt hatte. Alan kannte Unmengen Witze, und jeder, der Alan kannte, wusste, dass er Unmengen Witze kannte.

Er war sogar mal auf die Probe gestellt worden – eine Gruppe Freunde, vor ein paar Jahren, hatte ihn angestiftet, zwei Stunden hintereinander Witze zu erzählen. Danach dachten sie, er hätte alle durch, aber er war gerade erst richtig in Fahrt gekommen. Wieso er sich so viele merken konnte, war ihm ein Rätsel. Doch sobald er einen zum Besten gegeben hatte, fiel ihm der nächste ein. Unweigerlich. Jeder Witz war mit dem nächsten verknüpft, wie die Tücherkette eines Zauberers.

– Sei nicht so ein Trottel, sagte Ruby zu ihm. Du hörst dich an wie ein Varieté-Künstler. Kein Mensch erzählt heutzutage noch Witze.

– Ich aber.

– Leute erzählen Witze, wenn sie nichts zu sagen haben, sagte sie.

– Leute erzählen Witze, wenn es nichts mehr zu sagen gibt, sagte er.

In Wahrheit hatte er das nicht gesagt. Es war ihm viele Jahre später eingefallen, aber da sprachen er und Ruby nicht mehr miteinander.

 

Yousef klopfte aufs Lenkrad.

– Okay, sagte Alan. Eine Frau hat einen kranken Mann. Er liegt monatelang im Koma, aber sie sitzt Tag für Tag an seinem Bett. Als er wieder wach wird, bedeutet er ihr, näher zu kommen. Sie rückt mit ihrem Stuhl ganz dicht an ihn ran. Seine Stimme ist schwach. Er nimmt ihre Hand. »Weißt du was?«, sagt er. »Du hast alle schlechten Zeiten mit mir durchgestanden. Als ich gefeuert wurde, warst du meine Stütze. Als meine Firma den Bach runterging, warst du bei mir. Als wir das Haus verloren, hast du mir Mut gemacht. Als es mit meiner Gesundheit bergab ging, warst du noch immer an meiner Seite … Weißt du was?« »Was denn, Schatz?«, fragt sie sanft. »Ich glaube, du bringst mir Unglück!«

 

Yousef schnaubte, hustete. Er musste seine Zigarette ausdrücken.

– Der ist gut. Damit hatte ich nicht gerechnet. Kennen Sie noch welche?

Alan war so froh. Er hatte seit vielen Jahren nicht mehr einem dankbaren jungen Menschen einen Witz erzählt.

 

– Ja klar, sagte Alan. Mal überlegen … Au ja, der ist gut. Okay, es war einmal ein Mann, der hieß Seltsam. John Seltsam. Und er konnte seinen Nachnamen nicht leiden. Dauernd machten die Leute sich drüber lustig, nannten ihn »Seltsamer Vogel« oder »Dr. Seltsam« oder so. Schließlich kommt er in die Jahre und schreibt sein Testament. Und in dem Testament verfügt er, dass er einen Grabstein ohne seinen Namen drauf haben möchte. Er will in einem anonymen Grab beerdigt werden, mit einem einfachen Grabstein, ohne Namen oder sonst was drauf. Als er stirbt, respektiert seine Frau seinen Wunsch. Und da liegt er dann, in diesem anonymen Grab, aber jedes Mal, wenn Leute an dem Grab vorbeigehen und den unbeschrifteten Grabstein sehen, sagen sie: »Seht mal, ist das nicht Seltsam?«

 

Yousef lachte, musste sich die Augen wischen.

Alan mochte diesen Typen. Selbst Kit, seine eigene Tochter, schüttelte jedes Mal den Kopf, Nein, bitte nicht, wenn er versuchte, einen Witz zu erzählen.

Alan fuhr fort. – Okay. Frage: Wie nennt man einen Typen, der achtundvierzig Liebestechniken kennt, aber keine einzige Frau?

Yousef zuckte die Achseln.

– Einen Consultant.

 

Yousef lächelte. – Nicht schlecht, sagte er. Ein Consultant. Das sind Sie.

– Das bin ich, sagte Alan. Zumindest für eine Weile.

Sie kamen an einem kleinen Vergnügungspark vorbei, bunt bemalt, aber anscheinend verlassen. Ein Riesenrad, rosa und gelb, stand allein da und wartete auf Kinder.

 

Alan überlegte sich noch einen Witz.

– Okay, der hier ist besser. Ein Polizist ist zu einem schrecklichen Autounfall gerufen worden. Als er ankommt, liegen überall Körperteile von den Opfern herum. Hier ein Arm, dort ein Bein. Er schreibt alles in sein Notizbuch: »Kopf auf Bullevard«, aber er schreibt es B-u-l-l, und er weiß, dass das falsch ist. Also streicht er es durch, versucht es noch einmal. »Kopf auf Bouelevard.« Wieder schreibt er es falsch, zu viele »e«. Also noch mal durchgestrichen. Nächster Versuch. »Kopf auf Buhlevard«, B-u-h-l. »Verdammt!«, sagt er. Er blickt sich um und sieht, dass keiner guckt. Er stupst den Kopf ein bisschen mit dem Fuß an, greift wieder zum Bleistift. »Kopf in Rinnstein.«

– Der ist gut, sagte Yousef, obwohl er nicht gelacht hatte.