Unselig sind die Friedfertigen - Carolyn Haines - E-Book

Unselig sind die Friedfertigen E-Book

Carolyn Haines

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Beschreibung

Sarah Booth Delaney und ein neuer Fall, der es in sich hat

Die junge Quentin McGee wurde brutal in einem Baumwollfeld ermordet. Die Liste der Verdächtigen ist lang, denn kurz vor ihrem Tod hat sie ein Enthüllungsbuch veröffentlicht, in dem die wohlgehüteten Geheimnisse vieler angesehener Familien verraten wurden. Aber welcher der Nachbarn würde deswegen einen Mord begehen? Sarah Booth Delaney beginnt zu ermitteln und stellt schon bald fest, dass der Fall sie persönlich betrifft. Denn einer der Verdächtigen ist Harold Erkwell, zu dem Sarah eine ganz besondere Beziehung hat ...

Der sechste Fall der Cosy Crime Reihe mit Sarah Booth Delaney. Noch mehr gemütliche Krimi-Reihen bei beTHRILLED: "Tee? Kaffee? Mord!" und "Tante Dimity".

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Seitenzahl: 452

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Inhalt

CoverWeitere Titel von Carolyn HainesDie SerieÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27

Weitere Titel von Carolyn Haines

Witzige Cosy-Crime-Reihe – Sarah Booth Delaney ermittelt:

Band 1: Wer die Toten stört

Band 2: Kein Friede seiner Asche

Band 3: Und führe uns in Versuchung

Band 4: Ein Jeglicher hat seine Sünde

Band 5: Und leise tönt der Grabgesang

Atmosphärische Südstaaten-Romane (Einzeltitel):

Am Ende dieses Sommers

Das Mädchen im Fluss

Der Fluss des verlorenen Mondes

Im Nebel eines neuen Morgens

Die Serie

Sarah Booth Delaney ist eine unkonventionelle Südstaaten-Schönheit mit einem Problem: Ledig, über 30 und ohne Arbeit, steht sie kurz davor, Dahlia House, den von ihr bewohnten angestammten Familiensitz, zu verlieren. Obendrein wird sie von einem streitbaren Geist heimgesucht: Jitty, das einstige Kindermädchen ihrer Ururgroßmutter und nie um einen altklugen Ratschlag verlegen.

Durch Zufall wird Sarah Privatermittlerin und versucht nicht nur, ihre Geldprobleme, sondern fortan auch Kriminalfälle im Mississippi-Delta zu lösen. Unterstützung erhält sie dabei von ihrer Freundin Tinkie Richmond und der Journalistin Cece, die einmal ein Mann war. Ab den Bänden 2 und 3 gesellen sich Hund Sweetie Pie und Pferd Reveler zu ihr und sorgen für tierischen Beistand.

Klassische Spannung, trockener Humor und ein Ensemble charmant-schräger Charaktere machen die Cosy-Crime-Reihe um Sarah Booth Delaney so liebens- und lesenswert!

Über dieses Buch

Sarah Booth Delaney und ein neuer Fall, der es in sich hat

Die junge Quentin McGee wurde brutal in einem Baumwollfeld ermordet. Die Liste der Verdächtigen ist lang, denn kurz vor ihrem Tod hat sie ein Enthüllungsbuch veröffentlicht, in dem die wohlgehüteten Geheimnisse vieler angesehener Familien verraten wurden. Aber welcher der Nachbarn würde deswegen einen Mord begehen? Sarah Booth Delaney beginnt zu ermitteln und stellt schon bald fest, dass der Fall sie persönlich betrifft. Denn einer der Verdächtigen ist Harold Erkwell, zu dem Sarah eine ganz besondere Beziehung hat …

Über die Autorin

Carolyn Haines (*1953) ist eine amerikanische Bestsellerautorin. Neben den humorvollen Krimis um Privatermittlerin Sarah Booth Delaney hat die ehemalige Journalistin u.a. auch hochgelobte Südstaaten-Romane geschrieben, die auf sehr atmosphärische Weise die Mississippi-Gegend im letzten Jahrhundert porträtieren. Für ihr Werk wurde Haines mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Harper Lee Award. In Mississippi geboren, lebt die engagierte Tierschützerin heute mit ihren Pferden, Hunden und Katzen auf einer Farm im Süden Alabamas.

Homepage der Autorin: https://carolynhaines.com/

Carolyn Haines

Unselig sind die Friedfertigen

Sarah Booth Delaneyssechster Fall

Aus dem amerikanischen Englisch von Dietmar Schmidt

beTHRILLED

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2006 by Carolyn Haines

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Bones to pick«

Originalverlag: Kensington Books

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: tratong | cristatus | MSSA | majivecka | Joanne van Hoof

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-5647-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

In Dahlia House spukt’s. Das ist nichts Neues für diejenigen, die mich und meine Familie kennen, aber wenn ich so wie heute, an einem dieser kalten Novembermorgen, beobachte, wie die Sonnenstrahlen die abgeernteten Baumwollfelder mit einem falschen Goldglanz überziehen, bin ich mir der Geister der Vergangenheit nur allzu bewusst. Ich nehme an, auf die eine oder andere Weise werden wir alle von Geistern heimgesucht, einige von uns allerdings mehr als andere.

In meiner Hast, in den frühen Morgenstunden zum Schauplatz eines Mordes zu gelangen, hatte ich versehentlich den Reisemantel meiner Mutter vom Haken neben der Hintertür gerissen. Nun stand ich über der Leiche einer dreiundzwanzigjährigen Frau und atmete den Duft meiner Mutter ein, der sich in den Falten ihres Mantels gefangen und über die Jahre bewahrt hatte. Ich hörte wieder wie damals, als ich zehn war, die Worte, mit denen sie mich über den Tod eines Haustiers hinwegtrösten wollte. »Der Tod kommt zu uns allen, Sarah Booth. Er ist nichts, was man fürchten oder worüber man verzweifeln müsste, nur eine weitere Reise, wie die Geburt. Das ist der Kreislauf des Lebens.«

Oh, wie hatte ich diese Sätze damals gehasst, inzwischen verabscheute ich sie nur noch. Zwei Jahre danach starben meine Mutter und mein Vater bei einem tragischen Verkehrsunfall. Ironischerweise verdiene ich heute meinen Lebensunterhalt mit dem Tod. Ich bin inzwischen eine Autorität in Sachen Mord unter den Amateuren, und ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Quentin McGee einem ganz abscheulichen Mord zum Opfer gefallen war, genau dort, auf diesem Baumwollfeld und in diesem Schlammloch.

Irgendwann während der Stunden, in denen der Vollmond am Herbsthimmel gestanden hatte, hatte jemand Quentin überwältigt und ihr Gesicht so lange in die dickflüssige Suppe aus fruchtbarer Delta-Erde gedrückt, bis sie erstickt war. Es war ein grausamer und schauriger Tod, und der Anblick der Leiche hatte mich zutiefst erschüttert. Also setzte ich mich nach meiner Rückkehr vom Tatort auf die Vorderveranda von Dahlia House, ungeachtet dessen, wie beißend kalt der Wind war, starrte auf meine Reitstiefel, die eine zentimeterdicke Schlammkruste aufwiesen, und dachte sehnsuchtsvoll an meine Mutter.

»Sarah Booth Delaney, was bläst du hier draußen Trübsal, so als ob deine beste Freundin mit deinem Mann durchgebrannt wär?«

Es war die Stimme von Jitty, dem Hausgespenst, meinem heimlichen Gewissen. Ich drehte mich zu ihr um und zuckte zusammen. Sie trug ein bodenlanges Kleid aus goldfarbener Seide mit einem so tief ausgeschnittenen Mieder, dass man die obere Hälfte ihrer Brustwarzen sehen konnte. Als ob das allein nicht schon ausgereicht hätte, hatte sie ihr Haar außerdem noch unter einer gepuderten Perücke aus weißen Löckchen versteckt, und ihre normalerweise leicht gebräunte Haut war so blass, dass ein Schönheitsfleck an ihrer Lippe sich in scharfem Kontrast davon abhob. »Wohin zum Kuckuck bist du denn unterwegs?«, fragte ich.

Jitty kam näher, und ich bestaunte ehrfürchtig, wie schön die Seide bei jeder Bewegung um ihren Körper floss. Sie runzelte die Stirn. »Das ist jetzt piepegal. Hier ist nur wichtig, wo du warst! Also, wo warst du? Schau dich doch nur an, wie du dasitzt: Es ist noch nicht mal ganz Tag, und du bist schon von oben bis unten mit Schlamm bespritzt! Was soll das werden? Willst du etwa bei einer Reality-Show mitmachen?!«

Die Geschichte meines Lebens. Ich war zwar nichts weiter als ein bisschen schmutzig, aber ich war diejenige, die Erklärungen abgeben musste! »Eine junge Frau, Quentin McGee, wurde letzte Nacht ermordet. Gordon Walters wollte gern, dass ich mir den Tatort ansehe, ehe die Leiche abtransportiert wird.«

»Sarah Booth, du wirst nie einen Mann finden, wenn du nicht genug schläfst! So kriegst du bloß Augenringe, und sonst nichts!«

Ich stand auf und sah Jitty an. Sie würde nie Augenringe bekommen. Sie war tot. »Was soll deine Aufmachung? Mir waren die Zwanzigerjahre lieber.«

»Die Wilden Zwanziger hab ich längst hinter mir! Ich bin auf dem Weg zu einem Ball.«

»Ich hoffe, die anderen kommen auch kostümiert!«

»Sarah Booth, du siehst vor dir mein neues Ich. Ich sehne mich nach einer Zeit, in der es noch gesellschaftliche Konventionen gab. Wir brauchen Regeln, Strukturen … Finesse! Die Menschen müssen endlich lernen, dass man Entscheidungen treffen und die Konsequenzen tragen muss!«

»Sollen sie doch lieber Kuchen essen!« Ich hielt diese Anspielung auf den Ausbruch der Französischen Revolution für witzig, aber Jitty warf mir einen Blick zu, von dem Milch hätte sauer werden können.

»Sieh dich doch nur mal um! Unser Land geht den Bach runter! Wenn es keine Regeln gibt, gibt es auch keine Werte mehr.«

»Und du glaubst, dass die Zeiten besser waren, in denen Könige nach Lust und Laune herrschten? Muss ich dich erst darauf hinweisen, dass du in diesem netten Marie-Antoinette-Aufzug geradezu perfekt angezogen bist für die Guillotine?« Jitty wechselte so rasch die Jahrzehnte und Ausstattungen wie Pendler die Vorortzüge. In dem einen Monat spielte sie ein Cosmopolitan Girl, im nächsten ging sie als kommende Märtyrerin. Heute ging sie mir vor allem auf die Nerven.

»Es muss eine herrschende Klasse geben! Selbst die Republikaner wissen das.«

Ich ließ eine Hand hinuntersausen wie ein Beil. »Ich hoffe, du hast dir einen hübschen Korb ausgesucht.« Ich fragte mich, ob nun Jitty oder ich im Geschichtsunterricht nicht richtig aufgepasst hatten. Ich hatte keine Zeit, darüber zu diskutieren. Ich sah, wie Tinkies waldgrüner Cadillac die geschwungene Auffahrt zwischen den kahlen Platanen heraufkam.

Sweetie Pie, meine kleine Jagdhündin, lag unter einem der Schaukelstühle auf der Veranda, und ich hörte, wie ihr Schwanz einen lebhaften lateinamerikanischen Rhythmus zu klopfen begann, als sie Tinkies Auto sah. Sweetie erhob sich, gähnte und trottete an mir vorbei auf den Rasen, um auf Chablis zu warten, Tinkies Staubwedel von einem Hund.

Der Cadillac hielt an, und Chablis wurde von ihrer Besitzerin aus dem Auto gehoben, ehe diese selbst ausstieg. Obwohl es gerade einmal sechs Uhr früh war, sah Tinkie aus, als wäre sie geradewegs den Seiten des Magazins Landadel entstiegen. Sie trug einen bernsteinfarbenen Cordrock und teure Stiefel, die ebenso sehr Stallduft wie Chic verströmten.

»Ist das wahr? Jemand hat Quentin McGee ermordet?«, rief sie und stürmte auf mich zu.

Ich nickte. »Es war ein schrecklicher Anblick.«

Sie legte mir einen Arm um die Schultern. Obwohl sie gut fünfzehn Zentimeter kleiner war als ich, schränkte das ihre Fähigkeit Mitgefühl zu zeigen, in der Senkrechten dennoch nicht ein. »Komm mit hinein, und ich mix uns beiden eine Bloody Mary! Wenn ein Sonntagmorgen so kalt ist wie heute, darf man sich ruhig einen genehmigen.«

Sie scheuchte mich hinein und zurück in die Küche. Sobald ich saß, bereitete sie zwei würzige Bloody Marys zu und drückte mir das eine Glas in die Hand. »Als ich deine Nachricht bekam, habe ich mich gewundert, warum Gordon Walters dich dazugeholt hat.« Sie blickte mich mit ihren blauen Augen durchdringend an.

Da hatte sie Recht. Gordon spielte im Augenblick den Sheriff von Sunflower County, weil der gewählte Sheriff, Coleman Peters, Urlaub hatte nehmen müssen, um seine verrückte-Schrägstrich-schwangere Ehefrau zu einem Seelenklempner und Geburtshelfer zu verfrachten. »Ich nehme an, Gordon versucht, möglichst alles richtig zu machen und nichts zu vergessen. Er überlegt sich jedes Mal, was Coleman an seiner Stelle jetzt wohl tun würde.«

»Das könnte für uns von Vorteil sein.«

Ich fühlte Tinkies scharfen Blick auf mir ruhen. Sie wartete auf meine Reaktion, aber ich weigerte mich, eine zu zeigen. Erst im vergangenen Monat hatte ich mich in der unangenehmen Situation befunden, mich zwischen Coleman, dem Sheriff, und dem wohlhabenden und gut aussehenden Hamilton Garrett V. entscheiden zu müssen. Ersteren liebte ich vergeblich, Letzteren möglicherweise. Ich hatte den Schlamassel nur noch schlimmer gemacht und meine Chancen bei Hamilton verspielt. Und das, obwohl ich bei Coleman nie wirklich eine Chance gehabt hatte; schließlich war er verheiratet. Verrückte Frau hin oder her – er fühlte sich an sein Eheversprechen gebunden. Tinkie sah mich an, als ob ich meinen heiligen Eid, mir Coleman aus dem Kopf zu schlagen, schon wieder vergessen würde.

»Dass Gordon mich um vier Uhr morgens aus dem Bett geholt hat, könnte für uns von Vorteil sein – falls du glaubst, sich den Hintern auf einem Baumwollfeld abzufrieren, wäre eine gute Sache. Wir haben keinen Klienten in diesem Fall.«

»Aber vielleicht zeigt sich ja doch noch einer, und dann warst du jedenfalls gleich von Anfang an an dem Fall dran.« Tinkie ging zum Kühlschrank und holte Speck, Eier, steif geschlagene Sahne und Brot heraus. »Ich bin am Verhungern, und Oscar ist bestimmt zum Club gefahren, um mit Harold und den Jungs zu frühstücken. Ich glaube, sie wollen eine Runde Golf spielen. Das heißt, wir haben den ganzen Vormittag Zeit, um herauszufinden, was mit Quentin McGee passiert ist.« Sie schob mir mit fragend hochgezogenen Brauen die Lebensmittel hin.

Gehorsam begann ich also für Tinkies Lieblingsfrühstück, French Toast, Eier mit Milch und Sahne zu verquirlen.

Tinkie hockte auf ihrer Stuhlkante. »Wie ich hörte, gab es einen ziemlichen Aufruhr im Buchladen gestern. Alle reden über Quentins Buch, und als sie nachmittags zur ihrer Signierstunde gegangen ist, gab es kein einziges Exemplar mehr im Laden. Irgendjemand hatte alle aufgekauft und sie in der Gasse hinter dem Bücherwurm verbrannt.«

Das war allerdings ein heftiges Ding. »Muss ja ein heißes Buch sein«, sagte ich. »Allein der Titel, König Baumwolle blutet, hat mir gereicht, um einen Bogen darum zu machen.«

»Quentin hat Namen genannt. Und dazu einiges an ziemlich schmutziger Wäsche gewaschen! Sie hat sogar gesagt, wer einen rechtmäßigen Anspruch darauf hat, sich zu den Vereinten Töchtern der Konföderation zu zählen und wer nicht.«

»Glaubst du wirklich, so was spielt heute noch eine Rolle?« Tinkie war meine Verbindung zur Welt der feinen Gesellschaft und der vornehmen Abstammung.

»Da kannst du Gift drauf nehmen! Das Buch ging weg wie warme Semmeln.«

»Quentin war so jung.« Ich dachte darüber nach, wie ich sie hatte liegen sehen. »Warum sollte sie ein solches Buch schreiben? Gordon sagte, sie hätte sogar ihre eigene Familie angeschwärzt.«

»Und jeden anderen im Delta gleich mit.« Tinkie reichte mir die Sahne. »Die Familie McGee nimmt einen breiten Raum im Buch ein, und ich wette, sie jaulen vor Schmerz. Wenn du nach einem Motiv suchst, solltest du bei denen zuerst vorbeigehen.«

»Es irritiert mich trotzdem.« Ich stand auf und legte den Speck in die Pfanne.

»Wenn der Bücherwurm wieder Nachschub bekommt, kaufe ich dir ein Exemplar!«, meinte Tinkie. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, meins ganz durchzulesen, aber Quentin hat ganze Arbeit dabei geleistet, Schmutz aufzuwühlen.«

Während der Speck in der Pfanne vor sich hin brutzelte, drehte ich mich zu ihr um. »Das geht mir gegen den Strich! Irgendwann kommt die Zeit, wo man Vergangenes ruhen lassen sollte. Es immer und immer wieder durchzukauen, ist nicht fair.«

Tinkie begann Brotscheiben in den Teig zu tunken. »Ich schätze …«

Das Klingeln des Telefons unterbrach sie. Ich klemmte den Hörer unters Kinn, während ich mich wieder dem Speck widmete. »Hallo?«

»Sarah Booth Delaney?« Die Stimme am anderen Ende war männlich, kultiviert und Oberklasse.

»Am Apparat.«

»Hier spricht Humphrey Tatum.« Kleine Pause. »Von Tatum’s Corner.«

Ich kannte den Ort und vermutete, mein Anrufer müsse Mitglied der Gründerfamilie sein. »Was kann ich für Sie tun?« Ich setzte nicht hinzu: »Um Viertel vor sieben in der Früh?«

»Meine Schwester, Allison Tatum, ist wegen des Mordes an Quentin McGee verhaftet worden. Ich würde Sie gern engagieren, um Al beizustehen. Sie wird alle Hilfe brauchen, die sie bekommen kann.«

Ich legte meine Hand über die Muschel und bedeutete Tinkie, den Anschluss im Nebenzimmer zu benutzen. »Einen Augenblick bitte, bis meine Partnerin mithören kann!« Als ich Tinkie hörte, bat ich ihn, alles zu wiederholen, und fragte dann: »Mr. Tatum, warum kommen Sie nicht nach Dahlia House? Ich glaube, es wäre besser, wenn wir persönlich miteinander sprächen. Sagen wir acht Uhr?«

»Ich werde da sein.«

Tinkie wusch das Geschirr ab, während ich duschte und mich anzog. Als ich wieder nach unten kam, hatte sie unser Büro aufgeräumt. Ich dachte nicht zum ersten Mal, dass, hätte ich die Wahl gehabt, diese nie auf Tinkie Bellcase Richmond gefallen wäre, dieses reiche und verwöhnte Daddy’s Girl, als ich nach einer Partnerin für meine Detektivagentur gesucht hatte, und wie absolut falsch ich damit gelegen hätte. In dem Jahr, in dem wir jetzt zusammenarbeiteten, hatte Tinkie mir mehr als einmal das Leben gerettet, und sie war die loyalste, zuverlässigste Freundin, die sich eine Frau nur wünschen konnte.

»Alles in Ordnung so?«, fragte sie, während sie mir den Recorder reichte, den sie mit einer neuen Kassette und frischen Batterien versehen hatte.

»Besser als in Ordnung. Du bist die Beste, Tinkie!«

Sie errötete reizvoll, dann warf sie mir einen Seitenblick zu. »Du wirst mich auch dann nicht dazu bringen, zu diesem Arzt zu gehen, wenn du mir Honig ums Maul schmierst.«

Tinkies Knoten in der Brust war ein ernsthafter Streitpunkt zwischen uns. Ich seufzte. »Ich werde es nicht mit dieser Taktik versuchen. Ich werde dich betäuben, fesseln und dich dahin schleppen. Du musst diesen Knoten untersuchen lassen!«

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht nötig.«

Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für einen ausgewachsenen Streit mit Tinkie. Für jemanden, der in den Händen eines Mannes wie Wachs ist, konnte sie manchmal sturer sein als ein Maulesel. Ehe ich ihr noch die Notwendigkeit auseinandersetzen konnte, ihren Knoten untersuchen zu lassen, fuhr ein silbergrauer Jaguar vor dem Haus vor. »Da kommt unser Klient.« Humphrey Tatum war, wie sich jetzt herausstellte, ein ausgesprochen gut aussehender Mann.

Wir beobachteten, wie er die Milchglasscheibe mit der Aufschrift DELANEYDETEKTIV-AGENTUR und unsere Namen betrachtete. Er kam schwungvoll herein und brachte einen interessanten Duft mit.

»Meine Damen«, sagte er und nickte uns beiden zu, »ich lege das Schicksal meiner Schwester in Ihre Hände!«

Er war groß und schlank, mit weizenblondem Haar und Augen so hellblau, dass sie auf den ersten Blick farblos wirkten. Seine Haut war gebräunt, als ob er viel Zeit unter einer Sonne verbrachte, die weder von Feuchtigkeit noch von Dunst gemildert wurde. Das Bild, das mir als erstes in den Sinn kam, war Apollo.

»Wie genau lautet die Anklage gegen Allison?«, fragte ich, während ich ihm einen Stuhl anbot.

Er setzte sich mit einer eleganten Bewegung und sah sich um. »Auf Mord, nicht Totschlag. Deputy Walters sagte, am Tatort seien Fußspuren gesichert worden, die genau zu Als Schuhen passten.«

Ich erinnerte mich lebhaft an den Anblick. Rund um das Sumpfloch, in dem Quentin ertränkt worden war, hatte es deutliche Fußspuren gegeben. Ich fand das seltsam. Es drängte sich die Schlussfolgerung auf, dass der Mörder sorglos genug gewesen war, um so wichtige Beweisstücke zu hinterlassen. Als ob er oder sie geschnappt werden wollte. »Was hat Allison denn dazu zu sagen?«

»Sie sagt, sie habe diese Schuhe gestern Abend nicht getragen. Irgendjemand muss sie aus ihrem Schrank genommen haben. Sie wurden, völlig schlammverkrustet, auf der kleinen Hinterveranda von The Gardens gefunden, die Pension, wo sie bis zu ihrer Verhaftung gewohnt hat.«

Ich brauchte mich nicht durch einen Blick zu vergewissern, dass auch Tinkie das für eine ziemlich fadenscheinige Ausrede hielt. »Hat Allison ein Alibi?«

Er schüttelte den Kopf. »Sie war allein und hat gelesen.«

»Wie standen Allison und Quentin zueinander?«, fragte Tinkie, um zum Kern der Sache zu kommen.

»Sie waren ein Liebespaar«, antwortete Humphrey, ohne mit der Wimper zu zucken. »Beide Familien waren natürlich schockiert bei der Vorstellung einer lesbischen Beziehung, aber Al hat sich nie um andere geschert. Sie und Quentin haben sogar eine große Hochzeit geplant.« Er verdrehte tatsächlich die Augen.

Tinkie beugte sich vor. »Klingt für mich, als hätten sowohl Allison als auch Quentin ihr Bestes getan, um ihre Familien zu nerven.« Sie mache eine kunstvolle Pause. »Ich frage mich nur, warum wohl?«

Ihre Andeutung war klar, und Humphrey lächelte. »Ziemlich klug, aber warum sollte ich einen Privatdetektiv anheuern, wenn ich Allison im Gefängnis sehen wollte? Sie hat den Weg dahin jetzt schon zu zwei Dritteln hinter sich, auch ohne meine Hilfe.«

In dem Punkt hatte er Recht, also versuchte ich eine andere Taktik. »Wer, glauben Sie, hätte denn sonst noch Grund, Quentin umzubringen?«

»Nehmen Sie sich ein Exemplar von König Baumwolle blutet! Ich nehme an, es gibt mindestens hundert Leute, die ein Motiv haben. Ein ganzer Teil davon war gestern in dem Buch-laden hier im Ort, also auch in der Stadt.«

Humphrey sah nicht nur gut aus, er war auch schlau. »Guter Hinweis«, meinte ich.

»Nur um sicherzugehen, dass wir alle auf derselben Seite stehen«, sagte Tinkie, »wo waren Sie gestern Abend?«

Humphreys Lächeln war bezaubernd. »Patti Tierce.« Er griff über meinen Schreibtisch, nahm einen Kugelschreiber und schrieb eine Nummer auf. »Rufen Sie sie an! Ich glaube, sie wird unseren gemeinsamen Abend lebhaft in Erinnerung haben.« Er griff in die Manteltasche, zog ein Scheckbuch heraus und begann zu schreiben.

Dann stand er auf und legte den Scheck vor mich hin. Er war auf zehntausend Dollar ausgestellt. »Ich hoffe, das genügt.«

»Für die erste Woche«, entgegnete Tinkie, während sie ihn zur Tür brachte. »Sie hören von uns.«

Als er weg war, sah ich sie fragend an und wartete auf eine Erklärung. Tinkie war das wohlerzogenste Daddy’s Girl, das ich kannte, und sie war nie oder nur sehr selten unhöflich.

»Humphrey ist mit Eleanor Hilton ausgegangen.«

Ich erinnerte mich an Eleanor, wenn ich auch den Kontakt zu ihr verloren hatte, als sie nach Vicksburg gezogen war. Sie war ein hübsches Mädchen gewesen, aus dem eine hübsche Frau geworden war, doch sie konnte es nicht bei einem Mann aushalten. Oder zumindest würde die verschworene Gemeinschaft der Daddy’s Girls es so diagnostizieren. Sie hatte es nie bis vor den Altar geschafft, ähnlich wie ich, also war sie offiziell raus aus dem DG-Club. »Und?«

»Er hat sie für ein sexuelles Fantasiespielchen ans Bett gefesselt. Er hat ein Superman-Kostüm angezogen und wollte von einem Baum durch ihr Schlafzimmerfenster springen, um sie zu retten.«

»Das ist geschmacklos, und ich an Eleanors Stelle hätte das schön für mich behalten.«

»Es kommt noch schlimmer. Er stürzte und zog sich eine schwere Gehirnerschütterung zu – er war sogar bewusstlos. Einer der Nachbarn musste den Notruf wählen.« Tinkie wanderte um ihren Schreibtisch, die Stiefelabsätze klackerten auf dem Parkettboden. »Die Feuerwehr musste Eleanor losbinden.« Sie schüttelte den Kopf. »Eleanor fühlte sich so gedemütigt, dass sie die Stadt verlassen hat.«

Das war Klatsch, der so schnell nicht verstummte, vermutete ich. »Aber warum Humphrey die Schuld geben? Sie war doch offensichtlich mit dem Spiel einverstanden.«

»Er hat sie nie angerufen oder sich auch nur bei ihr entschuldigt. Sobald die Geschichte die Runde machte, war er zu sehr damit beschäftigt, all die Verabredungswünsche abzuwimmeln, die er von neugierigen Frauen erhielt.«

Ich musste lachen. »Funktioniert das nicht immer so? Der Typ sonnt sich im Ruhm, und die Frau trägt das scharlachrote A.«

»Er ist einer der begehrtesten Junggesellen in Mississippi, Sarah Booth, trotzdem werde ich nicht versuchen, eine meiner Freundinnen mit ihm zusammenzubringen!« Sie stemmte die Hände in die Hüfte und sah mich grollend an. »Obwohl, für dich wäre er vielleicht perfekt. Ihr seid beide ein bisschen neben der Spur!«

Das war ziemlich unverschämt, aber bestimmt nicht anders als liebevoll gemeint, und so fasste ich die Bemerkung auch auf. »Es ist fast neun. Gefrühstückt haben wir schon. Vielleicht sollten wir zum Gefängnis fahren und Allison einen Besuch abstatten.«

»Dann können wir auf eine Mimosa in den Club gehen«, meinte Tinkie. »Da treffen wir bestimmt ein paar Leute, die mehr als nur bereit sind, über Quentins Buch zu plaudern.«

Als Tinkie und ich nach Zinnia fuhren, bemerkte ich mehrere Häftlinge aus dem Bezirksgefängnis in ihrer grün-weißen Anstaltskleidung, die Weihnachtssterne rund um die Bradford-Birnbäume entlang der Main Street pflanzten. Ketten mit kleinen weißen Lichtern wurden bereits um die Stämme und die Zweige geschlungen. Weihnachten würde bald über uns hereinbrechen; eine Tatsache, die mich niederdrückte und melancholisch stimmte.

»Ich rufe Oscar eben mal an«, sagte Tinkie und zog ihr neues Handy heraus, eine schickes Teil mit einer Wildlederhülle, die zu ihrer Tasche und den Stiefeln passte. »Ich bin ziemlich neugierig auf die Finanzen der Familien McGee und Tatum.«

Tinkie hatte bereits begriffen, dass die meisten Morde sich um Geld drehten. Mit Geld konnte man Sex und Macht kaufen – unter anderem.

»Gute Idee.«

Sie fuhr in eine Parklücke am Rand des leeren Platzes vor dem Gericht. Ich stieg aus und lief die Stufen zum Gerichtsgebäude hoch und durch den Gang zum Büro des Sheriffs. Es würde mir schwerfallen, hineinzugehen und Coleman nicht an seinem Schreibtisch sitzen zu sehen. Er war ein so wichtiger Teil meines Lebens geworden, sowohl in beruflicher als auch in persönlicher Hinsicht. Seit er unbezahlten Urlaub genommen und mit Connie nach Jackson gefahren war, hatte ich noch kein Wort von ihm gehört und erwartete es auch nicht. Ob es nur Eitelkeit war oder Wunschvorstellung – ich glaubte, dass es Coleman eine Menge gekostet hatte, einer möglichen Zukunft mit mir den Rücken zu kehren und bei seiner durchgeknallten Frau zu bleiben. Aber ich respektierte seine Entscheidung. Coleman war kein Mann, der sein Wort leichtfertig gab.

Meine Schritte klangen hohl auf dem Linoleum, und Deputy Walters begrüßte mich mit einer aufgesetzt ausdruckslosen Miene. »Wie ich höre, arbeiten Sie für die Tatums«, sagte er.

Neuigkeiten sprachen sich in einer kleinen Stadt schnell herum. »Humphrey hat mich engagiert. Können wir Allison sehen? Tinkie kommt gleich nach.«

Er schloss die Tür zum Gefängnis auf und geleitete mich durch die beiden Zellenreihen. Erst vor ein paar Wochen war Sweetie Pie fälschlich beschuldigt worden, gebissen zu haben, und war hier eingekerkert gewesen. Coleman und Gordon waren nett zu ihr gewesen. Jetzt bemerkte ich gleich, dass Gordon sein Bestes getan hatte, um es Allison bequem zu machen. Sie hatte vier Kissen und drei Decken, obwohl die Temperatur angenehm war. Sie war eine hübsche junge Frau, blond und blauäugig wie ihr Bruder, mit einer zierlichen, aber sportlichen Figur.

»Wer sind Sie?«, fragte sie und stand auf. Sie kam an das Gitter und umfasste die Stäbe, um mich besser sehen zu können.

»Das ist Ms. Delaney«, stellte Gordon vor. »Sie ist Privatdetektivin. Ihr Bruder hat sie engagiert. Sie war auch am Tatort und hat deutlich Ihre Fußabdrücke gesehen.«

Ich widersprach Gordon nicht, sondern wartete einfach, bis er gegangen war. Während ich wartete, musterte ich Allison. Ihr Haar war zu einem kinnlangen Bob geschnitten, die blauen Augen ungeschminkt. Sie brauchte auch kein Makeup. Die langen Wimpern waren dicht und dunkel, ihre Haut so glatt wie die eines Kindes, bis auf drei Kratzer auf ihrer linken Wange – da war wohl jemand ziemlich wütend auf sie gewesen.

»Warum hat mein Bruder Sie engagiert? Er hasst mich«, sagte Allison.

»Warum hasst er Sie?«

Sie seufzte. »Ich habe sein Leben durcheinandergebracht. Quentin hat sich in mich verliebt statt in ihn.«

Das gab mir Stoff genug zum Nachdenken, aber zuerst befasste ich mich mit den grundlegenden Dingen. »Wo waren Sie gestern Abend, Allison?«

»Quentin und ich haben uns gestritten.« Sie sprach leise und blickte zu Boden; sie blinzelte heftig. Ihre Finger wanderten zu ihrer Wange. Als sie mich wieder ansah, hingen Tränen in ihren Wimpern. »Wir hatten einen schrecklichen Streit. Das erste Buch war ein ungeheurer Erfolg. Ihr Verleger hatte bereits weitere zwanzigtausend Stück drucken lassen, und das Buch war doch erst vier Wochen zuvor erschienen! Quentin sagte, sie würde noch ein zweites Buch schreiben. Ich wollte das nicht.«

Ein guter Detektiv weiß, dass es viele Möglichkeiten gibt, ein Motiv zu verschleiern. Allison dagegen hatte mir gerade eines auf dem Silbertablett serviert. Aber irgendwie glaubte ich ihr, dass sie Streit mit Quentin gehabt hatte. Miteinander zu streiten war noch lange kein Grund, jemanden gleich umzubringen. »Also haben Sie sich gestritten. Wo und wann?«

»Wir aßen im Club zu Abend. Eine ganze Menge Leute hat uns gehört. Quentin ist ziemlich laut geworden.« Sie runzelte die Stirn. »Das war etwa gegen acht Uhr gestern Abend.«

»Was passierte anschließend?«

»Quentin stürmte aus dem Club. Als man mir endlich das Auto vom Parkplatz zum Eingang geholt hatte, war sie schon verschwunden. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.« Sie rieb sich die Wange. »Ich habe sie wirklich geliebt. Ich finde es schrecklich, dass wir uns im Zorn getrennt haben.«

»Wohin sind Sie vom Club aus gefahren?«

»Eine Weile bin ich ziellos durch Zinnia gekurvt. Dann bin ich nach Tatum’s Corner gefahren. Wo ich doch gerade in der Nähe war, da dachte ich, ich könnte Mom und Dad besuchen.«

Das waren gute Neuigkeiten. »Sie waren also bei Ihren Eltern?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe dann doch nicht angehalten. Es standen Dinge in Quentins Buch, die nur ich ihr erzählt haben konnte. Ich fühlte mich wie ein Judas, also bin ich weitergefahren.« Als sie mir in die Augen sah, lag eine Spur von Selbstmitleid in ihrem Blick. »Quentin und ich waren immer davon überzeugt, dass Menschen, die ihr Leben auf Lügen aufbauen, angeprangert gehören. Darum ging es in Quentins Buch. Irgendwo auf unserem gemeinsamen Weg habe ich aber wohl den Geschmack an unverfälschter Wahrheit verloren. Wir haben viele Leute verletzt.«

»Was mich zu einer logischen Frage führt: Wer würde Quentin etwas antun wollen?«

Allisons Augen füllten sich mit Tränen, aber sie weinte nicht. »Wer würde das nicht? Alle hassten uns. Ich habe Quentin immer wieder gesagt, ich wolle doch einfach nur mein Leben mit ihr gemeinsam verbringen. Wir hätten nach New York oder London ziehen können. Wir hätten irgendwohin gehen können, wo man uns akzeptiert hätte, aber sie sagte, wir würden nicht davonlaufen. Wir würden Salz in die Wunden der Leute hier streuen.«

Eines hatte ich von Lawrence Ambrose gelernt, einem wahrhaft großen Schriftsteller, der am letzten Weihnachtsfest ermordet worden war: Die Menschen tun so einiges, um zu verhindern, dass ihre Geheimnisse in die Presse gelangen. »Können Sie mir ein paar Namen nennen?«

»Viele Leute waren wütend über das Buch. Gestern Nachmittag bei der Signierstunde hat Umbria Quentin schreckliche Dinge an den Kopf geworfen. Umbria ist Quentins Schwester. Ich glaube, sie war es, die alle Bücher gekauft und dann verbrannt hat.«

Ich hatte mir bereits vorgenommen, die Mitglieder der Familie McGee zu besuchen. »Sonst noch jemand?«

»In den vergangenen sechs Monaten hat Quentin Drohbriefe erhalten.«

Ich packte die Gitterstäbe und beugte mich weiter vor. »Von wem?«

»Sie waren anonym. Ich fand sie unheimlich, aber Quentin lachte nur darüber. Sie sagte, da würden wir ja wohl jemanden ganz schön auf die Palme bringen, obwohl das Buch noch nicht einmal erschienen sei.«

»Haben Sie diese Briefe noch? Hat sie sie behalten?«

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Allison. »Möglicherweise hat Quentin sie aufgehoben. Sie könnten ja ihre Sachen in der Pension durchsuchen, oder vielleicht sind sie auch in unserem Häuschen in Oxford.«

2

Tinkie saß auf den Stufen des Gerichtsgebäudes, als ich mein Gespräch mit Allison beendet hatte. Zu meiner Überraschung war meine Partnerin in ein Telefongespräch mit jemandem vertieft, der ziemlich verzweifelt zu sein schien.

»Es hat keinen Sinn, sich so viele Gedanken zu machen, bis man ganz krank ist«, sagte Tinkie. Aus ihrem Tonfall schloss ich, dass sie mit einem Mann sprach. Ein gut erzogenes Daddy’s Girl verfügt über einen Tonfall, der gleichzeitig beruhigend wirkt und das Ego eines MMG streichelt – eines Mannes mit Geld. Es gab eine Pause, dann fuhr Tinkie fort. »Jetzt lässt sich daran ohnehin nichts mehr ändern. Sarah Booth und ich werden uns darum kümmern, und ich bin sicher, wir stellen fest, dass alles in Ordnung ist.« Sie blickte auf und pustete mit einer ungeduldigen Bewegung ihre schimmernden Ponyfransen aus der Stirn, doch ihrer Stimme war nichts anzumerken. »Sarah Booth denkt so etwas bestimmt nicht. Sie war immer voller Bewunderung für Sie.«

Ich zog die linke Augenbraue hoch – das Einzige, was ich nach monatelangem Üben schaffte –, als sie auflegte.

»Tut mir leid, dass ich nicht mitgekommen bin, um mit Allison zu sprechen, aber ich wusste, dass du es allein schaffst, und hielt es für besser, hier draußen mit Harold zu sprechen.«

»Harold? Was ist mit ihm?« Tinkie hatte nur zur Hälfte Recht. Als Harold versuchte, sich meine Zuneigung mit einem vierkarätigen Diamanten zu erkaufen, hatte ich nicht gerade herzliche Gefühle für ihn, aber in den vergangenen acht Monaten hatte er sich als guter Freund erwiesen.

»Er macht sich Sorgen.«

»Geht es um dieses Buch?«

»Teilweise, aber da ist noch etwas anderes. Er ist ganz außer sich.« Sie klopfte auf die Stufe, und ich setzte mich neben sie auf den kalten Beton. Der Platz vor dem Gericht war von jetzt kahlen Weißeichen umstanden. In einem Baum plusterte sich eine Schar Krähen gegen den Wind auf. Es war ein trüber, trostloser Tag.

»Also, was ist los mit Harold?« Ein leises Prickeln in meinem Daumen erinnerte mich daran, dass mein Körper Harold und seine Aufmerksamkeiten noch nicht gänzlich vergessen hatte. Im selben Augenblick ging mir auf, dass Harold Erkwell Präsident der Bank von Zinnia war, der Bank, die Tinkies Vater gehörte und in der ihr Ehemann Vorstandsvorsitzender war. Außerdem hatte ich Harold bisher vielleicht bei einem plötzlichen Ausbruch von Leidenschaft erlebt, aber nie außer sich.

»Er hatte gestern Abend einen Zusammenstoß mit Quentin. Gordon war schon draußen, um ihn zu vernehmen.«

»Aber Allison sitzt im Gefängnis. Warum macht sich Harold also Sorgen?«

»Er glaubt nicht, dass Allison Quentin umgebracht hat, und er glaubt, sobald sie freikommt, ist er der Hauptverdächtige.«

»Wie um alles in der Welt kommt er denn da drauf?«

»Weil er vor acht anderen Leuten im Club gedroht hat, Quentin umzubringen.«

Meine Lippen formten ein lautloses O. »Das klingt aber nicht nach Harold.«

»Er hatte ein bisschen was getrunken. Soweit ich verstanden habe, hatte er gerade mit Rachel Gaudel Schluss gemacht und war ziemlich angeschlagen. Dann hat dieser Mistkerl Marcus Kline angefangen, ihn mit dem Buch und ein paar schmutzigen Details über die Familie Erkwell aufzuziehen. Und dann stieß Quentin mit ihm zusammen und schüttete ihren Drink über ihn. Das hat das Fass dann wohl zum Überlaufen gebracht.«

Harold war normalerweise der ausgeglichenste Mensch, dem ich je begegnet war. Es war schwer, sich ihn vorzustellen, wie er unbesonnen Morddrohungen ausstieß. »Hat Harold erzählt, wann genau das passiert ist?«

»Nach neun und vor zehn, aber genauer konnte er es nicht sagen. Er weiß das, weil Rachel um neun ging, und er selbst war sich sicher, er sei gegen zehn nach Hause gegangen.«

Dieses Zeitfenster bedeutete, dass Harolds Zusammenstoß mit Quentin stattfand, nachdem Allison den Club verlassen hatte. »Kann Oscar irgendwelche Informationen zu den finanziellen Aspekten unseres Falls beitragen?« Ich fror mir den Hintern ab, also stand ich auf und streckte Tinkie meine Hand hin. Sie ergriff sie und sprang auf.

»Er sagte nur, wir sollten den Scheck gleich morgen früh einlösen und sehen, ob er gedeckt ist.«

»Verdammt!« Ich sah sie an. »Ich dachte immer, die Tatums wären die reichste Familie in Crystal County?«

»Das war vor dem Jahre 2000. Seitdem hat sich in diesem Land eine Menge verändert.«

Das war eine gewaltige Untertreibung. »Und was ist mit den McGees?«, fragte ich.

»Scheint, als ob Franklin und Caledonia McGee wesentlich bessere Finanzberater gehabt hätten. Sie haben zu niedrigen Preisen ge- und zu hohen verkauft. Sie sind eine der reichsten Familien im Südosten.«

»Eines haben wir in diesem Fall wenigstens, nämlich reichlich Verdächtige.«

»Die meisten davon sind Oscars Freunde.« Tinkie ging zum Cadillac. »Wollen wir jetzt in den Club und da Spuren verfolgen?«

»Ich glaube, wir lassen den Champagner und sehen mal, was wir im The Gardens herausfinden können.«

Tinkie seufzte. »Harold ist im Club, und ich glaube, eine Prise von deinem Humor könnte ihm guttun.«

»Ich rede später mit ihm«, versprach ich, als wir in den Cadillac stiegen und die paar Blocks zu dem Bed & Breakfast fuhren, das von einer der Matronen in Sunflower County geführt wurde.

Als wir auf die Muschelkieseinfahrt fuhren, verlangsamte Tinkie das Tempo. Ausladende Eichen säumten den Weg, einige mit herrlichen Ästen, die über die Straße reichten und auf der anderen Seite den Boden berührten. Das Anwesen hieß nicht ohne Grund The Gardens.

Leider verfügte die Eigentümerin, Gertrude Stromm, keineswegs über die üppige und großzügige Schönheit ihres Anwesens. In ihrem verkniffenen Gesicht schielten die Augen nach links und rechts, als wollten sie nur ja keinen gesellschaftlichen Fauxpas verpassen. Ich hatte von verschiedenen Seiten gehört, von Leuten, die in der Pension übernachtet hatten, dass das Frühstück bereits um sieben serviert wurde. Falls man später kam, gab es nichts mehr. Nur ihrem prächtigen Anwesen verdankte Mrs. Stromm, dass sie noch im Geschäft war.

»Mrs. Stromm«, sagte Tinkie, als sie auf die Vordertür zutrat. »Schön, Sie zu sehen! Oscar lässt Sie grüßen.«

»Sie sind hier, um Ihre Nase in diese schreckliche Geschichte mit Quentin McGee zu stecken.« Sie sagte das zu mir, nicht zu Tinkie.

»Allison Tatum hat uns gebeten, einige Sachen aus ihrem Zimmer zu holen«, redete ich mich gewandt heraus. Im Sonnenschein wirkte Gertrudes rot gefärbtes Haar wie dünne, am Ende aufgebogene Kupferdrähte.

»Sie brauchen einen Gerichtsbeschluss, um da hineinzugehen«, widersprach sie.

»Nein, brauchen wir nicht«, entgegnete Tinkie gelassen. »Allison braucht frische Kleidung, und wir werden sie für sie holen. Wir sind von ihrem Bruder Humphrey engagiert worden, um ihr zu helfen.«

»Das Büro des Sheriffs hat bereits jemanden geschickt, der Dreck über meinen gebohnerten Fußboden getrampelt hat. Das lasse ich mir nicht bieten! Ich werde ihre Sachen zusammenpacken und sie aus meinem Haus und von meinem Grundstück entfernen.«

»Wie lange im Voraus hat Quentin das Zimmer bezahlt?«, fragte ich.

»Das spielt überhaupt keine Rolle. Ich lasse nicht zu, dass Schnüffler und Bullen mir meine anderen Gäste stören.«

»Mrs. Stromm, es sieht aus, als würden Sie schon bald ein neues Dach brauchen.«

Tinkies Feststellung kam aus heiterem Himmel und verblüffte sowohl mich als auch Gertrude. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis wir beide begriffen, was sie meinte.

»Wie können Sie es wagen!« Mrs. Stromm war ehrlich entrüstet.

»Es ist ganz einfach.« Tinkie lachte bezaubernd. »Man nennt es Geschäft. Und jetzt möchten wir gern Allisons Zimmer sehen, bitte.«

Die Pension wurde geführt wie ein altmodisches Hotel, mit einem Gästebuch auf der Theke und einem Regal mit vielen Fächern hinter dem Schreibtisch, in denen Schlüssel mit großen Zimmernummern aufbewahrt wurden. Gertrude nahm den Schlüssel zu Zimmer 18. »Folgen Sie mir!« Sie wollte davonstapfen, aber ich hielt sie zurück.

»Wer macht den Empfang?«

»Ich. Ich muss schließlich sichergehen, dass die Leute, die hereinkommen, auch ordentliche Leute sind. Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, was für eine Person Quentin McGee ist, hätte ich ihr oder ihrer Freundin niemals ein Zimmer vermietet.«

Das bezweifelte ich keine Sekunde lang, aber darauf wollte ich nicht hinaus. »Und wenn Sie sich um den Lunch oder den Garten kümmern, wer ist dann am Empfang?«

Sie runzelte die Stirn, und ihre kühlen grauen Augen wurden noch eisiger. »Was wollen Sie damit andeuten?«

»Ist der Empfang dann unbesetzt?«

»Möglich.«

Mehr würde ich ohne Daumenschrauben nicht aus ihr herausbekommen, aber es reichte eigentlich schon: Jeder hätte einen Schlüssel nehmen und in Allisons Zimmer gehen können, um ihre Schuhe zu stehlen. Das war ein Punkt zu unseren Gunsten.

Der Flur war lang und dunkel. Der Fußboden bestand aus gebohnerten Dielen, die Wände waren bis auf halbe Höhe holzvertäfelt. Die obere Hälfte war mit Jagdszenen tapeziert. Nicht gerade meine Vorstellung von schicker Einrichtung, aber das gehörte zur Tradition der Plantagenbesitzer.

Als wir zu Nummer 18 kamen, schloss Gertrude die Tür auf und stieß sie auf. »Ich habe eine Liste mit sämtlichen Gegenständen in diesem Zimmer angefertigt, die mir gehören. Falls auch nur ein Stück fehlt, sorge ich dafür, dass Sie beide in der Zelle neben Ihrer Klientin landen!«

»Ob es wohl wieder Schindeln werden oder vielleicht Stahl?« Tinkies Gesicht war bewusst ausdruckslos. Gertrude gab einen Laut von sich wie ein Hund, der an einem Knochen erstickt, stampfte davon und ließ uns allein.

»Oscar würde nie uns zuliebe ein Darlehen ablehnen«, sagte ich zu Tinkie.

»Natürlich nicht, aber das weiß sie ja nicht. Du übernimmst die Kommode und ich die Koffer.«

Das einzig Interessante, das ich in den Schubladen fand, war eine Auswahl an Unterwäsche – weiße Seidentangas. Tinkie stieß auf die einzige vorhandene Goldader, als sie Quentins braunen Reisekoffer durchsuchte. Sie hielt mir ein Blatt Papier hin, in ihren Augen stand Befriedigung. Sie las laut vor, was dort geschrieben stand. »Du wirst dafür bezahlen, dass du deinen Familiennamen durch den Dreck ziehst.«

Der Text war kurz, knapp, ohne Umschweife, und der Brief selbst praktisch nicht zurückzuverfolgen. Selbst ich konnte sehen, dass er auf einem Laserdrucker gedruckt war. Ich nahm den Briefbogen vorsichtig zwischen zwei Finger und ließ ihn in eine Plastiktüte fallen, die einmal einen Slip enthalten hatte. »Wir bringen das zu Cole … – Gordon.« Meine Verbesserung kam zu spät. Tinkie warf mir einen Blick zu.

»Coleman wird wahrscheinlich nicht mehr nach Sunflower County zurückkommen, Sarah Booth.« In ihrem Tonfall lag keinerlei Bosheit.

»Ich weiß. Nur – alte Gewohnheiten legt man schwer ab.« In mehr als einer Hinsicht. »Bringen wir das hier zu Gordon. Er wird sich ärgern, weil wir etwas gefunden haben und er nicht. Aber wir wussten, wonach wir suchten.«

Sie nickte. »Das ist für Allisons Verteidigung sehr wichtig.«

»Allison hätte den Brief auch selbst schreiben können«, gab ich zu bedenken, »aber wir finden hoffentlich in Oxford noch mehr.«

»Und hoffentlich verfügt Gordon über irgendwelche Mittel, um diese Briefe zurückzuverfolgen«, meinte Tinkie. »Oder Fingerabdrücke zu finden.«

Immer Optimist, dachte ich. Deswegen mochte ich Tinkie so. »Lass uns hier verschwinden! Ich fürchte, wenn ich länger bleibe, versucht die böse Hexe des Westens noch, meine Hündin zu stehlen.«

Wir lachten, als wir die Tür öffneten.

Gertrude Stromm versperrte den Durchgang. »Ich hörte Quentin und Allison streiten«, sagte sie. »Es war hässlich. Diese junge Frau hat ihre Freundin umgebracht, und das werde ich auch bezeugen!« Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürmte über den Flur zurück. Als sie am Ende angekommen war, wirbelte sie noch einmal herum. »Zu Ihrer Information, Miss Sarah Booth Delaney: Ich mag weder Hunde noch Katzen noch andere Tiere!«

»Was für eine Überraschung!«, erwiderte ich, scheinbar schockiert.

Mit meiner zweiten Bloody Mary für diesen Tag setzte ich mich an meinen Schreibtisch, um mir ein paar Notizen zum Fall Allison Tatum zu machen. Tinkie war zum Club weitergefahren, um ihren Mann zu treffen und zu sehen, ob sie neue Verdächtige auftreiben könnte. Genau genommen würde Tinkie sogar besser zurechtkommen ohne mich im Schlepptau. Zinnia war eine kleine Stadt, und jeder wusste, dass ich nicht genug Geld hatte, um Mitglied des Clubs zu sein. Seit ich im Jahr zuvor nach Zinnia zurückgekehrt war – eine erfolglose Schauspielerin, die versuchte, ihren Familiensitz vor dem Bulldozer zu retten – waren meine wirtschaftlichen Sorgen allgemein bekannt. Meine Anwesenheit würde nur ablenken.

Außerdem hatte ich Wichtigeres zu tun. Ich griff nach dem Telefon.

»Wag es ja nicht, diesen verheirateten Mann anzurufen!«, drohte Jitty.

Als ich aufsah, blickte sie mich hinter einer Halbmaske hervor an. »Ich habe das Recht, Coleman anzurufen, wenn ich beruflichen Rat brauche.«

»Vergiss ja nicht, dass er sich entschieden hat, sein Ehegelübde zu ehren! Wenn er dich wollte, wär er jetzt doch wohl an deiner Seite!«

Jitty hatte schon so ihre eigene Art, Argumente anzubringen. Coleman hätte sich von seiner verrückten Frau scheiden lassen und in Sunflower County bleiben können, aber er hatte es nicht getan. Er hatte seinen Job, seine Karriere und mich aufgegeben. Alles für Connie. Und für sein Kind – das Kind, das sie ganz bewusst empfangen hatte, um ihn zu halten. Das durfte ich nicht vergessen. Es drehte sich alles um Connies Schwangerschaft, und er hatte die Entscheidung getroffen, die er hatte treffen sollen.

Ich zog meine Hand zurück und nahm meinen Stift. »Okay, du hast mich überredet, ich gebe nach.«

Jitty bewegte sich unter dem leisem Rascheln von Unterröcken und Seide auf mich zu. »Keine Delaney war je so verzweifelt, dass sie hinter einem verheirateten Mann her war!«

Ich war ausreichend beschämt; mir fiel zu meiner Rettung nicht einmal eine geistreiche Erwiderung ein.

»Warum rufst du nicht Hamilton Garrett V. an?«, fragte sie.

Ich erwog es, wusste aber, dass ich es nicht tun würde. Ich hatte Hamilton schäbig behandelt. Ich hatte meine Gründe, genau wie Coleman seine hatte, aber am Ende würde es für Hamilton keine Rolle spielen. Ich hatte gewählt, und er hatte verloren, oder zumindest würde es ihm so vorkommen. Schließlich hatte ich ihn auf einem Flughafen auf mich warten lassen, während ich losgestürzt war, um Coleman zu helfen. Nein, es war besser, Hamilton in Ruhe zu lassen.

»Es gibt noch mehr Fische im Meer«, bemerkte Jitty.

»Ich ziehe Schweinefleisch vor.«

»Dein Geschmack wird sich ändern.« Ihre Stimme hatte einen weichen Tonfall.

Ich musterte ihre Aufmachung: absolut verschwenderisch, reichlich Juwelen und ein hermelinbesetzter Kragen. »Du verteidigst eine Zeit, in der die Mitglieder des Hofes mit jedem schliefen, den sie wollten, verheiratet oder nicht, mit oder gegen ihren Willen. Es war eine Zeit ohne Moral oder Anstand. Das war es, was zur Französischen Revolution geführt hat!«

»Veränderungen sind unvermeidlich.«

Ich verdrehte die Augen. »Du bist eine wandelnde Reklame für Ausschweifungen und unbeherrschten Konsumdrang. Ich bin nur froh, dass dich sonst niemand sehen kann!«

»Eifersüchtig?«

Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf. »Wenn die Guillotine fällt, komm ja nicht an und heule mir etwas vor!«

Sie lachte leise, als ich in mein Zimmer ging, um die Reitstiefel zu holen. In weniger als zehn Minuten hatte ich Reveler gesattelt, und Sweetie Pie sprang mir vor Vorfreude um die Beine. Ich stieg auf, und wir trabten durch die Baumwollfelder. Schon bald würden die abgeernteten Pflanzen untergepflügt und der Boden für die nächste Ernte vorbereitet.

Es war etwas am Ackerbau, dass die Menschen an die Schol-le band, und ich spürte, wie ich mich entspannte, als ich über den Lauf der Jahreszeiten nachdachte. Ich hatte meine Laufbahn als Privatdetektivin im vergangenen Herbst begonnen. In dieser kurzen Zeit hatte ich Dahlia House vor den Baulöwen gerettet, hatte eine streunende Hündin gefunden, die sich als wahrer Schatz entpuppte, die beste Partnerin der Welt aufgetan und von meiner Freundin Lee McBride ein Pferd geschenkt bekommen. Alles in allem, wenn man von romantischen Havarien absah, war es ein gutes Jahr gewesen. Ich musste nur meine Sehnsucht nach Coleman loswerden und mein Bedauern wegen Hamilton. Ich war da, wo ich sein sollte.

In Revelers raumgreifendem Trab ließ sich angenehm reiten. Der Wind wehte mir das Haar ins Gesicht, und meine Ohren waren taub vor Kälte, aber es war die reine Wonne. Sweetie Pie sprang an unserer Seite, während wir am Rand der Felder entlangritten. Wir konnten Meilen zurücklegen, ohne einem einzigen Auto zu begegnen.

Das Land lag ausgebreitet wie ein Tischtuch vor mir, ein Tablett, das Wohlstand offerierte. Das Mississippi-Delta ist einer der fruchtbarsten Landstriche der Welt. Zwei Meter tief bester Boden. Ich konnte mir nicht vorstellen, ihn je wieder zu verlassen, nicht einmal für Hamilton Garrett V.

Wir umrundeten die angrenzenden Ländereien, und dann ließ ich Reveler kehrtmachen. Die Dunkelheit brach in dieser Jahreszeit schon früh herein. Es war erst etwa vier, aber die dunkle Wolkendecke ließ es viel später erscheinen. Ich wollte nach Hause gelangen, ehe es zu dunkel wurde, um etwas zu sehen.

Reveler fiel begierig in Galopp, und ich schob all meine negativen Gedanken und Gefühle beiseite und überließ mich ganz dem Ritt. Als wir die Auffahrt von Dahlia House hinauftrabten, sah ich einen fremden roten Porsche vor dem Haus stehen.

Ich ließ Revelers Zügel locker, ließ ihn im Schritt gehen, damit er trocken wurde, und ließ ihn dann auf dem Rasen vor dem Haus grasen, während ich die Stufen hinauf in die Eingangshalle schlich. Ich konzentrierte mich so darauf, wer wohl ohne meine Erlaubnis in mein Haus eingedrungen sein könnte, dass ich mit Erleichterung feststellte, dass Harold auf Tante LouLanes Rosshaarsofa saß und an einem Scotch nippte.

»Ich wusste, dass du ausreiten warst; also habe ich es mir bequem gemacht«, erklärte er.

»Ich muss Reveler versorgen.« Ich winkte ihm, mir zu folgen. »Neues Auto?«

»Rachel hat mich ermuntert, es zu kaufen. Ich werde es morgen früh wieder verkaufen, sobald der Händler öffnet.«

»Hübsche Farbe.«

»Ich glaube, ich hätte lieber einen Pickup.«

Ich prustete vor Lachen los. Harold war einer der kultiviertesten Männer, die ich kannte. Er war ein hervorragender Hobbykoch und Banker, der in seinem Büro in der Bank ein Porzellanservice von Haviland stehen hatte. »Behalt den Porsche! Er passt besser zu dir.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«

Die Sorge in seinen Augen beunruhigte mich. Harold litt nicht an Wahnvorstellungen, und er lief nicht herum und suchte nach etwas, worüber er sich das Hirn zermartern konnte. Er besuchte mich gelegentlich, aber nicht oft. Vielleicht lag es an seiner Beziehung zu Rachel, vielleicht auch an meiner zu Coleman. Es spielte keine Rolle, ich freute mich, ihn zu sehen.

Ich führte Reveler, eine Hand in seiner Mähne, zur Scheune, und Harold sattelte ihn ab, während ich dem Pferd die Hufe reinigte und seinen Futtersack auffüllte. Harold und ich arbeiteten in kameradschaftlichem Schweigen, aber er war gekommen, um mit mir über etwas Wichtiges zu sprechen. Ich hatte die Kunst gelernt, darauf zu warten, dass der andere mit der Sprache herausrückte.

»Allison Tatum hat Quentin McGee nicht getötet«, sagte er.

Ich konnte hören, wie der Kamm durch Revelers Mähne glitt. »Ich weiß. Ich glaube, man hat sie hereingelegt.« Ich ging um Reveler herum, legte eine Hand auf Harolds Arm und drückte diesen sanft. »Aber ich weiß auch, dass du sie nicht umgebracht hast, Harold.«

Er lächelte warm. »Danke, Sarah Booth.«

»Danksagungen sind nicht nötig. Ich weiß, dass du niemandem etwas antun würdest. Wenn Tinkie und ich erst weiter-ermitteln, sollten wir auf ein paar brauchbare Verdächtige stoßen.«

»Ich war so wütend auf sie«, erklärte er.

Ich umarmte ihn leicht. »Wenn das ein Verbrechen wäre, würden wir alle im Gefängnis sitzen! He, das mit Rachel tut mir leid.«

»Mir auch. Sie ist eine tolle Frau. Ich habe mich nur nie an all diese französischen Friseure gewöhnen können. Und sie wollte reisen, etwas, wofür ich mich nicht freimachen kann.«

Ich konnte seinem Gesicht ansehen, dass er die exzentrische Geschäftsfrau geliebt hatte, die eine Kette von Schönheitssalons aufgebaut hatte und diese dann mit gut aussehenden französischen Stylisten bestückte. Diese Salons waren ein Eldorado für Daddy’s Girls-Fantasien – die sinnliche Berührung eines ausländischen, sexy Mannes ohne Schuldgefühle oder Nachwirkungen. Rachel war ein Genie.

Er seufzte. »Stell dir nur vor: Wenn ich mit ihr nach Paris gegangen wäre, wie sie es wollte, dann säße ich jetzt nicht in dieser Zwangslage!«

»Du steckst nicht in einer Zwangslage«, betonte ich. »Niemand hat dich bis jetzt beschuldigt. Warte einfach ab, und mach dir nicht unnötig Sorgen!« Tante LouLanes Worte waren heraus, ehe ich sie zurückhalten konnte.

»Ich kann deine Tante fast vor mir sehen!«, sagte er, und diesmal war sein Lächeln aufrichtig. »Manchmal mache ich mir ein paar Gedanken, weil du doch allein hier lebst.«

»Aber ich bin nicht allein!«, widersprach ich. Harolds Sorge um mich war eine Sache, Mitleid eine andere. »Ich habe Sweetie und Reveler.« Und Jitty, aber über mein Gespenst würde ich wohl besser kein Wort verlieren.

»Lass mich dich zum Essen ausführen, Sarah Booth!«

»Okay, aber erst muss ich mich frisch machen.« Ich brauchte meine fleckigen Reithosen und die schlammigen Stiefel nicht erst anzusehen, um zu wissen, dass ich etwas Körperpflege brauchte.

»Perfekt! Ich hole dich in einer Dreiviertelstunde ab, ja?« Er wartete darauf, dass ich den Zeitplan durchrechnete, um mich zurechtzumachen.

Ich nickte. »Wohin gehen wir?«

»Das wird eine Überraschung.«

3

Der Highway 1, der über den zehn Meter hohen Damm entlang des Mississippi führt, war der ideale Ort, um das Verdeck des Porsche zu öffnen. Die Straße gehört zu meinen Lieblingsstraßen. Auf der Westseite liegen die Flussdurchbrüche, morastige Flächen und Sumpfgebiete, ein Born überbordenden Lebens. Auf der östlichen Seite liegen Weiden mit grasendem Vieh. Manchmal reichen die Weiden bis an die Straße. Harold ließ einen Wirbelsturm aus Blättern hinter uns, während wir durch den Abend jagten. Es war perfektes Novemberwetter, kalt mit einem Hauch von Eis im Knirschen der Blätter. Mit dem offenen Verdeck war der Wind eiskalt, aber auch belebend. Er brachte endlich wieder etwas Farbe auf Harolds blasse Wangen. Als wir den Damm verließen und auf die Interstate nach Memphis abbogen, betrachtete ich Harolds Profil. Er hatte angefangen sich zu entspannen. Darüber freute ich mich, ich hatte ihn noch nie so angespannt gesehen.

»Was ist los, Harold? Musstest du eine kleine alte Dame an einem Sonntag aus ihrer Wohnung klagen?«

Er lächelte. »Du überschätzt mich, Sarah Booth. Du glaubst, ich würde mich um andere sorgen. Aber mir geht es nur um meinen eigenen Hals.«

Trotz seines Draufgängertums war Harold ein freundlicher Mensch. Es gab mehrere ältere Damen in der Stadt, die ihr Heim seiner sanften Einmischung in die Bankgeschäfte verdankten. »Stimmt, Harold. Ich weiß ja, wie hartherzig du bist.«

Er ging gerade so viel vom Gas, dass er mich richtig anschauen konnte. »Warum sind wir kein Paar geworden, Sarah Booth?«

Diese Frage war schwer zu beantworten. Als ich Harold kennen lernte, damals, als er gerade dabei gewesen war, Dahlia House dem Erdboden gleichzumachen und an seiner Stelle ein Einkaufszentrum zu bauen, hatte ich gute Gründe gehabt, ihn nicht zu mögen. Dann hatten sich die Dinge geändert. Abneigung hatte sich in Anziehung verwandelt. Aber wir waren diesem Weg nie weiter gefolgt. Warum? Ich konnte es noch immer nicht sagen.

»Du bist traurig wegen der Sache mit Rachel«, sagte ich und berührte sanft seinen Arm. »Und du weißt, was für ein Kuddelmuddel ich aus meinem Liebesleben mache. Ich habe für uns beide keine Antwort.«

»Coleman Peters.« Er sagte den Namen, als wäre es der Titel eines Buches.

Ich war klug genug, nichts zu erwidern, als er aufs Gaspedal trat und uns zu einem kleinen, teuren Restaurant in Memphis brachte, das The French Connection hieß.

Das Essen war gut, der Wein ausgezeichnet, und für die Crème brulée hätte man sterben mögen. Während der Mahlzeit sprachen wir über meine früheren Fälle, über Oscars Reaktion darauf, dass seine Tinkie sich als Privatdetektivin betätigte, und was sonst noch so im Lauf des Jahres passiert war und eben immer zu passieren hat.

»Wirst du dieses Jahr wieder deinen berühmten Teekuchen mit dem Übermaß an Mandeln und kandierten Früchten backen?«, fragte er.

»Tradition, Harold! Sie bestimmt mein Leben.« Ich hatte genug Wein getrunken, um mich für geistreich zu halten, und wurde mit einem herzhaften Lachen seinerseits belohnt.

Einige Gäste des Restaurants drehten sich nach uns um, nicht ohne Neid.

Wir bestellten Kaffee, und ich sah, wie sich seine Miene veränderte. »Ich brauche deine Hilfe, Sarah Booth.«

»Harold, du weißt, dass Humphrey Tatum uns bereits engagiert hat, um Allison zu helfen. Außerdem hast du nicht das Geringste zu befürchten. Gordon würde dich niemals ernsthaft für einen Mörder halten.«

Er runzelte die Stirn. »Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube nicht, dass Tinkie dir die ganze Geschichte erzählt hat. Weil ich sie ihr nicht erzählt habe.«

Als ich in seine dunklen Augen blickte, sah ich, dass er ernstlich besorgt war. Auch wenn ich seine Zwangslage nicht ernst nahm: er tat es. Aber es gehörte sich nicht für eine Freundin, Sorgen nicht ernst zu nehmen. »Erzähl mir, was passiert ist!«

Er beugte sich vor und warf verstohlene Blicke nach rechts und links, als ob er im Begriff stünde, ein Staatsgeheimnis zu enthüllen. »Ich war in der Bar vom Club. Rachel und ich hatten einen schrecklichen Streit im Speisesaal. Es war …«, er verzog das Gesicht, »… geschmacklos und bedauerlich.«

»Du liebst sie wirklich, nicht wahr?«