Frisch getraut - Rachel Gibson - E-Book

Frisch getraut E-Book

Rachel Gibson

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Beschreibung

Erotische Liebesszenen, prickelnde Dialoge und eine herzerwärmende Story

Am Tag nach der Hochzeit ihrer besten Freundin erwacht Clare mit einem mörderischen Kater in einem fremden Hotelzimmer. Sie hat keine Ahnung, wie sie dort hingekommen ist, aber sie weiß, wer unter der Dusche steht: Sebastian, der Alptraum ihrer Kindheit und nun ein Traum von einem Mann mit einer gefährlich erotischen Ausstrahlung. Doch Clares Verlobung ist gerade geplatzt, und sie hat eigentlich die Nase voll von Männern. Allerdings lässt sich Sebastian so schnell nicht abschütteln …

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Seitenzahl: 412

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Buch

Clare Wingate ist verzweifelt – sie ist Brautjunger auf der Hochzeit ihrer besten Freundin, aber seit sie kurz zuvor ihren Verlobten mit dem Waschmaschinenmonteur im Bett erwischt hat, ist ihr gar nicht mehr zum Feiern zu Mute. Das Fest wird ein Desaster für Clare, sie betrinkt sich sinnlos und wacht am nächsten Morgen in einem fremden Hotelzimmer auf. Sie kann sich an nichts erinnern, aber sie sieht, dass in der Tür zur Dusche ein verdammt attraktiver Mann steht, der ihr dunkel bekannt vorkommt. Es ist Sebastian Vaughan: Nachbarsjunge aus Kindertagen, der sie mit seinen bösen Streichen mehr als einmal zu Tränen getrieben hatte und mit dem sie offensichtlich die Nacht verbracht hat. Clare will nur noch nach Hause, allerdings lässt Sebastian sich nicht so schnell abschütteln. Er war als erfolgreicher Kriegskorrespondent auf der ganzen Welt unterwegs und will jetzt eine Pause in Boise im Haus seines Vaters einlegen. Und bald entdecken die beiden, dass zwischen ihnen statt der Hassliebe aus Kindertagen inzwischen eine prickelnde Spannung herrscht …

Autorin

Seit sie sechzehn ist, erfindet Rachel Gibson mit Begeisterung Geschichten. Mittlerweile hat sie nicht nur die Herzen ihrer Leserinnen erobert, sondern wurde auch mit dem »Golden Heart Award« der Romance Writers of America und dem »National Readers Choice Award« ausgezeichnet. Rachel Gibson lebt mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Katzen und einem Hund in Boise, Idaho.

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorinEinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnFünfzehnSechzehnSiebzehnAchtzehnNeunzehnEpilogDanksagungCopyright

Herzlichen Dankden Liebesromanleserinnen, die michseit der Veröffentlichung meines allerersten Buchestreu unterstützt haben.Das hier ist Ihnen gewidmet.

Eins

Als Clare Wingate sich das erste Mal in einem fremden Bett wiederfand, war sie einundzwanzig und einer schlimmen Trennung und zu vielen Jelo Shooters zum Opfer gefallen. Die Liebe ihres Lebens hatte sie für eine blonde Kunststudentin mit imposantem Vorbau sitzen lassen, und Clare hatte den ganzen Abend im Humpin’ Hannah’s an der Theke verbracht und ihren Kummer in Alkohol ertränkt.

Am nächsten Morgen war sie in einem Bett aufgewacht, das nach Patschuli-Öl roch, und hatte auf ein Bob-Marley-Poster an der Decke gestarrt, während das Schnarchen des Typs neben ihr das Hämmern in ihrem Kopf übertönte. Sie hatte keinen Schimmer, wo sie war oder wie der Typ hieß, und war auch nicht lang genug geblieben, um ihn nach seinem Namen zu fragen.

Stattdessen hatte sie sich ihre Klamotten geschnappt und sich aus dem Staub gemacht. Während sie im unbarmherzigen Morgenlicht nach Hause fuhr, hatte sie sich eingeredet, dass es im Leben Schlimmeres gab als spontanen Sex mit Unbekannten. Zum Beispiel vom College zu fliegen oder in einem brennenden Gebäude eingeschlossen zu sein. Das war echt schlimm. Trotzdem waren One-Night-Stands nichts für sie. Die Sache hatte sie verstört und angewidert. Doch bis sie zu Hause ankam, hatte sie den Zwischenfall als wichtige Erfahrung verbucht. Als etwas, das viele junge Frauen taten. Etwas, woraus man für die Zukunft lernen konnte. Etwas, das ihr, wie sie sich schwor, nie wieder passieren würde.

Clare war nicht dazu erzogen worden, nach einem Schnapsglas und einem warmen Körper zu greifen, um sich zu trösten. Man hatte ihr eingebläut, sich zu zügeln und ihre Gefühle hinter einer perfekten Fassade zu verbergen, die aus einem herzlichen Lächeln, freundlichen Worten und tadellosen Manieren bestand. Eine Wingate trank nicht zu viel, sprach nicht zu laut und trug weiße Schuhe nur am Memorial Day. Sie neigte nicht zu Offenherzigkeit und hüpfte schon gar nicht mit Wildfremden ins Bett.

Doch trotz dieser Erziehung zur Selbstbeherrschung war Clare die geborene Romantikerin. Tief im Herzen glaubte sie an Liebe auf den ersten Blick und spontane erotische Anziehung und hatte die schlechte Angewohnheit, sich kopfüber in Beziehungen zu stürzen, weshalb ihr Liebeskummer, schmerzhafte Trennungen und ab und zu ein betrunkener One-Night-Stand vorbestimmt zu sein schienen.

Mit Ende zwanzig hatte sie zum Glück endlich gelernt, die ihr eingebläute Selbstbeherrschung auch in die Praxis umzusetzen, und als sie einunddreißig war, hatte das Schicksal es gut mit ihr gemeint, und sie hatte Lonny getroffen. Die Liebe ihres Lebens. Den Mann, den sie auf einer Degas-Ausstellung kennengelernt und der sie total umgehauen hatte. Er war schön und romantisch und ganz anders als die Herzensbrecher, mit denen sie vorher ausgegangen war. Er vergaß nie ihren Geburtstag oder Jahrestage und hatte ein Händchen für Blumenarrangements. Clares Mutter liebte ihn, weil er mit einem Tomatenvorlegelöffel umgehen konnte, und Clare, weil er Verständnis für ihre Arbeit aufbrachte und sie in Ruhe ließ, wenn sie einen Abgabetermin hatte.

Nach einem Jahr zog Lonny bei Clare ein, und sie verlebten das folgende Jahr in totaler Symbiose. Er mochte ihre antiken Möbel, und sie teilten eine Schwäche für Pastelltöne und eine Leidenschaft für Stoffe. Sie stritten nie, nicht mal über Lappalien. Mit Lonny gab es keine emotionalen Dramen, und als er ihr einen Heiratsantrag machte, nahm sie ihn an.

Lonny war wirklich der perfekte Mann. Abgesehen von seinem schwach ausgeprägten Sexualtrieb … Manchmal wollte er monatelang keinen Sex, aber schließlich waren nicht alle Männer geile Böcke.

Glaubte sie jedenfalls bis zu dem Moment, als sie am Hochzeitstag ihrer Freundin Lucy überraschend zurück nach Hause eilte und ihn in flagranti mit dem Servicetechniker von Sears ertappte. Sie war so fassungslos, dass sie eine Weile brauchte, um zu begreifen, was da auf dem Boden ihres begehbaren Wandschranks vor sich ging. Wie gelähmt vor Entsetzen, hatte sie mit der Perlenkette ihrer Urgroßmutter in der Hand dagestanden, während der Mann, der am Vortag ihren Maytag-Kühlschrank repariert hatte, ihren Verlobten ritt wie ein Cowboy. Die Szene kam ihr vollkommen unwirklich vor, bis Lonny aufblickte und sein schockierter Blick auf ihren traf.

»Ich dachte, du fühlst dich nicht wohl«, hatte sie gestammelt, ohne ein weiteres Wort den Saum ihres Brautjungfernkleids aus Seide und Tüll hochgerafft und war aus dem Haus gestürzt. Die Fahrt zur Kirche nahm sie nur verschwommen wahr, und den Rest des Tages hatte sie in dieser rosafarbenen Quaste von Kleid rumlaufen und lächeln müssen, als sei ihr Leben nicht gerade völlig aus den Fugen geraten und komplett zusammengebrochen.

Als Lucy ihr Ehegelübde ablegte, brach es Clare das Herz. Sie hatte vorn in der Kirche gestanden und gelächelt, während ein Gefühlssturm in ihr wütete, bis sie sich vollkommen leer fühlte und außer dem heftigen Schmerz in ihrer Brust nichts mehr spürte. Während des Hochzeitsempfangs hatte sie krampfhaft die Mundwinkel nach oben gezogen und auf das Glück ihrer Freundin angestoßen. Sie hielt es für ihre Pflicht, einen angemessenen Toast auszubringen, was sie auch tat. Sie wäre lieber gestorben, als Lucys Ehrentag mit ihren Problemen zu verderben. Sie durfte nur nicht zu viel trinken, obwohl ein Gläschen Champagner nicht schaden könnte. Es war ja nicht so, als würde sie sich puren Whisky hinter die Binde kippen.

Sie hätte nicht auf sich hören dürfen.

Bevor sie am Morgen nach Lucys Hochzeit mit hämmerndem Kopf die Augen aufschlug, beschlich sie ein Déjà-vu-Gefühl, das sie seit Jahren nicht mehr gehabt hatte. Durch verquollene Augenlider blinzelte Clare in das Morgenlicht, das durch einen breiten Spalt in den schweren Vorhängen auf das goldbraune Federbett fiel, das schwer auf ihr lag. Panik schnürte ihr die Kehle zu, und sie fuhr entsetzt hoch. Ihr Puls hämmerte in ihren Ohren. Das Federbett glitt von ihren nackten Brüsten auf ihren Schoß.

Im helleren Teil des Raums fiel ihr Blick auf das riesengroße Bett, einen Hotelschreibtisch und zwei Wandlampen. Im Fernsehschrank ihr gegenüber liefen gerade die Sonntagmorgen-Nachrichten, die so leise gedreht waren, dass man den Ton kaum hörte. Das Kissen neben ihr war leer, doch die schwere silberne Armbanduhr auf dem Nachttisch und das Rauschen laufenden Wassers hinter der geschlossenen Badtür verrieten ihr, dass sie nicht allein war.

Sie stieß das Federbett weg und sprang aus dem Bett. Zu ihrer Bestürzung trug sie vom Tag zuvor nichts mehr außer dem Spritzer Escada und dem pinkfarbenen String-Tanga. Sie schnappte sich das pinkfarbene Bustier vom Boden und schaute sich hastig nach ihrem Kleid um. Es lag neben einer verblichenen Levi’s über einer kleinen Couch.

Kein Zweifel, sie hatte einen Rückfall gehabt, und genau wie bei den wenigen Fehltritten vor Jahren konnte sie sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr an die wichtigen Details erinnern.

An Lucys Hochzeit in der St. John’s Cathedral und den anschließenden Empfang im Double-Tree-Hotel erinnerte sie sich noch. Auch daran, dass ihr der Champagner noch vor der ersten Trinkspruchrunde ausgegangen war und sie sich mehrmals hatte nachschenken lassen müssen. Und dass sie ihr Champagnerglas gegen ein herkömmliches mit Gin Tonic eingetauscht hatte.

Doch danach erinnerte sie sich nur noch bruchstückhaft. Durch einen alkoholisierten Dunstschleier meinte sie sich zu entsinnen, auf dem Empfang getanzt zu haben, und sie hatte eine vage, beschämende Erinnerung daran, »Fat Bottomed Girls« gesungen zu haben. Irgendwo. Bilder von ihren Freundinnen Maddie und Adele blitzten auf, die im Hotel ein Zimmer für sie gemietet hatten, damit sie ihren Rausch ausschlafen konnte, bevor sie nach Hause fahren und Lonny gegenübertreten musste. Die Hotel-Minibar. Hatte sie noch unten in der Bar gesessen? Vielleicht. Dann nichts mehr.

Clare schlang sich das Bustier um die Taille und mühte sich ab, die Haken zwischen ihren Brüsten zu schließen, während sie sich durch den Raum auf die Couch zubewegte. Auf halber Strecke stolperte sie über eine pinkfarbene Satinsandale. Ihre einzige glasklare Erinnerung war die an Lonny und den Handwerker.

Ihr Herz zog sich zusammen, doch sie hatte keine Zeit, länger über den Schmerz und ihre totale Fassungslosigkeit nachzudenken. Lonny würde sie sich später vorknöpfen, doch zuerst musste sie raus aus diesem Hotelzimmer.

Das Korsett zwischen ihren Brüsten nur halb zugehakt, griff sie nach dem pinkfarbenen Etwas von Brautjungfernkleid. Sie warf es sich über den Kopf, kämpfte sich durch meterweise Tüll und wand und schlängelte sich, bis es endlich um ihre Taille hing. Völlig außer Atem schob sie die Arme durch die Spaghetti-Träger und griff nach dem Reißverschluss und den kleinen Knöpfen auf ihrem Rücken.

Das Wasser wurde abgedreht, und Clares Blick schoss zur geschlossenen Badtür. Sie schnappte sich ihre Clutchbag von der Couch und raste mit einem Rascheln aus Tüll und Satin durch den Raum. Dabei hielt sie mit einer Hand das Kleid vorne zu und schnappte sich mit der anderen die Schuhe. Es gab Schlimmeres, als in fremden Hotelzimmern aufzuwachen. Und wenn sie erst mal zu Hause war, würde ihr auch noch was einfallen.

»Willst du schon gehen, Claresta?«, fragte eine raue Männerstimme hinter ihr.

Clare blieb wie angewurzelt vor der geschlossenen Tür stehen. Niemand außer ihrer Mutter nannte sie Claresta. Ihr Kopf fuhr herum, und ihre Handtasche und ein Schuh fielen mit einem dumpfen Knall zu Boden. Ein Träger ihres Kleids rutschte an ihrem Arm herab, während ihr Blick auf einem weißen Handtuch verharrte, das um die untere Reihe eines harten Sixpacks aus Bauchmuskeln geschlungen war. Ein Wassertropfen glitt an der dunkelblonden Linie aus Haaren auf seinem braun gebrannten Bauch herab, und Clare hob den Blick zu den definierten Brustmuskeln unter straffer brauner Haut, auf der sich kurze nasse Locken ringelten. Um den Hals hatte er sich ein zweites Handtuch geschlungen, und sie ließ den Blick über sein stoppeliges Kinn zu einem Paar Lippen schweifen, die zu einem frechen Lächeln verzogen waren. Sie schluckte und schaute in tiefgrüne Augen mit dichten Wimpern. Sie kannte diese Augen.

Er lehnte sich mit einer Schulter an den Rahmen der Badtür und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Guten Morgen.«

Seine Stimme klang anders als bei ihrer letzten Begegnung. Tiefer, da sie von einer Jungen- zu einer Männerstimme geworden war. Dieses Lächeln hatte sie über zwanzig Jahre nicht gesehen, doch auch das erkannte sie wieder. Es war dasselbe Lächeln, das er auf den Lippen gehabt hatte, wenn er sie zu irgendwelchen Wettkämpfen, Doktorspielen oder Mutproben überredete. Jedes dieser Spiele hatte unweigerlich damit geendet, dass sie etwas verlor. Ihr Geld. Ihre Würde. Ihre Kleider. Und manchmal alles zusammen.

Dabei hatte er sie gar nicht lange überreden müssen. Sie hatte schon immer eine Schwäche für dieses Lächeln gehabt. Und für ihn. Doch sie war jetzt kein einsames kleines Mädchen mehr, das für schmeichelnde Jungs mit frechem Lächeln empfänglich war, die jeden Sommer in ihr Leben schneiten und ihr Herz zum Schmelzen brachten. »Sebastian Vaughan.«

In seinen Augenwinkeln erschienen Lachfältchen. »Du bist groß geworden, seit ich dich das letzte Mal nackt gesehen habe.«

Sie hielt ihr Kleid mit einer Hand zusammen, drehte sich zu ihm und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür. In der Lücke des offenen Reißverschlusses spürte sie das kühle Holz auf ihrer Haut. Sie strich sich ihr zerzaustes dunkelbraunes Haar hinters Ohr und bemühte sich um ein Lächeln, nach dem sie ziemlich tief graben musste, bis in den Teil von ihr, der die guten Manieren verinnerlicht hatte. Der Teil, der sie zwang, zu Dinnerpartys Geschenke mitzubringen und eine Dankeskarte abzuschicken, sobald sie wieder zu Hause war. Der Teil, der für jeden ein freundliches Wort oder einen wohlwollenden Gedanken übrig hatte. »Wie geht’s dir?«

»Gut.«

»Toll.« Sie leckte sich die trockenen Lippen. »Vermutlich besuchst du deinen Vater?« Wurde auch Zeit.

Er stieß sich vom Türrahmen ab und griff nach einem Ende des Handtuchs um seinen Hals. »Das haben wir schon gestern Nacht abgehakt«, sagte er und rubbelte sich die Haare an der Seite trocken. Im Kindesalter war sein Haar hell wie die Sonne gewesen. Jetzt war es dunkler.

Offensichtlich hatten sie so einiges abgehakt, woran sie sich nicht erinnerte. Dinge, an die sie nicht mal denken wollte. »Ich hab das mit deiner Mutter gehört. Mein Beileid.«

»Auch das haben wir abgehakt.« Er ließ die Hand sinken.

Ach so. »Was führt dich hierher?« Als sie das letzte Mal von Sebastian gehört hatte, war er bei den Marines im Irak, in Afghanistan oder Gott weiß wo »eingebettet« gewesen. Bei ihrer letzten Begegnung war er elf oder zwölf gewesen.

»Auch das.« Er runzelte die Stirn und betrachtete sie genauer. »Du erinnerst dich nicht an gestern Nacht, oder?«

Sie zuckte mit einer nackten Schulter.

»Ich wusste zwar, dass du stinkbesoffen warst, aber ich hätte nicht gedacht, dass du sogar einen Filmriss hattest.«

Es war typisch für ihn, sie darauf hinzuweisen. Statt Bauchmuskeln hätte er sich lieber bessere Manieren aneignen sollen. »Den Ausdruck hab ich sowieso nie ganz verstanden, aber ›stinkbesoffen‹ war ich bestimmt nicht.«

»Du hast schon immer alles zu wörtlich genommen. Es bedeutet, dass du sturzbesoffen warst, und das warst du tatsächlich!«

Ihr Lächeln verrutschte zu einer sorgenvollen Miene, die sie nicht einmal zu verbergen versuchte. »Ich hatte meine Gründe.«

»Die hast du mir dargelegt.«

Sie hoffte, nicht alle Details preisgegeben zu haben.

»Dreh dich um.«

»Was?«

Er machte mit einem Finger eine Drehbewegung. »Dreh dich um, damit ich den Reißverschluss deines Kleids zuziehen kann.«

»Warum?«

»Zwei Gründe. Wenn mein Vater mitbekäme, dass ich dich hier halb nackt rausrennen lasse, würde er mich umbringen. Und wenn wir uns unterhalten wollen, würde ich lieber nicht hier stehen und mich die ganze Zeit fragen, ob du aus dem Rest des Kleids auch noch rausfällst.«

Sie starrte ihn entgeistert an. Vielleicht sollte sie seine Hilfe annehmen, das wäre bestimmt besser, als mit einem halb offenen Kleid aus dem Raum zu stürzen. Andererseits hatte sie wirklich keine Lust, noch dazubleiben und mit Sebastian Vaughan zu plaudern.

»Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, trage ich nur ein Handtuch. In etwa zwei Sekunden wird es nicht mehr zu übersehen sein, wie sehr ich hoffe, dich nackt zu sehen.« Er lächelte und zeigte dabei eine perfekte Reihe gerader weißer Zähne. »Noch mal.«

Ihre Wangen fingen Feuer, als bei ihr der Groschen fiel, und mit einem Rascheln aus Satin und Tüll drehte sie sich zur Tür. Es lag ihr auf der Zunge, ihn zu fragen, was genau sie in der vergangenen Nacht angestellt hatten, doch eigentlich wollte sie keine Details. Sie fragte sich auch, was sie ihm über Lonny erzählt hatte, doch auch das wollte sie lieber nicht wissen. »Ich muss mehr getrunken haben, als ich wollte.«

»Du hattest ein Recht darauf, mal richtig zu tanken. Seinen Verlobten auf allen vieren vorzufinden wie einen wilden Mustang, würde jeden in den Suff treiben.« Seine Fingerspitzen streiften ihren Rücken, als er nach dem Reißverschluss griff. Er lachte leise und sagte: »Der Maytag-Mann ist wohl doch nicht der einsamste Kerl in der Stadt.«

»Das ist nicht lustig.«

»Mag sein.« Er strich ihr Haar beiseite und zog langsam den Reißverschluss über ihren Rücken hoch. »Aber du solltest es wirklich nicht so schwer nehmen.«

Sie drückte die Stirn gegen die Holztür. Das konnte alles nicht wahr sein.

»Es ist nicht deine Schuld, Clare«, fügte er hinzu, als wäre das ein Trost. »Du hast einfach nicht die richtige Ausrüstung.«

Ja, es gab Schlimmeres, als in einem Hotelzimmer mit einem Fremden aufzuwachen. Eine dieser Katastrophen war, die Liebe seines Lebens mit einem Kerl zu erwischen. Die andere war gerade dabei, ihr den Reißverschluss zuzuziehen. Sie schniefte und biss sich auf die Lippe, um nicht zu weinen.

Er ließ ihre Haare los und befestigte die zwei Haken oben am Reißverschluss. »Du weinst doch jetzt nicht, oder?«

Sie schüttelte den Kopf. Sie zeigte in der Öffentlichkeit nie übermäßig viel Gefühl, wenigstens bemühte sie sich darum. Erst später, wenn sie Lonny zur Rede gestellt hätte und allein wäre, würde sie zusammenbrechen. Andererseits, überlegte sie, wenn sie je einen guten Grund zum Weinen gehabt hatte, dann heute. Sie hatte ihren Verlobten verloren und mit Sebastian Vaughan geschlafen. Von einer auszehrenden Krankheit mal abgesehen, konnte ihr Leben nicht schlimmer werden als jetzt.

»Ich kann nicht glauben, dass ich mit dir geschlafen habe«, stöhnte sie. Hätte ihr Kopf nicht sowieso schon gedröhnt, hätte sie mit der Stirn gegen die Tür geschlagen.

Er ließ die Hände sinken. »Viel geschlafen haben wir nicht.«

»Ich war betrunken. Sonst hätte ich mich nie auf Sex mit dir eingelassen.« Sie sah ihn über die Schulter hinweg an. »Du hast mich ausgenutzt.«

Sein Blick verengte sich. »Glaubst du das wirklich?«

»Das ist doch offensichtlich.«

»Du hast dich nicht beschwert.« Er zuckte mit den Schultern und ging zur Couch.

»Ich erinnere mich nicht!«

»Tja, das ist echt schade. Du hast gesagt, es wäre der beste Sex deines Lebens gewesen.« Er lächelte und ließ das Handtuch fallen. »Du konntest nicht genug kriegen.«

Offensichtlich war er der Angewohnheit, die Hosen runterzulassen, nicht entwachsen, und sie richtete den Blick krampfhaft auf das Vogelgemälde an der Wand hinter seinem Kopf.

Er wandte ihr den Rücken zu und griff nach seiner Jeans. »Einmal warst du so laut, dass ich dachte, der Sicherheitsdienst würde gleich die Tür aufbrechen.«

Sie war beim Sex noch nie laut gewesen. Nie. Aber sie wusste, dass sie nicht in der Position war zu widersprechen. Sie hätte wie ein Pornostar schreien können und wüsste es nicht mehr.

»Ich war ja schon mit so einigen aggressiven Frauen zusammen …« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Wer hätte gedacht, dass die kleine Claresta als Erwachsene so hemmungslos im Bett werden würde?«

Sie war nie hemmungslos im Bett gewesen. Klar, sie schrieb über heißen Sex, hatte jedoch noch nie genug die Kontrolle verloren, um selbst welchen zu haben. Sie hatte es zwar ein paar Mal versucht, aber sie war zu verklemmt, um zu schreien und zu stöhnen und …

Sie verlor den Kampf, und ihr Blick glitt an den glatten Ebenen seines Rückens und der leichten Krümmung seines Rückgrats hinab, während er sich seine Levi’s über den nackten Hintern zog. »Ich muss hier raus«, murmelte sie und bückte sich, um ihre Handtasche vom Boden aufzuheben.

»Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte er, den Kopf nach unten gebeugt.

Nach Hause. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, und ihr Kopf hämmerte, als sie sich wieder aufrichtete. Was sie zu Hause erwartete, war ein noch größerer Albtraum als der, der ihr hier im Zimmer gegenüberstand. Der mit den steinharten Bauchmuskeln und dem echt knackigen Hintern. »Nein. Danke. Du hast mir schon genug geholfen.«

Er drehte sich wieder um, und seine Hände hielten über dem zugeknöpften Hosenschlitz inne. »Ganz sicher? Wir müssen erst um zwölf auschecken.« Ein Mundwinkel verzog sich nach oben, und sein freches Lächeln war wieder da. »Lust, ein paar Erinnerungen zu schaffen, die du garantiert nicht vergisst?«

Clare öffnete die Tür hinter ihr. »Keine Chance«, murmelte sie und verließ den Raum. Sie war etwa drei Meter weit gekommen, als er ihr nachrief.

»Hey, Aschenputtel.«

Sie sah über die Schulter, als er ihre pinkfarbene Sandale aufhob und sie ihr zuwarf. »Vergiss deinen Ballschuh nicht.«

Sie fing den Schuh mit einer Hand auf und eilte ohne einen Blick zurück durch den Flur, dann rannte sie die Treppe hinab und stürzte durch das Foyer, weil sie Angst hatte, Hochzeitsgästen von außerhalb in die Arme zu laufen, die im Hotel übernachtet hatten. Wie um Himmels willen sollte sie ihre Anwesenheit Lucys Großtante und Großonkel aus Wichita erklären?

Die Hoteltüren öffneten sich zischend, und Clare lief im blendenden Licht der grellen Morgensonne barfuß über den Parkplatz und dankte Gott, dass ihr Lexus LS genau an der Stelle stand, wo sie ihn ihrer Erinnerung nach am Vortag abgestellt hatte. Sie raffte ihr Kleid hoch, warf sich in den Wagen und startete den Motor. Als sie den Rückwärtsgang einlegte, fiel ihr Blick im Rückspiegel kurz auf ihr Gesicht. Beim Anblick von schwarzer Mascara unter blutunterlaufenen Augen, zerzausten Haaren und blasser Haut musste sie entsetzt nach Luft schnappen. Sie sah aus wie der Sensenmann. Sebastian dagegen hatte ausgesehen, als wäre er einer Levi’s-Reklametafel entstiegen.

Als Clare rückwärts aus der Parklücke setzte, griff sie in die Konsole und tastete nach ihrer Sonnenbrille. Falls sie Sebastian in diesem Leben je wieder zu Gesicht bekäme, dachte sie, wäre es in jedem Fall zu früh. Vermutlich war sein Angebot, sie nach Hause zu fahren, nett gemeint gewesen, doch dann hatte er es auf typische Sebastian-Art wieder verdorben. Sie legte den ersten Gang ein und schützte ihre Augen mit ihrer goldenen Versace-Sonnenbrille.

Wahrscheinlich besuchte er seinen Vater, genau wie früher als Junge, wenn seine Mutter ihn den Sommer über von Seattle nach Idaho schickte. Da Clare nicht vorhatte, ihre eigene Mutter in nächster Zeit zu besuchen, wusste sie, dass kein Risiko bestand, Sebastian wiederzusehen.

Sie fuhr vom Parkplatz und über den Chinden Boulevard in Richtung Americana.

Sebastians Vater, Leonard Vaughan, hatte fast dreißig Jahre lang für ihre Familie gearbeitet. Solange Clare denken konnte, hatte Leo in dem umgebauten Kutschenhaus auf dem Besitz ihrer Mutter an der Warm Springs Avenue gewohnt. Das Haupthaus war 1890 erbaut worden und inzwischen als denkmalgeschützt bei der Idaho Historical Society registriert. Das Kutschenhaus stand auf dem hinteren Teil des Besitzes, halb verborgen von alten Weidenbäumen und blühendem Hartriegel.

Clare konnte sich nicht erinnern, ob Sebastians Mutter je gemeinsam mit Leo im Kutschenhaus gelebt hatte, aber sie glaubte nicht. Es schien, als hätte Leo dort schon immer allein gewohnt, sich um das Haus und die Gartenanlagen gekümmert und ab und zu den Chauffeur gespielt.

Die Ampel, die über der Americana hing, der Verbindungsstraße zwischen dem Ann-Morrison-Park und dem Katherine-Albertson-Park, schaltete gerade auf Grün, als Clare durchraste. Sie war schon über zwei Monate nicht mehr im Haus ihrer Mutter gewesen. Nicht seit dem Vormittag, als Joyce Wingate ihren versammelten Freundinnen vom Wohltätigkeitsverein erzählt hatte, dass Clare Liebesromane schrieb, nur um sie, Joyce, zu ärgern. Clare hatte schon immer gewusst, was ihre Mutter von ihrer Schreiberei hielt, doch bisher hatte Joyce ihre Karriere stets ignoriert und so getan, als würde sie »Frauenliteratur« verfassen – bis zu dem Tag, an dem der Idaho Statesman in der Rubrik Unterhaltung einen großen Artikel über Clare gebracht hatte und das schmutzige Geheimnis der Wingates ans Tageslicht gekommen war. Clare Wingate, Absolventin der Boise State University und des Bennington College, schrieb unter dem Pseudonym Alicia Grey historische Liebesromane. Und sie schrieb sie nicht nur, sondern hatte auch noch Erfolg damit und dachte gar nicht daran aufzuhören.

Schon seit Clare alt genug war, um Sätze zu bilden, hatte sie Geschichten erfunden. Geschichten über einen Fantasiehund namens Chip oder eine Hexe, die ihrer Meinung nach auf dem Dachboden der Nachbarn hauste. Es dauerte nicht lange, bis sich Clares romantische Ader und ihre Liebe zum Schreiben vereinten und Chip eine Freundin fand, die Pudeldame Suzie, und die Hexe auf dem Dachboden der Nachbarn einen Hexer ehelichte, der Billy Idol in seinem White Wedding-Video wie aus dem Gesicht geschnitten war.

Vor vier Jahren war ihr erster historischer Liebesroman erschienen, und ihre Mutter hatte sich bis heute nicht von dem Schock und der Schande erholt. Bis zu dem Statesman-Artikel hatte Joyce den Leuten noch weismachen können, dass Clares Berufswahl nur eine vorübergehende Phase war und dass sie irgendwann, wenn sie ihre Faszination für »Schund« überwunden hatte, »richtige Bücher« schreiben würde.

Literatur, die der Wingate-Bibliothek würdig wäre.

Im Becherhalter zwischen den Autositzen klingelte Clares Handy. Sie nahm es in die Hand, sah, dass ihre Freundin Maddie anrief, und legte es wieder zurück. Sie wusste, dass Maddie sich wahrscheinlich Sorgen um sie machte, hatte aber keine Lust zu reden. Jede ihrer drei engsten Freundinnen war die beste Gesellschaft, die man sich vorstellen konnte, und später würde sie auch mit ihnen sprechen, nur jetzt nicht.

Sie wusste nicht, wie viel Maddie über den Vorabend wusste, aber Maddie schrieb über wahre Verbrechen und witterte immer irgendwo einen psychotischen Killer. Adele meinte es genauso gut. Sie schrieb Fantasy-Romane und hatte die Neigung, andere mit bizarren Geschichten aus ihrem Privatleben aufzuheitern, doch Clare hatte im Moment keine Lust, sich aufheitern zu lassen. Dann war da noch Lucy, die gerade geheiratet hatte. Vor Kurzem hatte ein großes Filmstudio die Rechte an der Verfilmung von Lucys neuestem Krimi erworben. Und Clare wusste, dass Lucy es jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte, wenn sie sie durch ihre eigenen Probleme auch nur um einen Hauch ihres Glücks brachte.

Sie bog in den Crescent Rim Drive ein und fuhr an Häusern mit Blick auf die Parks und die Stadt vorbei. Je näher sie ihrem Haus kam, in dem sie mit Lonny wohnte, desto schlechter wurde ihr. Als sie in die Auffahrt zu dem hellblau-weißen Haus im viktorianischen Stil bog, in dem sie seit fünf Jahren lebte, konnte sie die schmerzlichen Gefühle nicht länger zurückhalten. Tränen schossen ihr in die Augen.

Obwohl sie wusste, dass es mit Lonny aus war, liebte sie ihn. Zum zweiten Mal an diesem Morgen legte sich ein Déjà-vu-Gefühl wie ein Schraubstock um ihren Schädel und ließ sich schwer auf ihrer Brust nieder.

Wieder hatte sie sich in den falschen Mann verliebt.

Wieder hatte sie ihr Herz an einen Mann verschenkt, der sie nicht so lieben konnte wie sie ihn. Und wie bei den anderen Malen in der Vergangenheit hatte sie sich einem Fremden an den Hals geworfen, als die Beziehung in die Brüche ging. Auch wenn Sebastian genau genommen kein Fremder war – aber das spielte keine Rolle. Es machte das, was sie getan hatte, sogar noch schlimmer.

Wieder hatte sie sich selbstzerstörerisch verhalten und war von sich selbst angewidert.

Zwei

Sebastian Vaughan zog sich sein weißes T-Shirt über den Kopf und stopfte es in seine Jeans. So viel zu guten Taten, dachte er, als er seinen BlackBerry von der Couch nahm. Er schaute auf das Display und sah, dass er sieben E-Mails und zwei Anrufe in Abwesenheit hatte. Er schob das Gerät in die Gesäßtasche seiner Levi’s und nahm sich vor, das später zu erledigen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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