Ein vernunftbegabtes Tier - Robert Merle - E-Book

Ein vernunftbegabtes Tier E-Book

Robert Merle

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Beschreibung

Dem amerikanischen Forscher Professor Sevilla und seiner Assistentin Dr. Lafeuille gelingt es, Delphinen das Sprechen beizubringen. Die beiden interessiert der wissenschaftliche Erfolg, vor den praktischen Auswirkungen verschließen sie die Augen: Die Tiere sollen von der US-Marine als lebende Unterseeboote eingesetzt werden. Unversehens wird Sevilla in ein Komplott verwickelt, das sein eigenes Leben und den Frieden in der Welt bedroht, und sieht sich schließlich gezwungen, stellvertretend für die ganze Menschheit zu handeln. Mit leichter Hand, entlarvendem Witz und hintergründiger Ironie präsentiert Merle einen Thriller um Intelligenz und ihren Mißbrauch, um Menschlichkeit und Menschenwahn.

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Seitenzahl: 642

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Robert Merle

Ein vernunftbegabtes Tier

Roman

Aus dem Französischen von Eduard Zak

Aufbau-Verlag

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Impressum

Titel der Originalausgabe

Un animal doué de raison

ISBN E-Pub 978-3-8412-0184-3

ISBN PDF 978-3-8412-2184-1

ISBN Printausgabe 978-3-7466-1222-5

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2010

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Übersetzung erschien erstmals 1969 bei Aufbau, einer Marke

der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Un animal doué de raison © Robert Merle

Die Originalausgabe ist 1967 bei den Éditions Gallimard in Paris erschienen

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Preuße & Hülpüsch Grafik Design

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

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Innentitel

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Informationen zum Autor

Impressum

Inhaltsübersicht

VORWORT

ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

SECHSTES KAPITEL

SIEBENTES KAPITEL

ACHTES KAPITEL

NEUNTES KAPITEL

ZEHNTES KAPITEL

ELFTES KAPITEL

ZWÖLFTES KAPITEL

DREIZEHNTES KAPITEL

VIERZEHNTES KAPITEL

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|5|Paul Budker und René-Guy Busnel gewidmet

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|7|VORWORT

Seit dem Erscheinen meines Romans »Der Tod ist mein Beruf« ist schon geraume Zeit verflossen. Aber immer noch werfe ich mir vor, daß ich aus unverzeihlicher Nachlässigkeit versäumt habe, ein Vorwort zu dem Buch zu schreiben. Jede Faulheit findet ihre Strafe, und mich trifft es schwer, wenn wohlmeinende Leser die historische Wahrheit meines Berichts fünfzehn Jahre nach seiner Veröffentlichung anzweifeln. Dabei wäre es so leicht gewesen, dem Leser gleich auf der Stelle zu erklären: An der Geschichte des Rudolf Lang ist, mit Ausnahme seines Namens, alles wahr – sein Leben, seine Laufbahn. Und um die Entstehungsgeschichte der Todesfabrik von Auschwitz nachzuzeichnen, habe ich mich der Arbeit des Historikers unterzogen und sie, ausgehend von den Nürnberger Archiven1, Stein für Stein, Dokument für Dokument rekonstruiert.

Für »Ein vernunftbegabtes Tier« erhebt sich ebenfalls das Problem von Wahrheit und Erfindung, jedoch auf eine andere Art. Das Genre, dem der Roman zugehört, ist ziemlich schwer zu definieren, wobei dieses Genre, wenn wir es genau bestimmen, selbstverständlich auch wieder das Verhältnis bestimmt, in dem das »Tatsächliche« zum Erfundenen steht und das den Leser völlig zu Recht beschäftigt. Hier muß ich meine Verlegenheit bekennen. Ich bin nicht sicher, ob ich selber eine klar umrissene Definition für dieses Buch liefern kann. Unter diesen Umständen ist es vielleicht das beste, das Problem durch Annäherung einzukreisen und, weil man den Typus dieses Werkes nicht ohne weiteres zu kennzeichnen vermag, wenigstens zu sagen, was es nahezu oder was es nicht ist.

Dem Leser, der von der Cetologie, der Wissenschaft von den Waltieren, nichts weiß, erscheint »Ein vernunftbegabtes Tier« auf den ersten Blick als ein Tiermythos. Ist es einer? Ja und |8|nein. Eine, wie ich mir vorstelle, kaum befriedigende, aber exakte Antwort, mit der keine Abwertung eines Genres gemeint sein kann, dessen Adel verbrieft ist: die Namen Cyrano de Bergerac, Swift, MacOrlan1, Karel Čapek, Orwell, Vercors erinnern uns an packende Werke, in denen die Beziehungen zwischen Mensch und Tier auf utopische Weise untersucht werden. In der Mehrzahl der Fälle wird gezeigt, wie Tiere – Vögel, Pferde oder Schweine – zu Verstand kommen, den Menschen zähmen und eine Art Tier aus ihm machen, eine entartete, geile und grausame Kreatur, von der uns Swift mit seinen »Yahoos« ein erschreckendes Bild geliefert hat.

Vercors verfolgt eine ganz andere Absicht. In seinem »Geheimnis der Tropis« erfindet er einen Primaten, der dem Menschen so nahe steht, daß er unsere Sprache erlernt und seine Gattung sich mit unserer kreuzen kann. Hier kommt es nicht darauf an, das Tier dem Menschen überzuordnen, sondern darauf, den Menschen daran zu hindern, die Arbeitskraft des entdeckten Menschenaffen auszubeuten: ein Gericht soll entscheiden, daß der »tropi«, wie Vercors ihn nennt, ein menschliches Wesen, nicht aber ein Tier ist. Der Roman wird nun zu einem originellen und aufregenden Versuch, eine Definition des Menschen zu finden.

Auch in Karel Čapeks »Krieg mit den Molchen« hat das Tier mythischen Charakter, aber das ist der einzige Berührungspunkt mit dem »Geheimnis der Tropis«. Čapeks Molche sind äußerst intelligente und zahme, mit Händen ausgestattete Meeressäugetiere aus Asien. Nach Europa gebracht und akklimatisiert, lernen sie Englisch, und der Mensch verwendet sie nun in großer Zahl und unter Lebensbedingungen, die gleicherweise an die Behandlung der Schwarzen und an die Welt der Konzentrationslager erinnern, für unterseeische Bauarbeiten. Die Molche, genügsam, fruchtbar und sehr arbeitsam, verbessern trotz der »Rassendiskriminierung«, der sie unterworfen sind, allmählich ihren Status und ihre Kenntnisse, bauen sich eigene unterseeische Betriebe auf und beuten die Rohstoffe aus, bis sie eines Tages ihren »Lebensraum« erweitern müssen, weil sie, die längs |9|der Meeresufer wohnen, sich unaufhörlich vermehren; die Küsten, die ihnen fehlen, verschaffen sie sich, indem sie in Amerika, Asien und Europa riesige Landstreifen absprengen, die sie vorher angebohrt und unterminiert haben … Nun werden die fruchtbarsten Ebenen samt Städten und Dörfern von den Wellen verschlungen, und der Mensch wird mit Entsetzen gewahr, daß der Planet wie ein Chagrinleder unter ihm zusammenschrumpft.

Das Buch, 1936 erschienen, überrascht durch seine Qualität und mehr noch durch seinen prophetischen Charakter. Die antikolonialen Befreiungskämpfe der Nachkriegszeit, die Konzentrationslager, die Atombombe und vielleicht auch die sehr rapide Modernisierung des Lebens bei den Chinesen (die ich persönlich keineswegs alarmierend finde), das alles hat Čapek acht, neun oder auch zwanzig Jahre, bevor es Wirklichkeit wurde, beschrieben. Der apokalyptische Ton im letzten Teil des Werkes kündigt auch die Zerstörungen durch den Krieg an, dessen Kommen Čapek fühlte und an dessen Schwelle er starb, so daß er die Nazis der Freude beraubte, ihn zu verhaften, als sie in Prag einmarschierten.1

In dem vorliegenden Buch brauchte ich mich nicht davor zu hüten, Swift oder Čapek nachzuahmen. Auch habe ich das Neue daran nicht als mein Verdienst empfunden. Die Zeit, in der ich lebe, hat für mich gewählt und mich gezwungen, Neues zu schaffen. Da ich mein Buch dreißig Jahre nach Čapeks »Krieg mit den Molchen« schrieb, war es für mich nicht nötig, ein vernunftbegabtes Meeressäugetier, das fähig ist, die Sprache der Menschen zu erlernen, erst zu erfinden; denn die Wissenschaft ist seither fortgeschritten, und heute wissen wir, daß es das von Čapek erträumte Tier gibt: es ist der Delphin. Auch damit hat Čapek sich als Prophet erwiesen.

Mein Buch ist also doch auch ein »Tierroman«, wenn man darunter ein Werk versteht, in dem die Beziehung zwischen Mensch und Tier untersucht wird, aber das Tier, das ich auftreten lasse, ist nicht mythisch, und seine Beziehung zum Menschen wird in einem realistischen Kontext beschrieben. Die dokumentarische Darstellungsart, deren ich mich in der Erzählung |10|bediene, ist durchaus kein stilistischer Kunstgriff. Unter der klugen, sachkundigen und freundschaftlichen Anleitung von zwei hervorragenden französischen Cetologen, Paul Budker und René-Guy Busnel, habe ich zoologische Daten über den Flaschennasigen Tümmler (Tursiops truncatus) zusammengetragen, und nur ihre Darlegung wird zum Gegenstand einer romanhaften Schilderung: die Daten selbst sind wahr – bis an die Schwelle, die das Dokumentarische von der Fiktion trennt.

Diese Schwelle muß ich selbstverständlich genauer bezeichnen. Denn es stimmt zwar, daß der Delphin imstande ist, einzelne menschliche Wörter auszusprechen und ihren Sinn zu begreifen, aber gegenwärtig ist nur zu hoffen, daß er eines Tages vom Wort zum Satz übergehen kann und damit den entscheidenden Vorstoß machen wird, der es ihm binnen kurzem ermöglichen würde, zur völligen Beherrschung der artikulierten Rede zu gelangen.

Diesen Sprung nach vorn stelle ich in meinem Roman so dar, als vollzöge er sich gerade. Die Phantasie hat sich somit das Recht genommen, die Tatsachen hinter sich zu lassen und die Zukunft in die Gegenwart zu projizieren. Aus diesem Grunde beginnt meine Geschichte am 28. März 1970 und endet in der Nacht vom 8. zum 9. Januar 1973.

Zukunftsroman? Science fiction? Oberflächlich betrachtet, ja. In Wirklichkeit, nein. Denn ich antizipiere nicht zwanzig oder dreißig Jahre, sondern eine recht kurze Zeitspanne – kaum drei bis sechs Jahre –, und überdies bin ich nicht einmal ganz sicher, ob ich wirklich antizipiere. Selbst in den Vereinigten Staaten liegt zwischen wissenschaftlichen Entdeckungen und ihrer öffentlichen Verbreitung stets ein zeitlicher Abstand. Und das um so mehr, wenn es sich um Forschungen handelt, an denen die Landesverteidigung interessiert ist …

Das ist hier leider der Fall. Der Mensch in seiner Torheit hat sich vorgenommen, den reizenden und launigen Delphin, dieses von der Natur so gewaltig ausgerüstete Tier, das dennoch so sanft, gut und freundlich zu den Menschen ist, zum Kriegsdienst heranzuziehen und ihn auszuschicken, Schrecken und Verwüstung in die Häfen und Flotten des »Feindes« zu tragen. Was solche lebenden Unterseeboote tun werden oder tun könnten, sobald sie dank der artikulierten Rede »einsatzfähig« geworden |11|sind, wie man das nennt, habe ich mir in der politischen Landschaft unserer Zeit vorzustellen gesucht.

Ich ahnte nicht, daß ich damit sehr nahe an einen Romantypus kam, der eben erst entstanden war und sich in den Vereinigten Staaten durch Bücher von Rang1durchzusetzen begann. Im Juni 1967, als ich mein letztes Kapitel ausgearbeitet hatte, ließ mir Claude Julien einige Werke dieses Genres zukommen und bat mich, sie für »Le Monde« zu besprechen. Während ich sie las, wurde mir folgendes klar: In der Art, wie Molières Jourdain Prosa hervorgebracht hatte, ohne es zu wissen, hatte ich seit zwei Jahren politisch-utopische Literatur »hervorgebracht«. Denn das ist der Name des neuen Genres, dem ich unbeabsichtigt gehuldigt hatte. Ich betone: des neuen Genres, weil in Frankreich der politische Roman aus unerklärlichen Gründen seit kurzem als »veraltet« gilt. Neu? Veraltet? Ich gestehe, daß ich solchen Begriffen fremd gegenüberstehe. Die Mode scheint mir kein legitimes Kriterium für die Wahl eines Themas oder für die Einschätzung eines literarischen Werkes zu sein.

Habe ich nun mit dem »politisch-utopischen Roman« die gesuchte Definition in der Hand? Nicht ganz. Ich bin mir bewußt, »Ein vernunftbegabtes Tier« enthält noch Elemente, die nicht auf die politische Utopie reduzierbar sind, wie sie von unseren Freunden jenseits des Atlantiks aufgefaßt wird: etwa den Tierroman und die lange philosophische Tradition, der er in Europa stets verhaftet bleibt, die Verschmelzung von wissenschaftlicher und historischer Antizipation, die Analyse der Beziehungen zwischen Wissenschaftler und Staat, die vergleichende Untersuchung des Verhaltens von Delphinen und Menschen.

Das Ergebnis ist ein hybrides Werk. Ich sage das ohne Beschämung, denn in der Literatur bin ich ebensowenig gegen die Mischung des Blutes wie in der Biologie.

Diese Mischung hat übrigens nichts Künstliches an sich. Sie findet sich auch in meinen Empfindungen gegenüber den Vereinigten Staaten wieder, von denen hier viel die Rede ist, weil ich meinen Roman in den USA angesiedelt habe. Wer übrigens empfände bei der abenteuerlichen Politik der führenden Persönlichkeiten in diesem großen Lande keine Beängstigung im |12|Hinblick auf die Zukunft unseres Planeten? Ich weiß wohl, die Situationen, die ich in meinem Buch beschreibe, werden, wenngleich sie sich auf historische Präzedenzfälle stützen, manchen Köpfen nicht leicht eingehen. Es möge jedoch richtig verstanden werden, daß ich nichts zu beweisen suche. Dieses Buch ist keine These, sondern ein Roman. Es wirft Probleme auf, steuert aber keine Lösungen bei.

Paris, den 4. Juli 1967

Robert Merle

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|13|ERSTES KAPITEL

28. März 1970

Nach Hause, William, wenn ich bitten darf, sagte Mrs. Jameson mit der gezierten Höflichkeit, deren sie sich bediente, um mit ihrem Chauffeur zu reden (sehen Sie, Dorothy, meine Leute verehren mich, ich vergesse niemals ihren Namenstag und rede immer höflich mit ihnen), William beugte seinen ausrasierten fetten Nacken, übrigens hieß er nicht William, aber so nannte Mrs. Jameson der Einfachheit halber alle Chauffeure, die sie seit dem Tode ihres Mannes nacheinander gehabt hatte, William legte seine rundlichen Hände auf das Steuer, der Cadillac ließ weit vorn ein sanftes Surren hören und setzte sich unendlich langsam und behutsam in Bewegung,

Mrs. Jameson drückte ihren massigen Rücken in die tabakbraune Lederpolsterung des Rücksitzes, Spezialausrüstung (gegen Preisaufschlag) in schöner englischer Werkstattarbeit, schob ihre mit kleinen, aber echten Diamanten gefaßte Brille zurecht, verstaute ihre Handtasche aus Krokodilleder auf den breiten Oberschenkeln, schwenkte den schweren Kopf nach links, ließ ihre dicke Unterlippe hängen, riß ihre grauen Augen weit auf und heftete sie auf Professor Sevilla, um ihn in Muße, schweigend und ungeniert zu mustern wie einen Gegenstand, der erste Eindruck bestätigte sich, mit seinen düsteren Augen, dem glanzlosen Gesicht, dem rabenschwarzen Haar sieht er aus wie ein Zigeuner, ebenso behaart, stelle ich mir vor, wie der arme John, ein richtiger Gorilla, Haare sogar auf dem Rücken und eine Mähne auf der Brust, obendrein einer von diesen besonders virilen, hitzigen Romanen, denen die Geilheit immer in den Knochen steckt, stammen Sie aus dem Ausland, Mr. Sevilla, aber kein Gedanke, ich bin zu hundert Prozent Amerikaner, nur mein Großvater väterlicherseits ist in Galicien geboren, in Galicien? hakte sie ein und zog die Brauen hoch, Sevilla schaute sie an und lächelte zuvorkommend, sie sieht aus wie ein Kaulbarsch, vom Kaulbarsch hat sie den Flunsch und die dicken, blöden Glotzaugen, |14|Galicien, Mrs. Jameson, ist eine Provinz in Spanien, wie romantisch, sagte sie und fingerte am Schloß ihrer Handtasche, sie fühlte sich niedergeschlagen, demnach war er also doch eine Art Zigeuner, sie schwenkte den Kopf abermals nach links und nahm Sevilla wieder in Besitz, die schönen Hände, die düsteren Augen, das schwarze, an den Schläfen silbrige Haar, diese dummen Gänse werden sich in ihn vergaffen, wie auch immer, es ist nur eine Stunde zu überstehen, sie spürte einen leichten Schmerz oberhalb der rechten Brust und unterdrückte das Verlangen, sich mit der Hand in die Bluse zu fahren und das haselnußgroße Kügelchen zu befühlen, das beweglich unter der Haut lag und vielleicht den Tod bedeutete, Murphy gab sich zuversichtlich, aber Zuversicht zu erwecken war sein Beruf, das ist wirklich nichts, Mrs. Jameson, absolut nichts, tiefe Stimme, eindringlicher Blick, die Miene leidend und angespannt, sie beugte sich nach vorn, schloß die Augen, der Schweiß lief ihr über den Rücken, und schaudernd überließ sie sich ihrer Angst vor dem Sterben, einige Sekunden vergingen, sie steifte den Rücken, klappte die Lider auf, ihre stahlgrauen Augen sprangen hervor wie rastlose Tierchen, suchten die Krokodilledertasche auf ihren Knien zu fassen, das tabakbraune Leder der Sitze und Williams ausrasierten Nacken, alles war da, Herrgott, es war nicht gerecht, es konnte nicht wahr sein, daß Mrs. Jameson, John B. Jamesons Witwe, stirbt, John wurde fahl, er blickte sie aus blutunterlaufenen Augen an, holte mit einem saugenden Geräusch, das gräßlich anzuhören war, noch einmal Luft und brach auf der Stelle tot zusammen, Herrgott, es gibt eine Gerechtigkeit, er trank zuviel, er rauchte zuviel, er war behaart und unzüchtig, Mrs. Jameson in ihrer Vollkommenheit saß in einem blaßblauen, blümchenübersäten Kleid auf dem Gipfel eines Berges, die Löwen leckten ihr die christlichen Füße, sie hob wieder den Kopf und schob die Unterlippe vor, um ihr Doppelkinn verschwinden zu lassen, dann öffnete sie ihre Handtasche, zog einen verschlossenen Briefumschlag heraus, nahm ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und reichte ihn über die ganze Breite des Cadillac hinweg mit ausgestrecktem Arm wortlos zu Sevilla hinüber, danke, sagte Sevilla und errötete unter seinem matten Teint, seine düsteren Augen zuckten, er widerstand dem Wunsch, den Briefumschlag unverzüglich in seiner Tasche zu vergraben, und |15|zwang sich, mit zerstreuter Miene damit herumzuspielen, als handelte es sich um einen wertlosen Gegenstand, den er beim Aussteigen allenfalls auf dem tabakbraunen Ledersitz liegenlassen könnte, einige von unseren Referenten ziehen es vor, in bar bezahlt zu werden, sagte sie teilnahmslos, aber das hat wirklich keine Bedeutung, Mrs. Jameson, brummte Sevilla, Marian kam ihn teuer zu stehen, er zahlte ihr eine enorme Rente für den Unterhalt, mein Kostgeld, pflegte Marian zu sagen, wenn sie ihre neue Einrichtung vorführte, kaum zu glauben, dieses viele Geld, das wie durch ein Wunder auf mich gekommen ist, aber das Wunder war sie selber, mit dem Prozeß, einem Maximum an Forderungen und einem Maximum an List hatte sie ihr Pfund Fleisch eingetrieben und noch mehr, verlaßt euch auf die Frommen, sie schneiden euch den letzten Dollar aus den Rippen, Sevilla betrachtete Mrs. Jameson mit Groll, sie hat hunderttausend Dollar im Jahr, was tut sie damit, ihr Mann ist mit sechzig Jahren an der Aufgabe gestorben, sie reich zu machen, ein Leben abgekürzt für ein unnützes Leben, zwei Widersinnigkeiten, sind Sie verheiratet, fragte Mrs. Jameson, geschieden, antwortete er kurz angebunden, Kinder? Zwei, sie blickte mißbilligend auf Williams Nacken, meinen Sie nicht, fragte sie mit ihrer kehligen Stimme, daß es für Kinder ein Schock ist zu erleben, daß ihre Eltern sich trennen, ich meine, Mrs. Jameson, für Kinder ist der Schock viel schwerer, in einer zerrütteten Familie zu leben, und weitaus verheerender, denn er wiederholt sich Tag für Tag, dieser Ansicht bin ich nicht, sagte Mrs. Jameson und schloß mit hartem Knall ihre Krokodilledertasche, ich konstatiere also, daß wir verschiedener Meinung sind, sagte Sevilla, William veränderte die Lage seiner rundlichen Hände am Steuer, er warf einen Blick in den Rückspiegel, die alte Hündin, dachte er und sein Gesicht blieb unbeteiligt und heiter, immer muß sie den Leuten lästig fallen, wie alt sind Sie? Sevilla wandte den Kopf, zweiundfünfzig Jahre, nachträglich war er wütend darüber, daß er so folgsam geantwortet hatte, um der Höflichkeit willen macht man stets zu viele Zugeständnisse, die Leute nützen das aus, um einen schlecht zu behandeln, mein Mann, sagte Mrs. Jameson, ist mit vierundfünfzig gestorben, er war ein hervorragender Mensch, und wir bildeten, Gott sei’s gedankt, ein sehr harmonisches Paar, ich hatte stets eine sehr strenge Auffassung von meinen Verpflichtungen in der Gesellschaft, und ich bedauere nur, daß ich seine Gegenwart nicht ausreichend genossen habe, aber John begab sich schon sehr zeitig am Morgen ins Werk und war darauf bedacht, mich nicht zu wecken, und wenn er spätabends heimkam, immer sehr spät, der bedauernswerte liebe Mensch, war ich für gewöhnlich ausgegangen,

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