Familie mit Herz 202 - Carolin von Campen - E-Book

Familie mit Herz 202 E-Book

Carolin von Campen

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Beschreibung

Als Matilda mit ihrer Mutter Lucy und ihrer kleinen Schwester Stina nach Eversand zieht, ist sie neugierig auf das Leben in dem kleinen Küstenort. Alles ist anders als in Berlin - das Meer, die Schule, das gemütliche Café ihrer Oma. Hier, in der alten Heimat ihrer Mutter, begegnet sie auch einer eleganten Fremden, die ihr kleine Geschenke macht, mit ihr lacht und sie so ansieht, als sei sie das Wichtigste auf der Welt. Diese Frau behauptet, Matildas zweite Großmutter zu sein. Aber warum hat sie sich dann nicht früher gemeldet? Und warum wird Mama so wütend, als sie davon erfährt? Während Matilda versucht, die Wahrheit herauszufinden, ahnt sie nicht, dass sie damit alte Wunden aufreißt. Denn ihre Mutter war einst unsterblich verliebt ...


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Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Die geheime Oma

Vorschau

Impressum

Die geheime Oma

Wenn die Wahrheit ans Licht kommt und eine Familie zusammenführt

Von Carolin von Campen

Als Matilda mit ihrer Mutter Lucy und ihrer kleinen Schwester Stina nach Eversand zieht, ist sie neugierig auf das Leben in dem kleinen Küstenort. Alles ist anders als in Berlin – das Meer, die Schule, das gemütliche Café ihrer Oma.

Hier, in der alten Heimat ihrer Mutter, begegnet sie auch einer eleganten Fremden, die ihr kleine Geschenke macht, mit ihr lacht und sie so ansieht, als sei sie das Wichtigste auf der Welt. Diese Frau behauptet, Matildas zweite Großmutter zu sein. Aber warum hat sie sich dann nicht früher gemeldet? Und warum wird Mama so wütend, als sie von der »geheimen Oma« erfährt?

Während die achtjährige Matilda versucht, die Wahrheit herauszufinden, ahnt sie nicht, dass sie damit alte Wunden aufreißt. Denn ihre Mutter war einst unsterblich verliebt ...

Lucy Petersen war bereits wach, als im Morgengrauen ihr Handywecker piepte. Trotzdem fuhr die Zweiunddreißigjährige erschrocken aus den Kissen hoch und tastete hektisch nach dem Gerät.

Nachdem sie es ausgeschaltete hatte, hielt sie einen Moment still und lauschte auf die regelmäßigen Atemzüge ihrer Töchter neben ihr. Sie wollte die dreijährige Stina und die fünf Jahre ältere Matilda nicht früher als unbedingt nötig wecken. Die lange Zugreise, die ihnen heute bevorstand, würde anstrengend genug werden.

Mit einem kleinen Seufzer setzte sie sich auf, strich sich durch das vom Schlaf verstrubbelte kinnlange Haar und starrte unschlüssig in das Dämmerlicht des leer geräumten Dachzimmers.

Eigentlich sollte sie sich jetzt beeilen, denn in kaum zwei Stunden mussten sie bereits am Berliner Ostbahnhof sein, um von dort aus den ICE Richtung Norden zu nehmen. Ihr Ziel war das schleswig-holsteinische Eversand. Es war Lucys Heimatort, und sie wollte mit den Kindern zu ihrer Mutter ziehen, die dort ein Café betrieb.

Wieder hallten die Worte von Lucys netter Ärztin in ihr nach, die sie mit zu dieser Entscheidung bewegt hatten: »Nehmen Sie das Angebot Ihrer Mutter an, Frau Petersen«, hatte die empathische Medizinerin bei ihrem Abschlussgespräch in der Reha-Klinik vor einem halben Jahr gesagt. »Ihre Mädchen brauchen geregelte Verhältnisse – und Sie auch. Wenn Sie so weitermachen wie bisher, haben Sie spätestens in drei Monaten den nächsten Burn-out.«

Lucy schloss bei der Erinnerung betroffen die Augen, und ihre Finger krallten sich in die Bettdecke. Geregelte Verhältnisse. Es tat ihr weh, dass sie es all die Jahre offenbar nicht geschafft hatte, ihren Mädchen das zu geben. Obwohl sie sich doch so abgestrampelt hatte, um dem Job als Krankenschwester und ihren Kindern gerecht zu werden.

Doch dann war der Burn-out gekommen. Mit diesem Begriff, den man ihr als Diagnose gestellt hatte, konnte Lucy sich noch immer schwer identifizieren. Sie war doch keine Managerin! Andererseits, dachte sie, und das hatte auch die Ärztin in der Klinik ihr immer versichert, war ihr Leben als Alleinerziehende genauso stressig – wenn nicht oft sogar stressiger – als das der meisten Manager.

Im Schlaf murmelte Stina vor sich hin, und Lucy betrachtete sie zärtlich. Eingerollt wie ein Kätzchen lag ihre Tochter da. So jung und schon verlassen, dachte Lucy und strich dem Kind sanft über die Locken, die genauso hellblond waren wie ihre eigenen.

Stinas Vater Dennis hatte mit seiner neuen Freundin schon vor einem Jahr Deutschland für immer verlassen. Lucy weinte dem Mann, mit dem sie eine kurze, unglückliche Ehe geführt hatte, keine Träne nach, aber dass er seine Tochter im Stich gelassen hatte, würde sie ihm niemals verzeihen.

Sanft zog Lucy der Kleinen die Decke etwas höher über die Schultern, damit sie nicht fror. Dann blickte sie zu Matilda, die neben ihrer Halbschwester lag. Ihr blasses Gesicht wirkte umhüllt von der schwarzen Flut ihrer Haare fast, als würde es leuchten.

Für Matilda war der Verlust sicher ebenso hart, vermutete Lucy. Schließlich war Dennis der einzige Vater gewesen, den das Mädchen jemals gehabt hatte. Sie schluckte. Dafür trug sie als Mutter allein die Verantwortung.

Das Gurren von Tauben, die sich draußen auf dem Dach des Mietshauses niedergelassen hatten, unterbrach ihre düsteren Gedanken, und Lucy krabbelte vorsichtig auf allen Vieren aus dem provisorischen Lager, das sie sich gestern Abend aus Decken und Schlafsäcken gebaut hatten.

Ihre Betten waren wie alle anderen Möbel bereits verkauft. Bis auf ihr Gepäck war die kleine Zwei-Zimmerwohnung leer.

In dem winzigen Badezimmer duschte Lucy, trocknete sich ab, schlüpfte in Jeans und einen roten Baumwollpulli und stopfte ihre Schlafkleidung in die Reisetasche, die sie im Flur deponiert hatte. Genauso verfuhr sie mit ihrer Zahnbürste und allem, was sie heute Morgen noch benutzte.

Bevor sie das winzige Badezimmer verließ, warf sie noch einen Blick in den halb beschlagenen Spiegel.

Ihre Locken ringelten sich lebhaft in der feuchten Luft um ihr herzförmiges Gesicht. Aber ihre hellblauen Augen waren dunkel umschattet.

Unwillkürlich fragte sich Lucy, ob es nicht eine Art Eingeständnis war, dass sie auf der ganzen Linie versagt hatte, wenn sie jetzt wieder nach Eversand zog. Zumal sie sich damals geschworen hatte, nie wieder dorthin zurückzukehren.

Sie sah ihr Spiegelbild an, und ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Sollte sie nicht versuchen, ihr Leben hier in den Griff bekommen anstatt wegzulaufen?

Zwischen ihren Brauen bildeten sich nachdenkliche Falten, und sie ging die Möglichkeiten durch, die ihr blieben. Vielleicht könnte sie den Vermieter bitten, sie hier doch weiter wohnen zu lassen? Und als Krankenschwester würde sie sicher auch sofort wieder Arbeit finden.

Sie würde neue Möbel kaufen müssen, überlegte sie, aber auch das war kein unlösbares Problem, bekam man doch viele gute Sachen günstig im Sozialkaufhaus oder über Kleinanzeigen.

Lucy atmete tief durch und straffte die Schultern. Vielleicht wäre es besser so. Sie war doch jetzt wieder völlig gesund, Stina war gerade im Ganztagskindergarten eingewöhnt worden, und Matilda hatte sich im Hort auch recht gut eingelebt. Warum also sollte sie das aufgeben?

Sie könnte sich wieder zu den Mädchen ins Bett legen, ausschlafen und das Ganze vergessen.

Als sie sich gerade den Pulli wieder auszog, ließ sie ein energisches Klopfen an der Badezimmertür zusammenzucken.

Im nächsten Moment wurde auch schon die Klinke heruntergedrückt. Barfuß, in ihrem rosa geblümten Nachthemd, stand Matilda vor ihr.

»Mama!«, rief sie mit bebender Stimme. Ihre dunklen, fein gezeichneten Brauen waren verärgert zusammengezogen, und aus den fast schwarzen Augen blickte sie ihre Mutter vorwurfsvoll an. »Warum hast du uns nicht geweckt? Wir müssen doch los!«

Lucy starrte ihre Tochter an. Gedanken wirbelten wie Konfetti in ihrem Kopf umher. Matilda sah derart entschlossen aus – das absolute Gegenteil von ihr!

Einen Moment noch zögerte Lucy, doch dann lächelte sie ihre Tochter fast dankbar an.

»Keine Sorge, wir schaffen das«, sagte sie – insgeheim auch zu sich selbst – und nahm das Mädchen liebevoll in den Arm.

Wie seltsam, schoss es ihr durch den Kopf. Ein Blick von Matilda hatte gereicht, um ihr wieder Mut zu machen.

♥♥♥

Auf seinem dichten rabenschwarzen Haar trug Dr. Claudius einen albernen Kapitänshut, und an seinem markanten Kinn klebte ein falscher Bart.

Als die junge Frau ihn sah, fiel ihr wieder ein, was der Chef vorhin über ihn gesagt hatte: Der konservative Professor Wegener bezeichnete ihn als exzentrisch und sein Verhalten regelmäßig als Clownerie.

»Was wollen Sie, Jenny?«, rief der Mediziner nun mit verstellter Stimme, und seine humorvoll glitzernden dunklen Augen richteten sich auf sie. »Gibt es etwa eine Meuterei gegen mich?«

Er fuchtelte so wild mit den Armen, dass der Junge in seinem Bett vor Begeisterung kicherte.

»Professor Wegener möchte Sie sofort sehen, Herr Doktor«, erwiderte die Krankenschwester schmunzelnd.

»Ich bin nicht der Herr Doktor«, rief Dr. Claudius mit gespielter Empörung und stampfte mit dem Fuß auf. »Ich bin Kapitän Kokosnuss!« Der Junge lachte laut, als der Arzt eine eigenartige, unbeholfene Hüpfbewegung machte und einige bunte Bälle, die er in die Seitentaschen seines blütenweißen Kittels gestopft hatte, herauspurzelten und unters Bett kullerten. Munter hüpfte der Arzt in seiner seltsamen Verkleidung zur Tür. »Richten Sie ihm aus, dass ich beschäftigt bin«, sagte er leise zu seiner Kollegin.

Die junge Helferin runzelte die Stirn. »Aber er bat mich, Ihnen auszurichten, dass es um etwas Organisatorisches geht, das sehr dringend sei.«

Dr. Claudius seufzte. Er konnte sich schon denken, worum es ging. Er blickte zu seinem kleinen Patienten. Mit einem erwartungsvollen Lächeln auf den Lippen lag der Junge in diesem riesigen Bett. Schläuche führten von seiner Hand zu einem Gestell mit Infusionen.

»Dann hat er eben Pech gehabt«, erklärte Iven salopp. »Ich werde mich bei ihm melden, sobald ich Zeit habe.« Mit diesen Worten drehte er sich um und hopste zurück zu seinem Patienten. »So, erster Maat, diese Halunken werden uns nicht mehr stören. Lassen Sie uns weitermachen. Also«, sagte er und zeigte auf den Bauch des Jungen, »diese sogenannten Lipome, die kleinen Beulen da, die sind genauso wie freche Piraten, die das Schiffsdeck – also deine Haut – einfach übernommen haben. Und weißt du was? Wir beide, du und ich, sind jetzt die Crew, die sie wieder davonjagen wird. Wenn ich dich nachher operiere, dann arbeiten wir zusammen, okay? Du musst es dir fest vorstellen, wie wir sie in die Flucht jagen!«

Iven zwinkerte dem Jungen zu, und der nickte mit ernsthaftem Blick.

»Aye, aye Käpt'n«, erwiderte er.

Die junge Krankenschwester, die noch einen Moment im Türspalt stehen geblieben war, musste gerührt lächeln. Und als der Chirurg dann einige Bälle vom Boden aufhob, in die Luft warf und kunstvoll damit jonglierte, war sie völlig verzaubert. Langsam schloss sie die Tür und ging nachdenklich zurück zu ihrer Arbeit.

Ein Wunder war es nicht, dass die meisten hier heimlich für den gut aussehenden Arzt schwärmten, dachte sie, während sie über den Flur zum Zimmer des Professors ging. Doch sein gesamter Ehrgeiz galt ausschließlich den Patienten, und seine Witze sparte er sich ebenfalls für sie auf.

Dass er nun auch noch den Professor versetzte, war ziemlich mutig. Ob der Chef ihm das durchgehen ließ? Die hübsche Frau seufzte. Sie wäre traurig, wenn Dr. Claudius nicht mehr da wäre. Seine Empathie für die Kinder war wunderbar, und seine Energie schien endlos zu sein.

Das war sie ganz und gar nicht. Am Abend desselben Tages, nach vier Stunden im Operationssaal, fühlte sich auch Dr. Iven Claudius wie gerädert.

Es war alles gut gegangen und der kleine Patient war wohlauf. Die »Piraten-Lipome« waren erfolgreich entfernt worden, doch der Mediziner war entsetzlich müde. Herzhaft gähnend tauschte er in seinem winzigen Büro den OP-Kittel gegen seine normale Kleidung, als ihm eine Nachricht auf seinem Schreibtisch auffiel. Sie war von seinem Chef.

Stirnrunzelnd las Iven die kurze handgeschriebene Notiz.

Professor Wegener teilte ihm darin mit, dass er darauf bestand, dass Iven sofort seinen Urlaub nahm.

Des Weiteren machte er klar, dass er viel von seinen chirurgischen Fähigkeiten hielt, ihn aber warnen müsse.

Werden Sie sich darüber klar, hatte er mit energischer Feder geschrieben, ob sie als Clown oder als Chirurg arbeiten wollen. Beides gleichzeitig geht hier in dieser Klinik nicht.

Iven seufzte tief und ließ sich auf einen Hocker sinken. Er musste wohl oder übel akzeptieren, dass er drei Wochen ohne das Krankenhaus und die Kinder auskommen müsste. Mindestens.

Doch es ging nicht nur um den Urlaub. Professor Wegener verstand einfach nicht, dass es einen enormen Unterschied machte, wenn er seine Patienten aufmunterte. Iven war sogar überzeugt, dass die Operationen genau deshalb so gut verliefen.

Nachdenklich sah er aus dem schmalen Fenster des Altbaus in den trostlosen Innenhof des Hospitals. Eine hellbraune Drossel hockte in den Zweigen einer Birke und sah ihn neugierig an. Seufzend fuhr er sich mit der Hand über die Stirn.

Egal wie renommiert diese Klinik war und wie gut sie seiner Karriere tat, er war die Diskussionen mit dem Professor leid. Seine Überzeugung könnte er niemals aufgeben. Was sollte er also tun?

♥♥♥

»Sind wir da?«, krähte Stina und übertönte mit ihrer hohen Piepsstimme fast das Rattern des Zuges.

Lucy strich ihrer Tochter lächelnd über die blonden Locken. »Ja, jetzt sind wir wirklich gleich da, mein Schatz«, sagte sie. »In zehn Minuten.«

Sie hatte der Kleinen die Schuhe ausgezogen, und da sie des langen Sitzens überdrüssig wurde, hopste Stina auf Socken auf dem rot gepolsterten Sitz. Lucy konnte von Glück sagen, dass sie ein Viererabteil für sich allein hatten.

Vor dem großen Fenster zog die nordfriesische Landschaft an ihnen vorbei. Im rötlichen Schein der Abendsonne wirkten die endlosen Wiesen und Weiden, Schafe, reetgedeckten Höfe und silbern schimmernde Kanäle sehr idyllisch. Die Bäume waren vom Wind landeinwärts gebogen, und Wolken jagten über den weiten Himmel.

»Aber wo ist das Meer?«, fragte Stina enttäuscht, und ihre rosafarbenen Lippen verzogen sich zu einer Schnute. Sie blickte aus dem Fenster und dann zu ihrer Mutter und sah sie aus großen Augen an.

»Es ist ganz in der Nähe«, erklärte Lucy sanft. »Warte ab! Wenn wir aussteigen, wirst du es riechen und auch ein wenig schmecken.«

Stina, die noch nie an der See gewesen war, ließ sich ins Polster sinken und sah nun sehr verwundert aus. Ihre kleine Stupsnase kräuselte sich, so wie es stets der Fall war, wenn sie nachdachte. #

»Kann man Meer essen?«, fragte sie, ganz verblüfft von dieser Vorstellung.

Matilda – ganz die ältere Schwester – stieß einen übertriebenen Seufzer aus und ließ ihr Buch sinken.

»Natürlich kann man das Meer nicht essen. Das Salz vom Meer ist aber in der Luft, Stina«, erklärte sie in einem oberlehrerhaften Ton. »Deshalb schmeckt man es auf den Lippen.«

»Sehr richtig«, lobte Lucy mit nachsichtigem Lächeln. »Aber das wusstest du mit drei Jahren natürlich auch noch nicht.«

Sie zwinkerte ihr zu. Matilda war ein schlaues Mädchen mit einem großen Interesse für ihre Umwelt, aber manchmal war sie ihrer kleinen Schwester gegenüber auch überheblich.

»Es schmeckt ein ganz bisschen wie Lakritz-Bonbons«, erklärte Matilda der Kleinen, zu Lucys Freude nun etwas netter.

»Lecker!«, juchzte Stina, schlug die Beine unter und kuschelte sich wieder zufrieden an ihre Mutter.

Lucy hielt sie liebevoll im Arm und sah aus dem Fenster. Es kam ihr vor, als wären sie schon seit Tagen unterwegs, dabei waren es erst sechs Stunden seit sie am Berliner Hauptbahnhof in den ICE Richtung Hamburg gefahren waren. Doch da sie mehrmals mit ihrem Gepäck hatten umsteigen müssen, war die Reise recht aufregend gewesen.

Jetzt hatte der alte Regionalzug bereits das Tempo gedrosselt, und sie erreichten die Küste. Und je näher sie kamen, desto aufgeregter wurde Lucy. Nur einmal in den letzten neun Jahren war Lucy in ihrer Heimat gewesen. Zur Beerdigung ihres Vaters. Doch selbst da hatte sie den Spätzug genommen und war nachts wieder zurück nach Berlin gefahren.

Lucy schluckte. Ganz sicher war sie sich immer noch nicht, ob es richtig war, nach Eversand zu fahren, aber sie versuchte, nicht mehr an ihre Zweifel zu denken, sondern nur noch an die Vorteile.

Die Mädchen würden in einem schönen Haus leben, und sie würden nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre Oma um sich haben. Sie könnten zu Fuß in die Schule und den Kindergarten gehen, und das beschauliche Eversand würde ihnen sicher viel besser bekommen als der Berliner Großstadtdschungel. Genug Geld würden sie dank des Jobs in Nannys Café und der freien Miete auch haben.

Lucy würde nicht zulassen, dass sich wieder ein Mann in ihr Leben mischte. Sie wollte nichts weiter, als ihren Kindern ein friedliches und glückliches Leben zu bieten.

Sie blickte ihre große Tochter an, die eben das Buch weggelegt hatte und aus dem Fenster sah. Das schwarze Haar, die gerade Nase und diese hohe gewölbte Stirn. Lucys Herz floss über vor Liebe, aber sofort kamen die Zweifel, diese lästigen Plagegeister, zurück. Würde in Eversand nicht jeder sofort sehen, was sie so unbedingt hatte verbergen wollen?