Feuerwerk mit Todesfolge - Robin Stevens - E-Book

Feuerwerk mit Todesfolge E-Book

Robin Stevens

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Beschreibung

Ein neues Schuljahr beginnt in Deepdean, und nichts ist so wie vorher: Die neue Schulsprecherin Elizabeth Hurst und fünf Aufsichtsschülerinnen verbreiten Furcht und Schrecken unter den jüngeren Mädchen. Doch in der Bonfire Night wird Elizabeth plötzlich tot auf dem Hockeyfeld gefunden. Hazel und Daisy ist schnell klar: Das war kein Unfall, und der Mord muss von einer der Schülerinnen begangen worden sein. Viele Mädchen in Deepdean hätten ein Motiv gehabt, Elizabeth zu hassen, doch welche spielt hier ein falsches Spiel? Könnte der Mord mit den vielen verratenen Geheimnissen zusammenhängen, die auf kleinen Zetteln in der Schule die Runde machen? Die Detektei Wells & Wong nimmt ihre Ermittlungen auf und muss viele Hindernisse aus dem Weg schaffen – nicht zuletzt einen Streit, der ihre eigene Freundschaft auf die Probe stellt …

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Seitenzahl: 330

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Titel der Originalausgabe: Jolly Foul Play

Erschienen bei Random House Children’s Publisher UK,

a division of The Random House Group Limited.

Copyright Text © 2016 Robin Stevens

Published by Arrangement with Robin Stevens

Copyright Gestaltung © 2016 Nina Tara Design

Diese Ausgabe wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

4. Auflage 2021

Deutsche Erstausgabe

Copyright © 2018 Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, München

Ein Unternehmen der Média-Participations

Umschlagadaption: Leonore Höfer, Knesebeck Verlag

Übersetzung: Nadine Mannchen, Helmbrechts

Lektorat: Theresa Scholz, Knesebeck Verlag

Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

Herstellung: Arnold & Domnick, Leipzig

in Latvia

eISBN 978-3-95728-598-0

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise.

www.knesebeck-verlag.de

Für meine Eltern.Eigentlich ist alles, was ich schreibe, für euch –vor allem dieses Buch.

Inhalt

TEIL EINS: FLIEGENDE FUNKEN

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

TEIL ZWEI: STÄNDIGE WACHSAMKEIT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

TEIL DREI: DAS BUCH DER SKANDALE

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

TEIL VIER: DETEKTEI IN GEFAHR

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

TEIL FÜNF ENTFÜHRT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

TEIL SECHS: HOLMES & WATSON

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

TEIL SIEBEN: DETEKTEI WELLS & WONG IST DER HELD DES TAGES

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

DAISYS DEEPDEAN-FÜHRER

DANKSAGUNG

Feuerwerk mit Todesfolge

Ein Bericht über

den »Mordfall Elizabeth Hurst«,im Rahmen der Ermittlungender Detektei Wells & Wong.

Aufgezeichnet von Hazel Wong(Vizevorsitzende und Schriftführerinder Detektei), 14 Jahre alt.

Begonnen am Mittwoch, 6. November 1935.

INTERNAT DEEPDEAN

ANGESTELLTE

Miss Barnard – Direktorin

Miss Lappet – Fräulein für Geschichte und Latein

Mr MacLean – Pastor

Mademoiselle Renauld, »Mamzelle« –

Fräulein für Französisch

Miss Runcible – Fräulein für Naturkunde

Miss Morris – Fräulein für Musik und Kunst

Miss Dodgson – Fräulein für Englisch

Miss Talent – Fräulein für Leibeserziehung

Mrs Minn, »Minny« – Krankenschwester

Mr Jones – Hausmeister

Hausmutter – Hausmutter

DIE MÄDCHEN

Daisy Wells – Zehntklässlerin und Vorsitzendeder Detektei Wells & Wong

Hazel Wong – Zehntklässlerin, Vizevorsitzendeund Schriftführerin der Detektei Wells & Wong

SCHULSPRECHERIN

Elizabeth Hurst

AUFSICHTSSCHÜLERINNEN

Florence Hamersley

Lettice Prestwich

Una Dichmann

Enid Gaines

Margaret Dolliswood

DIE GROSSEN

Pippa Daventry

Alice Murgatroyd

Astrid Frith

Heather Montefiore

Emmeline Moss

Jennifer Stone

Elsie Drew-Peters

ZEHNTKLÄSSLERINNEN

Lavinia Temple – Assistentin und Freundin

der Detektei Wells & Wong

Rebecca »Küken« Martineau – Assistentin und Freundin

der Detektei Wells & Wong

Kitty Freebody – Assistentin und Freundin

der Detektei Wells & Wong

Clementine Delacroix

Sophie Croke-Finchley

Rose Pritchett

Jose Pritchett

NEUNTKLÄSSLERINNEN

Binny Freebody

Martha Grey

Alma Collingwood

Die Marys

ACHTKLÄSSLERIN

Betsy North

SIEBTKLÄSSLERINNEN

Emily Dow

Charlotte Waiting

• TEIL EINS •

FLIEGENDE FUNKEN

1

Alle von uns sahen nach oben, deswegen bemerkten wir nichts von dem Mord.

Noch nie habe ich Daisy so wütend erlebt. Sie hat richtig mit den Zähnen geknirscht (so fest, dass meine Zähne vor Mitleid wehtaten) und gesagt: »Oh Hazel! Wie konnten wir das nur verpassen? Wir waren dabei!«

Daisy muss nämlich immer alles wissen, alles sehen und sich überall einmischen. Daran erinnert zu werden, dass trotz all ihrer Bemühungen (sie hat Informanten in den jüngeren Jahrgängen und sich außerdem mit den älteren Mädchen, unserem Hausmeister Jones und den Lehrerinnen gut gestellt) an der Deepdean Dinge vor sich gehen, die sie nicht überblickt – nun, ihre in letzter Zeit ohnehin schlechte Laune wurde dadurch nicht besser.

Und wenn ich ehrlich bin, schäme ich mich irgendwie. Unsere Detektei hat bisher drei waschechte Mordfälle aufgeklärt, und trotzdem ist direkt vor unserer Nase ein weiteres Verbrechen geschehen, an unserer eigenen Schule, dem Deepdean-Internat für Mädchen – dem Ort, an dem unsere Detektivkarriere vor einem Jahr begann – und wir haben es nicht bemerkt!

Wenn ich darüber nachdenke, ist es schon merkwürdig. Irgendwie scheinen wir uns seitdem kein Stück verändert zu haben – oder als hätten wir uns im Kreis gedreht, um am Ende wieder dort zu landen, wo wir angefangen haben. Wahrscheinlich sehe ich noch fast genau wie die Hazel aus, die letztes Jahr im Oktober in die Turnhalle platzte und Miss Bell, unser Fräulein für Naturkunde, auf dem Boden liegend fand. Gewachsen bin ich seitdem jedenfalls kaum. Als ich mich letzte Woche gemessen habe, musste ich feststellen, dass ich nur unwesentlich größer geworden bin – zumindest in der Höhe. Meine Haare sind immer noch glatt und dunkelbraun, mein Gesicht ist noch immer rund und auf der Nase prangt noch immer dieser Pickel (vermutlich muss es inzwischen ein anderer sein, allerdings sieht er genauso aus). Doch im Innern fühle ich mich völlig verändert. Alles, was im vergangenen Jahr geschehen ist, hat mich ganz neu geformt, finde ich. Nun bin ich jemand, der sich dem Mord auf Fallingford, Daisys Zuhause, gestellt und der entgegen der Anweisungen seines Vaters den Fall im Orientexpress gelöst hat. Auf der anderen Seite habe ich manchmal den Eindruck, dass Daisy zwar ständig an Höhe zulegt, immer blonder und hübscher wird, aber dafür innerlich dieselbe bleibt. Sachen prallen von ihr ab wie Flummis von Mauern – nicht einmal die Ereignisse auf Fallingford haben sie wirklich verändern können.

Vor dem 5. November hat mir Deepdean dieses Trimester nicht viel Freude bereitet. Nicht nur bin ich im Innern eine völlig andere geworden, auch die Schule hat sich anders angefühlt als im Vorjahr – und zwar auf keine gute Art. Ich hatte schon die ganze Zeit über das unheimliche Gefühl, als würde uns etwas Schreckliches bevorstehen. Der Abend gestern war schlimm, aber nachdem es nun endlich passiert ist, bin ich fast erleichtert. Es fühlt sich ein bisschen so an, als hätte man einen Termin beim Zahnarzt vor sich, und dann, wenn man tatsächlich in seinem Stuhl sitzt, ist wenigstens das bange Warten vorbei.

Außerdem, jetzt, da es einen Mord aufzuklären gilt, können Daisy und ich wieder Detektivinnen sein – als Daisys beste Freundin hat man es manchmal nicht leicht, ihre Vizevorsitzende und Schriftführerin zu sein, ist dagegen wesentlich einfacher. Auch wenn dieser Fall alles andere als leicht ausfällt.

Die Person, die gestorben ist – und unserer Meinung nach ermordet wurde – ist nämlich unsere neue Schulsprecherin.

2

Dieser Fall begann gestern, an einem Dienstag, dem 5. November. Doch um alles ordentlich erklären zu können, muss ich weiter ausholen, nämlich bis zum Ende des Sommertrimesters.

Damals waren Daisy und ich vollauf mit den Vorbereitungen für den anstehenden Urlaub im Orientexpress beschäftigt. Doch auch wenn wir ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt haben, trugen sich extrem wichtige Dinge zu, die mit Miss Barnard und den Großen Mädchen zu tun hatten.

Ich nehme unser neues Fallbuch hier zum Anlass, zu erklären, wer Miss Barnard ist. Nachdem der Fall von Miss Bell abgeschlossen war, hatten wir an der Deepdean nämlich fast keine Lehrer mehr übrig. Darum sind außer der rothaarigen, theatralischen Mamzelle, dem alten Mr MacLean und Miss Lappet mit ihrem großen Busen seit Dezember alle völlig neu. Miss Barnard ist unsere neue Direktorin. Sie ist groß und schlank, und ziemlich jung, glaube ich – zumindest sind ihre Haare noch teilweise braun. Außerdem ist sie ruhig, freundlich und vernünftig. Und sie hat diese Art an sich, die einem ein Gefühl von Sicherheit gibt – was die Deepdean nach vergangenem Jahr wirklich gut gebrauchen kann. Allerdings ist Freundlichkeit nicht immer das Beste. Wie Daisy immer betont, bringt es nichts, freundlich zu sein, wenn diejenigen, zu denen man nett ist, nicht ebenfalls nett sind.

Miss Griffin, die alte Direktorin, hatte die Schulsprecherin für das kommende Jahr immer am Ende des alten Schuljahrs ausgewählt. Sie kannte ihre Mädchen und traf ihre Wahl immer mit Bedacht. Doch Miss Barnard konnte die Großen natürlich kaum einschätzen, als sie vergangenes Sommertrimester eine Entscheidung treffen musste. Statt selbst jemanden auszusuchen, hat sie daher abstimmen lassen. Und das war ein echtes Desaster, denn es bedeutete, dass Elizabeth Hurst die Wahl zur Schulsprecherin zu ihren Gunsten beeinflussen konnte.

Äußerlich war Elizabeth Hurst nicht besonders bemerkenswert. Sie war groß, hatte breite Schultern, ein blasses Gesicht und sandbraunes Haar, genau wie die meisten Mädchen an der Deepdean. Was sich in ihrem Innern abspielte, ließ einzig und allein ein leises Lächeln erahnen, das einen ihrer Mundwinkel verzog. Es war immer da und alles andere als nett. Andauernd hatte man den Eindruck, sie wüsste irgendetwas Gemeines über einen selbst und würde überlegen, ob sie es laut aussprechen soll. Dieses Lächeln hat ihre wahre Persönlichkeit verraten, denn Geheimnisse waren Elizabeths Geschäft.

Das klingt vielleicht, als wäre sie ein bisschen wie Daisy gewesen, aber während Daisy gerne über alles Bescheid weiß, schlicht weil es ihr Freude bereitet, in ihrem Kopf alles richtig zusammenzupuzzeln, benutzte Elizabeth ihr Wissen. Durchtrieben wie eine Katze, die Jungvögel aus ihren Nestern klaut, war sie auf der Jagd nach sämtlichen Informationen über jedes Mädchen an der Deepdean, die sie nur irgendwie kriegen konnte, und hortete sie. Und nicht nur, dass sie ihre gesammelten Informationen nutzte – zumindest nicht sofort. Nein, sie bewahrte sie auf wie ein Geschenk für den Tag, an dem sie für sie nützlich sein könnten. Und wenn es soweit war – tja, dann war man geliefert.

Es gab da dieses eine Mädchen, Nina Lamont, von der eigentlich jeder annahm, dass sie die neue Schulsprecherin werden würde – bis Elizabeth eines Morgens dabei beobachtet wurde, wie sie Miss Barnard mit todernster Miene einen Besuch abstattete. Später an diesem Tag kam heraus, dass Nina sich aus der Stiftungskasse bedient hatte. Danach konnte natürlich niemand mehr für sie stimmen. Sie kam dieses Trimester nicht einmal mehr zurück an die Schule. Angeblich hatte man sie ins Gefängnis gesperrt – obwohl Daisy das für eine glatte Lüge hielt und meinte, man habe sie nur an eine Schule in Frankreich geschickt.

Elizabeth führte eine Clique von fünf Mädchen an, die seltsamsten, wütendsten und gehässigsten ihres Jahrgangs. Sie waren Elizabeths Gehilfinnen, eine Art brutale, blaue Flecken verteilende Version von Daisys Truppe aus kleinen Informanten, die ständig Fakten aus all uns Jüngeren herauspressten, um sie Elizabeth zu liefern. Wir nannten sie die Fünf, und wir hassten sie.

Es ist also vollkommen verständlich, dass jeder an der Deepdean schreckliche Angst vor Elizabeth hatte und einen Riesenschreck bekam, als bekannt gegeben wurde, dass tatsächlich sie die neue Schülersprecherin war – und gemäß der Tradition fünf andere Große als ihre Aufsichtsschülerinnen ausgesucht hatte. Selbstverständlich suchte sie ihre Gehilfinnen aus – und so kam es, dass Elizabeth mit ihren Fünf das Ruder an sich gerissen hatte, als wir dieses Jahr zurück an die Deepdean kamen.

3

Wir fürchteten uns vor Elizabeth und den Fünf, trotzdem hatten wir keine Ahnung, wie grauenhaft das Jahr, das uns bevorstand, wirklich werden sollte, bis einige Wochen verstrichen waren. Zuerst fühlte sich das Herbsttrimester so frisch und voller Möglichkeiten an wie immer: neue Stundenpläne, neue Stifte und Tintenfässer, neue Arbeitshefte, in denen noch keine Seiten fehlten, weil man noch niemandem Zettelchen geschrieben hatte. Wir gingen in die zehnte Klasse, womit wir den Großen näher waren als je zuvor, und wagemutig öffneten wir zur Feier des Tages den obersten Knopf unserer Uniform. Kitty versuchte sogar, die Haare offen zu lassen, wurde dafür jedoch sofort von Miss Lappet zurechtgewiesen. Clementine hatte ein neues Banngut-Armband und Küken eine Haselmaus, die sie in ihrer Knabbertruhe versteckte (sie hieß Chutney und machte den ganzen Tag nichts anderes als schlafen). Es hatte ganz den Anschein, als würde dieses Trimester besser werden als das letzte – endlich hatte sich Fallingfords Schatten verflüchtigt, weil der Prozess vorbei war und der Mörder im Gefängnis saß.

Doch dann begannen die Fünf mit ihren Bestrafungen.

Elizabeth hatte die volle Kontrolle über Zucht und Ordnung an der Schule. Hinter all den fiesen Dingen steckte sie, doch clever wie sie war, vollzog sie nie selbst eine der Bestrafungen. Einzig und allein die Fünf machten uns das Leben schwer, und das mit einigem Können.

Der brutale, sportliche Rotschopf Florence Hamersley, Kapitän des Hockeyteams und in Vorbereitung für den Hürdenlauf der nächsten Sommerolympiade, hatte es auf die Trödler abgesehen. Wenn man zu spät zum Frühstück oder Abendessen kam oder vor dem Schlafengehen länger zum Zähneputzen brauchte, hatte man auch schon ihre Hand auf der Schulter und durfte bei Wind und Wetter zehn Runden ums Wohnheim rennen. Lief man dabei zu langsam, bekam man zwanzig aufgebrummt.

Die dunkelhaarige Lettice Prestwich war sogar noch fieser. Eigentlich könnte sie hübsch sein – wäre sie nicht so dürr. Bei ihr musste man sich ständig auf alles gefasst machen und wartete nur auf die nächste Katastrophe. Der kleinste Makel an der Schuluniform – ein fehlender Knopf oder eine unordentliche Krawatte – und sie ging kreischend auf einen los. Fast täglich brachte sie die Shrimps zum Heulen. Einmal kam sie in unseren Schlafsaal marschiert, weil sie in Kükens Knabbertruhe ein Quieken gehört hatte, und fand Chutney, die Haselmaus. Sie brachte ihn auf der Stelle zur Hausmutter, die ihn im Freien aussetzte – natürlich schluchzte Küken herzerweichend und wir alle waren außer uns vor Wut. Küken, unsere Freundin und Zimmergefährtin, ist sehr klein und so gar nicht gut in der Schule – trotzdem ist sie ein guter Mensch, und darauf kommt es schließlich an. Doch wir konnten nichts tun. Chutney war weg.

Una Dichmann stammt aus Deutschland, wo ihr Vater eine äußerst wichtige Position in der Nazipartei innehat. Sie ist blond und hübsch wie eine Märchenprinzessin – aber wer ihr oder den übrigen Fünf nicht den nötigen Respekt erwies, musste zwischen den Unterrichtsstunden ihre Bücher tragen und wurde auch noch angebrüllt, wenn er dabei nicht schnell genug war.

Enid Gaines sieht nicht so bedrohlich aus wie die anderen, zumindest nicht auf den ersten Blick. Sie ist eine Streberin, Deepdeans große Hoffnung auf einen Studienplatz für Klassische Literatur in Oxford nächstes Jahr, und hat ihre Nase ständig in einem Buch. Sie ist klein – fast so klein wie ich – und hat ein langweiliges Gesicht, das man schnell wieder vergisst. Doch wer auf den Gängen lachte oder während der Andacht flüsterte, hatte sie am Hals und durfte in der Mittagspause hundertmal Ich muss den Älteren und Besseren gehorchen schreiben.

Das letzte Mitglied der Fünf ist Margaret Dolliswood. Sie ist dick und miesepetrig – man spürt regelrecht, wie sie Unzufriedenheit verströmt. Ging man ihr nicht rechtzeitig aus dem Weg oder zog beim Essen oder in der Süßen Pause irgendwie ihre Aufmerksamkeit auf sich, riss sie einem das Essen aus den Händen und zwickte einem in die Finger. Wegen ihr musste ich schon viele Male hungern – was meiner Meinung nach die schlimmste Grausamkeit überhaupt ist.

Die Bestrafungen der Fünf waren furchtbar und es gab einfach kein Entkommen. Wenn wir ins Wohnheim gingen, übernahm eine von ihnen die Hausaufgabenaufsicht, während eine andere den Aufenthaltsraum überwachte. Und beim Abendessen saß an jedem unserer Tische eine von ihnen. Wir waren seit Schulbeginn belagert und das Schlimmste daran war, dass weder eins der Fräulein noch unsere Hausmutter es bemerkten. Erwachsene haben grundsätzlich kein Auge für solche Dinge – was Kinder sich gegenseitig antun, zählt für sie nicht wirklich.

Ich kam mir schnell vor, als wären wir Kaninchen, die nur darauf warten, dass der Fuchs sich auf sie stürzt. Elizabeth und ihre fünf Aufsichtsschülerinnen liefen in der Schule Patrouille und ihre Gemeinheit war ansteckend, bis wir uns irgendwann gegenseitig an die Kehle gingen. Sie sorgten dafür, dass wir uns alle so elend fühlten, dass sogar die nettesten Mädchen anfingen, sich zu streiten und sich schrecklich anzukeifen. Die Boshaftigkeit der Großen machte auch alle anderen fieser: Die Elftklässler malträtierten uns, wir die Neuntklässler, die Neuntklässler die Achtklässler und so weiter. Unter diesem Druck gingen sämtliche alten Bündnisse in die Brüche. Deepdean selbst änderte sich, und zwar so sehr, dass ich es trotz der gewohnten schwarzweißen Flure, weiten Fenster und dem vertrauten Kreidegeruch kaum wiedererkannte.

Daisy war von Anfang an außer sich. Es gibt einige Orte, die ihrer Meinung nach ihr gehören, unter anderem die Deepdean, und dass die Dinge dort nun falsch liefen, brachte sie zur Weißglut. Ich für meinen Teil hatte beschlossen, dass man dieses Jahr einfach über sich ergehen lassen musste wie jede andere unangenehme Sache, doch Daisy hält nichts davon, Dinge nur zu ertragen. Begegnet ihr ein Problem, ist es für sie unmöglich, nicht wenigstens zu versuchen, es zu lösen. Und Elizabeth und die Fünf entwickelten sich für sie zu einem absolut faszinierenden Problem, umso mehr weil Daisy in Wahrheit schlicht nichts gegen sie unternehmen konnte. Sie hatte nicht einmal mehr ihre alte Vertraute König Henry, die ihr bei den Großen Respekt verschaffte – denn natürlich war König Henry nicht mehr unsere Schulsprecherin. Sie war weit weg in Cambridge, wo sie Daisy nichts nutzte.

»Ich behalte sie im Auge«, sagte Daisy immer wieder zu mir. »Ich beobachte sie. Elizabeth braucht nicht zu glauben, dass sie damit durchkommt. Das darf man nicht zulassen.«

Mir schien sie sehr wohl damit durchzukommen – so war es einfach. Elizabeth war fies, aber sie hatte kein Verbrechen begangen. Und wenn sie jemanden erpresste, dann so unauffällig, dass wir ihr nichts nachweisen und nichts aufdecken konnten. Genau genommen hatte unsere Detektei in diesem Trimester bisher überhaupt keine Fälle gehabt, abgesehen von dem merkwürdigen Fall der Violet Darby im September, den Daisy an einem einzigen Tag löste. (Worauf sie ziemlich stolz ist.)

»Ich würde Elizabeth am liebsten den Kopf zerquetschen!«, meinte Lavinia wutschnaubend, als Küken schon ihre fünfte Strafe innerhalb von zwei Wochen aufgebrummt bekommen hatte und bitterlich weinte. (Weil sie in dem Aufsatz, zu dem sie als vierte Strafarbeit verdonnert worden war, das Wort »Privileg« falsch geschrieben hatte. Das war alles andere als fair. Küken hat Schwierigkeiten damit, ihren Wörtern die richtige Form zu geben, und auch ihre Zahlen ergeben selten die richtige Summe.) »Zu Rübenbrei möchte ich ihn verarbeiten!«

Wir alle gaben ihr recht, trotzdem wussten wir (außer Daisy), wie hoffnungslos die Aussicht darauf war, dass sich etwas ändern würde.

Zumindest bis zu dem Vorfall am Abend des Guy-Fawkes-Fests.

4

Die Idee mit dem Feuerwerk anlässlich des 5. Novembers war Miss Runcible gekommen. Miss Runcible ist unser neues Fräulein für Naturkunde. Sie ist sehr fröhlich und lebenslustig – was nach der kühlen Miss Bell ganz komisch wirkt. Ihr Unterricht ist grundsätzlich erfüllt von kräftigen Gerüchen und Explosionen (wodurch er sich perfekt für Streiche eignet – in der dritten Woche legte Kitty Clementine herein und brachte sie dazu, sich zu dicht an eins von Miss Runcibles Experimenten zu stellen. Es gab ein Puff! und Clementines Augenbrauen waren bis zur Unkenntlichkeit versengt). Daher war es wohl wenig überraschend, dass sie eine ordentliche Guy-Fawkes-Feier abhalten wollte, auch wenn es das an der Deepdean noch nie gegeben hatte.

Miss Barnard verkündete ihren Entschluss gegen Ende Oktober bei der Andacht.

»Mädchen«, sagte sie, während sie sehr ruhig und gemessen am Pult stand. »Am 5. November, der Guy-Fawkes-Nacht, werdet ihr zum Abendessen ins Wohnheim gehen und euch anschließend auf dem Sportplatz versammeln, wo wir ein Lagerfeuer und ein Feuerwerk abhalten werden. Die Aufsichtsschülerinnen und die Schulsprecherin werden alles überwachen, ebenso wie Miss Runcible und ich. Ihr alle sollt Spaß haben.«

Jeder verkrampfte eher. Ich weiß noch genau, was ich in diesem Moment dachte: was für eine Optimistin Miss Barnard doch sein konnte und wie bedenklich dieses Vorhaben war. Es bot Elizabeth und den Fünf die perfekte Gelegenheit, die Jüngeren zu schikanieren – nur würden wir diesmal zudem auch noch auf einem kalten Spielfeld frieren.

Ich sah zu Daisy. Wie ich mir gedacht hatte, beobachtete sie nicht Miss Barnard, sondern Elizabeth und die Fünf. Mir fiel die vertraute Falte über ihrer Nase auf. Diesen Ausdruck kannte ich, und er bereitete mir ernsthaft Sorgen. Ich wusste ja, dass Daisy nach wie vor nach einer Möglichkeit suchte, es Elizabeth und den Fünf heimzuzahlen – allerdings begriff ich nicht, wie eine Feier anlässlich der Vereitelung des Sprengstoffattentats auf das Parlament von 1605 dabei auch nur im Geringsten helfen sollte. Fast hätte ich den Mund aufgemacht, um sie davon abzubringen, doch mir war klar, dass sie es dann erst recht tun würde. Also dachte ich stattdessen über etwas ganz anderes nach: den Brief, der mich hundertprozentig erwarten würde, wenn wir zum Mittagessen ins Wohnheim gingen.

Dieses Trimester habe ich nämlich ein Geheimnis: Ich schreibe schon länger mit jemandem. Die Hazel von vor einem Jahr hätte sich niemals getraut, Daisy so etwas zu verheimlichen – aber die Hazel von vor einem Jahr bin ich nicht mehr. Das macht aus mir noch keine Heldin, aber ich halte mich zumindest für etwas mutiger.

Inzwischen hat sich unten in meiner Knabbertruhe ein beachtlicher Stapel Zettel angesammelt. Jedes Mal, wenn ich einen neuen Brief dazulege, wird das Kribbeln in meiner Brust größer. Es ist herrlich und gleichzeitig macht es mich nervös. Wir schicken uns Denkrätsel, berichten von komischen Sachen, die an der Schule passieren, und tauschen kleine Fälle aus – eigentlich nichts weiter. Doch ich weiß genau, sollte Daisy es je herausfinden, wäre sie furchtbar wütend. Sie mag es nämlich nicht, wenn ich mit jemand anderem ermittle – ihrer Meinung nach bin ich ihre Detektivfreundin, und obwohl wir Assistenten haben, darf keiner außer uns wirklich zur Detektei gehören.

Ich dachte noch immer über die Briefe nach und darüber, was Daisy dazu sagen würde, als am Abend der Mord geschah.

Unser Schlafsaal lief Dienstagabend nach dem Essen gemeinsam zum Sportplatz, eingemummelt in unsere Mützen und Schals – und trotzdem schlotternd. Keiner war gut gelaunt. Es war mal wieder einer dieser seltsamen Nicht-Streite im Gange, die es in diesem Trimester so oft gibt: Jeder beschwert sich über die anderen und am Ende fühlt man sich ausgelaugt und mürrisch.

»Küken ärgert sich noch immer über die Elftklässlerin, die ihr gestern Abend den Nachtisch abgenommen hat, obwohl ich ihr gesagt habe, dass es keinen Sinn hat«, sagte unsere Zimmergefährtin Lavinia und schüttelte ihr schweres dunkles Haar aus dem Gesicht. »Immerhin hab ich ihr dafür einen von den Shrimps besorgt, oder nicht? Ich versteh nicht, was die Aufregung soll.«

»Man darf anderen nichts abnehmen!«, erklärte unsere andere Zimmergefährtin Kitty selbstgerecht. Kitty hat braunes Haar und Sommersprossen. Außerdem liebt sie Klatsch und Tratsch. »Es ist einfach nicht nett, Lavinia. Letztes Jahr hättest du das nicht gemacht.«

»Doch, und ob«, beharrte Lavinia. »Sei nicht so ein Miesepeter, Kitty.«

Kitty verzog mürrisch das Gesicht. »Dann hättest du es eben gemacht, trotzdem ist es falsch.«

»Dieses Jahr ist jeder so gemein«, meinte Küken traurig.

»Das liegt an Elizabeth Hurst«, mischte ich mich ein, was gar nicht meine Absicht gewesen war. Ich schnitt eine Grimasse. Was jetzt kommen würde, war mir klar, und tatsächlich …

»Ganz genau!«, rief Daisy freudig. »Das sage ich schon die ganze Zeit, Hazel. Elizabeth Hurst und die Fünf sind das Problem, und wir müssen etwas dagegen unternehmen!«

»Das können wir aber nicht!«, widersprach ich. »Lass es doch endlich gut sein, Daisy!«

Plötzlich war mir bewusst, wie verschieden wir doch sind. Daisy war von Elizabeth Hurst richtig besessen und konzentrierte sich mit aller Kraft auf sie, während meine Gedanken um den letzten Brief kreisten, der mich, wie erhofft, an diesem Nachmittag erwartet hatte. Ich hatte Augen für nichts anderes, nicht für die dunklen Umrisse der Mädchen vor uns, nicht für den Pavillon und nicht für das lodernde Lagerfeuer dahinter.

5

Abgesehen von der Helligkeit des Feuers lag der Platz im Dunkeln. Kleine Nebelschwaden waberten durch die Menge. Nur undeutlich konnte ich hinter den Flammen die Silhouette des Pavillons ausmachen, und die Mädchen, die sich davor drängten, sahen aus wie undefinierbares Gekritzel auf einem Blatt Papier. Nicht einmal die Bäume, die auf der anderen Seite des Spielfelds in den Oakeshott-Wald führten, konnte ich sehen, obwohl ich genau wusste, dass sie da waren. Als ich ausatmete, wurde mein Atem vor mir zu Dampf. Ich schauderte. Die englischen Winternächte kann ich so gar nicht leiden.

Als wir durch die Tore liefen, wurden wir von Miss Barnard begrüßt, die alle Mädchen im Vorbeigehen willkommen hieß. Neben ihr stand Elizabeth Hurst. Wie immer lächelte sie ihr unechtes Lächeln. Ausnahmsweise hielten sich die Fünf nicht hinter ihr auf, sondern ein Stück weiter seitlich, und zwar mit einigem Abstand. Und die Fünf lächelten kein bisschen. Gerne würde ich behaupten, dass mir das seltsam vorkam und ich außerdem bemerkte, wie Margaret die Fäuste ballte, wie blass Florence hinter ihrem Schal hervorspitzte, wie Una errötete, was für eine giftige Miene Enid schnitt und dass Lettice zitterte, wobei ihre dürre Gestalt in dem großen Deepdean-Mantel ungewöhnlich füllig wirkte. Leider war es aber nicht so – ich war mit meinen Gedanken woanders.

Sobald wir auf dem Spielfeld ankamen, schlenderten wir eine Weile herum und rempelten dabei andere Grüppchen aus anderen Jahrgängen an. Wir hatten die Anweisung, uns ordentlich nach Klassen aufzureihen, aber natürlich war in der Dunkelheit und bei all der Aufregung nicht daran zu denken. Dann trat Jones, der Hausmeister von Deepdean, mit der Guy-Fawkes-Puppe vor. Als er sie ins Feuer warf, das man nahe dem Pavillon (wenn auch nicht zu nahe) errichtet hatte, sprühte es Funken und loderte grell auf. Alle stürmten darauf zu, und auch wir Zehntklässlerinnen wurden von dem Getümmel erfasst – ich prallte gegen Lavinia, die »Hey!« murrte, allerdings in freundlichem Tonfall.

Jones brüllte uns entrüstet entgegen, dass wir gefälligst Abstand halten sollen. Nur Elizabeth und die Fünf durften sich dem Feuer nähern – Elizabeth beaufsichtigte den Lagerfeuerdienst der Fünf, die Holzbündel von einem Stapel in der Nähe des Pavillons herbeischleppten, um sie in die Flammen zu werfen. In Schichten liefen sie zwischen dem Pavillon und dem Feuer hin und her, damit immer für Nachschub gesorgt war.

Mein Blick war auf die Puppe gerichtet, eine heiße, finstere Gestalt im Zentrum der Flammen. Bei diesen Guy-Fawkes-Puppen läuft mir jedes Mal ein kalter Schauer über den Rücken, auch wenn ich weiß, dass sie nicht echt sind – sie sehen einem Menschen einfach so ähnlich, dass ich es kaum ertragen kann. Dabei bekomme ich immer das Gefühl, als befände ich mich in einem dieser Träume, in denen etwas nicht stimmt, was außer mir keiner bemerkt.

Als Daisy mich anstieß und mit dem Finger auf etwas zeigte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Sie deutete auf Margaret Dolliswood, die eine Ladung Scheite in den Armen hatte. Allerdings trug sie die nicht zum Feuer, sondern war neben Elizabeth Hurst stehen geblieben. Margaret machte den Eindruck, als hätte sie das Holz am liebsten auf sie gefeuert, doch Elizabeth wirkte davon kein Stück beeindruckt. Stattdessen beugte sie sich mit breiten Schultern arrogant nach vorn, als wäre sie die Alleinherrscherin über das Spielfeld und alles darin. Zwar konnte ich weder ihr Gesicht sehen, noch hören, was sie sagte, weil wir zu weit weg standen, aber mit einem Mal schien Margaret in sich zusammenzuschrumpfen, während Elizabeth sie umso mehr zu überragen schien. Dann drehte Margaret sich um und marschierte gestelzt zu einer der Großen, Astrid Frith, hinüber, um sie anzuschnauzen. Astrid brach in Tränen aus, während Margaret herumwirbelte und zurück zum Lagerfeuer stürmte. Dort warf sie ihre Holzladung in die Flammen, die knisternd und feurig rot emporloderten.

»Was war das denn?«, fragte Daisy mich, ohne sich umzudrehen. »Was hat Margaret zu Astrid gesagt? Und warum?«

»Elizabeth hat die Fünf mal wieder angestiftet, gemein zu sein, sonst gar nichts«, antwortete ich, weil ich Daisy nicht ermutigen wollte. »Schau, jetzt werden die Wunderkerzen angezündet.«

Miss Runcible, Enid und Lettice teilten Wunderkerzen aus. Als Miss Runcible mir eine reichte, sah sie dabei genauso aufgeregt aus wie die Shrimps. Als sie entflammten und lange Feuerfunken spuckten, ertönten Schreie und Gejohle. Lavinia stach mit ihrer zu wie mit einem Schwert und selbst Küken malte mit ihrer Kerze lachend Kreise in die Luft, endlich wieder heiter und guter Dinge. Während die Wunderkerze in meiner Hand zischte, wurde auch mein Herz leichter. Als hätten wir es einstudiert, drehten Daisy und ich uns im exakt gleichen Moment einander zu, und ich erhaschte einen Gesichtsausdruck, den ich schon lange nicht mehr an ihr gesehen hatte. Ich malte ein feuriges W in die Luft, genau wie sie: Wir waren Wells & Wong, und einen kurzen Augenblick lang vergaß ich all meine Sorgen.

Aber nur kurz.

6

Wir alle waren wahnsinnig aufgeregt und spielten mit unseren Wunderkerzen, sodass wir zuerst kaum bemerkten, dass Miss Barnard mitten aufs Hockeyfeld lief und laut um Ruhe bat. Als wollte sie uns Flaggenzeichen geben, musste sie mit Fackeln in den Händen wedeln, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. Endlich erloschen die Wunderkerzen in der Dunkelheit und es legte sich Stille über die Menge. Wir drehten uns zu Miss Barnard um, die abseits des Lagerfeuers und der Guy-Fawkes-Puppe stand.

»Mädchen«, sagte sie schließlich in ihrer typischen Art, nicht laut, aber so, dass man sich vorbeugte, um ihr genau zuzuhören. »Danke, dass ihr gekommen seid. Ich hoffe, ihr genießt den Abend – den wir dem Vorschlag von Miss Runcible zu verdanken haben und der Hilfe von Mr Jones, der ihrer Idee Leben einhauchte. Und natürlich unserer wundervollen Schulsprecherin, Elizabeth Hurst, die sich wie immer als außerordentlich hilfsbereit und verantwortungsvoll erwiesen hat.«

Ärger durchzuckte mich. Warum nur erkannte Miss Barnard nicht die wahre Elizabeth?

»Ich bin sicher, dass dieser Abend der erste von vielen sein und unsere Guy-Fawkes-Feierlichkeit Teil der stolzen Tradition von Deepdean werden wird.«

Ich hörte deutlich, was sie nicht aussprach – dass Deepdean nach den Ereignissen von vergangenem Jahr neue Traditionen dringend nötig hatte, Neues, worauf man stolz sein konnte. Miss Barnard gibt sich Mühe, dieses Jahr alles neu für uns zu machen, als könnte sie Miss Bell und was ihr zugestoßen war, auslöschen. Aber alles, was sie wirklich erreicht, ist, es zu übertünchen, wieder und wieder. Am Ende wird es trotzdem noch durchschimmern.

In diesem Moment hatte ich einen grässlichen Augenblick der Erkenntnis. Elizabeth und die Fünf würden weiterhin fies sein und wir würden es weiter ertragen, bis ihr Jahrgang im Sommertrimester zu den Universitätseignungsprüfungen antreten und uns in Ruhe lassen würde.

Mir wurde ganz flau. Das Trimester war schon schlimm, trotz meiner Briefe, die gewisse Tage erhellten. Ein ganzes Jahr unter Elizabeth würde furchtbar werden.

»Nun, Mädchen!«, sagte Miss Barnard. »Ihr habt ein rechtes Durcheinander angerichtet. Stellt euch bitte wieder in Reihen auf. Aufsichtsschülerinnen, helft ihnen. Kein Schubsen! Wenn ihr fertig seid, können wir zum eigentlichen Teil der Feier übergehen: dem Feuerwerk!«

Jeder grummelte und drängelte (die Fünf, die kurz das Lagerfeuer verließen, um uns nach Elizabeths gebrüllten Anweisungen zusammenzutreiben, stießen uns), bis er sich zurück in seiner streng reglementierten Gruppenlinie eingefunden hatte. Ganz vorne, Miss Barnard am nächsten, standen die Shrimps, der Rest von uns war hinter ihnen aufgereiht – die Großen am dichtesten beim Lagerfeuer, das hinter uns brannte. (Das war der Trick dabei: Die Jüngsten mussten frieren, während die Ältesten die ganze Wärme abbekamen. Natürlich war der Hitze keiner so nah wie Elizabeth, die mit ihren Aufsichtsschülerinnen zwischen dem Feuer und dem Pavillon Stellung bezogen hatte.)

Miss Barnard blickte uns kurz an und nickte dann, woraufhin Miss Runcible, emsig wie immer, vorsprang. Sie machte sich ein Stück weiter hinten in der Dunkelheit zu schaffen und entzündete das Feuerwerk, das fast am anderen Ende des Spielfelds aufgebaut war. Jones ging ihr zur Hand, während die Fünf sich an ihre Plätze am Feuer zurückzogen. Keiner sprach ein Wort, solange wir warteten. Dann zischte pfeifend die erste Rakete in die Höhe, bis sie über uns in einem grüngelben Funkenregen explodierte.

Es war, als wäre die Nacht zum Leben erwacht, so viele Geräusche und Licht prasselten über den Himmel. Staunend riss ich den Mund auf, als der Lärm mich durchzuckte. Daisy lehnte sich an mich, und als ich mich zu ihr umdrehte, leuchtete ihr Gesicht in fürstlichem Purpur und Rot. Kitty, Küken und Lavinia, die neben ihr standen, hatten ebenfalls leuchtende Gesichter, worauf ich allerdings kaum achtete, weil ich unbedingt das Schauspiel in der Höhe erleben wollte. Es erinnerte mich an den Himmel von Hongkong an Neujahr und ein freudiger Schauer durchfuhr mich. Strahlendes Leuchtfeuer in Orange und Gold, ein blauer Funkenregen, dann wieder grelles Rot, und alles ergoss sich über uns. Bestimmt vergaß ich sogar zu atmen.

Dann war es vorbei. Der letzte grüne Schimmer verglomm am Himmel und auf das Spielfeld legte sich Stille. Es fiel mir schwer, meinen Kopf wieder auf den Boden zu holen. Neben mir standen Daisy, die strahlende und klatschende Küken und all die anderen Mädchen um uns herum, die tuschelten, lachten und sich langsam aus ihren Reihen lösten. Als ich mich umdrehte, entdeckte ich eine dunkle Gestalt am Lagerfeuer – eine der Fünf hatte immer noch Feuerdienst. Dann sagte Lavinia etwas zu mir und ich drehte mich um, um sie besser zu verstehen.

Der erste Schrei folgte wenige Minuten später.

Es war eigentlich nur ein überraschtes Japsen. Daisy meint, sie erinnert sich noch, wie das Mädchen, ein kleiner Siebtklässler-Shrimp rief: »Miss Barnard! Ich glaube, hier ist jemand gestürzt!« An ihren zweiten, lauteren Schrei, der folgte, und an das Kreischen des Mädchens neben ihr können wir uns beide bestens erinnern.

Erschrocken wirbelte ich zu Daisy herum – die mich längst voller Erwartung anschaute. In ihren Augen funkelte es, als würde das Feuerwerk darin weitergehen. Es ist schon komisch, denn nach jedem Fall rede ich mir ein, dass ich keine weiteren Ermittlungen will, und ich nehme es mir sogar ab – bis ich einen Schrei wie diesen höre, mein Herz mir bis in Hände und Füße pocht und mir klar wird, dass es auf der Welt nichts Schöneres gibt, als in einem Fall zu ermitteln. In jenem Moment fühlte ich genau das, und das erste Mal seit Monaten fühlte es sich absolut richtig an.

Ich wusste, was zu tun war.

7

Daisy und ich rannten auf den Lärm jenseits des Lagerfeuers zu, genau wie alle anderen, sodass um die Schreienden bald dichtes Gedränge herrschte und ich eine Weile nichts außer Zwielicht, Verwirrung und hier und da im aufblitzenden Schein von Taschenlampen Hände, graue Schulmäntel und besorgte Gesichter sah.

Dann rief Miss Barnard: »BLEIBT ZURÜCK!«, sodass alle erschrocken ein Stück zurückwichen … alle, außer Daisy und – weil sie die Finger fest um mein Handgelenk geschlossen hatte – ich. Als ich mich aus ihrem Griff gelöst hatte, schaute ich nach unten. Und da, auf dem Boden, erleuchtet vom Schein der Taschenlampen, war Elizabeth Hurst.

Sie lag mit dem Gesicht zum Himmel gerichtet, die Arme an die Seiten gelegt und die Augen weit offen. Sie rührte sich nicht, und es war leicht zu erkennen, warum. Neben ihr lag ein Rechen, einer der alten, zerschundenen Dinger, die Jones benutzt. Das zackenbesetzte Ende befand sich unter ihren Fersen und der Stiel neben ihrem Kopf war voller Blut. Das ungute Gefühl, das sich bei mir beim Anblick von Elizabeths Kopf einstellte, verriet mir, dass auch der Boden voller Blut sein würde.

Miss Runcible kniete neben ihr und fühlte den Puls, und mit einem Mal überkam mich die Erinnerung an Miss Bell vergangenes Jahr in der Turnhalle – und an das Blut an ihrem Kopf. Es fühlte sich wieder genauso an. Da wusste ich, dass ich an Miss Bell denken musste, weil dieser Körper, genau wie ihrer damals, irgendwie unnatürlich erschien.

Miss Barnard rief inzwischen nach Jones. »Holen Sie eine Trage! Es hat einen Unfall gegeben! Ein Mädchen ist auf einen Rechen getreten!«

Mir war sofort klar, dass das nicht stimmte. Es war kein Unfall gewesen. Vielleicht sah es wie einer aus, aber etwas stimmte nicht.

Jones kam bereits herbeigeeilt. Gemeinsam mit Miss Runcible hievte er Elizabeth auf einen Regenmantel, den sie als provisorische Trage benutzten. »Aus dem Weg!«, schnauzte er die Shrimps an. »Aus dem Weg!«

Küken brach in Tränen aus. »Oh!«, jammerte sie. »Nicht schon WIEDER!«

»Ruhe!«, zischte Daisy. »Wir wollen keine Aufmerksamkeit!«, und mir wurde klar, dass nicht nur ich an den letzten Oktober hatte denken müssen.

Dem vielen Schluchzen um uns herum nach zu urteilen, war die gesamte Schule so entsetzt und verängstigt wie Küken. »Aufsichtsschülerinnen!«, rief Miss Barnard. »Aufsichtsschülerinnen! Bringt Elizabeths Sachen ins Wohnheim – und die Mädchen! Beeilung!«

»Wer hat den Rechen dahin gelegt?«, wollte Jones wütend wissen. »Ich hab ihn an den Pavillon gelehnt, noch bevor die Mädchen da waren!«

»Darüber unterhalten wir uns später, Jones«, meinte Miss Barnard. »Jetzt bringen Sie Elizabeth erst einmal ins Sanatorium, und zwar so schnell wie möglich. Los!«

Erschrocken fiel mir auf, dass sich die Fünf um Elizabeth versammelt hatten. Zumindest vier von ihnen. Lettice konnte ich nicht entdecken – ich nahm an, dass sie irgendwo in der Menge steckte. Sie waren schweigsam, bis Florence etwas sagte – etwas, das mir einen kleinen Schreck einjagte.

»Ist sie tot?«, fragte sie. »Wirklich?«

An sich war das ja keine komische Frage, nur die Art, wie sie ihre Worte betonte – so gierig und gespannt. Mein detektivischer Spürsinn wurde wach.

Könnte ich mit meinem Verdacht tatsächlich richtig liegen? Immerhin, hätten wir es mit mehr als nur einem Unfall zu tun, wäre es der vierte Fall unserer Detektei. Andererseits weiß ich ja, dass Daisy und mir ständig ungewöhnliche Dinge passieren – wie die sechs unmöglichen Dinge vor dem Frühstück, von denen die Weiße Königin aus Alice im Wunderland redet.

»Sie ist sehr schwer verletzt«, sagte Miss Barnard. »Sie braucht sofort Hilfe.«

Noch einmal betrachtete ich die Aufsichtsschülerinnen. Sie waren starr vor Schreck, blass und atemlos – trotzdem lag in ihren Gesichtern mehr als blanker Horror. Sie wirkten ziemlich … erleichtert.

Ich schluckte. Wir alle hatten Elizabeth widerlich und gefährlich gefunden. Aber jetzt schien sie nicht länger eine Verbrecherin zu sein, sondern ein Opfer.

8

»Aufsichtsschülerinnen!«, rief Miss Barnard noch einmal, und diesmal schroffer. »Beeilt euch. Geleitet die Mädchen ins Wohnheim! Bitte schnell, während Miss Runcible und Jones Elizabeth ins Sanatorium bringen.« Im Schein des Lagerfeuers wirkte sie blass und angespannt, trotzdem verlor sie keinen Augenblick die Fassung.

Die Aufsichtsschülerinnen konnten sie nicht länger ignorieren. Sie begannen, uns davonzutreiben. Dabei schaute ich noch einmal hinter mich – zu Miss Runcible, die sich Tränen von der Wange wischte und mit dem Kopf schüttelte, während sie und Jones Elizabeth hochhoben. Inzwischen konnte jeder sehen, dass Elizabeth sich nicht mehr erholen würde, egal, was Miss Barnard sagte. Was Mrs Minn, unsere Krankenschwester, auch versuchen mochte, es würde vergeblich sein. Elizabeth war tot.

Während wir zum Wohnheim liefen, hallten überall hastige Schritte und tiefes Schluchzen wider und das Licht von Taschenlampen tanzte hektisch über den Weg. Alle redeten und immer wieder fielen dieselben Worte: Elizabeth! verletzt – tot – schrecklich – Unfall – niemals! – Miss Bell – Mord.

Da war es also: Mord. Ich war tatsächlich nicht die Einzige, die sich fragte, ob es sich wirklich nur um einen Unfall handelte. Aber … Ich dachte nach. Wenn es Mord war, gab es einen äußerst wichtigen Punkt, in dem er sich von dem Verbrechen an Miss Bell unterschied. Die einzigen Lehrerinnen auf dem Spielfeld waren Miss Barnard und Miss Runcible gewesen, und sie hatten während des Feuerwerks gemeinsam mit Jones die ganze Zeit vor uns gestanden. Mir fiel ein, wie Elizabeth den Fünf nach Miss Barnards Ansprache zugerufen hatte, sie sollten dafür sorgen, dass wir in ordentlichen Reihen stehen. Zu diesem Zeitpunkt musste sie also noch am Leben gewesen sein, und weder Miss Runcible noch Miss Barnard oder Jones waren danach an uns vorbei zum Lagerfeuer gegangen. Man konnte sie sofort ausschließen.

Was bedeutete … eines der Mädchen