Eine Liebe fürs Leben - Volker Hage - E-Book

Eine Liebe fürs Leben E-Book

Volker Hage

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Beschreibung

Thomas Mann und Travemünde, das ist Eine Liebe fürs Leben: Vor mehr als hundert Jahren verbrachte der Knabe hier seine Sommerferien und empfing Eindrücke, die ihn und das Werk nachhaltig geprägt haben. Lübeck, das war Geburtsstadt und »geistige Lebensform« - Travemünde aber das »Kindheitsparadies«, unvergessen. Am Ende seines Lebens, nach den langen Jahren des Exils, besuchte Thomas Mann das Ostseebad noch einmal. Seine Anhänglichkeit an »Lübecks schöne Tochter« wird in diesem Buch erstmals im Zusammenhang dargestellt und mit historischen Fotografien illustriert.

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Volker Hage

Eine Liebe fürs Leben

Thomas Mann und Travemünde

FISCHER E-Books

Inhalt

Thomas MannVorbemerkungMottoSpätes Wiedersehen»Nächst’s Jahr wieder, Hannochen«Nach Travemünde immer geradeausTravemünde, ein SeebadDie Liebes- und die LebensgeschichteDie Epik und das MeerDie langsame HeimkehrNoch einmal: Die Luft des KindheitsparadiesesEpilogAnhangAbschied von DeutschlandRückkehr nach EuropaLiteraturverzeichnis1. Zitierte Werke von Thomas Mann2. Thomas Mann: Briefe, Interviews, Notizen3. Über Thomas Mann4. Über Travemünde5. SonstigesBildnachweisQuellennachweis

Vor dem Kurhaus in Travemünde; Thomas Mann im Juni 1953

Vorbemerkung

Der folgende Essay ist zuerst 1993 im Hamburger Christians Verlag als Buch erschienen, das seit langem vergriffen ist; es wird hier mit sämtlichen Fotodokumenten in aktualisierter Form neu ediert. Anlaß dazu gibt nicht zuletzt eine Ausstellung im Lübecker ›Buddenbrookhaus‹ zum Thema »Thomas Mann und das Meer« – Titel: Ich bin der fliegende Holländer –, in der die vielfältige Beziehung des Schriftstellers zu dem Ostseebad Travemünde einen Schwerpunkt bildet.

Zum ursprünglichen Text Eine Liebe fürs Leben sind zwei ergänzende Beiträge als Anhang hinzugekommen: Sie beleuchten Situationen des Übergangs im Leben des Schriftstellers, die mit dem Thema »Thomas Mann und Travemünde« zwar nur indirekt verknüpft sind, aber vielleicht verdeutlichen können, welche tiefe Befriedigung es für den lange im Exil lebenden Autor bedeutet haben muß, am Ende seines Lebens zu seinem »Kindheitsparadies« noch einmal, zweimal zurückzukehren.

 

Hamburg, März 2002

V. H.

»O Meer, wir sitzen erzählend fern von dir, wir wenden dir unsere Gedanken, unsre Liebe zu, ausdrücklich und laut anrufungsweise sollst du in unserer Erzählung gegenwärtig sein, wie du es im stillen immer warst und bist und sein wirst … Sausende Öde, blaß hellgrau überspannt, voll herber Feuchte, von der ein Salzgeschmack auf unseren Lippen haftet. Wir gehen, gehen auf leicht federndem, mit Tang und kleinen Muscheln bestreutem Grunde, die Ohren eingehüllt vom Wind, von diesem großen, weiten und milden Winde, der frei und ungehemmt und ohne Tücke den Raum durchfährt und eine sanfte Betäubung in unserem Kopfe erzeugt, – wir wandern, wandern und sehen die Schaumzungen der vorgetriebenen und wieder rückwärts wallenden See nach unseren Füßen lecken. Die Brandung siedet, helldumpf aufprallend rauscht Welle auf Welle seidig auf den flachen Strand, – so dort wie hier und an den Bänken draußen, und dieses wirre und allgemeine, sanft brausende Getöse sperrt unser Ohr für jede Stimme der Welt. Tiefes Genügen, wissentlich Vergessen … Schließen wir doch die Augen, geborgen von Ewigkeit!«

 

Thomas Mann, Der Zauberberg

Auf der Strandpromenade: das Ehepaar Mann, Juni 1953

Spätes Wiedersehen

Am 10. Juni 1953 fährt eine schwarze Limousine mit dem amtlichen Kennzeichen »AH42/8890« ohne Halt durch die Hansestadt Lübeck, vorbei am Holstentor, die Königstraße hinunter, wieder hinaus durch das Burgtor. Der Wagen kommt aus Hamburg und ist auf dem Weg nach Travemünde. Dort, am Kurhaus, warten Journalisten. Es ist 12 Uhr 30, als das Auto vorfährt. Der Mann, der mit seiner Frau aussteigt, ist fast ein Vierteljahrhundert nicht mehr an diesem Ort gewesen, und die erste Begegnung liegt über siebzig Jahre zurück. Am nächsten Tag, am 11. Juni 1953, wird in der ›Lübecker Freien Presse‹ zu lesen sein: »Die Travemünder, die gestern mittag einen schlanken älteren Herren beobachten konnten, der mit grauem Ulster, grauem Hut und Schirmstock neben einer gut aussehenden Dame mit kurzgeschnittenem Silberschopf über die Promenade ging, mochten weder wissen, wer dieser sehr korrekt wirkende Herr sei, noch, was ihn bewegte, wenn er auf die vom Ostwind hochgetriebene See hinausblickte.«

Ja, was mag ihn, Thomas Mann, in diesem Augenblick bewegt haben? Bis vor einem Jahr lautete die Adresse des eben 78 Jahre alten Schriftstellers: Pacific Palisades, California, 1550 San Remo Drive; nun, seit einem halben Jahr, seit Dezember 1952, heißt sie: Erlenbach bei Zürich, Glärnischstraße 12. Thomas Mann lebt wieder in Europa, und jetzt ist er, zunächst nur für wenige Stunden, an den Lieblingsort seiner Kindheit zurückgekehrt.

»O ja, ich gestehe – ich bin recht, recht ergriffen!« So kolportieren es die Zeitungen. Und: »Richtige Seeluft, die hier, wo ich zu Hause war, rauher ist als drüben am Strand des Pazifik!« Hans Schrem, Chefredakteur der ›Lübecker Nachrichten‹, hat das Privileg, das Ehepaar Mann zum Mittagessen ins Kurhaus einzuladen. Eine Brühe hätten die Gäste gewählt, liest man tags darauf in seinem Blatt. Ein Stückchen Wildbraten und Obst, »dazu keinen Rotwein, sondern ein Glas Bier«. Und Thomas Mann wird mit den Worten zitiert: »In meiner Jugend – man saß damals an großen, langen Tischen – waren fünf Gänge üblich. Nach dem ersten pflegte ich in einen Nebenraum zu gehen und mich auf ein Sofa zu legen und zu schlafen; der Kellner hatte Weisung, mich zum Pudding zu wecken …!«

Thomas Mann und Travemünde – das ist die Geschichte einer dauerhaften Liebe, jener ersten großen Liebe, die auch von späteren nie mehr ganz zu löschen ist, die vielmehr untergründig weiterlebt und den Menschen begleitet wie der eigene Schatten, die Geschichte einer Leidenschaft, die bis ans Lebensende währt, die selbst noch in der Ferne und Fremde Schutz und Kraft gibt. Thomas Mann und Travemünde: das ist keine flüchtige Jugendbekanntschaft, die im Alter noch einmal erneuert wurde, sondern ein treues, inniges Verhältnis, ein tragender Pfeiler im Leben und Werk des Erzählers und Epikers.

»Nächst’s Jahr wieder, Hannochen«

Wer je die Buddenbrooks gelesen hat, wird die Szene nie vergessen, in der ein kleiner Junge, dem auf Erden ohnehin nur einige wenige Jahre beschieden sind, erstmals tiefe Trauer erlebt, die frühe Ahnung von Abschied und Verlust – bei der Abfahrt von Travemünde nämlich. Die Sommerferien sind vorbei, und Hanno Buddenbrook muß, begleitet von seinem Kindermädchen, die Rückfahrt nach Lübeck antreten, das Herz voll Kummer. Man fährt durch das Städtchen, jene Straße am Fluß Trave entlang, die den schönen Namen ›Vorderreihe‹ trägt:

»Die bepackte Droschke hielt vorm Kurhause, der Tag war da. Hanno hatte früh morgens der See und dem Strande sein Adieu gesagt; er sagte es nun den Kellnern, die ihre Trinkgelder entgegennahmen, dem Musiktempel, den Rosenbeeten und dieser ganzen Sommerszeit. Und dann, unter den Verbeugungen des Hôtel-Personals, setzte sich der Wagen in Bewegung.

Er passierte die Allee, die zum Städtchen führte und fuhr die ›Vorderreihe‹ entlang … Hanno drückte den Kopf in die Wagenecke und sah, an Ida Jungmann vorbei, die fischäugig, weißhaarig und knochig ihm gegenüber auf dem Rückplatze saß, zum Fenster hinaus. Der Morgenhimmel war weißlich bedeckt, und die Trave warf kleine Wellen, die schnell vor dem Winde daher eilten. Dann und wann prickelten Regentropfen gegen die Scheiben. Am Ausgange der ›Vorderreihe‹ saßen Leute vor ihren Hausthüren und flickten Netze; barfüßige Kinder kamen herbeigelaufen und betrachteten neugierig den Wagen. Die blieben hier …

Als der Wagen die letzten Häuser zurückließ, beugte Hanno sich vor, um noch einmal den Leuchtturm zu sehen; dann lehnte er sich zurück und schloß die Augen. ›Nächst’s Jahr wieder, Hannochen‹, sagte Ida Jungmann mit tiefer, tröstender Stimme; aber dieser Zuspruch hatte nur gefehlt, um sein Kinn in zitternde Bewegung zu setzen und die Thränen unter seinen langen Wimpern hervorquellen zu lassen.«

Der Travemünder Hafen, vor 1990 (Blick vom alten Leuchtturm, im Vordergrund das Leuchtenfeld). Heute legen die großen Fährschiffe nicht mehr – wie zu Zeiten der Buddenbrooks ihre prächtigen Schwestern mit Mast und Segel – längs der Vorderreihe an; sie haben weiter hinten einen eigenen Fährhafen, den Skandinavienkai.

Diese Romanpassage[*] ist – wie so manches andere bei Thomas Mann – weitgehend autobiographischer Natur. In einem kurzen Lebensabriß aus dem Jahr 1930 heißt es klar und uneingeschränkt:

»Die lichtesten Zeiten meiner Jugend aber waren die alljährlichen Sommerferienwochen in Travemünde mit ihren Badevormittagen am Strande der Ostseebucht und ihren Nachmittagen zu Füßen des fast ebenso leidenschaftlich geliebten Kurmusiktempels gegenüber der Hotelanlage. Die gepflegte, geschützte und unbildenlose Idyllik dieses Aufenthalts mit vielgängigen Table d’hôte-Mahlzeiten sagte mir unbeschreiblich zu; sie leistete meiner natürlichen, viel später erst leidlich korrigierten Neigung zu träumerischer Trägheit Vorschub, und wenn die anfangs unabsehbaren vier Wochen zu Ende waren und es nach Haus in den Alltag ging, so war meine Brust von dem weichlichen Schmerz der Selbstbemitleidung zerrissen.«

In diesem Tenor, bisweilen mit fast identischen Wendungen, hat Thomas Mann es schon zuvor und auch später noch verschiedentlich formuliert. Aufschlußreich ist, wie nachdrücklich er darauf besteht, daß ein Hang zu Trägheit und Träumerei zu überwinden war, um jene Lebensanstrengung auf sich nehmen zu können, der sich das literarische Werk verdankt – das wiederum, so kann man vermuten, gar nicht in Gang gekommen wäre, ohne die kindliche Neigung eines Hanno, eines Thomas Mann, sich allen Zwängen dieser Welt zu entziehen. Und sei es nur für vier wunderbare Wochen: »Sommerferien an der See!« Da sind wir wieder im Travemünde der Buddenbrooks:

»Sommerferien an der See! Begriff wohl irgend Jemand weit und breit, was für ein Glück das bedeutete? Nach dem schwerflüssigen und sorgenvollen Einerlei unzähliger Schultage vier Wochen lang eine friedliche und kummerlose Abgeschiedenheit, erfüllt von Tanggeruch und dem Rauschen der sanften Brandung … Vier Wochen, eine Zeit, die an ihrem Beginne nicht zu übersehen und ermessen war, an deren Ende zu glauben unmöglich und von deren Ende zu sprechen eine lästerliche Rohheit war. Niemals verstand es der kleine Johann, wie dieser oder jener Lehrer es über sich gewann, am Schlusse des Unterrichtes Redewendungen laut werden zu lassen, wie etwa: ›Hier werden wir nach den Ferien fortfahren und zu Dem und Dem übergehen …‹ Nach den Ferien! Er schien sich noch darauf zu freuen, dieser unbegreifliche Mann im blanken Kammgarnrock! Nach den Ferien! War das überhaupt ein Gedanke? So wundervoll weit in graue Ferne entrückt war Alles, was jenseits dieser vier Wochen lag!«

Das zweistöckige Kurhaus mit Arkadenhaus und Schweizerhäusern (um 1890)

So muß es wohl gewesen sein: In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts kam der kleine Thomas mit seiner Familie regelmäßig in das Seebad Travemünde, das damals schon einen guten Namen hatte. Man kam in der Tat genau für vier Wochen, von Mitte Juli bis Mitte August, das erste Mal, als der Knabe sieben Jahre alt war, also 1882. Und dann Jahr für Jahr, solange Thomas Mann zur Schule ging. Die Familie Mann wohnte in einem der beiden »Schweizerhäuser«, die es heute nicht mehr gibt und die neben dem Kurhaus standen, das damals nur zwei Geschosse hatte. Hier, auf einem kleinen Areal, spielte sich seinerzeit das gesellschaftliche Leben des Bades ab, zumindest das der gehobenen Kreise, jener wohlhabenden Kaufmannsfamilien, die zum größten Teil aus Hamburg und dem nahen Lübeck herüberkamen; hier gab es eine beliebte Konditorei und vor allem: den Musiktempel. Der Strand war damals noch eine eher verwilderte Angelegenheit. Wohl gab es eine Badeanstalt, doch an eine Kurpromenade, wie sie heute das Bild bestimmt, war nicht zu denken – mit deren Bau wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts begonnen. Noch einmal Hanno – die Beschreibung des ersten Ferientags: