Ein Rezept für die Liebe - Rachel Gibson - E-Book

Ein Rezept für die Liebe E-Book

Rachel Gibson

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Beschreibung

Witz, Wärme und Sexappeal: Diese hinreißende romantische Komödie hat alles!

In Kate Hamiltons Leben läuft zurzeit so einiges schief: ihr Langzeitfreund hat sie verlassen, nachdem sie das Thema Hochzeit ins Gespräch gebracht hat, ihr Job als Privatdetektivin wächst ihr über den Kopf, und als sie in einer Bar versucht, einen attraktiven Fremden zu verführen, um ihr Selbstbewusstsein aufzupäppeln, verlässt der Mann fluchtartig das Lokal. Niedergeschlagen zieht sich Kate in das beschauliche Örtchen Gospel in Idaho zurück, wo ihr Großvater lebt. Dort will sie ihr Leben wieder ordnen und endlich herausfinden, warum gerade sie immer an die falschen Männer gerät. Diese Rechnung hat sie nur leider ohne den neuen Nachbarn ihres Großvaters gemacht, denn Rob Sutter entpuppt sich ausgerechnet als der Mann, der sie in der Bar hat abblitzen lassen …

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Buch

In Kate Hamiltons Leben läuft zurzeit so einiges schief: Ihr Langzeitfreund hat sie verlassen, nachdem sie das Thema Hochzeit ins Gespräch gebracht hat, ihr Job als Privatdetektivin wächst ihr über den Kopf, und als sie in einer Bar versucht, einen attraktiven Fremden zu verführen, um ihr Selbstbewusstsein aufzupäppeln, verlässt der Mann fluchtartig das Lokal. Niedergeschlagen zieht sich Kate in das beschauliche Örtchen Gospel in Idaho zurück, wo ihr Großvater lebt. Dort will sie ihr Leben wieder ordnen und endlich herausfinden, warum gerade sie immer an die falschen Männer gerät. Diese Rechnung hat sie nur leider ohne den neuen Nachbarn ihres Großvaters gemacht, denn Rob Sutter entpuppt sich ausgerechnet als der Mann, der sie in der Bar hat abblitzen lassen …

Autorin

Seit sie sechzehn Jahre alt ist, erfindet Rachel Gibson mit Begeisterung Geschichten. Mittlerweile hat sie nicht nur die Herzen zahlloser Leserinnen erobert, sie wurde auch mit dem »Golden Heart Award« der Romance Writers of America und dem »National Readers Choice Award« ausgezeichnet. Rachel Gibson lebt mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Katzen und einem Hund in Boise, Idaho.

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorinWidmungEINSZWEICopyright

Für Betty Gregory, leidenschaftliche Leserin, Königin der Wiederverwertung und Mensch mit großem Einfluss auf mich – mit all meiner Liebe und Wertschätzung

EINS

Der Valentinstag nervte. Und zwar ziemlich.

Kate Hamilton hob einen Becher mit heißem Rumpunsch an die Lippen und trank ihn aus. Auf der Liste der nervigsten Dinge der Welt rangierte dieser Tag irgendwo zwischen einem Sturz auf offener Straße und der hausgemachten Mortadellapastete ihrer Tante Edna. Ersteres war schmerzhaft und äußerst peinlich, Letzteres eine Scheußlichkeit vor dem Herrn.

Kate ließ den Becher sinken und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Der heiße Rum wärmte sie von innen heraus, brachte ihre Haut zum Glühen und tauchte den Raum in weiches, warmes Licht. Leider hatte er keinerlei Auswirkungen auf ihre Laune.

Sie suhlte sich im Selbstmitleid – etwas, das sie aus tiefster Seele verabscheute. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich gehenließen und in einem Tränenmeer versanken. Stattdessen war sie jemand, der sein Leben selbst in die Hand nahm. Aber für eine allein stehende Frau gab es keinen geeigneteren Tag, um sich wie eine Verliererin zu fühlen, als den, der in aller Welt den Liebenden gewidmet war.

Ein Tag, an dem jeder mit Herzen und Blumen, Pralinen und sexy Dessous beschenkt wurde. Menschen, die es nicht verdient hatten. Alle Menschen, nur sie nicht. Vierundzwanzig Stunden, die ihr unter die Nase rieben, dass sie nachts allein in einem ausgeleierten T-Shirt im Bett lag. Ein ganzer Tag, um deutlich zu zeigen, dass sie nur noch eine lausige Beziehung davon trennte, endgültig das Handtuch zu werfen, ihre Fendi-Pumps gegen bequeme Hushpuppies einzutauschen und ins Tierheim zu fahren, um sich eine Katze zu holen.

Kate saß auf ihrem Hocker in der Duchin Lounge der Sun Valley Lodge und sah sich im Raum um. Girlanden mit Glitzerherzen waren um die Messinggeländer der Bar geschlungen, die Tische mit Rosen und flackernden Kerzen dekoriert. Rosa und rote Herzen waren hinter dem Tresen und auf den großen Fenstern angebracht, durch die man die schneebedeckten Hänge mit den gespurten Pisten sah, wo sich etliche abendliche Skifahrer tummelten. Flutlicht erhellte die Pisten und tauchte sie in weißlich goldenes Licht und dunkle Schatten.

Die Gäste in der Duchin Lounge trugen die neueste Skimode  – Pullis von Ralph Lauren und Armani, Fleecewesten von Patagonia und klobige UGG-Boots. Kate kam sich in ihrer Jeans und dem dunkelgrünen Pulli, der zwar perfekt passte und die Farbe ihrer Augen unterstrich, aber von keinem Edeldesigner stammte, ein klein wenig schäbig vor. Sie hatte ihn im Einkaufszentrum bei Costco erstanden, gemeinsam mit einer Kombipackung Unterhosen, einer Riesenflasche Shampoo und etwa zwei Kilo Margarine.

Sie drehte sich auf ihrem Hocker um und ließ den Blick zu dem Panoramafenster hinter der Bar schweifen. Wann hatte sie eigentlich angefangen, ihre Wäsche in Großpackungen im Supermarkt statt bei Victoria’s Secret zu kaufen? Und was hatte sie dazu getrieben, zwei Kilo Margarine in ihren Einkaufswagen zu legen?

Vor dem Fenster schwebten fedrige Schneeflocken zu Boden. Im Lauf des Nachmittags, kurz nachdem Kate über die Grenze zwischen Nevada und Idaho gefahren war, hatte es angefangen zu schneien und seitdem nicht mehr aufgehört – mit dem Ergebnis, dass sie für die Fahrt von Las Vegas nach Sun Valley fast neun Stunden statt der üblichen sieben gebraucht hatte.

Normalweise wäre sie ohne Pause durchgefahren, aber bei diesem Schneefall war das unmöglich gewesen. Nicht bei dieser Dunkelheit und in einem Gebiet wie der Sawtooth Wilderness, wo man Gefahr lief, nur weil man an einer Kreuzung versehentlich falsch abbog, in einem Kaff zu landen, in dem die Männer noch echte Bilderbuchmachos waren. Sie hatte vor, am nächsten Morgen die letzte Stunde hinter sich zu bringen, die sie noch von Gospel, Idaho, trennte, der Kleinstadt, in der ihr Großvater lebte.

Kate wandte ihre Aufmerksamkeit dem Barkeeper zu und bestellte ihren dritten Punsch. Der Barmann musste Ende zwanzig sein, mit dunklem, lockigem Har und einem verschmitzten Funkeln in den Augen. Er trug ein weißes Hemd und schwarze Hosen, war jung, attraktiv und trug einen Ehering am Finger.

»Darf ich Ihnen sonst noch was bringen, Kate?«, fragte er mit einem jungenhaften Grinsen. Er hatte sich ihren Namen gemerkt – also verstand er seinen Job. Doch statt diese Qualität zu würdigen, war ihr erster Gedanke, dass er höchstwahrscheinlich eine Menge heimlicher Affären hatte. Das hatten Männer wie er grundsätzlich.

»Nein, danke«, erwiderte sie und schob ihre zynischen Gedanken in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses. Es gefiel ihr nicht, dass sie so negativ geworden war; sie verabscheute all die kleinen Pessimisten, die sich in ihrem Kopf eingenistet hatten. Sie wollte die alte Kate zurückhaben, jene Kate, die nicht so zynisch war.

Überall an den Tischen und in den Nischen saßen Paare, die bei einer Flasche Wein lachten, plauderten und sich küssten. Kates Valentinstagdepression verstärkte sich noch ein wenig.

Genau vor einem Jahr hatte Kate auch mit ihrem Freund Manny Ferranti im Le Cirque in Las Vegas zu Abend gegessen. Damals war sie dreiunddreißig, Manny neununddreißig gewesen. Beim Krabbencocktail hatte sie ihm erzählt, sie habe eine Suite im Bellagio reserviert. Beim Kalbsbraten hatte sie ihm ihr Höschen ohne Schritt und den dazu passenden BH beschrieben, den sie unter ihrem Kleid trug. Beim Dessert war sie auf das Thema Heirat gekommen. Sie waren zu dieser Zeit zwei Jahre zusammen gewesen – lange genug in ihren Augen, um über eine gemeinsame Zukunft zu sprechen. Doch stattdessen hatte Manny sie am nächsten Morgen in die Wüste geschickt. Nachdem er ausgiebig von der Suite und besagtem Höschen Gebrauch gemacht hatte.

Kate war beinahe ein wenig überrascht gewesen, wie gut sie mit der Trennung zurechtgekommen war. Na ja, vielleicht nicht direkt gut. Sie war ziemlich sauer gewesen, aber nicht völlig am Boden zerstört. Sie hatte Manny geliebt, andererseits war sie eine pragmatische Frau. Manny hatte eindeutig unter einer Beziehungsphobie gelitten, und sie hatte keine Ahnung, warum ihr das nicht schon früher aufgefallen war. Neununddreißig Jahre alt und noch nie verheiratet gewesen? Der Mann musste ein echtes Problem haben, und sie hatte nicht die geringste Lust, ihre Zeit mit jemandem zu verschwenden, der sich nicht binden wollte. Das kannte sie bereits zur Genüge von früheren Partnern, die jahrelang mit ihr zusammen gewesen waren, sich aber nie auf eine feste Beziehung einlassen wollten. Also, Schluss damit.

Zumindest war das bis vor ein paar Monaten ihre Devise gewesen, als sie Mannys Hochzeitsanzeige in der Zeitung entdeckt hatte. Sie hatte im Büro gesessen und das Las Vegas Review-Journal auf der Suche nach den öffentlichen Bekanntmachungen durchgeblättert, um nachzusehen, ob irgendwelche der vermissten Menschen, die sie suchte, inzwischen tot aufgefunden worden waren – und da hatte sie gestanden, eine hübsche kleine Anzeige mit Foto, das einen glücklichen und verliebt wirkenden Manny mit einer Brünetten zeigte.

Manny hatte also innerhalb von nicht einmal acht Monaten nach der Trennung von ihr eine andere Frau gefunden und sie geheiratet. Er hatte kein Problem gehabt, sich zu binden. Absolut nicht. Er hatte nur ein Problem damit gehabt, sich an Kate zu binden. Was schmerzhafter war, als sie vermutet hätte. Schmerzhafter als die Trennung selbst. Schmerzhafter, als nach einer heißen Liebesnacht einfach abserviert zu werden. Diese Erkenntnis tat ihr im Herzen weh; sie schnürte ihr die Kehle zusammen und bestätigte etwas, was sie nicht länger ignorieren konnte.

Mit ihr stimmte etwas nicht.

Etwas, das nichts mit ihrer Größe von gut einem Meter siebenundsiebzig, ihrer Schuhgröße einundvierzig und ihrem flammend roten Haar zu tun hatte. Sie war Privatdetektivin und verdiente ihren Lebensunterhalt, indem sie auf der Suche nach Motiven und versteckten Absichten im Leben anderer Menschen herumstocherte. Sie nahm ihre Biografien, ihre privaten und gesellschaftlichen Gewohnheiten unter die Lupe, nahm sich aber nie genug Zeit, um dasselbe mit ihrem eigenen Leben zu tun.

Der Anblick von Mannys Hochzeitsanzeige in der Zeitung hatte den Ausschlag gegeben. Das hatte sie gezwungen, ihr eigenes Leben genauer zu betrachten, etwas, was sie bis dahin tunlichst vermieden hatte. Und dabei war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sie sich grundsätzlich zu unerreichbaren Männern hingezogen fühlte. Zu Männern, die ihre Augen nicht von anderen Frauen lassen konnten, zu Männern mit heimlichen Freundinnen oder massiven Bindungsängsten.

Vielleicht hatte sie immer geglaubt, sie verdiene es nicht besser oder brauche eben die Herausforderung. Sie konnte nicht genau sagen, warum sie stets an Männer geriet, die für keine Frau erreichbar waren, aber eines stand fest: Sie war all die unbefriedigenden Beziehungen und den Liebeskummer endgültig leid.

Am Tag, nachdem sie auf Mannys Anzeige gestoßen war, hatte sie unverbindlichen Beziehungen endgültig den Rücken gekehrt. Sie hatte sich geschworen, sich nur noch mit Männern einzulassen, die noch zu haben waren und sich nicht mit unüberwindlichen Problemen herumschlugen. Sie hatte sich in ihre Arbeit gestürzt, ihren Job, den sie liebte und in dem sie verdammt gut war.

Damals hatte sie noch für Intel Inc. gearbeitet, eine der renommiertesten Detekteien in Vegas. Sie war mit Leib und Seele Privatdetektivin gewesen und hatte alles an diesem Job geliebt  – vom Ausspionieren irgendwelcher Mistkerle, die versuchten, eine Versicherung oder ein Casino zu betrügen, bis zur Zusammenführung von Liebespaaren oder Familienangehörigen, die sich vor langer Zeit aus den Augen verloren hatten. Galt es, untreue Lebensgefährten, Verlobte oder Freundinnen auszuspionieren, dann hatte sie das auch getan. Hey, wenn eine Frau oder ein Mann fremdging, verdiente er oder sie es doch, erwischt zu werden. Und wenn er oder sie unschuldig war (was so gut wie nie vorkam), war es auch nicht weiter schlimm. Wie auch immer die Überwachung endete, es war nicht ihr Problem. Kate wurde für die Zeit bezahlt, die sie investierte, und wenn sie ihren Job erledigt hatte, war sie wieder weg …

Bis zu dem Tag, als Randy Meyers in ihr Büro im vierten Stock gekommen war. Randy war kein besonders bemerkenswerter Mann gewesen, weder gut aussehend noch hässlich, weder groß noch klein – er war einfach nur da gewesen.

Er hatte sich an Intel Inc. und an Kate gewandt, weil seine Frau mit ihren beiden gemeinsamen Kindern verschwunden war. Er hatte Kate das typische Familienfoto vor die Nase gehalten, eines von den Dingern, die man für dreißig Dollar in jedem Einkaufszentrum bekommt. Alles an dem Foto hatte völlig normal ausgesehen – von den zueinanderpassenden Pullovern, über den Bürstenhaarschnitt des Jungen bis zum fehlenden Vorderzahn des kleinen Mädchens.

Und auch über Randy hatte sie nichts Ungewöhnliches herausgefunden. Er hatte kein Vorstrafenregister, galt nicht als gewalttätig gegenüber seiner Familie. Er hatte wie angegeben als Autoverkäufer in der Valley Automall gearbeitet und in der Freizeit die Pfadfindergruppe seines Sohnes geleitet. Außerdem hatte er die Fußballmannschaft seiner Tochter trainiert, und er und seine Frau Doreen hatten gemeinsam Kurse an der Volkshochschule besucht.

Es war nicht weiter schwierig gewesen, seine Frau und die Kinder aufzustöbern. Ganz und gar nicht. Doreen hatte sich nach Waynesboro, Tennessee, zu ihrer Schwester geflüchtet. Kate hatte Randy die gewünschten Informationen gegeben, den Fall offiziell abgeschlossen und hätte nie wieder einen Gedanken daran verschwendet, wäre Randy nicht vierundzwanzig Stunden später als Hauptmeldung in den Abendnachrichten wieder aufgetaucht. Was er seiner Frau und seinen Kindern angetan hatte, bevor er sich selbst richtete, schockierte das ganze Land. Und Kate hatte es in ihren Grundfesten erschüttert.

Bei diesem Fall war es unmöglich gewesen, nicht betroffen zu sein. Bei diesem Fall hatte sie sich nicht sagen können, es sei nicht ihr Problem, weil sie nur ihre Arbeit gemacht habe. Bei diesem Fall hatte sie nicht einfach die Akte schließen und sich an den nächsten Auftrag machen können.

Eine Woche später hatte sie gekündigt, ihren Großvater angerufen und ihm gesagt, sie komme ihn für eine Weile besuchen. Ihre Großmutter war zwei Jahre zuvor gestorben, und Kate wusste, dass ihr Großvater Stanley schrecklich einsam war. Er konnte ein wenig Gesellschaft gut gebrauchen, und für sie wäre ein kleiner Tapetenwechsel genau das Richtige. Sie wusste noch nicht, wie lange sie bleiben würde, aber jedenfalls lange genug, um sich in Ruhe zu überlegen, was sie als Nächstes tun wollte.

Sie wandte sich der Bar zu und trank noch einen Schluck. Der Rum glitt warm ihre Kehle hinunter und weckte ihre Lebensgeister. Entschlossen schob sie die Gedanken an die Meyers-Familie beiseite und richtete den Blick auf die Herzen, die hinter der Bar befestigt waren. Es war Valentinstag, was sie daran erinnerte, dass sie seit Monaten keine aufregende Verabredung mehr gehabt hatte. Keinen Sex mehr seit Manny und dem Bellagio. Manny fehlte ihr im Grunde nicht, die Intimität mit einem Mann hingegen schon. Sie vermisste die Berührung kräftiger Männerhände. Manchmal wünschte sie sich, zu den Frauen zu gehören, die einfach einen Mann in einer Bar aufgabeln. Keine Reue. Keine Schuldzuweisungen. Kein Bedürfnis, vorher sein Vorstrafenregister zu überprüfen.

Manchmal wünschte sie, sie wäre ein wenig mehr wie ihre Freundin Marilyn, deren Motto »Wer rastet, der rostet« lautete, als besäße ihre Vagina ein Verfallsdatum.

Sie musterte ihr Gesicht im Spiegel hinter der Bar und überlegte, ob sich der Verlust der Libido anfühlte, als verliere man eine Socke in der Waschmaschine. Verschwand sie ebenso spurlos? War es, wenn man den Verlust bemerkte, bereits zu spät? War sie für immer verschwunden?

Sie wollte ihr Verlangen nach Sex nicht verlieren. Dafür war sie noch zu jung. Sie wünschte, so könnte für einen Abend die Privatdetektivin in ihr zum Schweigen bringen und sich den tollsten Typen schnappen, ihn am Kragen packen und ihn küssen. Sie wünschte, nur ein einziges Mal die Frau zu sein, die sich auf eine heiße Nacht mit einem Mann einlassen konnte, den sie noch nie gesehen hatte und den sie auch nie wieder sehen würde. Sie würde unter seinen Berührungen dahinschmelzen, würde alles um sich herum vergessen, nur seine Lippen auf ihren spüren. Sie würde mit ihm in ihr Zimmer gehen. Oder sie würden es nicht einmal mehr bis ins Zimmer schaffen, sondern es im Aufzug tun, in einer Wäschekammer oder auf der Treppe.

Kate nahm einen Schluck und wandte ihre Aufmerksamkeit dem gut aussehenden Kellner zu, der am anderen Ende des Tresens stand und Martinis mixte, während er mit irgendwelchen anderen Gästen lachte und scherzte. Sie mochte im Hinblick auf andere Menschen und insbesondere auf Männer zur Zynikerin geworden sein, aber sie war immer noch eine Frau. Eine Frau mit unzähligen Fantasien, die ihr im Kopf herumschwirrten. Fantasien von starken Männerarmen, die sich um ihren Körper schlangen, von Augen, die einander über den Raum hinweg begegneten, von instinktiver Anziehungskraft, von hemmungsloser Lust.

Seit der Trennung von Manny waren sämtliche Männer in ihren Fantasien das genaue Gegenteil von ihm – üble Burschen mit großen Händen und noch größeren … Füßen. Der Star ihrer derzeitigen Tagträume war ein blonder Mistkerl mit Motorradstiefeln in Größe vierundvierzig. Sie hatte ihn in einer Dolce&Gabbana-Anzeige in der Cosmopolitan entdeckt, ein reichlich ungepflegter Kerl, der unfassbar cool aussah.

Manchmal malte sie sich aus, wie er sie auf den Rücksitz seiner Harley fesselte und in sein Liebesnest entführte, in anderen Fantasien sah sie ihn in irgendwelchen heruntergekommenen Bars mit Namen wie The Brass Knuckles oder Devil’s Spawn. Ihre Augen begegneten einander, und sie schafften es gerade noch in die nächste dunkle Gasse, wo sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib rissen.

Jemand setzte sich auf den Barhocker neben Kate und stieß sie versehentlich an der Schulter an. Ihr Punsch schwappte über den Rand, worauf sie schützend die Hände um den warmen Becher legte.

»Ein Sun Valley Ale«, sagte eine Männerstimme neben ihr.

»Vom Fass oder aus der Flasche?«, wollte der Barkeeper wissen.

»Flasche ist okay.«

So sehr sich Kate danach sehnte, eine ihrer Fantasien auszuleben, so klar war ihr, dass es niemals so weit kommen würde, weil sie die Privatdetektivin in ihrem Kopf nicht ausschalten konnte. Die würde im entscheidenden Moment zum Schluss gelangen, dass sie den Kerl zuerst genau unter die Lupe nehmen musste.

In diesem Moment stieg ihr der Geruch der kalten Nachtluft in die Nase, und sie ließ den Blick zu dem kräftigen Männerarm wandern, der in einem aufgekrempelten Ärmel aus grün kariertem Flanell steckte. Eine goldene Rolex prangte am linken Handgelenk, und er trug einen schmalen silbernen Ring am Mittelfinger.

»Soll ich es aufs Zimmer schreiben?«, fragte der Barkeeper.

»Nein, ich bezahle es gleich«, hörte sie den Mann mit der tiefen und leicht rauen Stimme sagen, während er seine Brieftasche aus der Gesäßtasche seiner Levi’s zog. Er streifte ihren Ellbogen, während sie ihren Blick über den grünen Ärmel bis zu seiner Schulter wandern ließ. Die Deckenbeleuchtung verfing sich in den goldenen Strähnen seines leicht zerzausten braunen Haars, das seinen Kragen und seine Ohren bedeckte. Ein schmaler Oberlippenbart und ein Kinnbärtchen unter seiner vollen Unterlippe rahmten seinen breiten Mund ein.

Ihr Blick wanderte weiter, bis er an einem Paar grüner Augen hängenblieb, die sie über den grünen Stoff hinweg musterten. Seine Lider wirkten ein wenig schwer, so als wäre er müde oder gerade erst aus dem Bett aufgestanden.

Sie schluckte.

»Hallo«, sagte er, und seine Stimme schien sie förmlich zu durchströmen, wie der Punsch es zuvor getan hatte.

Heilige Mutter Gottes im Himmel! Hatte sie diesen Kerl mit ihrer Fantasie heraufbeschworen? Er war zwar nicht blond, aber wen kümmerte das schon? »Hallo«, brachte sie mühsam hervor.

»Ein schöner Abend zum Skilaufen, was?«, fragte er.

»Große Klasse«, gab sie zurück, obwohl sie an alles dachte, nur nicht an Skifahren. Dieser Kerl war ein Bild von einem Mann und besaß jenen kräftigen Körperbau, der aus einer Mischung von genetischer Veranlagung und körperlicher Betätigung entstand. Ihrer Schätzung nach musste er Mitte bis Ende dreißig sein.

»Eine ordentliche Lage Neuschnee.«

»Stimmt.« Kate umschloss das warme Porzellan und widerstand dem Drang, wie eine Achtklässlerin mit ihrem Haar herumzuspielen. »Ich liebe Neuschnee.«

Er drehte sich auf seinem Hocker herum und sah ihr ins Gesicht. Ihr Herzschlag drohte auszusetzen. Er war eindeutig noch sexier als ihr Fantasie-Mann, und der war schon ein Wahnsinnstyp.

»Wieso sind Sie dann nicht draußen?«, erkundigte er sich.

»Ich laufe nicht Ski«, gab sie zu.

Überrascht hob er eine Braue, während ein Lächeln um seine Mundwinkel spielte. »Nein?«

Dieser Mann war kein Model-Typ. Man würde sein Gesicht nicht in einer Anzeige von Dolce&Gabbana finden, ebenso wenig würde er sich in einem Gucci-Anzug am Strand aalen. Für so etwas war er zu kräftig, zu maskulin. Zu sehr Mann. Seine Präsenz war einfach überwältigend. »Nein. Ich bin nur auf der Durchreise. Es hat so heftig geschneit, dass ich eine Unterkunft für die Nacht gebraucht habe«, erklärte sie. Unter dem Bärtchen unter seiner Lippe war eine winzige weiße Narbe zu erkennen, und seine Nase sah aus, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen. Es war zwar nicht auf Anhieb zu sehen, aber Kate war darauf geschult, jedes Detail im Gesicht eines Menschen zu registrieren. Und das Gesicht dieses Mannes zu mustern war ein echtes Vergnügen.

»Ich hoffe, es klart bald auf.« Er griff nach der Bierflasche. »Ich will morgen früh nach Bogus Basin.«

»Sind Sie ein Ski-Freak?«

»Im Winter schon. Wenn wir in Bogus waren, geht es weiter nach Targhee und Jackson Hole, bevor wir nach Colorado fahren.«

Wir? »Sind Sie mit Freunden hier?«

»Ja, meine Kumpels sind noch draußen auf der Piste.« Er stützte sich mit den Füßen auf den Metallstreben seines Barhockers ab und spreizte die Beine, so dass sein Knie ihren Oberschenkel streifte.

Die flüchtige Berührung löste irgendetwas in ihrem Inneren aus. Nicht unbedingt spontane, ungezügelte Lust, aber irgendetwas war da. »Wieso sind Sie dann nicht auch draußen?«, fragte sie. Kumpels. Also Männer. Normalerweise bezeichneten Männer weibliche Freunde nicht als Kumpels.

Er hob sein Bier an die Lippen. »Meine Knie machen Ärger«, erwiderte er und nahm einen Schluck.

Trotzdem bestand kein Zweifel: Es musste eine Frau im Leben dieses Mannes geben. Und wahrscheinlich mehr als eine. »Am Valentinstag mit Kumpels Ski fahren?«

Er richtete seine grünen Augen auf sie und ließ die Flasche sinken. »Ist heute Valentinstag?«, fragte er und leckte sich einen Tropfen Bier von der Oberlippe.

Kate lächelte. Die Tatsache, dass er nicht wusste, welcher Tag war, ließ ahnen, dass es im Moment keine ernsthafte Beziehung in seinem Leben gab. »Jedes Jahr am 14. Februar.«

Er schaute sich im Raum um, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Ah. Das erklärt all die Herzen.«

Ihr Blick wanderte zu seinem Bart, der seinen Mund und sein Kinn umrahmte, und weiter über seinen kräftigen Hals bis zur gebräunten Vertiefung unterhalb seiner Kehle. »Wie es aussieht, sind wir die Einzigen hier, die nicht zusammengehören.«

»Sagen Sie bloß nicht, Sie sind allein hier.«

Kate sah ihm ins Gesicht und lachte. Ihr gefiel die Art und Weise, wie er es gesagt hatte – so als könnte er es sich nur schwer vorstellen. »Doch, sieht ganz so aus.« In ihrer Lieblingsfantasie war sie mit einem Prachtkerl in der Schuhabteilung bei Nordstrom’s eingeschlossen. »Und wie sieht es mit Ihnen aus? Gibt es jemanden, der sauer ist, weil Sie den Valentinstag vergessen haben?«

»Nein.«

Bislang hatte sie ihre Fantasien noch nie in einer Skihütte spielen lassen, aber das konnte ja noch kommen. Sie konnte es sich nicht verkneifen. Dieser Mann strahlte Pheromone aus wie ein Reaktor in Tschernobyl Radioaktivität – mit dem Ergebnis, dass der atomare Niederschlag aus dieser Nähe eine geradezu tödliche Wirkung besaß.

Er schob die Ärmel seines Flanellhemds nach oben und entblößte dabei etwas auf seinem kräftigen linken Unterarm, das wie der Schwanz einer Schlange oder eines anderen Reptils aussah. »Ist das eine Schlange?«

»Ja. Das ist Chloe. Sie ist ein echtes Schätzchen.«

Klar. Die tätowierte Schlange war aus dunklem Gold mit schwarzweißen Streifen und sah so echt aus, dass Kate zweimal hinsehen musste. Die Schuppen waren perfekt definiert, und Kate streckte unwillkürlich die Hand aus, um seinen bloßen Arm zu berühren. »Was für eine Art ist das?«

»Ein Angola-Zwergpython.«

Ein Python! Igitt! »Wie groß ist sie?«, fragte Kate und sah ihm wieder ins Gesicht. Etwas Heißes und Sinnliches schimmerte in den Tiefen seiner grünen Augen, ein Bedürfnis, das ihren Puls zum Rasen brachte und ihre Haut prickeln ließ.

Er hob sein Bier an die Lippen und wandte den Blick ab. »Einen Meter fünfzig.« Er nahm einen großen Schluck, und als sein Blick wieder dem ihren begegnete, war das Flackern verschwunden, als hätte es niemals existiert.

Sie ließ die Hand sinken. »Und sind die ganzen anderthalb Meter auf Ihren Körper tätowiert?«

»Ja.« Er deutete mit dem Flaschenhals auf seinen Unterarm. »Hier ist das Schwanzende. Sie windet sich auf meinem Arm entlang über den Rücken bis zu meinem rechten Oberschenkel.«

Kates Blick wanderte zu seinem Oberschenkel und blieb an seinen Lenden hängen. Ausgetragene Levis schmiegten sich um seine Beine und spannten sich über die Wölbung seines Schoßes. Eilig sah sie weg, ehe er sie ertappen konnte. »Ich habe auch ein Tattoo.«

Er lachte, ein tiefes Grollen in seiner Brust, das seltsame Dinge in ihrer eigenen Brust anstellte. »Was denn? Ein Herzchen auf dem Fußknöchel?«

Sie schüttelte den Kopf und nahm einen großen Schluck von ihrem Punsch. Die Hitze durchströmte sie, und sie spürte, wie sie rot wurde. Sie wusste nicht, ob es am Rum oder an dem Testosteroncocktail auf dem Barhocker neben ihr lag, aber ihr war plötzlich ein klein wenig schwindlig. Nicht die Art Schwindel, die einen ohnmächtig werden ließ, sondern die einem ein Grinsen aufs Gesicht zauberte, obwohl man keinerlei Grund dafür hatte.

»Hmmm?« Er ließ den Blick an ihrer Kehle entlangwandern. »Eine Rose auf der Schulter?«

Die Art Schwindel, die eine Frau an heiße, verschwitzte Dinge denken lässt. Heiße, verschwitzte, nackte Dinge, von denen sie sich lieber fernhalten sollte. »Nein.«

Er sah ihr wieder in die Augen. »Eine Sonne um den Bauchnabel?« , fragte er weiter.

»Ein Mond und ein paar Sterne, aber nicht um den Nabel.« Heiße, verschwitzte, nackte Dinge, von denen nie jemand erfahren durfte.

»Ich wusste doch, dass es etwas Mädchenhaftes sein muss«, höhnte er kopfschüttelnd. »Wo?«

Es konnte doch nicht sein, dass sie sich alles nur einbildete. Er musste es doch auch spüren, aber was, wenn sie sich ihm an den Hals warf und er sie zurückwies? Sie bezweifelte, dass sie mit dieser Art Demütigung zurechtkommen würde. »Auf meinem Hintern.«

Winzige Fältchen erschienen in seinen Augenwinkeln, und er lachte erneut. »Voll oder halb?«

Moment mal, er ist ein Kerl, dachte sie, während sie ihren Becher leerte. Männer waren nun mal Männer. Er würde sie nicht abweisen. »Eine Sichel.«

»Ein Mond auf dem Mond.« Wieder hob er eine Braue, lehnte sich zur Seite und spähte auf ihren Hintern, als könnte er durch die Kleider etwas erkennen. »Interessant. So etwas habe ich noch nie gesehen.« Er nahm noch einen Schluck und richtete sich wieder auf.

Vielleicht lag es am Rum und ihren heißen, verschwitzten Gedanken; vielleicht lag es am Valentinstag und daran, dass sie einsam und noch nicht bereit für Hushpuppies war. Vielleicht wollte sie nur ein einziges Mal spontan sein – oder es war eine Mischung aus allem.

»Wollen Sie es sehen?«, entschlüpfte es ihr. In der Sekunde, als die Worte über ihre Lippen kamen, schien ihr Herzschlag auszusetzen. Oh Gott!

Er ließ die Flasche sinken. »Soll das eine Einladung sein?«, fragte er.

Sollte es das? Ja. Nein. Möglicherweise. Konnte sie das wirklich tun? Analysier es nicht wieder zu Tode. Denk nicht zu lange darüber nach, ermahnte sie sich. Du wirst diesen Kerl nie wieder sehen. Tu es einfach. Nur ein einziges Mal in deinem Leben. Sie kannte nicht einmal seinen Namen, aber schätzungsweise spielte das ohnehin keine Rolle. »Interesse?«

»Reden Sie von Sex?«, fragte er langsam, als wolle er sichergehen, dass er sie richtig verstanden hatte.

Sie sah in seine Augen, die er auf sie gerichtet hatte, und bemühte sich, gegen den Kloß anzuschlucken, der sich auf einmal in ihrem Hals gebildet hatte. Konnte sie ihn benutzen? Konnte sie sich nach allen Regeln der Kunst mit ihm vergnügen und ihn vor die Tür setzen, wenn sie fertig mit ihm war? War sie ein Mensch, der so etwas fertigbrachte? »Ja.«

Da war es wieder, dieses heiße, sinnliche Verlangen, das in seinem Inneren loderte und brannte. Doch in Bruchteilen von Sekunden versteinerten sich seine Züge, und sein Blick wurde eisig. »Ich fürchte, das geht nicht«, sagte er, als hätte sie ihm etwas angeboten, das schlimmer war als der Tod. Er stellte seine Flasche auf den Tresen und stand auf.

Kate brachte ein verblüfftes »Oh« zustande, ehe ihre Wangen zu glühen und ihre Ohren zu klingeln begannen. Sie hob eine Hand und berührte ihr Gesicht, das sich mit einem Mal ganz taub anfühlte. Sie konnte nur hoffen, dass sie jetzt nicht ohnmächtig wurde.

»Nehmen Sie’s nicht persönlich, aber ich gehe nicht mit Frauen ins Bett, die ich in Bars kennen lerne.« Und damit verließ er die Bar, so schnell ihn seine Füße trugen.

ZWEI

Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr war Kate nur noch in unregelmäßigen Abständen zu Gast in Gospel, Idaho, gewesen. Als Kind war sie noch begeistert durch die verwilderte Gegend gestreift und im Fish Hook Lake schwimmen gegangen. Und sie hatte sehr gern im M & S Market, dem kleinen Lebensmittelgeschäft ihrer Großeltern, ausgeholfen. Aber als Teenager war es nicht mehr cool gewesen, Zeit bei den Großeltern zu verbringen, so dass sie nur noch sporadisch hingefahren war.

Ihr letzter Besuch in Gospel war anlässlich des Begräbnisses ihrer Großmutter gewesen, eine, wenn sie heute daran zurückdachte, kurze, schmerzliche, verschwommene Erinnerung.

Dieser Aufenthalt sollte nicht ganz so schmerzlich sein, doch als sie vor ihrem Großvater stand, war ihr klar, dass er alles andere als kurz werden würde.

Stanley Caldwell besaß einen Gemischtwarenladen, in dem es alles gab, was man zum Leben brauchte. Er schlachtete selbst und kaufte frische Waren ein, trotzdem aß er jeden Abend ein Fertiggericht. Swanson Hungry Man. Jeden Abend.

Er hielt das Haus in Ordnung, aber selbst zwei Jahre nach Großmutters Tod standen noch überall Tom-Jones-Andenken herum, was Kate ziemlich seltsam fand, denn schließlich war sie die Jones-Fanatikerin gewesen und nicht er. Ehrlich gesagt hatte er sogar keine Gelegenheit ausgelassen zu betonen, dass er ihre Leidenschaft zwar duldete, aber keineswegs teilte. Ebenso wenig hatte sie seine Liebe für die Jagd geteilt.

Melba Caldwells Begeisterung für Tom Jones war sogar noch größer gewesen als Stanleys für die Jagd. Wie ein Pilger auf der Reise zu den heiligen Stätten hatte Kates Großvater ihre Großmutter jeden Sommer nach Las Vegas ins MGM Grand Hotel gefahren, wo sie mit den anderen Anhängerinnen ihrem Idol bei einer seiner Shows huldigen konnte. Und jedes Jahr hatte Melba ein zusätzliches Paar Unterhosen in ihrer Handtasche gehabt.

Vor vielen Jahren hatte Kate ihre Großmutter einmal zu einem von Toms Konzerten begleitet, und dieses eine Mal hatte ihr gereicht. Sie war achtzehn gewesen, und der Anblick ihrer Großmutter, die ein rotes Seidenhöschen aus der Tasche zog und auf die Bühne schleuderte, hatte Kate eine Heidenangst eingejagt. Das Höschen war wie ein Herbstdrachen auf die Bühne gesegelt und an Tom Jones’ Mikrofonständer hängengeblieben. Selbst heute noch, nach all diesen Jahren, wurde ihr ganz flau bei der Erinnerung daran, wie er sich mit dem Höschen ihrer Großmutter den Schweiß von der Stirn gewischt hatte.

Kates Großmutter war inzwischen zwei Jahre tot, aber noch immer war nichts von ihren Sachen eingepackt und irgendwo verstaut worden. Überall stand irgendwelcher Tom-Jones-Krimskrams herum. Es war fast, als erhalte ihr Großvater die Erinnerung an seine Frau durch Sexbomb-Aschenbecher, Delilah -Gläser und Pussycat-Wackelfiguren aufrecht. Als bestünde die Gefahr, die Verbindung zu ihr löse sich endgültig, wenn er sich von diesen Sachen trennte.

Er weigerte sich, jemanden einzustellen, der ihm tagsüber im Laden half, obwohl er es sich zweifellos leisten könnte. Die Aberdeen-Zwillinge und Jenny Plummer übernahmen abwechselnd die Spätschicht. Sonntags blieb der Laden geschlossen, und der einzige Unterschied zu früher bestand darin, dass ihm mittlerweile Kate anstelle von Melba zur Hand ging.

Er war so altmodisch, dass er die Bücher immer noch von Hand führte und alle Ausgaben und Einnahmen in einem großen Kassenbuch festhielt. Mithilfe von Büchern in verschiedenen Farben behielt er seit den Sechzigerjahren die Kontrolle über sein Inventar und seine Verkäufe. Er wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, den Schritt ins 21. Jahrhundert zu tun, und besaß folglich auch keinen Computer. Das einzig moderne Bürohilfsmittel war eine Rechenmaschine.

Wenn er so weitermachte, würde er sich mit all der Arbeit noch ins Grab bringen, und Kate fragte sich, ob er insgeheim genau das vorhatte. Sie war nach Gospel gekommen, um sich eine Verschnaufpause zu gönnen und ihrem gewohnten Leben eine Zeit lang den Rücken zu kehren. Ein Blick in das traurige Gesicht ihres Großvaters und auf seine noch traurigere Existenz hatte genügt, um zu wissen, dass sie ihn unmöglich allein lassen konnte, ehe er nicht sein Leben wieder genoss, statt nur die tägliche Routine abzuspulen.

Inzwischen waren zwei Wochen seit ihrer Ankunft in Gospel vergangen, doch bereits nach zwei Tagen war ihr klar gewesen, dass sich seit ihrer Kinderzeit kaum etwas verändert hatte. Die Stadt hatte eine Eintönigkeit an sich, eine Vorhersehbarkeit, die Kate zu ihrer eigenen Überraschung sogar als angenehm empfand. Die Tatsache, dass man seine Nachbarn kannte, hatte etwas überaus Beruhigendes an sich. Und obwohl diese Nachbarn bis an die Zähne bewaffnet waren, lag etwas Tröstliches in der Gewissheit, dass sie wohl kaum durchdrehen und ein Blutbad anrichten würden.

Zumindest nicht vor dem Frühling. Wie die Schwarzbären, die die Wildnis durchstreiften, lag die kleine Stadt während der Wintermonate in tiefem Schlaf. Sobald die normale Jagdsaison im Spätherbst endete, gab es nicht viel zu tun, bis der Schnee schmolz.

Soweit Kate wusste, verband die Bewohner eine Hassliebe mit den Touristen. Sie hegten ein tiefes Misstrauen gegenüber jedem, der ohne das »Famous Potatoes«-Nummernschild auf der Stoßstange auftauchte, das ihn als Bewohner von Idaho qualifizierte. Ihre Aversion gegen Kalifornien war nicht zu leugnen, außerdem sahen sie auf jeden herab, der nicht in der Gegend geboren und aufgewachsen war.

Nach all den Jahren gab es immer noch nur zwei Restaurants in Gospel, und die Spezialität im Crazy Corner Café war nach wie vor Hühnchen gebraten oder Hühnchen frittiert. Außerdem gab es zwei Lebensmittelläden, von denen M & S mit seiner Einzelkasse der kleinere war. Vor der Stadt befanden sich zwei Kirchen in ein und derselben Straße, eine überkonfessionelle und eine mormonische. Außerdem gab es fünf Bars und vier Geschäfte für Waffen und Anglerbedarf.

Der einzige neue Laden in der Stadt war ein Sportgeschäft in einem Gebäude gegenüber dem M & S, in dem früher einmal die Apotheke untergebracht gewesen war. Das alte Blockhaus war renoviert worden, und über dem großen Buntglasfisch im Schaufenster prangte in großen Goldbuchstaben SUTTER SPORTS. Das Haus hatte ein grünes Zinkdach und Markisen, und an den mit Messingbeschlägen versehenen Glasflügeltüren hing ein Schild mit der Aufschrift »Bis April geschlossen«.

Laut Stanley gab es bei Sutter keine Waffen zu kaufen. Niemand wusste, warum das so war. Schließlich war man hier in Gospel, der Hauptstadt der Waffennarren; einem Ort, wo die Teenager ihren Waffenschein noch vor dem Führerschein in Händen hielten; einem Ort, wo an sämtlichen Pick-ups Gewehrhalterungen angebracht waren und Aufkleber mit dem Spruch WENN SIE MEINE WAFFE WOLLEN, MÜSSEN SIE WARTEN, BIS ICH TOT BIN UND MEINE FINGER STARR SIND auf den Stoßstangen prangten. Hier schliefen die Menschen mit der Waffe hinter dem Kopfteil ihres Bettes oder in der Wäscheschublade. Dennoch waren sie stolz darauf, dass seit der Jahrhundertwende, als sich zwei der Hansen-Brüder wegen einer Hure namens Frenchy eine Schießerei geliefert hatten, kein Bürger mehr durch eine Schusswaffe umgekommen war.

Na schön, bis auf diesen einen Vorfall 1995, als der frühere Sheriff sich das Leben genommen hatte, aber natürlich zählte das nicht, denn Selbstmord war schließlich kein Verstoß gegen das Gesetz. Außerdem redete keiner hier gern über dieses spezielle Kapitel in der Geschichte der Stadt.

Von innen sah der M & S Market im Großen und Ganzen noch genauso aus wie in Kates Kindertagen. Das Geweih des Zwölfenders, den ihr Großvater 1979 erlegt hatte, hing noch immer über der alten, ramponierten Registrierkasse, und neben dem Kaffeeautomaten traf man sich und unterhielt sich über alles Mögliche – vom geheimnisvollen Besitzer von Sutter Sports bis zu Iona Osborns Hüftgelenksoperation.

»Man kann nicht so viel auf die Waage bringen und keine Probleme mit der Hüfte haben«, erklärte Ada Dover, als Kate zuerst die Preise ihrer Lebensmittel in die Kasse eintippte und dann mit der Handkante auf »Addieren« drückte.

»Hmm«, meinte sie und gab eine Dose Pfirsiche in eine Plastiktüte. Selbst die Geräuschkulisse im Laden war praktisch dieselbe. Aus dem Hinterzimmer drang das Jaulen des elektrischen Tranchiermessers, und aus den Lautsprechern über ihr schwärmte Tom Jones vom grünen Gras der Heimat. Melbas Gegenwart war noch immer überall im Laden zu spüren – von dieser grässlichen Musik bis zu dem Samtbehang mit Toms Gesicht, der im Hinterzimmer hing. Das Einzige, was sich seit Melba Caldwells Tod im Laden verändert hatte, war der stete Strom der Witwen, die sich an Stanley heranmachten.

»Iona hätte sich schon vor Jahren bei den Weight Watchers anmelden sollen. Warst du auch schon mal dort?«

Kate schüttelte den Kopf, so dass ihr Pferdeschwanz ihre Schultern streifte. Vergangene Woche hatte sie Tom Jones durch Matchbox Twenty ersetzt, aber auf der Hälfte der zweiten Strophe von »Disease« hatte ihr Großvater die CD herausgenommen und wieder Tom eingelegt. Als Ada weiterblubberte und Tom säuselte, spürte Kate, wie sie leichte Kopfschmerzen bekam.

»So bleibt meine Figur in Form. Und Fergies auch. Da ich mit Iona befreundet bin, habe ich versucht, sie dazu zu bewegen, wenigstens ein paarmal zu den Treffen im Gemeindezentrum zu kommen.« Ada schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. »Sie hat mir versprochen, sie tut es, aber das hat sie nicht. Wenn sie auf mich gehört hätte, wären die Pfunde zack-zack weg gewesen, und sie hätte sich nie ein neues Hüftgelenk einsetzen lassen müssen.«

Zack-zack? »Es könnte doch sein, dass Ionas Stoffwechsel etwas langsam arbeitet«, gab Kate zu bedenken. Ihr Großvater meinte, Ada Dover komme jeden Tag um die Mittagszeit vorbei, sorgfältig frisiert und zurechtgemacht und in eine Parfumwolke gehüllt. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie vorhatte, Stanley zu ihrem Ehemann Nummer drei zu machen.

»Sie sollte sich in diesem Sportgeschäft da drüben eines dieser Mountainbikes zulegen.«

Nun, da Kate hier war, fand Stanley immer irgendetwas, das er dringend im Hinterzimmer erledigen musste, um Ada und den restlichen Witwen aus dem Weg zu gehen, die ihn im Visier hatten. Außerdem ließ er sie die Lebensmittel ausliefern, wovon Kate alles andere als begeistert war. Sie ließ sich nicht gern über ihren Großvater ausfragen und hatte Besseres zu tun, als sich Myrtle Lakes Geschwafel über lästige Krankheiten wie Fersendorne anzuhören. »Vielleicht sollte Iona es erst mal mit Spazierengehen probieren«, schlug sie vor, griff nach einer Schachtel Weizenkekse und gab sie in die Tüte.

»Tja, selbst wenn Iona eines dieser Fahrräder kaufen wollte, könnte sie es nicht. Denn der Besitzer dieses Ladens ist wahrscheinlich irgendwo in der Karibik und aalt sich in der Sonne. Seine Mutter arbeitet als Schwester im Krankenhaus. Sie stammt nicht von hier, sondern aus Minnesota oder so was. Aber die ist ja verschlossen wie eine Tupperware-Schüssel.« Ada kramte in ihrer riesigen Handtasche und zog ihre Brieftasche heraus. »Ich habe keine Ahnung, wieso er diesen Laden überhaupt in Gospel aufmachen musste. Wahrscheinlich würde er in Sun Valley viel mehr von diesen Fahrrädern und seinem anderen Zeug verkaufen. Außerdem gibt es bei ihm nicht mal Waffen. Ich weiß nicht wieso, aber so sind die nun mal in Minnesota. Liberal und eigensinnig.«

Kate fragte sich, was die Tatsache, dass jemand aus Minnesota stammte, damit zu tun hatte, dass er keine Waffen verkaufte oder eigensinnig war, doch in diesem Augenblick überlief sie ein so heftiger Schauder, dass sie das nicht vertiefte. Sun Valley. Der Ort der übelsten Demütigung ihres bisherigen Lebens. Der Ort, wo sie sich betrunken und einem Mann ein unmoralisches Angebot gemacht hatte. Als es ihr endlich einmal gelungen war, ihre Hemmungen über Bord zu werfen und einfach loszulegen, war sie von einem Mann abserviert worden, ehe er die Flucht vor ihr ergriffen hatte.

»Er sieht verflixt gut aus, aber er steigt nun mal zu keiner ins Bett. Jeder weiß, dass Dixie Howe alles versucht hat, um ihn rumzukriegen, aber er hat einfach nicht angebissen. Woraus ich ihm natürlich keinen Vorwurf machen kann. Dixie hat ein echtes Händchen fürs Haarefärben, aber sie ist eben ein bisschen zu oft flachgelegt und dann abserviert worden.«

»Vielleicht steht er ja nicht auf Frauen«, wandte Kate ein und drückte die »Summe«-Taste. Der Kerl in Sun Valley hatte jedenfalls keine Frauen gemocht. Das war zumindest Kates Erklärung für den Vorfall.

Ada sog geräuschvoll die Luft ein. »Homosexuell?«

Nein. So gern Kate geglaubt hätte, dass der Kerl schwul war und sie deshalb zurückgewiesen hatte, konnte sie es sich beim besten Willen nicht vorstellen. Sie besaß ein zu ausgeprägtes Gespür für Menschen, um die Anzeichen zu übersehen. Nein, er gehörte einfach zu den Männern, die Frauen gern erniedrigten und wollten, dass sie sich mies fühlten. Entweder das, oder er litt unter Erektionsstörungen. Kate lächelte. Vielleicht auch beides.

Ada schwieg einen Augenblick, ehe sie fortfuhr. »Rock Hudson war doch schwul, und dieser Rupert Everett auch. Reginas Sohn Tiffer ist schwul, aber er sieht nicht gut aus. Er war bei einer dieser Miss-Wahlen für Schwule unten in Boise. Dort hat er ›Don’t Rain on My Parade‹ gesungen, aber natürlich hat er nicht gewonnen. Selbst Drag Queens haben ihre Mindestanforderungen.« Sie nahm einen Stift heraus und machte sich daran, einen Scheck auszustellen. »Regina hat mir das Foto gezeigt. Ich schwöre, mit der Perücke auf dem Kopf und dem Rouge im Gesicht sieht Tiffer aus wie seine Mutter. Und Regina ähnelt eher Charles Nelson Riley als Barbara Streisand. Trotzdem wäre es eine echte Verschwendung und eine Schande, wenn dieser Sutter-Bursche schwul wäre. Andererseits würde es erklären, warum er nie mit jemandem ausgeht und noch ledig ist.« Ada riss den Scheck aus dem Heft und reichte ihn Kate. »Und Myrtle Lakes Enkelin, Rose, ist auch hinter ihm her. Rose ist ein hübsches, junges Ding, aber auch bei ihr hat er nicht angebissen.«

Kate fragte sich, woher Ada so viel über den Besitzer des Sportgeschäfts wissen konnte. Natürlich hätte sie sich diese Informationen ohne weiteres selbst beschaffen können, aber sie war schließlich offiziell anerkannte Privatdetektivin und besaß so etwas wie Berufsethos. Wohingegen Ada das Sandman Motel betrieb und allem Anschein nach ziemlich neugierig war.

Nachdem Ada verschwunden war, schloss Kate die Kasse und ging nach hinten. Im Hinterzimmer roch es nach frisch geschlachtetem Fleisch und nach dem Desinfektionsmittel, das ihr Großvater zum Reinigen seiner Gerätschaften und der Schneidebretter verwendete. Im hinteren Teil des Raums befand sich die kleine Backstube, wo ihre Großmutter Kuchen, Kekse und Brot gebacken hatte. Die Utensilien waren abgedeckt. In den vergangenen beiden Jahren hatte sie niemand mehr benutzt.

Stanley saß an einem langen Tisch, wo er sechs T-Bone-Steaks in blaue Styroporbehälter gelegt und mit Plastikfolie verpackt hatte. An der Wand hinter ihm hingen noch immer dieselben Karten über die fachgerechte Zerteilung von Schlachtfleisch. Abgesehen von den verwaisten Backutensilien sah es aus, als hätte sich seit Jahrzehnten hier nichts verändert, doch das stimmte nicht. Ihr Großvater war älter geworden und ermüdete schneller. Ihre Großmutter war tot, und Kate hatte keine Ahnung, weshalb er den Laden nicht einfach verkaufte oder jemanden engagierte, der ihn in seinem Auftrag führte.

»Ada ist weg«, meinte Kate. »Du kannst rauskommen.«

Stanley Caldwell sah auf, und Kate bemerkte den Kummer in seinen braunen Augen, der die Traurigkeit in seinem Herzen widerspiegelte. »Ich habe mich nicht versteckt, Katie.«

Sie kreuzte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen einige Kartons, die in den Lagerraum gebracht werden sollten. Er war der einzige Mensch, der sie Katie nannte, als wäre sie immer noch ein kleines Mädchen. Sie sah ihn an, bis sich sein Mund unter dem dichten grauen Schnurrbart zu einem Lächeln verzog.

»Na ja, vielleicht doch«, gab er zu und stand auf. Sein rundes Bäuchlein zeichnete sich unter der blutverschmierten Schürze ab. »Aber diese Frau redet so viel, dass mir der Kopf schwirrt.« Er löste seine Schürze und warf sie auf die Arbeitsplatte. »Ich kann einfach keine Frau um mich haben, die ständig redet. Das ist etwas, das ich an deiner Großmutter so mochte. Sie hat nicht nur geredet, um ihre eigene Stimme zu hören.«

Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Melba hatte den Klatsch ebenso geliebt wie alle anderen hier. Und Kate hatte keine zwei Wochen gebraucht, um herauszufinden, dass der Klatsch hier die fünfte Säule der täglichen Nahrung darstellte – Fleisch, Gemüse, Brot und Milchprodukte, serviert mit einer gesunden Portion »Hast du schon gehört, dass Vondas Jüngster beim Rauchen hinter der Schule erwischt worden ist?«.

»Was ist mit dieser Frau, die für den Sheriff arbeitet? Sie scheint nett zu sein und redet nicht so viel wie Ada.«

»Das ist Hazel.« Stanley nahm die verpackten Steaks und trug sie, dicht gefolgt von Kate, zur Auslage. Der abgenutzte Holzboden knarzte noch an genau denselben Stellen wie in ihrer Kindheit. Noch immer hing das »Danke für Ihren Einkauf«-Schild über der Tür, und die Schokoriegel und Kaugummis lagen gleich im ersten Regalgang. Nur dass der Ein-Penny-Riegel von damals heute zehn Cents kostete, die Schritte des Ladenbesitzers langsamer geworden, seine Haltung gebeugter und seine Finger gekrümmter waren.

»Hazel ist ein nettes Mädchen«, meinte ihr Großvater und blieb vor der offenen Kühltheke stehen. »Aber sie ist eben nicht deine Großmutter.«

Die Fleischtheke war in vier Fächer auf drei Ebenen aufgeteilt  – jeweils eines für Huhn, Rind, Schwein und eines für bereits verpacktes Fleisch.

»Hast du eigentlich schon mal darüber nachgedacht, in den Ruhestand zu gehen, Großvater?«, fragte Kate, während sie einige Pakete mit Grillwürstchen gerade rückte. Dieses Thema ging ihr seit einiger Zeit im Kopf herum, und sie hatte auf den richtigen Augenblick gewartet, um es anzuschneiden. »Du solltest dich amüsieren und es langsam angehen lassen, statt Fleisch zu schneiden, bis du Blasen an den Fingern bekommst.«

Er zuckte mit den Achseln »Deine Großmutter und ich haben oft über unseren Ruhestand geredet. Wir wollten eines dieser Wohnmobile kaufen und durchs Land reisen. Deine Mutter liegt mir auch ständig damit in den Ohren, aber ich kann einfach noch nicht.«

»Du könntest ausschlafen und müsstest dir keine Gedanken mehr machen, ob Mrs. Hansens Lammfleischwürfel genau zwei Zentimeter dick sind oder ob dir der Salat ausgeht.«

»Ich schneide den Leuten das Fleisch aber gern genauso, wie sie es haben wollen, und wenn ich nicht mal einen Ort hätte, wo ich morgens hingehen kann, würde ich vielleicht bald nicht einmal mehr aufstehen.«

Kate verspürte einen Anflug von Traurigkeit. Sie kehrten ins Hinterzimmer zurück, wo ihr Großvater ihr zeigte, wie man eine neue Rolle Preisschilder in die Auszeichnungsmaschine gab. Alles, was im Laden stand, wurde mit einem Preisschild versehen, selbst wenn es bereits vom Hersteller ausgezeichnet war. Sie hatte ihren Großvater auf diesen unnötigen Aufwand hingewiesen, doch er war zu sehr mit seinen Gewohnheiten verwachsen, um noch etwas zu verändern. Seine Träume für die Zukunft waren gemeinsam mit ihrer Großmutter gestorben, und er hatte seitdem keinen Ersatz für sie gefunden.

Die Glocke über der Tür ertönte. »Diesmal gehst du«, sagte Kate und lächelte. »Wahrscheinlich ist es wieder eine deiner Damen, die mit dir flirten will.«

»Ich will aber mit keiner Frau flirten«, grummelte Stanley und ging hinaus.

Ob ihm die allgemeine Aufmerksamkeit nun recht war oder nicht, Stanley war der begehrteste Junggeselle der älteren Damen in Gospel. Vielleicht war es an der Zeit, endlich aufzuhören, sich vor dem Leben zu verkriechen. Und vielleicht konnte sie ihm helfen, einige seiner alten Träume loszulassen und neue zu erschaffen.

Kate öffnete mit dem Taschenmesser einen Karton mit roten Rüben und griff nach dem Auszeichnungsgerät. Sie war nie eine Träumerin gewesen, sondern eher jemand, der die Dinge in die Hand nahm. Statt nebulöser Träume hatte sie voll ausgereifte Fantasien. Aber erst kürzlich hatte sie gelernt, dass es vielleicht klüger war, diese Fantasien für sich zu behalten, so dass sie nicht durch eine Zurückweisung jäh zerstört werden konnten.

Wahrscheinlich war sie die einzige Frau in der Geschichte der Menschheit, die sich in einer Bar eine Abfuhr eingehandelt hatte, und in den letzten beiden Wochen war es ihr nicht gelungen, sich einen würdigen Ersatz für ihre Fantasie einfallen zu lassen. Keine üblen Burschen auf Motorrädern mehr, die sie auf den Sattel der Maschine fesselten. Nein, es gab überhaupt keine Fantasien mit irgendwelchen Männern mehr. Dieser Mistkerl in Sun Valley hatte sie nicht nur bis auf die Knochen blamiert, sondern sie auch noch ihrer Fähigkeit beraubt, Fantasien zu entwickeln.

Sie klebte probeweise ein Preisschild auf die Seitenwand des Kartons, ehe sie sich an die erste Dosenreihe machte. Aus den Lautsprechern neben den begehbaren Kühlschränken krächzte Tom Jones eine lausige Neuauflage von »Honky Tonk Woman«,

Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »The Trouble with Valentine’s Day« bei Avon Books, an Imprint of HarperCollins Publishers, New York

1. Auflage Taschenbuchausgabe November 2012 Deutsche Erstveröffentlichung Februar 2007

Copyright © der Originalausgabe 2005 by Rachel Gibson Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München Umschlagmotiv: © FinePic®, München Redaktion: Kathrin Clausing MR · Herstellung: sc

eISBN 978-3-641-10176-3

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