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Zwei rivalisierende Familien und ein Cop zwischen den mörderischen Fronten … Ein grausamer Mord erschüttert San Diego: Der ehemalige Bürgermeister und Unternehmer Pete Braga wird zu Tode geprügelt in seiner Strandvilla aufgefunden. Detective Tom McMichael weiß, dass er diesen Fall nicht annehmen sollte. Denn die Feindschaft zwischen seiner Familie und den Bragas zieht sich wie ein dunkler Schatten durch seine Vergangenheit – und kostete seinen Großvater das Leben. Von perfider Neugier getrieben beschließt McMichael dennoch, in Bragas Tod zu ermitteln. Seine Nachforschungen zeigen, wie viele Feinde der skrupellosen Unternehmer in der Stadt hatte. Doch je näher McMichael der Wahrheit kommt, desto gefährlicher wird es für ihn, denn die Unterwelt San Diegos hat ihn längst ins Visier genommen … »Parker in Bestform!« – Kirkus Review Ein Autor, der die dunkle Seite des Sunshine States kennt – ein fesselnder Noir-Thriller für Fans von James Patterson und Harlan Coben.
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Seitenzahl: 514
Veröffentlichungsjahr: 2025
Ein grausamer Mord erschüttert San Diego: Der ehemalige Bürgermeister und Unternehmer Pete Braga wird zu Tode geprügelt in seiner Strandvilla aufgefunden. Detective Tom McMichael weiß, dass er diesen Fall nicht annehmen sollte. Denn die Feindschaft zwischen seiner Familie und den Bragas zieht sich wie ein dunkler Schatten durch seine Vergangenheit – und kostete seinen Großvater das Leben.
Von perfider Neugier getrieben beschließt McMichael dennoch, in Bragas Tod zu ermitteln. Seine Nachforschungen zeigen, wie viele Feinde der skrupellosen Unternehmer in der Stadt hatte. Doch je näher McMichael der Wahrheit kommt, desto gefährlicher wird es für ihn, denn die Unterwelt San Diegos hat ihn längst ins Visier genommen …
eBook-Neuausgabe August 2025
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2003 unter dem Originaltitel »Cold Pursuit« bei Hyperion Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Die kalte Gier« bei Ullstein.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2003 by T. Jefferson Parker
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Pixel Park; AdobeStock/S…, Sheviakova
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (ma)
ISBN 978-3-98952-991-5
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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected] .
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T. Jefferson Parker
Thriller
Aus dem Englischen von Norbert Möllemann
In jener Nacht fegte ein heftiger Wind vom Pazifik her, ein El-Niño-Effekt, der San Diego zehn Zentimeter Regen bescheren sollte. Es war der erste Wintersturm und, Anfang Januar, längst überfällig. Palmwedel klatschten gegen die Fenster von McMichaels Wohnung. Das digitale Zirpen seines Telefons klang regelrecht lächerlich im Vergleich zu dem Heulen da draußen.
»Vor etwa einer Stunde hat jemand Pete Braga getötet«, sagte McMichaels Chef. »Du bist Gewinner beim Glücksrad, aber ich kann auch Team zwei darauf ansetzen.«
Darüber hätte McMichael lange nachdenken können, aber er tat es nicht.
»Wir übernehmen.«
»Pete ist in seinem Haus erschlagen worden, Tommy«, sagte der Lieutenant. »Alles ist voll Blut und Hirnmasse. Die Kollegen von der Streife halten die Putzfrau oder so jemanden fest.«
McMichael brauchte einen Augenblick, um Pete Braga aus dem Kreis der Lebenden in die Reihen der Toten zu versetzen. Jeder Mord kam überraschend. Vor allem, wenn es jemanden wie Pete traf, bei dem man immer davon ausgegangen war, dass er ewig leben würde.
»Wir übernehmen den Fall«, wiederholte er.
Schweigen. »Bist du dir ganz sicher, Tom?«
»Absolut.«
»Ihr Iren seid ein stures Volk. Ungefähr so stur wie die Portugiesen. Also gut. Braga gehört dir.«
Etwa Mitte achtzig, dachte McMichael. Man brauchte kein Gladiator zu sein, um dem alten Mann den Schädel einzuschlagen. Ein verhasster Geldsack, der von seiner eigenen Putzfrau um die Ecke gebracht wird.
»Ich kümmere mich um die nötigen Anrufe, Tommy. Am besten, du fährst gleich los. Brauchst du die Adresse?«
»Nein, die kenn ich.«
Pete Bragas Haus lag in der Bucht von Point Loma, direkt am Wasser. Ein dreistöckiges, in den Hang gebautes Holzhaus mit vielen Fenstern. In den Fensterscheiben spiegelten sich die Lichter von Shelter Island und von der Stadt auf der anderen Seite der Bucht.
Das Tor stand offen und McMichael sah drei Streifenwagen vom PD San Diego, zwei Ford-Coupés, einen Notarztwagen und einen roten VW-Käfer in der geschwungenen Einfahrt stehen. Eine kleine Menschenmenge hatte sich an dem gelben Absperrband versammelt, das quer über die Einfahrt gespannt war. Die Leute sahen aus wie Sternsinger in einer Gesangspause, dachte McMichael, unsicher und verlegen, die Mantelkragen hochgeschlagen und die Haare vom Wind zerzaust. Er kurbelte sein Fenster herunter und zeigte einem uniformierten Polizisten seine Marke. Als der Kollege das Absperrband an einem Ende löste, wurde es ihm vom Wind aus der Hand gerissen.
McMichael ging auf das Haus zu. Der Gartenweg war von bronzenen Lampen in Form von springenden Thunfischen gesäumt. Einige Norfolk-Tannen wiegten sich vor einem von Wolken verhangenen Mond.
An der Haustür reichte Officer T. Sterling McMichael das Zutrittsbuch. Bevor er sich eintrug, betrachtete McMichael den Türknauf, das Schloss und den Türrahmen.
»Ich höre«, sagte er dann, während er die Liste der Eintragungen überflog.
»Wir waren die Ersten am Tatort, Sir«, sagte der Officer. »War ’ne ruhige Nacht, wahrscheinlich wegen des aufkommenden Sturms. Dann wurde uns über Funk eine mögliche Einssiebenundachtzig gemeldet. Sieben Minuten später waren wir hier. Die Krankenschwester, die den Notarzt gerufen hatte, hat uns die Tür aufgemacht. Sie sagt, sie war seine Pflegerin. Ihre Hände, ihr Gesicht und ihre Kleider waren mit Blut beschmiert. Der Alte war in seinem Trophäenzimmer oder wie auch immer das heißt, er lag gleich vor dem offenen Kamin. Jemand hatte ihm den Schädel eingeschlagen. Die Krankenschwester war völlig durch den Wind und nicht zu gebrauchen, deswegen ist Traynor mit ihr ins Esszimmer gegangen. Ich habe sie überprüfen lassen, sie ist sauber.«
McMichael trug sich in das Buch ein und schaute T. Sterling in die grauen, aufmerksamen Augen.
»Also eine Pflegerin, keine Putzfrau.«
»Das hat sie jedenfalls behauptet.«
McMichael reichte Sterling das Buch zurück. »Das Blut an ihrer Kleidung, waren das Schmierspuren oder Spritzer?«
»Ich bin mir nicht sicher. Hauptsächlich Schmierspuren, glaube ich.«
»Und in ihrem Gesicht?«
»Das waren, glaube ich, auch Schmierspuren.«
»Sie haben ihr hoffentlich nicht gestattet, sich zu waschen?«
»Ich glaube nicht, dass Traynor das zugelassen hat.«
Ein weiterer Officer führte den Detective zum Tatort. Das Trophäenzimmer befand sich rechts am Ende eines langen Flurs. McMichael spürte die Kälte des Hauses in den Schienbeinen. Der Flur war breit und gut beleuchtet. An den Wänden hingen Gemälde, die wie im Museum mit Lämpchen an den Rahmen versehen waren: lauter Ozeanszenen – Schiffe und schäumende Wellen, Katastrophen auf See. Ein kleiner Strahler beleuchtete nur ein Stück Wand und einen Haken daran.
McMichael betrat das Trophäenzimmer. Es roch nach Blut und Fäkalien und Zigarrenrauch. Zwei kleine Bündel Brennholz lagen auf dem Boden. Über ihm eine dunkle Kassettendecke mit robusten Werkstattlampen, die in zwei Sechserreihen aufgehängt waren und weißes Licht verbreiteten.
McMichael nahm das Diktiergerät aus der Innentasche seiner Bomberjacke und schaltete es ein. Er sprach Uhrzeit, Datum und Ort auf Band und berichtete, was er sah.
Vor ihm, zum Meer und zur Stadt hin gelegen, befand sich eine verglaste Wand. Im Schein der Verandabeleuchtung wirbelte Laub durch die Luft und weiter draußen peitschte der Wind den Sand in der Bucht von San Diego auf. Im Osten lag ein Zerstörer vor Anker, der neben all den kleinen Segelbooten und Motorjachten unglaublich monströs wirkte.
An der mit Holzpaneelen verkleideten Wand zu McMichaels Rechten prangten Angeltrophäen – Thunfische, Gelbschwanzflundern, Doraden, Schwertfische, Fächerfische und Haie. Und weiter unten hingen die Geräte, die man brauchte, um diese Fische zu fangen – Angelruten, Spulen, Haken und Angelgürtel.
Es gab zwei leere Haken wie den im Flur – einen zwischen den Fischen, einen zwischen den Angelruten.
Die Hauptattraktion war ein weißer Hai, der etwa dreimal so lang wie ein Mann und obszön dick war. Der Kopf war wie zum Angriff seitwärtsgerichtet und in seinem aufgerissenen Maul glänzten Reihen spitzer Zähne. McMichael fiel auf, dass der Präparator sogar daran gedacht hatte, die Augen richtig anzubringen, nämlich zum Schutz in den Schädel zurückgezogen. Er erinnerte sich, dass Pete Braga es mit diesem Fang in die Schlagzeilen und sogar in die Fernsehnachrichten geschafft hatte.
Zu seiner Linken befanden sich ein offener Kamin ohne Feuer und zwei Ledersessel. Zu beiden Seiten des Kamins standen riesige Salzwasseraquarien mit tropischen Fischen. McMichael trat über die Brennholzbündel hinweg. Zwischen den Sesseln stand ein kleiner Tisch, darauf eine Lampe mit zwei Schirmen, zwei Glühbirnen und zwei Messingkettchen zum Ein- und Ausschalten. Beide Birnen brannten. Neben der Lampe standen zwei halb leere Rotweingläser.
McMichael betrachtete den toten Pete Braga im rechten der beiden Sessel. Braga trug einen Morgenmantel aus dunkelgrauem Satin. Er war halb vom Sessel gerutscht, die Beine angewinkelt. Die Arme hingen schlaff über den Armlehnen, die Hände waren geöffnet. Sein blutiger Schädel war in der Mitte eingeschlagen – es sah aus, als wären Haare und Knochen implodiert. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der Verblüffung und Verwirrung, in seinen offenen Augen spiegelte sich das Licht. Auf dem Holzboden links neben dem Sessel befand sich eine Blutlache, darin helle Splitter und eine kurze Keule mit einer Lederschlaufe am Griff. McMichael spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten.
Requiescat in pace, dachte er, dreißig Jahre katholische Begräbnisliturgie ... Was für eine abscheuliche Art, aus dem Leben zu scheiden.
In den siebziger Jahren war Braga als Kapitän auf einem Thunfischfänger gefahren. Damals war McMichael fünf Jahre alt gewesen. Später, nachdem der Thunfischfang den Bach runtergegangen war, hatte Braga ein großes Autohaus betrieben – Ford und Lincoln Mercury. Sein wettergegerbtes Konterfei hatte damals von Reklametafeln entlang der Highways und am Clairemont Mesa Boulevard herabgelächelt. McMichael erinnerte sich an Braga als Bürgermeister und als Hafenmeister, als einen Mann, der sich für seine Stadt eingesetzt hatte, der bei jedem Spiel der Padres den ersten Ball geworfen hatte, der strahlend gelächelt hatte, wenn eine Champagnerflasche an einem Schiffsrumpf zerschellt war, der bei jedem größeren Ereignis dabei und bei jeder Katastrophe vor Ort gewesen war.
Aber vor allem hatte McMichael Pete Braga als Großvater von Patricia Braga in Erinnerung, dem ersten Mädchen, in das er sich je verliebt hatte. Damals waren sie noch Kinder gewesen, damals wussten sie noch nicht, dass die McMichaels und die Bragas Todfeinde waren und dass sie sich eigentlich hassen müssten.
Die Forensiker Bob Harley und Eric Fiore betraten den Raum, ihre Instrumententaschen in der Hand. Ihnen folgten Sergeant Mark Hatter und Detective Barbara Givens von Team drei.
»Mein Gott«, sagte Givens.
»Wow«, sagte Harley. »Erinnert mich an diesen Typen – wie hieß der noch? Appleby oder so ähnlich? Den sie mit einem Rohr erschlagen haben.«
Erik pfiff leise durch die Zähne. »Cool, die Aquarien.«
Sergeant Hatter sagte nichts. Dem Rang nach war er der Leiter von Team drei der Mordkommission, aber diesmal hatte McMichael das Sagen, eine Frage von Rotation und Zufall. Glücksrad, dachte McMichael – Glück für wen?
Harley stellte seine Tasche ab, nahm eine Digitalkamera heraus, die er sich um den Hals hängte, und eine Polaroidkamera, bei der er überprüfte, ob sie einen Film enthielt.
McMichael bat Erik, die Szene auf Video aufzunehmen und anschließend alles zu vermessen und Skizzen anzufertigen. »Erst die Keule«, sagte er. »Und zwar bevor du sie aus der Blutlache fischst. Ich möchte Polaroidaufnahmen von den beiden Brennholzbündeln, so nah wie möglich. Barbara, sieh mal im ganzen Haus nach, ob irgendwas fehlt. Und ob jemand gewaltsam hier eingedrungen ist.«
»Alles klar.«
»Und seht euch mal den VW-Käfer an, der in der Einfahrt steht, erst mal nur von außen. Anschließend kümmert ihr euch bitte um die Presse- und Medienleute. Sagt ihnen, was wir wissen.«
Einen Augenblick später trafen der Gerichtsmediziner und seine Mitarbeiter ein. Gleich nach ihnen kam Hector Paz, McMichaels Teampartner, in den Raum gestürmt.
McMichael winkte Paz zu sich und entfernte sich von der Leiche, die einmal Pete Braga gewesen war und jetzt im Polizei-Department von San Diego unter dem Aktenzeichen 03-114-M geführt werden würde. Er ließ seinen Blick über die Wand schweifen, an der die Trophäen und das Angelzeug aufgehängt waren, und zeigte auf den leeren Haken zwischen einem großen Angelhaken und einem Angelgürtel.
»Mach mir ein Foto von diesem Haken, Bob.«
»Aber es hängt gar nichts dran.«
»Sieht aus wie ein praktischer Haken für eine Keule.«
Die Pflegerin war jung, groß und aschblond. Sie stand am Esszimmerfenster und drehte sich um, als McMichael und Paz eintraten: Haare locker hochgesteckt, blutbeschmierter, cremefarbener Rollkragenpulli, blutbeschmierte, lachsfarbene Strickjacke, blutbeschmierte Jeans und flache schwarze Stiefel. McMichael musterte sie beim Nähertreten – Blut im Gesicht, am Hals und an den Händen. Ihre Augen waren tiefbraun.
»Ich bin Detective Tom McMichael. Das ist Hector Paz.«
»Ich würde mich gern waschen.«
Er betrachtete ihre Stiefel und sah die roten Sprenkel. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir erst ein paar Fotos von Ihnen machen?«
»Es macht mir was aus.«
Sie starrte Paz mürrisch an.
»Wie heißen Sie?«, fragte McMichael.
»Sally Rainwater.«
»Was haben Sie in Ihren Taschen?«, fragte Paz.
Sally Rainwater blickte an sich hinunter und zog aus jeder Jackentasche einen schwarzen Lederhandschuh.
»Legen Sie sie einfach da auf den Tisch«, sagte McMichael. »Und die Strickjacke ebenfalls, wenn ich bitten darf.«
Sie ließ die Handschuhe auf den Esstisch fallen und knöpfte sich die Jacke auf. Dann ließ sie auch diese auf den Tisch fallen und schaute McMichael mit ihren dunkelbraunen Augen an. Ihre Pupillen wirkten normal und in ihrem Blick lag eine Mischung aus Angst und Gereiztheit.
»Sie dürfen sich waschen«, sagte McMichael. »Eine Polizistin wird Sie begleiten.«
Sally Rainwater verließ den Raum und McMichael gab Traynor ein Zeichen. »Rufen Sie Barbara.«
Hector sah den beiden nach. »Wirst du dir ihre Stiefel geben lassen?«
»Ja.«
Hector sah McMichael mit seiner typischen Mischung aus Argwohn und Humor an. »Die wird sich schön sauber waschen.«
»Davon gehe ich aus.«
McMichael ließ sich von Paz berichten, was Sterling ihm gesagt hatte. Paz war ein untersetzter, muskulöser Typ etwa im gleichen Alter wie McMichael. Und ebenso wie dieser war er erst seit drei Jahren bei der Mordkommission. Wegen ihres unterschiedlichen Temperaments waren sie Team drei zugeordnet worden. Tom McMichael war groß und ruhig und manchmal durchtrieben, Hector Paz dagegen draufgängerisch und aggressiv. Ihr Chef nannte die beiden Jeckyll und Hyde. Die Aufklärungsrate von Team drei war die höchste in der Mordkommission.
McMichael rückte zwei Stühle zurecht und schaltete den Kronleuchter über dem Esstisch ein. Den Platz mit Blick auf die Bucht wählte er für sich selbst, nicht wegen der Aussicht, sondern damit die Pflegerin ihn ansehen musste, wenn sie mit ihm redete. Mit Hilfe eines Kugelschreibers schob er die Handschuhe ein bisschen näher an die Stelle, wo Sally Rainwater sitzen würde. Das Blut, das an ihnen klebte, hinterließ einen blassen Streifen auf dem Kirschholz.
»Halt dich in der Nähe«, sagte McMichael. »Schalt dich ein, wenn du willst.«
»Ich werde mich erst mal zurückhalten. Sollen wir ihr ihre Rechte vorlesen?«
»Noch nicht. Das Blut an ihr sah aus, als hätte sie es durch Kontakt abbekommen. Keine Spritzer oder Sprenkel, außer auf ihren Stiefeln.«
»Außer auf ihren Stiefeln.«
Fünf Minuten später kam Sally Rainwater zurück. Barbara steckte kurz den Kopf zur Tür herein, schaute McMichael mit hochgezogenen Brauen an, zuckte die Schultern und verschwand wieder.
McMichael notierte sich etwas in einem kleinen Notizbuch, klappte es zu und legte es neben den Kassettenrekorder auf den Tisch. Hector stand vor einer Bronzeskulptur eines springenden Thunfischs, die eine Ecke des Raumes dominierte.
»Bitte setzen Sie sich«, sagte McMichael.
Sie betrachtete den Stuhl, die Handschuhe, dann schaute sie McMichael an. Ihr Gesicht und ihre Hände waren jetzt sauber, ihre Haare im Nacken zusammengebunden. Keine Ohrringe, keine Halskette, kein Ring. Der Zustand ihrer blutbeschmierten Kleider war unverändert. Sie drehte den Stuhl zum Panoramafenster hin, sodass McMichael nur ihr Profil sehen konnte. Er musterte die hohe Stirn, die kleine, gerade Nase, das wohlgeformte Kinn.
»Es macht Ihnen doch nichts aus, mit uns zu reden, nicht wahr, Miss Rainwater?«
»Nein.«
»Danke. Ich werde das Gespräch auf Band aufnehmen.«
Sie sagte nichts, als McMichael die Kassette umdrehte und das Gerät einschaltete. Er ließ sie ihren Namen buchstabieren und sich ihre Adresse und Telefonnummer geben.
»Erzählen Sie mir, was Sie heute Abend gesehen haben.«
»Gegen halb zehn bin ich rausgegangen, um Brennholz zu holen. Ein paar Minuten nach zehn bin ich zurückgekommen. Ich bin ins Fischzimmer gegangen und habe gesehen, dass Pete seitlich über der Sessellehne hing. Die Schiebetür stand offen und der Wind fegte rein. Jemand rannte über den Strand in Richtung Bucht. Dann ist er über die Mauer gesprungen und verschwunden. Als ich Petes Kopf und das Blut und den Fish Whack’r gesehen habe, habe ich die Polizei benachrichtigt und versucht, ihn wiederzubeleben. Was mir nicht gelungen ist.«
Sally Rainwater drehte sich um und schaute McMichael an, dann blickte sie wieder auf die Bucht hinaus. Hector lehnte sich gegen das Panoramafenster.
»Fish Whack’r?«, fragte er.
»So heißt die Keule«, sagte sie.
»Beschreiben Sie die Person, die Sie gesehen haben«, sagte McMichael.
»Schwarzer Trainingsanzug, dunkle Baseballmütze, tief ins Gesicht gezogen. Könnte ein Mann oder eine Frau gewesen sein, aber die Person rannte wie ein Mann. Durchschnittlich groß, weder dick noch dünn. Er war in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Dann ist er über die Mauer gesprungen und einfach verschwunden.«
»Einfach verschwunden«, sagte Paz.
McMichael schaute erst ihn an, dann zum Strand hinaus, wo der Wind den Sand hochwirbelte.
Hector schaltete die Außenbeleuchtung ein. Im hellen Schein des Flutlichts sahen sie alle drei zu, wie der Wind die vielen Fußspuren im Sand des öffentlichen Strands verwehte. McMichael dachte an Strandgutsammler, Jogger, Spaziergänger, Schwimmer, Kajakfahrer, Surfer. Selbst im Winter liebten die Leute in San Diego ihre Strände.
»War Pete tot, als Sie ihn gefunden haben?«
»Ja. Ich habe trotzdem Wiederbelebungsversuche unternommen, bis die Polizei und der Notarzt kamen.«
»Haben Sie Pete getötet?«, fragte Hector.
»Nein«, antwortete sie ruhig.
McMichael beobachtete sie und ließ einen Moment verstreichen. »Haben Sie ihn bewegt?«
»Ja.« Ihre Stimme war leise, aber deutlich und, so schien es McMichael, jetzt auch ein bisschen abwesend. »Er hing über der linken Sessellehne, als ich reinkam. Ich habe ihn in eine gerade Sitzposition gehievt, dann ist er wieder runtergerutscht, bis er so lag, wie Sie ihn gefunden haben. Ich dachte, da liegt er genauso gut wie anderswo, und habe mit den Wiederbelebungsversuchen angefangen.«
»Aber es passierte nichts.«
»Nichts außer dass ich hinterher von Kopf bis Fuß voller Blut war.«
»Als was sind Sie hier angestellt?«
»Ich bin ausgebildete Krankenschwester, aber für Pete habe ich hauptsächlich im Haushalt gearbeitet. Kochen, Wäschewaschen, Putzen. Ein bisschen Einkäufen. Manchmal hab ich ihn auch gefahren.«
»Wohin?«, wollte McMichael wissen.
»Besorgungen. Er hat sich gern herumfahren lassen.«
»Wieso hat er Sie nicht zum Holzholen begleitet?«, fragte Hector.
»Von dem kalten Wetter hat er immer ganz steife Gelenke gekriegt. Wenn es kalt war, hat er sich am liebsten im Fischzimmer aufgehalten. Wegen des offenen Kamins. Aber wir hatten kein Brennholz mehr.«
»Wir«, sagte Hector. »Sie beide haben sich wohl gut verstanden?«
»Ja, sicher. Ich arbeite seit sieben Monaten hier und ich mochte ihn sehr.«
»Sie waren also so etwas wie Freunde?«
»Wir waren Freunde.«
»Freunde«, wiederholte Hector lächelnd.
McMichael sah, wie sie Paz beobachtete. »Wie ging es Pete denn heute Abend?«
»Gut. Es ging ihm immer gut. Er war sehr wach. Kräftig für sein Alter. Gesund.«
»Hat Pete je davon gesprochen, dass er sich bedroht fühlte oder dass er Feinde hatte?«
»Es gab eine Menge Leute, die er nicht mochte. Und eine Menge, die ihn nicht mochten. Aber das wissen Sie sicher selbst.«
»Ist er in letzter Zeit bedroht worden?«
»Nicht dass ich wüsste.«
McMichael musterte ihr Spiegelbild im Panoramafenster und bemerkte, dass sie auch seins musterte. Die ersten kleinen Regentropfen schlugen gegen die Scheiben. »Dieser Knüppel, hing der vorher an der Wand?«
»Ich glaube, ja. Jedenfalls sieht er genauso aus wie der, der da gehangen hat.«
»Wir werden Fingerabdrücke am Griff finden«, sagte Paz. »Es sei denn, das Schwein hat Handschuhe getragen oder den Griff abgewischt.«
Sally Rainwater starrte schweigend in die sturmgepeitschte Bucht hinaus.
»Hatten Sie Ihre Handschuhe an, als Sie versucht haben, ihn wiederzubeleben?«, fragte McMichael.
Sie schaute ihn an und schüttelte kaum merklich und beinahe gedankenverloren den Kopf. »Nein. Das heißt, zuerst habe ich seinen Kopf angefasst, um mir seine Augen anzusehen. Da hatte ich die Handschuhe noch an. Dann bin ich ans Telefon gegangen und habe sie ausgezogen, um wählen zu können. Als ich ihn geradegerückt und mit den Wiederbelebungsversuchen angefangen habe, nein, da hatte ich sie nicht an.«
»Haben Sie heute Abend den Knüppel angefasst?«
»Nein.«
»Haben Sie ihn vor kurzem angefasst?«
»Nein. Warum?« Sie drehte sich um und schaute ihn an und zum ersten Mal sah er Verwirrung in ihren unglücklichen braunen Augen.
»Für den Fall, dass wir Fingerabdrücke von zwei Personen darauf finden.«
»Und wenn Sie nur von einer Person welche finden?«
»Dann sieht diese Person ziemlich alt aus«, sagte Hector.
Als sie sich zu Paz umdrehte, bewegte sich ihr Pferdeschwanz und McMichael sah die Tätowierung in ihrem Nacken, etwa zweieinhalb Zentimeter unterhalb des Haaransatzes – eine kleine rote Flamme mit zwei Spitzen, die auf ihrer blassen Haut züngelten. Vielleicht war es auch eine rote Tulpe.
»Es wäre uns eine große Hilfe, wenn Sie uns Ihre Stiefel überlassen könnten – wegen der Blutproben«, sagte er.
»Sie können meine Handschuhe und meinen Pullover haben, aber in dem Wetter laufe ich nicht auf Socken herum.«
»Miss Rainwater, werden Sie in den kommenden Tagen in der Stadt sein?«
Sie sagte ja, ohne ihn anzusehen.
»Darf ich mal Ihren Führerschein sehen?«
»Meine Handtasche ist in der Küche. Ich hole–«
»Ich mach das schon«, sagte Hector, der bereits unterwegs war. »Bleiben Sie nur sitzen, Miss Rainwater. Sie haben heute viel durchgemacht.«
Paz kam zurück mit einer schwarzen Handtasche in der einen und einer Edelstahl-Derringer in der anderen Hand. Er hielt die Pistole zwischen Daumen und Zeigefinger am Ende des Griffs, sodass der Lauf nach unten zeigte.
»Tut mir leid, Miss Rainwater, aber die Handtasche ist umgefallen und da ist dieses Ding rausgerutscht. Ich tue es gleich wieder zurück. Die gehört doch Ihnen, oder?«
»Sie gehört mir und sie ist registriert.«
»Haben Sie auch einen dazugehörigen Waffenschein?«
»Ja. Geben Sie mir meine Handtasche.«
Sie stellte die Handtasche auf den Tisch, kramte eine Brieftasche hervor und entnahm dieser einen Führerschein und einen Waffenschein.
McMichael schlug sein Notizbuch auf und notierte sich ihr Geburtsdatum sowie die Angaben auf dem Führerschein und die Nummer des Waffenscheins.
Hector hatte sich auf dem Weg in die Küche Fiores Kamera ausgeborgt, mit der er jetzt Sally Rainwaters Stiefel fotografierte.
Sie nahm ihre Papiere wieder in Empfang, schlang sich die Handtasche über die Schulter und machte sich auf den Weg nach draußen.
»Miss Rainwater«, sagte McMichael. »Wo haben Sie das Brennholz besorgt? In welchem Laden?«
»Bei Ralphs auf der Rosecrans Street«, sagte sie ohne sich umzudrehen.
»Haben Sie die Tür verriegelt, als sie losgegangen sind?«
»Ja. Und sie war immer noch verriegelt, als ich zurückkam.«
Sie schauten ihr nach. McMichael konnte seinen Blick nicht von ihrem Hintern abwenden. Perfekt.
Als sie weg war, grinste Hector McMichael an und schüttelte den Kopf. »Und?«
McMichael schaltete seinen Kassettenrekorder ab und ließ das Band zurücklaufen. »Neunzig zu zehn, dass sie’s nicht war. Bisher glaube ich ihr. Wenn sie es getan hätte, hätte sie sich geschnappt, was sie brauchen konnte, und wäre abgehauen. Dann hätte sie uns nicht angerufen.«
»Ich tippe sechzig zu vierzig, dass sie’s war. Sie erschlägt den Alten, packt die Beute in ihren Käfer da draußen, ruft uns an und präsentiert uns ihre Geschichte. Scheißhandschuhe, Mann. Verdammt praktisch. Und sie weiß, wie dieser Knüppel heißt, obwohl sie ihn noch nie angefasst hat? Also wirklich.«
»Sie fährt also gerade mit ihrem Diebesgut auf und davon?«
»Sechzig zu vierzig, dass es so ist«, erwiderte Hector.
»Halt sie an und frag sie, ob du in ihrem Auto nachsehen darfst.«
»Die ist doch nicht blöd, die sagt garantiert nein.«
»Dann sieh zu, dass du vor ihr bei ihr zu Hause bist, und beobachte, was sie auslädt.«
McMichael schaltete seinen Kassettenrekorder ein, schrieb Sally Rainwaters Adresse in sein Notizbuch, riss die Seite heraus und reichte sie Paz.
McMichael benötigte drei Anrufe, um Patricia Hansens Telefonnummer herauszufinden und ihr zu berichten, was mit ihrem Großvater geschehen war. McMichael hatte sie offenbar geweckt, und obwohl ihre Stimme belegt und verschlafen klang, erkannte er sie sofort. Im Hintergrund hörte er ihren Ehemann Garland irgendetwas grummeln. Sie sagte »eine halbe Stunde« und legte auf.
Außer dem fehlenden Gemälde im Flur hatte Detective Barbara Givens in einem Zimmer im ersten Stock noch zwei weitere leere Stellen entdeckt, die von Strahlern nutzlos beleuchtet wurden. Ein weiteres Gemälde fehlte im Esszimmer. Noch eins im Bad im Erdgeschoss.
»Sonst nichts Offensichtliches«, sagte sie. »Wir könnten jemanden gebrauchen, der sich im Haus auskennt.«
»Die Enkelin ist auf dem Weg hierher.«
»Gut. Die Presse drängelt schon. Braga war immerhin eine Lokalgröße.«
»Sag ihnen, noch keine Festnahmen. Ich hab die Krankenschwester nach Hause fahren lassen, Barbara. Halt sie aus deiner Erklärung raus, wenn’s geht.«
»Die wissen bereits, dass sie die Anruferin war«, erwiderte Givens. Sie war stämmig und breitschultrig, hatte kurzes blondes Haar und lebhafte blaue Augen, die häufig bemerkten, was anderen entging. McMichael fand, dass sie Optimismus ausstrahlte, er hatte vollstes Vertrauen zu ihr. »Ihr Wagen sah okay aus von außen. Nichts Auffallendes. Aber ich würde gern einen Blick in den Kofferraum werfen. Außerdem habe ich den Anrufbeantworter in der Küche abgehört. Zwei Anrufe, einer von einer Krankenversicherung mit einem Angebot und einer von einem Mann namens Victor. Kein Nachname, keine Nachricht.«
Victor Braga, dachte McMichael: Petes Sohn. Ein Sechsunddreißigjähriger mit dem Verstand eines Zehnjährigen. Der lebende Beweis für den Hass zwischen den McMichaels und den Bragas.
»Probier’s mal bei den Nachbarn links und rechts, auch bei denen gegenüber«, sagte er.
»Hatte ich sowieso vor. Was hältst du von der Schwester?«
McMichael musste darüber nachdenken. Es gab bei ihr viel zu sehen, aber nicht viel zu schlussfolgern. »Verängstigt, wütend. Ich glaube nicht, dass sie’s war.«
»So würde ich mich auch fühlen. Ob ich ihn erschlagen hätte oder nicht.«
Im Trophäenzimmer sah er zu, wie die Leute des Gerichtsmediziners Pete Bragas Leiche in einen Leichensack verstauten. Einer hüllte eine Plastikfolie um den Kopf des alten Mannes, damit keine Hirnmasse und keine Knochensplitter auf den Boden rutschen konnten. McMichael spürte Galle im Hals und Ekel im Herzen. Gleichzeitig konnte er nicht leugnen, dass er Genugtuung empfand, was er Pater Shea jedoch garantiert nicht beichten würde.
Weil Pete Braga im Sommer 1952 McMichaels Großvater Franklin McMichael erschossen hatte.
Weil Pete Braga behauptet hatte, es sei Notwehr gewesen, und weil der Bezirksstaatsanwalt keine Anklage erhoben hatte.
Weil es nach McMichaels Auffassung für Mord keine Vergebung gab und man am Ende immer dafür bezahlen musste, ein Grund, warum er Polizist geworden war.
Um zwölf Uhr vierzig stürmte Patricia Hansen in einem Regenmantel mit roter Kapuze durch die Hauseingangstür, dicht gefolgt von Garland. Sie fluchte über einen Officer vor der Tür, schüttelte ihren Regenmantel ab und hängte ihn an die Garderobe neben der Tür, während ihr Ehemann mit den Regenschirmen kämpfte.
McMichael hatte sie während der vergangenen zwanzig Jahre ganze acht Mal gesehen, und das auch nur deshalb, weil sie in derselben Stadt lebten.
»Verdammt, Tommy, ich freue mich zwar nicht, dich zu sehen, aber es ist gut, dass du da bist.«
Wie immer verwirrte ihn Patricia Braga und er rang sich ein Nicken ab. »Tut mir leid, das hier.«
»Wo ist er?«
»Man hat ihn ins Leichenhaus gebracht.«
Patricia biss sich auf die Unterlippe, und einen kurzen Augenblick lang sah sie in ihrem zu großen Norwegerpullover, ihren Jeans, den pelzbesetzten Gummistiefeln und dem wilden dunklen Haarschopf wieder so aus wie das Mädchen, das er in der fünften Klasse angestarrt hatte, seine erste Begegnung mit dem weiblichen Geschlecht.
McMichael reichte Garland die Hand und führte die Eheleute in Grandpa Bragas Esszimmer. Er ließ sie an dem Tisch Platz nehmen, an dem er mit Sally Rainwater gesessen hatte, aber am gegenüberliegenden Ende, um die Fingerabdrücke nicht zu verwischen, die Sally an ihrem Stuhl und auf der polierten Tischfläche hinterlassen hatte.
Einiges von dem, was ihm Sally Rainwater gesagt hatte, erzählte er den Hansens, aber nicht alles. Den Mann – den mutmaßlichen Mann –, der über den Strand in das aufkommende Gewitter gerannt war, ließ er weg, denn er wollte die unvoreingenommene Meinung der Hansens über die Dienste der privaten Pflegerin hören.
»Was wisst ihr über die Haushälterin?«, fragte McMichael.
»Ich habe sie noch nie gemocht«, erwiderte Garland. »Pete hatte eine Anzeige in der Union-Tribune aufgegeben, er meinte, ein halbes Dutzend hätten sich vorgestellt.«
Garland Hansen war ein großer, schlanker Mann mit kantigen Gesichtszügen und harten blauen Augen. Sein nordisch weißes Haar trug er kurz geschnitten und glatt nach hinten gekämmt. Er war achtundvierzig, zehn Jahre älter als seine Frau und McMichael, ein Buchhalter und ehemaliger Segler beim US-America s Cup. Jetzt hatte er eine Position in der mittleren Führungsetage eines Einzelhandel-Imperiums inne, das unter dem Namen Shred! Sportartikel für Winter- und Wassersport vertrieb, aber in Schwierigkeiten steckte.
»Wahrscheinlich war sie die Hübscheste von allen, die sich beworben haben«, meinte Patricia.
Garland zuckte mit den Achseln, als hätte er keine Ahnung.
»Hat er ihren Lebenslauf überprüft?«, fragte McMichael.
»Na klar«, erwiderte Garland. »Ihre Referenzen waren ziemlich gut. Vermutlich finanziert sie ihr Studium selbst, Universität San Diego. Sie möchte Chirurgin werden. Pat und ich haben uns gedacht, wenn sie das kann, dann kann sie auch mit Pete umgehen.«
»Mit ihm umgehen?«
Garland warf Patricia einen Blick zu, die wortlose Verständigung verheirateter Paare.
»Er war schon mehrmals gestürzt«, antwortete sie. »Seine Augen wurden immer schlechter. Er fuhr weiterhin Auto ohne Führerschein und eure Jungs haben ihn immer wieder erwischt. Er hatte keine Lust, zu kochen und aufzuräumen. Außerdem war er einsam. Drei Kinder – eins davon schwachsinnig, wie du dich vielleicht erinnerst, und zwei, die weit weg leben. Sechs Enkel, mich eingeschlossen, aber sie lassen sich nur blicken, wenn sie Geld wollen.«
»Was hat er ihr gezahlt?«
»Ich glaube, fünfhundert die Woche«, sagte Garland.
»Hat sie ihn umgebracht?«, fragte Patricia. Ihre Stimme zitterte und sie sprach etwas lauter, das erste Bröckeln ihrer harten Fassade, dachte McMichael.
»Ich weiß es nicht.«
»Aber sie ist doch verhaftet?«, fragte Garland.
»Nein.«
»Sie haben sie doch nicht einfach laufen lassen, oder?«
»Sie ist weggefahren.«
Garland sah seine Frau an.
»Das ist doch echt ein Witz.« Garland stand auf und fixierte McMichael mit seinen kühlen Augen. »Pete Braga wird ermordet und ein McMichael soll den Fall lösen.«
»Halt dich zurück«, sagte Patricia.
»Ich fürchte, das ist genau das, was er tun wird«, erwiderte Garland.
»Mr und Mrs Hansen«, sagte McMichael. »Begleiten Sie mich bitte durchs Haus und helfen Sie mir festzustellen, was außer einigen Gemälden gestohlen wurde.«
Eine Stunde später stand auf McMichaels in ordentlichen Druckbuchstaben geschriebener Liste:
5 Ölgemälde von Malern des 19. Jahrhunderts – im Wert von je 10 000 bis 30 000 $ (Flur, Schlafzimmer im ersten Stock, Esszimmer, Bad im Erdgeschoss)
eine chinesische Vase, 18. Jahrhundert – 5 000 $ (Fernsehzimmer)
4 signierte Bücher von Joseph Conrad – jedes 5 000 $ (alle Bücher aus der Bibliothek im ersten Stock)
signierte Baseballhandschuhe: Ruth, Gehrig, Hodges, Williams, Mays, Mantle, Koufax, Rose, Gwynn etc. – jeder 1000 bis 3000 $ (Büro erster Stock)
ein präparierter Fisch (klein bis mittel) – 100 $???! (Trophäenzimmer).
Gegenstände bezeichnet und Wert geschätzt von Patricia und Garland; Zeugen konnten keine eindeutige Auskunft geben über Künstlernamen, Buchtitel, Baseballspieler, Art des Fisches.
Eine interessante Liste, dachte McMichael. Und fast ebenso interessant waren die Dinge, die nicht gestohlen worden waren: 245 Dollar Bargeld in Pete Bragas Brieftasche auf dem Nachttisch, eine sehr teure Uhr, eine Schachtel voller Schmuck in der obersten Schublade von Anna Bragas Kommode.
McMichael stand wieder im Schlafzimmer und sah zu, wie der Regen auf die hintere Veranda prasselte, eine große hölzerne Plattform, umgeben von einem hüfthohen Geländer als Sichtschutz, aber nach oben hin offen. Er erinnerte sich daran, dass Pete vor Jahren gern da draußen geschlafen hatte. Er erinnerte sich auch an den offenen Kamin. Er erinnerte sich an die Brise aus der Bucht, die einem die Haut nach der Liebe kühlte, und an das Feuer, das einen anschließend wieder erwärmte, und an den schwachen Geschmack nach Salz und Holzrauch auf Patricia Bragas Hals.
»Auf der Veranda habe ich als Kind schöne Stunden verlebt«, sagte sie.
Garland sah hinaus, dann zu seiner Frau.
»Sieht kalt aus.«
»Grandpa hat im Sommer fast jede Nacht da draußen geschlafen. Früher jedenfalls.«
Garland schüttelte den Kopf. Ob über Petes Schlafgewohnheiten oder über Patricia, war für McMichael nicht ersichtlich.
»Gibt es einen Safe?«, fragte McMichael.
»In der Bibliothek«, sagte Patricia.
»Kennen Sie die Kombination?«
»Er hat sie mir nach Annas Tod genannt.«
Die Bibliothek war ein klassisches Herrenzimmer – Bücherregale aus Walnussholz bis an die Decke, Leitern, um an die Bände heranzukommen, mit Nussholz getäfelte Wände, schwere Möbel und moosgrüner Teppichboden. Es gab einen offenen Kamin und einen begehbaren Humidor hinter Glastüren.
McMichael betrat den Humidor, roch den scharfen süßen Duff von Tabak und Zedernholz und spürte die feuchte Luft im Gesicht. Der Raum war etwa so groß wie ein Wandschrank, mit Regalen an zwei Seiten und einem in eine Wand eingebauten Luftbefeuchter. McMichael begutachtete Pete Bragas Vorräte: meist kubanische Maduros – Romeo & Julieta, Partagas und Rey del Mundo. Aber auch vereinzelte dominikanische Exemplare und zwei Holzkistchen mit der Aufschrift Libertados, die McMichael sehr gut kannte, da seine Schwester den Zigarrensalon im Gaslamp Quarter von San Diego besaß, in dem sie hergestellt wurden. Er fragte sich, ob der alte Herr sich die Zigarren persönlich dort gekauft hatte. Und ob er gewusst hatte, dass sein Geld an ein Mitglied der Familie McMichael gegangen war. Es handelte sich um Pyramid-Zigarren Nr. 7 mit dunkelbraunen Deckblättern.
Der Bodensafe war versteckt unter einer braunen, mit Messingnägeln versehenen Ledercouch. Patricia kniete sich hin und drehte am Zahlenrad.
»Ich habe keine Ahnung, was sich da drin befindet«, sagte sie. »Ich hatte noch nie einen Grund, ihn zu öffnen.«
McMichael kniete sich neben sie. Es war ein zylinderförmiger Safe mit einem Durchmesser von fünfundzwanzig Zentimetern und dreißig Zentimetern Tiefe.
»Nur zu«, sagte er.
Patricia langte hinein und holte eine Hand voll kleiner Schachteln hervor, die sie auf den Teppich legte. Es kamen noch weitere Schachteln zum Vorschein, schwarze, rote, braune und weiße. Sie öffnete sie und reihte sie vor McMichael auf.
»Alles von Grandma Anna«, sagte Patricia. »Jedenfalls kein Modeschmuck. «
McMichael sah zu, wie sie zärtlich mit der Hand über die Edelsteine und das Gold und Silber fuhr. Die dunkle Hautfarbe ihrer Hände hatte er schon immer gemocht, vor allem den Übergang zwischen der dunkleren Oberseite und der etwas helleren Unterseite. Ihre Hände waren jetzt achtunddreißig Jahre alt, schmaler und kräftiger als damals.
»Sie besaß noch ein Paar Diamantohrringe, die fehlen«, sagte sie. »Große Stücke von zwei Karat, die Grandpa aus Südafrika mitgebracht hat. Aber dafür wird es sicherlich eine Erklärung geben. Ich meine – wenn jemand sie gestohlen hätte, hätte er das alles auch mitgenommen. Wenn er überhaupt hier dran war. Stimmt’s?«
»Fehlt sonst noch was?«, fragte McMichael.
Patricia seufzte, hob eine Perlenkette auf und legte sie zurück ins Etui.
»Es gibt eine Kolibri-Art namens Annas Kolibri und Großvater hat extra einen für sie anfertigen lassen«, erwiderte Patricia. »In Lebensgröße auf einem Sockel. Er hatte die Flügel ausgebreitet, als würde er fliegen. Nur dass die Federn aus Edelsteinen bestanden. Er war wunderschön, mit roten Rubinen an der Kehle und im Nacken. Smaragde und Diamanten. Der Himmel weiß, was er dafür bezahlt hat. Das muss so fünfundsiebzig, sechsundsiebzig gewesen sein. Er ist nicht da.
Ich habe ihn auch sonst nirgendwo gesehen. Den solltest du vielleicht auch auf die Liste setzen.«
»Ich fasse es nicht!«, sagte Garland. »Was brauchen Sie denn noch, um diese so genannte Pflegerin zu verhaften? Sie ist blutverschmiert und ein Haufen Wertgegenstände fehlen.«
McMichael unterdrückte das Bedürfnis, Garland eins überzubraten.
»Hat Pete ein Testament verfasst?«
»Natürlich. Am besten sprichst du mit Hank Grothke.«
»Junior oder Senior?«
»Ich glaube, Junior ist für das Testament zuständig«, erwiderte Patricia.
Garland seufzte, als hätte er genug gehört. »Also, Detective. Irgendwer hat ihn beklaut. Irgendwer hat ihn umgebracht. Ich wette, es war die Krankenschwester.«
»Ist registriert«, antwortete McMichael.
Patricia musterte ihn mit ihren ruhigen dunklen Augen.
»Grandpa hat ihr Sachen geschenkt«, sagte sie.
»Was für Sachen?«
»Gemälde und Schmuck, nehme ich an. Ich bin mir nicht sicher, aber er hat uns oft genug zu verstehen gegeben, wie begeistert er von ihr war.«
»Vielleicht hat er ihr ja die diamantenen Ohrringe und den Kolibri geschenkt«, wandte McMichael ein.
»Nein«, erwiderte Patricia. »Diese Dinge hätte er nie weggegeben. Diese Dinge gehörten zu Anna.«
»Diese Schwester oder was sie war hat ihn nach Strich und Faden verarscht, Detective«, bemerkte Garland.
»Gehen Sie jetzt«, sagte McMichael knapp. »Tragen Sie sich auf dem Weg nach draußen ins Zutrittsbuch ein.«
Er stand im Trophäenzimmer hinter den Ledersesseln vor dem Kamin und nahm die Einzelheiten in sich auf. Erik stäubte gerade den Griff der Glasschiebetür mit Puder ein, um Fingerabdrücke zu nehmen. Überall befanden sich gelbe Aufkleber, die entsprechend der Anzahl der vermuteten Fingerabdrücke durchnummeriert waren. Außerdem rosafarbene, mit denen die Weingläser bezeichnet wurden, die später geleert und verpackt würden, um sie in der Cyanoacrylatkammer im Labor untersuchen zu lassen. Proben von dem Wein würden ebenfalls ins Labor geschafft werden, wo Flaglers Leute sie kriminaltechnisch untersuchen würden.
Harley stand über die Keule gebeugt, die aus der Blutlache gefischt und auf ein Stück lichtundurchlässiges Plastik gelegt worden war.
»Das muss bedampft werden«, sagte er. »Ich kann die Fingerabdrücke regelrecht spüren. Flagler wird die Haare und die Hirnpartikel und alles, was sonst noch daran klebt, benötigen. Hier ist das Foto vom Brennholz.«
Er zog ein Polaroidfoto aus der Tasche und reichte es dem Detective.
»Gut«, sagte McMichael und betrachtete eine Topfpflanze, die in der gegenüberliegenden Ecke des Raums an der Wand hing. Selbst von weitem sah man, dass sie aus Plastik war. Der Tontopf steckte auf einem kitschigen hölzernen Wandhalter. Das Oberteil des Wandhalters war herzförmig, verziert mit etwas, das aussah wie ein von Kinderhand gemalter Spruch. Ein Geschenk von einem Kind oder Enkel, dachte McMichael – irgendetwas, das mittlerweile für niemanden mehr irgendeine Bedeutung hatte.
»Jaaa!«, sagte Erik und trat einen Schritt von der Schiebetür zurück. »Fette Fingerabdrücke auf dem Griff hier, und für mich sieht das aus wie Blut. Damit kriegen wir den Stümper.«
McMichael trat auf die Trophäenwand zu. Er betrachtete den Nagel, an dem die Keule möglicherweise gehangen hatte, und bemerkte das schwarze Fingerabdruckpulver und das gelbe Schild. Er zählte zweiundzwanzig Trophäen, ohne den fehlenden Fisch, an dessen Stelle sich jetzt ein leerer Fleck und ein Loch in der Wand befanden. Warum würde jemand einen präparierten Fisch stehlen? Aus der Nähe fiel ihm die Öffnung eines roten Plastikdübels auf, der in der Wand steckte. Hier musste etwas Kleines gehangen haben, nach der Größe des Flecks und dem einzelnen Schraubloch zu urteilen.
Er warf noch einen Blick auf die kitschige Topfpflanze, dann trat er an die beiden riesigen Aquarien. Die tropischen Fische huschten und wirbelten durch das blaue Wasser und drehten ihre Runden zwischen den Muscheln und Gräsern. Es gab ein hellgelb leuchtendes Felsengewölbe und rote Korallen, sogar einen dekorativen Anker. Ein braun-schwarzer Lippfisch mit feinen, leuchtend blauen Streifen glitt vorüber. Einsiedlerkrebse mit unglaublich schönen Schneckenhäusern flitzten durch das Wasser und wedelten mit ihren Fühlern.
Die Fische zuckten, als ein Blitz die Nacht erhellte.
Er liebte sein Meer, dachte McMichael. Und seinen Baseball. Und seine Fords und seine Politik und seine Macht. Und so einer wurde von einem Dieb wegen ein paar Gemälden und Baseballhandschuhen und Büchern erschlagen? Für wie viel kann ein kleiner Gauner solche Dinge loswerden? Für zwei Cents pro Dollar? Der Täter hätte Bragas Code für das Tor zur Einfahrt kennen, die Beute in seinen Wagen laden und verschwinden müssen, bevor die Pflegerin mit dem Brennholz zurückkam. Eine solche Art von Raub passte nicht in die Szenerie.
Also blieb nur der Mann übrig, der aus dem Trophäenzimmer gerannt war. Oder Sally Rainwater. Oder vielleicht ein Team, wobei Sally während der tödlichen vierzig Minuten praktischerweise verschwunden war und der, der angeblich über den Strand das Weite gesucht hatte, nicht zu Fuß, sondern mit einem Van geflohen war. Er ist über die Mauer verschwunden.
Er schaute noch einmal zu der Plastikpflanze hinüber. Sie war zu einem Hirnstachel geworden, wie McMichael etwas nannte, das sich ohne sein eigenes Zutun im Kopf festsetzte, einen fortwährend beschäftigte und das man nicht mehr loswurde. Meistens waren solche Dinge harmlos und nur ein bisschen nervig, wie die Namen von Schauspielern, an die man sich nicht erinnerte, wie Fetzen von Popsongs, bei denen man nie genau zugehört hatte, wie die Namen von Trainern, die man keiner Sportart zuordnen konnte. Wie irgendein blödsinniger Hit, der zum Ohrwurm wurde und einen tagelang verfolgte – so etwas war ein Hirnstachel.
McMichael hielt es nicht länger aus und trat näher an die Pflanze heran. Es war tatsächlich ein Plastikefeu. Auch der Topf war aus Plastik; selbst das Herz am Oberteil der Halterung war aus Plastik, das wie bemaltes Holz aussehen sollte. Die kindliche Aufschrift lautete:
EINE GLÜCKLICHE PFLANZE
IST EIN LÄCHELN
VOM HIMMEL!
Das Geschenk eines Enkelkinds, dachte McMichael, während er mit der Fingerspitze über die bemalten reliefartigen Buchstaben fuhr, bis er das schmale, nach außen gewölbte Zentrum des O in VOM ertastete.
Sieh mal einer an. Glück muss der Mensch haben, dachte McMichael.
Vorsichtig zog er an dem Wandhalter. Erst spürte er Widerstand, dann ein kurzes Klicken und schließlich klappte der Kasten an zwei Scharnieren auf. In dem Kasten war mit Hilfe von zwei Klammern eine Videokamera befestigt, deren Gehäuse in ein rechteckiges Loch in der Wand passte. Die Linse befand sich auf der Höhe des ausgeschnittenen Zentrums des Buchstaben O. Für das Mikrofon existierte ein eigenes Loch, das sich hinter einer Rundung des Blumentopfs verbarg. Von der »Aufnahme«-Taste des Rekorders führte ein Kabel zu einem unter der Kamera angebrachten kleinen Bewegungsmelder, dessen Sensor teilweise hinter den Blättern der Plastikpflanze versteckt war. Schließlich gab es noch ein Stromkabel, das in dem Loch in der Wand verschwand.
»He, seht euch das mal an.«
Die Tatortspezialisten versammelten sich hinter McMichael. Er öffnete den Wandhalter mit der versteckten Kamera, schloss ihn und öffnete ihn wieder.
Harley konnte nicht fassen, dass er ihn übersehen hatte. Erik wollte wissen, woran man denn merke, ob eine Pflanze wirklich glücklich sei.
McMichael war ziemlich enttäuscht, als er feststellte, dass sich keine Filmkassette in der Kamera befand.
»Ist das nun Glück, Zufall oder Vorsehung?«, bemerkte Erik.
Als guter Katholik zog McMichael zwei von den dreien in Betracht. Er fragte sich ebenfalls, wo die Bänder waren.
»Dieser Tatort erinnert mich an einen ähnlichen Fall, den wir vor zwei Jahren mal hatten«, sagte Harley. »Applethorpe oder so ähnlich. Kannst du dich noch an diesen älteren Mann in Hillcrest erinnern, Tom?«
»Der Fall ist immer noch nicht abgeschlossen. Team eins war da dran.«
»Ungewöhnliche Vorgehensweise.«
McMichaels Handy vibrierte.
»Ich bin am Imperial Beach«, sagte Hector. »Vor einer Kneipe namens Ye Olde Plank. Dieses kleine Fernglas ist echt Spitze. Ich kann beinahe die Armbanduhr des Barkeepers ablesen. Die nehmen gerade die letzte Bestellung an.«
»Wo ist die Pflegerin?«
»Sitzt auf dem drittletzten Hocker am Tresen und säuft, was das Zeug hält. Redet dauernd in ihr Handy. In weniger als einer Stunde hat sie drei Anrufe gemacht und fünf Greyhounds gekippt. Jedenfalls sahen die Cocktails aus wie Greyhounds.«
»Ist sie auf direktem Wege dahin gefahren?«
»Nein, nein. Zuerst nach Hause, dann hierher.«
»Hat sie Diebesgut aus dem Wagen geschafft?«
»Nur ihre Handtasche. Aber jetzt kommt’s: Ich hab mich auf ihre Veranda geschlichen und durch die Jalousien gespäht, um zu sehen, wie es ihr geht. Sie saß auf dem Sofa. Und über dem Sofa hängt ein Gemälde wie die bei Pete. Ein altes Schiff im Sturm. Der gleiche vergoldete Rahmen. Das Letzte, was sich so eine Mieze normalerweise in ihre Wohnung hängen würde.«
»Laut Patricia fehlen fünf Gemälde von Petes Wänden«, erwiderte McMichael. »Außerdem meinte sie, er hätte der Pflegerin Sachen geschenkt.«
»Sieht so aus, als hätte die gute Sally mindestens eins von seinen Gemälden.«
»Was hat sie gemacht, als sie zu Hause war?«
»Geheult.«
»Wir werden morgen an ihre Tür klopfen und um eine Hausführung bitten«, sagte McMichael.
»Die wird uns auflaufen lassen. Wir sollten es frühmorgens versuchen, wenn sie unvorbereitet und verkatert ist.«
»Ich muss um acht zur Internen.«
Hector schwieg einen Augenblick. »Na, dann viel Glück. Das hatte ich schon ganz vergessen.«
»Das täte ich am liebsten auch.«
Um einen Termin bei der Abteilung für innere Angelegenheiten, kurz Interne oder Innere, riss sich kein Polizist in San Diego. Vor allem wenn er seinen Job liebte und sich vorstellte, es eines Tages zum Captain zu bringen. Vor allem wenn er mit Jimmy Thigpen beim Drogen/Sitten-Dezernat zusammengearbeitet hatte, noch bevor Jimmy in einem sehr teuren Hotelzimmer mit einer großen Tasche voller Marihuana und 324 000 Dollar in bar bei einer Prostituierten erwischt worden war. Die Prostituierte war Polizistin und hatte als Lockvogel fungiert.
»Vielleicht kannst du feststellen, ob Miss Sally schon mal aufgefallen ist, während sie mich wegen Jimmy durch den Wolf drehen.«
»Wird mir ein Vergnügen sein.«
Zur Anhörung bei der Abteilung für innere Angelegenheiten erschien McMichael nach drei Stunden Schlaf und einer halben Kanne Kaffee. Müdigkeit strapazierte seine Geduld gegenüber Männern und Frauen, für die er ohnehin nicht viel übrig hatte. Für ihn waren sie Polizisten, die sich für etwas Besseres als Polizisten hielten. Und die Innere war in seinen Augen eine Brutstätte für Ehrgeiz, Selbstgerechtigkeit und Machtbesessenheit, in der man die Karriere von Freunden schützen und die von verhassten Kollegen zerstören konnte.
McMichael saß am Ende eines langen Tisches in einem Konferenzzimmer des Departments. Keine Fenster. An seinem Platz standen eine Plastikkanne mit Wasser und ein Glas. Am anderen Ende des Tisches, lächerlich weit weg, saßen der stellvertretende Leiter Jerry Bland, der Internen-Chef Lieutenant Mitch Huzara und seine Spezialermittlerin, Sergeant Andrea Robb. Auf dem Tisch vor ihr lag McMichaels Akte. Obenauf ein gelber Notizblock.
McMichael verschränkte die Hände auf dem Tisch, betrachtete seine Knöchel und dachte über Sally Rainwater nach. Er hatte ihr Gesicht im Traum gesehen. Und wenn ihre Version stimmte, dass sie nach Hause gekommen war und versucht hatte, den alten Mann wiederzubeleben? Dieser Version gab er keine große Chance, denn die menschliche Natur sorgte viel zu oft für unangenehme Überraschungen.
Bland und Huzara begrüßten ihn. Andrea Robb stellte wortlos ein Mikrofon auf, sah zu ihm hinüber, um den Einstellwinkel richtig zu treffen. Dann fingerte sie an den Knöpfen des Aufnahmegeräts herum.
Auf dem Weg die Leiter hoch, dachte er: die Akten griffbereit, Scheuklappen aufgesetzt, bereit, ihre Gegner zu vernichten. Was war nur aus der Vorstellung geworden, dass die Cops Gauner schnappten, anstatt sich gegenseitig in die Pfanne zu hauen?
»Stimmüberprüfung, McMichael«, sagte Robb. »Sagen Sie etwas.«
»Es ist mir ein Vergnügen, hier zu sein.«
»Nochmal.«
»Es ist ein großes Vergnügen, heute Morgen hier zu sein.«
Sie spulte das Band zurück. »Bestens. Selbst Ihr Sarkasmus ist drauf.«
Sie war groß, rothaarig und sogar attraktiv, auch wenn es ihn wurmte, sich das einzugestehen.
»Dann können wir also anfangen?«, sagte Huzara. Er war schmächtig, hatte einen großen Schädel mit beginnender Glatze und einen grauen Schnurrbart. »Sergeant McMichael, nur um Ihnen zu erklären, wie das hier abläuft: Jerry vertritt das Büro des Leiters, ist aber nicht Mitglied der Abteilung für innere Angelegenheiten. Andrea wird in erster Linie die Fragen stellen, aber auch Jerry und ich schalten uns manchmal ein. Sie werden nicht unter Eid genommen und haben auch keinen Anwalt. Das könnte der nächste Schritt sein. Oder ein Lügendetektor. Um das festzustellen sind wir hier. Dieses Treffen nennt sich Informelle Anhörung zu Tatsachen und genau darum geht es. Nennen Sie uns Fakten, sagen Sie uns die Wahrheit, dann können wir uns wieder den wichtigen Dingen des Lebens zuwenden. Verstanden?«
»Verstanden.«
Andrea Robb schaltete das Gerät ein und stellte Datum, Uhrzeit, Teilnehmer und Zweck der Versammlung fest.
»Sergeant McMichael«, fuhr sie anschließend fort, »Sie haben zwischen neunzehnhundertneunundachtzig und zweitausendeins in unserem Drogen/Sitten-Dezernat gearbeitet, stimmt das?«
»Das ist richtig.«
»Und James Thigpen war in dieser Zeit wie viele Jahre bei diesem Dezernat?«
»Während der ganzen Zeit.«
»Haben Sie direkt mit ihm zusammengearbeitet?«
»Ja, es ist ein kleines Dezernat.«
»Welche Meinung hatten Sie von ihm?«, fragte sie weiter.
»Intelligent. Voller Energie. Vertrauenswürdig.«
»Und sonst?«
»Ich habe mir manchmal Sorgen gemacht, weil er jung war und verdeckt ermittelt hat. Das sahen alle so.«
»Sie und Officer Thigpen haben einen Sommer lang bei einer Callgirl-Operation zusammengearbeitet, nicht wahr? Das Kongresszentrum und die Hotels der Innenstadt waren das Einsatzgebiet der Frauen.«
»Ja. Wir hatten zehn Festnahmen zu verzeichnen. Das hatte sich herumgesprochen, danach herrschte eine Weile Ruhe.«
»Sie und Thigpen haben zehn Festnahmen durchgeführt?«, fragte Robb.
»Wir haben zusammengearbeitet. Er hat meistens die Kontakte hergestellt. Sobald es dann so weit war, kam ich mit den Handschellen aus dem Nebenzimmer.«
»Hört sich ja nach amüsanter Polizeiarbeit an.«
»Es war eigentlich eher erniedrigend für alle Beteiligten.«
»Um den Ruf des Dezernats haben Sie sich keine Sorgen gemacht?«, fragte sie.
»Eigentlich nicht.«
»Und Thigpen?«
McMichael goss sich Wasser ein und trank einen Schluck. Über diese Frage dachte er seit vier Wochen, seit der Verhaftung von Jimmy Thigpen, fast täglich nach. Chief Kerr, der stinksauer über die Verhaftung gewesen war, hatte allen Mitarbeitern einen Maulkorb verpasst, daher wurde in der Dienststelle in der Fourteenth Street nicht viel über Jimmy Thigpen gesprochen. Aber in den Kneipen, in denen Polizisten verkehrten, wurde über nichts anderes geredet – wo er das Geld herhatte, wer vielleicht sonst noch mit von der Partie gewesen war. Jimmys Anwälte und das Büro des Bezirksstaatsanwalts verhandelten schon seit gut zwei Wochen miteinander. Es ging das Gerücht, dass einige Köpfe – Köpfe von Polizisten – rollen würden. Wegen Fluchtgefahr hatte man Thigpen nicht gegen Kaution freigelassen.
Und so waren alle Augen auf das Drogen/Sitten-Dezernat – das frühere und das jetzige – gerichtet und McMichael fühlte sich in der Falle. Er konnte nicht für Jimmy Partei ergreifen, denn für den sah es ziemlich übel aus. Andererseits konnte er nicht zu lauthals Jimmys Kopf fordern, weil das so aussähe, als wollte er nur seinen eigenen retten.
Also blieb er bei der Wahrheit.
»Jimmy hing an seiner Arbeit.«
»Worauf stützt sich diese Meinung?«, fragte Andrea Robb, den Stift bereit.
»Viele Überstunden. Große Einsatzbereitschaft. Kleinigkeiten, verstehen Sie? Zum Beispiel hat er seinen eigenen Wagen benutzt statt eines unserer Zivilfahrzeuge, um zu verhindern, dass die Mädchen Lunte rochen. Oder wenn wir jemanden abgehört haben, hat er die Verkabelung vorgenommen und alles mehrfach überprüft. Er war unser Elektronikspezialist, wenn er im Hintergrund gearbeitet hat. Er hat seinen ganzen Stolz hineingelegt, die Kabel gut zu verbergen und dennoch einen guten Empfang zu bekommen. Man merkt einfach, wenn jemand seine Arbeit gern macht.«
Robb sah ihn zweifelnd an. »Und wenn er verdeckt ermittelt hat? Hat er da dieselbe Einsatzbereitschaft an den Tag gelegt?«
»Ja. Er hat den jungen, unbedarften Freier gespielt wie den verzweifelten Junkie oder den Yuppie, wenn er im Außeneinsatz war.«
»Und hat er die Rollen gut gespielt?«, fragte sie.
»Jimmy ist nur einmal aufgeflogen. Das war in seinem ersten Jahr.«
»Ist Ihnen in den letzten Monaten an ihm eine Veränderung aufgefallen?«
Mit dieser Frage hatte McMichael gerechnet. Damit wanderte ihr Augenmerk von Thigpen zu ihm.
»Nein.«
»Rein gar nichts bis zu jener Nacht, als das Undercover-Team des Sheriffs ihn in der Suite im Hyatt hat hochgehen lassen?«, fragte Robb mit mehr als einem leisen Zweifel in der Stimme.
»Nein.«
McMichael beobachtete die hochgezogenen Augenbrauen, die zweifelnden Blicke, das Kopfschütteln.
Ihr könnt mich allemal, dachte er, wenn ihr die Wahrheit nicht ertragen könnt.
»Der neue Porsche hat Sie also nicht stutzig gemacht?«, fragte Huzara.
»Den habe ich nie zu Gesicht gekriegt.«
»Und Thigpens Reisen nach Maui und Aspen und Key West?«
»Ich hatte keine Ahnung, wo er hinfuhr. Er hat mir nie etwas gesagt.«
»Und was ist mit seinen Nebenjobs für Pete Braga?«, wollte Huzara wissen.
McMichael konnte es nicht ausstehen, kalt erwischt zu werden. »Davon wusste ich nichts. Sagen Sie’s mir.«
»Also«, erwiderte Huzara, »Jimmy hat neue Autos runter nach Tijuana gefahren, dort wurden die Wagen mit Billigleder ausgestattet. Dann hat er sie wieder zurückgebracht. Auf diese Weise hat Pete eine Menge Geld gespart. Und Thigpen hat bestimmt nicht schlecht dabei verdient.«
McMichael dachte darüber nach, konnte aber keinen Zusammenhang zu den Ereignissen der vergangenen Nacht entdecken.
»Andererseits bringt einem ein Nebenjob keine dreihunderttausend in bar ein«, sagte Robb.
McMichael lehnte sich zurück und wartete ab.
»Okay«, schaltete sich Huzara ein. »Thigpen hat also nie über irgendetwas gesprochen – hat Sie das nicht stutzig gemacht? Die meisten Leute würden mit Begeisterung von ihrem neuen Wagen, von ihrem Urlaub oder ihrem nebenbei verdienten Geld erzählen.«
»Er war sehr verschlossen. Ich hätte nie einen 60 000-Dollar-Wagen in seiner Garage vermutet oder diese Reisen, die Sie erwähnt haben. Oder dass er für Braga gearbeitet hat. Er ist ein guter Schauspieler. Deshalb haben Sie ihn ja auch als verdeckten Ermittler eingesetzt, trotz seiner gerade mal einundzwanzig Jahre.«
Jerry Bland lehnte sich zurück. Er war stämmig und rund, ohne fett zu sein, und hatte ein Gesicht wie ein Ochse, der einen auf der Weide anglotzt. McMichael wusste, dass er ein guter Bowlingspieler war. »Also sind wir daran schuld, dass Thigpen auf die schiefe Bahn geraten ist?«
»Darüber maße ich mir kein Urteil an, Sir«, sagte McMichael. »Aber ich weiß, dass er noch grün hinter den Ohren war. Und ich weiß auch, dass er zwar seine sechs Monate auf der Sheriff’s Academy absolviert hatte, aber ansonsten völlig unerfahren war, als wir ihn auf die Welt da draußen losgelassen haben. Weder zwei Monate Gefängnisjob noch Streifendienst. Nichts. An seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag wurde er hinter dem Las Flores Hotel von vier Schlägern aus dem Kartell von Arellano Felix übel zugerichtet. Das war das eine Mal, dass er enttarnt wurde. Wir mussten ein Handtuch benutzen, um seine Lippen von den Vorderzähnen zu lösen.«
»Ja, ja, das wissen wir alles«, erwiderte Huzara und nahm die Brille ab, um sie zu inspizieren.
»Sie haben also keinerlei Veränderung an ihm festgestellt?«, fragte Bland.
»Keine.«
»Tom«, erkundigte sich Bland weiter, »hat Jimmy jemals etwas davon verlauten lassen, dass er irgendwelche Privatgeschäfte mit den Huren laufen hatte – zum Beispiel Drogen oder Geldgeschäfte?«
»Nein, Sir. Kein Wort.«
»Haben Sie vielleicht einmal ein Gespräch mitgehört, in dem er solche Dinge erwähnt hat?«, fragte Andrea Robb.
»Nein.«
»Oder haben Sie irgendjemanden darüber reden hören?«
»Nie.«
»Oder haben Sie mal was über eine kleine Gruppe von Polizisten gehört, die meinten, sie wären was ganz Besonderes, ganz besonders cool?«
»Nur die von der Internen.« Alle mussten grinsen – bis auf Robb.
»Sie sind ein richtiger Spaßvogel, McMichael.«
Es herrschte Schweigen, während Robb ihr Tonbandgerät überprüfte. Bland lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, Huzara starrte McMichael an.
»Ich kann nur hoffen, dass Thigpen nicht die Namen weiterer Polizisten ausspuckt«, sagte Bland. »Dann hätten wir den gleichen Schlamassel wie in L.A.«
»Wir sind hier nicht in L.A.«, sagte Huzara.
McMichael wusste nicht, was er dazu sagen sollte.
»Ich bin vorläufig fertig«, sagte Robb.
»Mir reicht’s auch fürs Erste«, sagte Bland gähnend.
»Mir noch nicht«, sagte Huzara. »Sergeant, gestern Abend habe ich Thigpen gesehen. Er hat mich gebeten, Ihnen einen Gruß auszurichten.«
»Grüßen Sie ihn von mir, wenn Sie ihn wieder sehen.«
»Sie beide sind wohl gut befreundet?«
»Ich sagte Ihnen bereits, dass wir das nicht sind.«
»Und er hat Ihnen wirklich nie etwas über all das Geld und die Drogen erzählt, die er gestohlen hat?«, insistierte Huzara.
»Wie viele Möglichkeiten gibt es, nein zu sagen?«, fragte McMichael.
Robb schaute zu ihm, dann zu ihrem noch laufenden Rekorder, dann wieder zu McMichael. »Sonst noch etwas, Sergeant McMichael?«
»Nichts.«
»Ist Ihnen klar, dass Ihre Aussagen hier bindend sind, wenn nicht sogar Beweiskraft haben?«, fragte Huzara.
»Sie sind lediglich die Wahrheit.«
Robb betätigte einen Knopf und McMichael stand auf. Mehrere Sekunden lang wurden alle vier Polizisten wieder zu Polizisten – McMichael spürte die Veränderung in der Atmosphäre.
»Sie bearbeiten also den Fall Pete Braga?«, fragte Bland. Er machte häufig den Eindruck, als würde er auf etwas herumkauen. Selbst der Flurfunk im Department hatte noch nicht herausgefunden, was es war.
McMichael nickte. »Er war vierundachtzig und saß vor dem Kamin. Ziemlich übler Anblick.«
»Vierundachtzig und immer noch Drahtzieher bei der Port Commission. Macht immer noch Millionen mit dem Verkauf von Autos«, sagte Bland.
»Mehr als dreißig Jahre Politik und Ford«, erwiderte McMichael. »Dass Jimmy für ihn gearbeitet hat, war mir neu.«
»Ich höre so einiges«, sagte Bland. »Sie sind also direkt in altes böses Blut hineingestapft.«
»Das liegt schon lange zurück, Sir.«
»Hört so was wirklich irgendwann auf?« Bland lächelte ihn unschuldig an.
»Manchmal schon.«
»Wie ich höre, ist eine Krankenschwester, die für ihn gearbeitet hat, in die Sache verwickelt«, sagte Huzara.
»Seine Pflegerin. Sie behauptet, sie sei unterwegs gewesen, um Kaminholz zu kaufen, als es passiert ist. Bei Ralphs in der Rosecrans Street. Ich lasse ihr Alibi heute Abend von der Spätschicht überprüfen.«
McMichael ging zur Tür.
»Und wie gefällt Ihnen die Mordkommission im Vergleich zur Sitte?«, fragte Andrea Robb. Sie erhob sich und sah ihm ins Gesicht. Ihre Stimme klang fröhlich und sie schenkte ihm ihr erstes Lächeln. Es war nicht von schlechten Eltern. Der Rest ihrer Erscheinung auch nicht.
»Tote sind ehrlich. Sie können Ihr Tonbandgerät jetzt wirklich abstellen, Andrea.«
Andrea Robb errötete leicht und ihr Lächeln verschwand. Als McMichael auf seinem Weg nach draußen an ihr vorbeiging, senkte sie den Blick und schaltete das Gerät ab.
Kurz darauf holte sie ihn am Aufzug ein und dirigierte ihn in einen leeren Flur. McMichael freute sich schon auf ihre Entschuldigung.
»Detective«, sagte sie, »ich wohne jetzt schon seit zwanzig Jahren in PointLoma, da gibt’s kein Ralphs in der Rosecrans. Das erspart Ihnen vielleicht eine Menge Fahrerei.«
»Danke.«
»In erster Linie bin ich Polizistin, egal wer was anderes denkt.«
»Gut zu wissen.«
Sie nickte und verschwand um die Ecke in Richtung Aufzug. McMichael ließ sie gehen und wählte die Nummer der Anwaltskanzlei Grothke, Steiner & Grothke – Pete Bragas Anwälte.
Auf dem Weg zu Sally Rainwaters Haus bog Hector auf die Interstate 5 ein, um eine Abkürzung in Richtung Süden zu nehmen. Die zweite Gewitterfront war der ersten unmittelbar gefolgt und die Innenstadt ging mittlerweile in einem prasselnden grauen Sturzbach unter. Die Scheibenwischer bewältigten kaum die Wassermassen. McMichael hörte die Räder durch das Wasser rauschen, das Dröhnen auf dem Dach und das Kreischen von Metall, als ein Minivan unachtsam gegen die Leitplanke schlidderte.
Hector beendete seinen mündlichen Bericht über die Ausbeute der vergangenen Nacht – ein paar hübsche Blondinen, die in der Sevilla-Bar auf der Suche nach Liebe gewesen waren. Er hatte immerhin eine Telefonnummer erbeutet, ehe der Captain anrief. »Wie war’s bei den Internen?«
»Sie können nicht begreifen, wieso ich es nicht habe kommen sehen.«
»Vielleicht weil Jimmy ein gerissener kleiner Ganove ist. Sie schicken so einen Grünschnabel ins Feld, setzen ihn auf Drogen und Mädchen an, und dann wundern sie sich, wenn’s schief geht. Irgendeinem müssen sie ja die Schuld in die Schuhe schieben. Bland Jerry – er wird dich aufs Korn nehmen.«
»Was ist bei der Überprüfung rausgekommen?«
