Ein Jeglicher hat seine Sünde - Carolyn Haines - E-Book

Ein Jeglicher hat seine Sünde E-Book

Carolyn Haines

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Beschreibung

Tod eines Pianisten - Sarah Booth Delaney ermittelt

Ein ungewöhnlicher Mordfall erschüttert die kleine Stadt Zinnia in Mississippi: Der gefeierte schwarze Musiker Ivory Keys wird brutal erstochen. Als Hauptverdächtiger gilt Scott Hampton, ein reicher junger Weißer. Der Fall löst eine Rassendiskriminierung aus, wie man sie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr erlebt hat. Die Privatermittlerin Sarah Booth Delaney wird angeheuert, Scotts Unschuld zu beweisen, und kommt ihm dabei näher als geplant. Wenn nur der Geist Jitty sie nicht immer wieder auf ihr kinderloses Single-Leben hinweisen würde! Sarah ist gefangen zwischen ihrem Bedürfnis, die Wahrheit zu ergründen, und den Konsequenzen, die das für ihre Stadt hätte - und für ihr eigenes Leben ...

Der vierte Fall der Cosy Crime Reihe mit Sarah Booth Delaney. Band 5: "Und leise tönt der Grabgesang".

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Seitenzahl: 572

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Inhalt

Cover

Weitere Titel von Carolyn Haines

Die Serie

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Danksagungen

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Weitere Titel von Carolyn Haines

Witzige Cosy-Crime-Reihe – Sarah Booth Delaney ermittelt:

Band 1: Wer die Toten stört

Band 2: Kein Friede seiner Asche

Band 3: Und führe uns in Versuchung

Band 5: Und leise tönt der Grabgesang

Band 6: Unselig sind die Friedfertigen

Atmosphärische Südstaaten-Romane (Einzeltitel):

Am Ende dieses Sommers

Das Mädchen im Fluss

Der Fluss des verlorenen Mondes

Im Nebel eines neuen Morgens

Die Serie

Sarah Booth Delaney ist eine unkonventionelle Südstaaten-Schönheit mit einem Problem: Ledig, über 30 und ohne Arbeit, steht sie kurz davor, Dahlia House, den von ihr bewohnten angestammten Familiensitz, zu verlieren. Obendrein wird sie von einem streitbaren Geist heimgesucht: Jitty, das einstige Kindermädchen ihrer Ururgroßmutter und nie um einen altklugen Ratschlag verlegen.

Durch Zufall wird Sarah Privatermittlerin und versucht nicht nur, ihre Geldprobleme, sondern fortan auch Kriminalfälle im Mississippi-Delta zu lösen. Unterstützung erhält sie dabei von ihrer Freundin Tinkie Richmond und der Journalistin Cece, die einmal ein Mann war. Ab den Bänden 2 und 3 gesellen sich Hund Sweetie Pie und Pferd Reveler zu ihr und sorgen für tierischen Beistand.

Klassische Spannung, trockener Humor und ein Ensemble charmant-schräger Charaktere machen die Cosy-Crime-Reihe um Sarah Booth Delaney so liebens- und lesenswert!

Über dieses Buch

Tod eines Pianisten – Sarah Booth Delaney ermittelt

Ein ungewöhnlicher Mordfall erschüttert die kleine Stadt Zinnia in Mississippi: Der gefeierte schwarze Musiker Ivory Keys wird brutal erstochen. Als Hauptverdächtiger gilt Scott Hampton, ein reicher junger Weißer. Der Fall löst eine Rassendiskriminierung aus, wie man sie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr erlebt hat. Die Privatermittlerin Sarah Booth Delaney wird angeheuert, Scotts Unschuld zu beweisen, und kommt ihm dabei näher als geplant. Wenn nur der Geist Jitty sie nicht immer wieder auf ihr kinderloses Single-Leben hinweisen würde! Sarah ist gefangen zwischen ihrem Bedürfnis, die Wahrheit zu ergründen, und den Konsequenzen, die das für ihre Stadt hätte – und für ihr eigenes Leben ...

Über die Autorin

Carolyn Haines (*1953) ist eine amerikanische Bestsellerautorin. Neben den humorvollen Krimis um Privatermittlerin Sarah Booth Delaney hat die ehemalige Journalistin auch hochgelobte Südstaaten-Romane geschrieben, die auf sehr atmosphärische Weise die Mississippi-Gegend im letzten Jahrhundert porträtieren. Für ihr Werk wurde Haines mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Harper Lee Award.

In Mississippi geboren, lebt die engagierte Tierschützerin heute mit ihren Pferden, Hunden und Katzen auf einer Farm im Süden Alabamas.

Homepage der Autorin: http://carolynhaines.com/.

Carolyn Haines

Ein Jeglicher hat seine Sünde

Sarah Booth Delaneys vierter Fall

Aus dem amerikanischen Englisch von Dietmar Schmidt

beTHRILLED

Digitale Erstausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2003 by Carolyn Haines

Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Crossed Bones“

Originalverlag: Bantam Dell Books USA

Published by arrangement with Bantam Books, an imprint of

The Bantam Dell Publishing Group, a division of Random House, Inc.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2003/2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Mona Gabriel/Stefan Bauer

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: suns07butterfly | cristatus | MSSA | majivecke | blewis49

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-5645-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Steve Greene

Danksagungen

Wie immer danke ich den Mitgliedern des Deep South Writers Salon herzlich.

Stephanie Chisholm, Susan Tanner, Renee Paul und Jan Zimlich haben in die Kritik dieses Buches Zeit, Talent und Kreativität investiert und mich auf den Seiten meiner Werke an manch eigenartigen Ort begleitet. Ihnen schulde ich weit mehr als nur Dank.

Fran Hawkins und Mike Utley danke ich besonders für ihre Hilfe bei den musikalischen Einzelheiten dieses Romans.

Steve Greene ist ein Experte für das Polizeiwesen, der auch Fragen der Handlung versteht – was für eine Kombination! Ich danke ihm für sein sorgfältiges, kritisches Lesen und seine Hilfe.

Auch meiner Agentin Marian Young möchte ich danken. Das Wort ›klasse‹ wurde eigens erfunden, um sie zu beschreiben.

Ein aufrichtiges Dankeschön auch an die Beteiligten bei Bantam Books. Liz Scheier ist eine Lektorin, für die man in den Tod geht, und Jamie Warren Youlls Titelbild schon wieder ein Meisterwerk. Vom Redigieren bis zur Werbung hat mir dieses Buch dank der Professionalität der Bantam-Mitarbeiter nur Freude bereitet.

1

Meine Großtante Cilla sagte gern, einer Frau gehe nichts über das Gefühl, einen Vollblüter zwischen den Schenkeln zu spüren. Bei Tante Cilla galt das nun sowohl für ein Vollblutpferd als auch für einen Südstaaten-Gentleman mit gutem Stammbaum. Obwohl in meiner Familie die meisten Frauen unter der Delaney-Gebärmutter leiden, ist Großtante Cilla meine einzige Vorfahrin, die nie die geringsten Anstalten gemacht hat, ihr Gebrechen vor der Welt zu verbergen. Zum Lohn für ihre Aufrichtigkeit schickte man sie nach Atlanta ins Exil.

Wenn ich auf der Verandaschaukel liege, während auf dem Boden neben mir meine Hündin döst und ich einen Mint Julep in der Hand halte, kommen mir unentwegt meine Vorfahren in den Sinn und die Geschichte des Landes, das ich liebe. Eben erst habe ich einer alten Südstaaten-Tradition Genüge getan und meine Baumwollfelder vom Pferderücken aus in Augenschein genommen.

Immer wieder fallen mir bruchstückhaft Tante Cillas Weisheiten ein. So mörderisch der Appetit ihrer Gebärmutter gewesen sein mag, im Vergleich zu ihrem Verstand war das gar nichts. Sie ist es, die mich mit den beiden stärksten Ikonen des Alten Südens vertraut gemacht hat: King Cotton und der Abstammung.

Auf meinen morgendlichen Ausritten sehe ich zugleich die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft meiner Heimat: die Baumwolle, auf deren grünen Blättern der Morgentau glänzt; das Flüstern von altem Geld, von längst vergangenen Zeiten und einer Lebensart, die je nach Blickwinkel zwischen Traum und Albtraum changiert. Die wohlhabenden Siedler auf dem fruchtbaren Boden im Tal des Mississippi, des Mississippi-Deltas – ihnen war von Anfang an bewusst, wie mächtig die Kombination aus Pferd und Land ist, diese süchtig machende Wonne, auf dem Rücken eines gesunden, fügsamen Wesens den eigenen Besitz abzureiten.

Gesunder, fügsamer Wesen hatte Tante Cilla sich zu bedienen gewusst – insbesondere, wenn sie zur Spezies Mensch gehörten. Selbst eine ausgezeichnete Reiterin, schätzte sie die Stallburschen besonders. Pferde, Leder, ein viriler junger Mann – Tante Cillas bevorzugtes Liebeselixier.

»Du bist mir schon ein nutzloses Mädel, Sarah Booth Delaney. Gammelst auf der Veranda herum und träumst davon, dich vom Personal rammeln zu lassen. Wenn du nur einen Schuss Pulver wert wärst, dann hätte dich längst irgendein respektabler Gentleman geheiratet, aufs Bett geschmissen und geschwängert!«

So weich und voll die Stimme klang, der missbilligende Tonfall strafte ihre Sanftheit Lügen. Und außer der Stimme war nichts vorhanden. Jitty, das schweifende Gespenst des Kindermädchens meiner Ururgroßmutter, musste sich erst noch materialisieren.

»Ich hätte gedacht, es würde dich freuen zu hören, dass ich immerhin in Erwägung ziehe, mich überhaupt von jemandem rammeln zu lassen, wie du es so damenhaft umschreibst, ob Personal oder Gentleman auf Freiersfüßen.« Ich hatte nicht die geringste Lust, mich über Jittys Genörgel aufzuregen. Mit diesem Thema bewegten wir uns auf altem, wohl vertrautem Terrain. Dass ich den legendären Delaney-Schoß so selten zum Einsatz brachte, stand am häufigsten im Mittelpunkt ihrer Schimpftiraden.

»Wenn du an echtes Personal denken würdest wie diesen Willie Campbell, dann wäre ich allerdings sogar sehr erfreut. Du lässt den Mann dein Land bestellen, da kannst du ihn doch auch deine Furche pflügen lassen.«

Ich weigerte mich, diese unflätige Bemerkung eines Kommentars zu würdigen. Willie Campbell hatte das Land rings um Dahlia House gepachtet und darauf Baumwolle gepflanzt, die nun prächtig gedieh. Ägyptische Baumwolle baute er an und die neue Züchtung, deren Faserstränge beim Aufplatzen der Kapseln schon grün und blau gefärbt sind. Ohne auf Jitty zu achten, die am Fuß der Schaukel dann und wann zu sehen war, um im nächsten Augenblick wieder zu verschwinden, schlürfte ich meinen Julep und rieb Sweetie Pie mit der Zehe den Bauch.

»Du guckst reichlich selbstzufrieden drein für eine, bei der die Schenkel innen wund sind von ’nem Pferd. Dieser träge Ausdruck lässt sich anders viel besser aufs Gesicht zaubern.« Sie erschien links von der Schaukel, sodass sie mir den Blick auf die Zufahrt verstellte.

Ich wölbte fragend die Brauen. Erst gestern noch war sie als heiße Biene in Spandex und Stacheln erschienen, nun wirkte sie wie ein Schwarzweißfoto vom sonntäglichen Kirchgang. Jitty war schon wieder durch die Jahrzehnte gesprungen und hatte sich treffsicher die Ära ausgesucht, die zu ihrer augenblicklichen Gemütsverfassung am besten passte.

»Was ist los?«, fragte ich, indem ich auf die züchtige Hemdbluse und die festen, flachen Schuhe wies. »Sind deine Weltraumstiefel gerade beim Schuster und bekommen höhere Absätze?«

»Ich habe ernsthaft über deine missliche Lage nachgedacht. Woran es uns hier mangelt, ist Gesinnung, ist ein Traum, ein Ziel, auf das man hinarbeiten kann. Ich werde dafür sorgen, dass sich das ändert.«

Während meiner letzten drei Fälle war ich mit Messern und Revolvern bedroht und angeschossen worden und hatte am ganzen Körper blaue Flecke abbekommen. Vor Jitty hatte ich mehr Angst als vor jeder Verletzung. Ich setzte mich ein wenig auf und gab dabei Acht, meinen Julep nicht zu verschütten, denn er enthielt den kläglichen letzten Rest Pfefferminz, den zu ziehen mir gelungen war. »Wie meinst du das?«

»Ich spreche von Leidenschaft und dem Glauben an etwas. Hast du deine Mama vergessen, Sarah Booth? Sie hat an etwas geglaubt und hat dafür gekämpft, es zu erreichen.«

Ich nickte. »Richtig, da fällt es mir ein. Die Leute hier nennen Mama noch heute ›diese Sozialistin‹.«

»Sie war keine Sozialistin. Sie war eine Frau, die Ungleichheit erkannte, wenn sie sie sah, und solche Dinge ändern wollte. Sie wollte, dass alle Menschen die gleichen Chancen erhalten, egal welche Hautfarbe oder welches Geschlecht sie haben.«

»Und deswegen hat sie auf diesem Land eine Kommune gegründet, weswegen fast der ganze Bezirk Krämpfe bekommen hat.«

»Die Kommune hat dein Vater gegründet. Deine Mutter hat nur mitgemacht.«

»Weißt du, Jitty, wenn ich normale Eltern gehabt hätte und als Daddy’s Girl erzogen worden wäre, fiele ich heute vielleicht zufrieden stellender aus, von deinem Blickwinkel aus betrachtet wenigstens.«

Für den ansässigen Spuk von Dahlia House war ich eine bittere Enttäuschung. Jitty gab sich unerschütterlich Mühe, mich in die Rolle einer MFF zu drängen, einer manipulativen Femme fatale. Sie wollte, dass ich heiratete und in andere Umstände geriet; es hätte ihr auch gereicht, wenn ich unehelich schwanger wurde, Hauptsache, ich brachte einen Erben oder eine Erbin für Dahlia House zur Welt. Seit der Zeit vor dem Krieg zwischen den Staaten, wie wir im Süden den Amerikanischen Bürgerkrieg nennen, hatten Delaneys auf diesem Land gelebt. Jitty schauderte davor, sich einen neuen Ort suchen zu müssen, an dem sie ihr Unwesen treiben konnte, sollte ich nicht für die nächste Generation sorgen.

»Du brauchst ja kein Daddy’s Girl zu sein, Sarah Booth, aber es wäre nett, wenn du mal baden und erst nach dem Mittagessen mit dem Trinken anfangen würdest.« Sie deutete auf den Becher mit Julep, den ich in meiner Hand hielt. Er bestand aus feinem Zinn, und von einem komplizierten Muster aus gewundenen Efeuranken umschlungen, waren die Initialen meiner Mutter eingraviert. »Davon, dass du das Teufelszeug in einen teuren Becher schüttest, wird es auch nicht besser.«

Ich blickte sie stirnrunzelnd an. »Du willst doch wohl nicht auf Abstinenzlerin machen, oder?« Ich hatte mir von Jitty schon manche Anwandlung gefallen lassen, aber ich würde es nicht hinnehmen, dass sie fortwährend meine Laster kritisierte – insbesondere, da sie mich ohne mit der Wimper zu zucken zum intimsten aller Kontakte auch mit wildfremden Leuten drängte, damit ich nur endlich Nachwuchs bekam.

»Ein Drink hier und da schadet gar nichts, solange er dir nicht die Träume stiehlt. Wie du so dasitzt, die Fersen in die Schaukel gehakt, den Hintern in ’ner hautengen Hose, will’s mir vorkommen, als hättest du den Weg zum Abgrund eingeschlagen.«

Ich betrachtete Jitty näher. Was sie trug, sah ganz danach aus, als stamme es aus dem Kleiderschrank meiner Tante Lou-Lane. Wenn ich an Jitty eines immer bewundert habe, so war es ihr modisches Gespür. Sie war in der Lage, sich so gut wie jeden Stil zu Eigen zu machen. Diesmal hatte sie sich sogar das Haar geglättet und trug es eingerollt. Sie bräuchte sich nur noch eine Strickjacke über die Schultern zu werfen und eine Bibel in die Hand zu nehmen, und sie wäre die perfekte Pfarrersfrau aus den Sechzigerjahren.

»Was genau möchtest du denn von mir?«, fragte ich.

»Ich kann nicht genau sagen, womit es mir eiliger ist: dir ’nen Mann zu suchen oder ’nen Job. Im Augenblick wäre beides sehr gut.«

Die Schusswunde an meinem Arm war vollständig verheilt. Nichts hielt mich davon ab, in die Stadt zu fahren und nach einem Klienten Ausschau zu halten. Stattdessen hatte ich mich ganz dem großen Vergnügen ergeben, auf Reveler zu reiten und dem Rhythmus der verstreichenden Sommertage nachzuspüren. In der Zukunft war genug Zeit, um zu verrichten, was ich eigentlich schon jetzt tun sollte.

Jitty trat zwei Schritte von der Schaukel zurück und stellte sich zwischen mich und das Haus. Die Schatten des rosa Gerberastrauchs und der korallenroten Geißblattranken, die an der Pergola neben der Veranda hochkletterten, warfen ein kompliziertes Licht- und Schattenmuster über sie, und erneut musste ich an ein Schwarzweißfoto denken.

Jitty holte tief Luft und begann langsam zu summen. Tief, volltönend und vor Gefühl pulsierend, schien der Klang aus ihr hervorzusickern, während sie die Zufahrt hinunterstarrte. Ich war wie versteinert. Bei all ihren Talenten hatte Jitty nie erwähnt, dass sie singen konnte. Gleichzeitig war ich neidisch.

»Sum-mertime, and the livin’ is ea-sy. Fish are jumpin’, and the cotton is high«, stimmte sie das berühmte Stück aus Porgy and Bess von George Gershwin an. – Sommerzeit, und das Leben ist leicht. Die Fische springen, und die Baumwolle steht hoch.

Ich schloss die Augen und ergab mich den Versen. Dieses Lied berührt mich immer, wenn ich es höre, und bei Jittys kräftiger Altstimme stellten sich mir die Härchen auf den Armen auf.

»Your daddy’s rich, and your mama’s good-lookin’. – Dein Daddy ist reich, und deine Mama sieht gut aus.« Unvermittelt brach sie ab und zwang mich, die Augen zu öffnen und sie wütend anzufunkeln.

»Jetzt hast du mir gezeigt, wie gut du singen kannst, also mach weiter«, befahl ich.

»Pst!«, machte sie und neigte den Kopf in die klassische Lauschhaltung. »Wenn du den Blues noch nicht hast, jetzt bekommst du ihn«, sagte sie und löste sich in Luft auf.

»Jitty!«, fauchte ich. Wie ich es hasste, wenn sie einen dieser rätselhaften Sätze abfeuerte und in der nächsten Sekunde verschwand. »Jitty, das ist unfair. Du kannst mir so etwas nicht unterschieben und dann einfach das Weite suchen.« Und ob sie es konnte. Jitty ließ sich weder rufen noch fortschicken. Wenn sie jemals unterwürfig gewesen sein sollte, so hatte sie schon lange vergessen, wie das ging.

»Sarah Booth?« Die Stimme, die ich hörte, klang leicht besorgt. »Mit wem reden Sie?«

Augenblicklich erkannte ich John Bell Washington. Er war ein Blues-Gitarrist, den ich dank der Cyber-Vermittlung einer Teenagerin während meines letzten Falls kennen gelernt hatte. Trotz dieser Umstände war J. B. ein netter Kerl und hatte sehr viel riskiert, um mir zu helfen.

»Ich sitze hier drüben auf der Schaukel«, rief ich. Während er die Stufen hochstieg und sich der abgeschiedenen kleinen Seitenveranda näherte, stand ich auf. J. B. war für jede Frau ein Dilemma: Er sah gut aus, war aber regelmäßig arbeitslos; die Auftragslage eines Blues-Gitarristen ist streng saisonabhängig. J. B. besaß noch ein anderes Talent: Er arbeitete tagsüber als Masseur, aber nicht häufig; solange seine Mutter ihm seinen Traum finanzierte, spielte er lieber den Blues.

Als er um die Ecke bog und näher kam, bemerkte ich die Verwirrung in seinem ansehnlichen Gesicht. »Mit wem haben Sie gesprochen?«, fragte er.

»Mit mir selbst, denke ich.« Ich errötete bezaubernd. So sehr ich die Schliche eines Daddy’s Girls auch von mir wies, wenn es nicht anders ging, griff ich durchaus auf einige harmlose Manöver zurück.

Das Erröten lenkte ihn erfolgreich von seiner Neugier ab. Einen Augenblick lang wusste er nicht, was er sagen sollte, und schob mir eine Zeitung zu. »Was halten Sie davon?«

Von Delta-Frauen, die zu den Daddy’s Girls zählen, erwartet man zum Glück nicht, dass sie Zeitung lesen; tatsächlich ist es sogar eine Todsünde, auch nur oberflächlich informiert zu sein, denn dergleichen könnte zu Freidenkerei führen. Ich nahm J. B. die Zeitung aus der Hand und las mit unverhohlener Neugier. Der Artikel, den er meinte, war nicht leicht zu übersehen. Er ging über mehrere Spalten, die Schlagzeile war schwarz unterstrichen.

»Blues-Blizzard Scott Hampton wegen brutalen Mordes verhaftet.« Ich überflog die Geschichte, eine kurze Zusammenfassung der Mixtur aus rassischen Problemen, Musik und Unbeherrschtheit, die unser Land seit den Sechzigerjahren heimsucht.

Der Tote war ein gewisser Ivory Keys, ein gefeierter Klavierspieler, dem das Playin’ the Bones gehört hatte, der beliebteste Musikclub in Kudzu, einer blühenden, überwiegend schwarzen Ortschaft am Westrand von Sunflower County. Überflüssig zu erwähnen, dass Keys ebenfalls ein Schwarzer gewesen war. Scott Hampton, Erbe der bekannten Autohauskette in Michigan, hingegen war weiß. Interessant erschien der Umstand, dass beide während der Neunzigerjahre im Staatsgefängnis von Michigan Haftstrafen abgesessen hatten, die sich leicht überschnitten.

Ivory Keys war im Playin’ the Bones brutal erstochen worden. Hampton war das große Talent in der sehr populären Band des Musikclubs. Keys hatte den weißen Musiker engagiert, nachdem dieser aus dem Gefängnis entlassen worden war, wo er eine Strafe wegen Kokainbesitzes abgesessen hatte. Offensichtlich war das Verhältnis von Keys und Hampton eher ungewöhnlich gewesen, was auf ihre Zeit im Staatsgefängnis zurückging.

Bei Hampton war die Mordwaffe gefunden worden, außerdem Geld, von dem man annahm, das es aus dem Club gestohlen worden war. Unter der Anklage des vorsätzlichen Mordes saß er im Zellentrakt des Sheriffreviers von Sunflower County.

»Kennen Sie ihn?«, fragte ich langsam.

»Ich kenne sie beide. Einen besseren Menschen als Ivory Keys hat es auf dieser Erde nie gegeben.«

»Und Hampton?«

J. B.s Gesicht verriet Zwiespältigkeit. »Er ist einer der begabtesten Gitarristen, die ich kenne. Vielleicht ist er sogar besser als Stevie Ray Vaughan.«

»Warum sitzt er dann in Kudzu, Mississippi fest?«

»Wenn ich einen Grund angeben müsste, würde ich sagen, es liegt an seiner Art. Er schleppt einen Komplex mit sich rum, der ist größer als der Felsen von Gibraltar. Und ständig fordert er die Leute heraus, sich doch zu trauen und es mit ihm aufzunehmen.«

»Rauschgift?«, fragte ich. Immerhin hatte er wegen Kokainbesitzes im Staatsgefängnis gesessen. Hinter so manchem Verbrechen steckte eine Nase voll weißem Puder.

J. B. schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, ist er clean. Ivory hat darauf bestanden, bevor er ihm den Job gab. Keine Drogen.«

»Und Hampton hält sein Wort, bis er Ivory ein Messer in den Rücken rammt.« Dass ich so skeptisch klang, lag daran, dass ich so skeptisch war. Scott Hamptons Foto in der Zeitung zeigte einen arroganten, wütenden Mann mit hellen Augen und hellem Haar, das mit viel Sorgfalt so geschnitten war, dass es zerzaust wirkte. Ich konnte mir mühelos vorstellen, wie sich dieses Gesicht zum verächtlichen Grinsen eines verwöhnten reichen Jungen verzog. Was die Gesichter junger Männer meines Alters aus dem Delta betrifft, bin ich Spezialistin: die Söhne der Buddy Clubbers, der Amigos im Mississippi-Delta, die in dem Glauben aufgewachsen sind, sie könnten alles haben, sie bräuchten es sich nur zu nehmen. Solche Männer betonierten die fruchtbare Erde des Deltas zu, um dort Einkaufszentren und ähnliche Augenweiden zu errichten.

»Vielleicht ist es nicht ganz so einfach«, entgegnete J. B.

Der Zweifel, der sich in seiner Stimme andeutete, machte mich neugierig. »Also glauben Sie an seine Unschuld?«, fragte ich.

»Was ich glaube, ist unwichtig. Was Mrs Keys glaubt, nicht. Und sie hält Scott für unschuldig. Sie möchte Sie engagieren, damit Sie den wirklichen Mörder finden.«

Ich winkte J. B. ins Haus. Ich hatte schon meine Pflichten als Gastgeberin verletzt, indem ich ihm keine Erfrischung anbot. Diesen Fehler wollte ich ausbügeln und mir bei der Gelegenheit ebenfalls nachschenken.

Als wir im halbdunklen Salon saßen, goss ich uns Bourbon auf Eis ein und reichte ihm sein Glas.

»Auf die Musik«, sagte er, und wir tranken beide.

»Also noch einmal von vorn«, sagte ich. »Ivory Keys’ Witwe möchte mich engagieren, damit ich Scott Hamptons Unschuld beweise – des Mannes, in dessen Besitz nicht nur die Mordwaffe gefunden wurde, sondern auch die Kleinigkeit von etwa dreitausend Dollar, die wahrscheinlich gestohlen sind.«

J. B. griff in seine Hosentasche und zog ein Papier heraus. Er entfaltete es und reichte es mir. Es war ein Scheck über fünftausend Dollar, unterzeichnet von Ida Mae Keys.

»Ich habe ihr gesagt, dass Ihr Honorar zehntausend beträgt, und sie sagte, sie zahlt Ihnen den Rest, sobald Sie Scott aus dem Gefängnis geholt haben.«

2

Obwohl auf dem Weg zum Courthouse von Sunflower County die Klimaanlage des Roadsters auf voller Leistung lief und ich frisch geduscht und geschminkt war, entsprach ich leider genau Truman Capotes Beschreibung von Damen, die in der Sommerhitze schmolzen wie die Marshmallows. Ein Anruf bei Ida Mae Keys hatte lediglich die Tatsache bestätigt, dass sie Scott Hampton wirklich als Unschuldigen aus der Zelle befreit haben wollte. Ida Mae weigerte sich indes, mir ihre Gründe zu nennen, und legte abrupt auf, nachdem sie noch gesagt hatte, dass für ein persönliches Treffen keine Notwendigkeit bestehe und ich mich schleunigst an die Arbeit begeben möge.

Ihr Scheck lag sicher im alten Küchenschrank versteckt, denn ich war entschlossen, ihn nicht einzulösen, bevor ich nicht mit Coleman gesprochen hatte. In meinen letzten Fällen hatte ich mehrmals die unsichtbare Grenze überschritten, die das korrekte Verhalten von Privatdetektiven beschreibt, doch von einer älteren Schwarzen, deren Mann gerade ermordet worden war, würde ich kein Geld annehmen, wenn ich ihr nicht helfen konnte.

Bei Coleman Peters zu starten, dem Sheriff von Sunflower County, war nur logisch. Davon abgesehen hatten Coleman und ich noch eine persönliche Frage zu klären. Zwischen uns hatte sich eine starke emotionale Bindung entwickelt, auch wenn noch keiner von uns daraus Konsequenzen gezogen hatte. Allerdings verließ ich mich mehr und mehr auf seine Aufrichtigkeit und seinen gesunden Menschenverstand. Noch etwas anderes zog mich an. Coleman war nie unklar – weder darin was er dachte noch was er empfand. Auf ihn konnte man Häuser bauen, und das sog ich auf wie Ambrosia.

Coleman hatte sich kürzlich von seiner Frau getrennt, ohne dass ich dabei eine Rolle gespielt hätte. Jedenfalls nicht aktiv. In den vergangenen zwölf Wochen, während meine Schulter verheilte, hatte ich mir alle Mühe gegeben, ihm aus dem Weg zu gehen. Er war mehrmals nach Dahlia House herausgekommen, um nach mir zu sehen, doch ich hatte die Begegnung mit ihm nicht gesucht. Er musste Entscheidungen treffen, in die ihm niemand hineinzureden hatte.

Nachdem ich unter einem Pekannussbaum neben der Ersten Baptistenkirche von Zinnia geparkt hatte, musterte ich den Rasen vor dem Courthouse, dem Bezirksverwaltungsgebäude von Sunflower County. Ungebeten kamen mir Bilder ins Gedächtnis, Bilder von Sommertagen meiner Kindheit, an denen mein Vater in seinem Kofferraum mein Fahrrad in die Stadt gebracht hatte. Während er seinem Richteramt nachging, durfte ich nach Herzenslust in den Straßen Zinnias Fahrrad fahren. Damals war mir der Ort so riesig vorgekommen und schien so viele aufregende Gelegenheiten zu bieten, etwas Neues zu erkunden. Unbegrenzte Möglichkeiten. Noch vor zehn Jahren hatte ich mich genauso gesehen. Mein New Yorker Reinfall jedoch hatte mich einige harte Wahrheiten gelehrt: Es reicht nicht aus, einen Traum zu haben. Um Erfolg und Glück zu erlangen, müssen noch einige andere Voraussetzungen erfüllt sein.

Während ich die Straße überquerte, sann ich darüber nach, was Jitty über Träume gesagt hatte. Hatte ich an irgendeinem Punkt eine Furcht vor Träumen entwickelt? Über dieser Frage sollte ich vielleicht ein wenig brüten.

Die Hitze war gewaltig, und ich war froh, als ich in das Courthouse treten konnte. Als mein Vater noch lebte, gab es hier noch keine Klimaanlage. Obwohl ich manchmal den fortschrittsfeindlichen Standpunkt eines Steinzeitmenschen einnehme und Neuerungen entschieden ablehne, muss ich zugeben, dass Klimaanlagen ein wahres Wunder sind. Ich blieb einen Augenblick lang unter einem Lüftungsgitter stehen und hoffte, die Schweißperlen trocknen zu können, die mir den Rücken hinunterliefen und in meine Unterhose vorzudringen versuchten. Geschmolzen, jawohl. Genauso fühlte ich mich.

Die Tür zum Revier des Sheriffs stand offen, und ein gedämpftes Gespräch erregte meine Aufmerksamkeit.

»Er ist schuldig, wie es im Buche steht«, sagte die Dispatcherin im näselnden Tonfall der Leute vom Land, das sie unter der hochgestochenen Tünche gekünstelter Kultiviertheit zu verbergen suchte. »Er sitzt da in seiner Zelle, die Füße gegen die Gitterstäbe gestemmt, eiskalt. Wenn er überhaupt was empfinden tut, ich meine, empfindet, dann sicher keine Reue.«

»Er ist ein harter Bursche«, stimmte Deputy Dewayne Dattilo zu. Dattilo war genauso wie die Dispatcherin ein Neuling.

»Gitarre spielen kann er jedenfalls. Ich habe ihn ein paarmal gehört, wenn ich zum Tanzen aus war. Er konnte ein Mädchen zum Dahinschmelzen bringen, wenn du weißt, was ich meine.« Aus der Stimme der Dispatcherin klang neben widerwilliger Bewunderung auch eine gehörige Portion sexueller Appetit. »Er hat’s fertiggebracht, dass die Frauen sich auf ihren Stühlen winden, und wenn eine von ihnen stand, dann musste sie sich setzen. Und dieses eine verrückte Mädchen, Mensch, die ist ihm fast aufs Knie gesprungen.«

»Die wird uns noch Ärger machen«, entgegnete Dewayne nicht ohne ein wenig Diensteifer.

Ich betrat das Revier und wurde vom einen mit vorsichtiger Neugier und von der anderen mit Abneigung begrüßt.

»Ist Coleman da?« Ich fragte nur aus Höflichkeit. Ich sah ihn in seinem Büro am Schreibtisch sitzen.

»Ich sehe nach.« Wegen ihres übermäßig dauergewellten, blondierten Haares war die Dispatcherin als Bo-Peep, das kleine Schäfermädchen aus dem Kinderreim bekannt. Bo-Peep ist das Guck-guck-Spiel, und zu gucken gab es bei ihr einiges. Während sie Colemans Büro betrat, kam ich nicht umhin zu bemerken, dass sie eine großartige Figur hatte und ihr hüftschaukelnder Gang eine einzige Einladung darstellte. Sie schloss die Tür hinter sich. Coleman hatte sie eingestellt, während ich auf Dahlia House genas. Im vergangenen Winter hatte sie als Aushilfe gearbeitet, und in diesen beiden kurzen Wochen hatten wir unsere beiderseitige Feindschaft kultiviert. Nun war sie als Vollzeitkraft fest angestellt.

Nach einigen Minuten kam sie wieder heraus und näherte sich in wiegendem Gang der Theke. »Der Sheriff möchte Sie sprechen«, sagte sie. Dann beugte sie sich vor und wisperte gedämpft: »Er ist zu seiner Frau zurück, bloß damit Sie nicht enttäuscht sind.«

Ich schob mich an ihr vorbei, entschlossen, mir meine Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Als ich in Colemans Büro war, schloss ich hinter mir die Tür und fasste mich, während ich mich zu ihm umdrehte. In seinen blauen Augen stand Traurigkeit, zu denen der lange Strich passte, der sein Mund war.

»Ida Mae Keys hat mich engagiert, damit ich Scott Hamptons Unschuld beweise«, begann ich, denn ich wollte den Besuch unverzüglich auf eine offizielle Grundlage stellen.

Coleman schüttelte den Kopf. »Ich mag die alte Frau, und es gefällt mir nicht, dass sie damit ihr Geld und deine Zeit verschwendet. Du hast noch bei keinem Fall versagt, Sarah Booth. Aber von dieser Mordsache solltest du die Finger lassen. Wir haben zwar nur Indizien in der Hand, aber diese Indizien sind überwältigend.«

»Dann setz mich bitte ins Bild.« Knapp und geschäftsmäßig – diesen Ton musste ich beibehalten. Ich konzentrierte mich auf seine Mundwinkel, an denen ich Fältchen sah, die vor zwei Monaten noch nicht da gewesen waren. Er war vielleicht zu Connie zurückgekehrt, aber glücklich war er nicht.

»Die Mordwaffe wurde in seinem Besitz gefunden. Etwas über dreitausend Dollar, von denen wir glauben, dass sie aus dem Club stammen, hatte er ebenfalls.« Coleman klang eher müde als überzeugt.

»Was war die Mordwaffe?«

»Ein Messer aus einem Löffelstiel, wie sie es sich im Gefängnis basteln. Handgemacht.«

»Wo hast du es gefunden?«

»In Hamptons Motorradtasche. Die Maschine parkte vor dem Haus, das er auf der Bilbo Lane gemietet hat, weit draußen vor der Stadt.«

»Das Geld könnte ihm jeder in die Tasche gesteckt haben«, wandte ich ein.

»Er zeigte sich wenig kooperativ, als wir hinfuhren, um ihn zu vernehmen. Er wollte nicht mit uns reden, und wir mussten uns einen Durchsuchungsbefehl besorgen. Lass dir eins gesagt sein: Als wir ihm mitteilten, dass Ivory tot ist, hat er nicht gerade überwältigende Trauer oder Mitgefühl an den Tag gelegt.«

Scott Hampton war sich selbst der schlimmste Feind. »Und deshalb hast du beschlossen, dass das Messer ohne jeden Zweifel Hampton gehören muss. Ich will nur noch mal anmerken, dass es auch jemand anderes in seiner Motorradtasche platziert haben könnte.«

»Das ist zwar möglich, aber wir glauben nicht, dass es so war.«

»Fingerabdrücke?«

»Keine. Es war sauber gewischt.«

»Wie oft ist auf Keys eingestochen worden, und wohin?« Coleman wusste genau, dass ich das auch von Doc Sawyer erfahren konnte, dem Arzt, der die Autopsie durchführte.

Er seufzte. »In die Brust. Dreimal.«

»Sonst noch was?«

»Er war nicht sofort tot.« Er zögerte. »Und mehr werde ich dir über das eigentliche Verbrechen nicht sagen.«

Es war schon großzügig von ihm, mir überhaupt so viel zu sagen, wie er meinte verantworten zu können. Ich empfand einen Anflug von Wut, als mir klar wurde, wie sehr ich mich bereits auf Colemans Großzügigkeit verließ.

Ich schaltete zurück in den geschäftsmäßigen Modus. »Also Raubmord als Motiv?«

»Ivory hatte Hampton mit einem hieb- und stichfesten Vertrag für die nächsten beiden Jahre ans Playin’ the Bones gebunden. Hampton hat sich mittlerweile einen guten Ruf erworben und sehr gute Angebote von größeren Clubs erhalten. Er hätte rasch Karriere machen können, nur war er rechtlich an Keys gebunden.«

»Du glaubst also, er hätte seinen Wohltäter entweder wegen des Geldes getötet, oder weil er seinen Vertrag loswerden wollte?« In der kurzen Zeit, die ich als Privatdetektivin tätig war, hatte ich einiges gelernt. Jeder Mord hat in der Regel ein ganz eindeutiges Motiv. Ich wollte wissen, welches Motiv Coleman vor Gericht zu beweisen gedachte.

»Wir haben die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.«

»Was ist mit Kaution?« Ida Mae hatte gesagt, sie wolle Scott Hampton so rasch als möglich auf freiem Fuß sehen.

»Freitag. Richter Hartwell.« Er verzog den Mund zu einer dünnen Linie, als er den Namen aussprach. Hartwell war nur ein Friedensrichter, doch hing ihm der Ruf an, vorschnell und voreingenommen zu urteilen. »Wird kein Pappenstiel.« Coleman legte den Bleistift weg und breitete die Hände auf dem Schreibtisch aus. »Lass dich nicht auf den Fall ein, Sarah Booth. Es wird hässlich. Eine ganze Menge alter Wunden werden wieder aufgerissen.«

Er meinte seinen Rat nur gut, aber ich war nicht in Stimmung, mich mit den Brosamen abspeisen zu lassen, die er mir großherzig überließ. Er hätte mir allerwenigstens persönlich sagen können, dass er zu seiner Frau zurückkehrte.

»Kann ich Hampton sprechen?«

Coleman zog über meinen Tonfall die Brauen hoch. »Klar.« Er nahm einen Bleistift und drehte ihn in den Fingern, hielt meinem Blick jedoch stand. »Hast du etwas auf dem Herzen?«

»Nein, gar nichts.« Die Wand des Stolzes war mit verblüffender Geschwindigkeit hochgeschnellt. Wir hatten nie offen ausgesprochen, welche Gefühle wir einander entgegenbrachten, also gab es auch nichts zurückzunehmen.

»Ich wollte dich immer mal besuchen«, sagte er und senkte den Blick auf die Schreibunterlage. Von dem Gekritzel darauf schien er wie gebannt zu sein.

Ich hätte ihm heraushelfen können, doch war ich in keiner Weise nachsichtig gestimmt.

»Connie und ich wollen es noch mal miteinander versuchen«, sagte er, während er den Blick zu mir hob.

»Ich hoffe, es funktioniert.« Zum Donnerwetter, was erwartete er denn von mir als Antwort?

Einen Sekundenbruchteil lang waren ihm Überraschung und Bedauern anzumerken. Dann fing er sich und nickte. »Ich lasse dich von Dewayne zu Hampton bringen.« Er stand auf und ging an mir vorbei.

Hätte ich die Hand ausgestreckt, ich hätte ihn am Arm berühren können. Schon bei dieser kleinsten Geste wäre er stehen geblieben. Ich besaß jedoch kein Recht, diesen Schritt zu tun, und ließ ihn wortlos an mir vorbei.

Scott Hampton bestätigte meine finstersten Erwartungen. Sein Gesicht schien trotz allen guten Aussehens dauerhaft einen höhnischen Ausdruck angenommen zu haben. Sein blondes Haar trug er à la Elvis mit Gel zurückgekämmt, was ihn eigenartig altmodisch aussehen ließ, obwohl seine Augen dem widersprachen und sagten, er sei ein Mensch des Heute.

»Mrs Keys hat mich beauftragt zu beweisen, dass Sie ihren Mann nicht umgebracht haben.« Ich machte mir nicht die Mühe, meine Zweifel zu verbergen. Scott Hampton saß auf seiner Pritsche und wiegte sich leicht zu einem Rhythmus, den ich nicht hören konnte. Er flößte mir weder Mitgefühl noch Zuversicht ein.

»Sagen Sie ihr, sie soll sich das Geld sparen.« Er stand auf und ging an die Gitterstäbe.

Bevor er sich bewegte, war ich mir seiner sexuellen Ausstrahlung nicht im vollen Ausmaß bewusst gewesen. Er war eine Dschungelkatze, ein Raubtier. Es lag an seinem Gang und der Art, wie er mich mit seinem Blick bannte. Er war ein gefährlicher Mann und genoss, dass ich das wusste. Die erste Andeutung eines Lächelns berührte seine Lippen.

Ich hielt seinem Blick stand, bis meine Augen langsam an ihm herabzugleiten begannen, ganz so, wie er es wollte. Die Tätowierung auf seinem linken Arm erregte meine Neugier. Der Totenschädel und die gekreuzten Knochen sahen nach einer professionellen Arbeit aus, doch die schwarze Tinte verriet, dass er den Körperschmuck im Gefängnis erhalten hatte.

»Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie sich selber nicht helfen wollen«, sagte ich einen Satz, den ich schon in einer Million Fernsehsendungen gehört hatte.

»Ich will Ihre Hilfe nicht«, erwiderte er, an die Gitterstäbe gelehnt. »Geben Sie Ida Mae das Geld zurück und lassen Sie mich in Ruhe.«

»Aus irgendeinem Grund möchte sie an Ihre Unschuld glauben«, entgegnete ich. »Vielleicht ist sie verrückt, aber das glaubt sie eben.«

»Bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt, indem Sie alte Menschen ausnutzen, oder ist das diesmal ein Sonderfall?«

Mir war, als hätte er mich geohrfeigt. »Hören Sie gut zu, Hampton. Wenn es nach mir ginge, würde ich mich umdrehen und nie wieder etwas von Ihnen hören. Der Sheriff ist sich ziemlich sicher, dass Sie für lange, lange Zeit nach Parchman gehen. Vielleicht haben Sie im Staatsgefängnis von Michigan gesessen, aber im Vergleich zu Parchman war das ein Kindergarten.«

»Das habe ich schon gehört. Lässt man die Insassen immer noch auf den Baumwollfeldern arbeiten? Da passe ich ja ganz gut hin, ich singe den Blues. Zurück zur Wurzel der Musikgattung, wenn Sie so wollen.«

Ich fühlte mich schlagartig erschöpft. Scott Hampton war ein Mann, der vor Leben vibrierte, aber mir saugte er alle Energie aus. »Ihnen kommt das vielleicht komisch vor, aber ich arbeite nicht für Sie. Sie können mir helfen, oder Sie lassen es bleiben. In jedem Fall hat Mrs Keys das letzte Wort. Ich werde ihr sagen, dass ich Sie für Zeitverschwendung halte, aber sie entscheidet, was als Nächstes geschieht.«

»Bringen Sie die alte Frau dazu, die Sache aufzugeben«, sagte Scott gleichgültig, während er mich plötzlich drohend ansah. Er versuchte, meinen Blick auf sich zu halten, doch ein Windstoß fing sich in den Ästen einer alten Magnolie unweit der Statue von Johnny Reb, dem Bronzestandbild des konföderierten Soldaten, das an die vielen Männer erinnerte, die ihr Leben für edle, aber mit törichter Gewalt durchgesetzte Ideale gelassen hatten. Mit den Augen verfolgte ich das Seil, das träge an einem anmutigen Ast des Baumes tanzte, am Ende eine Henkersschlinge.

Scott wusste, was ich sah, und stieß einen beinahe tierhaften Laut aus. »Halten Sie Ida Mae aus der Sache heraus. Geben Sie ihr das Geld zurück«, befahl er.

»Wer hat die Schlinge aufgehängt?«, fragte ich ihn mit einer Stimme, die fast überhaupt nicht schwankte. Der Süden ist erfüllt von Symbolen – Neonkreuzen, Schlangen und ihren Abrichtern, Bettlaken, Flaggen, Magnolien und Spottdrosseln. Keines aber ist mächtiger als die Schlinge. Jemand hatte Scott eine sehr deutliche Botschaft überbracht, und er wusste Bescheid.

»Halten Sie sich da raus«, sagte er.

»Haben Sie es beobachtet?«

»Nein.«

»Haben Sie es dem Sheriff gemeldet?«

»Nein.« Er grinste mich herausfordernd an.

»Coleman wird feststellen, wer es gewesen ist«, sagte ich. Was Coleman persönlich von Scott Hampton dachte, war dabei völlig unerheblich. Jemand hatte das Gesetz übertreten und dabei Schrecken und Hass aus der Vergangenheit aufgerührt. Dieser Jemand musste dafür zahlen.

»Ich kann Ihnen nur eines raten, Ms Sarah Booth Delaney. Stecken Sie Ihre Nase nicht tiefer in die Sache hinein und nehmen Sie Ida Maes Geld nicht an. Sie hat davon nicht viel, und was sie hat, wird sie brauchen, um die Sache zu überleben.«

»Beantworten Sie mir eine Frage, Mr Hampton«, sagte ich und hatte endlich die kühle, gleichmütige Stimme gefunden, die ich benötigte. »Haben Sie Ivory Keys ermordet? Bejahen Sie diese Frage, und ich berichte Ida Mae Ihre Antwort und rate ihr, den Fall auf sich beruhen zu lassen. Aber so lange Sie nicht gestehen, wird sie wohl nicht nachgeben.«

Er trat ans Fenster und blickte hinaus. Als ich seinem Blick folgte, sah ich draußen die Deputys Dewayne Dattilo und Gordon Walters, die mit großer Behutsamkeit die Henkersschlinge entfernten. Jemand hatte sie gesehen und gemeldet.

Als Scott wieder an die Gitterstäbe kam, war sein Gesicht hart, sein Mund ein schmaler Strich. »Ich bin angeklagt und überführt. Wenn man mich nicht vor dem Prozess umbringt, gehe ich nach Parchman. Keine Amateur-Privatdetektivin wird daran irgendetwas ändern.«

»Nettes Ausweichmanöver. – Haben Sie Ivory Keys umgebracht?«, wiederholte ich. Er konnte doch wenigstens gestehen, damit Ida Mae nicht länger zappeln musste.

Er packte die Stäbe so rasch mit den Fäusten, dass ich unwillkürlich zurückwich. Ein zufriedenes Lächeln berührte sein Gesicht. »Gut, wenn Sie Angst vor mir haben«, sagte er. »Sehr gut.«

Ich verließ den Zellentrakt mit dem festen Entschluss, Ida Mae den Scheck zurückzugeben und mir wegen Scott Hampton keine schlaflosen Nächte zu machen. Das Büro des Sheriffs war Gott sei Dank leer. Ich hinterließ Coleman eine Nachricht, er solle mich anrufen, sobald er wüsste, wer die Schlinge an den Baum gehängt hatte.

Die Ortschaft Kudzu war kaum mehr als eine Straßenkreuzung in der nordwestlichen Ecke des Bezirks. Während ich zwischen den flachen Baumwollfeldern hindurchfuhr, suchte ich den Horizont nach dem einfachen Kirchturm ab, der mein Ziel markierte. Man sagte, dass in den Zwanziger- und Dreißigerjahren ein Musikclub an dieser Kreuzung einer der heißesten Bluesschuppen im ganzen Land gewesen sei. Sämtliche Größen hätten dort gespielt, während sie mit Ziel Detroit durch den Süden zogen, ihrem Ruhm entgegen.

Damals hatte es an den Straßen im Delta von kleinen Musikclubs gewimmelt, die man ›Jukebox-Buden‹ nannte. Sie hatten hauptsächlich an den Wochenenden geöffnet und waren zumeist nichts weiter als kleine Hütten, in denen sich die Schwarzen trafen, um zu singen und zu tanzen. Aus der brennenden Sonne auf den Baumwollfeldern und der süßlichen Wärme einer Sommernacht war der Blues geboren worden, um den Kummer, die Verzweiflung und die Macht des Sex auszudrücken, die Geschichte einer Zeit, eines Landes und eines Volkes zu erzählen.

Schon aus großer Entfernung sah ich den Kirchturm und bog vom Highway auf eine unbefestigte Straße ab, die schmal und gerade zwischen den Baumwollreihen durch die Felder schnitt. Nach weniger als zehn Minuten hielt ich vor der Blessed Zion Independent Church. Ein kleines Schild wies darauf hin, dass die Andacht für Ivory Keys am Samstagmorgen um zehn Uhr gehalten würde. Hinter der Kirche hoben zwei ältere Schwarze das Grab aus.

Von wo ich stand konnte ich den Musikclub an der Straßenkreuzung sehen. Obwohl ich eigentlich nach Kudzu gefahren war, um Mrs Keys den Scheck zurückzubringen, dachte ich mir, es könne nicht schaden, einen Blick hineinzuwerfen.

Das Playin’ the Bones sah aus, als wäre davor und darinnen ein kleiner Krieg ausgetragen worden. Die Vordertür war verschlossen, und die Reste eines gelben Tatort-Absperrbandes lagen auf dem Boden. Die Hintertür stand zwar nicht offen, war aber auch nicht abgesperrt. Ich ging hinein.

Mein Blick fiel auf Chaos. Das Lokal war verwüstet worden, und es dauerte nicht lange, da fand ich den bräunlichen Fleck auf dem Fußboden, der zeigte, wo die Leiche gelegen hatte. Neben dem Blutfleck lagen ein umgeworfener Tisch und Hocker. Vermutlich hatte Ivory Keys an dem Tisch gearbeitet, als er überfallen wurde.

Ich blieb stehen, um mich an das schwache Licht zu gewöhnen, und blickte mich reglos um. Der Club war sehr kühl eingerichtet. Die Theke bestand aus Mahagoni und sah aus, als wäre sie aus dem alten Sunflower Hotel gerettet worden, bevor man es abriss. Tische und Stühle, ausnahmslos schwer und bequem, standen auf drei Seiten der Tanzfläche verstreut, und in den Wänden waren dick gepolsterte Nischen. An Gestellen über der Theke hing eine breite Auswahl von Gläsern, die Bar war komplett ausgestattet.

Auf der Bühne für die Band standen ein Schlagzeug, ein Piano, ein abgenutzter Verstärker auf einem Stuhl und mehrere Mikrofonstative.

Nachdem ich mich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, ging ich tiefer in den Club. Coleman zufolge war Ivory Keys mit einem aus einem Löffelstiel handgefertigten Messer erstochen worden. Das Messer hatte man in Scotts Besitz gefunden, aber alle Fingerabdrücke waren abgewischt worden.

Ziemlich blöd für jemanden, der sich für so schlau hielt.

Die Verwüstung im Musikclub wies deutlich darauf hin, dass jemand hier etwas gesucht hatte. Die Registrierkasse war aufgebrochen, und die leere Schublade hing heraus.

Auch Geld war bei Scott gefunden worden – fast dreitausend Dollar. Aber wieso sollte Scott den Club demolieren, wenn das Geld, das er wollte, in der Kasse lag? Die offensichtliche Antwort lautete, dass er nach etwas anderem als dem Geld gesucht hatte.

Ich ließ mir Zeit und brannte mir ein geistiges Abbild des Musikclubs in den Kopf. Ivory war brutal ermordet worden. Coleman hatte es nicht offen ausgesprochen, aber angedeutet, dass Ivory vor dem Mord zusammengeschlagen worden war. Die Verwüstung im Club verriet ein gewaltiges Maß an Wut. Scott Hampton mit seiner Verachtung für alles um ihn herum war höchstwahrscheinlich der Mann, der Ivory Keys auf dem Gewissen hatte. Es wurde Zeit, mit der Witwe zu reden und sie zur Vernunft zu bringen.

3

Gepflegt lautete das erste Wort, das mir in den Sinn kam, als ich vor Ida Mae Keys’ Vorgarten aus dem Auto stieg. Farbenfroh war das nächste. Zinnien säumten den Fußweg aus gestampfter Erde. Das kleine Holzhaus umstanden Gerbera, und Taglilien aller Sorten blühten orange, pink, purpurn und lavendelfarben. Blumen wie diese kann man nicht einfach pflanzen und sich selbst überlassen. Man muss sie pflegen.

Ich war auf dem Weg zur Treppe, als mich das Klirren von Glas auf Glas innehalten ließ. Neben dem Haus sah ich einen Flaschenbaum, dessen Äste sich sanft im Wind wiegten. Colaflaschen, Nehi, Bubble-up, Dr. Pepper und Barg’s waren zwischen die festen Zweige des Baumes gesteckt worden. Diesen Anblick kannte ich von einem der großen Abenteuer meiner Kindheit: Meine Mutter hatte mich nach Memphis zu einer Wahrsagerin mitgenommen, die aus der Hand las. Im Garten der alten Frau hatten wenigstens ein Dutzend Flaschenbäume gestanden. Während meine Mutter sich die Zukunft weissagen ließ, hatte ich auf den Stufen gesessen und auf die Klänge der Flaschen gelauscht, wenn der Wind sie sanft gegeneinander stieß.

Der Flaschenbaum war entweder ein Glücksbringer oder ein Schutz vor Unheil. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, ob man sich von solch einem Baum etwas wünscht oder ob man die leeren Flaschen zwischen die Zweige steckte, um den Teufel fern zu halten. Obwohl mir die Sonne heiß auf Kopf und Haut schien, kroch mir eine Gänsehaut über die Arme.

Ida Mae kam auf mein Klopfen hin augenblicklich an die Tür. Offenbar hatte sie am Fenster gestanden und mich beobachtet. Sie sah nicht ganz so aus, wie ich es erwartet hätte.

Ich denke, innerlich hatte ich mich entweder auf eine stämmige, matronenhafte Frau oder eine Musikclub-Lady vorbereitet. Ida Mae Keys war keines von beiden, sondern eine schlanke, hochgewachsene Dame mit grauen Strähnen im gründlich frisierten, gelockten Haar. Das marineblaue Kostüm sah nach Geschäftsfrau aus, die praktischen Pumps ebenfalls. Ich wusste, dass sie über sechzig war, doch sie wirkte, als sei sie Mitte vierzig und erfreue sich ausgezeichneter Gesundheit.

»Ich bin Sarah Booth Delaney«, stellte ich mich vor und reichte ihr die Hand.

Ihr Händedruck war so fest und flüchtig, wie ihre Frage direkt: »Ist Scott auf freiem Fuß?«

»Über die Kaution wird am Freitag entschieden. Sie wird hoch ausfallen.«

»Ich werde ein paar Dinge verkaufen, dann kann ich sie aufbringen.«

Ich atmete tief durch, während ich überlegte, wie ich ihr am besten sagen sollte, was ich ihr mitzuteilen hatte. »Mrs Keys, ich gebe Ihnen den Scheck zurück.« Ich zog ihn aus der Hosentasche und hielt ihn ihr hin. Dass ich die Schlinge nicht erwähnen würde, hatte ich bereits im Vorfeld entschieden. »Scott Hampton will weder Ihre noch meine Hilfe. Er hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen, Sie möchten Ihr Geld behalten.«

Ida Mae blickte den Scheck an, machte jedoch keine Anstalten, ihn zu berühren. »Scott hat Sie nicht engagiert, er kann Sie nicht feuern.« So einfach war das für sie.

»Er weigert sich, mit mir zusammenzuarbeiten. Unter diesen Umständen wäre es nicht richtig, wenn ich Ihr Geld annähme.« Ich streckte den Arm weiter vor.

»Ich muss wohl mit Scott reden. Er wird nachgeben.«

Das bezweifelte ich. Um genau zu sein, hatte ich meine Zweifel, ob es bei Scott Hampton einen sonderlich tiefen Eindruck hinterlassen hätte, wenn ihn Gott oder Satan höchstpersönlich ins Gebet genommen hätten.

»Ich fürchte, ich kann Scott Hampton nicht helfen.«

Sie legte einen Finger auf ihre Lippen und starrte mich an. »Weil Sie ihn für schuldig halten.«

»Ja, Ma’am.« Eigentlich hatte ich das überhaupt nicht antworten wollen, doch eine ausweichende Entgegnung, selbst aus Freundlichkeit, entsprach einfach nicht dem Stil, den Ida Mae vorlebte.

»Kommen Sie herein und setzen Sie sich«, sagte sie und gab die Tür frei.

Ich folgte ihr ins Haus, das bunt und ordentlich war wie der Garten. In einer großen Vase auf dem Esstisch standen leicht gebeugte Sonnenblumen. Als ich aus dem Fenster sah, entdeckte ich ein riesiges Feld davon, das zwei Morgen groß zu sein schien und auf dem sich die großen gelben Blumen mit den schwarzen Zentren drängten. Einige der Blüten mussten zwanzig und mehr Zentimeter durchmessen.

Ich wies auf das Fenster. »Wunderschön«, sagte ich.

»Ja, das sind sie«, antwortete sie langsam. »Ivory hat sie geliebt. Er sagte, sie seien klüger als wir Menschen, weil sie stets das Gesicht der Sonne zuwenden, um Gottes Gaben zu empfangen, und sich dabei nie die Frage stellen, ob es richtig oder falsch sei.«

Ich setzte mich auf die Kante des Stuhles, den sie mir zuwies. Zuerst hatte ich es gar nicht bemerkt, doch ich war von religiösen Darstellungen umgeben. An der einen Wand hing ein Christus am Kreuze neben einem hübsch gerahmten Bild des Letzten Abendmahls. An der anderen Wand sah ich Maria mit leuchtendem Heiligenschein. Andere Bilder zeigten Jesus umgeben von einer Schar der Kindlein, und auf einem wurde das Grab Christi dargestellt, von dem der Stein weggerollt war, während darüber der Heiland gen Himmel stieg. Daneben hingen betende Hände, eine Plastik, die jedoch uninspiriert wirkte, und es war deutlich zu sehen, dass ein Kind sie bemalt hatte.

»Von meinem Sohn«, sagte Ida Mae. »Emanuel. Er hat sie im Sommer-Bibellager gemacht, als er acht war.« Sie sprach mit so tiefer Traurigkeit, dass ich überlegte, ob ihr Sohn womöglich tot sei. Ich wollte ihr jedoch keine solch persönliche Frage stellen, schon gar nicht, nachdem sie unlängst erst den Mann durch eine Gewalttat verloren hatte.

Ich legte ihr den Scheck auf den Couchtisch. Sie schaute ihn einen Augenblick lang an.

»Ich möchte, dass Sie Scott helfen. Er hat meinen Mann nicht getötet, ganz gleich, was die Leute sagen.«

»Aber die Indizien –«

»Zum Teufel mit den Indizien!«, fuhr sie mich so scharf an, dass ich tatsächlich leicht zusammenzuckte.

»Verzeihen Sie«, sagte sie. »Ich bin mir einfach völlig sicher, dass Scott meinen Mann nicht auf dem Gewissen hat. Sie standen sich sehr nahe, eher wie Vater und Sohn als … Mein Mann hat Scott viel bedeutet.«

»Auch Menschen, die einander viel bedeuten, fügen sich Schaden zu«, sagte ich leise. In einigen Fällen gaben Emotionen umso mehr Grund für Gewalttätigkeit.

»Scott hat den Mord nicht begangen.«

»Warum sind Sie sich so sicher, dass er unschuldig ist?« Das war eine berechtigte Frage.

»Warum sind Sie sich so sicher, dass er schuldig ist?«, versetzte sie, aber mit einem traurigen Lächeln.

»Die Indizien –«

»Ich kenne die Indizien«, unterbrach sie mich, aber viel weniger heftig als vorhin. »Mordwaffe und Geld und alles. Jeder hätte Scott das Messer und das Geld in die Motorradtasche stecken können. Jeder. Und mehr haben sie nicht gegen ihn in der Hand. Ein Messer und ein bisschen Geld. Ein Motiv haben sie keines.«

»Raubmord oder den Wunsch, aus dem Zwei-Jahres-Vertrag herauszukommen, den er mit Ivory geschlossen hatte. Oder beides.« Früher oder später würde sie ohnehin davon erfahren.

»Unfug. Scott wollte seinen Vertrag überhaupt nicht lösen. Ivory und er haben den Club geliebt. Sie saßen nächtelang zusammen und redeten sich die Köpfe heiß, was sie als Nächstes planten. Dieser Junge und der Club haben meinem Mann unglaublich viel Freude gemacht.«

Gegen ihre Sichtweise ließ sich schlecht etwas einwenden, ich konnte nur meine einzige Trumpfkarte erneut ausspielen. »Das erklärt immer noch nicht, weshalb Sie von Scotts Unschuld überzeugt sind.«

Sie streckte die Hand aus und nahm einen Ring vom Couchtisch, der mir bislang nicht aufgefallen war. Als sie ihn hoch ins Licht hielt, blitzte er golden auf. Ein Ehering. Ich bemerkte die Tränen, die ihr still die Wangen hinunterliefen. Einen Augenblick lang zeigte sich ihr wahres Alter.

»Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich meinen Ring noch tragen soll oder nicht«, sagte sie. »Scheint eigenartig, mit einem toten Mann verheiratet zu sein, aber genauso ist es. Mein Mann hat Montagmorgen lebendig, voller Freude und von Musik erfüllt, dieses Haus verlassen, und jetzt kommt er nie mehr wieder.«

Ich schluckte den Kloß in meiner Kehle herunter.

»Ich will Ihnen von Scott Hampton erzählen. Er hat Ivory das Leben gerettet, als sie zusammen im Gefängnis saßen. Er hat ihm das Leben gerettet und die linke Hand. Seine Gespensterhand, so nannte er sie immer.« Ein flüchtiges Lächeln milderte den Schmerz in ihrem Gesicht. »Dafür hat Ivory Scott beigebracht, den Blues zu spielen. Sie sehen, beide verdankten sie einander die nackte Existenz.«

Sie ging an ein altes Piano, von dem die Frontplatte fehlte. Mit einem Finger glitt sie über die Tasten. »Mein Mann hatte einen Traum, Miss Delaney. Einen großen Traum. Und Scott und er waren dabei, ihn wahr werden zu lassen.«

»Was war das für ein Traum?«

Sie drehte sich mir wieder zu. »Dass Musik die alten Wunden heilen und die Menschen einander näherbringen könnte. Ivory hat gesagt, dass in der Musik, die Scott spielt, eine Kraft liege. Seine Musik lässt die Menschen vergessen, ob sie schwarz oder weiß oder arm oder reich sind. Sie spricht zu den Knochen und zum Geist und lehrt die Leute, wie sie mit Freud und Leid leben können. Wenn die Menschen ihre Hautfarbe aber für die Dauer eines Liedes vergessen können, glaubte Ivory, dann könnten sie sie doch auch für eine Stunde vergessen, und dann für eine Woche, und dann für einen Monat. Sie verstehen, was ich meine. Mein Mann und Scott wollten die Welt verändern, und sie waren schon ein gutes Stück weit gekommen. Darum weiß ich, dass Scott Hampton unschuldig ist.«

Sie kam wieder an den Couchtisch, nahm den Scheck und steckte ihn mir in die Hemdtasche. »Beweisen Sie das. Mir könnte nichts Schlimmeres passieren, als mit ansehen zu müssen, wie Ivorys Traum zunichte gemacht wird, indem man Scott für etwas bestraft, das er nicht getan hat. Ich kann es ertragen, dass Ivory ermordet wurde, weil ich weiß, dass es nicht mehr lange dauert, bis ich für die Ewigkeit bei ihm bin. Aber ich kann nicht zulassen, dass sein Traum hier auf Erden ausgelöscht wird. Scott hat meinen Mann nicht ermordet, und Sie müssen herausfinden, wer es wirklich war.«

4

Na schön, dann kann ich einer Frau mit Überzeugungen eben nicht widerstehen. Der Scheck steckte wieder in meiner Tasche, und ich arbeitete nach wie vor für Ida Mae Keys. Zeit, meine Partnerin in den Fall einzuschalten.

Ich bog auf die lange Straße nach Hilltop ein, einen Weg, den ich normalerweise nach Möglichkeit umfahre. Beim Anblick von Oscar und Tinkie Richmonds Anwesen, das dem Tara aus dem Film nachempfunden ist, überkommt mich immer eine Flutwelle der Schuld.

Eines noch nicht allzu lang zurückliegenden Abends hatte ich mich neben dem Haus in den Büschen versteckt und gewartet, bis Chablis Richmond herausstolzierte, um ihr Hundegeschäft im Gras zu verrichten. Kaum war der kleine Pelzball in Reichweite, hatte ich das Hündchen gedognappt. Mit dem Lösegeld, das Tinkie Richmond (geborene Bellcase) unwissentlich an mich zahlte, hatte ich nicht nur Dahlia House vor der Versteigerung gerettet, das Dognapping Chablis’ hatte letztendlich sogar dazu geführt, dass Tinkie mich für meinen ersten Fall engagierte.

Als Partnerin in meine Detektivagentur hatte ich Tinkie nur als Buße für meine Sünde aufgenommen, doch nüchtern betrachtet habe ich selten eine klügere Entscheidung getroffen. Tinkie hatte mich schon mehr als einmal aus einer misslichen Lage gerettet – von meinem Leben ganz abgesehen. Sie war die ideale Partnerin, und es wurde Zeit, dass ich sie über Scott Hampton ins Bild setzte.

Kaum hatte ich an der Tür geklingelt, als ich das aufgeregte Jaulen Chablis’ hörte. Die Yorkiedame war verwöhnt, verzogen und bekam das Fell von einem professionellen Kosmetiker getönt – und ich hatte sie liebevoll ins Herz geschlossen. Als ich genauer hinhörte, vernahm ich noch mehr charakteristisches Gebell.

Nach einem sanften Verweis an die Hunde, still zu sein, öffnete Tinkie die Tür. Eine große, gestromte Hündin riss sie fast um und preschte laut anschlagend, als sei sie einem Hirsch auf der Fährte, auf die Veranda heraus.

»Sweetie Pie!« Ich packte sie am Halsband. »Was machst du denn hier?« Sweetie war meine Hündin, und als ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, hatte sie schnarchend unter dem Küchentisch von Dahlia House gelegen.

»Chablis und ich sind zum Frühstück bei dir vorbeigekommen, aber du warst nicht zu Hause, also haben wir Sweetie Pie zum Spielen mitgenommen. Chablis hat sich einsam gefühlt.«

Ein finsterer Verdacht legte sich über meine Gedanken. »Du hast doch nicht etwa vor, Sweetie wieder mit in den Pudel-Salon zu nehmen, oder?« Tinkie hatte Sweetie zum Hundefriseur gebracht und ihr einen neuen Look verpassen lassen: Die gestromte Red-Tick-Hündin hatte sie in leuchtendes Rot umfärben lassen. Erst durch wiederholte Bäder hatte sich die Farbe endlich auswaschen lassen.

»Der ›Pudel-Salon‹ heißt Canine Cut and Curl, und ich habe dir versprochen, sie nicht noch einmal färben zu lassen.« Tinkie schürzte provokant die Lippen.

»An mich ist das verschwendet«, entgegnete ich ihr und ging in die Küche. »Mit deinem Schmollmündchen zwingst du vielleicht gestandene Männer in die Knie, aber bei mir erreichst du damit gar nichts.«

»Was ist denn los?« Sie öffnete die Tür und ließ Chablis hinaus, damit sie mit Sweetie Pie herumtollen konnte.

»Ich war zufällig in der Gegend.« Ich schlenderte langsam in die Küche. Es lohnte sich immer, wenn man Tinkie ein wenig zappeln ließ und sie richtig neugierig auf die Details machte. Gleich hinter mir hörte ich die Pfennigabsätze ihrer Hausschuhe eifrig über den Fußboden klappern, und nicht zum ersten Mal bewunderte ich sie für ihre Fähigkeit, blitzschnell vom einen Gemütszustand auf den anderen umzuschalten. Das war typisch Daddy’s Girl; eine Lektion in Überlebenstaktik. Wenn ein Schmollen nichts bewirkt, versuch’s mit einem Lächeln. Doch während Tinkie ihr Schmollen um der Wirkung willen künstelte, war sie stets aufrichtig, wenn sie lächelte.

Tinkie trippelte über die importierten Fliesen des Küchenbodens, ich stapfte. Die Küche erinnerte an eine Naturhöhle. Sie war gewaltig. An den Wänden und auf den Arbeitsflächen drängte sich das allerneuste Kochwerkzeug, von dem das meiste nur Margene benutzte, die Köchin. Immerhin konnte Tinkie Kaffee kochen, und das erledigte sie prompt.

Während sie das Gebräu aufsetzte, klärte ich sie über den Hampton-Fall auf. Ich brauchte nicht ihr Gesicht zu sehen, ich wusste auch so, dass sie besorgt war. Ihre Körperhaltung verriet es mir. Als sie sich mir zuwandte, hatte sie die Brauen zusammengezogen.

»Sarah Booth, ich habe von diesem Mord gehört, und ich muss dir sagen, das wird schlimm. Die ganzen verdammten Yankee-Reporter werden runterkommen und versuchen, uns so hinzustellen, als schrieben wir hier noch immer das Jahr 1964. Endlich haben wir diesen Idioten Byron dela Beckwith verurteilt, und die Angelegenheit ist erledigt. Da muss es doch jetzt nicht wieder aufgerührt werden.«

Das war ein wahres Wort. Mississippi war noch immer vom Blut der Vergangenheit befleckt, gute Menschen ebenso wie schlechte. Obwohl in jedem einzelnen Bundesstaat unfassbare Vorurteile geherrscht hatten und entsetzliche rassisch motivierte Gewalttaten begangen worden waren, hatte ausgerechnet Mississippi für den Rest des Landes als Blitzableiter herhalten müssen.

»Ob es sein muss oder nicht, es wird jedenfalls so weit kommen«, sagte ich. »Da können wir dem Ganzen auch gleich entschieden entgegentreten.«

»Das will ich aber nicht. Heute Morgen bin ich in den Grove gefahren, um Margene abzuholen, weil ihr Auto in der Werkstatt ist. Stell dir vor, sie wollte nicht zu mir in den Wagen steigen. Sie hat gesagt, ich soll nach Hause fahren, sie würde schon eine Möglichkeit finden.« Tinkies Gesicht verriet, wie verletzt sie deswegen war. »Margene kocht für Oscar und mich, seit wir verheiratet sind. Und jetzt möchte sie nicht mit mir gesehen werden.«

Ich konnte nur wenig tun, um Tinkie ihren Schmerz zu nehmen, aber ich hatte eine andere Theorie. »Ich vermute eher, dass sie Angst hatte, mit dir gesehen zu werden.« Ich erzählte ihr von der Henkersschlinge.

»Hoffentlich findet Coleman diese gemeinen Kerle und steckt sie ins Kittchen.«

Da konnte ich ihr nur beipflichten. »Ich muss sagen, Scott Hampton versucht gar nicht erst, sich zu entlasten.«

»Kannst du den Fall nicht ablehnen?«, fragte Tinkie seufzend.

»Das habe ich schon versucht. Nur aus diesem Grund bin ich zu Ida Mae Keys gefahren. Geh du mit der alten Frau sprechen und schau, ob du ihr was abschlagen kannst.«

Tinkie schüttelte schwach den Kopf. »Warum hilft sie ihm?«

Darüber hatte ich während der Fahrt nach Hilltop ein wenig nachgedacht. »Ida Mae weiß, was im Anzug ist. Der Tod ihres Mannes könnte die gesamte Gemeinde wieder durch die Rassenfrage spalten, und sie will nicht, dass es so weit kommt, weil ihr Mann das nicht gewollt hätte. Mr Keys hatte einen Traum, dass Musik die Wunden beider Rassen heilen könnte.« Tinkie sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

Sie stellte den Kaffee auf die Theke und glitt neben mir auf einen Stuhl. »Also, erzähl mir von Scott Hampton«, bat sie. »Er ist unglaublich heiß. Wenn er Gitarre spielt, dann ist es, als würde er mit ihr schlafen.« Sie biss sich in die Unterlippe, sog sie ein Stückchen ein und ließ sie wieder hervorschnellen. Diese Gewohnheit Tinkies machte auch den selbstsichersten Mann zu einem sabbernden Idioten. Gelegentlich lieh ich mir dieses Gehabe aus, doch niemals könnte ich es je so perfekt ausführen wie sie. »Wie kam er dir vor, Sarah Booth?«

Ich rief mir seine Unverschämtheit und seine Herablassung ins Gedächtnis. »Er ist auf ganzer Linie ein Arsch«, antwortete ich. Mir war überhaupt nicht danach, seinen Sexappeal zu erwähnen oder zuzugeben, dass er mir ein wenig Angst eingejagt hatte.

Tinkie zog eine Augenbraue hoch, und ich konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Köpfchen summte. »Also, wie gehen wir vor?«, fragte sie.

Ich grinste. Tinkie war dabei. »Mit großer Vorsicht. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt etwas ausrichten können. Die Indizien belasten Hampton als Mörder. Trotzdem habe ich Mrs Keys versprochen, dass wir unser Möglichstes tun.«

»Ja, unser Möglichstes, aber ich stelle eine Bedingung.« Tinkies Gesichtsausdruck verriet, dass sie genau wusste, sie hatte mich in der Hand.

»Welche?«

»Ein alter Schulkamerad von Oscar ist heute Abend in der Stadt. Lass dich von ihm zum Abendessen ausführen.«

»Ein Bankier?« Ich hatte nichts gegen Bankiers.

»Ehemaliger Bankier. Heute unabhängiger Investor. Ich glaube, du wirst ihn interessant finden.«

Tinkie gab sich geziert, aber sie ahnte nicht, dass ich Verabredungen mit Unbekannten zufällig sehr gern mochte. Glücksspiel hat, soweit es Spielautomaten, Karten oder Bingo angeht, nie zu meinen Lastern gezählt, aber das gute alte Romantik-Roulette weckt immer wieder meine Neugier. Meiner Theorie zufolge kann ein Rendezvous mit einem Unbekannten in beide Richtungen verlaufen, aber ganz gleich wie es sich entwickelt, ich stehe nie mit leeren Händen da. Entweder verbringe ich einen netten Abend oder habe anschließend eine gute Geschichte zu erzählen.