Einmal sechzehn und nie wieder - Renate Welsh - E-Book

Einmal sechzehn und nie wieder E-Book

Renate Welsh

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Beschreibung

Matthias jobbt in den Schulferien auf dem Bau. Er lernt harte Arbeit und harte Männer kennen. Aber der Gedanke an Elisabeth, die neue Freundin, läßt die Tage in der Sommerhitze wie im Flug vergehen. Voller Ungeduld erwartet er sie morgens in der Straßenbahn und abends zu ihren Treffs. Matthias ist glücklich. Doch Elisabeth gibt ihm immer wieder Rätsel auf. Spielt sie ihm nur etwas vor? Was stimmt mit ihr nicht? Was verbirgt sie? Matthias muß erst sich selber finden, ehe er Elisabeth helfen kann und beide vielleicht zu einer Partnerschaft fähig sind.

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Seitenzahl: 172

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Renate Welsh

Einmal sechzehn und nie wieder

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Matthias jobbt in den Schulferien auf dem Bau. Er lernt harte Arbeit und harte Männer kennen. Aber der Gedanke an Elisabeth, die neue Freundin, läßt die Tage in der Sommerhitze wie im Flug vergehen. Voller Ungeduld erwartet er sie morgens in der Straßenbahn und abends zu ihren Treffs. Matthias ist glücklich. Doch Elisabeth gibt ihm immer wieder Rätsel auf. Spielt sie ihm nur etwas vor? Was stimmt mit ihr nicht? Was verbirgt sie? Matthias muß erst sich selber finden, ehe er Elisabeth helfen kann und beide vielleicht zu einer Partnerschaft fähig sind.

Über Renate Welsh

Renate Welsh, Kinder- und Jugendbuchautorin und Übersetzerin, lebt in Wien.

Veröffentlichungen: «Fiona und Michael oder Hoffnung mit Hindernissen»; «Johanna» (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendbuchpreis); «Einfach dazugehören oder Du bist angenommen»; «Wie in fremden Schuhen»; «Schnirkel das Schneckenkind»; «Seifenblasen bis Australien»; «Das Leben leben».

Inhaltsübersicht

Diese Straßenbahn konnte …Schmutziggelb zerhackte der ...Als er aufwachte, ...Am nächsten Morgen ...Im Hausflur stand ...Georg hatte die ...Am nächsten Morgen ...Die Eltern hatten ...Am nächsten Tag ...Der Badeausflug am ...«Hat jemand für ...Am Samstagmorgen klingelte ...Am Abend, kurz ...Sein Sonnenbrand war ...Am Dienstag war ...Matthias kam von ...Erläuterung österreichischer Ausdrücke

In diesem Buch kommen Ausdrücke vor, die man nicht in allen deutschsprachigen Ländern versteht. Wenn sich ihre Bedeutungen nicht aus dem Zusammenhang ergeben, sind sie mit einem Sternchen* versehen und auf Seite 124 erklärt.

***

Diese Straßenbahn konnte er noch davonfahren lassen. Wenn sie auch in der nächsten nicht kam, dann mußte er heute darauf verzichten, sie zu sehen. Der Polier hatte schon gestern Bemerkungen gemacht über «die Herren Studenten, die im letzten Augenblick angehetzt kommen».

Es nieselte. Er stellte den Kragen seiner Jacke hoch. «Nimm doch den Regenschirm, du verkühlst dich noch», hatte die Mutter gesagt. Sie war ihm ins Vorzimmer nachgelaufen. «Wie stellst du dir das vor?» hatte er geantwortet. «Soll ich auch mit dem Regenschirm Schubkarren fahren?»

Mit dem schwarzen Schirm in der Hand hatte sie ihm nachgesehen, als er die Treppe hinunterlief.

Von ihm aus konnte es ruhig weiterregnen. Er schwitzte auch in dieser feuchten Kälte genug bei der Arbeit. Nur am Wochenende sollte die Sonne scheinen. Es wäre schön, endlich einmal baden zu gehen in diesem Sommer. Seinen Pickeln würde die Sonne guttun. Sie waren noch schlimmer als sonst, Staub und Sand und Schweiß reizten die Haut offenbar. Die neue Creme half ebensowenig wie die anderen Wasser und Salben und Schmieren, die er schon versucht hatte. Neben dem rechten Nasenflügel spannte die Haut. Da kam wieder ein Pickel. Es erforderte ungeheuer viel

Beherrschung, nicht daran zu drücken und zu kratzen.

Wenn der Verkehrsstrom abriß, drang der Geruch von frischem Brot aus der Bäckerei über die Straße. Die Ladentür stand offen. Eine der Verkäuferinnen ordnete Butterkipferln auf ein Tablett in der Auslage. Zwei Kipferln mit ungleich langen Schenkeln fischte sie wieder heraus und warf sie in den Korb hinter der Theke.

Die Butterkipferlreihen deprimierten ihn. Sie waren so gleichförmig, so übersichtlich.

Er studierte die Morgengesichter der Autofahrer. Bei dem Nieselregen blieben die Scheibenwischer nach wenigen Minuten stecken. Er sah durch die Windschutzscheiben, wie die Fahrer stirnrunzelnd zwischen den Regentropfen auf die Ampel starrten, und las die Schimpfwörter von ihren Lippen ab, wenn sie die Schalter an- oder abdrehten.

In der Mitte der Fahrbahn lag ein gelber Gummihandschuh. Immer wieder richteten sich die Finger auf, wenn ein Wagen darübergefahren war. Irgendwann mußte der Handschuh doch platzen.

Die Straßenbahn kam. Er suchte schnell mit den Augen den ersten Wagen ab, obwohl er sie dort nicht erwartete. Sie war ein einziges Mal im ersten Wagen gewesen, sonst immer im zweiten.

Beim Einsteigen stieß ihm eine Frau den Regenschirm gegen das Schienbein und blickte ihn auch noch strafend an. Im Wagen gab es dann das übliche Gedränge und Geschiebe an der thronenden Schaffnerin vorbei. «Danke – danke – weitergehen bitte – bitte nach vorne nachrücken – weitergehen bitte – danke – danke.»

Er hatte wie jeden Morgen das Gefühl, nicht auf seinen eigenen Beinen zu gehen. Es geht mich, man geht mich, die Straßenbahn geht mich, die Fahrgäste gehen mich. Sie gehen mich an! Was gehen sie mich überhaupt an?

Dazu dieser feuchte Wollgeruch, Schafsgeruch, Regenmanteldunst, Tabaksgeruch aus dem Mantel seines Vordermannes. Jemand hatte schlechten Atem, hustete Schwaden von üblem Mundgeruch.

Matthias schob sich langsam nach vorne durch, blickte hinter jede Zeitung. Er zwang sich, immer nur eine Reihe anzusehen. Wenigstens eine Station lang wollte er die Vorfreude auskosten. Sie saß meist ganz vorne. Er nahm an, daß sie an der Endstation einstieg, denn sie saß oft auf dem ersten Sitz, wo man etwas mehr Platz für die Beine und keinen Nachbarn hatte.

«Bitte nachrücken.»

Ein prall gefüllter Regenmantel versperrte ihm den Gang.

«Entschuldigen Sie, bitte», sagte Matthias.

Der Regenmantel rührte sich nicht, der fette, rote, ausrasierte Nacken darüber rührte sich nicht. Matthias zwängte sich durch, wobei er die Zeitung einer geblümten Dame zerdrückte. Sie nahm seine Entschuldigung lächelnd entgegen und gab ihm eine Wolke Parfüm mit auf den Weg.

Das Mädchen saß heute in der zweiten Reihe, auf dem linken Fensterplatz. Er blieb knapp hinter ihr stehen.

Ihr Haar war ganz unter einem blau-grünen Kopftuch versteckt, was ihre Backenknochen betonte. Sie hatte einen kleinen Maskarafleck unter dem rechten Auge. Einen kleinen schwarzen Spritzer. Vielleicht vom Regen, vielleicht hatte sie sich zu sehr beeilt an diesem Morgen.

Jetzt müßte er in seine Jackentasche greifen, das frische Taschentuch herausziehen, das ihm die Mutter auch jetzt noch jeden Morgen einsteckte, und sagen: «Sie haben da einen Fleck!» Was würde sie dann antworten?

Sie saß mit gekreuzten Knöcheln, die Hände im Schoß gefaltet, und blickte geradeaus vor sich hin. Er hätte gern gewußt, was sie dachte. Und ob sie ihn überhaupt bemerkt hatte.

Sie hielt eine gelbe Nylontasche mit schwarzer Aufschrift auf dem Schoß. Sie hatte jeden Tag eine solche Tragetasche bei sich, wahrscheinlich nahm sie darin ihr Mittagessen mit. Von den Aufschriften wußte er bereits, wo sie ihre Schuhe und bei welcher Firma sie ihre Unterwäsche kaufte. Jetzt kannte er auch die Adresse ihrer Parfümerie. Manchmal, abends im Bett, stellte er sich vor, wie er vor einem Laden auf sie warten würde, wie er den Überraschten spielen würde, wenn sie herauskam, und wie er sie dann in ein Kaffeehaus einladen würde.

Seine Schulkameraden hätten das Mädchen längst angesprochen. Er wußte, wo sie ausstieg und in welcher Richtung sie über die Kreuzung ging.

Das Mädchen drehte den Kopf zum Fenster. Jetzt regnete es stärker; die Tropfen blieben an den Scheiben kleben und schmierten träge ab.

Der Sand würde heute noch schwerer sein als sonst. Aber es würde weniger stauben.

Das Mädchen hatte einen blonden Flaum auf den Wangen. Wieso bemerkte er das heute zum erstenmal? Er starrte den Flaum an und bekam dieselbe Art von Gänsehaut, wie wenn er in einen Pfirsich biß.

Die Straßenbahn klingelte schrill und bremste scharf ab; er verlor fast das Gleichgewicht. Eine ältere Dame fiel gegen ihn und entschuldigte sich wortreich.

Das Mädchen blickte auf.

Matthias versuchte zu lächeln. Dort, wo der neue Pickel kam, brannte und spannte die Haut. Er hoffte nur, daß das Lächeln keine Grimasse geworden war.

Das Mädchen stand auf und bot der älteren Dame ihren Platz an. «Ich steige ohnehin bei der nächsten Haltestelle aus», sagte sie. Ihre Stimme war tiefer, als er sich vorgestellt hatte.

Sie standen jetzt nebeneinander, und als der Wagen um die Kurve fuhr, spürte er einen leichten Druck gegen seinen Arm.

Dann stieg sie aus. Die Ampel war wieder rot, er hatte Zeit, ihr nachzusehen. Sie spritzte sich beim Gehen die Beine an. Ihre hellen Strümpfe waren dunkel getupft.

Morgen spreche ich sie an, nahm er sich vor. Zumindest sage ich «Guten Morgen».

Schmutziggelb zerhackte der riesige Kran den grauen Himmel. Die Häuser neben der Baustelle sahen bedroht aus, mit den vielstöckigen Gruben und Schächten unter und dem Kran über ihnen, feucht glänzend, fast schlüpfrig. Ob die Bewohner das auch so empfanden? Dann müßten sie nachts aufwachen und Angst davor haben, wieder einzuschlafen. Wenn sich der Kranhaken in einem Dach, in einem Kamin verfinge, würde das Haus dann pendeln wie ein Vogelkäfig an einer Schnur?

Matthias blieb auf der provisorischen Holzbrücke stehen. Die Baustelle sah verlassen aus. Wie eine Ausgrabung. Noch sieben Minuten. Er hatte keine Lust, so früh am Arbeitsplatz zu sein.

Eine Frau trug einen Langhaardackel unter dem Arm die Treppe herauf und redete dabei pausenlos auf ihn ein. Sobald sie ihn auf den Boden gestellt hatte, hob er an einem Pfeiler das Bein. Die Frau sah mit gerührt-stolzem Gesichtsausdruck zu.

Matthias grinste. Was würde die Frau sagen, wenn er dem Beispiel ihres Dackels folgen wollte? Vermutlich nach der Polizei schreien.

Matthias blickte den Mädchen nach, die über die Brücke gingen. Merkwürdig, wie viele aus dem Rhythmus kamen, wenn man ihre Beine ansah. Auch wenn sie sich nicht umdrehten, spürten sie die Blicke. Höchstens eine von fünf ging unbefangen weiter. Eine Turmuhr schlug.

Er rannte die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal, kroch unter dem Geländer durch, rannte quer über die Baustelle, was verboten war, kroch unter dem Geländer auf der anderen Seite durch und ärgerte sich, daß er nicht genügend Selbstvertrauen hatte, darüberzuhechten.

Die Baustelle, wo er Arbeit gefunden hatte, lag in einer Seitengasse. Die Männer waren in der Hütte beim Umziehen.

«Morgen!» sagte er.

«Ah, der Herr Student beehren uns wieder!» begrüßte ihn der Vorarbeiter. Etliche von den Männern feixten. Es roch nach verschüttetem Bier und kaltem Rauch.

Matthias hängte seine Jacke an einen Nagel.

«Hätt ich mir auch nie träumen lassen, daß mir einmal so ein feiner junger Herr den Schubkarren führt», sagte Karl. «Ich hab immer nur davon geträumt, wie ich so einem feinen jungen Herrn einen Tritt in den Hintern geben würde.» Er lachte. Das auf seiner Brust eintätowierte Herz verschwand fast in Speckfalten. Karl wog, wie er jedem ungefragt erzählte, hundertzweiunddreißig Kilo. Wenn er ruhig dastand, erinnerte er an eine riesige Sulz, alles an ihm war eingebettet in Fett. Wenn er aber einen Estrich verrieb, wenn er Verputz anwarf oder Ziegel setzte, ahnte man die Muskeln unter dem Speck. Karl stellte freihändig Mauern auf, an denen kein Senkblei etwas auszusetzen hatte. Jetzt rollte er sein Hosenbein hoch, hievte den Fuß auf die Bank und drückte mit dem Daumen auf seinen Unterschenkel. Eine seichte Grube blieb zurück.

«Das ist das Wasser», erklärte Karl, und es klang fast stolz. «Der Doktor sagt, wenn ich nicht sofort aufhör zu fressen und zu saufen, dann kratz ich bald ab.»

«Du könntest dich ja ins Spital legen zum Abnehmen», schlug Erich vor. Erich und Karl arbeiteten seit vielen Jahren nebeneinander, bei den verschiedensten Firmen und an den verschiedensten Baustellen. «Das zahlt sogar die Kassa.»

«Ich bin doch nicht blöd», sagte Karl. «Glaubst du, ich laß mir einen Seifeneinlauf zum Frühstück geben und ein Mineralwasser mit einem Schnitz Zitrone zu Mittag, so, wie sie’s mit dem Huber gemacht haben? Nein, mein Lieber, mit mir nicht.»

«Wenn dir die Wampen nicht im Weg wär, hättest vielleicht sonst mehr aufzustecken, dann möcht dir das Essen gar nicht so abgehen –»

«Trottel!» Karl pflanzte sich vor Erich auf. «Ich könnt dir kistenweise Dank- und Anerkennungsschreiben zeigen. Da ist bei mir alles in Ordnung. Und wie! Kannst dich überall erkundigen, im ganzen Bezirk.»

Erich wandte sich schulterzuckend ab, hängte sein kariertes Sakko auf einen Kleiderbügel mit seinem Namen, strich es glatt und schloß den mittleren Knopf. «Auch bei deiner Alten?» fragte er über die Schulter.

Karl trat einen Schritt vor. «Meine Alte laß gefälligst in Ruhe!» Erich grinste. «Ja, weil du sie auch schon so lang in Ruh läßt, was?»

Die Männer hielten im Umziehen inne. Bernd kam herein, aber niemand beachtete ihn. Die Adern auf Karls Nacken schwollen dick an.

Erich stand sprungbereit da.

«Schauts euch doch unser Bubi an!» sagte der alte Skopitz schnell. «Ganz rot ist er. Schämts euch, vor dem Bubi solche Sachen zu reden! Unser Bubi ist viel zu klein für so was, das versteht er noch nicht.»

Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte Karl den kleinen alten Skopitz packen. Dann ließ er die Faust sinken, grinste und nahm Matthias am Arm. «Natürlich, das Bubi. Hätt ich fast vergessen. Die Herren Studenten, die dürfen ja nur die feinen lateinischen Namen dafür lernen, tun dürfen sie nix. Nur schön bei der Mami sitzen.»

Matthias biß sich in die Unterlippe. Was gingen ihn diese Leute an? Gar nichts. Warum zitterte er dann? Warum sagte er nichts? Es war wirklich kein Wunder, daß Karl ihn nicht für voll nahm. Bernd zog die Schnur seiner Arbeitshose zu und trat in den Kreis, der sich um Karl gebildet hatte. «Wenn du glaubst, daß das lustig ist», sagte er zu ihm, «dann bist du blöder, als ich geglaubt hab.»

«Da kommt der Polier!» rief der alte Skopitz.

Sie drängten sich an der Tür und sahen zu, wie Herr Gutzner ausstieg, eine Plastikplane aus dem Kofferraum holte und seinen silbergrauen Wagen sorgfältig abdeckte.

«Ich wart nur, bis er ihn zum Abschied abbusselt», sagte Bernd. Karl musterte ihn von oben herab. «Du bist ja nur neidig. Weil du nichts zu vermelden hast mit deinem Spuckerl.»

Sie gingen hinaus, standen um den Wagen, redeten über Hubraum, Beschleunigung, Bremsweg, Benzinverbrauch, Spitzengeschwindigkeit. Gutzner glättete die Plastikhülle über dem Kotflügel.

Matthias zog sich schnell um. Dann ging er den anderen nach.

 

Von dem Augenblick an, als er seine nasse Jacke auf einen Bügel an die Garderobenwand hängte und dadurch etliche Paradiesvögel und frisch erblühte Rosen verdeckte, verfolgte ihn seine Mutter mit besorgten Blicken.

«Willst du eine Tasse Tee, du bist ja ganz naß, vielleicht mit einem Schuß Rum, reib dir die Haare trocken oder nimm den Fön, willst du ein Stück Mohnkuchen, Abendessen gibt’s erst um sieben, Papa kommt später, da gibt’s irgendwelche Schwierigkeiten im Betrieb, wie sieht denn deine Hand aus, die Blasen sind ja ganz blutig, wo ist nur das Merfen, weil du auch immer alles irgendwohin tun mußt, wozu hat jedes Ding seinen Platz, ich hab ja gleich gesagt, die Arbeit ist zu schwer für dich.»

Er ging in sein Zimmer, legte eine Platte auf und warf sich auf sein Bett. Natürlich kam sie ihm mit einem Stapel frisch gebügelter Wäsche nach. Er sprang auf und setzte sich auf die Schreibtischplatte.

Als sie die Schranktür öffnete, seufzte sie tief. Sie legte Hemden, Unterhosen, Pullover und Leibchen auf seinem Bett aus, nahm ein Tuch aus der Schürzentasche und wischte über das Schrankbett.

«Hast du wieder Schmerzen?» fragte er.

Sie lächelte. «Der Doktor sagt, ich soll zur Durchuntersuchung ins Spital.»

«Dann geh doch!»

Sie faltete die Unterhosen, klopfte sie glatt und legte sie sehr genau aufeinander. «Wie kann ich denn? Das geht doch nicht.»

Er wußte, was sie jetzt von ihm erwartete.

«Aber Mama», sagte er, «es hat doch keinen Sinn, daß du dich quälst. Die eine Woche – oder wie lang das dauert – werden wir schon zurechtkommen.»

«Ich möchte nicht sehen, wie es dann hier aussieht. Und du mußt auch ordentlich essen, jetzt, wo du arbeitest. Schließlich bist du so etwas nicht gewohnt. Vielleicht geh ich im Herbst. Dann könnte sich die Tante Anna ein bißchen um euch kümmern, bis dahin ist sie längst zurück. Ich möchte auch wissen, wie die es anstellt, jedes Jahr von der Kasse auf Kur geschickt zu werden.» Sie schichtete die Stapel in den Schrank.

Er las zum fünftenmal die Überschrift: BANKRÄUBER VON KASSIERERIN GESTELLT. Er wollte sich nicht wieder herausfordern lassen. Am besten war es, gar nichts zu sagen, das Spiel abzubrechen, jetzt, da das noch möglich war. Sie stand da, strich seinen grünen Pullover auf dem Bett glatt, immer und immer wieder, eindeutig wartend.

«Wir würden uns schon bemühen, Mama», sagte er.

«Warum kannst du dann nicht jetzt gleich damit anfangen? Schau dir nur den Pullover an: total verknautscht. Und ich hab vorgestern erst eine Stunde lang zu tun gehabt, ihn schön aufzudunsten.»

«Tut mir leid.»

Er stand auf und ging ins Badezimmer. Seit einem halben Jahr ungefähr kam sie nicht mehr ins Badezimmer, wenn er in der Wanne lag.

Er drehte den Wasserhahn voll auf und sah zu, wie der grüngelbe Badezusatz aufschäumte.

«Matthias?!» rief die Mutter draußen.

«Ja?» Er machte die Tür nicht auf. Wenn er Glück hatte, glaubte sie vielleicht, er sei schon ausgezogen.

«Ich wollte dich nur fragen, ob du Knödel oder Kartoffeln zum Gulasch willst!» Ihre Stimme kam durch den Türspalt.

«Was leichter geht!» rief er zurück.

«Ich möchte wissen, was du lieber hättest!»

Wenn er jetzt die Wahrheit sagte, daß es ihm nämlich wirklich egal war, dann kränkte er sie wieder. «Knödel bitte!»

«Ist recht. Ich muß nur schnell hinunterlaufen und Semmelbröckerln holen, wenn du Knödel willst. Falls das Telefon läutet, laß es halt läuten. Nur zur Tür mußt du schon, der Papa hat nämlich seine Schlüssel vergessen.»

Er stieg in die Badewanne. Wenn das, was auf der Flasche stand, auch nur annähernd stimmte, würde er sich nach dem Bad ruhig, unternehmungslustig, frisch, jung und wohl fühlen.

Warum mußte sie ihn zwingen, eine Wahl zu treffen, warum konnte sie nicht einfach die Erdäpfel kochen? Es hatte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, es hatte keinen Sinn, sich zu ärgern, das wußte er längst.

Seine Haut kribbelte. Komisch, daß man von sehr heißem Wasser eine Gänsehaut bekommen konnte. Er betrachtete die Haare auf seinen Beinen, die wie Wasserpflanzen hin und her schwankten. Seine Brust war noch kahl. Er war nicht sicher, ob die Haare dort erst später zu wachsen beginnen.

Merkwürdig sah es schon aus, dieser dichte Pelz auf den Beinen und dazu die nackte weiße Brust. Neulich hatte er in einer Zeitung ein Inserat für Brusttoupets gesehen. Das wäre doch die Sache. Besonders, wenn sich der Klebstoff im Wasser löst: «Verzeihung, könnten Sie bitte den Fuß heben? Sie stehen auf meinem Brusthaar –»

«Was bei Männern männlich wirkt, treibt Frauen zur Verzweiflung», stand auf einer Reklame im Schaufenster der Drogerie an der Straßenbahnhaltestelle. Verzweiflung? Das Mädchen aus der Straßenbahn hatte auch dunkle Haare an den Beinen. War sie deswegen verzweifelt?

Das Telefon schnarrte. Er überlegte sich, ob er doch aus der Wanne steigen und den Hörer abnehmen sollte. Vielleicht versäumte er etwas, etwas Wichtiges? Als er aufstand, hörte das Läuten auf. Er legte sich wieder in die Wanne.

Zwiebelgeruch aus der Küche drang durch die Badezimmertür, setzte sich gegen den Zitronengeruch des Badezusatzes durch. Brannten die Zwiebeln etwa an? Angebranntes Essen war für seine Mutter nicht nur ein Mißgeschick, sondern eine jener Katastrophen, die eine ganze Lebenshaltung in Frage stellten.

Während er sich abtrocknete, knarrte der Schlüssel in der Wohnungstür. Er wartete, aber es kam kein entsetzter Aufschrei. Es war also doch nichts angebrannt.

Seine Mutter klapperte mit den Töpfen. Manchmal fragte er sich, ob sie auch dann so viel Lärm in der Küche machte, wenn niemand da war, der hören konnte, wie sehr sie sich abmühte.

«Vergiß nicht, Pflaster auf die Blasen zu tun, und Merfen!» rief die Mutter. «Soll ich dir helfen?»

«Danke, es geht schon.»

Die Blasen waren wirklich häßlich und schmerzhaft. Die Mutter hatte vorgeschlagen, er solle Handschuhe bei der Arbeit tragen; das würde vielleicht tatsächlich helfen, aber er wollte nicht der einzige sein, der Handschuhe trug. Er konnte sich zu lebhaft vorstellen, was Karl dazu sagen würde.

«Bist du bald fertig?» rief die Mutter. «Kann ich die Knödel einlegen?»

«Ich komme schon.»

Es klingelte. Er stopfte im Gehen das Hemd in die Hose und öffnete die Tür. Sein Vater hatte tiefe Ringe unter den Augen, die dunklen Bartstoppeln machten den Eindruck, als habe er sich tagelang nicht rasiert. Wenn er besonders müde war, wurde sein Gesicht grau und fiel ein. In letzter Zeit war er besonders oft besonders müde.

«Hat’s Ärger gegeben?» fragte Matthias.

«Und ob!» Sein Vater hielt den nassen Regenmantel in der Hand, stand einfach da, machte weder Anstalten, den Mantel aufzuhängen, noch ins Zimmer zu gehen.

Matthias nahm ihm den Mantel ab.

«Ich bring gleich das Essen!» rief die Mutter aus der Küche.

Die Mundwinkel des Vaters hoben sich ein wenig. Matthias grinste zurück.

Für die Mutter war es immer noch ein Glaubensgrundsatz, daß ein gutes, ordentlich gekochtes Essen, wenn schon nicht die Welt, so doch zumindest die Familie in Ordnung bringen konnte.

«Was war eigentlich?» erkundigte sich Matthias beim Essen.

«Willst du nicht noch einen Knödel?» fragte die Mutter dazwischen.