Flammenerbe2 Das Geheimnis des Buches - Karo Stein - E-Book

Flammenerbe2 Das Geheimnis des Buches E-Book

Karo Stein

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Beschreibung

Als Harry sich an Mathis Seite auf die Reise in die andere Welt begibt, ahnt er nicht, was für Herausforderungen dort auf ihn warten. Er möchte mehr über das seltsame Buch erfahren, welches ihm sein Großvater vererbt hat.Auch die Macht des Feuers lässt ihn nicht mehr los und in seinen Träumen erscheinen immer wieder Flammen.Schon die Ankunft verläuft ganz anders, als er erwartet hatte. Der Anblick des Königs, bei dem es sich gleichzeitig um Mathis Vater handelt, entfacht eine tiefe Sehnsucht in ihm, die er mit aller Macht zu unterdrücken versucht. Nach einer ereignisreichen Feier verlässt er heimlich die Burg, um sich allein auf die Suche nach Antworten auf seine Fragen zu begeben. Was er jedoch dabei entdeckt, sprengt sein Vorstellungsvermögen und Harry muss Entscheidungen treffen, die sein ganzes Leben verändern werden.Dieses Buch enthält mpreg.

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Karo Stein

Flammenerbe2 Das Geheimnis des Buches

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Widmung

Für Sissi, 

die sich eine Verbindung

dieser beiden Männer gewünscht hat!

 

1. Neumond - Harry

Das Buch lag immer noch auf dem Schreibtisch. Harry durfte es auf gar keinen Fall zu Hause vergessen.

Die Gefahr war allerdings nicht sehr groß, da er es kaum aus der Hand legen konnte. Wahllos schlug er eine Seite auf. Er strich über das vergilbte Papier und betrachtete die Abbildung eines Pilzes. Harry kannte sich gut mit Heilpflanzen und ihren Wirkungen aus. Das war schließlich ein Teil seines Berufes. Trotzdem gab es in der alten Abhandlung Gewächse, die er in dieser Form noch nie in der Natur gesehen hatte. Von einigen gab es nicht einmal Hinweise in den einschlägigen Suchmaschinen des Internets oder in anderen bekannten Nachschlagewerken. Wahrscheinlich lag es auch einfach daran, dass die Schrift nach all den Jahren immer unleserlicher wurde. Möglicherweise hatten sich auch im Laufe der Jahrzehnte die Farben verändert, weshalb der Pilz, den er sich ansah, in Wahrheit gar keinen blassrosafarbenen Hut besaß.

Harry beugte sich schmunzelnd tiefer über die Seite. Immer wieder entdeckte er ein neues Detail in diesem uralten Buch. Es war faszinierend und gleichzeitig machte es ihn schier verrückt, dass er nicht alle Antworten auf seine Fragen bekam.

Seufzend blätterte er weiter, formte die Worte, die er las, leise vor sich hin und spürte die Anspannung in seinem Körper. Dieses Buch war so rätselhaft und doch hatte er das Gefühl, dass es ihm so viel offenbarte.

Vielleicht würde er die Antworten ab morgen finden.

„Morgen“, sagte er in die Stille hinein und lauschte dem Klang nach.

Entschlossen klappte er die Abhandlung zu, fuhr noch einmal mit den Fingern über die goldene Schrift und löschte die Schreibtischlampe. Die Dunkelheit legte sich wie ein schwerer Schleier auf ihn, weswegen Harry einen Augenblick sitzen blieb und zum Fenster starrte. Neumond. Der Himmel erschien beinahe pechschwarz, nur unterbrochen von den wenigen sichtbaren Sternen. Ihre Leuchtkraft war minimal, sodass sie lediglich wie Staubkörner auf dem dunklen Samt des Firmaments wirkten. Eine besondere Nacht, nicht nur weil er im Morgengrauen einen Schritt in eine andere Welt wagen würde. Der neue Mond war schließlich die ideale Zeit, um die altbekannten Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen. Harry war sich sicher, dass es mehr als ein einfacher Zufall sein musste, dass der Beginn seiner außergewöhnlichen Reise mit dem Neumond zusammenfiel. Wie oft hatte er seinen Klienten schon geraten diese Phase zu nutzen, um über die Zukunft nachzudenken?

Aufregung schoss durch seine Eingeweide und brachte sein Herz zum Rasen. Die Zweifel ließen sich längst nicht komplett ignorieren, aber sein Wissensdrang und die Neugier waren größer. Außerdem spürte er etwas in sich, das er mit Worten nicht erklären konnte. Er musste es tun … ein innerlicher Zwang … ein unglaubliches Bedürfnis. Er würde mit Mathis diesen Weg gehen, ganz egal, welche Veränderungen diese Reise für sein Leben mit sich bringen würde. Harry war kein ängstlicher Mann. Bisher hatte er sich jeder Herausforderung gestellt. Schließlich waren in seinem Leben wahrlich genug Schwierigkeiten aufgetaucht. Oft hatte er den falschen Weg eingeschlagen, gegen seine Natur gehandelt oder sich von anderen Menschen negativ beeinflussen lassen. Wenn das geschah, gab er selbst seinem Leben eine Wendung. Er hatte eine Ausbildung zum Heilpraktiker abgeschlossen und auch die Zusatzqualifikation als spiritueller Berater geschafft. Das kleine Haus, in dem er wohnte, gehörte zum Erbe seines Opas. Die Praxis, die er im Untergeschoss eingerichtet hatte, lief gut und sorgte dafür, dass er finanziell einigermaßen zufriedenstellend dastand.

Und dann war er Mathis begegnet. Nie würde er diese Nacht in der Diskothek vergessen. Noch heute fragte er sich, woher der Drang kam, ausgerechnet an diesem Abend dorthin zu gehen. Er war kein Tänzer und sein Aussehen flößte den meisten Männern Furcht oder zumindest Respekt ein. Dass sein Wesen viel weniger seinem Aussehen entsprach, erkannten nur die wenigsten Menschen.

Mathis … Er seufzte leise, als die Erinnerung Bilder hervorbrachte, die ihm noch heute surreal erschienen. In seiner Einbildung konnte er das laute Dröhnen der Bässe und den Geruch von Rauch und Alkohol noch deutlich wahrnehmen. Und dann entdeckt er ihn. Den kleinen und viel zu dünnen Jungen, mit den wirren Locken und dem neugierigen Blick. Harry wusste sofort, dass er den richtigen Mann vor Augen hatte. Es war unbeschreibliche innere Magie, die ihn weiterführte, die ihm Worte in den Mund legte, die er selbst kaum begreifen konnte. Dieser so überaus bezaubernde und beschützenswerte Mann trug ein Kind in sich, ein Kind des Feuers.

Gedankenverloren strich Harry trotz der Dunkelheit erneut über das Buch. Die Zeichen auf dem inneren Einband, die Träume … Mittlerweile war Aiden fünf Jahre. Ein fröhlicher kleiner Junge, der nicht wusste, wie besonders sein Start in diese Welt war. Aiden würde hier aufwachsen, umgeben von zwei Vätern, die ihn liebten.

„Onkel Harry“, sagte er grinsend und ahmte dabei die helle Stimme des Jungen nach. Sein Herz machte einen kleinen Sprung und ein Gefühl von Glück floss durch seine Adern. Er war so froh und dankbar, dass er an dem Leben dieser ganz besonderen Familie teilhaben durfte.

Dabei war der Start alles andere als glücklich verlaufen. Mathis war zwar ihm gegenüber neugierig und aufgeschlossen gewesen, aber Justus wollte nichts mit ihm zu tun haben und versuchte seinen Mann zu beschützen. Harry und er kannten sich von früher, aus dem Medizinstudium. Er selbst hatte das Fach nach einigen Semestern abgebrochen und Justus aus den Augen verloren. Trotzdem hatten sie es mittlerweile irgendwie geschafft. Sie waren Freunde, Vertraute … Er passte auf das Kind auf, wenn die beiden ausgingen. Sie trafen sich, um gemeinsam spazieren zu gehen und manchmal diskutierte er stundenlang mit Justus über alternative Heilmethoden. Er hatte es sogar geschafft, Mathis von einer Ausbildung zum Heilpraktiker zu überzeugen. Mit dem Kind und den beiden Männern veränderte sich sein Leben auf eine ganz besonders positive Weise. Er hatte das Gefühl angekommen zu sein, auch wenn es da immer noch etwas in ihm gab, das er erforschen musste. Eine seltsame Stimme, die sich in Träumen vom Feuer offenbarte. Manchmal wachte Harry schweißgebadet aus Alpträumen auf, aber oft waren es auch sanftere Visionen, die ihn den ganzen Tag nicht mehr losließen.

Harry wollte Antworten, die ihm in dieser Welt offensichtlich niemand geben konnte. Leider befriedigte auch das Buch, das Mathis nach seiner Rückkehr mitgebracht hatte, nicht seinen Wissensdrang. Deshalb würde er nun selbst die Reise antreten.

Ein nervöses Kribbeln brachte Harry dazu, aufzustehen und hinüber zum Fenster zu gehen. Er öffnete es und atmete tief ein. Die frische Luft flutete seine Lunge und er wusste, dass er mit einem einzigen Atemzug dank des Neumondes dreimal so viel Sauerstoff aufnahm. Die Kraft, mit der der Mond auf die Erde wirkte, war erstaunlich.

Das kleine Haus, in dem er wohnte, war das vorletzte in der Straße. Gleich dahinter lag ein Acker und danach begann der Wald. Ihm gefiel die Ruhe und Stille, die lediglich von Hundegebell oder Vogelgezwitscher unterbrochen wurde. Wenn er sich ganz besonders anstrengte, konnte er den Lärm der Autos hören, manchmal trug auch der Wind die typischen Geräusche der Stadt bis hierher. In dieser Nacht war es jedoch beinahe erschreckend still. Weder Mensch noch Tier schien um diese Uhrzeit wach zu sein. Lediglich Harry fühlte sich umtriebig und viel zu aufgeregt, um ins Bett zu gehen.

Der Gedanke, dass er seine Klienten mindestens einen Monat nicht betreuen konnte, bereitete ihm am meisten Sorgen. In der heutigen, so schnelllebigen Zeit, suchten sich die Leute problemlos einen anderen Arzt oder Ratgeber. Die Zweifel zerfraßen und minderten die neugierige Aufregung. Noch war es nicht zu spät, um die Reise abzusagen.

Er lachte bitter auf, denn der Gedanke fühlte sich furchtbar falsch an. Es wurde Zeit für diesen Ausflug. Harry wusste, dass er es tun musste. Er sehnte es regelrecht herbei, denn die Träume wurden immer intensiver und ließen ihn nicht mehr los. Manchmal bildete er sich ein, die Flammen auf seiner Haut zu sehen. Genau wie damals bei Justus, in der Nacht der Sommersonnenwende vor beinahe sechs Jahren. Zuerst dachte er, es läge an den psychoaktiven Pflanzen, die er zusammen mit seinen Freunden genossen hatte, aber mittlerweile wusste er, dass es real war. Justus war umgeben von den Flammen gewesen. Sie durchdrangen seine Haut und tanzten auf seinem Körper. Beinahe wie in seinen eigenen Träumen. Er wollte endlich wissen, was es damit auf sich hatte und hoffte so sehr, dass dort, hinter dem Portal, die Antworten auf ihn warteten.

Nach einer Weile ging Harry wieder zurück zum Tisch und nahm das Buch in die Hand. Er verließ das kleine Büro, schaltete im Flur das Licht an und begab sich ins Schlafzimmer. Unterwegs blätterte er auf die letzte Seite und betrachtete den handgeschriebenen Text. Wenn sein Urgroßvater ihn verfasst hatte, dann beherrschte er eine Sprache, die heutzutage nicht mehr bekannt war. Vielleicht war es auch eine Art Geheimcode, nur leider gab es keinen Schlüssel dazu. Wie viele Stunden hatte Harry schon über der Bedeutung gegrübelt, wie oft damit gehadert, dass der alte Mann schon vor vielen Jahren gestorben war? Damals war Harry vier oder fünf gewesen. Er hatte kaum noch eine echte Erinnerung an ihn. Es war sein Opa, der ihm das Buch schenkte, als er mit der Ausbildung zum Heilpraktiker begann. Angeblich hatte er es auf dem Dachboden gefunden. Weshalb ausgerechnet sein Name in der Widmung auf der ersten Seite stand, konnte ihm allerdings niemand erklären. Ebenso wenig, weshalb diese Zeilen, im Gegensatz zu denen am Ende, gut lesbar waren.

Eigentlich glaubte Harry, in einer ganz normalen Familie aufgewachsen zu sein,mit liebevollen Eltern und Großeltern, die stets besorgt und bemüht um ihn waren. Es gab kaum einen Wunsch, der ihm nicht erfüllt wurde. Sie verreisten gemeinsam in den Urlaub, unternahmen Ausflüge und feierten ganz traditionell Weihnachten und Ostern zusammen. Selbst sein Outing verlief unspektakulär. Dabei bezweifelte er, dass irgendjemand vorhersehen konnte, dass seine sexuelle Orientierung in diese Richtung laufen würde. Immerhin war er schon als Jugendlicher recht groß und kräftig gewesen. Er tobte auf dem Fußballplatz herum, schraubte später an Motorrädern und war auch eine Zeit lang Mitglied einer Gang, welche die Grenze der Legalität recht oft überschritt. Trotzdem hatte er sein Ziel, Medizin zu studieren, nie aus den Augen verloren. Bis zu dem Tag, an dem er begriff, dass seine Fähigkeiten Menschen zu heilen auf einer anderen Ebene lagen. Die Natur bot so viele Alternativen, aber die Professoren an der Uni waren nicht fähig, die altbekannten Wege zu verlassen.

Das alles lag schon so viele Jahre zurück und doch erschien es ihm immer deutlicher, dass seine Familie von einem besonderen Geheimnis umgeben war. Seitdem er Mathis kannte, hatte er versucht, mehr über seine eigenen Vorfahren herauszufinden. Erstaunlicherweise reichten die Angaben lediglich bis zu seinem Urgroßvater zurück. Jede weitere Information schien abhandengekommen zu sein. Sicherlich trugen die beiden großen Kriege ihren Teil dazu bei, dass viele Leute Probleme mit der Ahnenforschung hatten, aber für Harry verstärkte sich eher das Gefühl, dass es da etwas im Verborgenen gab. Immerhin war es problemlos möglich gewesen, den Stammbaum seiner Mutter bis zum Anfang des 18.Jahrhunderts zurückzuverfolgen.

Harry schüttelte über seine wirren Gedanken den Kopf und bemerkte erst jetzt, dass er vor der Tür zum Schlafraum stehen geblieben war. Seine Augen brannten vor Müdigkeit. Er musste jetzt unbedingt noch ein wenig schlafen. Als sein Blick auf die Anzeige seines Weckers fiel, seufzte er tief. Es war bereits weit nach Mitternacht. Entschlossen verstaute er das Buch in dem großen Rucksack, den er mitnehmen wollte. Noch einmal warf Harry einen Blick auf den Inhalt und kontrollierte in Gedanken, ob er nichts vergessen hatte.

Beim Zähneputzen im Bad betrachtete er sich im Spiegel. Gegen den deutlichen Bartschatten würde er auf jeden Fall morgen früh etwas unternehmen. Die Glatze ließ ihn immer noch verwegen wirken, obwohl er längst, in vielerlei Hinsicht, mit der Natur im Einklang lebte. Trotzdem konnte er sich nicht dazu durchringen, die Haare wieder wachsen zu lassen. Schon das Gefühl der Stoppeln nervte ihn bereits. Die grauen Augen musterten das eigene Gesicht intensiv und sein Mund verzog sich, wegen der kleinen Falten, die sich bereits deutlich abzeichneten, grimmig. Er spülte die Reste der Zahnpasta weg und benetzte sein Gesicht mit Wasser.

Mit jedem Jahr, das verstrich, machte er sich weniger Hoffnung, den Rest seines Lebens nicht allein zu verbringen. Im Grunde suchte er schon eine Weile nicht mehr nach dem richtigen Mann, hielt sich von den gängigen Onlineportalen fern und setzte auch kaum einen Fuß in irgendeine Bar. Er war niemand, der aufgerissen wurde und ihm fehlte die Energie, um selbst nach einem Kerl Ausschau zu halten. Wenn das Bedürfnis nach Sex übermächtig wurde, dann hatte er eine Nummer, die er anrufen konnte. Es war ein alter Kumpel, der von sich selbst behauptete Hetero zu sein und auch seit vielen Jahren mit einer Frau verheiratet war. Martin beanspruchte für sich die Definition „Männer, die Sex mit Männern haben“, was Harry immer wieder zum Lachen brachte. Das änderte aber nichts, dass sie im Bett wirklich gut harmonierten und auch danach Gesprächsthemen fanden, die ein peinliches aus dem Bett flüchten vermieden. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee gewesen, Martin anzurufen. Sie hätten sich miteinander vergnügt und das Chaos in seinem Kopf wäre möglicherweise auch verschwunden. Jetzt war es jedoch zu spät dafür.

Gähnend ging er zurück, zog sich aus, schlüpfte in bequeme Shorts und ließ sich auf die Matratze fallen. Erneut prasselten die Gedanken wie ein Schwarm wütender Bienen auf ihn ein. Sein Herz raste und der Puls stieg schwindelerregend an. Wo würde er morgen schlafen und wie würde es sich anfühlen, durch das Portal zu treten?

Harry hatte nicht vor lange auf der Burg zu verweilen, außer der König würde noch ein paar Geheimnisse offenbaren, die er Mathis bisher nicht erzählt hatte. Das erschien ihm allerdings unwahrscheinlich. Immerhin war Mathis auch schon mit dem Buch bei seinem Vater gewesen. Deshalb sah Harrys Plan vor, das Land zu erkunden und so viele Eindrücke wie möglich zu sammeln. Ihm war nicht sehr wohl bei der Vorstellung ganz allein unterwegs zu sein, aber er war auch niemand, der sich nicht zu wehren wusste. Vielleicht konnte er sogar mit seinen Heilmethoden anderen Menschen helfen und möglicherweise fand er auf diese Weise auch jemanden, der ihm mehr über das Feuer und die Inschrift des Buches erzählen konnte. Dass diese beiden Dinge in einem Zusammenhang standen, daran bestand für Harry kein Zweifel. Woher er allerdings die Gewissheit nahm, konnte er nicht erklären.

„Morgen“, flüsterte Harry und zu all dem Chaos in seinem Körper meldete sich nun auch noch ein erregendes Kribbeln. In den letzten Tagen kam es immer wieder, wurde jedes Mal größer und stärker und sorgte nun dafür, dass er hart war. Grummelnd drehte er sich auf den Rücken, fuhr mit einer Hand in die Shorts und streichelte sich träge. Zuerst hoffte er, auf diese Weise sich selbst zur Ruhe zu bringen, aber die Lust wuchs beständig und so schloss er seine Faust fester um das heiße Fleisch. Sein Kopfkino sprang an und er sah Martin, der ihn ritt. Schnelle, tiefe Bewegungen, gieriges Stöhnen, feuchte Haut und übermächtige Lust. Er bildete sich ein den Mann zu spüren und seinen Geruch wahrzunehmen. Harry trieb sich schneller voran, spannte die Bauchmuskeln an und drückte das Becken nach oben. Martin hatte einen schönen Körper. Er mochte die weiche Haut und die schlanke Gestalt. Als er sich allerdings das Gesicht vorstellen wollte, überlagerte ein anderes Bild seine Fantasie. Erschrocken riss Harry die Augen auf und kam so plötzlich, dass er einen Moment lang gar nicht begriff, was passiert war. Helle, beinahe goldschimmernde Augen hatten ihn angestarrt. Er hatte sie nie zuvor gesehen und doch erschienen sie ihm auf eine merkwürdige Art und Weise vertraut. Schwer atmend versuchte er wieder Herr seiner Sinne zu werden. Das alles ergab doch überhaupt keinen Sinn. Immerhin brach nun die Müdigkeit mit aller Gewalt über ihn herein. Mit letzter Kraft säuberte er seine Hände mithilfe der Küchenrolle, die unter seinem Bett lag und fiel in einen leichten Schlaf.

Abermals fühlte er die Hitze des Feuers, hörte das leise Knistern, das beinahe klang, als würde ihm jemand etwas zuflüstern wollen. Flammen bedeckten seine Haut und ein fremdes Gesicht beobachtete ihn aufmerksam. Harry wollte aufwachen, aber der Traum hielt ihn gefangen, bis die Flammen plötzlich erloschen und er in eine schwarze, jedoch beruhigende Tiefe sank.

2. Tag des Feuers - Berthold

Nervös lief Berthold durch die königlichen Gemächer. Immer wieder blieb er am Fenster stehen, beobachtete, wie die Sonne allmählich über die grünen Hügel im Osten stieg. Ein kräftiges Orange färbte den Himmel, beinahe, als würden unbändige Flammen am Horizont wüten.

„Ein wahrhaftiger Tag des Feuers“, murmelte er vor sich hin, bevor er sich erneut in Bewegung setzte. Still zu verharren war ihm einfach nicht möglich. In seinem Kopf liefen die Gedanken wild durcheinander und ein heftiges Gefühl hatte bereits vor ein paar Tagen von ihm Besitz ergriffen. Es war mehr als die Freude, seinen Sohn endlich wiederzusehen. Ohne Zweifel machte ihn die Vorstellung glücklich, denn er sah sein einziges Kind viel zu selten. Der Gedanke an Mathis ließ ihn schwer seufzen. Konnte ein Vater mehr verkehrt machen, als er es getan hatte? Nun musste er mit den Konsequenzen leben. Immerhin hatten sie sich ausgesprochen und Mathis schien seine Beweggründe zu verstehen. Die Zeit ließ sich allerdings nicht zurückdrehen. Es war zu spät. Mathis lebte fernab, zusammen mit Aiden, und Justus, dem Mann, der ihn gerettet hatte. Der König wusste, dass sein Kind niemals zurückkehren würde und konnte die Beweggründe nachvollziehen, auch wenn er sie längst nicht akzeptieren wollte.

Es war eine Mischung aus Wut, Trauer und ungewollter Liebe, die ihn davon abgehalten hatte, eine echte Vater-Sohn Verbindung aufzubauen. Die Verantwortung, die Hochzeit und Mathis‘ Vater, das alles passierte ohne seine Einwilligung. In seinem Zorn sah er das Unglück nicht, das er über sie alle brachte. Tod und Angst waren seine ständigen Begleiter und ließen ihn blind für die Schönheit des Lebens werden. Sein Sohn wuchs in der Annahme auf, ungeliebt oder zumindest nicht akzeptiert zu sein. Das ging sogar so weit, dass Mathis glaubte, er würde ihn auf dem Scheiterhaufen verbrennen.

Der König schüttelte den Kopf und blieb abermals vor dem Fenster stehen. Diesmal blickte er jedoch hinunter in den Hof. Hier standen sie vor sechs Jahren … aufgeschichtetes Holz, drei Haufen … Sie sollten in jener Nacht brennen, in der Mathis seinen Gemahl finden würde. Alles, was Berthold wollte, war das Flammenerbe eindämmen, verhindern, dass seinem Sohn das gleiche Schicksal ereilte wie dessen Vater: ungeliebt schwanger zu werden. Leider hatte Etzold seine Pläne durchkreuzt. Ausgerechnet der Mann, dem er am meisten vertraut und der die Erziehung von Mathis so freiwillig übernommen hatte.

Immer wieder spielte der König in seinen Gedanken die Szenen nach, versuchte die Motive für Etzolds furchtbare Tat zu ergründen. Er wollte nicht glauben, dass es einfach nur Rache war, weshalb er Mathis in den sicheren Tod führen wollte. Mit Mathis‘ Verschwinden flüchtete auch Etzold aus der Burg und vermutlich auch aus dem Königreich. Die Fragen blieben unbeantwortet, aber immerhin hatten sein Sohn und sein Enkelkind überlebt. Der König verspürte einen schmerzhaften Stich in der Brust und rieb mit einer Hand über die Stelle. Die beiden lebten in einer anderen Welt und würden nicht zurückkehren. Es würde auch keine regelmäßigen Besuche geben. Jedenfalls nicht in den nächsten Jahren. Vielleicht wenn der Junge alt genug war, um das alles zu verstehen und allein entscheiden konnte.

Die Sonne drängte die Dämmerung stetig zurück. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Mathis mit dem fremden Mann durch das Portal kommen würde. Auf seinen Sohn freute sich der König, über den Besuch aus der anderen Welt war er weniger begeistert. Er begriff nicht, weshalb dieser Harry sich so für sein Reich interessierte. Eigentlich wollte er sich mit dem Flammenerbe nicht mehr auseinandersetzen. Es hatte sein Leben zerstört, ihm den Sohn fremd werden und am Ende sogar in eine andere Welt flüchten lassen. Trotz seiner Bemühungen, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen, blieb das Gefühl, nicht mehr als einen Bruchteil zu verstehen. Es sollte ihm egal sein, denn die Flammen spielten in seinem Leben vorerst keine Rolle mehr. Leider war da dieser seltsame innere Drang, der ihn immer wieder dazu brachte, den großen Wandteppich zu betrachten. Es war ihm nicht entgangen, dass sich das Motiv erneut ein wenig veränderte. Allerdings hatte er keine Ahnung, welche Bedeutung er dieser neuen Figur beimessen sollte. Sie war bisher nur von hinten zu erkennen. Vielleicht war es auch vollkommen unsinnig, sich darüber Gedanken zu machen. Das Bild hatte sich schon so oft verändert. Menschen waren hinzugekommen oder verschwunden. Manchmal sah es aus, als würden alle in großer Not und Trauer sein, dann erschienen die Gesichter wieder fröhlich.

Mathis behauptete, dass es die Stimmung wiedergab oder vielleicht sogar eine Art hellseherische Fähigkeit besaß. Vielleicht stimmte es sogar. Immerhin verspürte er in den letzten Tagen eine unbeschreibliche Aufregung, wenn er den Teppich betrachtete. Er hatte das Gefühl, dass es nicht allein die Freude über seinen Sohn war, die seinen Körper dermaßen in Aufruhr versetzte. Große Veränderungen warfen ihre Schatten voraus. Die Zukunft des Königreiches befand sich im Ungewissen, solange es keinen neuen Thronfolger gab. Er musste mit Mathis darüber reden, auch wenn ihm längst bewusst war, wie sein Sohn darauf reagieren würde.

Lautes Stimmengewirr riss Berthold aus den düsteren Gedanken. Er öffnete das Fenster, um zu erkunden, was vdas draußen vor sich ging. War es schon an der Zeit, dass sich die vier Männer seiner Leibgarde auf dem Weg machten, um Mathis und den fremden Mann vom Portal abzuholen?

„Vater“, erklang plötzlich die Stimme seines Sohnes.

„Mathis“, rief er zurück und hob freudig die Hand zum Gruß.

„Du musst mir helfen. Ich … schnell, ich brauche einen Heiler und eine Trage und Leute …“

„Nun beruhige dich doch erst einmal“, sagte der König lächelnd, auch wenn er die Nervosität seines Sohnes deutlich spüren konnte. „Was ist denn passiert? Und … warte, ich komme erst einmal nach unten.“

„Vater, beeil dich bitte. Es ist ...“

Berthold hörte die letzten Worte nicht mehr, denn er war bereits an der Tür, riss sie auf und hastete den langen Flur entlang.

Als er nach draußen trat, hatte sich bereits eine stattliche Anzahl an Leuten versammelt. Der Heiler war ebenfalls anwesend und einige Männer, die eine Trage herumschleppten.

„Willst du mir nicht sagen, was passiert ist, Sohn?“, erkundigte sich Berthold und sein Tonfall klang strenger, als er es beabsichtigt hatte. Augenblicklich erstarben all die hektischen Bewegungen und die Leute bildeten eine Gasse, um den König durchzulassen.

„Harry“, sagte Mathis und sah seinen Vater panisch an. „Er ist ohnmächtig. Jedenfalls hoffe ich, dass es nichts Schlimmeres ist.“

„Erzähl weiter.“

„Bitte, wir müssen uns zuerst um ihn kümmern. Ich habe ihn ganz allein im Wald zurückgelassen. Es war niemand da und ...“

„Deine Ankunft wurde nicht so früh erwartet. Ich wollte gerade die Männer losschicken.“

„Das spielt jetzt auch keine Rolle. Er liegt da jedenfalls und ...“

„Möglicherweise hat er sich lediglich den Kopf an einem Stein oder einer dieser dicken Wurzeln aufgeschlagen“, sagte der König und versuchte, auf diese Weise seinen Sohn zu beschwichtigen.

„Nein, Vater“, rief Mathis aufgeregt. „Er hatte schon im Portal furchtbare Schmerzen und dann ist er einfach zusammengebrochen. Bitte, wir müssen uns um ihn kümmern.“

„Du bringst einen kranken Mann in unser Land? Was, wenn er eine Krankheit hat, die wir hier nicht heilen können? Wenn sie vielleicht sogar ansteckend ist und ...“

„Vater“, wurde er von Mathis unterbrochen. Sein Sohn legte ihm eine Hand an die Wange. „Wir müssen ihm jetzt helfen.“

„In Ordnung“, gab der König nach und beorderte die entsprechenden Leute, sich auf den Weg zu machen. Als Mathis sich anschickte ebenfalls loszulaufen, hielt er ihn am Arm fest.

„Wo willst du ihn?“

„Ich kann nicht warten bis sie zurückkommen, sondern muss nachsehen, wie es Harry geht. Vielleicht ist er inzwischen auch aufgewacht, dann muss doch jemand da sein, den er kennt.“

„Nachdem, was du mir bisher von dem Mann berichtet hast, erscheint es mir nicht, als könnte er nicht allein zurechtkommen“, erwiderte Berthold und sah seinen Sohn musternd an. Die ganze Angelegenheit erschien ihm immer weniger klug zu sein. Er hätte Mathis‘ Bitte nicht nachgeben dürfen. Es war nicht gut, wenn Fremde in dieses Land kamen. Noch dazu, wenn sie einer anderen Welt entstammten. Ein heftiges Pochen hinter der linken Schläfe ließ ihn zusammenzucken. Mit einer Hand rieb er sich über die Stirn und seufzte tief. Schließlich nickte er und Mathis rannte den Männern sofort hinterher. Er beobachtete sein einziges Kind und wünschte sich, die Zeit ein klein wenig zurückdrehen zu können. Nur einige wenige Jahre, damit er diesen so übermächtigen Fehler wiedergutmachen konnte. Wie wäre das Leben wohl verlaufen, wenn er Mathis von Anfang an erzählt hätte, was für ein Erbe er in sich trug und was er bisher darüber in Erfahrung bringen konnte? Außerdem wäre es nicht nötig gewesen, den Königssohn des Nachbarreiches wegzuschicken, was zu einem sehr spannungsgeladenen Verhältnis führte. Vielleicht wären sich die beiden Männer näher gekommen … Erneut entkam ein tiefer Seufzer seiner Kehle. Der Gedanke, wie wunderbar alles ohne seinen Starrsein hätte werden können, brach ihm schier das Herz.

Doch es gab nun einmal keine Möglichkeit, die Zeit zu manipulieren. Der Lauf der Geschehnisse war unabdingbar und die Wünsche der Menschen spielte kaum eine Rolle.

Noch immer stand Berthold im Hof und starrte auf das weit geöffnete Tor. Der Gedanke an den fremden Mann jagte ihm einen Schauer über den Rücken und das seltsame Gefühl von vorhin,breitete sich erneut in ihm aus.

In dem Moment, als sich der König ins Innere der Burg zurückziehen wollte, kam ein Reiter herein. Er brachte das schwarze Pferd zum Stehen und sprang ab. Sofort eilten zwei der verbliebenen Männer seiner Leibgarde hinzu und stellten sich schützend vor den König. Er wusste jedoch, dass es nicht nötig war, denn er kannte das Wappen auf der Brust des Reiters. Ein weiteres unangenehmes Kribbeln befiel seinen Körper. Er drückte die Schultern nach hinten und sorgte für eine aufrechte Haltung. Es bestand kein Zweifel daran, was in dem Papier, das ihm nun entgegengehalten wurde, geschrieben stand. Die Zeit war gekommen und dass Mathis gerade jetzt hier war, machte es leichter eine Entscheidung zu treffen.

„Mit herzlichen Grüßen meiner Majestät“, sagte der fremde Mann und deutete eine Verbeugung an. Der König nickte und nahm die Schriftrolle entgegen.

„Ruht euch aus. In der Küche bekommt ihr zu Essen und im Stall gibt es Futter für das Pferd.“ Der König deutete in die entsprechenden Richtungen. Der Bote nickte.

„Meine Königin hat mir aufgetragen, auf eure Antwort zu warten“, sagte der Reiter mit gesenktem Blick.

„So soll es sein. Ich muss mich mit meinem Sohn darüber beraten. Ihr bekommt ein Zimmer zugewiesen.“

Eilig drehte der König sich um und ging ins Innere der Burg. Kaum hatte er den Gang betreten, der zu seinem Arbeitszimmer führte, entrollte er das Papier und begann zu lesen. Der Inhalt war nicht neu, aber ihn so schwarz auf weiß zu sehen, sorgte dafür, dass sich ein schweres Band um seinen Brustkorb zog und ihm die Luft zum Atmen nahm. Natürlich war es das Beste für beide Völker. Zwei Königreiche, beide ohne Nachfolger ... Es war richtig eine Verbindung einzugehen. Trotzdem rumorte sein Magen bei dem Gedanken daran, eine Frau zu heiraten. Noch war sie fähig ein Kind zu gebären und ihnen beiden einen Thronerben zu schenken. Gleichzeitig wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, dass Mathis sich eines Tages doch noch der Verantwortung stellen würde. Oder Aiden … vielleicht war sein Enkelsohn ja derjenige mit dem Anspruch auf den Thron.

Gedankenversunken rieb er sich über den Dreitagebart und warf das Papier auf den Schreibtisch. Beinahe magisch fühlte er sich von dem Wandteppich angezogen. Er legte den Kopf schief und starrte auf das Bild, das plötzlich seltsam faszinierend auf ihn wirkte. Mit dem Zeigefinger fuhr er über den Rand. Obwohl der Stoff auf den ersten Blick grob wirkte, fühlte er sich weich und flauschig an. Er schloss die Augen und eine erstaunliche Wärme bildete sich dort, wo er das Bild berührte. Sie schien durch seinen Körper zu wandern, verwandelte sich in Hitze, die sein Blut schneller durch die Adern laufen ließ. Das Herz begann ebenfalls heftig zu pumpen und in seinem Kopf setzte ein unheimliches Dröhnen ein. Hektisch atmend spürte er diesem Gefühl nach und dann geschah es erneut. Für einen winzigen Augenblick fühlte er sich von einem Augenpaar beobachtet. Schemenhaft nahm er das Gesicht dazu wahr und erstaunliche Vertrautheit breitete sich in ihm aus. Sein Körper vibrierte und es schien, als läge ein merkwürdiges Flirren in der Luft. Der König schluckte schwer und schwermütige Sehnsucht überfiel ihn. Sie erinnerte ihn an den herben Verlust seiner Liebe, aber auch daran, dass es seitdem nie wieder einem Mann gelungen war in sein Herz zu gelangen. Die Einsamkeit fraß ihn auf. Er sehnte sich danach, mit jemandem das Bett zu teilen, aber es war nicht die Königin, deren Ehevertrag er achtlos auf den Tisch geworfen hatte. Mühevoll riss er sich von dem Wandteppich los. Mit einem Schlag verstummte sein Körper und die Schwermut traf ihn heftiger als je zuvor. Mit seiner Zustimmung zur Hochzeit würde er den gleichen Fehler noch einmal begehen. Diesmal entschied er sich jedoch bewusst dazu, was die Sache allerdings auch nicht besser machte. Nur ein Narr lernte nicht aus den Fehlern der Vergangenheit. Auf der anderen Seite stand das Wohl seines Volkes auf dem Spiel und als weiser Herrscher sollte er seine eigenen Wünsche hintenanstellen.

Erneut durchbrach ungewohnter Lärm seine Grübeleien. Beinahe war er dankbar dafür, dass er noch einen kleinen Aufschub für die Entscheidung bekam und eilte hinaus. Vier Männer trugen die hölzerne Liege. Der Heiler folgte ihnen und gleich dahinter ging Mathis. Sein Gesicht war vor Aufregung ganz rot. Immer wieder streifte er die Hände an der Hose ab. Berthold konnte sich bei dem Anblick ein Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn die Gewandung anders und fremdartig war, so hatte sie seinen Sohn doch nicht verändert. Er war noch immer der hübsche Junge mit den wilden Locken und dem viel zu großen Herzen. Davor hatte er sich vermutlich am meisten gefürchtet. Er wusste, dass sein Sohn ihn bedingungslos liebte, konnte ihm diese Liebe jedoch nicht in vollem Maße zurückgeben, schon gar nicht zeigen.

„Vater“, rief Mathis ihm zu und wedelte mit einer Hand. Er nickte und ging zügig in den Raum. Die Männer hatten den Besucher bereits auf das Bett gelegt. Stirnrunzelnd betrachtete der König die Erscheinung.

„Was ist das für ein kahlköpfiger Riese?“, fragte er entsetzt und betrachtete die Füße, die über das Bettende hinausragten.

„Harry ist mehr als zwei Meter hoch“, antwortete Mathis kichernd. „Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, hatte ich regelrecht Angst vor ihm. Er erinnerte mich an den Riesen aus einer der Geschichten, die mir Etzold ...“ Er verstummte und schüttelte resigniert den Kopf.

„Schon gut, mein Sohn. Niemand konnte damit rechnen, dass dieser Mann uns auf so schändliche Weise betrügen würde. Allerdings hast du Recht, die Größe dieses Mannes ist erstaunlich. Noch nie wirkte eines unserer Betten in jeder Hinsicht klein.“

Er ging näher heran. Der Heiler wich ein Stück zur Seite, damit der König den fremden Besucher besser betrachten konnte. Nachdenklich glitt sein Blick über den Körper. Schwarzes Leder bedeckte die Beine. Ein schwerer Gürtel mit silbernem Beschlag umschlang die Taille. Das Oberteil schimmerte matt und war ebenfalls schwarz. Kräftige, mit Haaren und seltsamen Linien bedeckte Arme, ein kahler Schädel und ein Gesicht, das erstaunlich sanftmütig erschien. Gebannt starrte er auf die dunkelroten Lippen. Augenblicklich setzte das Kribbeln wieder ein. Es schien sich erneut in ihm auszubreiten.

„Ein erstaunlich hübscher Riese“, murmelte er gedankenverloren vor sich hin. In diesem Moment öffneten sich die Augen. So grau wie das Felsgestein von Zarah, mit einem Grün, das an Moos erinnerte … Berthold wich erschrocken zurück. Eine Gänsehaut sorgte dafür, dass ihn schauderte. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder undtrat einen weiteren Schritt nach hinten. Nur einmal hatte er eine ähnliche Augenfarbe gesehen, allerdings hatte er nicht zu hoffen gewagt, dass sich dieser Anblick jemals wiederholen würde. Vollkommen verwirrt stürmte er hinaus, lief in sein Arbeitszimmer und lehnte sich von innen gegen die Tür. Das Blut rauschte in seinen Ohren und die jahrelang unterdrückte Sehnsucht brach mit ungeahnter Kraft hervor.

3. Goldene Augen - Harry

„Ein erstaunlich hübscher Riese...“ Die Stimme drang in Harrys Unterbewusstsein und sorgte dafür, dass er mühsam die Augen öffnete. Nur verschwommen nahm er die Umgebung wahr. Er hatte keine Ahnung wo er sich befand, aber dann … Sein Blick wurde schärfer und er sah direkt in goldschimmernde Augen. Harry hielt den Atem an, während ein heftiges Kribbeln seinen Körper erfasste. In seinem Magen begann es zu rumoren und eine Sekunde befürchtete er sogar, dass er sich übergeben würde. Doch dann breitete sich Hitze in ihm aus und es schien, als würden seine Eingeweide brennen. Es war die gleichen Augen, die er auch in seinen Träumen sah, aber das Gesicht dazu kannte er nicht.

Als er den Fremden näher betrachten wollte, verschwand er aus seinem Blickfeld. Harry richtete sich auf, aber ein heftiger Schmerz fuhr durch seinen Schädel, sodass er sich stöhnend zurück in die Kissen fallen ließ. Er presste die Lider fest zusammen und legte einen Arm über die Stirn. Das laute Geräusch einer ins Schloss fallenden Tür ließ ihn zusammenzucken. Noch immer spürte er dieses unglaubliche Feuer in sich und gleichzeitig nahm ihm ein seltsames Gefühl von Vertrautheit gefangen. Harry atmete tief durch, suchte nach diesem Punkt in seinem Inneren, der die Ruhe und Gelassenheit wieder zurückbrachte.

„Was ist passiert?“, fragte er leise und unbestimmt in den Raum hinein.

„Du bist ohnmächtig geworden“, antwortete eine vertraute Stimme von links, während ein fremder Mann sich von rechts an seinem Oberkörper zu schaffen machte. Harry wollte zurückweichen, doch da legte sich eine Hand auf seinem Arm und streichelte ihn.

„Alles ist gut. Der Heiler will dich nur untersuchen. Du bist bestimmt bald wieder in Ordnung, Harry.“

„Mathis“, flüsterte er. Seine Kehle fühlte sich ganz trocken an. „Durst.“

Kaum einen Augenblick später spürte er etwas an seinem Mund. Er öffnete die Lippen und trank gierig von dem kühlen Wasser. Leider verschluckte er sich dabei, begann zu husten, wollte sich erneut erheben und stöhnte abermals, als ein heftiger Schmerz durch seinen Leib fuhr. Es kam ihm beinahe wie ein Blitz vor, der in seinem Kopf einschlug und sich dann durch seinen gesamten Körper zog. Selbst in den Zehen konnte er ein Stechen spüren.

„Langsam“, ermahnte ihn Mathis. Er wagte es erneut die Augen zu öffnen und sah seinem Freund ins Gesicht. „Was ist mit mir passiert?“, fragte er stockend.

„Das würde ich auch gern wissen. Hattest du diese Schmerzen bereits zu Hause?“

Harry versuchte sich zu erinnern. Als er am Morgen aufgestanden war, schien es ihm noch gut zu gehen. Er war unheimlich aufgeregt und nervös. Drei Mal hatte er seinen Rucksack kontrolliert, noch einmal in dem Buch herumgeblättert und sich den Zweifeln über die Richtigkeit dieser Mission hingegeben. Letztendlich überwogen jedoch Neugier und dieses unbestimmte Gefühl, dass er die Reise unbedingt unternehmen musste.

Sie trafen sich pünktlich an der vereinbarten Stelle im Wald. Schon als Harry die Lichtung betrat, verspürte er deutlich die besondere Energie und spannungsgeladene Schwingungen. Noch nie hatte er ein dermaßen großes Spinnennetz gesehen. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie das Tier aussah, das so etwas webte. Vielleicht gab es das jedoch gar nicht, weil dieses Netz eben nur eine Art Portal war, das wieder bis zum nächsten Feuertag verschwinden würde. Die Tautropfen, die sich an den Fäden befanden, glitzerten in der morgendlichen Sonne. Die Luft war klar und erfüllt von den Düften der Natur. Harry war aufgeregt und verspürte ein flaues Gefühl im Bauch. Nichts, was ihm Sorgen bereitet hätte, denn schließlich war dies ein ganz ungewöhnlicher Moment, der sein Leben mit Sicherheit nachhaltig beeinflussen würde.

Er begrüßte Mathis, der ebenfalls allein gekommen war. Sie umarmten sich herzlich. Dann ergriff Mathis seine Hand und sie gingen auf das Netz zu. Ein Flirren setzte ein. Es begann in Harrys Ohren zu rauschen und dann … Es war nicht allein der Sog, den er verspürte, als sie durch das Gespinst traten … ein unsäglicher Schmerz überfiel genau in diesem Moment seinen Körper. Sein Bauch schien in Flammen zu stehen. Harry krümmte sich, versuchte die Qual weg zu atmen, aber es wurde immer stärker. Schließlich versank er in tiefer Schwärze und jetzt war er hier.

„Sind wir …?“

„Ja“, antwortete Mathis mit einem Schmunzeln. „Wir sind im Reich meines Vaters. Offensichtlich hast du ihm einen Schrecken eingejagt, so wie uns allen. Geht es dir gut, mein Freund?“

„Kopfschmerzen“, nuschelte er und rieb sich stöhnend die Stirn.

„Hier, nimm etwas von dem Heiltrank. Er wird die Schmerzen schnell lindern.“

„Was ist das?“, erkundigte er sich, als er erneut einen Becher an seinen Lippen spürte. Diesmal war der Inhalt jedoch dunkel.

„Es ist eine Mischung aus verschiedenen Kräutern, wie Enzian, Myrre, Sennesblätter, Eberwurzel, Manna, zaharische Bergminze und Kalutor.“ Es war eine andere Stimme, die ihm antwortete und er vermutete, dass es der Heiler war.

„Klingt nach Schwedenkräutern“, sagte Harry und roch an dem Getränk. Der typische Geruch des Alkohols fehlte jedoch. Vorsichtig nippte er an der Flüssigkeit, die bitter und gleichzeitig erstaunlich süß schmeckte. Ein wohltuendes Gefühl breitete sich in seinem Inneren aus, sodass er erleichtert durchatmete.

„Kalutor … ist das ebenfalls eine Pflanze?“

„Nein, es ist ein Gestein, das zu Pulver zerrieben in den Trank kommt.“

Harry wandte sich komplett dem Heiler zu und sah in das Gesicht eines alten Mannes. Silbergraue Haare hingen ihm bis auf die Schulter. Ein dunkelgrüner Mantel mit vielen Taschen, die prall gefüllt schienen, umhüllte seinen Körper. Ein warmes Lächeln umspielte den Mund und erstaunlich klare Augen musterten ihn neugierig.

„Vermutlich möchten Sie mehr über die Heilkräfte des Kalutor erfahren?“

Harry nickte und versuchte sich abermals aufzurichten. Diesmal blieb der Blitzschlag aus, sodass er es wagte sich hinzusetzen und seine Beine über die Bettkante zu schwingen. In dieser Position erschien ihm der Mann geradezu winzig. Vermutlich war er kaum einen Meter sechzig groß, was geradezu grotesk wirkte. Er glucksender Laut entsprang seiner Kehle, weil er sich in diesem Moment wie Gulliver vorkam. Wobei Mathis ja durchaus eine normale Körpergröße besaß und …

„Wieso ist der König so schnell verschwunden?“, fragte er und die goldfarbenen Augen erschienen in seiner Erinnerung.

„Er … ich glaube, er hatte etwas Wichtiges zu erledigen. Ganz bestimmt wird er gleich zurück sein und dich gebührend begrüßen.“

Harry nickte lediglich, denn sein Gefühl sagte ihm, dass Mathis nicht ganz die Wahrheit erzählte. Viel zu präsent war der Moment, in dem sich ihre Blicke trafen. Er war überzeugt, dass auch der König dieses seltsame Gefühl gespürt hatte und davor geflohen war. Am liebsten wollte Harry sofort erkunden, was es war und gleichzeitig war er nicht sicher, ob er wirklich eine Antwort darauf haben wollte.

„Fühlst du dich besser?“, fragte Mathis und riss ihn aus den Gedanken.