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Veröffentlichungsjahr: 2017
KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN
Band 411
Textanalyse und Interpretation zu
Henrik Ibsen
EIN VOLKSFEIND
Rüdiger Bernhardt
Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen
Zitierte Ausgaben: Henrik Ibsen: Ein Volksfeind. Schauspiel in fünf Akten. Übersetzung von Christian Morgenstern. Husum/Nordsee: Hamburger Lesehefte Verlag, 2010 (224. Hamburger Leseheft).
Über den Autor dieser Erläuterung: Prof. Dr. sc. phil. Rüdiger Bernhardt lehrte neuere und neueste deutsche sowie skandinavische Literatur an Universitäten des In- und Auslandes. Er veröffentlichte u. a. Monografien zu Henrik Ibsen, Gerhart Hauptmann, August Strindberg und Peter Hille, gab die Werke Ibsens, Peter Hilles, Hermann Conradis und anderer sowie zahlreiche Schulbücher heraus. Von 1994 bis 2008 war er Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung Kloster auf Hiddensee. 1999 wurde er in die Leibniz-Sozietät gewählt.
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1. Auflage 2017
ISBN 978-3-8044-7041-5
© 2009, 2017 by Bange Verlag GmbH, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Szenenbild aus einer Inszenierung am Maxim Gorki Theater Berlin, 2012 © ullstein bild – Lieberenz
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INHALT
1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht
2. Henrik Ibsen: Leben und Werk
2.1 Biografie
2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Ibsens Reaktion auf die Publikumsverurteilung der Gespenster
Die Entwicklung Norwegens nach 1850
Deutschland unter dem Sozialistengesetz 1878 bis 1890
Der Einfluss wissenschaftlicher Entwicklungen – Ibsens Prinzip der Polarität
2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken
3. Textanalyse und -Interpretation
3.1 Entstehung und Quellen
3.2 Inhaltsangabe
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Fünfter Akt
3.3 Aufbau
Schauspiel – Lustspiel – Tragikomödie?
Nähe zum aristotelischen Schauspiel
Die Funktion der Briefe im Stück
Der besondere vierte Akt
Der Konflikt – Die Einheiten des Ortes und der Zeit
Die Funktion der Regieanmerkungen
Der Bote aus der Fremde
Der Schlusssatz
3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
Thomas Stockmann
Peter Stockmann
Kathrine Stockmann
Petra Stockmann
Die Redakteure des „Volksboten“ Billing und Hovstad
Morten Kiil
Aslaksen
Kapitän Horster
Bürger der Stadt
3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
3.6 Stil und Sprache
Veraltete Übersetzung
Leitbegriffe und Symbole
Sprachliche Verwandlung in säkularen Messias
3.7 Interpretationsansätze
Ein leicht zu verstehendes Stück?
Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher und sozialer Wahrheit
Die Lebenslüge und Ibsens „drittes Reich“ als Reich der Wahrheit
Nichtstaat und Adelsmenschen
Ibsen als früher Umweltaktivist
4. Rezeptionsgeschichte
Rezeption bis 1918
Rezeption in den 1920er Jahren
Rezeption im Nationalsozialismus
Rezeption nach 1945
Vom Volksfeind beeinflusste literarische Werke
5. Materialien
6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen
Aufgabe 1 *
Aufgabe 2 *
Aufgabe 3 ***
Aufgabe 4 ***
Literatur
Zitierte Ausgabe
Primärliteratur
Lernhilfen und Kommentare für Schüler
Sekundärliteratur
Damit sich jeder Leser in diesem Band rasch zurechtfindet und das für ihn Interessante gleich entdeckt, folgt eine Übersicht.
Im 2. Kapitel wird Henrik Ibsens Leben beschrieben und auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund verwiesen:
Henrik Ibsen lebte von 1828 bis 1906, viele Jahre in Italien und Deutschland. Er ist der berühmteste Dramatiker Norwegens. Zur Phase seiner gesellschaftskritischen Stücke gehört EinVolksfeind. Das Stück reagierte auf politische Entwicklungen in Norwegen, aber auch auf Leserreaktionen zu Ibsens Gespenstern. Wegen seiner Thematik ist es bis heute aktuell.
Norwegen erlebte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine schnelle Industrialisierung, parallel bildete sich der Naturalismus als europäische Denk- und Kunstrichtung aus. Der Naturalismus war der Versuch, gesellschaftliche Widersprüche, Wissenschaft und Kunst aufeinander zu beziehen. Ästhetische Kategorien waren demgegenüber untergeordnet.
Ibsens Prinzip der Polarität vereinigte die Dialektik Hegels mit Søren Kierkegaards normierten Lebensweisen und übertrug diese Systematik in die moderne Gesellschaftsdramatik.
Im 3. Kapitel wird eine Textanalyse und -interpretation geboten.
Ein Volksfeind – Entstehung und Quellen
In der kurzen Entstehungsgeschichte 1882 wurden langfristige Vorgänge verarbeitet, die sowohl die europäische Entwicklung als auch die individuellen Erlebnisse Ibsens betrafen. Zu den Quellen gehörten zeitgenössische Ereignisse, wie die Pariser Kommune, die sich auf Ibsens Nichtstaatstheorie auswirkte, autobiografische Bezüge, die gewollt waren, aktuelle Ereignisse von vergleichbaren Vorfällen und literarische Beziehungen (J. S. Welhaven, B. Bjørnson, G. Brandes, J. Lie, Molière).
Inhalt:
Der Badearzt Dr. Stockmann erfährt, dass eine von ihm einst empfohlene Quelle, die den Aufstieg des Ortes zum Bad auslöste, durch Industrieabwässer verseucht ist. Sein Bruder weist als Bürgermeister des Ortes Sanierungen mit Rücksicht auf die Aktionäre des Bades und die Einwohner, die von den Einnahmen abhängig sind, zurück. Dr. Stockmann will sich über die Presse, die ihm anfangs beistehen will, an die Öffentlichkeit wenden, aber sein Bruder verhindert die Versuche und bringt die öffentliche Meinung gegen den Badearzt auf. Dr. Stockmann stellt die Bürgerschaft in einer öffentlichen Veranstaltung bloß. Die bezeichnet ihn daraufhin als Volksfeind. Die Familie verliert alles, aber Dr. Stockmann, von seiner Familie unterstützt, kämpft weiter.
Chronologie und Schauplätze:
Das Stück spielt in den 1870er Jahren in einer südnorwegischen Küstenstadt, die zum Badeort aufgestiegen ist. Sie ist Symbol für den Aufstieg Norwegens in diesen Jahren, aber auch für die Bedrohung des Aufstiegs durch Korruption und politische Manipulation. Die Überlegungen Ibsens über Majorität und Minorität gehen in die Zeit der Pariser Kommune zurück und lassen ihn zu einer speziellen Nichtstaatstheorie kommen.
Personen:
Thomas Stockmann,
ca. 40-jähriger Arzt und früher Umweltschützer,
verheiratet und Vater von drei Kindern,
Wahrheitsfanatiker und Querkopf,
freundlich, leichtlebig, schnell erregt.
Peter Stockmann,
ca. 45-jähriger Bürgermeister und Polizeichef,
Vorstand der Badeverwaltung,
korrupter, pedantischer Beamter,
alleinstehend, lebt spartanisch, kränklich.
Kathrine Stockmann,
etwa 30-jährige Frau von Thomas, ist ihm letztlich überlegen,
haushälterisch und sachlich,
trägt die Verantwortung für die Familie.
Petra Stockmann,
ca. 20-jährige Tochter von Thomas und Kathrine Stockmann,
Schwester von Eilif, 13 und Morten, 10,
Lehrerin und Übersetzerin,
sucht nach ehrlichen Erziehungszielen.
Billing und Hovstad
Redakteure des Volksboten,
Mitgiftjäger und Streber,
opportunistische Journalisten,
liberal, atheistisch, karrieristisch.
Morten Kiil („Dachs“)
Schwiegervater von Thomas,
rücksichtsloser Gerbereibesitzer,
geizig und bösartig.
Aslaksen
Buchdrucker,
Typ des perfekten Opportunisten,
Verkünder des Maßhaltens,
beherrscht die Presse.
Kapitän Horster
interessiert sich nicht für den Badeort,
ist in der Welt – Amerika! – unterwegs,
Neigung zu Petra Stockmann.
Bürger der Stadt
verkörpern die von Thomas verabscheute Majorität,
uninformiert, obrigkeits- und pressehörig,
bieten Farce einer demokratischen Meinungsbildung.
Stil und Sprache:
Sprache ist ein von Ibsen differenziert eingesetztes künstlerisches Mittel; viele Wörter oder oft verwendete Begriffe sind mit einem metaphorischen Gehalt unterlegt. – Die Sprache ist scheinbar einfach, aber mit Symbolen versehen; Regieanmerkungen werden zu epischen Texten.
Verschiedene Interpretationsansätze bieten sich an:
Ein Volksfeind reflektiert die norwegische und europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts am Beispiel eines kleinen wirtschaftlich aufstrebenden Küstenortes und lässt sich auf mehrere zeitgenössische Vorgänge anwenden.
Der dem Stück zugrunde liegende Konflikt ist der Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher und sozialer Wahrheit.
Ibsen hat in seinem politischen Stück auch seine Nichtstaatstheorie sowie seine Konzeption eines „dritten Reichs“ der „Adelsmenschen“ zur Diskussion gestellt.
Es ist ein Stück der Realität wie der Symbolik, indem es moderne Fehlentwicklungen von Demokratie, Freiheit, Bürgerbewegung usw. bis in die Gegenwart im Symbol des Sumpfes und der Verseuchung diskutiert und nach Veränderungen sucht.
Aus dieser Betrachtung als reales und als symbolisches Stück ergibt sich seine ungebrochene Aktualität bis heute (Ibsen als früher Umweltaktivist).
Rezeptionsgeschichte:
Von seiner Uraufführung 1882 bis in die Gegenwart gehört Ein Volksfeind zu den am häufigsten inszenierten Stücken Henrik Ibsens und hat eine nur schwer zu überschauende Sekundärliteratur hervorgebracht.
Besonders in Zeiten der Radikalisierung politischer Ideen hat die Symbolfunktion des Stückes dazu gedient und dient sie noch, ein Diskussionsforum politischer Themen zu schaffen.
Dabei hatte das Stück in Deutschland von Beginn an eine größere Resonanz als in seiner norwegischen Heimat.
Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde das Werk jedoch missbraucht und zum Teil verfälscht inszeniert.
Das Werk wird bis heute von bedeutenden Regisseuren inszeniert und wurde bereits mehrfach verfilmt. Auch ließen sich viele Schriftsteller von Ibsens Stück anregen (u. a. Arthur Schnitzler, Arthur Miller und Friedrich Dürrenmatt).
