Und führe uns in Versuchung - Carolyn Haines - E-Book

Und führe uns in Versuchung E-Book

Carolyn Haines

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Beschreibung

Cosy, humorvoll - Carolyn Haines!

Eulalee McBride hat ihren Ehemann ermordet - und bereut es nicht. Er war ein spielsüchtiger, gewalttätiger Taugenichts, und genau das soll Sarah Booth Delaney beweisen. Die Privatermittlerin hat eigentlich genug eigene Probleme, ist sie doch immer noch ledig und über 30, weshalb ihr Hausgeist Jitty sie am liebsten mit dem nächstbesten Mann verheiraten will. Doch Sarah beschließt, ihrer alten Freundin zu helfen - auch wenn Eulalee sie anlügt. Nach und nach setzt Sarah die Puzzlesteine des verwirrenden Falles aneinander, und plötzlich ergibt sich ein beängstigendes Bild: Ein gewiefter Killer geht um in Zinnia, Mississippi, und er steht kurz davor, erneut zuzuschlagen ...

Der dritte Fall der Cosy-Crime-Reihe mit Sarah Booth Delaney. Band 4: "Ein Jeglicher hat seine Sünde".

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Seitenzahl: 543

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Inhalt

CoverWeitere Titel von Carolyn HainesDie SerieÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungDanksagungen1234567891011121314151617181920212223242526272829Anmerkungen

Weitere Titel von Carolyn Haines

Witzige Cosy-Crime-Reihe – Sarah Booth Delaney ermittelt:

Band 1: Wer die Toten stört

Band 2: Kein Friede seiner Asche

Band 4: Ein Jeglicher hat seine Sünde

Band 5: Und leise tönt der Grabgesang

Band 6: Unselig sind die Friedfertigen

Atmosphärische Südstaaten-Romane (Einzeltitel):

Am Ende dieses Sommers

Das Mädchen im Fluss

Der Fluss des verlorenen Mondes

Im Nebel eines neuen Morgens

Die Serie

Sarah Booth Delaney ist eine unkonventionelle Südstaaten-Schönheit mit einem Problem: Ledig, über 30 und ohne Arbeit, steht sie kurz davor, Dahlia House, den von ihr bewohnten angestammten Familiensitz, zu verlieren. Obendrein wird sie von einem streitbaren Geist heimgesucht: Jitty, das einstige Kindermädchen ihrer Ururgroßmutter und nie um einen altklugen Ratschlag verlegen.

Durch Zufall wird Sarah Privatermittlerin und versucht nicht nur, ihre Geldprobleme, sondern fortan auch Kriminalfälle im Mississippi-Delta zu lösen. Unterstützung erhält sie dabei von ihrer Freundin Tinkie Richmond und der Journalistin Cece, die einmal ein Mann war. Ab den Bänden 2 und 3 gesellen sich Hund Sweetie Pie und Pferd Reveler zu ihr und sorgen für tierischen Beistand.

Klassische Spannung, trockener Humor und ein Ensemble charmant-schräger Charaktere machen die Cosy-Crime-Reihe um Sarah Booth Delaney so liebens- und lesenswert!

Über dieses Buch

Eulalee McBride hat ihren Ehemann ermordet – und bereut es nicht. Er war ein spielsüchtiger, gewalttätiger Taugenichts, und genau das soll Sarah Booth Delaney beweisen. Die Privatermittlerin hat eigentlich genug eigene Probleme, ist sie doch immer noch ledig und über 30, weshalb ihr Hausgeist Jitty sie am liebsten mit dem nächstbesten Mann verheiraten will. Doch Sarah beschließt, ihrer alten Freundin zu helfen – auch wenn Eulalee sie anlügt. Nach und nach setzt Sarah die Puzzlesteine des verwirrenden Falles aneinander, und plötzlich ergibt sich ein beängstigendes Bild: Ein gewiefter Killer geht um in Zinnia, Mississippi, und er steht kurz davor, erneut zuzuschlagen …

Über die Autorin

Carolyn Haines (*1953) ist eine amerikanische Bestsellerautorin. Neben den humorvollen Krimis um Privatermittlerin Sarah Booth Delaney hat die ehemalige Journalistin u.a. auch hochgelobte Südstaaten-Romane geschrieben, die auf sehr atmosphärische Weise die Mississippi-Gegend im letzten Jahrhundert porträtieren. Für ihr Werk wurde Haines mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Harper Lee Award. In Mississippi geboren, lebt die engagierte Tierschützerin heute mit ihren Pferden, Hunden und Katzen auf einer Farm im Süden Alabamas.

Homepage der Autorin: https://carolynhaines.com/

Carolyn Haines

Und führe uns in Versuchung

Sarah Booth Delaneysdritter Fall

Aus dem amerikanischen Englisch von Dietmar Schmidt

beTHRILLED

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2002 by Carolyn Haines

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Splintered Bones«

Originalverlag: Bantam Books

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: suns07butterfly | cristatus | MSSA | majivecka | AR Pictures | Eric Isselee

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-5644-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Jennifer Jones, Gloria Howardund Mitch Walch – wahre Reiter

Danksagungen

Nach nur zwei Dingen sehne ich mich schon mein ganzes Leben: Pferde reiten und Bücher schreiben zu können. An beidem arbeite ich noch.

Als Kind habe ich mir oft gewünscht, ich wäre in einer Zeit geboren, als Pferde noch lebensnotwendig waren und kein Luxus wie heute. Nun, da ich älter und weiser bin, habe ich begriffen, dass das Verhältnis zwischen einem Menschen und einem Pferd eine Gabe ist und als solche begriffen werden sollte.

Kein geringeres Geschenk ist die Freundschaft zu meinen Autorenkollegen im Deep South Writers Salon. Sie sorgten dafür, dass ich nicht die Geschichte aus den Augen verlor, die ich erzählen wollte. Vielen Dank an Reneé Paul, Stephanie Chisholm, Rebecca Barrett, Jan Zimlich und Susan Tanner.

Steve Greene angemessen für seine Hilfe zu danken, besonders für die Unterstützung und Ermutigung, die er mir zuteil werden ließ, wäre unmöglich. Seine Kenntnisse über die Arbeitsweise der Strafverfolgungsbehörden und sein Wissen über die menschliche Natur waren und sind für mich ein unersetzlicher Schatz. Er stellte mir die kniffligen Fragen, durch die Sarah Booth zu einem klügeren Mädchen wurde.

Meine Agentin, Marian Young, war von unschätzbarem Wert – als Leserin, als Unterhändlerin, als Stimme der Vernunft und als Freundin.

Kara Cesare und Kate Miciak bei Bantam Books machten es so vergnüglich, ein Buch zu verfassen und zu bearbeiten, wie nur möglich. Dank ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten ist dieser Roman ein besseres Buch geworden.

Einmal mehr verdient die künstlerische Abteilung bei Bantam Books hohes Lob. Jamie Warren Youll – Sie können wirklich was!

Mein besonderer Dank gilt Kinky Friedman, der mir großzügig gestattete, in diesem Buch eine seiner Romanfiguren und ihn selbst auftreten zu lassen.

Und auf jeden Fall muss ich meine vierbeinigen Gefährten und meine »makellosen« Pferde erwähnen, Miss ScrapIron, Mirage und Cogar. Das Äußere eines Pferdes ist in der Tat sehr gut für das Innere eines Menschen.

1

Warmer Ackerboden hat etwas an sich, das die Vergangenheit und die Zukunft mit der Gegenwart verbindet. Erde ist im wahrsten Sinne des Wortes weiblich. In ihr wurzelt das Leben. Sie verkörpert die Kraft des Weiblichen, den Beginn der Schöpfung. Für jedes Mitglied der Familie Delaney bilden Familie, Erbe und Land ein untrennbares Ganzes. Mir, Sarah Booth Delaney, der Letzten unseres alten Südstaatengeschlechts, verheißt der fruchtbare Boden des Mississippi-Deltas reiche Ernte und Wachstum: die Fruchtbarkeit, die mir verwehrt blieb – oder zumindest bislang verwehrt geblieben ist.

Fett und feucht fühlte sie sich an, die schwarze Erde. Ich wendete sie mit der Pflanzkelle. Gartenarbeit zählt nicht gerade zu meinen Steckenpferden; um genau zu sein, unternahm ich gerade meinen ersten Versuch. Mich hatten jedoch die Ausführungen eines Meistergärtners inspiriert, und an diesem Montagmorgen war die Verlockung der warmen Märzsonne einfach unwiderstehlich geworden. Unter meinen zarten Händen sollten zehn Tütchen diverser Kräutersamen üppig gedeihen. Gewiss war ich nicht Mutter Natur in persona, doch ich wollte eine ihrer Töchter werden.

Bei diesem neuen Unternehmen half mir mein Erbe. Zu Dahlia House gehört der beste Mutterboden auf der ganzen Welt. Hier wächst einfach alles. Und die Bücher des verstorbenen Lawrence Ambrose verrieten mir, was ich zu tun hatte.

Ich nahm eins der Plastiktütchen in die Hand. Ein Blick genügte, um festzustellen, dass Zitronenbasilikum-Samen darin waren. Ich hielt es hoch und bat die Sonne, ihnen Kraft zu schenken, auf dass sie zu einem mächtigen Strauch heranwüchsen, zu einem Godzilla unter den Zitronenbasilikumpflanzen! Während ich Samentütchen und Pflanzkelle in die Luft streckte, durchströmte mich die Macht einer Göttin des Gartenbaus. Welch einen Ertrag würde ich erzielen! Und niemals wieder müsste ich hungern!

»Mädchen, du hältst deine Schippe wie Xena, wenn sie gleich vom Blitz getroffen wird! Was is’ denn in dich gefahren, dass du hier draußen unter der heißen Sonne im Dreck wühlst, als wärst du ’ne Anwärterin für’n grünen Daumen?«

Ich senkte das geheiligte Gefäß der Basilikum-Samen und die Pflanzkelle und blickte in Augen, so braun wie Zartbitterschokolade, Augen, wie sie nur Jitty haben konnte, meine Gefährtin, meine Nemesis. Der Rest der Welt darf sich glücklich schätzen, denn Jitty plagt nur mich. Sie ist ein Gespenst – ein Gespenst aus längst vergangenen Tagen, eines mit einer herrischen Ader, die gut eine Meile breit ist.

»Ich lege einen Kräutergarten an, wenn du’s unbedingt wissen willst.« Ich kniete mich wieder auf den Boden und suchte nach dem Gefühl von Macht und Stärke, das sich aber restlos verflüchtigt hatte.

»Hol dir einen Sonnenhut! Du bist dreiunddreißig. Fast vierunddreißig. Wenn du dich in die pralle Sonne hockst, kriegst du ’ne Haut wie Krepppapier. Weißt du eigentlich, wie dein Nacken bald aussieht? Wie ’n Brathähnchen! Dir bleiben doch bloß noch ein paar gute Jahre. Du solltest dich wirklich so gut pflegen, wie du nur kannst!«

Jitty setzte sich auf einen umgedrehten Eimer. Ich hockte mich auf die Fersen und sah sie mir an. Ihre glatte Haut ließ an Milchschokolade denken, Hülle für einen Körper, der an genau den richtigen Stellen die richtigen weiblichen Kurven und Rundungen aufwies. Eine besonders angenehme Erfahrung ist der Tod wohl nicht, aber es hat schon seine Vorteile, ein Gespenst zu sein. Jitty würde niemals altern, während ich fett werden und zusammenschrumpeln würde – je nachdem, welches Stadium des Verfalls ich gerade erreicht hätte.

»Gartenarbeit tut mir gut«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass vernünftige Argumente bei Jitty nicht verfingen. Von einem einzigen Gedanken war sie besessen – ich sollte einen Erben für Dahlia House zur Welt bringen, damit sie, auch wenn ich »mal nicht mehr war«, auf der alten Plantage weiter spuken konnte. Im Moment allerdings gaben die Aussichten auf den Fortbestand der Linie nicht gerade zu irgendwelchen Hoffnungen Anlass.

»Gut tun würden dir ein paar Übungen in der Horizontalen.« Jitty nickte wissend.

»Lawrence schreibt, Gartenarbeit lindert den Stress und schenkt Zufriedenheit. Außerdem bekommen wir dadurch wunderbare Gewürze zum Kochen.«

Jitty zog eine zierliche Braue hoch. »Kochen? Was weißt du vom Kochen – du kannst doch nur Teekuchen mit Früchten backen, du Früchtchen, und du lockst auch nur Früchtchen damit an! Hör mir zu, Sarah Booth! Hör mir gut zu! Dir läuft die Zeit davon! Du solltest dir endlich ernsthaft Gedanken machen, wie du an ein Baby kommst, und das Gärtnern anderen überlassen.« Als sie aufstand, bemerkte ich zu meinem Entsetzen, dass sie eine ausgebeulte Trainingshose und ein T-Shirt trug. Meine Hose, mein T-Shirt. »Ich habe einen Plan«, sagte sie.

Worin immer er bestand, er konnte nur ein Anschlag auf meine Selbstachtung sein. »Nein!«

»Er ist wirklich gut.«

Nun bekam ich es mit der Angst zu tun. »Nein!«

»Hör ihn dir doch erst mal an! Diesmal habe ich an alles gedacht. Aus der Sicherheit von Dahlia House heraus ...« Sie drehte unvermittelt den Kopf. »Wir sprechen später darüber. Du bekommst Gesellschaft.«

Ehe ich aufstehen und weitere Einwände machen konnte, hörte ich ein Auto in die Zufahrt einbiegen. Statt vor dem Haus anzuhalten, fuhr der schnittige braune Streifenwagen bis auf den Hof, und Coleman Peters, der Sheriff von Sunflower County, stieg aus.

Hoch gewachsen und ein wenig schlaksig, trat Coleman näher und stellte einen Stiefel auf den malerischen Holzbalken, der mein Kräutergärtchen auf einer Seite begrenzte. Ich bemerkte, dass seine Stiefel zwar abgewetzt, aber poliert waren. So war Coleman. Er hielt seine Sachen in Schuss. Das mochte ich sehr an ihm.

»Da schau an, Sarah Booth, dich hätte ich zuallerletzt für eine Hobbygärtnerin gehalten.«

Ich erhob mich bedächtig und wischte mir dabei die erdigen Hände an der Jeans ab. »Ich habe Lawrence Ambroses Kräuterbuch gelesen. Er schreibt, es sei nicht weiter schwierig, Kräuter zu ziehen, und ich dachte, einen Versuch ist es wert.«

Colemans zweifelnde Blicke bewogen mich, noch einmal den Boden in Augenschein zu nehmen, den ich eigenhändig umgegraben hatte. Hier und da lugte tatsächlich noch Unkraut hervor.

»Ich soll dir etwas ausrichten«, sagte er. Seine blauen Augen waren hinter der Sonnenbrille verborgen, doch ich sah ihm trotzdem an, dass er schlechte Neuigkeiten hatte.

»Ich fühle mich geschmeichelt. Der höchste Gesetzeshüter von Sunflower County überbringt mir persönlich eine Nachricht«, entgegnete ich. »Ich bin ganz Ohr.« Meine bemühte Heiterkeit fiel allerdings auf ganzer Linie durch.

»Lee McBride sitzt unten im Gefängnis. Sie hat nach dir gefragt«, überbrachte er die Botschaft ohne jede Betonung.

Ich erinnerte mich lebhaft an Eulalee McBride, hatte dieses Bild sofort vor Augen: Mit wehendem roten Haar ritt sie einen kräftigen grauen Hengst. Wann immer ich sie sah, musste ich unwillkürlich an eine Wikingerprinzessin denken. Wir kannten uns seit der ersten Klasse.

»Was ist denn mit Lee?«, fragte ich so beiläufig, wie ich konnte.

»Sie hat gestanden, Kemper Fuquar ermordet zu haben, ihren Ehemann.«

Coleman benahm sich, als hätte er einen Gastauftritt in Polizeibericht. ›Bitte nur die Fakten, Ma’am.‹

»Sie hat ihren Mann getötet?« Wenn ein Daddy’s Girl schlechte Neuigkeiten wiederholt, möchte sie ihrem Gegenüber einen Hinweis darauf entlocken, welche Haltung man von ihr erwartet.

»Das hat sie gestanden.«

Ich setzte mich neben Colemans Stiefel auf den Baumstamm und versuchte, mir einen Reim darauf zu machen. Ich hatte Kemper Fuquar nie besonders gut leiden können. Er war stattlich, charmant und keinen Schuss Pulver wert. Gewiss, wenn er auf einem Pferd saß, sah er so kühn und elegant aus wie Zorro, doch war an dem Mann immer etwas Beunruhigendes gewesen. Ich hatte mit den Pferdenarren nichts zu schaffen und war Kemper darum nur selten begegnet. Bei den wenigen Gelegenheiten aber, da er in meine Nähe gekommen war, hatte ich mich jedes Mal nicht besonders wohl gefühlt.

»Lee hat gesagt, dass sie ihn getötet hat?«, fragte ich. Die Sonne brannte mir auf den Rücken, aber ich wollte mich nicht bewegen. Coleman musste ins Licht blicken, ein Vorteil für mich, den ich bitter nötig hatte. Colemans Steifheit hatte etwas zutiefst Bedrückendes an sich.

»Lee braucht einen guten Anwalt. Vielleicht kannst du ihr das klar machen. Sie kennt zwar ihre Rechte, aber sie scheint sie nicht in Anspruch nehmen zu wollen.«

»Hat sie es getan?«, fragte ich ihn.

Coleman schob die Sonnenbrille hoch und blickte mich endlich direkt an. »Über Schuld oder Unschuld zu befinden ist nicht mein Job. Dafür gibt es die Geschworenen.«

Nun wusste ich, dass ich mich auf dünnem Eis bewegte. Ich wusste nur nicht, warum. Coleman war mit Leib und Seele Polizist, aber er kannte Lee genauso lange wie ich. Und weil Lee sich schon immer für Pferde interessiert hatte und als Mädchen ein echter Wildfang gewesen war, war sie mit vielen Jungen eng befreundet gewesen – darunter auch mit Coleman.

»Lee hat den Mord gestanden?«, vergewisserte ich mich; ich zog mich auf eine sichere Position zurück, indem ich eine Frage stellte, deren Antwort ich schon kannte.

»Heute Morgen ist sie zu mir gekommen und hat sich gestellt.«

»Wie starb Kemper?«

Coleman räusperte sich. »Es war kein schöner Anblick. Sie sagt, sie habe ihm den Schädel eingeschlagen, aber das lässt sich nur schwer nachprüfen.«

»Eine Kopfverletzung scheint mir doch eine ziemlich eindeutige Verletzung zu sein.«

»Wenn die Leiche einem vierzehnhundert Pfund schweren Pferd unter die Hufe gekommen ist, ist nichts mehr eindeutig. Kemper hatte keinen einzigen heilen Knochen mehr im Leib, Sarah Booth.«

2

Das Bezirksgefängnis von Sunflower County liegt an der Ostseite des Courthouse. Dieser alte Flügel des Bezirksverwaltungsgebäudes besteht aus baufälligem roten Ziegelstein, beleidigt das Auge und erweckt keineswegs den Eindruck, als könnte er auch nur einen einzigen entschlossenen Schwerverbrecher an der Flucht hindern. Ich war schon einmal dort gewesen und wusste daher, dass es kein sonniger, lichter Ort war. Vielleicht deprimierte es mich deswegen so sehr, Lee auf der blau bezogenen Matratze sitzen zu sehen. Mit ihr hatte ich immer Sonne und Tatendrang in Verbindung gebracht, flammend rotes Haar und leuchtende grüne Augen. Die Frau in der Zelle hatte uns nicht kommen hören. Wie ein Häufchen Elend kauerte sie auf der Pritsche. Nach kurzem Zögern trat Coleman einige Schritte zurück.

»Eulalee«, sprach ich sie leise an. Ich wollte, dass sie uns rechtzeitig bemerkte. Augenblicklich straffte sie sich und wurde wieder zu der unbesiegbaren Wikingerprinzessin, einer schlanken jungen Frau, die auf ihr Erbe verzichtet hatte, um ihren Traum zu verwirklichen.

»Ich wusste, dass du kommen würdest, Sarah Booth. Ich habe kein Geld, und ich weiß, dass ihr Privatdetektive einiges kostet, aber sobald ich wieder raus bin, werde ich Geld verdienen. Nächstes Jahr bringt uns Avenger genügend Deckgebühren ein, damit Swift Level endlich schwarze Zahlen schreibt.« Sie zögerte für einen Sekundenbruchteil. »Kannst du so lange warten?«

Ihre Augen verrieten Sorge und Resignation. In den vergangenen Jahren hatte ich sie nur selten getroffen, aber ich erinnerte mich, dass sie so gut wie jedes Mal irgendeine Blessur auskurierte. Pferde sind gefährliche Tiere. Selbst wenn sie nur spielen wollen, können sie einem Menschen ernsthafte Verletzungen beibringen.

»Geld spielt keine Rolle«, log ich. Geld spielte für mich immer eine Rolle, denn nur durch Winkelzüge und Gaunereien hatte ich Dahlia House halten können. Dennoch war ich mehr als nur ein wenig erstaunt, dass Lee so unverhohlen zugab, in einer Finanzmisere zu stecken. Sie betrieb auf Swift Level ein Gestüt in großem Stil, und außerdem hatte dort ein höchst mondäner Jagdclub seinen Sitz, der sich Chesterfield Hunt nannte. Während der Jagdsaison quoll Cece Dee Falcons Gesellschaftsspalte über von Schilderungen, wie elegant und makellos dieses Anwesen mit seinen schneeweiß getünchten Zäunen doch sei. Fuchsjagden wurden veranstaltet, üppige Jagdfrühstücke abgehalten, Jagdbälle, Jagdsegnungen – all das musste Unsummen verschlingen.

»Geld ist hier nun wirklich nicht das Problem«, warf Coleman ein. Er war vorgetreten und sprach nicht etwa zu Lee, sondern zu mir. »Das Problem besteht darin, dass Lee die Tat gestanden hat. Du kannst ihr nicht helfen, solange sie behauptet, ihn getötet zu haben, Sarah Booth.«

Lee bedachte ihn mit einem langen, mitfühlenden Blick. »Ich wäre gern mit Sarah Booth allein«, sagte sie.

»Dann sprich wenigstens mit ihr, Lee, und halte danach den Mund! Und besorg dir einen Anwalt. Einen guten. Boyd Harkey wäre –«

»Ich will keinen Anwalt! Ich komme allein zurecht. Außer Sarah Booth brauche ich niemanden. Wenn sie mir hilft, reicht das völlig.«

Coleman zog die linke Braue hoch, und überhaupt sprach sein Mienenspiel Bände. Er entgegnete jedoch nichts, sondern drehte sich um und verließ den Zellentrakt. Lee und ich waren allein.

»Ich habe ein scheußliches Schlamassel angerichtet«, sagte sie. Kaum hatte Coleman die Tür hinter sich geschlossen, hatte sie die Schultern sinken lassen. Nun erst bemerkte ich, wie ausgezehrt sie wirkte. Ich kannte sie nicht anders als schlank, doch noch nie war ihr Körper so mager gewesen, dass es aussah, als könnten ihre Schulterblätter jeden Moment durch die Bluse stechen.

»Willst du mir davon erzählen?«

»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Kaum etwas Wesentliches jedenfalls. Im Moment geht es mir nur um Kip.« Sie biss sich so fest auf die Lippe, dass diese ganz weiß wurde, und nur mit enormer Willenskraft hielt sie die Tränen zurück. »Ich weiß vor Sorge weder ein noch aus. Würdest du dich um sie kümmern, bis ich wieder auf freiem Fuß bin? Ich weiß, ich verlange viel von dir. Sie ist ein schwieriges Kind. Aber auch klug. Zu klug, fürchte ich manchmal. Und sie hat einiges durchgemacht. Viel zu viel für ein Mädchen in ihrem Alter. Bitte, Sarah Booth, nimmst du sie für eine Weile zu dir?«

»Sie soll bei mir wohnen?« Ich war nicht gerade als fürsorglich bekannt.

»Nur für kurze Zeit.«

»Und deine Eltern ...«

»Für die bin ich tot.«

Ich hatte gehört, dass Lee und ihre Eltern sich entfremdet hätten. Der Stadtklatsch wollte wissen, dass die McBrides ihre Tochter enterbt hätten, kurz nachdem sie aus Lafayette, Louisiana, nach Zinnia zurückgekehrt war – schwanger und mit Kemper verheiratet. Gleich nach Kips Geburt siedelten Auralee und Weston McBride nach Italien über. Seit vierzehn Jahren waren sie nicht mehr in Zinnia gewesen, und man munkelte, sie hätten sich geweigert, ihr einziges Enkelkind auch nur anzusehen.

Lee schien ihre ganze Aufmerksamkeit dem Zellenboden zu widmen, der aus schmutzig-grauem Beton gegossen war. »Kip braucht jemanden, der auf sie Acht gibt. In vielerlei Hinsicht ist sie ein ganz einzigartiges Kind. Sie ist über sehr viele Dinge zornig.«

»Ich verstehe überhaupt nichts von Kindern, Lee.«

Endlich sah sie mich an. »Das würde dir bei Kip auch nichts nützen. Sie ist alles andere als ein Durchschnittsteenager.« Unruhig ging sie ans gegenüberliegende Ende der Zelle.

Den Babysitter für eine Halbwüchsige zu spielen – so hatte ich mir den weiteren Verlauf meiner Karriere als Privatdetektivin nicht gerade vorgestellt. Ich wollte schon ablehnen, als Lee weitersprach.

»Außer dir traue ich es niemandem zu. Kip braucht jemanden, an dem sie sich reiben kann. Jemanden, der sich von ihr weder überfahren noch manipulieren lässt. Du kannst sie bändigen, Sarah Booth. Tust du mir den Gefallen?«

»Okay. Jetzt erzähl aber, was passiert ist«, sagte ich, froh, wenigstens vorerst das Thema wechseln zu können.

Lee zuckte mit den Schultern. »Kemper und ich haben uns gestern Nacht furchtbar gestritten. Er war betrunken und hat mich geohrfeigt.« Sie wandte mir den Rücken zu und blickte zur Wand. »Das war immer das Vorspiel zu einer richtigen Abreibung. Erst ein paar Ohrfeigen, dann kam zweierlei in Betracht: Sex oder Prügel. In letzter Zeit hat es Kemper allerdings mehr Spaß gemacht, mich zu schlagen, als mich zu bumsen.«

Abrupt drehte sie sich wieder zu mir herum, und ich wäre fast vor dem gehetzten Ausdruck in ihrem Gesicht zurückgeschreckt. Schatten schienen in ihren Augen zu tanzen. Sie hob die Schultern. »Ich war im Pferdestall. Kip hatte mir gesagt, dass bei Avenger an einem Hufeisen ein Nagel locker sei. Da Kemper betrunken und schlecht gelaunt war, wollte ich ihm aus dem Weg gehen. Er kam nur selten in den Stall für die Hengste. Er verabscheute Avenger aus tiefsten Herzen, was Avenger mit gleicher Inbrunst erwiderte.«

Ihre Stimme zitterte, aber sie sprach weiter. »Ich hielt Avengers Vorderhuf in der Hand. Der Nagel musste abgekniffen werden; ich hätte den Hufschmied rufen müssen, damit er das Eisen neu befestigt, aber das ging erst am Morgen. Es war zu gefährlich, den Nagel dranzulassen, also habe ich die Kneifzange genommen und wollte gerade den Kopf abknipsen.«

Sie befeuchtete sich die Lippen. »Da wurde Avenger ganz steif, und als ich den Kopf hob, stand Kemper im Stallgang. Er ging zur Wand und nahm sich eine Reitgerte. Und dann erschien dieses Grinsen auf seinem Gesicht. Der Hundesohn blickte mich an und grinste, wie er immer gegrinst hat, wenn er brutal wurde. ›Komm her‹, sagte er. ›Dich prügle ich durch, dass du dem Tod gerade noch von der Schippe springst, und wenn ich mit dir fertig bin, dann nehme ich mir den Gaul vor.‹«

Sie wandte sich plötzlich ab und kehrte mir das Profil zu, während sie weitersprach. »Avenger stand kurz davor, völlig durchzudrehen, deshalb bin ich raus aus der Box und auf den Gang. Kemper hat angefangen, mir mit der Gerte auf den Rücken zu schlagen. In den letzten Wochen war er immer gemeiner geworden, aber diesmal hat er sich aufgeführt, als wollte er mich umbringen.« Sie massierte sich mit einer Hand die Stirn und verbarg dann die Augen. »Ich schäme mich so sehr, dass du erfährst, was für ein Leben wir geführt haben. Es war unerträglich.«

»Wie ist es weitergegangen, Lee? Du musst mir die Wahrheit sagen – alle Einzelheiten, an die du dich erinnerst!«

»Ich bin vor Kemper in Avengers Box geflohen. Kemper fürchtete sich vor ihm. Der Hengst hat ihn wirklich gehasst, und ich dachte, wenn ich erst in Avengers Box bin, wird Kemper mich in Ruhe lassen. Avenger stieg und schlug mit den Vorderhufen durch die Luft, er trat gegen die Wände. Ich weiß noch, wie furchtbar die Türangeln gekreischt haben, und ich fragte mich, weshalb Bud nichts von dem Tumult hörte, warum er nicht herunterkam. Später fand ich heraus, dass er eine Verabredung gehabt hat.«

»Bud?«

»Unser Trainer.« Sie hob kurz den Kopf. »Sarah Booth, das geht nun schon so lange so, du kannst es dir nicht einmal ansatzweise vorstellen.«

Wie Recht sie hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Eulalee McBride, so wie ich sie von der Highschool kannte, sich von irgendeinem Mann auch nur mit den Fingerspitzen misshandeln ließ. Lee hatte ihren Eltern getrotzt, der Schule und jedem, der versuchte, sie auf irgendetwas festzulegen, was ihr nicht gefiel. Ich konnte kaum fassen, dass sie länger als fünf Sekunden bei einem Mann wie Kemper geblieben sein sollte.

»Du bist also in Avengers Box gegangen«, soufflierte ich.

Sie nickte und erzählte weiter. »Kemper war so wütend, dass er mir in die Box gefolgt ist. Er war außer sich. Ich habe ihn noch nie so unbeherrscht erlebt. Jedenfalls, Avenger ist auf ihn losgegangen.« Sie schluckte und atmete tief durch.

»Weiter«, drängte ich.

»Kemper hat mich bei den Haaren gepackt und mit der Gerte auf mich eingeprügelt. Ich konnte mich befreien, aber er ist mir nach, ich war schneller. Ich bin ausgewichen und habe ihm ein Bein gestellt; er ist gestürzt und mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Betrunken, wie er war, hat er sich im ersten Moment nur stöhnend in den Sägespänen gewälzt. Avenger tänzelte und hat mit den Hufen gestampft.« Endlich blickte sie mir in die Augen. »Ich versuchte, aus dem Stall rauszukommen, aber Kemper hat mich am Fußgelenk gepackt. Er hat versucht, mir die Beine wegzuziehen. Das war zu viel. Ich hatte noch immer die Kneifzange in der Hand und schlug zu. Ich habe sie ihm mit aller Kraft über den Schädel gezogen.«

Bis zu diesem Moment, wo sie mir schilderte, wie sie ihm den Schädel einschlug, hatte ich die Hoffnung genährt, Kempers Tod könne ein Unfall gewesen sein. Ich schob die Hand durch die Gitterstäbe und berührte Lee am Arm. »Hast du das Coleman genauso erzählt?«

»Jedes Wort.«

»Du brauchst einen Anwalt, Lee. Einen guten.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich will aber keinen. Ich werde mich selbst verteidigen.«

Lee war schon immer eigensinnig gewesen. Sie hatte sich geweigert, die Ole Miss zu besuchen, die Traditionsuniversität des Mississippi-Deltas, und der Phi My beizutreten, der angestammten Studentinnenverbindung der Familie McBride. Als Lees Eltern ihr daraufhin das Collegegeld strichen, packte sie ihre Sachen und stieg in einen Bus nach Lafayette, Louisiana. Sie beschaffte sich ein Stipendium und einen Job, und nach drei Jahren schloss sie die Technische Hochschule von Northwest-Louisiana mit einem Bakkalaureus in Tierzucht ab.

Obwohl meine Bekannten und ich uns einig waren, Kemper sei zwar charmant, aber trotzdem ein Lump und Halunke, schien Lee mit ihm glücklich zu sein. Sie hatten den alten Parker-Besitz renoviert und ihn Swift Level getauft. Dort begann Lee, Pferde zu züchten und einzureiten. »Und sie lebten fortan glücklich und zufrieden«, hätte die letzte Zeile ihrer Geschichte lauten sollen, nicht jedoch: »Er ruhe in Frieden«.

»Lee, Coleman hat Recht. Boyd ist vielleicht der Einzige, der dir noch helfen kann.«

»Du kannst mir helfen, Sarah Booth. Um deine Hilfe bitte ich dich.«

»Und wie soll ich dir helfen?«, fragte ich.

»Indem du allen Schmutz über Kemper ausgräbst, den du finden kannst. Ich habe es mir genau überlegt. Ich werde auf ›nicht schuldig‹ plädieren, und ich werde mich damit entlasten, dass Kemper den Tod verdient hatte. Mit deiner Hilfe kann ich eine Jury davon überzeugen. Wir können es schaffen!«

Ich sah das Feuer in ihren grünen Augen. Es war ihr ernst. »Das ist doch keine Entlastung«, erwiderte ich; ich musste mich an den Gitterstäben festhalten. »Solch eine Verteidigungsstrategie ist ganz fantastisch, wenn du es eilig hast, auf Nimmerwiedersehen im Gefängnis von Parchman zu verschwinden! Du solltest lieber auf Notwehr plädieren oder auf Totschlag im Affekt – Boyd schafft es vielleicht, dein Geständnis für ungültig erklären zu lassen!«

»Nein! Mein Geständnis gilt! Der Mistkerl hatte den Tod verdient, und das ist, womit ich vor den Richter treten werde! Ich bedauere nur, dass ich so lange damit gewartet habe. Wenn ich gewusst hätte, wie leicht es ist, hätte ich es schon vor Jahren getan.«

»Lee!« Ich griff durch die Gitterstäbe und hielt ihr den Mund zu. »Bist du wohl still! Wenn du so weiterredest, verbringst du den Rest deines Lebens im Gefängnis.«

Sie zog sich vor meiner Berührung zurück. »Ich kann eine Jury davon überzeugen, dass ich das Richtige getan habe, aber dazu brauche ich deine Hilfe. Ich kann keine Kaution zahlen, also komme ich nicht auf freien Fuß, sonst könnte ich selbst die nötigen Beweise sammeln. Übernimm das für mich, und gib auf Kip Acht!«

Ich ängstigte mich ernsthaft um Lee. In diesem Moment erinnerte sie mich an Johanna von Orléans, unmittelbar bevor man die trockenen Zweige zu ihren Füßen anzündet. »Hier geht es nicht darum, was für ein Dreckskerl Kemper war oder nicht! Hier geht es darum, dass jemand getötet wurde! Wenn du zugibst, dass du ihn getötet hast, weil er es verdiente, dann könnte man dich wegen vorsätzlichen Mordes verurteilen, Lee – darauf steht lebenslänglich.«

Sie kam an die Gitterstäbe und ergriff meine Hand. »Als ich in den Stall ging, hatte ich nicht vor, ihn zu töten, aber getan habe ich es dann doch. Wenn ich die richtige Jury bekomme, kann ich den Geschworenen darlegen, dass er mich jahrelang misshandelt hat und das Maß einfach voll war. So etwas hat es schon früher gegeben, und meine Krankengeschichte belegt, dass er mich geschlagen hat. Du findest meine Krankenblätter im großen Stall, im Aktenschrank.« Sie ging ans andere Ende der Zelle und blieb unter dem grellen Licht der Neonröhre stehen.

Wie mager sie war, hatte ich schon vorher bemerkt. Nun glitt mein Blick über ihren Rücken und ihr dünnes weißes Baumwoll-T-Shirt, unter dem sich der BH abzeichnete. Nicht die kleinste Strieme war zu erkennen, nicht die geringste Spur, dass man sie mit einer Reitgerte auf den Rücken geschlagen hätte.

Lee McBride log, dass sich die Balken bogen.

Schmucke Nebengebäude umgaben das Herrenhaus von Swift Level, die wie die Speichen eines Rades angeordnet waren, wobei das geschmackvolle alte Wohnhaus die Nabe bildete. Es ähnelte Dahlia House sehr, und wie Dahlia House stammte es noch aus der Zeit vor dem Krieg zwischen den Staaten, wie wir im Süden den Amerikanischen Bürgerkrieg nennen. Swift Level war zwar noch älter als mein Haus, aber besser gepflegt.

Die vordere Veranda war frisch gestrichen und gefegt. Blumenkübel mit leuchtend roten Geranien und rankendem Phlox setzten Farbtupfer vor die adretten, in makellosem Weiß gestrichenen Ziegelmauern.

Von den Ställen und Nebengebäuden waren einige neu, andere renoviert, alle aber strahlend weiß gestrichen, und alle hatten ein grünes Metalldach. Dahinter erstreckten sich saftige Weiden, und in der Ferne sah ich Pferde grasen. Ich brachte den Wagen zum Stehen und genoss eine Weile den Anblick. Lee hatte einen Traum Wirklichkeit werden lassen; genau dieses Anwesen nämlich hatte sie während des naturwissenschaftlichen Unterrichts entworfen, als wir in die achte Klasse gingen. Ich erinnerte mich daran, weil Lee im Gegensatz zu uns anderen, die wir alle unsere »Traumhäuser« skizziert hatten, eine Reihe architektonisch akkurater Grundrisse einschließlich Stallungen, Scheunen, Koppeln und Unterkünften für die Beschäftigten angefertigt hatte.

Ich wusste auch noch genau, was Tinkie Richmond, damals noch Tinkie Bellcase, zu Eulalees Zeichnungen sagte: »Das Mädchen ist verrückt. Sie interessiert sich weder fürs Tanzen noch für Jungen oder irgendwas anderes außer Pferden. Den Rest ihres Lebens wird sie mit Pferdemist an den Schuhen herumlaufen, und auf Schritt und Tritt wird sie Ärger verfolgen.«

Nun, Tinkie hatte sich als beinahe so medial begabt erwiesen wie eine andere meiner Freundinnen, Tammy Odom, heute besser bekannt als Madame Tomeka, Zinnias Antwort auf die Psychic Hotline, den heißen Draht ins Jenseits. Sobald ich wieder in Dahlia House war, musste ich Tinkie anrufen. Obwohl sie ein Daddy’s Girl reinsten Wassers war, war sie in der Detektivagentur Delaney meine Partnerin. Tinkie war meine erste Klientin gewesen und hatte bei meinem zweiten Fall ihre Treue und Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt. Als Ehefrau von Oscar Richmond, seines Zeichens Bankier und Geizhals, hatte ihr Wort vielleicht größeres Gewicht, wenn es darum ging, Lee zu überzeugen, lieber einen Anwalt hinzuzuziehen. Obwohl sie, wenn auch mit nachlassender Intensität, das Weibchen spielte, hatte Tinkie einen messerscharfen Verstand und konnte sehr überzeugend sein.

Ich folgte der Zufahrt sehr langsam und führte mir noch einmal meine beiden Ziele vor Augen. Hoffentlich fand ich die Krankenblätter, von denen Lee gesprochen hatte und die dokumentieren sollten, wie häufig sie verprügelt worden war. Wenn sie existierten. Größere Sorgen machte ich mir wegen meiner zweiten Aufgabe, dem vierzehn Jahre alten, immensen Erziehungsproblem, das sich als Lees Tochter maskierte.

Nach allem, was mir über Kip zu Ohren gekommen war, stand für mich fest, dass »schwierig« sie nicht einmal ansatzweise beschrieb, und ich hatte sie oft genug zu Gesicht bekommen, um zu ahnen, dass meine minimalen erzieherischen Fähigkeiten sich als mehr denn nur nutzlos erweisen würden. In einer Stadt mit weniger als zweitausend Einwohnern ist es schwer, eine große, schlanke Schönheit zu übersehen, die mit grimmiger, trotziger Miene und in schwarzen Lederklamotten herumläuft und sich das burgunderrot gefärbte Haar zu aufgestellten Stacheln modelliert. Der breite Lidstrich und der dick aufgetragene Lidschatten, den Kip bevorzugte, ließen sie eher wie neunzehn denn wie vierzehn aussehen, und ich hatte den Eindruck gewonnen, dass sie es darauf anlegte, für fünfundzwanzig gehalten zu werden.

Während ich an die Haustür klopfte, legte ich mir eine Ansprache zurecht. Ich hatte meine Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen, als Kip die Tür aufriss und mich wütend anfunkelte.

»Wenn Sie von ihr kommen, dann sagen Sie ihr, sie soll zur Hölle fahren!«

Das Mädchen wollte mir die Tür vor der Nase zuknallen, aber ich war schneller und hinderte sie daran. »Kip, ich muss mit dir reden.«

»Durch Reden kann man nichts ungeschehen machen. Sollen sie doch beide in der Hölle braten.«

Ich hatte mit einem Schock gerechnet, mit Trauer, eventuell sogar Zukunftsangst. Dass sie nun kein einziges dieser Gefühle an den Tag legte, empörte mich zutiefst. »Das Leben deiner Mutter steht auf dem Spiel, Kip.« Ich drückte die Tür auf und registrierte überrascht, mit welcher Vehemenz sie sich dagegenstemmte. Für eine leichenblasse, magersüchtige Bohnenstange war sie erstaunlich kräftig.

»Sie hat sich das selbst zuzuschreiben!« Kip zitterte vor Wut. »Das haben sie beide! Keiner von ihnen hat je an mich gedacht. Denen war nur wichtig, dass ich mache, was sie wollen, und auf einem Pferderücken sitze.«

»Es muss schrecklich für dich gewesen sein.« Ich bemühte mich nach Kräften, Kontakt zu diesem ... jungen Mädchen zu knüpfen. Immer wieder musste ich mir in Erinnerung rufen, dass sie erst vierzehn Jahre alt war. »Es tut mir sehr Leid um deinen Vater.«

»Ich brauche Ihr Mitleid nicht.«

Ich schaute ihr ins Gesicht, und sie erwiderte meinen Blick; trotzig forderte sie mich heraus, ihr doch ihre Empfindungen ausreden zu wollen. »Es tut mir trotzdem Leid«, sagte ich. »Ich kannte Kemper nicht sehr gut, doch meine Sorge gilt nun Lee. Wir sind alte Freundinnen, und sie hat mich um Hilfe gebeten. Um ihr helfen zu können, brauche ich deine Unterstützung.«

»Leck mich.« Sie drehte sich um und ließ mich stehen.

Es kostete mich all meine Beherrschung, um sie nicht bei ihrer hässlichen Stachelfrisur zu packen. Ich holte tief Luft. »Wo ist das Telefon?«

»Suchen Sie es sich doch selber«, sagte sie. Sie war schon auf der Treppe.

»Vielleicht möchtest du das Gespräch mithören. Ich rufe das Jugendamt an. Als Minderjährige kannst du nicht allein im Haus bleiben. Lee hatte mich gebeten, dich mitzunehmen, aber ich lege keinen Wert auf deine Anwesenheit in Dahlia House. Ich fürchte, du wirst in einem Heim oder einer wohltätigen Einrichtung untergebracht, bis man Pflegeeltern für dich findet.«

Sie blieb auf den Stufen stehen, ohne sich umzudrehen. Sie dachte über meine Worte nach, überlegte, ob ich wohl bluffte, und wog ab, ob es besser wäre, bei mir zu wohnen oder in einem Heim. Die Entscheidung fiel ihr nicht schwer.

»Das Telefon steht in der Bibliothek«, sagte sie und wandte sich langsam um. »Aber Sie brauchen es nicht.«

»Oh, das sehe ich anders«, sagte ich leise. »Ich habe deiner Mutter zwar versprochen, ihr den Gefallen zu tun und mich um dich zu kümmern, aber sie hat mir verschwiegen, dass du pampig, ordinär und überhaupt eine Nervensäge bist. Ich ziehe mein Wort zurück.«

Ich sah, wie sie plötzlich Angst bekam, und brauchte meine gesamte Kraft, um hart zu bleiben. Mir fiel ein, was meine Tante LouLane gesagt hatte, als sie nach dem Tod meiner Eltern zu mir nach Dahlia House zog, um mich großzuziehen: Sie sagte, die erste Begegnung mit einem Kind oder einem Tier entscheide, wie die Beziehung sich bis an deren Ende gestalte. Darum konnte ich es mir nicht leisten, dass diese Runde an Kip ging.

Sie holte tief Luft und dachte nach. »Ich will nicht ins Heim.«

»Also habe ich etwas, was du brauchst – ein Dach über dem Kopf ohne starre Regeln und Gemeinschaftsduschen.« Ich wartete, bis sie nickte. »Und du hast etwas, was ich brauche – Hilfe für deine Mutter.« Wieder schwieg ich, bis sie nickte. »Ich glaube, wir können uns einig werden, aber es wird dich etwas kosten.«

»Wie viel?«, fragte sie, und die Aufsässigkeit, die plötzlich in ihre grünen Augen zurückkehrte, erinnerte mich an Lee in ihrer Gefängniszelle.

»Du wirst unter meinem Dach höflich und anständig sein. Du wirst dich an ein paar Grundregeln halten müssen, die ich festlege, und du wirst mit mir zusammenarbeiten, um deine Mutter vor einer lebenslangen Gefängnisstrafe zu bewahren.« Ich hob die Hand. »Mir ist es egal, was du von deiner Mutter hältst. Du wirst mir helfen.«

»Ich brauche meine Musik und ein eigenes Telefon.«

Das war keine Bitte, sondern eine Feststellung.

»Du darfst Musik in Zimmerlautstärke hören, und du kannst die Telefonleitung benutzen, die ich für den Computer installieren ließ, solange ich sie nicht für die Arbeit brauche.«

Sie nickte. Widerwillig.

»Okay, dann hilf mir nun, die Akten über die Pferde zu finden«, sagte ich, denn auf keinen Fall wollte ich mir meine Erleichterung anmerken lassen. Ich hätte es niemals über mich gebracht, Kip dem Jugendamt zu übergeben. Lee hatte mein Wort, dass ich mich um Kip kümmern würde.

Sie stapfte an mir vorbei, überquerte die Veranda und marschierte die Stufen hinab. »Sie sind im großen Stall, im Büro.«

»Wann hast du reiten gelernt?«, fragte ich und schloss zu ihr auf. Einem noch weniger liebenswürdigen Kind war ich schon seit langem nicht mehr begegnet, aber sie war Lees Tochter, und ihr Vater war gerade getötet worden. Deshalb war es vielleicht nicht falsch, sie in ein Gespräch zu verwickeln.

Sie sah mich vernichtend an. »Bevor ich laufen lernte. Reiten, das ist mein Leben. Mehr interessiert Mutter nicht an mir, und meinen Vater auch nicht. Alles andere ist den beiden immer egal gewesen, ihnen geht es nur um die verdammten Pferde.« Sie streifte mich mit einem listigen, berechnenden Seitenblick. »Wissen Sie, wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann stelle ich mir manchmal vor, wie sie alle bei lebendigem Leib in ihren Ställen verbrennen.«

Sie beobachtete mich genau – sie hoffte auf eine schockierte, entsetzte Reaktion. Es gelang mir, ihr diesen Triumph zu versagen. Sie war ein raffiniertes, berechnendes kleines Ding; Wut und Hass beherrschten sie. Lee hatte nicht übertrieben, als sie sagte, jemand müsse auf Kip Acht geben. Mit einem zunehmend mulmigen Gefühl im Bauch folgte ich ihr.

In den Ställen roch es nach Zedernholz und Leder, und ich musste an die Reitstunden meiner Kindheit denken. Ich hatte gerade mit den ersten Hindernissprüngen begonnen, als meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen.

Kip führte mich zum größten Stall, den ein Längsgang in zwei Boxenreihen unterteilte. Während ich mich an das schwache Licht gewöhnte, wurden wir von leisem Wiehern und Schnauben begrüßt. Ich sah Kip von der Seite an und stellte fest, dass sie völlig ungerührt war. Sie ging an den Boxen vorbei, ohne den großartigen Tieren einen Blick zu gönnen.

Wenige Meter entfernt mistete ein älterer Mann eine leere Box aus. Er musterte mich lange und durchdringend.

»Schon gut, Roscoe, ich bleibe einen oder zwei Tage bei ihr. Sie ist eine Freundin von Mutter. Sie wird Mutter und alle Pferde retten.« Kip gab sich nicht die geringste Mühe, die Verachtung zu kaschieren, die sie für mich empfand.

»Miss Kip, Sie sollten so etwas nicht sagen«, mahnte Roscoe und lehnte sich auf die Harke. »Ich weiß, dass es Ihnen wehtut, aber Miss Lee geht’s nicht anders.«

»Wenigstens Vater hat das ganze Elend hinter sich.« Kip ging weiter, ob ich ihr nun folgte oder nicht.

»Hier ist nicht gerade die Freude zu Hause«, wandte sich Roscoe an mich. »Miss Kip ist kein schlechter Mensch, sie ist nur durcheinander. Und sie hat guten Grund dazu, wenn Sie mich fragen.«

Ich hätte ihn nur zu gern gefragt, doch Kip rief mir über den Gang hinweg zu: »Die Akten sind da drin«, und deutete auf einen Aktenschrank. »Alphabetisch sortiert.« Dann nahm sie eine Mistgabel und ging zu einer Box. »Ich habe jetzt zu tun.«

»Kip, ich glaube, heute kannst du die Arbeit mal sein lassen. Geh doch lieber und pack ein, was du mitnehmen möchtest.«

Sie lachte laut und gezwungen auf. »So läuft das hier nicht! Hier hindert einen nichts daran zu arbeiten, seine Pflichten zu erfüllen und Verantwortung zu übernehmen, absolut nichts. Tränken, ausmisten, auf die Weide führen, reiten, schleppen, füttern, rechen, jäten, anstreichen.« Sie spuckte jedes Wort förmlich aus, doch in dem Streifen Sonnenlicht, der durch ein Stallfenster fiel, blitzte in ihrem Auge eine Träne auf. »Ich frag mich nur eins: Wo nahm Mutter bloß die Zeit her, um ihm den Schädel einzuschlagen? Wir haben doch immer alle Hände voll zu tun.« Sie drehte sich um und stapfte an mir vorbei.

Die Aussicht, mit Kip unter einem Dach zu wohnen, bedrückte mich so sehr, dass ich überlegte, ob ich nicht doch irgendwie die Kaution für Lee würde aufbringen können. Ob Tinkie mir etwas Geld zuschießen würde? Ich seufzte, betrat das Büro und begann mit der Suche.

Lees Krankenakte war über fünf Zentimeter dick und befand sich genau dort, wo sie mir gesagt hatte. Ich überflog die Seiten. Im Laufe der letzten drei Jahre war Lee wenigstens fünfzigmal in die Ambulanz des Sunflower County Hospital oder in die Sprechstunden von Ärzten in der Nähe gekommen. Indem ich die Daten verglich, bemerkte ich, dass sich Kempers Angriffe auf seine Frau in immer kürzeren Abständen ereignet hatten und an Heftigkeit zugenommen hatten. Das Fehlen von Striemen auf Lees Rücken machte mir trotzdem Sorgen. Hätte sie vor Kempers Tod wirklich so heftige Schläge mit der Reitgerte erhalten, dann wären zumindest oberflächliche Wunden zurückgeblieben. Die medizinischen Beweise, dass sie in der Vergangenheit misshandelt worden war, wirkten auf mich unangreifbar. Warum hatte sie ihren Ehemann deswegen nicht schon längst angezeigt?

Mit den Krankenblättern konnten wir vor Gericht beweisen, dass Kemper seine Frau gewohnheitsmäßig misshandelt hatte, doch es blieb die Frage, weshalb Lee behauptete, Kemper hätte sie in der Nacht seines Todes verprügelt. Warum log sie? Und noch wichtiger: War Coleman klar, dass sie log?

Ich war so sehr in meine Lektüre vertieft, dass ich nicht hörte, wie jemand hinter mir ins Büro kam. Ich spürte ihn, bevor ich ihn sah; ich empfand das vage Prickeln, das sich einstellt, wenn man von jemandem angestarrt wird, und drehte mich um. An der Wand lehnte ein Mann, die Stiefel über Kreuz. Auch die Arme hatte er verschränkt. Ganz offensichtlich wartete er schon eine Weile.

»Wer sind Sie?«, fragte ich.

»Gute Frage. Warum sagen Sie mir nicht, wer Sie sind?« Scheinbar ohne einen Muskel zu bemühen, löste er sich von der Wand. Die Arme weiterhin verschränkt, trat er auf mich zu. Er hatte strahlende Augen, mit denen er mich von Kopf bis Fuß musterte.

»Sie gehören nicht zu den Ladys, die zum Reiten hierher kommen. Sie sind keine Verwandte, und Sie sind nicht von der Presse. Also, wer sind Sie?«

»Sarah Booth Delaney«, antwortete ich. »Ich bin eine Freundin von Lee.« Ich klappte die Akte zu und legte sie mir in den Schoß. »Und wer sind Sie?« Er trug Jeans, Cowboystiefel und ein schmutzverkrustetes Baumwollhemd. Seine Bewegungen waren anmutig und selbstsicher. Jemanden wie ihn hätte ich auf Swift Level nicht erwartet.

»Bradford Lynch, aber die meisten Leute nennen mich Bud. Hier auf Swift Level bin ich der Trainer.«

Ich hatte noch nie einen Mann gesehen, der sich so lässig hielt und dennoch stets einsatzbereit wirkte. »Sie sind also der Trainer?«, fragte ich. »Wohnen Sie auf Swift Level?«

Er lächelte zögernd. »Was sind Sie, eine Kriminalpolizistin?« Er musterte erneut meine Jeans und meine Hemdbluse. »Früher waren weibliche Cops gebaut wie Abwehrspieler beim Football.« Ich konnte seinen näselnden Akzent nicht recht einordnen.

»Sie verstehen sich gut darauf, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten. Wo wohnen Sie?«

Er zeigte auf eine Treppe am anderen Ende des Ganges. »Ich hab’ ein Apartment auf dem Dachboden.«

»Wo waren Sie letzte Nacht?«, fragte ich.

»Halten Sie mich für tatverdächtig oder nur für den Komplizen? Soll ich jetzt zugeben, dass ich ihm den Tod gewünscht habe?«

Seine schnodderige Art ging mir allmählich auf die Nerven. »Mir brauchen Sie keine einzige Antwort zu geben, aber Sheriff Peters wird alle Antworten von Ihnen bekommen, die er will. Vielleicht wäre es besser, wenn ich die Antworten als Erste höre.« Als ich den Kopf hob, sah ich Kip in der Tür stehen. Ihre Miene war völlig undurchdringlich. Sie starrte Bud Lynch in den Rücken.

Als hätte er ihren Blick gespürt, drehte er sich um. »Kip, bist du okay?«

Sie unterdrückte ein Schluchzen, fuhr herum und rannte davon.

Bud rannte ihr hinterher, und ich folgte ihm auf dem Fuße.

Kip hetzte durch den Stallgang, aber Bud holte rasch auf. »Kip!«, schrie er. »Warte doch mal!«

»Fahr zur Hölle!«, brüllte sie ihn über die Schulter an.

Ganz kurz, bevor er sie gepackt hätte, sah ich einen Rechenstiel aus einer Boxentür fallen. Bud stolperte mit seinen langen Beinen über die Stange und stürzte schwer zu Boden.

Er rollte sich ab und sprang auf. Eine Sekunde lang stand er nur da und keuchte, dann wandte er sich Roscoe zu. »Alter ...« Seine Stimme war zornig, doch dann sah er zu mir herüber. Langsam klopfte er sich die Hosenbeine ab.

»Lass sie in Ruhe«, sagte Roscoe. »Sie hat schon genug durchgemacht, und du und dein Flittchen sind nicht gut für sie.«

Bud wollte etwas erwidern, doch dann kehrte er Roscoe den Rücken und kam zu mir zurück. »Es war mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, aber ich habe jetzt mit den Pferden zu arbeiten. Uns stehen einige Turniere bevor, wichtige Turniere. Und da Lee in Haft sitzt und Kip fort ist, muss ich sämtliche Pferde allein trainieren.«

»Wo ...«, begann ich. »Woher wissen Sie, dass Kip –«

»Ich habe gehört, was Kip zu Roscoe gesagt hat.« Er drehte sich zu dem alten Mann um und rief ihm zu: »Roscoe, die Sägespäne können jetzt abgeholt werden. Kümmere dich darum. Und zwar sofort!«

Bevor Bud weggehen konnte, hielt ich ihn am Unterarm fest. »Wo waren Sie letzte Nacht?« Er blieb nicht stehen, und ich folgte ihm bis zum Büro.

Er drehte sich zu mir um, bevor er antwortete. »Ich war nicht allein. Die ganze Nacht nicht.«

»Sicherlich haben Sie Zeugen, die das bestätigen können?«

»Eine sehr zufriedene Zeugin.«

»Süß«, entgegnete ich. Gleich würde mir der Geduldsfaden reißen. »Ich brauche den Namen.«

Er durchschritt den Raum; dann erwiderte er endlich meinen Blick und hielt ihm stand. »Sind Sie wirklich eine Freundin von Lee?«

Ich nickte. »Wir kennen uns, seit wir sechs waren.«

Bei dieser Antwort gab er sein spöttisches Gehabe unvermittelt auf. »Kemper war ein grausamer Mistkerl. Er hätte wesentlich mehr leiden sollen. Es hätte bessere Möglichkeiten gegeben, das zu erledigen.«

Ich merkte mir den Satz, um später darüber nachzudenken. »Wann haben Sie von seinem Tod erfahren?«

»Lee hat es mir heute Morgen gesagt. Sie hatte schon den Sheriff angerufen.« Er zog die Brauen hoch. »Kein schöner Anblick.«

Seine Augen waren grau und hatten winzige goldbraune Flecken um die Iris. Meinem Blick standzuhalten machte ihm keine Mühe. »Könnten Sie vor Gericht aussagen, dass Lee von Kemper misshandelt worden ist?«, fragte ich.

Er zögerte. »Ich habe nie beobachtet, wie er sie geprügelt hat. Dazu war der Hundesohn zu schlau. Lee wollte nie zugeben, dass er ihr die Verletzungen zugefügt hatte. Wenigstens nicht mir gegenüber.« Er biss die Zähne zusammen. »Sie wusste genau, dass ich ihn dann fertig gemacht hätte.«

Auch diesen Satz merkte ich mir. »Haben Sie in der vergangenen Nacht etwas gesehen oder gehört, was für den Fall wichtig sein könnte?«, bohrte ich.

Er schüttelte den Kopf.

Der alte Mann, der die Box ausgemistet hatte, fiel mir ein. »Was ist mit Roscoe? Glauben Sie, er könnte etwas beobachtet haben?«

»Nein, das bezweifle ich«, sagte Bud. »Roscoe ist alt und kann kaum im Kopf behalten, was er an Arbeit zu tun hat. Sie können ihn natürlich selber fragen, wenn er von der Sägemühle zurückkommt. In einer Stunde müsste er wieder hier sein.«

So lange konnte ich nicht warten. »Ich melde mich wieder.«

Er tippte sich an den nicht vorhandenen Hut, eine Geste, die mehr nach Texas als nach Virginia gehörte. Endlich war es mir gelungen, sein Näseln einzuordnen.

»Wie lange arbeiten Sie schon hier, Bud?«

»Geht auf ein Jahr zu. Schwer vorzustellen, dass ein Cowboy Springpferde ausbildet, aber ich scheine ein Händchen dafür zu haben. Wenn ich ehrlich bin, tun die Pferde einfach gern, worum ich sie bitte.«

Irgendwie glaubte ich nicht, dass ihm nur Pferde eifrig jeden Wunsch von den Augen ablasen.

3

Kip warf ihren Matchbeutel auf den Boden des Zimmers, in dem sie schlafen sollte, und strich über den Betthimmel aus bestickter Gaze, den Tante LouLane so geliebt hatte. »Ganz schön etepetete.«

»Du wirst dich daran gewöhnen.« Ich hätte sie am liebsten sofort über Bud Lynch ausgefragt, aber Geduld bringt Rosen.

»Warum machen Sie nicht mehr aus dem Haus?«, fragte Kip, ging ans Fenster und blickte hinaus. »Jede Wette, dass es früher mal sehr schön gewesen ist.«

Zum ersten Mal hörte ich, wie ihr etwas wenigstens halbwegs Nettes über die Lippen kam. »Das war es auch, ehe meine Eltern umkamen.« Sie drehte sich zu mir um und blickte mich forschend an, ob ich sie etwa auf den Arm nehmen wollte. »Ein Autounfall. Ich war ungefähr in deinem Alter.« Bis zu diesem Moment war es mir gar nicht klar gewesen. »In letzter Zeit ist Geld ein bisschen knapp bei mir.«

»Geld.« Sie kehrte mir den Rücken zu und blickte wieder aus dem Fenster. »Ganz gleich, wie viel man davon hat, es reicht nie, und es ist das Einzige auf der Welt, was zählt.« Unvermittelt drehte sie sich wieder um und sah mich unschuldig an. »Wussten Sie, dass man für vierhundert Dollar in bar einen Killer kriegen kann?«

»Tatsächlich«, entgegnete ich und bemühte mich sehr, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Ich durchschaute zwar ihre Taktik, aber ich machte mir trotzdem Sorgen. In allem, was sie sagte, schien Gewalt das Leitmotiv zu sein. »Und wo?«

Sie winkte ab. »Wenn man weiß, wo man suchen muss, ist es nicht schwer, einen zu finden.«

»Und da würdest du Bescheid wissen?«, fragte ich mit einer Spur Skepsis.

»Ich bin gut im Nachforschen«, entgegnete sie unerschüttert. »Vierhundert Dollar. Natürlich kommt der Killer von hier. Aber trotzdem, die Zielperson ist tot, so oder so.«

Dabei wich sie meinem Blick aus, und ich fragte mich, ob sie mir absichtlich Angst einjagen wollte. Sie wanderte im Zimmer umher, blieb neben dem Bett stehen und fuhr mit der Hand über die Tagesdecke. »Kinder in meinem Alter töten die ganze Zeit Menschen.« Unversehens warf sie sich rücklings aufs Bett. »Ich wäre jetzt gern allein«, sagte sie. »Ich habe nachzudenken.«

Ich schloss die Tür und ging in mein Zimmer auf der anderen Seite des Korridors. Nein, Lee hatte nicht übertrieben.

Kip hatte ihren Radiorekorder und einen Karton CDs mitgebracht. Ich kannte keinen einzigen Interpreten, keinen einzigen Song, und rechnete mit dem Schlimmsten. Als ich meine Tür schloss, stand Jitty dahinter wie ein ungezogenes Kind, das beim Lauschen ertappt worden war.

»Wie lange?«, wollte sie wissen.

»Bis Lee auf freien Fuß gesetzt wird.«

»Das könnte Monate dauern!«

»Dessen bin ich mir bewusst.« Ich stieg über einige Kleidungsstücke, die auf dem Boden lagen, und fläzte mich ebenfalls aufs Bett. Kaum lag ich dort, hörte ich dieses eigenartige Klopfen unter dem Bett, beugte mich hinunter und stellte fest, dass sich Sweetie Pie, meine Red-Tick-Hündin, wie auch immer darunter verklemmt hatte. Sie konnte sich nicht rühren, nichts bewegen außer ihrem Schwanz, mit dem sie wild wedelnd auf den Boden klopfte. Sie war tatsächlich fest eingekeilt. »Wie schaffst du das nur?« Ich beugte mich noch weiter vor, packte sie bei den Hinterbeinen und zerrte sie frei.

»Wie willst du denn monatelang mit einer Halbwüchsigen unter einem Dach leben? Du hältst es ja keine zwei Stunden am Stück mit dir selber aus!« Jitty bedachte Sweetie Pie mit einem geringschätzigen Blick. Denn Jitty war nur eine Art Haustier willkommen: ein Mann.

»Das weiß ich nicht.« Ich wollte jeder Diskussion mit ihr aus dem Weg gehen. Zwar hatte ich Kip weder freiwillig noch zum Vergnügen zu mir genommen, aber nun war sie hier und würde bleiben, bis Lee sie abholen konnte.

»Sie redet gefährliches Zeugs«, sagte Jitty. »Ist da was dran?«

»Das weiß ich nicht.« Kip schaffte es, dass ich mich unbehaglich fühlte, auch wenn sie mir nicht direkt gedroht hatte. Sie träumte von verbrennenden Pferden und hatte herausgefunden, wie man Kontakt zu einem Killer herstellt. Obwohl ich das nicht gerade als normales Verhalten eines Teenagers bezeichnet hätte, bestand zu tatsächlicher Gewalttätigkeit ein himmelweiter Unterschied. Außerdem hatte sie gerade ihren Vater verloren, und ihre Mutter war wegen Mordes festgenommen. »Ich erinnere mich noch an die Zeit, als meine Eltern starben. Ich war so wütend. Jeder sagte, es sei ein Unfall gewesen. Als Tragödie bezeichneten sie es. Ich wusste nur, dass mir die beiden Menschen genommen worden waren, die ich mehr geliebt hatte als sonst etwas auf der Welt. Tante LouLane ...« Mich durchfuhr eine Welle der Dankbarkeit gegenüber meiner altjüngferlichen Tante. »Sie hat sich größte Mühe gegeben, und sie hat auch viel erreicht. Ich glaube, in mancher Hinsicht war ich Kip sehr ähnlich.«

»Sie ist oft in der Nacht auf dem Flur rumgelaufen, weil sie vor Sorge um dich nicht schlafen konnte«, stimmte Jitty zu.

»Ich betrachte es als Gelegenheit, an Kip ein bisschen davon wieder gutzumachen.«

»Aus den Augen lassen würde ich sie trotzdem nicht«, entgegnete Jitty. Sie wies auf die Zimmertür. »Vielleicht solltest du abschließen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Sie bereitet mir zwar Kopfzerbrechen, aber sie ist doch noch ein Kind.«

»Natürlich«, rief Jitty. »Sagt dir der Name Menendez irgendetwas?«

»Hör auf«, flüsterte ich. Jitty machte mir Angst.

»Und was war mit diesem Vierzehnjährigen unten in Pascagoula? Hat seine ganze Familie mit ’nem Baseballschläger massakriert. Oder denk an die beiden Schwestern, die ihre Mutter abgestochen haben. Oder –«

»Jitty!«, rief ich lauter, als ich gewollt hatte. Ich hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen und hören zu können, was Kip tat. Sie musste sich fragen, mit wem um alles in der Welt ich mich da stritt. »Seit wann sammelst du denn die Statistiken über Jugendkriminalität?«, fragte ich Jitty.

Sie schniefte. »Manchmal kann ich dir durchaus nützlich sein.« Sie wies auf den Computer. »Zum Beispiel, wenn ich dich erinnere nachzugucken, ob du eine E-Mail hast.«

Ich stützte mich auf einen Ellbogen und sah sie neugierig an. »Ich dachte, du hasst den Computer. Werkzeug des Teufels, so nennst du ihn doch immer?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Man muss mit der Zeit gehen. Autos mag ich auch nicht, aber sie erleichtern dir unbestritten das Einkaufen. Und wenn ich mir deine Taille so betrachte, dann zweifle ich nicht im Geringsten, dass in diesem Haus das Essen einen sehr hohen Stellenwert einnimmt.«

Ich stand auf und ging an den Pentium III, den ich mir jüngst gekauft hatte, weil er mir die Detektivarbeit erleichtern sollte. Perfekt damit umgehen konnte ich längst noch nicht, aber ich hatte schon einiges an faszinierenden Informationen entdeckt, während ich im Internet gesurft hatte. Auf dem Bildschirm blinkte das kleine Briefkasten-Icon.

»Dieser Tom Hanks und Meg Ryan, die haben sich ineinander verliebt, weil sie sich E-Mails geschrieben haben.« Jitty beugte sich über meine Schulter. »Du hast eine E-Mail!«

»Ich bin nicht Meg Ryan, und wir spielen in keinem Film mit.«

»Offensichtlich. Die Ryan sieht gut aus mit zerzaustem Haar.« Jitty schniefte. »Als du dich mit Tinkie zusammengetan hast, da hoffte ich doch tatsächlich, dass sie einen guten Einfluss auf dich hätte.«

Ich drehte mich zu ihr um. »Warum trägst du eigentlich meine Sachen?«

»Ich dachte, wenn ich dir vorführe, wie unmöglich man in diesen Plünnen aussieht, gehst du dir vielleicht einen schicken Jogginganzug kaufen.« Sie wies auf den Bildschirm. »Mach die Nachricht doch mal auf.«

»Denk nur eine Sekunde nach, Jitty. Selbst wenn ich mich im Internet verlieben würde, hättest du nichts davon. Cybersex läuft völlig ohne Beischlaf ab.« Ich war mehr als nur ein bisschen stolz darüber, dass mir diese spitzfindige Erklärung eingefallen war.

»Schätzchen, normale Leute benützen das Internet, um sich Hallo zu sagen, und dann machen sie Ort und Zeit aus, wo sie sich treffen. Sieht dir ähnlich, dass du auch noch den Beischlaf mit Hilfe des Computers ausüben willst.« Sie wies auf den Bildschirm. »Du hast eine E-Mail.«

Sehr verwundert über ihr plötzliches Interesse an der »Dämonen-Technik«, wie sie es nannte, bewegte ich die Maus, um die E-Mail zu öffnen. Einen Augenblick später hatte ich eine Nachricht von Cece Dee Falcon, der Gesellschaftskolumnistin des Zinnia Dispatch, auf dem Bildschirm. Cece hatte einen »lukrativen Auftrag« für mich. Manchmal schrieb ich für sie auf Honorarbasis den einen oder anderen Zeitungsartikel. Als Reporterin gelangte ich mühelos in die Nähe bestimmter Menschen, und das erleichterte, wie ich gelernt hatte, die Detektivarbeit oft beträchtlich. Cece bat mich, auf einen Kaffee bei ihr vorbeizukommen.

»Also, wie funktioniert das nun mit den E-Mails?«, fragte Jitty.

»Ich weiß es eigentlich gar nicht. Für mich ist nur wichtig, dass es funktioniert.« Sie beugte sich noch immer über meine Schulter. Obwohl sie genauso echt wirkte wie irgendeine andere meiner aufdringlichen Freundinnen, war Jittys Berührung nicht mehr als ein Hauch, nur ein Luftzug, der durch den Raum strich.

»Im Internet gibt es auch Singletreffs. Das war ganz groß in den Nachrichten.«

Ich drehte mich langsam zu ihr um. Plötzlich wurde mir klar, worauf sie hinauswollte. »So verzweifelt bin ich noch nicht.«

»Du lügst«, entgegnete sie gelassen.

»Weißt du eigentlich, wie viele Irre sich da draußen herumtreiben? Und was soll sie vom Lügen abhalten? Ich meine, wie soll ich ihre Angaben überprüfen, etwa, wenn sie schreiben, sie wären eins fünfundneunzig groß? Wahrscheinlich sind sie alle bloß eins fünfundfünfzig und leben noch bei ihrer Mutter.«

»Wen interessiert es, ob sie ’ne Trittleiter brauchen, solange sie sonst gesund sind«, erwiderte Jitty. »Wir haben ein neues Jahrtausend, Sarah Booth. Es geht nicht mehr ums Heiraten und ein glückliches Leben bis ans Ende deiner Tage. Heute geht es darum, global alle sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Zeig mir, wie man mit dem Ding umgeht.«

Ich fuhr den Computer herunter. »Niemals. Ich gehe jetzt und schaue, was Cece will«, sagte ich und stand auf. »Ich sage Kip, dass ich fort bin, aber du lässt sie nicht aus den Augen.« Mit diesem Auftrag dürfte Jitty zu beschäftigt sein, um sich weiter in meine Angelegenheiten einzumischen.

Cece wartete in Millie’s Café auf mich, und meine Partnerin Tinkie war bei ihr. Beide waren sie blond, hübsch und in eine der Familien vom alten Delta-Adel hineingeboren. Hier jedoch endeten ihre Gemeinsamkeiten auch schon. Tinkie war genauso, wie man es von einem Daddy’s Girl erwartete, nur fand ausgerechnet sie – sehr zum Bedauern des männlichen Teils der Familie –, dass ihr Leben allein von Geld und Sicherheit nicht ausgefüllt genug sei. Darum war sie meine Partnerin geworden.

Cece wiederum hatte früher einmal zu den Kandidaten für die Buddy Clubbers gehört, den Männern im Delta, denen das große Geld gehört. Eine Reise nach Schweden und eine ausgedehnte Hormontherapie hatten das Vermögen der Falcons erschöpft und aus Cecil eine Cece gemacht. Sie war eine von meinen wenigen vermögenden Freundinnen, die sich mit ihrem Reichtum tatsächlich ein gewisses Maß an Glück erkauft hatten. Für die meisten jedoch war das Geld zu einer Art Gefängnis geworden. Einem Gefängnis mit sehr hübsch eingerichteten Zellen allerdings, das muss ich zugeben.

»Hallo, Dahling«, sagte Cece. »Darling« so gedehnt auszusprechen, wie Cece es tat, war das Markenzeichen des verstorbenen Lawrence Ambrose gewesen; er hatte es ihr vererbt. Sie hauchte je ein Küsschen auf jede meiner Wangen. »Du siehst bezaubernd aus, Sarah Booth! Du hast ein oder zwei Pfund abgenommen, nicht wahr? Deine reizenden Pölsterchen fallen nicht mehr ganz so deutlich ins Auge.«

Cece besaß die schmalen Hüften eines Mannes und ließ keine Gelegenheit aus, mir das unter die Nase zu reiben. »Männer mögen es gerne etwas üppiger«, entgegnete ich und winkte Millie, der Besitzerin des Lokals, ebenfalls einer guten Freundin, mir einen Kaffee zu bringen.

Tinkie schmunzelte nur über uns. »Bring auch Milch für die Kätzchen«, rief sie Millie zu. »Wenn wir sie füttern, werden sie vielleicht friedlich!«

Diesen drei Frauen fühlte ich mich von allen Menschen in Zinnia am engsten verbunden. »Was ist denn los?«, fragte ich Cece. Ich hatte große Neuigkeiten, doch wollte ich die Bombe so effektvoll wie nur möglich platzen lassen.