Fürsten-Roman 2725 - Carolin von Campen - E-Book

Fürsten-Roman 2725 E-Book

Carolin von Campen

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Beschreibung

"Oh", ist alles, was Luisa Prinzessin von Sonnhofen hervorbringen kann, ein Hauch von einem "Oh!" Vor ihr liegt eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die Meta Gräfin von Tilly in ihrem Brautkleid zeigt - dem Brautkleid der Tillys, einem seit drei Generationen gehüteten Erbstück von unschätzbarem Wert, das nach der inzwischen achtzigjährigen Familienmatriarchin nur noch ihre Schwiegertochter getragen hat. Und jetzt soll, nein, muss nach Metas Willen diese Ehre Luisa zuteil werden, die in wenigen Wochen Metas Enkel Caspar heiraten wird. Die Planungen sind in vollem Gange, und natürlich interpretiert die alte Gräfin Luisas leises "Oh!" als Ausdruck der Überwältigung, dieses Kleid tragen zu dürfen. Doch für die Prinzessin ist das "Oh!" eher Zeichen ihres Erschreckens - denn schon länger hegt sie Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung für diese Hochzeit. Und die haben nicht nur etwas mit der Auswahl des perfekten Kleides zu tun ...


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Seitenzahl: 126

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Das perfekte Brautkleid

Vorschau

Impressum

Das perfekte Brautkleid

Adelsroman um eine Prinzessin und ihre Brautjungfern

Von Carolin von Campen

»Oh«, ist alles, was Luisa Prinzessin von Sonnhofen hervorbringen kann, ein Hauch von einem »Oh!« Vor ihr liegt eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die Meta Gräfin von Tilly in ihrem Brautkleid zeigt – dem Brautkleid der Tillys, einem seit drei Generationen gehüteten Erbstück von unschätzbarem Wert, das nach der inzwischen achtzigjährigen Familienmatriarchin nur noch ihre Schwiegertochter getragen hat. Und jetzt soll, nein, muss nach Metas Willen diese Ehre Luisa zuteil werden, die in wenigen Wochen Metas Enkel Caspar heiraten wird.

Die Planungen sind in vollem Gange, und natürlich interpretiert die alte Gräfin Luisas leises »Oh!« als Ausdruck der Überwältigung, dieses Kleid tragen zu dürfen. Doch für die Prinzessin ist das »Oh!« eher Zeichen ihres Erschreckens – denn schon länger hegt sie Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung für diese Hochzeit. Und die haben nicht nur etwas mit der Auswahl des perfekten Kleides zu tun ...

Die Nachmittagssonne tauchte den Park von Schloss Tilly in sanftes goldenes Licht. Heiteres Lachen und das Klirren von Gläsern erfüllten die Luft, und durch die verschlungenen Wege des barocken Rosengartens spazierten vornehm gekleidete Gäste. Es war mild und fast sommerlich warm an diesem besonderen Tag Anfang Mai.

Meta Gräfin von Tilly, die heute ihren achtzigsten Geburtstag feierte, fächerte sich ungeduldig Luft zu. Sie war in eine himmelblaue ausladende Tunika aus Taft gehüllt, und ihr noch immer dichtes Haar war so fluffig frisiert, dass es wie eine riesige weiche Wolke aussah. Ihre Gesichtszüge – scharf blickende wassergraue Augen, eine gebogene Nase und ein energischer Mund – waren dagegen kein bisschen weich, sondern passten zu ihrem autoritären Wesen.

Meta zog die Brauen zusammen. Sie vermisste ihren Enkel, den gut aussehenden und charmanten Caspar von Tilly. Wo trieb sich der Bengel bloß herum? Energisch klappte sie den Fächer zusammen, griff nach ihrem Opernglas und spähte hindurch. Doch von dem jungen Mann war keine Spur zu sehen.

Nicht nur er fehlt, dachte Meta besorgt. Hoffentlich war das bloß ein Zufall ...

Eine Falte vertiefte sich auf ihrer ohnehin schon runzligen Stirn. Doch da kam ihr eine Gruppe angeheirateter Tilly-Damen vor die Linse, die an der Terrasse vorbeischlenderten, und Gräfin Metas Miene hellte sich sogleich auf.

Caspars Verlobte, Luisa Prinzessin von Sonnhofen, war unter ihnen.

Resolut schlug die Gräfin mit ihrem eingeklappten Fächer auf den gepolsterten Teakholzsessel zu ihrer Rechten und erhob ihre Stimme über die Schlossterrasse.

»Luisa, Liebes! Komm, setz dich zu mir!«

Besonders vornehm war dies nicht, aber bei Gräfin Meta handelte es sich um die Art gesellschaftliche Autorität, die sich beinahe alles erlauben konnte.

Luisa indes unterdrückte einen Seufzer. Es war ja mehr ein Befehl denn eine Bitte, doch sie änderte gehorsam ihre Laufrichtung und stieg die Treppe zur Schlossterrasse empor, wo die Gräfin unter einem purpurnen Baldachin thronte wie eine Kaiserin.

Dass man ihr nicht widersprach, wusste eigentlich auch deren Enkelin Henriette von Tilly, die in einem rosafarbenen Rüschenkleid neben ihrer Großmutter saß und die herankommende Luisa mit finsterer Miene beäugte, doch sie trotzte im Moment gern.

»Ich wollte doch mit dir über Mamas Sachen sprechen«, nörgelte sie und schob die Unterlippe vor, sodass ihr rundliches Gesicht ganz dem eines schmollenden kleinen Mädchens glich, obwohl sie schon einundzwanzig Lenze zählte.

»Jetzt nicht!«, war alles, was Meta dazu zu sagen hatte.

Sie wedelte mit dem Fächer in Henriettes Richtung, als wäre die Enkelin eine lästige Fliege.

Wohlgefällig betrachtete die Hausherrin stattdessen die Prinzessin. Mit ihrer Größe – Luisa war mindestens einen Meter und achtzig groß – hätte sie auch gut ein Trampel werden können, dachte die Gräfin, da gab es einige erbarmungswürdige Beispiele unter den jungen Damen hier. Aber glücklicherweise war Luisa das Gegenteil: rank und schlank, mit einer tadellosen Haltung – wie man es von einer Dame ihres Standes erwartete.

Wobei ..., dachte Meta und warf einen Blick in den Park, wo ihre Großnichte, die Prinzessin von Waldeck, in einem erdbeerfarbenen Organza-Albtraum neben ihren Verwandten über die Rasenfläche stampfte. Im Stillen dankte Meta dem Himmel – dafür, dass Caspar sich nicht so ein Kaliber ausgesucht hatte.

Nein, Luisa war etwas Besonderes. Das blonde Haar trug die Prinzessin heute zu einem tiefen Dutt im Nacken geschlungen, und an ihren Ohren schimmerten silbergefasste schlichte Perlen. Bis auf einen Hauch Lippenstift – ein sanfter Rosenholzton – trug sie kein Make-up. Das hatte sie auch nicht nötig, fand Gräfin Meta, denn Luisa war mit den hohen Wangenknochen, dunklen Brauen und langen Wimpern eine natürliche Schönheit. Ihr Kleidergeschmack war vielleicht etwas zu pragmatisch, dachte Meta und betrachtet Luisas cremefarbenes Hemdblusenkleid, aber damit konnte man leben. Schließlich war die Prinzessin Ärztin und keine Schaufensterpuppe.

Caspar hatte gerade noch die Kurve gekriegt, als er sich letztes Jahr endlich mit ihr verlobt hatte. Natürlich hatte Meta da nachgeholfen, denn sie hatte mit Unmut beobachtet, wie ihr Enkelsohn die langjährige Beziehung als etwas Selbstverständliches zu betrachten begonnen hatte.

Der livrierte Butler rückte der Prinzessin den Stuhl zurecht, und Luisa nahm Platz.

»Willst du zur Abwechslung wissen, wie weit die Agentur ist?«, fragte sie die Gräfin schmunzelnd.

Meta lachte auf. »Ich schätze diese Leute als ausgesprochen faul ein, Liebes. Aber das habe ich dir ja schon gesagt.«

Luisa seufzte innerlich. Das stimmte. Mindestens zwanzig Mal hatte sich die Gräfin in den letzten Wochen und Tagen bei ihr nach den Fortschritten der Hochzeitsorganisation erkundigt, und sich nicht zu knapp darüber beschwert, dass es so lange dauerte.

Nachdenklich nippte Luisa an dem Champagner, den der beflissene Diener ihr einschenkte. Der Gedanke, dass Meta ihrer Vermählung mit Caspar von Tilly ungeduldiger entgegensah, als sie selbst, bereitete ihr Unbehagen.

»Ich wollte dir etwas zeigen«, verkündete Meta und schob nun einen schweren, kunstvoll verzierten Lederband in Luisas Richtung.

Die Prinzessin, das Champagnerglas noch immer in den Händen haltend, beugte sich pflichtschuldig über die eingeklebten Fotografien. Doch Meta blätterte auf der Suche nach etwas Bestimmten schnell die Seiten durch.

»Hier ist es!« Meta tippte aufgeregt mit dem Fächer auf eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, die eine gesamte Seite des Albums einnahm.

Luisa betrachte das Foto, das die Zeit ein wenig blass hatte werden lassen. Es zeigte unverwechselbar die Gräfin als junge Frau in ihrem Hochzeitskleid.

»Du bist wunderschön.«

»Das war einmal«, widersprach die Gräfin seufzend. »Aber das Kleid ist noch genauso wie damals!«

Das Brautkleid war etwas zu verspielt für Luisas Geschmack, aber sehr eindrucksvoll. Aus feiner elfenbeinfarbener Seide gefertigt, war es mit filigraner Spitze überzogen und floss in weichen, fließenden Bahnen bis zum Boden, wo es in eine prunkvolle Schleppe überging. Hauchzarte Perlen und kunstvolle florale Muster zogen sich an den Säumen entlang.

»Seit drei Generationen befindet sich dieses Meisterstück in unserer Familie, Luisa. Es ist fast ein Wunder, dass es noch so gut erhalten ist. Unzählige Stunden Arbeit stecken in diesem Kleid. Es ist von unschätzbarem Wert. Und nun sollst du ...«

»Mama sah darin auch wunderschön aus!«, mischte sich nun Henriette ein.

Meta sah ihre Enkelin mahnend an.

»Ich meine ja nur«, murrte die junge Frau und strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.

»Luisa«, fuhr die Gräfin mit gewichtiger Miene fort. »Mit dir soll die Tradition weiterleben. Es gibt kein perfekteres Kleid als dieses. Und da du Caspars Braut wirst, sollst du selbstverständlich das Kleid der Tillys tragen.«

»Oh«, hauchte Luisa. »Das ist eine große Ehre. Aber ich weiß wirklich nicht, ob das ...«

Sie warf einen schnellen Blick auf Henriette, die mit weit aufgerissenen Augen dasaß und aussah, als hätte man ihr soeben eine schallende Ohrfeige verpasst.

»Papperlapapp«, widersprach die Gräfin und ließ ihren Fächer auf die Tischkante sausen. »Du bist die nächste Braut in der Familie, und dein Zukünftiger ist der Erbe der Tillys! Also gehört es dir. Es ist eine Tradition, die nicht gebrochen werden darf. Du wirst schließlich seine Kinder bekommen. Echte Tillys! Punkt.«

»Hmm.« Luisa lächelte matt.

Nicht nur Metas Beharren auf ihrer Blutlinie, sondern auch die Erwähnung von Kindern verursachte bei ihr einen Anflug von Panik. Außerdem war es ihr ganz und gar nicht entgangen, dass Henriette ihr nun regelrecht hasserfüllte Blicke zuwarf.

»Wo treibt dein Verlobter sich eigentlich herum?«, fragte Meta.

»Keine Ahnung.« Luisa straffte die Schultern und nahm noch einen Schluck Champagner.

Sie fühlte sich keineswegs verantwortlich für Graf Caspar. Sie war schließlich nicht seine Mutter, und er war erwachsen. Es war kaum notwendig, permanent seinen Aufenthaltsort zu checken.

Die Gräfin schien das anders zu sehen.

»Du musst ihn suchen, Luisa! Heute ist mein Geburtstag, und da soll er sich gefälligst um seine alte Großmutter kümmern, der Taugenichts!«

Meta grinste bei diesen Worten. Sie genoss es sichtlich, ihre Mitmenschen zu beleidigen und herumzukommandieren. Luisa fand sie oft sehr ungerecht. Aber Meta war auf so eine humorvolle Art unverschämt, dass man ihr nichts wirklich übel nehmen konnte. Das war ihr Stil, schätzte Luisa.

»Meinetwegen ...« Seufzend erhob sie sich. »Ich bringe dir dein flüchtiges Enkelkind.«

»Gut, gut«, erwiderte Meta zufrieden und wedelte mit ihrem Fächer.

Um ihre Mundwinkel zuckte es. Diese Luisa war wirklich ein Prachtmädchen. Witzig, gescheit, folgsam. Sie würde eine außerordentlich gute Ehefrau und Mutter werden. Eigentlich war sie fast zu gut für Caspar. Meta presste einen Moment nachdenklich die Lippen zusammen.

»Ich finde das sehr ungerecht«, unterbrach Henriette die Grübeleien ihrer Großmutter. »Ich bin doch die nächste Braut in der Familie, Oma!«

Meta sah ihre Enkelin mit ironisch hochgezogener Braue an.

»Und wen bitteschön willst du heiraten?«

Darauf hatte Henriette nichts zu sagen.

Meta seufzte. Die jungen Frauen waren beide blond und hellhäutig. Doch Henriette war ein ganz anderer Typ als Luisa. Viel weicher, weniger stattlich – und ein bisschen phlegmatisch. Wie ihre Mutter. Ihren Sohn hatte das damals nicht gestört, er hatte sich sofort verliebt ...

Ihr Sohn. Dem wiederum war sein Sohn Caspar wie aus dem Gesicht geschnitten. Mit zitternden Händen wedelte die Gräfin mit ihrem Fächer, um die warme Luft zu vertreiben – und vielleicht auch die Gedanken an die schmerzhaften Verluste der Vergangenheit.

Auch Caspar von Tilly war offenbar auf der Suche, jedoch nicht nach seiner Verlobten. In seinem vorzüglich geschneiderten grauen Cutaway spazierte der hochgewachsene blonde Graf etwas nervös in einem abgelegenen Teil des Schlossparks zwischen den geharkten Beeten herum und blickte unruhig nach allen Seiten.

Er trat unter eine majestätische Hainbuche, deren ausladende Äste bis dicht über den Boden ragten. Als Kind war er oft in diesem Baum herumgeklettert. Und auch heute noch bedeutete ihm die Buche viel. Es war eine Art heimlicher Treffpunkt geworden.

Eigentlich hätte er hier finden müssen, was er suchte. Hatte er sich geirrt? Oder spielte sie ihm einen Streich?

Plötzlich raschelte es über ihm, und im nächsten Moment segelte ein rotseidener zierlicher Damenschuh vor ihm zu Boden. Aus der Krone des Baumes kam ein Kichern.

Schmunzelnd hob der Graf den Schuh auf und betrachtete ihn mit zärtlichem Blick. Sein Herz klopfte schneller, und er sah nach oben.

Wieder ertönte das Kichern.

Über ihm, auf einem gewundenen Ast, baumelten schön geformte Beine, die zweifellos einer Dame gehörten.

»Pardon«, rief Johanna von Finkeneck, die sechsundzwanzigjährige Besitzerin der Beine und des Schuhs. »Da ist mir wohl ein Missgeschick passiert. Könntest du ihn mir bitte zurückbringen?«

Der Graf zögerte einen Moment und sah sich um. Von der Festgesellschaft war weit und breit niemand zu sehen. Nur die Musik des Streichquartetts wehte gedämpft herüber. Nervös fuhr er sich durch das dichte, dunkelblonde Lockenhaar.

Es war ihm durchaus bewusst, dass es ein Risiko war, zu Johanna von Finkeneck, die von allen nur Jo genannt wurde, nach oben zu klettern. Schließlich hatte er der Verwandten von Luisa schon den ganzen Tag heimlich hinterhergeschaut.

Beim letzten Mal, als sie sich zufällig auf der Soiree eines angeheirateten Onkels getroffen hatten, war es nicht gut gelaufen. Und auch davor, auf der Hochzeit seiner Großcousine, war er schwach geworden. Caspar dachte mit einer Mischung aus Erregung und schlechtem Gewissen daran.

Das waren sicher nur Ausrutscher gewesen, redete er sich ein, schließlich hatte er damals recht tief ins Glas geschaut. Außerdem war es schon etliche Monate her. Heute hatte er erst ein paar Gläser Chardonnay getrunken. Wäre es nicht wichtig, dass er mit Jo einmal ernsthaft über die Sache sprach? Schließlich wäre er bald ein verheirateter Mann, und sie war die Cousine seiner Braut. So konnte es ja nun wirklich nicht weitergehen.

Er räusperte sich.

»Ich habe Höhenangst«, rief er nach oben.

»Ich könnte dich vielleicht davon heilen«, kam die Antwort einen Moment später zurück.

Der Graf schluckte. Sein Blut war durch die Vorstellung in Wallung geraten. Genau das war sehr fatal.

»Jo, ich glaube, das ist keine gute Idee«, entgegnete er daher und scharrte mit der rechten Schuhspitze im Kies.

In Wirklichkeit fand er die Idee herrlich, aber das durfte er sich natürlich nicht eingestehen.

»Wenn du meinst«, kam es trotzig zurück. »Aber ich finde, wir sollten endlich mal miteinander reden.«

Das war doch vernünftig, dachte Caspar. Schließlich waren sie erwachsene Menschen, die sich beherrschen konnten.

Mit glänzenden Augen steckte der Graf den Schuh in die Innentasche seiner Jacke und erklomm den Stamm der alten Buche. Geschickt wie in früheren Zeiten kletterte er nach oben, und als er schließlich angekommen war, verschlug ihm der Anblick sofort den Atem. Er ahnte, dass die Aktion wohl doch ein Fehler gewesen war. Aber ein Zurück gab es nun nicht mehr.

Keck wie ein Eichhörnchen lugte die hübsche Jo von Finkeneck mit funkelnden Augen zwischen den frischen grünen Buchenblättern hervor. Ihr seidenes Kleid war bis zur Hälfte der schlanken Schenkel hochgerutscht, und ihre Wangen glühten.

»Guten Abend Cas«, grüßte sie und warf ihm aus ihren mokkafarbenen Augen einen frechen Blick zu.

»Guten Abend Jo«, erwiderte Caspar schmunzelnd. Mit einer kraftvollen Bewegung schwang er sich das letzte Stück zu ihr hin und ließ sich dicht neben ihr auf dem Ast nieder. »Nett hier oben.«

Jo nickte, streckte eines ihrer schlanken Beine aus und wackelte mit den rot lackierten Zehen. In Caspar verursachte dieser Anblick unwillkürlich Aufruhr, und er zwang sich, den Blick abzuwenden.

»Das war wirklich ein sehr dummes Versehen mit dem Schuh«, säuselte Jo und machte ein unschuldiges Gesicht.

»Hmm«, machte Caspar. »Äußerst dumm.«

Er beugte sich zu ihr und streifte ganz leicht mit den Lippen ihre Wange.

»Schön, dich zu sehen«, sagte er und sah ihr tief in die Augen.

Jo nickte und erwiderte seinen Blick. Wie ein Stemmhammer schlug ihr Herz gegen ihre Rippen. Wie gut er aussah! Und wie er duftete! Sie liebte ihn von ganzem Herzen! Wie unvernünftig und wundervoll das war! Sie öffnete die Lippen.

Caspar räusperte sich und rückte ein wenig von ihr ab.

Stop! Sie hatten doch reden wollen.

»Und, wie geht es deinen Eltern?«, bemühte er sich um eine angemessene Einstiegskonversation.

»Sehr gut, danke«, erwiderte Jo höflich. »Meine Mutter hat ihr Golf-Handicap verbessert. Und mein Vater hat ein paar Windräder auf unserem Land aufstellen lassen.«

»Ah«, machte Caspar und riss an einem Buchenblatt. »Und dein Studium?«

»Super.« Johanna nickte ein wenig übereifrig.

Sie war zwar für BWL eingeschrieben, aber seit einem halben Jahr in keiner Vorlesung mehr gewesen.

Eine Pause entstand.

»Wie geht es in der Firma?«, fragte nun Jo und wackelte wieder mit dem großen Zeh.

Caspar räusperte sich und versuchte nach Kräften, den Zeh zu ignorieren.

»Danke. Ich kann nicht klagen. Es läuft gut, wirklich.«

Ein leichter Wind strich durch die Blätter, und über ihren Köpfen jubilierte ein Abendvogel aus voller Kehle.

»Nachtigall oder Lerche?«, fragte Jo und warf ihm einen Blick zu, der Caspars Herz höherschlagen ließ.