Endlich fit - Jürgen Seibold - E-Book

Endlich fit E-Book

Jürgen Seibold

3,9

  • Herausgeber: Silberburg
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Ist Sport doch Mord? Kommissar Klaus Schneider jedenfalls versucht vergeblich, sich im Fitnessstudio überzählige Pfunde abzutrainieren - und der Unternehmer Henning Horlacher setzt in einer Villa am Backnanger Bahnhof mit seinem Rennrad zu einem tödlichen Flug durch den Nachthimmel an. Schnell ist klar: Horlachers Dahinscheiden war kein Unfall. Wer aber steckt hinter seinem Tod? Wieder einmal stehen die Kommissare Schneider und Ernst von der Polizeidirektion Waib-lingen vor einem kniffligen Fall - denn Horlachers Tod kommt vielen gerade recht, und der ungewöhnliche Hergang der Tat stellt die Ermittler vor einige Probleme. Obendrein will Schneider seinem Kollegen Rainer Ernst dabei helfen, sich endlich wieder mit Freundin Sabine zu versöhnen - dabei hat er selbst genug Probleme und wird von Gattin Sy-bille schließlich kurzerhand ins Wohnzimmer ausquartiert. Ein Krimi mit einer explosiven Mischung aus Hass und Liebe, aus Erfolg und Niederlage, aus sportlichem Ehrgeiz und dunk-len Geschäften.

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Seitenzahl: 363

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Jürgen SeiboldEndlich fit

Jürgen Seibold

Endlich fit

Ein Rems-Murr-Krimi

Jürgen Seibold, 1960 geboren und mit Frau und Kindern im Rems-Murr-Kreis zu Hause, ist gelernter Journalist und arbeitet als Buchautor. Beim Silberburg-Verlag hat er bisher Kriminal- und Unterhaltungsromane sowie Sachbücher und einen historischen Roman veröffentlicht.

2. Auflage 2011

© 2010/2016 by Silberburg-Verlag GmbH, Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen. Alle Rechte vorbehalten. Lektorat: Michael Raffel, Tübingen. Umschlaggestaltung: Wager ! Kommunikation, Altenriet.

E-Book im EPUB-Format: ISBN 978-3-8425-1702-8 E-Book im PDF-Format: ISBN 978-3-8425-1703-5 Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-87407-986-0

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Inhalt

Über den Autor

Donnerstag, 25. Februar

Freitag, 26. Februar

Samstag, 27. Februar

Sonntag, 28. Februar

Montag, 1. März

Dienstag, 2. März

Mittwoch, 3. März

Donnerstag, 4. März

Freitag, 5. März

Samstag, 6. März

Sonntag, 7. März

Montag, 8. März

Dienstag, 9. März

Mittwoch, 10. März

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Donnerstag, 25. Februar

Es war mild an diesem Abend. Mild für Ende Februar.

Henning Horlacher hatte sich auf dem Nachhauseweg noch überlegt, ein Stück an der Murr entlang zu joggen. Nicht gemütlich, wie all die anderen Verlierer, die sich den bequemen Uferweg aussuchten – Horlacher nutzte das Joggen eher, um sich in verschärftem Tempo ordentlich auszupowern.

Aber dann war ihm noch ein Kunde eingefallen, der auf ein Angebot wartete. Also schenkte er sich ein Glas Bordeaux ein, ließ wieder einmal die vertraute Manfred-Mann-CD laufen und schob sich ein Stück Brie in den Mund.

Als das Angebot geschrieben und gemailt war, drehte er Manfred Mann noch etwas lauter, schenkte Bordeaux nach und duschte heiß.

Trocken gerubbelt war er gegen 20.30 Uhr, aber das tägliche Workout fehlte ihm noch. Ein paar Sit-ups und einige Liegestützen später entschied er sich für eine Runde auf dem Rad – wobei »Runde« das falsche Wort war: Er hatte noch nie viel für diese magnetgebremsten Fitnessräder übrig gehabt, also hatte er sich für sein teures Rennrad eine spezielle Halterung bauen lassen, damit er es als Heimtrainer nutzen konnte.

Ohnehin hatte er keine Lust mehr, in ein Fitnessstudio zu gehen. Und es fehlte ihm auch an der Zeit. Anfahrt, Rückfahrt, das lästige Einchecken, und dann waren überall die Schaumstoffgriffe der Trainingsgeräte getränkt mit dem Schweiß der anderen – eklig.

Inzwischen hatte sich Horlacher in seinem Haus einen eigenen Fitnessraum eingerichtet. Schwungstab, Isomatten, Hanteln und allerlei Maschinen: Er war prächtig ausgestattet. Mitte Januar hatte er die Geräte bestellt, danach hatte er alles aufbauen lassen, und alle fünf, sechs Wochen kam dann sein Personal Trainer vorbei und besprach mit ihm die neuen Übungen und exerzierte sie durch. Gerade gestern erst war er hier gewesen.

Horlacher musste grinsen: Eigentlich hatte er unbedingt eine Trainerin gewollt, aber inzwischen war er fast froh, dass das nicht geklappt hatte – Frauen und Fitness, mit dieser Kombination hatte er zuletzt genug Ärger gehabt.

Henning Horlacher bewohnte sein Haus allein. Er hatte es mit großem Aufwand renovieren lassen und genoss nun von einigen seiner schönsten Zimmer den Blick auf die Backnanger Innenstadt. Sein Schlafzimmer bot diese Aussicht, auch sein Wohnzimmer, vor allem aber sein nach Nordosten gelegener, großzügiger Fitnessraum.

Er drehte die Anlage noch ein wenig lauter, und mit dröhnendem Bass erfüllte der Oldie »Davy’s on the road again« die ganze geräumige Wohnung.

Ob die Nachbarn sich gestört fühlten, kümmerte ihn nicht. Er hatte dieses Haus gekauft und für viel Geld herrichten lassen – also konnte er hier auch wohnen und leben, wie es ihm gefiel.

Er schwang sich auf sein Fahrrad und begann gleichmäßig zu treten. Die Pedale flogen immer schneller im Kreis, und allmählich machte sich in ihm das gewohnte wohlige Gefühl breit, das ihm sportliche Betätigung üblicherweise verschaffte.

Sein Blick ging hinaus auf die Backnanger Innenstadt. Er sah den Turm, von dem aus alljährlich einige Blasmusiker das Straßenfest eröffneten, er sah weiter links die imposante Kulisse der Mörikeschule.

Direkt vor ihm fiel das Gelände steil ab, hinunter zum Ufer der Murr, die sich unten im Tal aus der Stadt hinaus in Richtung Westen wand. Er sah die große Fensterfront, die sein ganz persönliches Fitnessstudio zu einem auffallend hellen Raum machte. Er sah die gläserne Schiebetür, die er zur Seite geschoben hatte, um – sozusagen – an der frischen Luft zu trainieren. Er sah den Balkon hinter dem offenen Schiebefenster, der sich fast über die ganze Breite des Hauses erstreckte. Und er sah das abmontierte Balkongeländer, das neben der offenen Schiebetür in einer Ecke des Balkons lag – dort, wo es der Handwerker, der den Balkon und das Geländer auf Vordermann bringen sollte, hingelegt hatte.

Er sah die Tachonadel, die schon bald nach Beginn seines wie immer verbissen ausgeführten Trainings die 40-Kilometer-Marke hinter sich ließ. Er sah aber nicht, wie sich die losen Schrauben der Fahrradhalterung durch die Erschütterung noch weiter lösten.

Schließlich spürte er einen Ruck und sah überrascht an der Halterung hinunter, radelte aber zunächst unverdrossen weiter – bis sich das Rennrad losgerissen hatte und mit beachtlicher Geschwindigkeit auf den Balkon zuraste. Durch die offene Schiebetür und über den Balkon selbst waren Horlacher und sein teures Rennrad in Sekundenbruchteilen geflitzt. Dort stand dem Rad auch das abmontierte Balkongeländer nicht mehr im Weg, und Horlacher, der völlig verblüfft war und noch immer kräftig in die Pedale trat, schoss über den Rand des Balkons hinaus und sah mit schreckgeweiteten Augen die im Murrtal liegenden Straßen weit unter sich.

»So, nun ist aber Ruhe!«

Die Frau zog noch einmal die Bettdecke glatt, dann sah sie ihrem Mädchen streng in die Augen.

»Du musst morgen früh raus, und es ist bald neun – so ein Theater möchte ich morgen nicht mehr erleben.«

»Ja, schon gut, Mama.«

Das Mädchen kuschelte sich in seinem Hochbett fest in die Decke, rollte sich auf die Seite und sah durchs Fenster hinaus auf das abendliche Backnang. Ihre Mutter strich ihr sanft eine Strähne aus der Stirn und gab ihr einen Kuss. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und lächelte versonnen zu ihrer Tochter hinüber. Acht war die Kleine inzwischen schon, und in ein paar Jahren würde sie als junge Frau ihr eigenes Leben führen.

»Und dabei ist sie eben noch in den Kindergarten gegangen …«, schoss es der Mutter durch den Kopf, und sie lächelte wehmütig.

Plötzlich setzte sich das Mädchen in seinem Bett auf und deutete mit dem Arm zum Fenster hinaus.

»Da, Mama!«

»Was ist denn jetzt schon wieder?«

»Da fliegt einer!«

»So, so … da fliegt einer …«

»Doch, ganz ehrlich. Schau einfach hin.«

Sie sah hinaus, konnte aber nichts erkennen.

»Da fliegt keiner! Und das wundert mich auch kein bisschen – da ist noch nie einer geflogen. Und mir reicht es langsam mit deinen Faxen. Was fällt dir denn als Nächstes ein, nur damit du noch wach bleiben kannst?«

»Da ist einer geflogen!«, beharrte die Kleine. »Und ich habe mir das nicht eingebildet.«

»Aha, da ist einer geflogen. So, wie ›E.T.‹ im Film, was?«

»Ja, genau – der saß tatsächlich auch auf einem Fahrrad, aber er hatte vorne keinen Korb drauf. Und es war auch kein Alien, sondern ein Mann.«

Die Mutter schüttelte nur den Kopf.

»Du glaubst mir nicht, oder?«

»Nein. Überrascht dich das?«

»Äh … nein. Aber …«

»Hör endlich auf mit dem Blödsinn!«

»Ganz ehrlich: Der ist dort draußen durch die Nacht geflogen. Man konnte ihn richtig gut sehen.«

Die Mutter seufzte.

»Ich schwöre!«

»Meinetwegen. Da ist also ein Mann auf einem Fahrrad vor deinem Fenster vorbeigeflogen und du hast ihn gesehen. Und zwar nur du.«

»Genau. Wobei: Er flog nicht vor meinem Fenster vorbei, sondern er flog halt draußen durch die Nacht und ich konnte ihn gut sehen.«

»Gut. Und das kommt dir nicht irgendwie verrückt vor?«

»Doch, natürlich.«

»Ja, mir auch. Und jetzt wird geschlafen.«

Freitag, 26. Februar

Zunächst hörte Klaus Schneider nur sein schweres Atmen, eher ein Keuchen, und das monotone Schleifen des Fitnessgeräts. Im Hintergrund dudelte Radiomusik, ansonsten war es ruhig um ihn her.

Er war der einzige Gast zu dieser frühen Tageszeit, und auch die beiden jungen Frauen, die in den Mottoshirts ihres Arbeitgebers hinter der Theke standen, wirkten noch nicht besonders wach.

Dann fiel ihm das beharrliche Klingeln seines Handys auf. Wobei es nicht im eigentlich Sinn klingelte – er hatte sich »Gisela« als Klingelton heruntergeladen, einen schwäbischen Blues, den sein Kollege Maigerle bei Konzerten seiner Band gerne als Zugabe spielte.

Eine der jungen Frauen sah überrascht zu ihm herüber. Schneider musste grinsen: Es kam sicher nicht jeden Tag vor, dass ein Mann trainierte, während aus seiner Sporthose mehrere Stimmen im Chor »Gisela« riefen, unterbrochen durch verzerrte Gitarrenriffs.

Schließlich zerrte er das Handy aus der Tasche und meldete sich – oder genauer: versuchte sich zu melden. Mehr als ein Keuchen brachte er fürs Erste nicht zustande.

»Herr Schneider?«, fragte es aus dem Handy. Es war die Stimme seines Kollegen Rainer Ernst. Schneider sah kurz zur Wanduhr hinauf: 8.10 Uhr. Wenn Ernst ihn so früh auf dem Handy erreichen wollte, bedeutete das wahrscheinlich einen neuen Fall. Schade. Er hatte sich schon fast daran gewöhnt, dass die Monate ganz ohne Mord vergingen.

»Herr Schneider?«

»Ja, ja«, machte Schneider und versuchte, seinen Atem einigermaßen unter Kontrolle zu bringen.

»Ihre Frau meinte, ich könne Sie über das Handy erreichen. Wo sind Sie denn? Das klingt ja schlimm!«

»Ich … puh … ich … auf dem Stepper.«

»Auf dem – was?«

»Stepper!«, wiederholte Schneider und kletterte umständlich und etwas wacklig von den Standflächen des Geräts, während sie der Schwung noch ein wenig weitertrieb. Dabei verhedderte sich ein Schnürsenkel im Gerät, und als die Schlaufe endlich aufging, hatte die Trittstufe des Steppers den völlig verdatterten Schneider schon aus dem Gleichgewicht gebracht und auf dem engen Platz zwischen den Geräten auf den Fußboden befördert.

»Herr Schneider?«

»Moment.«

Er stopfte sich das Handy wieder in die Hosentasche, rappelte sich mühsam auf und nahm es dann wieder ans Ohr.

»So, Herr Ernst, jetzt können wir reden.«

Die Blicke der beiden jungen Frauen, die tuschelnd und kichernd hinter dem Tresen standen, spürte er wie heiße Pfeile in seinem Nacken. Der Rücken schmerzte, einen Oberschenkel hatte er sich durch den Aufprall geprellt, und sein Gesicht begann vor Scham zu glühen.

»Sport ist Mord« – wer hatte das noch einmal gesagt? Egal, Schneider war nah dran, ihm oder ihr zu glauben.

»Wir haben einen Toten, in Backnang. Sieht nicht sehr nach natürlichem Todesfall aus. Und wir beide sollen mitermitteln – gut möglich, dass auch eine Soko gebildet wird. Kann ich Sie abholen?«

»Klar, ich zieh mich nur noch kurz um.«

Schneider beschrieb Ernst den Weg zum Fitnessstudio, und als er die Sporttasche schulterte und durch die Tür hinaus zum Parkplatz ging, stand dort schon Ernsts Dienstwagen.

»Gut, dass ich nicht mehr geduscht habe«, dachte Schneider und setzte sich auf den Beifahrersitz.

Ernst kurvte vom Parkplatz, fädelte sich auf die Hauptstraße ein und ließ das Seitenfenster aufgleiten, als er die Auffahrt zur neuen B14 nahm und Winnenden westlich umfuhr.

»Oh«, ging es Schneider durch den Kopf. »Vielleicht hätte ich doch besser geduscht …«

Er sah verstohlen zu seinem Kollegen hinüber, aber der hielt den Blick starr geradeaus und schnupperte nur ab und zu halbwegs unauffällig an der frischen Luft, die durch das Fenster hereinströmte.

Ihr Ziel war ein Gebäude in der Nähe des Backnanger Bahnhofs. Es lag an der Straße, die direkt vor dem Bahnhofseingang abzweigte und in Richtung Stadtmitte abwärtsführte. Mehrere ältere Stadtvillen, die zu ihrer Zeit wohl Zeichen größeren Wohlstands gewesen waren, reihten sich hier aneinander.

Zwischen den Sandsteingebäuden mit ihren Erkern, Türmchen und Walmdächern konnte man auf ausgedehnte Gärten blicken, die steil zur Murr hinunter abfielen. Dahinter waren die im Tal ausgebreiteten Straßen und Häuser Backnangs zu sehen, vorne das alte Gerberviertel, daneben die einst stolze Elektronikfabrik, weiter hinten das relativ neue Wohn- und Geschäftsviertel Giebel.

Vor einem der Gebäude stand der Transporter der Spurensicherung, und in der Einfahrt daneben stand Frieder Rau, der Chef der Waiblinger Kriminaltechnik.

»Guten Morgen, Kollegen«, sagte Rau und gab ihnen nacheinander die Hand. »Haben Sie gejoggt heute früh?«, fragte er schließlich Schneider, wischte sich unauffällig die Hand an der Hose ab und wandte sich zu dem Haus um.

»Ja«, antwortete Schneider, aber Rau hatte seine Frage wohl eher rhetorisch gemeint. Auf die Antwort achtete er jedenfalls nicht weiter.

»Da unten liegt er«, sagte Rau, als die drei Männer über einen schmalen Gartenweg die Rückseite des Hauses erreicht hatten. Der Ausblick war atemberaubend. Zwischen alten Bäumen erstreckte sich eine Wiese, auf der schmutzig und an vielen Stellen angetaut noch der Schnee von vergangener Woche lag. Alles wirkte karg und winterlich, doch der Garten ließ schon erahnen, wie prächtig und sattgrün hier bald der Frühling einkehren würde.

Rau folgte einem Weg aus recht neu aussehenden Steinplatten, der zu dem Fundort der Leiche hinführte, ab und zu unterbrochen von einigen Stufen, die das Gefälle des Grundstücks ausglichen.

»Ihr könnt ruhig kommen«, rief Rau ihnen zu, als er bemerkte, dass die beiden Kollegen ein paar Schritte hinter ihn zurückgefallen waren. »Den Weg haben wir schon durch, tretet aber bitte erst hier unten neben der Leiche in den Schnee, ja?«

Schneider und Ernst schlossen zu ihm auf. Vor der Leiche ging Ernst in die Hocke, um den Toten aus der Nähe zu mustern. Schneider blieb stehen, die Hände tief in den Taschen seiner gefütterten Jacke.

Vor ihnen auf dem Boden lag ein Mann auf dem Bauch. Normalerweise hätte er auch mit dem Gesicht mehr oder weniger nach unten gelegen, aber sein Kopf war so unnatürlich verrenkt, dass der Tote mit gebrochenem Blick zur Seite sah.

Um den Körper herum schimmerte an einigen kleineren Stellen braungraue Wiese hervor, ein Stück entfernt lag ein zerbeultes Rennrad. Blut war nirgendwo zu sehen.

»Saubere Sache, was?«, sagte Rau schließlich in die konzentrierte Stille hinein. »Das ist doch gleich ganz was anderes als im vergangenen Sommer droben in Alfdorf.«

Schneider schluckte. Als die tote Bäuerin übel zugerichtet in einem Maislabyrinth gefunden worden war, hatte er wegen einer Erkältung daheim auf dem Sofa gelegen – aber die Bilder, die ihm hinterher gezeigt worden waren, hatten seinen Magen noch ausreichend strapaziert.

»Das Leben ist kein Wunschkonzert«, faselte Rau weiter. Er schien sich hier so richtig wohl zu fühlen. »Und mein Job ja ohnehin nicht. Aber wenn ich mir mal was wünschen dürfte, wäre es ein Opfer wie dieses hier: tot, aber dezent drapiert; ein Mord, aber keine Sauerei – das ist endlich mal ein Fall, vor dem sich auch Jutta nicht fürchten muss.«

Ernst grinste. Jutta Kerzlinger, seine langjährige Kollegin und inzwischen auch enge Freundin, konnte drastische Bilder und bluttriefende Beschreibungen wirklich nur schlecht vertragen.

»Sie gehen ganz selbstverständlich von Mord aus«, schnappte Schneider. Ernst sah überrascht zu seinem Vorgesetzten, der mittlerweile um die Leiche herumgegangen war. Schneider klang ein wenig genervt – vielleicht, dachte Ernst, ging ihm die zur Schau getragene gute Laune von Rau gegen den Strich.

Rau wechselte einen kurzen Blick mit Ernst – auch ihm war Schneiders Tonfall nicht entgangen. »Wir können uns das gleich noch oben in der Wohnung ansehen«, sagte er dann. »Aber kurz zusammenfassen kann ich es für euch ja schon mal: Der Mann hier muss gestern auf seinem Trimmrad trainiert haben, dabei hat sich eine Schraube gelöst und er ist mit Karacho durch die offene Glastür über den Balkon geschossen und dann im hohen Bogen hier unten gelandet. Rad kaputt, Genick gebrochen.«

»Und warum sind Sie so sicher, dass es Mord war?«

»Der Mann hat offenbar für das Training im Winter sein Rennrad auf eine Halterung montieren lassen, und daran wurde herumgeschraubt. Dadurch hat sich das Rad gelöst – na ja … Um das zu vermeiden, wäre an der Halterung normalerweise auch noch ein Sicherheitsbolzen angebracht – der fehlt. Auf der Schraube haben wir Kratzspuren wie von einer Zange gefunden – auch deshalb würde ich ausschließen, dass sich das Rad von allein von der Halterung gelöst hat.«

Schneider sah Rau noch kurz an, dann blickte er missmutig zu dem Balkon hinauf.

»Und wenn wir nicht davon ausgehen, dass er auf diese doch sehr umständliche Art Selbstmord begehen wollte, würde ich sagen: eindeutig Mord.«

Schneider schaute wieder zu Rau, etwas irritiert, weil nun der Techniker etwas bissig geklungen hatte.

»Ist was, Herr Rau?«

Rau holte tief Luft, dann schnaubte er kurz, was vor seinem Gesicht die Atemluft in kleinen Wölkchen in die kalte Februarluft aufsteigen ließ.

Schneider sah fragend zu Ernst hinüber, der verdrehte die Augen. Er hasste es, wenn Kollegen aneinandergerieten, weil sie mit dem falschen Fuß aufgestanden waren oder irgendetwas in den falschen Hals bekommen hatten.

»Frieder, Herr Schneider«, sagte er schließlich und versuchte, möglichst versöhnlich zu klingen. »Sollen wir mal hoch und uns diese Halterung näher ansehen?«

Schneider nickte, Rau ging voran. Als der Kriminaltechniker ein paar Schritte vor ihnen durch den Hintereingang das Kellergeschoss der Villa betrat, nahm Ernst seinen Vorgesetzten kurz zur Seite.

»Rau meint das nicht so, Herr Schneider«, raunte er ihm zu. »Ich glaube einfach, dass sich Frieder auf seine schnoddrige Art diese ganzen Erlebnisse vom Leib hält. Und Sie haben ihm das hörbar übel genommen – das hat dann wiederum ihn genervt. Vielleicht sollten wir uns alle ein wenig am Riemen reißen, was halten Sie davon?«

Schneider nickte und ging ins Haus hinein. Sie hörten Rau die Treppe hinaufgehen und folgten ihm.

»Komisch«, dachte Schneider. »Da sind wir immer noch per ›Sie‹ – und doch darf Ernst mir schon Dinge sagen, die ich mir nicht von jedem gefallen lassen würde.«

Es war noch keine drei Jahre her, als sie bei einem Mord im Wieslauftal einen denkbar schlechten Start für ihre Zusammenarbeit hatten. Damals hatte Schneider, frisch aus Karlsruhe eingetroffen, die Leitung der Kripo-Außenstelle Schorndorf übernommen – genau jenen Posten, auf den der damalige zweite Mann in Schorndorf insgeheim selbst spekuliert hatte.

Die Außenstelle war mittlerweile aufgelöst, Ernst und Schneider nach Waiblingen versetzt worden – und die beiden Kollegen, der Schwabe und der Badener, hatten sich nicht nur zusammengerauft, sondern waren inzwischen schon fast so etwas wie Freunde geworden.

Im ersten Obergeschoss traten Ernst und Schneider in einen großen, hellen Raum, der mit einer großzügigen Fensterfront den Blick hinunter auf Backnang freigab. Das Zimmer war sparsam möbliert. Wobei sich »sparsam« nur auf die Zahl der aufgestellten Einrichtungsgegenstände bezog – dass alles recht teuer war, was hier herumstand, wusste Schneider, weil er durch den etwas anspruchsvollen Geschmack seiner Schwiegereltern Erfahrung in solchen Dingen gesammelt hatte. Und Ernst konnte sich zumindest vorstellen, dass der schicke Glastisch, die edel aussehende Couchlandschaft und die sehr stylish wirkenden Holz-und-Stahl-Regale sein Budget deutlich überstiegen.

Alle Möbel waren in einer Ecke des Raumes aufgestellt, daneben verriet ein kleiner Mauervorsprung, dass hier eine Trennwand eingerissen worden war. Den Rest des Raumes beherrschten einige Fitnessgeräte, darunter eine Bank mit Lederbezug, einige Hanteln, Sprungseile und Gummizüge sowie ein Monstrum an der Wand, das Ernst unangenehm an ein mittelalterliches Folterwerkzeug erinnerte.

Schneider war interessiert an das Monstrum herangetreten und musterte nun die verschiedenen Seilzüge, Sitzflächen, Hebevorrichtungen und Gewichte.

»Hat Schneider nicht vorhin von einem Stepper gesprochen?«, ging es Ernst durch den Kopf. »Und vorher habe ich ihn von einem Fitnessstudio abgeholt – am frühen Morgen!«

Vielleicht sollte Ernst mal mit seinem Kollegen reden – da steckte sicherlich irgendein Problem dahinter. Vielleicht half es Schneider ja, mal mit jemandem darüber zu reden. Und mit etwas Glück könnte er sich dann die weitere Plackerei sparen.

»Hier haben wir das Teil«, sagte Rau vom Fenster her. Ernst erschrak ein wenig, er war ganz in Gedanken versunken.

Rau zeigte auf ein Gestell, neben dem eine Schraube auf dem Holzparkett lag.

»Diese Schraube hier hat das Rad noch gehalten, dann ist sie rausgefallen.«

»Hm«, machte Schneider, und er schaffte es tatsächlich, mit diesem kurzen Laut etwas freundlicher als vorhin zu klingen.

Ernst lächelte ihn dankbar an, Schneider grinste zurück. Rau sah zwischen den beiden hin und her.

»Habe ich was verpasst?«, fragte er schließlich.

»Nein, nein«, schüttelte Schneider mit dem Kopf. »Obwohl … Kollege Ernst hat mich vorhin darauf hingewiesen, dass ich wohl etwas unfreundlich zu Ihnen war, unten im Garten. Tut mir leid.«

Rau war völlig verblüfft, und das sah man ihm auch an. Dann räusperte er sich. »Okay, okay – können wir dann vielleicht wieder?«

Schneider nickte.

»Hier also die Schraube. Die …«Er unterbrach sich mitten im Satz und wandte sich noch einmal zu Schneider um. »Irgendwie sind Sie schon etwas … äh … speziell?«

»Na«, lachte Schneider, »wenn Sie jetzt allerdings sagen, ich habe ein Rad ab, dann ziehe ich meine Entschuldigung aber gleich wieder zurück.«

Rau lachte laut auf, auch Ernst konnte sich ein leises Prusten nicht verkneifen.

»Also, wie ist das Ihrer Meinung nach hier abgelaufen?«, fragte Schneider schließlich.

»Hier«, Rau deutete auf ein Loch in der Schraube, das fast am Ende des Gewindes quer durch das Metall verlief, »hier gehört vermutlich ein Sicherheitsbolzen rein. Der wurde auf jeden Fall herausgenommen – und wir haben ihn auch nicht gefunden. Um genau zu sein: bisher noch nicht, aber ich glaube nicht, dass der noch in der Wohnung ist.«

»Und dieser Bolzen hält die Schraube und verhindert, dass sie sich – zum Beispiel durch die Erschütterung während des Trainings – lockert und allmählich … wie sagt man: freischraubt?«

»Keine Ahnung, wie man das nennt, aber genau so stelle ich mir das vor.«

»Und warum glauben Sie nicht, dass dieser Bolzen von Anfang an gefehlt hat? Nehmen wir mal an, der Tote hat diese Halterung selbst zusammengeschraubt, und er hat einfach vergessen, den Bolzen reinzustecken? Wir wissen doch alle, wie unverständlich diese Montageanleitungen sind – für mich jedenfalls.«

Rau schüttelte den Kopf.

»Zunächst einmal« – er hatte sich inzwischen wieder seine Latexhandschuhe übergestreift und hob die lose Schraube vom Boden auf – »sehen Sie hier ungleichmäßig Staub verteilt, und hier drin sind Kratzer.«

Er deutete auf das Loch am einen Ende der Schraube: Tatsächlich war hier nicht durchgängig und gleichmäßig Staub zu sehen – fast so, als habe sich bis vor kurzem dort etwas befunden, was die entsprechende Stelle vor Staub schützte. Und mitten im Loch konnte man mit etwas Mühe die kleinen Kratzer entdecken, von denen Rau sprach.

»Für mich«, fuhr Rau fort, »sieht das so aus, als habe sich an dieser Stelle eine Zeitlang etwas befunden und sei dann herausgezogen worden – was diese Kratzer verursacht hat. Zum Beispiel der Sicherheitsbolzen.«

»Hm«, machte Schneider wieder. »Sieht ganz so aus, als ob Sie recht hätten. Aber sicher können wir uns trotzdem nicht sein.«

»Doch, können wir.«

Damit führte Rau die beiden Kollegen aus dem Raum und in den Flur – am Ende stand ein Mann, auf den ein Beamter in Uniform in beruhigendem Tonfall einredete.

»Er hat den Toten heute früh gefunden.«

Der Mann war ein wahrer Schrank von einem Kerl: groß, breitschultrig, massig, mit kräftigen, groben Händen und schütterem Haar auf dem gewaltigen Schädel. Im Moment aber stand er an der Wand wie ein Häuflein Elend, mit unsicherem Blick, die Unterlippe zwischen den Zähnen eingeklemmt. Immer wieder schien ihn ein Schluchzen zu schütteln.

»Mit ihm solltet ihr besser erst nachher reden«, sagte Rau. »Er hat gerade auf dem Balkon eine neue Brüstung angebracht – und nun macht er sich Vorwürfe, weil er gestern Nachmittag das alte Geländer abgebaut, aber das neue noch nicht hingeschraubt und auch kein Provisorium angebracht hat.«

Schneider seufzte. Warum konnte es im richtigen Leben nicht einfach so zugehen wie in Kriminalromanen oder in den alten Filmen? Einer ist tot, ein Fiesling hat ihn umgebracht, die Polizei löst den Fall, alle sind zufrieden und keiner muss unter irgendwelchen Kollateralschäden leiden.

»Außerdem hat er das Rad auf die Halterung geschraubt«, fügte Rau hinzu.

»Ach? Und der Bolzen?«

»Den hat er hundertprozentig mit eingebaut. Er ist sich da todsicher – na ja, die Formulierung hat er so natürlich nicht verwendet, sorry. Aber der Mann ist Schlosser, also vom Fach – und er bastelt immer wieder mal etwas für den Hausherrn. Der heißt übrigens Horlacher, ist allem Anschein nach unser Toter und keiner, der sich gerne die Hände mit Kram wie diesem schmutzig macht.«

»Hatte der Schlosser Probleme mit Horlacher?«

Rau starrte Schneider aus aufgerissenen Augen an: »Halten Sie ihn für verdächtig? Diese Jammergestalt dort drüben?«

»Erst einmal müssen wir alles für möglich halten.«

Rau schüttelte fassungslos den Kopf. »Ganz ehrlich: Ihr Job wäre nichts für mich – da sind mir meine Fußspuren, Faserreste und Fingerabdrücke lieber.«

»Kann ich verstehen«, sagte Schneider und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Rau sah überrascht auf die Hand, Schneider zog sie schnell wieder weg.

Ob er es mit der Vertrautheit und Leutseligkeit übertrieben hatte?

Auf dem Balkon lag Werkzeug verstreut, an der Hauswand entlang waren Stahlelemente gestapelt, aus denen vermutlich das neue Geländer zusammengebaut werden sollte. Daneben lehnten rechteckige Glaselemente an der Wand – wahrscheinlich, um als Windschutz auf das fertige Geländer geschraubt zu werden.

Vorsichtig trat Schneider an das hintere Ende des Balkons heran und sah über den Rand in den Garten hinunter. Hier konnte sich einer den Hals auch schon brechen, wenn er nur das Gleichgewicht verlor und aus dem Stand hinunter in die Tiefe stürzte. Der Schwung eines Rennrads in voller Fahrt war jedenfalls nicht nötig.

Horlacher hatte mit seinem Rad allerdings eine beachtliche Strecke hinter sich gebracht. Relativ weit hinten im Garten war er aufgeschlagen, entsprechend tief war er gestürzt. Und der Schnee und das Gras darunter hatten den Aufprall stark gedämpft; wenn dort Steine gelegen hätten, hätte sich Frieder Rau vermutlich nicht über eine so unblutige Fundstelle freuen können.

Einige Minuten lang ließ Schneider seinen Blick über den Garten und die dahinterliegende Stadt schweifen, dann drehte er sich abrupt um und erschrak, weil direkt seitlich hinter ihm sein Kollege stand und ebenfalls die Szenerie auf sich wirken ließ. Kurz kam Schneider deshalb ins Straucheln, reflexartig griff Ernst ihm an die Ellbogen, um ihn notfalls festhalten zu können.

»Danke«, sagte Schneider und drängte sich eilig an seinem Kollegen vorbei, weg von dem drohenden Abgrund.

»Das wäre kein Tod für mich«, sagte Ernst und sah mit skeptischer Miene noch einmal über den Terrassenrand hinunter. »Wenn ich mir vorstelle, wie sich das gestern hier abgespielt haben muss.«

Schneider ging ins Wohnzimmer, Ernst folgte ihm und fuhr fort:

»Der radelt also hier auf diesem Gestell eine Zeitlang vor sich hin, ist so richtig in Fahrt, dann löst sich die Halterung, das Rad schießt durch die Tür und über den Balkon – und die ganze Zeit ist Horlacher ja noch bei vollem Bewusstsein.«

Schneider lief es eiskalt den Rücken hinunter.

»Dann flitzt er über die Kante hinaus, fliegt im hohen Bogen durch die Luft und sieht die ganze Zeit über alles ganz genau. Er hat ja gewissermaßen einen Logenplatz. Und dann ist der hellwach, aber auch absolut hilflos, bis er sich dort unten im Garten das Genick bricht.«

Ernst schüttelte sich.

»Falls da gerade ein Nachbar rausgeschaut hat, muss das ausgesehen haben wie ›E.T.‹ damals im Kino«, sagte Schneider und grinste ein wenig, froh, die bedrückende Szene mit einem lauen Witz vielleicht etwas auflockern zu können. »Sie wissen doch: der kleine Außerirdische, der mit seinem Fahrrad vor dem Mond vorüberfliegt.«

Er sah Ernst an, aber der sah an seinem Kollegen vorbei zu der Tür hin, die hinaus in den Flur führte. Schneider spürte, dass jemand hinter ihm stand, und das Räuspern eines Mannes bestätigte ihn in seiner Vermutung.

Als er sich umdrehte, stand eine Frau von Ende dreißig, Anfang vierzig vor ihm. Groß, schlank, schulterlange Haare und auch sonst in jeder Hinsicht eine sehr angenehme Erscheinung. Nur die verheulten Augen irritierten Schneider ein wenig. Fragend sah er Kommissar Alexander Maigerle an, der neben der Frau stand.

»Das ist Frau Rombold, eine Nachbarin.«

»Und meine kleine Tochter hat Ihren ›E.T.‹ gestern Nacht durch die Luft fliegen sehen«, sagte Frau Rombold. Normalerweise hätte er die tiefe, kehlige Stimme der Frau sehr anregend gefunden – nun aber fühlte er, wie ihm kräftige Schamröte ins Gesicht stieg.

»Entschuldigen Sie bitte, Frau …«

»Rombold.«

»Ja … Frau Rombold … äh … tut mir leid. Wir neigen manchmal etwas zu derben Scherzen und zu Zynismus. Vielleicht wollen wir uns damit besser gegen die Dinge wappnen, die wir in unserem Job zu sehen bekommen.«

»Kenne ich, ich bin Anwältin. Aber wenn es um meine Tochter geht, verstehe ich keinen Spaß, sorry.«

Da inzwischen eindeutig feststand, dass Horlacher ermordet worden war, und vielleicht auch ein wenig aufgrund der Popularität des Opfers hatte Rolf Binnig als Leitender Kriminaldirektor die Bildung einer Sonderkommission angeordnet und das erste Treffen auf vierzehn Uhr angesetzt.

Frieder Rau kämpfte noch mit den Tücken der Leinwand, auf der er gleich einige Fotos vom Fundort der Leiche zeigen wollte. Alle anderen Mitglieder der Sonderkommission saßen schon auf ihren Plätzen und warteten gespannt, dass es an diesem Freitagnachmittag endlich losging.

Schneider sah in die Runde: An den Tischen, die sie in dieser Hälfte des Raumes wie üblich zu einem U zusammengeschoben hatten, saßen seine Kollegen Rainer Ernst und Alexander Maigerle, Jutta Kerzlinger und Henning Brams – diese vier würden Schneider draußen bei den Befragungen helfen und vor Ort Recherchen anstellen. Im Innendienst, über Telefon und PC würden ihnen Heydrun Miller, Manfred Dettwar und Wilfried Rosen zuarbeiten.

Vom zuständigen Polizeirevier Backnang waren Polizeihauptmeister Rolf Schmitz und Polizeiobermeister Sören Waasmann mit im Team. Schmitz war ein hagerer Typ mit grauen Haaren, tiefen Augenringen und unglaublich langen Armen, der große Ruhe ausstrahlte. Waasmann dagegen agierte ein wenig hektisch, hatte unter seinem weißblonden Haar eine ungesund rot wirkende Gesichtshaut und wirkte zugleich übereifrig und blasiert – eine seltsame Mischung, und auf jeden Fall keine sympathische.

Außerdem war Claus Nerdhaas für die Soko eingeteilt worden: Nerdhaas hatte in der Kripoaußenstelle Schorndorf als Internetspezialist gearbeitet, und auch nach der Auflösung der Außenstelle und der Zusammenführung der Kripomitarbeiter in Waiblingen galt er als derjenige, der sich am besten mit Computertechnik auskannte, und das war in diesem Fall sogar noch wichtiger als sonst: Henning Horlacher, der Tote, war Chef einer Internetfirma.

Kriminalhauptkommissar Fritz Fischer, der im vergangenen Jahr die Soko Maisfeld geleitet hatte, fiel aus – er hatte seinem Enkel zuliebe an einer Rhönrad-Vorführung teilgenommen und sich dabei einen Wirbel gequetscht. Fischer war wütend wegen der Verletzung – vor allem, weil er sich nun von seiner Frau bemuttern lassen musste, anstatt einen Mordfall aufklären zu dürfen.

Kriminalhauptkommissar Maier, der in Backnang die letzte verbliebene Kripo-Außenstelle des Landkreises leitete, lag mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Und Kommissar Erdmann, sein Stellvertreter, war ein guter Ermittler, aber nicht besonders erpicht darauf, eine leitende Funktion zu übernehmen. Er fühlte sich ganz gut als zweiter Mann in Backnang, und auch in der Sonderkommission drängte es ihn nicht in die erste Reihe.

Neben Erdmann saßen Karin Floßmann und Ernst Ebner, zwei weitere Kripobeamte von der Backnanger Außenstelle.

Den Vorsitz der heutigen Soko-Besprechung, der Premiere, hatte Rolf Binnig übernommen, der als Leitender Kriminaldirektor der Chef der Polizeidirektion Waiblingen war. Neben ihm saßen Staatsanwalt Kurt Feulner, der Pathologe Dr. Ludwig Thomann, Markus Berner und sein Chef Frank Herrmann von der Pressestelle sowie Schneider.

Binnig hatte den Kommissar am Telefon vorgewarnt, dass er ihn zum Leiter der Soko machen werde.

»Sie wissen doch, dass ich nicht so der Büroheld bin«, hatte Schneider einen vorsichtigen Protest versucht.

»Ja, weiß ich. Und das ist mir egal. Sie machen das gut, und Sie dürfen das meinetwegen auch wieder so eigenwillig machen wie bisher.«

Das klang gut, fand Schneider. Denn er war keiner, der – wie es für einen Soko-Leiter üblich gewesen wäre – vom Schreibtisch aus die Fäden zusammenhielt und die anderen draußen fragen und recherchieren ließ. Schneider wollte selbst raus, wollte selbst mit den Leuten reden, wollte sich selbst ein Bild machen. Noch vor drei Jahren, als in Kallental der unbeliebte Bauer erschlagen vor seiner Scheune lag, hatte ihm das heftige Kritik vor allem von Staatsanwalt Feulner eingebracht.

»Herr Feulner hat inzwischen wohl auch seinen Frieden mit Ihnen und Ihren Methoden gemacht«, fuhr Binnig fort.

»Na, dann …«, gab Schneider nach und grinste breit.

»Grinsen Sie mal nicht zu früh«, lachte Binnig trocken und legte auf.

Schneider erschrak: Konnte Binnig durch das Telefon hören, dass er grinste?

Nun saß er also neben Binnig und Feulner am Tisch und wartete darauf, dass Rau die Leinwand endlich dazu brachte, wie gewünscht aus der Deckenhalterung herunterzufahren. Ein kurzes, reißendes Geräusch verhieß nichts Gutes, aber dann rollte sich die Leinwand doch langsam aus.

»So«, sagte Binnig und gönnte sich ein leichtes Schmunzeln, »nachdem Herr Rau das Problem mit der Leinwand also gelöst hat, sollte uns der Rest dieses Falles eigentlich auch keine großen Schwierigkeiten mehr machen.«

Er wurde wieder ernst.

»Und das wäre mir auch recht, denn unser Toter scheint in seiner Branche ziemlich prominent zu sein. Da werden wir also von der Presse, von Funk und Fernsehen ziemlich schnell Druck bekommen.«

Pressechef Herrmann nickte.

»Dann wollen wir mal loslegen. Ach so … zwei Sachen noch. Zum einen: Wie sollen wir unsere Soko nennen? Ich habe vorhin auf dem Flur schon Vorschläge gehört wie ›E.T.‹, ›Fitness‹ und ›Harte Landung‹. Alles sehr schön, liebe Kolleginnen und Kollegen.«

Jutta Kerzlinger grinste ein wenig, Feulner warf ihr einen tadelnden Blick zu.

»Aber das können wir uns diesmal noch weniger erlauben als sonst schon«, fuhr Binnig fort. »Die Medien werden uns auf die Finger schauen, und wie Sie wissen, ist ausgerechnet ein kleines Mädchen Zeuge dessen geworden, wie unser Toter auf dem Fahrrad zu seinem kurzen Flug ansetzte.«

»Soko Backnang?«, fragte Maigerle.

»Das ginge, ist aber etwas unbestimmt«, sagte Herrmann. »Ich hätte gerne etwas, das einigermaßen nüchtern ist und trotzdem griffig genug, damit sich die Journalisten keinen eigenen Namen ausdenken müssen.«

»Herr Feulner hat ›Soko Fahrrad‹ vorgeschlagen«, sagte Binnig. »Das trifft es ja ganz gut, oder?«

Alle nickten.

»Gut, dann also ›Soko Fahrrad‹. Nun der zweite Punkt: Geleitetet wird die Soko von Herrn Schneider. Der hat das zu seiner Schorndorfer Zeit ja schon zweimal ganz gut gemacht …«

Feulner räusperte sich.

»… und wir haben uns, glaube ich, inzwischen auch daran gewöhnt, dass er den Posten ein wenig anders anpackt, als wir das gewohnt sind. Nicht wahr, Herr Feulner?«

»Ja, ja, wenn es der Sache dient, will ich da nicht unbedingt als Erbsenzähler auftreten. Wir haben ja auch noch jemanden im Innendienst, wenn Herr Schneider draußen den Spürhund gibt.«

Schneider sah den Staatsanwalt an, aber der ›Spürhund‹ war offensichtlich nicht böse gemeint – Feulner grinste recht freundlich zu ihm herüber.

»Herr Erdmann von der Backnanger Außenstelle würde die Leitung des Innendienstes übernehmen und wäre unser zweiter Mann in der Soko. Ist das in Ordnung, Herr Erdmann?«

Erdmann nickte. Natürlich hatte Binnig das auch mit ihm schon vorab besprochen.

»Immerhin ist das hier Ihr Revier, solange Herr Maier krank ist«, fügte Binnig noch hinzu.

»Ja, ja, geschenkt«, grinste Erdmann. »Ich habe wirklich kein Problem damit, die Leitung Herrn Schneider zu überlassen. Mir ist das ganz recht, da kann ich in Ruhe meine Arbeit tun. Außerdem ist er ja indirekt ein Backnanger, zumindest ehrenhalber.«

Binnig sah ihn überrascht an, auch Schneider stutzte.

»Na, hier in Backnang wurden doch bis ins dreizehnte Jahrhundert die Markgrafen von Baden begraben. Und Herr Schneider kommt doch aus dem Badischen, oder?«

Schneider grinste, Erdmanns Humor gefiel ihm. Binnig rollte dagegen etwas genervt mit den Augen – dieses ewige Thema um Baden und Württemberg, um Backnang und seinen Altkreis auf der einen und die bösen Waiblinger, die ihnen das Kennzeichen und das Krankenhaus und was sonst noch alles weggenommen hatten, auf der anderen Seite ging ihm schon lange gegen den Strich.

»Dann hätten wir das Organisatorische also erledigt. Und was haben Sie für uns, Herr Rau?«

»Bilder und Infos, wie üblich«, begann Rau, der mittlerweile neben seinen Laptop getreten war. »Und es wird kein bisschen blutig, was die Kollegin Kerzlinger sicher begrüßen wird.«

Jutta Kerzlinger hatte schon davon gehört, dass es diesmal nicht um abgetrennte Gliedmaßen gehen sollte, und lächelte Rau zu.

»Und wer isst jetzt meine Bonbons?«, raunte Henning Brams ihr zu, der neben ihr saß.

»Och, kannst mir trotzdem eins geben.«

»Sie sehen hier das Zimmer, in dem der Tote seine Fitnessgeräte aufgestellt hatte«, dozierte Rau, rief ein paar Fotos von Horlachers Trainingsraum auf und klickte während seiner Beschreibungen immer weiter zu den passenden Abbildungen. »Hier ist die Halterung, auf der das Rennrad montiert war. Hier sehen Sie die Stelle, an der eigentlich ein Sicherungsbolzen hingehört – und hier daneben lag die Schraube, die dadurch gesichert worden wäre. Einige Kratzer deuten darauf hin, dass der Sicherungsbolzen dort mal angebracht und erst später entfernt worden war. Wir haben mal die Staubschicht an der entsprechenden Stelle und an der Schraube untersucht. In Horlachers Wohnung haben wir eine ganz ordentliche Staubentwicklung – er hat im Wohnzimmer viele CDs und Bücher, wahrscheinlich kommt das daher. Auf dem Tisch im Trainingsraum lag eine Tageszeitung vom Tag vor Horlachers Tod, darauf fand sich etwas mehr Staub als an der Position für den Sicherungsbolzen.«

Schneider schrieb »Putzfrau?« auf seinen Block.

»Außerdem war an dem Rennrad ein Trainingstacho angebracht, mit dem Horlacher unter anderem seine Trainingszeiten speicherte – demnach trainierte er seit Januar jeden Tag ziemlich ausgiebig und ziemlich heftig. Allzu lange konnte die Schraube die dabei entstehenden Vibrationen und Erschütterungen ohne Bolzen nicht aushalten. Wenn wir das und noch einige andere Spuren berücksichtigen, die ich in meinem Bericht für Sie zusammengefasst habe« – vor jedem Soko-Mitglied lag ein Ausdruck – »komme ich zu dem Schluss: Der Bolzen wurde wahrscheinlich am Tag von Horlachers Tod oder am Tag zuvor entfernt.«

Die Frauen und Männer am Tisch notierten den Zeitraum.

»Als sich die Schraube genug gelockert hatte, um herauszufallen, war das Rennrad nicht mehr auf der Halterung fixiert. Horlacher trat vermutlich einfach weiter die Pedale, die Reifen holperten auf den Fußboden herunter und dann dürfte Horlacher das hier als Letztes gesehen haben.«

Er startete eine kleine Diaschau, deren Perspektive sich in einigen Schritten durch die Balkontür, über den Balkon und dann hinaus über den steil in Richtung Murr abfallenden Garten vorschob. Grinsend beobachtete Rau, wie einige seiner Zuschauer sich unwillkürlich auf ihren Stühlen ein wenig nach hinten lehnten.

»Siehst du, Henning«, sagte Jutta Kerzlinger leise zu ihrem Nebensitzer, »jetzt kann ich dein Bonbon doch noch brauchen.«

»Das Balkongeländer war an diesem Tag nicht anmontiert – der Schlosser war seit ein paar Tagen da zugange und hatte die Teile für das neue Geländer schon etwas weiter seitlich auf dem Balkon bereitgelegt. Dann ist Horlacher über den Balkonrand hinaus und im hohen Bogen in seinen Garten hinuntergeradelt. Das war um kurz vor neun – und dafür haben wir eine Zeugin. Leider.«

Die Kollegen, die noch nicht die Hintergründe kannten, sahen Rau erstaunt an.

»Im Nachbarhaus wurde gerade ein kleines Mädchen ins Bett gebracht. Ein Fenster des Kinderzimmers geht zu Horlachers Haus hinaus, das Mädchen hat ihn auf dem Rad durch die Nacht fliegen sehen.«

Keiner lachte, obwohl sich jeder die an sich alberne Szene von Horlachers nächtlichem Flug gut vorstellen konnte. Nur Nerdhaas’ Mundwinkel zuckten verräterisch, aber auch er beherrschte sich.

»Wie geht es dem Mädchen?«, fragte Pressechef Herrmann.

»Ganz gut«, schaltete sich Binnig ein. »Wir haben ihr und ihrer Mutter einen Psychologen geschickt. Der gibt eine ganz positive Einschätzung ab, und die Mutter scheint ohnehin eine ziemlich taffe Frau zu sein. Trotzdem: Da wäre es gut, wenn Sie den Journalisten noch einmal ins Gewissen reden. Wir sollten nichts Spaßiges zu diesem Detail lesen oder hören müssen.«

»Geht klar«, sagte Herrmann. »Wir erwähnen das Mädchen am besten erst einmal gar nicht. Außerdem würde ich heute gerne noch auf eine Pressekonferenz verzichten. Bisher hat noch niemand bei uns nachgefragt, und theoretisch können wir ja noch nicht sicher sein, ob es wirklich ein Verbrechen war. So würde ich das jedenfalls nach außen darstellen. Und dann setzen wir für morgen Nachmittag die Pressekonferenz an – ich schlage sechzehn Uhr vor. Da haben wir dann ja auch die ersten Ergebnisse der Obduktion, oder?«

»Die Obduktion«, sagte Dr. Thomann, »haben wir für heute achtzehn Uhr vorgesehen – ich hoffe, das ist Ihnen allen noch recht? Obwohl es so spät am Freitag ist.«

Schneider nickte – mit einem frischen Mordfall auf dem Tisch war das Wochenende ohnehin weitgehend gegessen.

»Prima«, sagte Herrmann. »Dann haben wir morgen Abend die ersten Berichte im Radio, falls der Fall als wichtig genug eingeschätzt wird, am Sonntag ein bisschen Presse und ab Montag dann vermutlich die ausführlichen Berichte. Das sollte uns ein wenig Luft verschaffen, und die Soko kann etwas länger in Ruhe arbeiten.«

Auch Binnig war einverstanden.

»Horlacher«, fuhr Rau schließlich fort, »muss fast den ganzen Flug über auf seinem Fahrrad gesessen haben. Erst kurz vor dem Aufprall drehten sich Rad und Fahrer ein wenig. Er landete leicht kopfüber auf dem Gartenboden, der durch das Tauwetter der vergangenen Tage schon weich, aber noch immer von Schneeresten bedeckt war. Ich bin selbst überrascht, aber er trug äußerlich keine blutenden Verletzungen davon – brach sich aber das Genick und war auf der Stelle tot.«

Damit setzte sich Rau und ließ ein letztes Bild stehen, das Horlacher aus der Nähe zeigte, auf dem Boden liegend und den Kopf unnatürlich stark zur Seite gedreht.

»Eigentlich hat Herr Rau meinen Part im Wesentlichen schon mit abgedeckt«, übernahm der Pathologe Dr. Thomann. »Ich würde auch auf Genickbruch schließen, wir werden natürlich bei der Obduktion eine ganze Reihe durch den Aufprall verursachte innere Verletzungen finden – er hatte ja doch ganz schön Schwung und kam von recht weit oben geflogen. Aber die Haut hat das offensichtlich ausgehalten. Das kennen Sie ja noch von unserem Fall mit dem toten Baggerfahrer …«

»Aushubunternehmer«, korrigierte Schneider im Reflex, lächelte dann aber gleich entschuldigend zu Thomann hinüber.

»Gut, dann also Aushubunternehmer. Der lag ja unter der Schaufel seines eigenen Baggers begraben und war teilweise zerquetscht – und auch da ist die Haut des Toten an mehr Stellen heil geblieben, als das ein Laie so ohne Weiteres glauben würde.«

Jutta Kerzlinger erinnerte sich gut an den Fall von vor zwei Jahren. Sie lutschte das Bonbon nun ein wenig heftiger.

Sie verteilten noch einige Aufgaben, und Herrmann briefte Feulner, Schneider und Ernst, die mit ihm, Berner und Binnig an der morgigen Pressekonferenz teilnehmen sollten.

Schneider und Ernst wollten sich bei einer Tasse Kaffee noch ein wenig über die nun anstehenden Aufgaben absprechen – der Vollautomat, den Polizeihauptmeister Schmitz vom hiesigen Revier mitgebracht und im Flur vor dem Soko-Raum angeschlossen hatte, fabrizierte wirklich fabelhaften Kaffee. Als sie hinausgingen, sahen sie Feulner noch mit dem Pathologen zusammenstehen. Feulner verstummte, als die beiden Kommissare an ihnen vorbeigingen, und nickte ihnen verlegen lächelnd zu. Thomann grinste über das ganze Gesicht.

Auf der Fahrt nach Stuttgart wirkte Klaus Schneider bedrückter als sonst. Er kurvte mit seinem gelben Porsche nun schon so zielsicher durch Stuttgart, als habe er noch nie etwas anderes getan. Aber anders als sonst schien ihm das Knurren des Sportwagenmotors heute keine rechte Freude zu machen.

»Ist was mit Ihnen?«, fragte Ernst schließlich, als sie oberhalb des Pragtunnels auf die Straße einbogen, die zum Krankenhaus führte.

»Ach, nichts Wichtiges«, brummte Schneider und schaltete hoch.

Ernst sah ihn weiter an und wartete.

»Es geht um meinen Wagen«, sagte Schneider nach einer Weile. »Meine Frau meinte, dass er vor allem hinten auf der Rückbank doch etwas arg eng sei …«

Ernst ahnte schon, worauf Frau Schneider hinauswollte. Sie selbst hatte einen kleinen Flitzer, der recht flott unterwegs war, den man auch mal etwas ruppiger schalten konnte, ohne dass er es einem übel nahm – und Frau Schneider kam mit dem praktischen Kleinen in fast jede Parklücke.

Klaus Schneider dagegen hatte seinen Porsche, einen 911er der Baureihe 964, Baujahr 1989, in der Lackierung »Speedgelb«. Schneider hatte seinem Kollegen so oft und so detailliert davon vorgeschwärmt, dass sich Ernst irgendwann den ganzen Kram gemerkt hatte – obwohl er selbst keinen Sinn dafür hatte. Für ihn war ein Auto dann gut, wenn es genug Stauraum, genug Kraft unter der Motorhaube und möglichst wenig Bedarf an teuren Reparaturen hatte. Und »Oldtimer« oder »Klassiker«, von denen Freaks wie Schneider schwärmten, waren für ihn einfach alte Autos.