Esther, das Wunderschwein - Steve Jenkins - E-Book

Esther, das Wunderschwein E-Book

Steve Jenkins

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Beschreibung

Als eine Bekannte den Tierfreund Steve Jenkins fragte, ob er nicht ein Minischwein adoptieren wolle, wusste Steve, dass sein Lebensgefährte Derek nicht gerade begeistert sein würde. Dennoch willigte er ein, sich des süßen kleinen Ferkels anzunehmen. Eine Entscheidung, die Dereks und sein Leben für immer verändern sollte. Denn rein gar nichts an Esther war »Mini« – in drei Jahren wurde sie zu einem ausgewachsenen Hausschwein von 335 Kilo. Doch trotz aller Schwierigkeiten und einer Menge buchstäblicher »Schweinereien« liebten die beiden Esther: nur wie sollte es in ihrer Stadtwohnung mitten in Toronto mit der tierischen WG weitergehen? Wieder fassten sie einen weitreichenden Entschluss: per Crowdfunding finanzierten sie ein Gnadenhof-Projekt für ehemalige Nutztiere. Heute leben sie mit Esther und vielen anderen tierischen Freunden auf dem Land in Ontario im Happily Ever Esther Farm Sanctuary.

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Seitenzahl: 280

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Zum Buch

Als eine Bekannte den Tierfreund Steve Jenkins fragte, ob er nicht ein Minischwein adoptieren wolle, wusste Steve, dass sein Lebensgefährte Derk nicht gerade begeistert sein würde. Dennoch willigte er ein, sich des süßen kleinen Ferkels anzunehmen. Er hatte keine Ahnung, dass diese Entscheidung Dereks und sein Leben für immer verändern sollte. Denn rein gar nichts an Esther war »mini« – in drei Jahren wurde sie zu einem ausgewachsenen Hausschwein von 335 Kilo. Doch trotz aller Schwierigkeiten und einer Menge buchstäblicher »Schweinereien« liebten die beiden Esther: Nur, wie sollte es in ihrer Stadtwohnung mitten in Toronto mit der tierischen WG weitergehen? Wieder fassten sie einen weitreichenden Entschluss: Per Crowdfunding finanzierten sie ein Gnadenhof-Projekt für ehemalige Nutztiere. Heute leben sie mit Esther und vielen anderen tierischen Freunden auf dem Land in Ontario.

www.estherthewonderpig.com

Zu den Autoren

STEVE JENKINS und DEREK WALTER sind weltweit bekannte Tierschutzaktivisten. Sie sind die Gründer der Happily Ever Esther Farm in Campbellville, Ontario, einem Gnadenhof für ausgediente Nutztiere.CAPRICE CRANE ist eine erfolgreiche und vielfach preisgekrönte Roman- und Drehbuchautorin.

Steve Jenkins · Derek Walter

mit Caprice Crane

Esther, das Wunder-schwein

Deutsch von Leon Mengden

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel»Esther, the Wonderpig« by Grand Central Publishing, Hachette Book Group, New York.Der Abdruck der Fotos erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

1. AuflageDeutsche Erstausgabe Oktober 2016Copyright © 2016 by ETWP, Inc.Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenThis edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, New York, USA. All rights reservedDieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 GarbsenUmschlaggestaltung: semper smile, MünchenUmschlagmotive: © Steve Jenkins, Derek WalterSatz: Uhl + Massopust, AalenMK · Herstellung: scISBN 978-3-641-20135-7V001www.btb-verlag.dewww.facebook.com/btbverlagBesuchen Sie auch unseren LiteraturBlog www.transatlantik.de

Für Esther, weil du uns die Kraft und den Mut gegeben hast, unseren Traum zu verwirklichen. Weil du uns jeden Tag zum Lachen bringst und uns gelehrt hast, mehr Menschlichkeit und Barmherzigkeit in unser Leben zu bringen – unser Leben, das durch dich nie wieder so sein wird wie früher, und darüber sind wir sehr froh.

Und für all die Menschen, die ihr Leben dem Schutz der Tiere widmen und anderen zeigen, wie leicht es ist, zu einer »von Esther geprüften und für gut befundenen« Lebensart zu gelangen. Langsam, aber sicher können und werden wir ein Umdenken auf dieser Welt bewirken.

Und für die Millionen Esthers auf diesem Planeten, die nicht so viel Glück gehabt haben. Wir lieben euch, und es tut uns so leid um euch, und wir werden nie aufhören, daran zu arbeiten, dass ihr nicht namenlos bleibt.

1

Ein Leben ohne ab und zu ein bisschen Nervenkitzel lohnt im Grunde gar nicht, gelebt zu werden. Allerdings gibt es die eine Form von Nervenkitzel und es gibt auch die andere: etwa einen Güterzug, der andauernd um drei Uhr morgens auf dein Schlafzimmer zugerast kommt.

Wir nennen das die »Schweinchenparade«.

Es klingt zwar verniedlichend, aber es ist absolut nichts Niedliches oder Putziges daran, von einem über 300 Kilo schweren Schwein aus dem Schlaf gerissen zu werden, das den Flur hinabdonnert. Man nimmt es zunächst unterschwellig wahr, als eine Vibration, die in der Matratze zu rumoren beginnt und einem erst nach und nach ins dämmerige Unterbewusstsein dringt – bis einem nur wenige Augenblicke bleiben, um zu begreifen, was da auf einen zugaloppiert, und rasch den Platz zu räumen für ein Mammut, das felsenfest entschlossen ist, es sich auf dem Bett gemütlich zu machen. In dem ganzen Tohuwabohu aus umherfliegenden Kopfkissen und Menschen, Hunden und Katzen, die verzweifelt versuchen, sich aus der Gefahrenzone zu bringen, hört man das immer lauter werdende Geräusch von über die Holzdielen hinwegpolternden Hufen, die mit jeder Sekunde an Tempo zulegen. Das brennt sich schon nach dem ersten Mal für ewig in die Psyche ein, und man ist dann auf eine Reaktion konditioniert – wie der pawlowsche Hund, der reflexmäßig weiß, was in einer bestimmten Situation zu tun ist. So war es auch bei Reuben und Shelby, unseren beiden heiß geliebten Hunden, wohingegen Delores und Finnegan, unsere Katze und unser Kater, selber sehen müssen, wo sie bleiben.

Das Haus erbebt praktisch mit jedem Huftritt; es ist ein Donnergetöse, gelegentlich untermalt von einem Poltern, wenn ein Möbelstück über den Haufen gerannt wird. Man spürt es in allen Gliedern, aber es gibt rein gar nichts, was man dagegen unternehmen kann.

Und dann kommt unsere herzallerliebste Prinzessin ins Zimmer gestürmt – vermutlich war es ein nächtliches Geräusch, das sie hochschrecken ließ – und schmeißt sich auf unser Bett. Ziemlich genau so, wie sie sich in unser beider Leben geschmissen hat. Und wenn es auch jedes Mal wieder ein Kampf und ein Krampf ist, Platz für sie zu schaffen, so ist es doch eine ganz neue, wundervolle Art des Nervenkitzels für uns, die wir auf gar keinen Fall mehr missen möchten.

Vielleicht war es von jeher meine Bestimmung, das Herrchen eines Schweins zu werden. Ich habe immer schon ein Herz für Tiere gehabt. Wenn ich in eine Situation geriete, in der ich sowohl einen Hund als auch einen Menschen aus einer Falle befreien müsste, dann würde ich – so ungern ich es zugebe – zunächst dem Tier helfen. Tiere brauchen menschlichen Beistand. Keine Ahnung, wo es herrühren mag, aber ich habe mich stets als ihr Beschützer gefühlt.

Mein allererster bester Kindheitsfreund war Brandy, die Hündin. Ein Schäferhundmischling mit Schlappohren und einem langen, geraden Schweif. Sie war braun und schwarz gefleckt und stellte damit einen hübschen Kontrast zu meinem eigenen hellblonden Wuschelkopf dar – wobei ich mit Schlappohren und einem Schweif natürlich nicht dienen konnte. Ich sah früher ein bisschen aus wie Dennis, der Lausbub aus dem Comicstrip, und einige Leute würden glatt behaupten, wir hätten auch ähnliche Charakterzüge gehabt.

Brandy und ich waren unzertrennlich. Sie folgte mir überallhin wie mein Schatten – nicht nur, wenn ich Freunde besuchte oder in den Park ging, sondern sogar von einem ins andere Zimmer.

Wir lebten damals in Mississauga, einer ziemlich großen Stadt in der kanadischen Provinz Ontario, aber es war eine andere Zeit, unkomplizierter und gefahrloser. Wir waren entweder zu Fuß oder mit unseren Fahrrädern unterwegs, bis es dunkel wurde und damit Zeit, heimzukehren.

Bevor bei uns ein Tier ins Haus kam, war ich als abenteuerlustiger Sechsjähriger immer darauf aus, herauszufinden, was für Tiere die Nachbarn hatten, und dabei schlug ich gelegentlich über die Stränge, wenn es darum ging, einen neuen Freund zu gewinnen. Meine Eltern haben dafür gesorgt, dass ich niemals den Abend vergessen werde, an dem ich die Regel verletzte, dass man bei Einbruch der Dunkelheit daheim sein musste. Ich hatte mich an jenem Tag mit einem Hund aus einem der umliegenden Gärten angefreundet – bis mich nach einer gewissen Weile die Leute, die dort wohnten, darauf hinwiesen, dass es nun langsam Zeit wäre. Also trottete ich los, ging durch das Gartentor und verschwand außer Sichtweite. Doch kaum hatte sich diese Familie in ihre Räumlichkeiten zurückgezogen, schlüpfte ich wieder in den Garten, um weiter mit ihrem Hund zu spielen. Belanglosigkeiten wie besorgte Eltern oder Hausfriedensbruch kümmern Kinder nicht.

Ich flog auf, während wir gerade mit Feuereifer beim Apportieren waren, weil nämlich der Stock versehentlich die Fensterscheibe traf. (Sehr geschickt, dass ich das dem Stock anhänge, oder? Obwohl ich ihn geworfen hatte. Dem Hund konnte ich ja schließlich schlecht die Schuld geben.)

Als die Vorhänge beiseitegeschoben wurden und die Hausbesitzer hinausschielten, um zu schauen, was das für ein Lärm gewesen war, rührte ich mich nicht von der Stelle. Ich versuchte mir einzubilden, ich wäre ein Chamäleon, und hoffte auf diese Weise, mit dem Hintergrund ihres Gartens zu verschmelzen.

Ich hätte es vielleicht lieber als Ninja, als unsichtbarer Kundschafter aus dem alten Japan, versuchen sollen, denn das mit dem Chamäleon klappte überhaupt nicht. Sonderbarerweise hatten sie mich sofort entdeckt, aber die Dame des Hauses war so freundlich, aus der Tür zu treten und mich einzuladen, ins Haus zu kommen und dort mit dem Hund zu spielen – wo es nichts zu apportieren gab und auch keine Fensterscheiben zerbrechen konnten.

Eine herzerwärmende Episode, nicht wahr?

Komisch, wie schlagartig die Stimmung kippt, wenn die Polizei vor der Tür steht.

Ja, das war das Ende der Geschichte. Auf das Begehren meiner panischen Eltern hin schien man die ganze Gegend abgesucht zu haben. (Es war zumindest angenehm zu wissen, dass die Eltern sich um einen Sorgen machten.) Ich hatte ehrlich nie daran gedacht, in was für Angst und Schrecken ich meine Eltern versetzt hatte, indem ich nicht pünktlich zu Hause eingetroffen war. Aber Sie können mir glauben: Ich habe mir einiges deswegen anhören müssen, als ich wieder daheim war, und zwar nicht nur ein Mal, sondern pausenlos – bis ich an diesem Abend endlich ins Bett durfte.

Doch unterm Strich hat sich meine kleine Verfehlung gelohnt: Noch in derselben Woche brachten meine Eltern mir einen Hund mit. Denn so etwas sollte nie wieder geschehen.

Sooft meine Eltern auswärts waren, zog meine Großmutter väterlicherseits zu uns. Sie war zwischen den beiden Weltkriegen in Schottland aufgewachsen. Ich würde sie nicht unbedingt als stures Weib bezeichnen wollen, aber es bestand für mich kein Zweifel daran, dass meine Großmutter Nein meinte, wenn sie Nein sagte. Dennoch liebte ich sie abgöttisch, und wir kamen immer bestens miteinander aus, obwohl mein gesunder Respekt vor ihr vermutlich der Grund dafür war, dass meine Eltern mich so gerne ihrer Obhut überließen.

Eines Tages, als meine Eltern wieder einmal nicht da waren und Großmutter sie vertrat, bin ich hinüber zum Haus unserer Nachbarn gelaufen. Aus irgendeinem Grund wollte Großmutter nicht, dass ich Brandy mitnahm. Mir war klar, dass Brandy das gar nicht gefallen würde, aber meine Großmutter duldete keine Widerrede, also ließ ich Brandy bei ihr.

Das war das letzte Mal, dass ich sie lebend sah.

Weil ich ja gleich nebenan mit den anderen Kindern spielte, konnte Brandy meine Stimme und mein Lachen hören, und das machte sie ganz kribbelig, weil sie zu mir wollte. Sie wusste ja, dass ich nur einen Sprung über einen Zaun weit entfernt war, und das probierte sie jetzt. Doch bei dem Versuch verfing sich ihr Halsband im Zaun, und sie brach sich das Genick.

Glücklicherweise habe ich sie nicht selber dort am Zaun hängen sehen – ich erfuhr erst später von meinen Eltern, was passiert war. Aber allein schon das Wissen um Brandys Tod war einfach zu viel für mich. Da Sie gerade dieses Buch lesen, mögen Sie offensichtlich Tiere, und ich bin sicher, dass Ihnen diese Geschichte an die Nieren geht. Bestimmt können Sie sich vorstellen, wie sehr es mich getroffen hat – das Kind, für das Brandy fester Bestandteil seiner Familie war.

Viele Menschen haben es miterleben müssen, wie ihr geliebtes Haustier von einem Auto überfahren wurde, und ich will gar nicht in Abrede stellen, was für eine schmerzliche Erfahrung das ist, doch die Umstände von Brandys Tod waren nicht minder niederschmetternd. Ich habe es mir immer wieder unwillkürlich ausgemalt, wie es ausgesehen haben musste, als mein Mädchen da schlaff und leblos am Zaun hing – und das alles nur, weil sie zu mir wollte, um mit mir zu spielen. Dieses traurige Ereignis hat mich nie wieder losgelassen.

Während die meisten Erinnerungen an meine Kindheit ziemlich verschwommen sind, sticht diese mit kristallklarer Schärfe hervor. Sie ist meine erste Erinnerung daran, dass mir im wahrsten Sinne des Wortes das Herz gebrochen war, weil ich wusste, dass ich etwas verloren hatte, wovon ich nie gedacht hätte, dass ich es je verlieren würde. Als Kind denkt man nicht über die gemeinerweise viel zu kurze Lebenserwartung unserer Haustiere nach und glaubt einfach, unsere vierbeinigen Kameraden würden für immer und ewig an unserer Seite bleiben. Doch selbst wenn man mich darauf vorbereitet hätte, dass ich eines Tages, in zehn oder vierzehn Jahren vielleicht, von Brandy würde Abschied nehmen müssen, hätte ich das nie wahrhaben wollen. Noch heute werden mir die Augen feucht, wenn ich an sie denke.

Zu meiner Kindheit fallen mir in erster Linie die Ferienreisen mit meinen Eltern oder meine Fahrradtouren zu dem See in der Nähe unseres Hauses ein. Ja, und natürlich auch wieder meine Streifzüge durch unsere Nachbarschaft – ganz à la Lausbub Dennis. Brandys Tod aber bleibt der Augenblick herzzerreißenden Kummers, an den ich mich bis heute so erinnere, als wäre das alles erst gestern gewesen, ein qualvoll schmerzlicher Verlust, verbunden mit der Erkenntnis, dass ich es mir selber zuzuschreiben hatte, dass sie versuchte, auf das Nachbargrundstück zu gelangen, um bei mir zu sein. Noch Monate später bin ich nachts erwacht und habe ihren Namen gerufen – und bin dann in bitterliches Weinen ausgebrochen, als mir aufging, dass es kein böser Traum gewesen und Brandy wirklich nicht mehr da war. Und ich gab mir allein die Schuld daran. Ich glaube, das war der Moment, in dem ich mir fest vornahm, niemals ein Tier, das meiner bedurfte, im Stich zu lassen.

Ich fühle mich einfach sehr zu Tieren hingezogen. Mag sein, dass man das ein Problem nennen könnte.

Bevor Esther zu uns kam, waren wir bereits zwei Männer, eine Frau, zwei Hunde und zwei Katzen, die auf engstem Raum, nämlich auf 90 Quadratmetern Wohnfläche, in einem Haus in Toronto zusammenlebten. Es war ein schlichter Bungalow mit einem kombinierten Wohn-, Ess- und Kochbereich und drei Schlafzimmern. Eines davon teilten Derek und ich uns; ein weiteres gehörte einer Mitbewohnerin, und das dritte stellte ein provisorisches Gemeinschaftsbüro dar, das wir drei für unsere unterschiedlichen Zwecke nutzten: Ich erledigte von dort aus einen Teil meiner Maklergeschäfte, Derek telefonierte, um Engagements als Zauberer zu bekommen, und für unsere Mitbewohnerin war es das Studierzimmer, in dem sie sich auf ihre Diplomarbeit vorbereitete.

Unser einziger Fernseher stand in einer Ecke des Wohn-, Ess- und Kochbereichs, und hier ging es so beengt zu, dass bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen wir alle drei uns gemeinsam eine Sendung anschauen wollten, gar nicht genügend Sitzfläche für uns zur Verfügung stand – von unseren beiden Hunden ganz zu schweigen, die es sich ebenfalls gerne im »Wohnzimmer« bequem machten; es erschien uns nicht fair, sie von ihren Plätzen herunterzujagen, denn bei uns herrschte das sogenannte Windhundprinzip: Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss seh’n, was übrig bleibt. Und das schloss natürlich die Hunde mit ein, was in der Regel dazu führte, dass mindestens einer von uns Menschen sich mit einem Platz auf dem Fußboden und – wenn er Glück hatte – einem Zierkissen zu begnügen hatte.

Wir alle drei teilten uns auch das einzige Badezimmer im Haus, und wer jemals in einer Wohngemeinschaft – oder, noch schlimmer, unter einem Dach mit Kindern – gewohnt hat, weiß, zu was für Konkurrenzkämpfen das führen kann. Hört man am Morgen im Haus Schritte, schießt man aus dem Bett hoch und hofft, den anderen um Nasenlänge zu schlagen, weil man andernfalls zwanzig Minuten darauf warten muss, bis derjenige, der vorher da war, seine Toilettengeschäfte erledigt hat – und je nachdem, welches Bedürfnis einen morgens drängte, konnten dies sehr lange zwanzig Minuten werden. Das war einer der unerfreulichsten Aspekte des Zusammenlebens auf so engem Raum; allzu oft kreuzten sich unsere Pläne für den Tag: Unsere Mitbewohnerin war spät dran auf dem Weg zur Uni, ich hatte einen dringenden Termin, Derek musste zu irgendeiner Veranstaltung – und wir alle wollten vorher noch diesen einen Raum aufsuchen. Immerzu war irgendwer gehetzt, und gleichzeitig musste ein anderer pinkeln.

Und wenn wir nicht gerade um den strategisch günstigsten Startplatz für den Run aufs Klo wetteiferten, kamen wir uns anderswo in die Quere. Also bemühten wir uns, dem anderen möglichst viel Raum zu geben. Wenn Derek in unserem Gemeinschaftsbüro war und Crystal in ihrem Schlafzimmer, setzte ich mich oft mit meinem Laptop in unsere Wohnecke, um dort zu arbeiten, und in genau einer solchen Situation bekam ich auf Facebook eine Nachricht von Amanda, einem Mädchen, mit dem ich in der Schule befreundet gewesen war und von dem ich seit fünfzehn Jahren nichts mehr gehört hatte.

Hallo Steve, ich weiß noch, dass du immer ein totaler Tierfreund gewesen bist. Ich habe ein Zwergschwein, das sich mit meinen Hunden nicht versteht. Ich habe gerade ein Kind bekommen und kann das Schwein nicht behalten.

Das weckte spontan meine Neugier. Ich saß zwar ganz alleine in unserer Wohnecke, aber ich glaube, ich habe mich trotzdem verstohlen umgeschaut, ob auch niemand da war, der einen Blick auf meinen Laptop werfen oder den heiter verklärten Ausdruck auf meinem Gesicht sehen konnte. Ein Zwergschwein? Eine entzückende Vorstellung. Wer würde wohl nicht gern ein Zwergschwein besitzen?

Im Nachhinein betrachtet war die Situation natürlich etwas verrückt. Ich hatte immerhin über ein Dutzend Jahre keinen Kontakt mit dieser Frau gehabt.

Dies scheint mir der geeignete Augenblick zu sein, Ihnen ein Geständnis zu machen, eines, das den Verlauf dieser Geschichte entscheidend beeinflusst hat: Ich bin schon immer zu vertrauensselig gewesen. Ich habe damals nicht etwa gedacht: He, das ist ja ein äußerst schräges Ansinnen. Vielmehr war ich mit meinen Gedanken sogleich bei Amanda und dachte nur: Toll, wieder mal von ihr zu hören! Ich kam überhaupt nicht darauf, wie merkwürdig das doch alles war, sondern fand es einfach zu reizend, dass sie mir ein Zwergschwein anbot.

Sie hatte kein Bild dazugestellt, also sollte ich sozusagen die Katze im Sack kaufen. Aber ich benötigte gar kein Foto, um genau zu wissen, dass ich interessiert war. Ich antwortete ganz beiläufig: Ich muss da ein paar Gegebenheiten klären und melde mich dann. Es bestand nicht einen einzigen Augenblick lang ein Zweifel daran, dass ich das Schwein haben wollte – es ging bloß noch um die Logistik.

Es ist schon schwierig genug, in der Wohnung, die man mit seinem Partner und einer guten Bekannten und mehreren anderen Haustieren teilt, ein Schwein unterzubringen – und sei es auch nur ein Zwergschwein. Erschwerend kam hinzu, dass ich vor neun Monaten eine fremde Katze mit nach Hause gebracht hatte, ohne vorher mit Derek darüber gesprochen zu haben. Es gab allerhand Scherereien – und die Schuld lag allein bei mir.

Also musste ich den Plan genau durchdenken, damit es so aussah, als hätte ich das keineswegs hinter Dereks Rücken entschieden – obwohl natürlich das hundertprozentige Gegenteil zutraf. Es geschah definitiv hinter Dereks Rücken. Ich musste es hinkriegen, dass nicht ich das initiiert hatte, sondern dass das mit dem Schwein ganz einfach … passiert war.

So, wie es einem eben ganz zufällig passiert, dass man plötzlich ein Schwein hat, nicht wahr?

Ein paar Stunden später erhielt ich eine neue Nachricht von Amanda.

Es gibt noch einen weiteren Interessenten. Es wäre klasse, wenn du sie nimmst, sonst bekommt sie die andere Person.

Ihnen dürfte nicht das Druckmittel entgangen sein, das hier eingesetzt wurde, und normalerweise hätte auch ich den Trick durchschaut – ich betätige mich als Makler, um es noch einmal zu betonen –, aber wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann muss ich es unbedingt haben, und mein IQ stürzt ab … um wie viele Punkte? Vermutlich bis hinunter auf null.

Nein, dieses Schwein wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Ich wusste ja nicht einmal, wie dieses kleine Ferkelchen aussah, aber ich bekam Panik, weil jemand es mir wegnehmen könnte. Ich hatte geglaubt, dass mir mehr Bedenkzeit zur Verfügung stünde, dass ich mich mit der Materie vertraut machen und vielleicht, möglicherweise, wer weiß, sogar mit Derek darüber sprechen könnte. Ich hatte ja nicht geahnt, dass ich schon zwei Stunden später Ja oder Nein sagen müsste. Aber so war es nun mal. Eine neue Nachricht drohte, dieses Schwein jemand anderem zu überlassen. Ohne die Sache also auch nur ansatzweise durchdacht zu haben, teilte ich Amanda mit, ich würde das Schwein nehmen. Ich nannte ihr die Adresse meines Büros in der Stadt, und wir vereinbarten, uns am nächsten Vormittag dort zu treffen.

Ich redete mir ein, dass ich das hauptsächlich getan hatte, um sie davon abzuhalten, weiter mit dem anderen Interessenten zu verhandeln – falls denn ein solcher Interessent existierte. Doch auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – solche Dinge lässt man gern außer Acht, wenn man ein so vertrauensseliger Mensch wie ich ist – oft Volltrottel genannt.

Nach meiner Zusage war es jetzt wohl naheliegend, ein paar Hausaufgaben zu machen. Ich wusste ja rein gar nichts über Zwergschweine, wusste nicht, was sie fraßen, hatte keine Ahnung, wie groß sie werden konnten. Also unternahm ich eine spätabendliche Internetrecherche. Dabei stieß ich wiederholt auf die Behauptung, dass es ein Zwergschwein gar nicht gebe. Ja, ja – da hätten die Alarmglocken schrillen sollen, aber mein grenzenloses Vertrauen und meine plötzliche Besessenheit, ein solches Zwergschwein mein Eigen zu nennen, machten mich blind. Ich kannte diesen Menschen. Ich war mit ihr zur Schule gegangen. Sie hatte mich ja nicht als einen Wildfremden angeschrieben. Wenn Amanda sagte, dass es sich um ein Zwergschwein handelte, dann glaubte ich ihr das, denn warum sollte sie mich belügen?

Diese Behauptungen im Internet schienen aber die einzige Ungereimtheit zu sein. Ansonsten war alles, was ich sah, supersüß. Scheinbar würde das Schwein maximal um die dreißig Kilo wiegen, wenn es zu seiner vollen Größe herangewachsen war. Das entsprach ziemlich genau der Größe von Shelby, einem unserer Hunde. Also stellte ich mir vor, dass wir einen weiteren Shelby ins Haus bekämen. Vielleicht einen etwas kompakteren Shelby. Das schien doch durchaus vertretbar. Und es war ja auch mal etwas ganz anderes – ein Schwein!

Derek sagte ich, ich müsste zum Schottland-Festival und den Highland Games in Kincardine, zwei Autostunden nördlich. Das Treffen mit Amanda sollte auf dem Weg dorthin in meinem Stadtbüro stattfinden; sobald ich meine rosige Prinzessin erst einmal zu Gesicht bekommen hatte, wollte ich entscheiden, ob ich sie bei uns würde einschleusen können – und alles Weitere auf mich zukommen lassen.

Ich wollte tatsächlich nach Kincardine – dieser Teil der Geschichte stimmt. Die Fahrt war bereits seit zwei Wochen geplant gewesen, und da hatte ich noch gar nichts von dem Schwein gewusst. Erst als das Tier ins Spiel kam, hatte ich meine Pläne geändert, weil ich nun mehr Zeit haben würde, alles einzufädeln. Denn ich wollte Derek weismachen, das Schwein wäre mir auf dem Rückweg von Kincardine praktisch vor das Auto gelaufen. Solche Zufälle gab es doch, nicht wahr? Es konnte sogar sein, dass Derek schon mit so etwas rechnete, nachdem wir nun bereits viele Jahre zusammen waren, denn mehr als jeder andere wusste er über meine Tiervernarrtheit Bescheid – und auch, dass ich bisweilen einfach welche mit nach Hause brachte.

Ich bestellte ein Zimmer in einem Hotel, das auf dem Weg nach Kincardine lag. Dort wollte ich meinen Neuerwerb erst einmal einige Stunden lang unterbringen, während ich meine Strategie plante … über ein paar Bieren. Und die Sache mit ein paar Freunden durchsprach. Am Abend würde ich auf das Zimmer zurückkehren und dort gemeinsam mit dem Schwein übernachten. Der nächste Tag würde ganz genauso aussehen wie der vorherige – bis es dann so weit war, mit unserem neuen Haustier und einer perfekt zurechtgelegten Geschichte den Heimweg anzutreten. Ich weiß, dass meine Pläne manchmal komplizierter sind als das Raubkomplott in Ocean’s Eleven.

Doch nachdem ich Esther (das würde später ihr Name sein) gesehen und sie in meinen Armen gehalten hatte, waren sämtliche Pläne Makulatur.

Aber ich greife vor. Als Amanda in ihrem Wagen vorfuhr, war von einem Schwein zunächst nichts zu sehen, bloß ein Wäschekorb mit einer Flanelldecke darüber auf dem Beifahrersitz. Nachdem wir uns begrüßt hatten, ging ich mit ihr um den Wagen herum. Sie öffnete die Tür und zog die Decke von dem Korb.

Und da war es. Winzig. Schaute zu mir hoch. So unschuldig. Nicht mit Geld zu bezahlen. War das rosa Nagellack auf den kleinen Hufen? Einfach bloß abgeschabter Nagellack? Das arme Ding. Um den Hals trug es ein mit Glitzerpailletten geschmücktes, etwas ausgefranstes schmales Katzenhalsband. Es bot ein Bild des Jammers, und ich dachte: Wie kann es sein, dass dieses frisch geborene Baby schon so heruntergekommen wirkt? Aber so liebenswert. Ich wünschte mir nichts mehr, als es zu berühren. Sofort. Doch nicht hier mitten auf der Straße, wo alle uns sehen konnten und es sich vermutlich fürchten würde. Wir zogen die Decke wieder über das Kleine und trugen den Wäschekorb in mein Büro, wo ich das Schweinchen hervorholte und zum ersten Mal in meinen Händen hielt.

Sie war wirklich winzig – höchstens zwanzig Zentimeter von der Nase bis zum Schwanz. Ich konnte sie praktisch in einer Hand wiegen.

Um es ehrlich zu sagen: Berauschend sah das Ferkel gerade nicht aus. Die Ohren waren vollkommen von der Sonne verbrannt. Ich musste bei seinem Anblick an die schreckliche Frau denken, die vor ein paar Jahren in New Jersey vor Gericht gestellt worden war, weil sie ihre sechsjährige Tochter in ein Sonnenstudio geschmuggelt und sie dort gezwungen hatte, sich die Haut so dunkel bräunen zu lassen, wie sie es mit ihrer eigenen gemacht hatte – oder an die ähnlich verunstaltete Blondine aus dem Film Verrückt nach Mary. Und doch schloss man das winzige Wesen sofort ins Herz wie einen noch nicht ganz trockenen Welpen. Bisher hatte ich das Ganze für eine coole Idee gehalten. Ein Schweinebaby. Doch als ich sie nun vor mir hatte, kam mir bloß ein einziger Gedanke: Oh mein Gott, nun schau sich doch bloß mal einer an, was sie mit ihr gemacht haben! Ich konnte ihre kleinen Hüftknochen sehen – und dann diese Ohren! Ich wusste, dass ich diese Ohren einfach haben musste, und ich wusste auch, dass ich hin und weg von diesem Schweinchen war.

Amanda sagte, das Schwein sei sechs Monate alt und bereits sterilisiert. Sie selber habe es gerade mal eine Woche lang bei sich gehabt. Bekommen habe sie es von einem Züchter, der es auf Kijiji angeboten hatte, einem Online-Kleinanzeigenportal so ähnlich wie eBay oder Craigslist. Ich beobachtete Amanda genau, wenn sie das Schwein berührte, und hörte sehr genau hin, wenn sie darüber sprach – und merkte rasch, dass von ihrer Seite aus null Gefühle für das kleine Tier da waren. Das gab mir eine bittere Pille zu schlucken und machte mir auch richtig Angst. Ich hatte keine Ahnung, was Amanda anstellen könnte, falls ich ihr das Ferkel nicht abnehmen und sie wieder damit losschicken würde.

Also sagte ich Ja.

Aber dadurch änderte sich alles. Und nicht bloß meine gesamten Lebensumstände. Meinen ursprünglichen Plan, wie ich es Derek beibringen wollte – mit dem fein gesponnenen Gewebe aus Lügen und Erfindungen –, konnte ich vergessen. Denn ich war in dieses Schwein verliebt. Ich kannte es zwar gerade erst seit zwölf Minuten, hatte aber doch schon eine instinktive Zuneigung zu ihm entwickelt, und mir war klar, dass ich dieses schutzlose Wesen nicht stundenlang in einem Hotelzimmer einsperren konnte, während ich selber mich auf einem Fest vergnügte. Sie war noch ein kleines Baby. Sie brauchte mich.

Ich strich Kincardine aus meinen Plänen und musste mir nun zwei Lügengeschichten für Derek einfallen lassen. Warum war ich nicht nach Kincardine gefahren? Und wieso kam ich stattdessen mit einem Schwein zurück? Ursprünglich hatte ich es so hindrehen wollen, dass ich als Held dastand, als edler Retter: Ich habe dieses Tierchen gerettet! Natürlich wollte ich es nicht haben, aber was hätte ich denn tun sollen? Ich war völlig in meiner Geschichte gefangen … und dann hat mir das Schicksal doch noch ein Bein gestellt.

Ich war davon ausgegangen, dass ich ein paar Tage Zeit haben würde – Zeit, um mich mit einigen Freunden zu beraten, die mir helfen würden, meiner Version der Ereignisse den Feinschliff zu geben –, aber das war nun alles für die Katz, weil ich mich Hals über Kopf in ein Ferkel verliebt hatte. Ich würde Derek noch am gleichen Tag unter die Augen treten müssen und hatte nur ein paar Stunden, um mir eine Erklärung zurechtzulegen.

Jetzt steckte ich richtig im Schlamassel.

Ich rief bei den Freunden an, die mich in Kincardine erwarteten, um ihnen zu sagen, dass ich nicht käme. Als ich ihnen den Grund dafür nannte, fanden sie es alle höchst vergnüglich. Sie wussten genau, dass Derek ausflippen würde, also wollten sie von mir auf dem Laufenden gehalten werden. Ich sollte ein Foto von dem Schwein schicken und ein Foto von Derek, wie er darauf reagierte.

Danach telefonierte ich mit unseren Freunden Erin und Wally. Ich brauchte sie, damit sie auf das Schwein aufpassten, während ich gehetzt für das Festmahl einkaufte, das ich für Derek zaubern wollte, damit er mir nachsah, ein Schwein ins Haus geschleppt zu haben. Ich sagte ihnen natürlich nicht, dass sie »auf ein Schwein aufpassen« sollten; ich glaube, ich habe sie gebeten, »Babysitter für ein Haustier zu sein«, so dass sie keine Ahnung hatten, mit was ich zu ihnen unterwegs war. Bis ich vor ihrer Tür stand und das Schweinchen über den Küchenfußboden trippeln ließ.

Erin blieb glatt die Spucke weg. »Heilige Sch…, Derek wird dich umbringen«, waren, glaube ich, ihre ersten Worte, nachdem sie die Sprache wiedergefunden hatte. Sie und Derek waren auf der High School mal zusammen gewesen, also kannte sie ihn beinahe ebenso gut wie ich.

Nachdem ich meine Einkäufe erledigt hatte, fuhr ich das Schwein abholen. Im Auto saß es neben mir auf dem Vordersitz und wirkte nervös und etwas verwirrt. Ich gab ihm gute Worte und streichelte es, während wir über die kleinen Nebenstraßen unserem Heim entgegenstrebten. Dort angekommen, brachte ich es ins Haus und schickte die Hunde vor die Tür. Dann saßen wir eine Weile zusammen in der Wohnecke, während ich überlegte, was ich ihm zu fressen geben könnte. In der ganzen Aufregung hatte ich nämlich einen Punkt vollkommen außer Acht gelassen: herauszufinden, womit man Schweine fütterte und dieses Futter dann auch tatsächlich zu kaufen. Also gab ich ihm ein paar Salatblätter, etwas Hundefutter und Tomaten – alles, was mir geeignet erschien. Das Grünzeug schien ihm zu munden.

Da das Schwein nun etwas zu sich genommen hatte, machte ich mich daran, ein wenig aufzuräumen und das Essen vorzubereiten. Dann hatte ich die glorreiche Idee, dass es vielleicht das Beste wäre, die mir verbleibende Zeit dazu zu nutzen, das ganze Haus von oben bis unten zu putzen und dann mein schönes Abendessen zu kochen – als liebevolle Geste Derek gegenüber, wenn er nach Hause kam. Die Hunde hielt ich zunächst von dem Ferkel fern, damit das Kleine es sich heimisch machen konnte. Die Katzen verhielten sich, wie man es von ihnen gewohnt war: ein bisschen neugierig, aber letzten Endes doch nicht wirklich interessiert. Als ich das Ferkel schließlich den Hunden vorführte, achtete ich darauf, es gut festzuhalten und die Hunde nicht zu nahe heranzulassen. Shelby und Reuben geraten über ganz kleine Tiere und Kinder immer völlig aus dem Häuschen, also sprangen sie wie verrückt winselnd an mir hoch. Ich ließ sie ein bisschen an ihm schnüffeln und erlaubte ihnen sogar, meine Errungenschaft mit ein paar Zungenschleckern zu begrüßen, ehe ich das Ferkel in unserem Gemeinschaftsbüro am Ende des Flurs verbarg. Mir war klar, dass ich Derek zuerst in eine gute Stimmung versetzen musste, ehe ich ihn mit unserer neuen Hausgenossin konfrontierte. Außerdem sorgte sie unter den anderen Tieren ein wenig für Verwirrung, so dass ich beschloss, sie zunächst unter Verschluss zu halten.

In der immer knapper werdenden Zeit brachte ich so gut wie möglich alles auf Vordermann und bereitete Dereks Lieblingsessen vor: frisch gegrillte Burger mit Käse und Frühstücksspeck und dazu selbst gemachte Knoblauch-Pommes. Dann war alles bereit. Der Wein war eingeschenkt. Ich zündete ein paar Kerzen an, um das festliche Ambiente zu vervollkommnen. Und wartete …

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Es ging auf halb neun zu, und ich wusste, dass Derek nach einem langen Tag voller Zauberkunststücke müde und erschöpft sein würde, so dass dies wahrscheinlich nicht der geeignetste Augenblick wäre, ihn mit etwas von solcher Tragweite zu überraschen, aber mir blieb ja keine andere Wahl. Ich mochte mir zwar noch so große Mühe geben, um ihm bei seiner Heimkehr ein herzliches Willkommen zu bereiten – allein schon der Umstand, dass ich zu Hause war, würde ihn misstrauisch machen. Er vermutete mich schließlich auf dem Festival, also würde er beim Anblick meines Wagens sofort ahnen, dass irgendwas passiert sein musste. Ich war so nervös, dass ich im Haus hin und her lief und dabei die Geschichte, die ich ihm auftischen wollte, immer wieder durchging, während ich mich vergewisserte, dass alle Zimmer nur so blitzten vor Sauberkeit. Ich versuchte, mir jedes denkbare Szenario vorzustellen und mir dann meine entsprechende Reaktion darauf zurechtzulegen. So war es vermutlich beim Schachspiel – man versuchte, den nächsten Zug des Gegners zu erahnen und dann seinen eigenen zu kalkulieren. Taktische Kriegsführung. Deswegen spielte ich auch nie Schach – ganz abgesehen davon, dass Derek ja nicht mein Gegner war, sondern mein Lebensgefährte, so dass dieses Spiel nur gewonnen werden konnte, wenn wir beide glücklich waren. Also lief ich weiter umher und stellte mir alle möglichen wundervollen oder schrecklichen Dinge vor, die sich ereignen konnten, bis ich Dereks Wagen in die Auffahrt einbiegen hörte. Und dann holte ich einfach einmal tief Luft.

Als Derek zur Tür hereinkam und sich nach allen Seiten umblickte, ahnte ich schon, dass in seinem Kopf die Alarmglocken läuteten. Zunächst einmal war das Haus geputzt