ZigarrenHeld - Karo Stein - E-Book

ZigarrenHeld E-Book

Karo Stein

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ronnys Leben liegt in Scherben: Job weg, Wohnung weg, Freund weg und keine Aussicht auf Besserung. Aber ist sein Ex Kevin wirklich für immer verloren? Wer nichts zu verlieren hat, kann alles auf eine Karte setzen. Doch das böse Erwachen folgt direkt, denn Kevin ist alles andere als erfreut, Ronny wiederzusehen. Als plötzlich Hilfe in Form des charmanten Sebastians auf den Plan tritt, kann Ronny sein Glück kaum fassen. Dass Sebastian verdammt attraktiv ist, macht die Zwickmühle jedoch nicht leichter, in der sich Ronny schon bald wiederfindet, denn eigentlich will er doch Kevin zurückgewinnen. Aber vielleicht lohnt es sich auch manchmal, den Sprung ins Ungewisse zu wagen und sich auf etwas einzulassen, das sich so richtig anfühlt wie die Gefühle für Sebastian…

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 452

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Deutsche Erstausgabe (ePub) Juli 2019

© 2019 by Karo Stein

Verlagsrechte © 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN-13: 978-3-95823-765-0

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

Klappentext:

Ronnys Leben liegt in Scherben: Job weg, Wohnung weg, Freund weg und keine Aussicht auf Besserung. Aber ist sein Ex Kevin wirklich für immer verloren? Wer nichts zu verlieren hat, kann alles auf eine Karte setzen. Doch das böse Erwachen folgt direkt, denn Kevin ist alles andere als erfreut, Ronny wiederzusehen. Als plötzlich Hilfe in Form des charmanten Sebastians auf den Plan tritt, kann Ronny sein Glück kaum fassen. Dass Sebastian verdammt attraktiv ist, macht die Zwickmühle jedoch nicht leichter, in der sich Ronny schon bald wiederfindet, denn eigentlich will er doch Kevin zurückgewinnen. Aber vielleicht lohnt es sich auch manchmal, den Sprung ins Ungewisse zu wagen und sich auf etwas einzulassen, das sich so richtig anfühlt wie die Gefühle für Sebastian…

1. Ein winziger Funke Hoffnung

»In zwei Kilometern links abbiegen.«

Mein Herz schlägt augenblicklich schneller. Nervosität macht sich in mir breit. Das ist vermutlich die dümmste Idee, die ich seit Langem hatte und trotzdem... Ich konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken. Es ist nur ein winziger Funke Hoffnung, aber ich kann ihn nicht länger ignorieren. In meinem Leben läuft ohnehin alles schief, da kommt es auf eine weitere Dummheit auch nicht mehr an. Vielleicht habe ich ja Glück und es zeigt sich, dass das hier kein Fehler ist. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass ich ihn tatsächlich zurückbekomme und dann... dann wird hoffentlich alles wieder gut.

Die Ausfahrt kommt näher. Ich setze den Blinker und verringere das Tempo, während sich mein Puls gleichzeitig erhöht. Nach einem Blick in den Rückspiegel schere ich links aus. Meine Finger zittern. Ich atme tief durch. Die weibliche Stimme des Navis sagt, dass ich rechts abbiegen soll. Ich werfe einen kurzen Blick auf das Display. Noch eine halbe Stunde, bis ich mein Ziel erreicht habe.

Ich fahre mir unwirsch mit einer Hand über die auf wenige Millimeter kurzgeschorenen Haare und unterdrücke ein Gähnen. Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal richtig geschlafen habe. Mein Leben geht den Bach runter und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll. Vor einem halben Jahr habe ich meinen Job verloren. Seitdem läuft alles schief. Mein Chef war zu alt, um die Bäckerei noch länger zu betreiben und einen Nachfolger gab es nicht, also wurde das kleine Geschäft geschlossen.

Kurz danach flatterte mir die Kündigung der Wohnung ins Haus. Es war ein Zufall, aber einer, der mich gleich doppelt hart getroffen hat. Der Vermieter meldete berechtigten Eigenbedarf an. Alles hieb- und stichfest, mit Einhaltung der Fristen. Ich hätte mir die Wohnung ohne Job ohnehin nicht mehr lange leisten können.

Anstatt mich jedoch um eine Alternative zu kümmern, fiel ich in ein tiefes Loch. Die nächsten Wochen habe ich auf dem Sofa verbracht und mir jede noch so dämliche Sendung, die im Fernsehen lief, reingezogen. Ich konnte nicht schlafen, aber ich war auch nicht fähig, mich aufzuraffen. Irgendwie erschien mir alles dermaßen aussichtslos, dass ich... Keine Ahnung, worauf ich gewartet habe.

Schließlich begann ich, über mein Leben nachzudenken, über die guten Zeiten, über Kevin. Er war plötzlich wie ein leuchtender Stern in der Dunkelheit und ich wusste, dass ich alles versuchen muss, um ihn zurückzubekommen. Kevin und ich, wir haben uns geliebt. Es gab niemanden, mit dem ich mir so sehr eine Zukunft aufbauen wollte, bis er mich Hals über Kopf verlassen hat. Noch heute begreife ich nicht, was da genau passiert ist, aber ich weiß, dass ich es herausfinden muss. Ich bin mir sicher, dass wir es zusammen schaffen können, wenn wir nur wollen.

Die Straße wird schmal und kurvenreich. Hohe Bäume und schroffe Felsen säumen den Rand. Im Gegensatz zur Autobahn muss ich mich hier echt konzentrieren und das ist durch meine Erschöpfung nicht so einfach. So kurz vor dem Ziel lege ich jedoch keine Pause mehr ein. Es sind schließlich nur noch ein paar Kilometer.

Ich kann es kaum erwarten, obwohl ich immer noch nicht weiß, was ich sagen soll, wenn ich vor ihm stehe. Seitdem ich den Plan gefasst habe, zu Kevin zu fahren, denke ich darüber nach, mit welchen Worten ich ihn von uns überzeugen kann. Ich habe an großartigen Reden gefeilt, logische Argumente hervorgezaubert und mir sogar ein paar Stichpunkte aufgeschrieben.

Nun beschleicht mich jedoch das Gefühl, dass nichts davon über meine Lippen kommen wird. Mein Hals fühlt sich schon jetzt trocken und zugeschnürt an. Ich suche in der Konsole nach der Dose mit den Kaugummis, aber natürlich ist sie leer. Seufzend werfe ich sie auf den Beifahrersitz, von dem sie in der nächsten Kurve auf den Boden rollt.

Ich fahre durch winzige, spießig wirkende Dörfer. Es ist kaum vorstellbar, dass jemand wie Kevin hier lebt. Er war doch immer so ein Freigeist, unabhängig und voller Ideen, die nach Großstadt klangen und nicht nach Kuhkaff. Tatsächlich bemerke ich auf der nächsten Wiese eine Herde Kühe und mir entkommt ein Auflachen.

Hinter der darauffolgenden Kurve entdecke ich das Hinweisschild mit dem großen Wolfskopf. Die bernsteinfarbenen Augen leuchten mich grimmig an. Direkt dahinter befindet sich der Ortseingang. Ich bin tatsächlich angekommen.

Zittrig stoße ich die Luft aus und starre den Wolf finster an. Verdammter Whisky. Ich hasse das Zeug.

Langsam fahre ich durch den Ort. Die Brennerei ist gut ausgeschildert, sodass ich nur wenige Minuten später auf ihrem Parkplatz stehe. Erschöpft lehne ich den Kopf gegen das Lenkrad und versuche Kraft zu tanken. Ich bin angekommen. Irgendwo in diesem ziemlich beeindruckend aussehenden Gebäude befindet sich Kevin. Wenn alles glatt läuft, verschwinden wir auch zügig wieder.

Ich kann einfach nicht glauben, dass er freiwillig hier lebt. In meinen wildesten Fantasien habe ich mir eingebildet, dass er gegen seinen Willen festgehalten wird und nur darauf wartet, dass ich ihn befreie und wir gemeinsam in ein wundervolles Leben aufbrechen. Wie schön wäre es, wenn davon nur ein Hauch wahr wäre.

Ich schaue mich auf dem Parkplatz um. Es stehen nur wenige Autos hier. Das könnte gut oder auch schlecht für mein Vorhaben sein. Ich möchte natürlich nicht unbedingt eine große Szene vor Hunderten von Leuten machen, aber auf der anderen Seite könnte ich ihn vielleicht zuerst eine Weile unbemerkt beobachten. Dann würde sich auch meine Aufregung legen und mein Kopf wäre weniger leer. Im Moment scheint da zumindest gar nichts drin zu sein. Ich kann mich an keinen einzigen Satz mehr erinnern.

Hektisch sehe ich mich im Wagen um. Irgendwo hatte ich den Zettel mit den Stichpunkten hingelegt. Vermutlich in die Reisetasche, an die ich jedoch nicht herankomme, ohne auszusteigen. Mühsam quäle ich mich aus dem Auto. Ein verdächtiges Knacken im Rücken bringt mich zum Keuchen.

Ich strecke mich ausgiebig und atme tief durch. Ein seltsamer Geruch liegt in der Luft. Irgendwie süßlich, aber auch eindeutig nach Alkohol. Ich verziehe angewidert das Gesicht und gehe nach hinten zum Kofferraum. Nachdem ich die Klappe geöffnet habe, verharre ich einen Moment.

Hier drin ist alles, was ich besitze. Die meisten Möbel habe ich verschenkt, ein paar Dinge konnte ich verkaufen. Der klägliche Rest meines Lebens befindet sich in diesem Auto. Ich kann und will nicht wieder zurück. Früher hat Kevin immer von der Großstadt geträumt. Berlin, Köln, Hamburg... Mir ist es egal, solange wir zusammen sind. Vermutlich habe ich dort auch bessere Chancen auf einen neuen Job.

Den Zettel finde ich nicht. Vielleicht habe ich ihn aus Versehen weggeworfen. Ich war wohl nicht ganz Herr meiner Sinne, aber das wird sich jetzt bestimmt ändern.

»Kevin«, flüstere ich und lausche dem Klang des Namens nach. Ich habe ihn so vermisst. Endlich kann ich ihm wieder nah sein. Sehnsüchtig starre ich die Eingangstür an, aber meine Beine sind noch nicht bereit, sich in Bewegung zu setzen. Nur noch ein paar Minuten, um Mut zu schöpfen und neue Kraft zu tanken. Am liebsten wäre es mir, wenn er einfach herauskommen würde. Leider habe ich in dieser Hinsicht wohl kein Glück.

Mit einem lauten Rums schließe ich den Kofferraum wieder und werfe die Tür der Fahrerseite zu. Ich kann nicht länger warten, auch wenn ich mittlerweile am ganzen Körper zittere. Dabei ist es total heiß. Die Sonne brennt vom perfekt blauen Himmel, an dem sich nicht mal eine Schleierwolke befindet.

Was mache ich nur, wenn er nicht da ist oder... oder mich tatsächlich nicht sehen will? Der Gedanke zuckt wie ein Blitz meine Wirbelsäule entlang und verbrennt meine Eingeweide regelrecht. Bisher habe ich es mir verboten, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Er wollte mich doch immer, hat sich so viel Mühe gegeben, mich zu umwerben, mir zu zeigen, wie sehr er auf meinen Körper steht. Der Sex war doch auch nicht schlecht. Vielleicht nur nicht so, wie man es in Kitschromanen liest.

Ich schlucke schwer und kann nichts dagegen tun, dass sich ein sanftes Kribbeln in meinem Unterleib ausbreitet. Vielleicht liege ich schon heute Abend in seinen Armen. Nass und klebrig und so gut durchgefickt, wie nur Kevin es kann. Zumindest wenn ich vorher eine Möglichkeit finde, mich für ihn vorzubereiten. Aber ich kann ihm auf jeden Fall einen Blowjob geben. Da steht er schließlich total drauf.

Verdammt, wieso ist nur alles so schiefgelaufen? Er hatte kein Recht, mich einfach zu verlassen. Eine Spur Wut breitet sich in mir aus und sorgt dafür, dass ich zielstrebig auf den Eingang zugehe.

Energisch öffne ich die Tür und bleibe abrupt stehen. Nur wenige Meter entfernt befindet sich Kevin. Neben ihm stehen zwei weitere Männer. Es scheint nicht so, als würde es Kevin gefallen, worüber sie sprechen. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt und sieht ziemlich wütend, aber auch vollkommen fremd aus.

Es ist beinahe ein Jahr her, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Damals hatte er sich bereits verändert, aber nicht so krass wie jetzt. Er ist breiter geworden. Nicht fett, ganz im Gegenteil... Kevin sieht so verdammt sexy aus, dass mir flau im Magen wird. Er strotzte schon immer vor Selbstbewusstsein, aber jetzt ist es noch deutlicher sichtbar. Ich habe das Gefühl, seine Aura strahlt bis zu mir und wirft mich bereits nach wenigen Sekunden vollkommen aus der Bahn.

Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte in den Raum hinein und bleibe erneut stehen. Ich weiß nicht, ob ich seine Aufmerksamkeit erregen oder ihn lieber noch ein wenig unbemerkt beobachten möchte.

Leider entdeckt mich im nächsten Moment einer der anderen Männer. Ein großer Kerl mit perfekt gebräunter Haut und langen blonden Haaren, die er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden hat. Er mustert mich dermaßen intensiv, dass meine Wangen zu brennen beginnen. Ich lecke mir über die Lippen und versuche irgendwie cool zu bleiben. Wie lächerlich. Ich bebe am ganzen Leib und bezweifle, dass ich auch nur ein vernünftiges Wort herausbekommen werde. Am besten ich verschwinde schnell von hier. Vielleicht warte ich bis morgen oder erwische Kevin, wenn er Feierabend hat.

»Ronny?«

Zu spät. Kevin starrt mich ungläubig an. Ich versuche zu lächeln, aber vermutlich verziehe ich mein Gesicht eher zu einer Fratze.

»Hey«, krächze ich und verfluche mich dafür, dass meine Stimme vollkommen bescheuert klingt.

»Was zur Hölle machst du hier?«, fragt Kevin und sieht wirklich nicht einmal annähernd so begeistert aus, wie ich es mir ausgemalt habe.

»Wollte dich besuchen«, quetsche ich mühevoll hervor. Der dritte Mann – groß, muskulös, dunkelhaarig – legt einen Arm um Kevins Schulter. Das ist dann wohl der Kerl, mit dem er zusammenlebt und dem diese Whiskybrennerei gehört. Michael Wolf. Ich hasse den Namen und Whisky und überhaupt alles, was in Zusammenhang mit diesem Arschloch steht. Er hat mir Kevin weggenommen, dabei passen sie gar nicht zusammen. Kevin braucht einen Mann wie mich.

»Hat sich denn heute die ganze Welt gegen mich verschworen?«, schimpft der nun jedoch und wirft die Arme theatralisch in die Luft. »Weshalb willst du mich besuchen? Wir haben seit einer Ewigkeit keinen Kontakt mehr und daran muss sich auch echt nichts ändern.«

»Komm wieder runter«, sagt der verdammte Arsch neben ihm und haucht Kevin einen Kuss auf die Schläfe. »Ist doch irgendwie ein Ausgleich.«

Der blonde Kerl beginnt zu lachen, kommt auf mich zu und streckt mir die Hand entgegen.

»Sebastian. Freut mich, dich kennenzulernen. Wir sind gerade spontan zu Verbündeten geworden.«

»Ähm«, fällt mir nur dazu ein, da ich nicht begreife, worum es geht. Instinktiv erwidere ich den Gruß. Kräftig und warm umschließen seine Finger meine Hand. Ein seltsames Prickeln kriecht meinen Arm entlang, sodass ich mich eilig wieder von ihm löse. Ich nuschle noch schnell meinen Namen und blinzle ihn verwirrt an.

»Ist mir ein Vergnügen, Ronny.«

»Ich bin Michael.« Kevins Freund kommt ebenfalls auf mich zu und reicht mir die Hand. Ich starre jedoch nur darauf und weigere mich, sie zu ergreifen. Mit einem Schulterzucken lässt er den Arm wieder sinken. Aus einem Impuls heraus überwinde ich die Distanz zu Kevin und schlinge meine Arme um seinen Hals.

»Ich hab dich so vermisst«, raune ich ihm zu und spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen.

»Hör auf mit dem Scheiß«, knurrt Kevin und bringt Abstand zwischen uns. Es zerreißt mir das Herz, dass er so gemein zu mir ist. Ich hatte so sehr gehofft, dass er sich freuen würde.

»Sei nett«, fordert dieser Michael von Kevin, aber von dem will ich wirklich kein Mitleid.

»Das passt doch perfekt«, behauptet Sebastian und klatscht sogar in die Hände. »Michael und ich haben noch etwas Geschäftliches zu besprechen und währenddessen könnt ihr euer Liebesleben in Ordnung bringen.«

»Da gibt es nichts, was...« Doch ehe Kevin weiterreden kann, küsst Michael ihn. Ich keuche auf. Es tut so verdammt weh zu sehen, wie sich Kevin gegen den Mann presst und sie sich praktisch gegenseitig auffressen. Das ist einfach widerlich.

»Genug«, ruft Sebastian, als hätte er meine Gedanken erraten und zerrt die beiden auseinander. »Dafür habt ihr später noch Zeit.« Er grinst mich dabei an. Ich finde die ganze Situation wirklich nicht besonders amüsant.

»Lass ja die Finger von meinem Mann«, knurrt Kevin Sebastian an. Ich wünschte, er würde mich damit meinen, aber da Sebastian und Michael weggehen und Kevin und ich zurückbleiben...

Ich starre ihnen hinterher. Sie sehen aus, als könnten sie gemeinsam die ganze Welt einreißen. Für einen Moment streift mein Blick Sebastians Hintern, der in der engen Jeans wirklich perfekt zur Geltung kommt. Dann packt mich Kevin jedoch am Arm und zerrt mich hinter sich her in einen kleinen Nebenraum. Mit einem Knall wirft er die Tür hinter uns ins Schloss und starrt mich versteinert an. Erneut schlinge ich meine Arme um ihn.

»Endlich! Ich habe dich so sehr vermisst. Ich kann kaum glauben, dass ich dich endlich wiederhabe.« Die Worte purzeln regelrecht aus meinem Mund. »Du hast mir so gefehlt, Kevin. Lass uns...«

»Was soll der Scheiß?!«, ruft er, packt meine Handgelenke und befreit sich aus der Umarmung.

»Ich bin gekommen, weil ich dich wiederhaben will. Wir gehören zusammen und das weißt du auch.«

»Einen Scheiß tun wir. Es ist...« Kevin mustert mich intensiv, dann schüttelt er den Kopf und lässt mich mit einem ungehaltenen Laut los. »Das ist ein verfluchter Albtraum. Ich kann nicht fassen, dass mir die Vergangenheit dermaßen heftig in den Arsch tritt. Endlich hatte ich alles im Griff und dann...«

»Mach dir keine Sorgen«, meine ich und lege mitfühlend einen Arm um seine Schulter. »Ich wusste, dass du mich brauchst und deshalb... Ab jetzt wird alles wieder gut.«

Kevin fängt an zu lachen, aber es klingt nicht wirklich belustigt, sondern eher hysterisch.

»Ich hatte dich längst vergessen, Ronny. Eigentlich dachte ich, dass ich dir bei unserem letzten Treffen deutlich gesagt hatte, dass aus uns nichts wird.«

»Da warst du vollkommen durcheinander, weil dieser Kerl dich so verletzt hat. Ich verstehe nicht, wie er dich wieder einwickeln konnte. Erpresst er dich mit irgendwas? Zwingt er dich, hierzubleiben? Ich meine, schau dich mal um. Das bist doch überhaupt nicht du. Du...«

»Du kennst mich nicht«, unterbricht Kevin mich. Er reibt sich über die Augen und seufzt. Dann lässt er sich auf einen der Stühle fallen, streckt die Beine aus und legt den Kopf in den Nacken. »Das darf echt alles nicht wahr sein.« Ruckartig setzt er sich wieder auf und schaut mich an.

»Wie kommst du nur auf die Idee, dass da noch irgendwas zwischen uns sein könnte?«

»Nachdem du weg bist, ist irgendwie alles in meinem Leben schiefgelaufen, also habe ich angefangen nachzudenken und du... Na ja, du bist das Beste, das mir je passiert ist, also...« Ich knie mich vor Kevin auf den Boden und nehme sein Gesicht in meine Hände. »Wir hatten doch eine wirklich gute Zeit. Ich bin mir sicher, dass wir es noch mal hinbekommen können. Sogar noch viel besser als beim letzten Mal. Ich verzeihe dir den ganzen Mist, also komm mit mir mit.«

»Wohin denn?«

»Keine Ahnung, aber das spielt auch keine Rolle. Wir sind beide frei, um dorthin zu fahren, wo es uns gefällt, und ein neues Leben aufzubauen. Ich gehe mit dir, wohin du willst.«

»Das ist total verrückt«, murrt Kevin, aber ich bilde mir ein, dass da etwas in seiner Stimme ist, das nicht komplett abgeneigt wäre. Der winzige Funke Hoffnung schwillt an und füllt meinen Brustkorb aus.

»Manchmal braucht man vielleicht eine Auszeit, um zu erkennen, was wirklich zählt, oder mit wem man zusammen sein will. Das hier, das bist du doch überhaupt nicht.«

Erneut finden sich unsere Blicke. Ich beuge mich ein wenig nach vorn und lecke mir über die Lippen. Ich will ihn so gern küssen.

»Kevin?«, frage ich leise. Er schließt die Augen. Ich berühre seinen Mund mit meinem. Leider schreckt er zurück und starrt mich entsetzt an.

»Verdammt, das war keine Einladung.« Eilig befreit er sich von mir und schüttelt den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich annimmst, wir würden jemals wieder zusammenkommen. Das ist vollkommen absurd, Ronny. Du warst schon damals nicht mein Traumtyp, sondern lediglich Mittel zum Zweck. Ich dachte, das hättest du längst erkannt. Ich sollte mich bei dir dafür entschuldigen, dass ich so ein Arschloch war.«

»Du bist jetzt ein Arschloch, wenn du nicht erkennst, was wir hatten und vor allem wieder haben könnten. Damals war alles in Ordnung mit uns.«

Wütend springe ich auf. Auch Kevin erhebt sich. Er sieht müde und erschöpft aus. Am liebsten möchte ich ihn sofort wieder in die Arme ziehen, aber ich weiß nicht, ob ich stark genug für eine weitere Zurückweisung bin.

»Es tut mir wirklich leid«, sagt er schließlich. »Aber nebenan unterhalten sich gerade der Mann, den ich liebe, und sein Ex. Sie haben eine gemeinsame Vergangenheit, die mich eifersüchtig macht und mich an Dinge erinnert, die ich eigentlich längst vergessen wollte. Ich habe Angst davor, dass Michael plötzlich feststellt, dass es mit Sebastian viel besser war, als es mit mir jemals sein könnte.«

»Dann komm mit mir.«

Er lacht bitter, kommt auf mich zu und legt seine Hände auf meine Schultern.

»Das will ich nicht, denn ich habe endlich gefunden, wonach ich so lange gesucht habe. Es ist alles genau hier und du gehörst nicht dazu. Das hast du nie.«

»Weshalb bist du so gemein zu mir?«, frage ich mit erstickter Stimme und kann die Tränen nicht länger zurückhalten. Es ist, als würde die Seifenblase, in der ich mich seit Wochen befunden habe, mit einem Mal zerplatzen. Das ist unfair.

»Ich war schon immer gemein zu dir und das weißt du auch. Vielleicht nicht, als wir uns damals noch einmal wiedergetroffen haben, aber ansonsten... Ronny, ich war der mieseste Freund, den man sich nur vorstellen kann.«

»Möglicherweise sieht Michael das ja genauso und geht zu diesem anderen Kerl zurück.«

»Das will ich mir überhaupt nicht ausmalen, denn das würde mich wirklich zerstören.«

»Dann komm zu mir. Mach mit ihm Schluss, bevor er es mit dir tut.«

Ehe er darauf antworten kann, klopft jemand an die Tür und dieser verdammte Michael erscheint im Raum.

»Na, alles klar?«, fragt er und sieht uns abwechselnd an.

Kevin schüttelt den Kopf und sieht so verloren aus, dass es mir das Herz bricht. Ich will ihn trösten, aber er flüchtet zu Michael. Sie sind kein schönes Paar. Kevin und ich passen gut zusammen, aber die beiden... Michael lässt Kevin gar nicht so groß erscheinen, wie er eigentlich ist. Er ist viel zu muskulös und breit und überhaupt. Kevin braucht jemanden wie mich.

»Was ist mit dir?«, fragt Michael und sieht mich an. »Wollen wir zusammen essen gehen? Ich glaube, wir könnten vermutlich alle einen Happen gebrauchen.«

»Kommt Sebastian auch mit?«, erkundigt sich Kevin.

»Er wartet draußen auf uns.«

»Ich will nicht so eifersüchtig sein«, jammert Kevin. Ich verziehe angewidert das Gesicht. Er benimmt sich wirklich seltsam und fremd.

»Dann hör auf damit. Du weißt, dass es keinen Grund dafür gibt. Sebastian und ich haben eine Absprache getroffen, die hoffentlich gut für uns beide sein wird. Rein geschäftlich... Es gibt nur dich für mich.«

Sie küssen sich erneut und mir wird schlecht. Eilig verlasse ich den Raum und gleich auch die verdammte Brennerei. Ich schaffe es noch bis zu einem der Büsche vor dem Haus, bevor ich mich übergebe. Der Anblick war einfach nicht zu ertragen. Hustend und spuckend versuche ich, mich irgendwie wieder unter Kontrolle zu bringen.

»Hey, alles in Ordnung? Hier, nimm ein Taschentuch.« Blind greife ich danach, um mir den Mund abzuwischen. Eine Hand fährt beruhigend über meinen Rücken. Für eine Sekunde hoffe ich, dass es Kevin ist, als ich jedoch aufsehe, mustert mich Sebastian mitleidig. Ich reiße mich los und haste zu meinem Auto. Der Schlüssel fällt auf den Boden, als ich ihn aus der Hosentasche ziehe. Ehe ich mich danach bücken kann, hält Sebastian ihn in der Hand.

»Ist keine gute Idee, in diesem Zustand zu fahren.«

»Ist mir scheißegal«, knurre ich zurück und versuche, ihm den Schlüssel wegzunehmen. Er streckt den Arm in die Luft, was es mir unmöglich macht, daran zu kommen. Er ist viel zu groß, was mich wirklich wütend macht. Ganz abgesehen davon, dass es furchtbar albern ist.

»Gib mir den Schlüssel«, brülle ich und klinge selbst in meinen eigenen Ohren hysterisch.

»Wie wäre es mit einem Deal?«

Irritiert sehe ich ihn an. Ich habe keine Ahnung, was er vorhat, aber ich weiß, dass ich heute einfach nicht noch mehr Schmerz ertragen kann. Ich will nur in Ruhe meine Wunden lecken und... und...

»Ich weiß gar nicht, wohin mit mir«, stelle ich leise fest und schließe die Augen. Mein Plan hat nur bis hierher gereicht und dann dachte ich, dass Kevin die Führung wieder übernehmen würde. Ich wollte ihn aus dieser Hölle befreien, damit er anschließend mein Leben retten kann. Jetzt stehe ich allein auf diesem verfluchten Parkplatz.

»Meine Mutter führt eine Pension hier im Ort. Wie wäre es, wenn du heute Nacht mitkommst. Ich weiß, dass sie noch Zimmer freihat.«

»Wieso?«

»Du siehst aus, als könntest du ein bisschen Schlaf und Erholung vertragen. Ich hab keine Ahnung, was da zwischen dir und Kevin gelaufen ist, aber du bist in einem Zustand, in dem du wirklich nicht mehr selbst fahren solltest.«

»Vermutlich wäre es egal, wenn mir was passiert. Das würde alle Probleme lösen.«

Ich will nicht so todessehnsüchtig klingen, aber mein Kartenhaus ist gerade zusammengestürzt... Ein weiterer Punkt in meinem Leben, das nur noch aus Fehlschlägen zu bestehen scheint.

»Du redest Unsinn und das weißt du auch.«

»Du kennst mich doch überhaupt nicht.« Ungeduldig versuche ich erneut, meinen Schlüssel zu bekommen, aber Sebastian schüttelt den Kopf.

»Lass mich fahren und ich verspreche dir, dass die Welt morgen viel besser aussieht.«

»Ohne Kevin kann sie überhaupt nicht besser aussehen.«

»Vielleicht fällt uns da ja gemeinsam was ein.«

»Wirklich? Du würdest mir helfen? Warum? Bist du tatsächlich an Michael interessiert?«

»Das spielt doch keine Rolle, oder? Sehen wir erst mal zu, dass wir von hier verschwinden, dir etwas zu essen besorgen und ein Bett, in dem du dich ausschlafen kannst.«

Ich will nicht zustimmen, aber ich habe auch keinen besseren Plan. Mein Blick schweift auf der Suche nach Kevin über den Parkplatz. Er muss doch gemerkt haben, dass ich rausgelaufen bin. Wieso ist er mir nicht gefolgt?

»Komm schon, gib dir einen Ruck. Ich kann nicht zulassen, dass du in diesem Zustand allein in der Gegend herumfährst.«

»Ich brauche keinen Babysitter, hab es bisher auch ohne Hilfe geschafft.«

»Essen, Trinken, eine warme Dusche und ein gemütliches Bett.« Sebastian zählt die Vorteile an einer Hand ab. Mein Magen knurrt leise, ganz abgesehen davon, dass ich mich schmutzig fühle und vermutlich auch stinke. Ich starre auf den Autoschlüssel, den er längst nicht mehr über seinen Kopf hält. Solange Kevin nicht aus dem Haus gestürmt kommt, um mich zurückzuholen, ist es wohl die beste Option. Ich werfe Sebastian einen grimmigen Blick zu und gehe auf die Beifahrerseite.

»Verdammt«, knurre ich und atme tief durch. »Überredet.«

2. Buena Vista

Ich bin so müde, dass ich während der Fahrt kaum die Augen offen halten kann. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, weshalb ich einem vollkommen Fremden erlaube, mein Auto zu fahren. Mehr noch, ich habe überhaupt keine Ahnung, wohin er mich bringt. Theoretisch könnte er mich auch irgendwo im Wald aussetzen, oder ein Psychopath sein, der hinter der nächsten Kurve ein Messer zückt und mich ersticht und im Straßengraben verscharrt. Entsetzt über meine blühende Fantasie schüttle ich den Kopf und versuche, mir den Weg einigermaßen zu merken.

»Du und Kevin?«, erkundigt sich Sebastian nach einer Weile.

»Hm«, nuschle ich lediglich und unterdrücke ein Gähnen. Ich und Kevin... Noch vor ein paar Stunden fühlte sich das so richtig und perfekt an. Das Wiedersehen war jedoch mehr als ernüchternd. Er sah so anders aus, hat sich seltsam benommen und... verdammt, es wirkte tatsächlich, als würden sie sich lieben. Er und Michael.

»Du und Michael?«, frage ich mit schwerer Zunge und schaue kurz zu meinem Fahrer hinüber. Er grinst breit, nickt und schüttelt dann den Kopf.

»Nicht wirklich. Wir hatten einen kurzen, intensiven Moment, aber nichts, was irgendwie von Bedeutung wäre, jedenfalls nicht längerfristig. Ist auch schon verdammt lange her.«

»Aber Kevin war eifersüchtig.«

»Ich bin eben ein umwerfender Typ.« Er lacht, schaut mich an und zwinkert mir zu. Das ist er tatsächlich, auch wenn er ohne Frage einige Jahre älter ist als ich, sieht er unglaublich gut aus. Sexy und männlich. Ich komme mir dagegen gerade wie ein kleiner Junge vor.

»Wir sind da.« Sebastian fährt durch ein breites Tor auf einen Hof, wo bereits ein Minibus parkt. Er stellt mein Auto direkt daneben ab, schaltet den Motor aus und wendet sich mir erneut zu.

»Willkommen in der Pension Buena Vista. Wir besorgen dir jetzt ein Zimmer und dann kannst du dich ausruhen. Wenn du Lust hast, können wir später zusammen essen und du erzählst mir noch ein bisschen von Kevin und dir.«

»Wieso bist du so nett?« Die Frage platzt regelrecht aus mir heraus. Ich beiße mir auf die Unterlippe und weiche seinem Blick aus.

»Bin ich eigentlich gar nicht. Du siehst einfach aus, als könntest du ein bisschen Hilfe gebrauchen. Manchmal verspüre ich einen Anflug von Helfersyndrom und diesmal hat es eben dich erwischt.« Er lacht erneut. Seine Stimme klingt dunkel und warm. Sie sorgt für eine Gänsehaut, aber vor allem werde ich davon ein bisschen hart. Vermutlich liegt das aber auch nur an der Müdigkeit und daran, dass ich längst nicht mehr klar denken kann.

»Danke«, sage ich leise und schließe für einen kurzen Moment die Augen. »Ich hätte einfach nicht gewusst, was ich jetzt machen soll. Irgendwie ging mein Plan in eine andere Richtung.«

»Mach dir keine Gedanken. Es wird sich mit Sicherheit alles irgendwie regeln.«

»Woher willst du das wissen?«, frage ich und spüre erneut einen Anflug von Wut, der sich heiß in meinem Bauch ausbreitet.

»Erfahrung«, antwortet Sebastian schlicht. »Auch wenn man es in dem Moment nicht glaubt, irgendwie geht es immer weiter und manchmal ist das, was man am wenigsten erwartet, genau das, wonach man sein Leben lang gesucht hat.«

»Bist du ein Philosoph?«, erkundige ich mich und kann nichts gegen den ätzenden Tonfall in meiner Stimme machen. Ich habe keine Energie, mich mit dieser Art von Weisheit auseinanderzusetzen. Alles geschieht aus einem guten Grund... blablabla... Gerade kann ich wirklich nicht erkennen, was an meinem beschissenen Leben auch nur annähernd in Ordnung sein soll. Der einzige Weg, den ich gesehen habe, endet offensichtlich in einer Sackgasse.

»Nur selbst betroffen«, erwidert Sebastian. »Also glaub mir, irgendwie geht es immer weiter. Man darf nur nicht den Kopf in den Sand stecken. Jedenfalls nicht für immer.« Er klingt schon wieder belustigt und irgendwie kann ich nichts dagegen machen, dass ich ebenfalls zu grinsen anfange.

»Vermutlich hast du recht«, nuschle ich und reibe mir über die Augen. Sie brennen furchtbar, was wohl ein Zeichen dafür ist, dass ich heute nicht gerade viel getrunken habe. Ich fühle mich ganz ausgedörrt, einfach richtig scheiße.

»Bevor du mir hier noch einschläfst, lass uns aussteigen.« Er öffnet die Tür und ich quäle mich ebenfalls aus dem Wagen. Ehe ich mich versehe, reißt Sebastian die Heckklappe auf und wirft mir einen erstaunten Blick zu.

»Das sieht aber nicht nach einem kurzen Besuch aus.«

»Nein«, antworte ich niedergeschlagen und spüre, wie mein Puls zu rasen beginnt. Ich schlucke schwer. Alles, was ich besitze, hat in drei Reisetaschen und ein paar Kisten, die auf der Rückbank stehen, gepasst. Verlegen streiche ich mir durch die Haare und vermeide es, Sebastian anzuschauen.

»Was davon nehmen wir mit rein?«, fragt er und klingt dabei erstaunlich vorsichtig. Ich zucke mit den Schultern und greife nach der Tasche, in der sich mein Waschzeug und saubere Unterwäsche befinden.

Sebastian schließt das Auto ab und überreicht mir den Schlüssel. Er geht zielstrebig auf das Gebäude zu, das sich rechts von uns befindet, während ich ihm mit einem mulmigen Gefühl folge. Über der Eingangstür steht erneut in geschwungener Schrift Buena Vista. Verwundert halte ich einen Moment inne. Weshalb heißt eine Pension in einem deutschen Mittelgebirge Buena Vista? Ich bezweifle nicht, dass die Aussicht hier schön ist, aber ich hätte eher mit etwas Folkloristischem wie Zur Alm oder Am schönen Wiesengrund gerechnet.

Beim Anblick des Eingangsbereiches kann ich ein Keuchen nicht unterdrücken. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Es ist... also... Ich weiß zwar kaum etwas über Kuba, aber das ist es wohl, was man mit der Insel in Verbindung bringt.

An den Wänden hängen Bilder von bonbonfarbenen Oldtimern, weißen Sandstränden und Zigarre rauchenden, dunkelhäutigen Frauen in reich verzierten, bunten Kleidern. Ein Foto von Che Guevara entdecke ich ebenfalls. Rechts neben dem Empfang befindet sich eine klobige dunkelbraune Ledercouch, auf der ein älterer Mann sitzt, dessen Haut dunkel und wettergegerbt ist. Er könnte glatt ein Kubaner sein. In seinem Mundwinkel klemmt eine Zigarre, die jedoch nicht angezündet ist. Jedenfalls sehe und rieche ich keinen Rauch, das Ende glüht auch nicht. Er blättert in einer Zeitschrift und schaut auf, als er uns bemerkt.

»Mi hijo«, sagt der Mann mit einem breiten Lächeln. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber Sebastian grinst fröhlich zurück.

»Warst du erfolgreich?«

»Ich glaube, wir haben einen guten Deal mit Michael gemacht«, erwidert er und klingt ziemlich begeistert.

»Ich weiß, dass du es schaffen kannst.«

»Nur mit deiner Hilfe.«

Der Mann nimmt die Zigarre aus dem Mund und dreht sie zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Du weißt längst alles, was ich weiß und kann, und du wirst immer besser.«

Ich fühle mich fehl am Platz und versuche, das Gespräch auszublenden. Erst jetzt höre ich die leise Musik im Hintergrund. Ich mag den Rhythmus, der einem gleich in die Beine geht und irgendwie gute Laune vermittelt. Auch wenn ich mich nicht wirklich damit auskenne, vermute ich, dass es Salsa oder irgendeine andere lateinamerikanische Musik ist.

Es ist schon eine Weile her, dass ich darüber nachgedacht habe, einen Tanzkurs zu besuchen. Kevin war davon nicht begeistert. Er wollte mich weder allein gehen lassen, noch mitkommen. Erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass es an seinem Ex lag, der zum Zumba ging und mit dem Tanzlehrer zusammengekommen ist. Ein blödes Klischee. So etwas wäre mir niemals passiert, dafür habe ich Kevin viel zu sehr geliebt. Ich wette, wir hätten total viel Spaß beim Tanzen gehabt.

Eine Frau erscheint hinter dem Empfangstresen. Die Ähnlichkeit zu Sebastian fällt mir auf den ersten Blick auf. Das ist dann wohl seine Mutter. Mir wird ein bisschen flau, denn sie mustert mich eindringlich und schaut dann ihren Sohn fragend an.

»Das ist Ronny. Er ist unfreiwillig gestrandet und braucht ein Zimmer«, erklärt Sebastian. Hitze schießt mir ins Gesicht, denn vermutlich sehe ich tatsächlich aus wie jemand, den er von der Straße gesammelt hat. Das ist total peinlich. Instinktiv gehe ich einen Schritt zurück und überlege, ob ich mich nicht umdrehen und verschwinden sollte. Immerhin habe ich meinen Autoschlüssel zurückbekommen.

»Verstehe«, sagt sie und wirkt plötzlich seltsam verlegen. »Das stellt uns vor ein Problem.« Sie seufzt schwer und reibt sich mit zwei Fingern über die Nase.

»Eine Wandergruppe ist angekommen«, ruft der Mann vom Sofa. »Sie haben alle Zimmer, die noch frei waren, belegt.«

»Was?«

»Das stimmt leider«, sagt die Frau. »Sie hatten eigentlich im Sonnenhof gebucht, aber da ist mal wieder was schiefgelaufen und ich... ich wusste ja nicht, dass du ein Zimmer brauchen würdest. Jetzt sind wir für die nächsten drei Tage voll bis unters Dach.«

»Das macht nichts«, erwidere ich eilig und wende mich zum Gehen. Einen besseren Grund, um zu verschwinden, kann ich gar nicht finden.

»Halt«, ruft Sebastian und hält mich am Arm fest. »Du kannst nicht fahren. Ich dachte, darüber waren wir uns einig.«

»Du hast das behauptet. Ich habe nichts dazu gesagt.«

»Was vermutlich daran liegt, dass du beinahe im Stehen einschläfst.«

»Du hast doch keine Ahnung...«, knurre ich angepisst und versuche mich loszureißen. Was bildet sich dieser Idiot eigentlich ein? Er kennt mich überhaupt nicht und muss ganz bestimmt nicht meinen Aufpasser spielen.

»Hey, so war das nicht gemeint«, behauptet Sebastian und lächelt mich versöhnlich an. Seine dunklen Augen verwirren mich total. Ich wende demonstrativ den Blick ab.

»Du kannst bei mir schlafen«, sagt er leise. »Eine Nacht zum Ausruhen und um über deine Optionen nachzudenken.« Er deutet auf mein Auto.

»Ich glaube nicht, dass sich bis morgen etwas an meiner Situation ändert«, flüstere ich mir selbst zu.

»Dann spielt es doch auch keine Rolle«, erwidert er und nickt mir aufmunternd zu. »Ich habe auch eine Badewanne, die ich dir selbstlos zur Verfügung stelle, wenn du magst.«

»Du lässt nicht locker, oder?«

»Es ist ein bisschen verrückt, aber nein, ich gebe nicht auf, bis ich dich wohlbehalten im Bett weiß.«

Irritiert starre ich ihn an. Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, ehe Sebastian die Bedeutung seiner Worte erkennt und sich sichtlich verlegen über die Stirn reibt.

»So habe ich das nicht gemeint. Ist nur das Helfersyndrom.«

»Du solltest dich mal behandeln lassen«, erwidere ich glucksend. Im Grunde hat er mich schon längst überzeugt. Nicht nur, weil er auf eine verwirrende Weise charmant ist, sondern weil ich mich wirklich kaum noch auf den Beinen halten kann.

»Ich werde es in Betracht ziehen. Also ja?«

»Wo steht dein Bett?«, erwidere ich kichernd und weiß genau, was ich gesagt habe. Sebastian schnauft und schüttelt dann den Kopf.

»Du bist echt seltsam«, knurrt er. »Warte kurz.«

Er dreht sich um. Erst in diesem Moment wird mir wieder bewusst, dass wir die ganze Zeit über nicht allein waren. Unbehaglich schaue ich zum Empfang.

»Scheint, als hättet ihr das Problem gelöst«, sagt Sebastians Mutter und lächelt ihren Sohn an. »Ich bin übrigens Monika Köhler und der alte Mann auf dem Sofa heißt Juan Fuentes.« Sie reicht mir die Hand und ich ergreife sie.

»Ronny Schmitt«, wiederhole ich meinen Namen.

»Willkommen. Ich hoffe, du wirst dich dort oben wohlfühlen. Es hat noch nicht viel von einer gemütlichen Wohnung.«

»Ich bin doch dabei«, murrt Sebastian und grinst mich schief an. Ehe seine Mutter jedoch etwas darauf erwidern kann, setzt er sich in Bewegung.

»Wir sind oben«, sagt er zu dem Mann auf dem Sofa. »Sehen wir uns nachher im Keller? Die nächste Ladung kann aus der Presse. Wir können die Deckblätter rollen.«

»Natürlich. Dann können wir gleich noch über die neue Mischung reden.«

Ich habe keine Ahnung, wovon die beiden sprechen. Es sollte mir auch egal sein, aber ich bin irgendwie auch neugierig. In erster Linie bin ich erschöpft und froh, als Sebastian den Eingangsbereich verlässt. Plötzlich habe ich das Gefühl, keine Minute länger durchzuhalten.

Wir gehen am Empfang vorbei, durch eine Tür und steigen dann eine ziemlich steile Treppe hinauf. Die Stufen knarzen. Es riecht nach altem Holz, Bohnerwachs und Tabak. Ich atme tief durch. Die Mischung hat eine seltsam beruhigende Wirkung auf mich. Die nächste Treppe ist gefühlt noch steiler und enger als die vorherige.

»Ich wohne unterm Dach«, erklärt Sebastian. »Es ist tatsächlich noch nicht besonders gemütlich. Ich bin erst vor zwei Wochen angekommen und habe bisher irgendwie keine Zeit gefunden, mich einzurichten.«

Nur mit Mühe halte ich meine Neugier im Zaum, denn ich würde gern wissen, wo er bisher gelebt hat. Es geht mich im Grunde jedoch nichts an und außerdem bin ich morgen schon wieder weg.

Er öffnet eine Tür, hinter der sich ein erstaunlich geräumiges Zimmer befindet. Hier wurde offenbar der gesamte Dachboden umgebaut, denn der Raum hat rechts und links Dachschrägen. Weiße Wände und dunkelbraune Balken bilden einen schönen Kontrast. Ein dicker Teppich liegt auf dem Boden. Am liebsten würde ich mich augenblicklich darauf zusammenrollen. Ich lasse meine Tasche fallen und sehe mich neugierig um.

»Du kannst dich ins Bett legen. Ich mache es mir dann später auf dem Sofa bequem.«

Ich mustere die Couch, die eher unter dem Begriff Liegewiese läuft. Keine Ahnung, wie sie das Ding über die schmalen Treppen nach oben bekommen haben.

»Ich kann da schlafen. Wäre mir ehrlich gesagt auch lieber, als dir dein Bett wegzunehmen.«

Sebastian antwortet darauf nicht. Stattdessen bedeutet er mir, ihm zu folgen. Der nächste Raum ist sein Schlafzimmer. Hier stehen lediglich ein Bett und ein breiter, weißer Kleiderschank. Auf dem Boden neben dem Kopfende befindet sich eine Lampe. Daneben liegen ein Buch und eine Taschentücherbox. Hitze steigt mir in die Wangen, denn meine Fantasie gaukelt mir ziemlich deutlich vor, wofür man die Tücher gebrauchen kann. Ich wette, dass unter dem Bett eine Tube Gleitgel liegt.

»Ich habe das Bett heute Morgen frisch bezogen«, sagt Sebastian und füttert mein Kopfkino damit noch zusätzlich. Nur mit Mühe unterdrücke ich ein leises Stöhnen, während ich mich eigentlich nur auf die gemütlich wirkende Matratze werfen und den Tag aus meinem Gedächtnis streichen möchte.

»Hier ist das Bad. Wie gesagt, du kannst gern die Wanne benutzen oder einfach nur duschen. Handtücher lege ich dir raus. Hast du Hunger?«

Verwirrt blinzle ich bei der letzten Frage, denn in Gedanken bin ich schon unter der Dusche.

»Keine Ahnung«, nuschle ich und zucke mit den Schultern.

»Vielleicht erst schlafen und dann essen. Es ist ja auch gerade mal um fünf. Wir können uns später eine Pizza bestellen oder ich koche was Schnelles.«

»Hier gibt's einen Lieferdienst?«

»Tatsächlich gibt es auch in dieser Einöde eine wirklich gute Pizzeria mit Lieferservice. Unglaublich, oder?« Sebastian lacht und ich stimme schließlich ein. Es tut gut und der elende Knoten, der meinen Brustkorb umschlossen hält, löst sich ein wenig.

»Fühl dich ganz wie zu Hause. Wenn du etwas nicht auf den ersten Blick findest, such in den Schränken. Ist es auch dort nicht, dann besitze ich es vermutlich nicht. Wie gesagt, ist noch nicht lange her, dass mein Auto ungefähr wie deins aussah. Also wenn du... wenn du darüber reden willst...«

»Danke für das Angebot, aber du tust schon mehr als genug für mich. Ich meine, es gibt doch bestimmt auch noch andere Pensionen oder Hotels in der Nähe. Du hättest nicht...«

»Hey, zerbrich dir nicht den Kopf darüber, okay?« Mit wenigen Schritten überwindet er die Distanz und steht plötzlich verdammt nah vor mir. Zum ersten Mal nehme ich seinen Duft bewusst wahr. Da ist eine Spur von Tabak. Riecht man so, wenn man Zigarren raucht? Außerdem hat es was von Sonne und Meer. Vermutlich spielen mir meine Sinne einen Streich, aber ich möchte mich am liebsten gegen ihn lehnen und meine Nase gegen seine Haut drücken. Ich weiche ein Stück nach hinten zurück, hebe den Kopf und sehe Sebastian an. Auch er scheint nicht unberührt zu sein. Sein Atem geht etwas schneller und seine Augen sind noch dunkler als zuvor.

»Ich lass dich dann mal allein.« Seine Stimme klingt tief und rau. Erneut regt sich mein Schwanz. Ich will nicht hart werden, jedenfalls nicht wegen Sebastian und versuche, mir Kevins Gesicht vorzustellen. Leider hilft das nicht, denn ich höre auch all die gemeinen Dinge, die er zu mir gesagt hat. Es tut so weh, dass ich mir über den Bauch reibe, um das üble Gefühl loszuwerden.

»Danke, dass ich hierbleiben darf«, sage ich leise. Mein Hals fühlt sich ganz eng an und das Atmen fällt mir schwer. »Ich weiß tatsächlich nicht, wohin ich soll.«

»Kein Problem. Du kannst... also, ähm, ruh dich einfach aus.« Er streicht mir über den Arm. Seine Berührung lässt meine Haut kribbeln. Mühevoll versuche ich zu lächeln, obwohl mir eher danach ist, hemmungslos zu heulen.

»Wenn du eher wach wirst und Gesellschaft brauchst, komm einfach nach unten. Meine Mutter weiß, wo ich bin. Wenn du was brauchst, weck mich einfach, egal wie spät es ist.«

»Ich verstehe immer noch nicht, weshalb du das alles tust, aber ich bin wirklich froh und dankbar.«

»Ruh dich einfach aus. Bis später, Ronny.« Er beugt sich vor und haucht mir einen Kuss auf die Wange.

Perplex starre ich ihn an, beobachte, wie er das Zimmer verlässt und höre, wie er die Treppen hinuntergeht. Ich bin allein in einer fremden Wohnung. Der einzige Mann, meine Rettung, hat mich eiskalt abblitzen lassen und jetzt...

Ich schleppe mich mit letzter Kraft zum Bett und krieche auf die Matratze. Unter der Decke rolle ich mich zusammen. Jetzt kann ich die Tränen nicht länger aufhalten. Es ist das sprichwörtliche Fass, das nun endgültig überläuft. Seit Wochen habe ich mir selbst verweigert, der Trauer und dem Selbstmitleid nachzugeben. Ich habe versucht, jedem Rückschlag etwas Positives abzugewinnen und daran zu glauben, dass das alles nur passiert ist, damit Kevin und ich wieder zusammenfinden.

Jetzt erscheinen mir diese Gedanken so absurd, dass es mir die Luft abschnürt. Es tut verdammt weh, denn ich habe nichts und niemanden, zu dem ich könnte. Bisher habe ich mich niemals wirklich allein gefühlt, versucht zu ignorieren, dass ich keine Familie habe, aber jetzt bricht die Erkenntnis wie eine tonnenschwere Last über mir zusammen. Da ist niemand, außer Kevin. Und der will mich auch nicht. Meine Augen brennen und der Kopf schmerzt. Ich fühle mich ganz matschig. Zum Glück trägt mich nur kurz darauf der Schlaf davon.

Immer wieder schrecke ich durch ungewohnte Geräusche und fremde Stimmen auf. Ich bin nie lange genug wach, um ihnen auf den Grund zu gehen oder um herauszufinden, ob ich lediglich träume und wo ich mich überhaupt befinde.

Ich spüre Kevins Präsenz, höre seine Worte, sehe, wie er diesen anderen Mann küsst und sich an ihn schmiegt. Dann schaut er mich an, küsst mich ebenfalls, aber es fühlt sich überhaupt nicht gut an. Ich möchte schreien vor Wut und weglaufen, aber meine Beine sind so schwer und da ist dieses Lachen und die Musik... Mehr Stimmen, die lauter werden und...

Panisch reiße ich die Augen auf und schnelle hoch. Es ist dunkel, wenn auch nicht stockfinster. Im ersten Moment weiß ich nicht, wo ich bin, aber dann prasseln die Erinnerungen auf mich ein. Stöhnend möchte ich mich wieder unter der Decke verstecken, aber meine Blase drückt und ich brauche dringend einen Schluck Wasser. Meine Zunge klebt regelrecht am Gaumen fest. Ganz abgesehen davon, dass mein Schädel sich anfühlt, als wollte er jeden Moment explodieren.

Erneut nehme ich leise Stimmen und Musik wahr. Ungeschickt klettere ich aus dem fremden Bett und schlurfe vorsichtig zum Fenster. Ich muss die Nase regelrecht gegen die Scheibe pressen, um nach unten sehen zu können.

Eine Terrasse befindet sich dort. Kleine Solarlaternen spenden ein schwaches Licht. Ringsherum stehen Blumenkästen mit üppigen Blüten. Zwei Menschen tanzen zur Musik. Ich kann sie nicht genau erkennen, aber ich vermute, dass es Sebastians Mutter und der Mann, der auf dem Sofa saß, sind. Vielleicht ist er sein Vater, obwohl er ziemlich dunkelhäutig ist und man davon nichts in Sebastians Teint sieht.

Eine Weile beobachte ich die beiden, bis ich den Druck auf meiner Blase nicht mehr aushalte. Vorsichtig gehe ich zur Tür, taste mit einer Hand über die Wand auf der Suche nach einem Lichtschalter und kneife gequält die Lider zu, als das grelle Licht mich blendet. Vom Klo aus betrachte ich den Raum, der hell und modern eingerichtet ist. Die Badewanne zieht mich regelrecht an, aber ich trau mich nicht, sie zu benutzen.

Nach dem Händewaschen trinke ich einen großen Schluck aus dem Hahn und betrachte mich im Spiegel. Was ich sehe, erschreckt mich. Habe ich vorhin auch schon so schlimm ausgesehen? Müde, blass und mit dunklen Augenringen. So war es doch einfach unmöglich, Kevin zu überzeugen. Ich sehe wie eine Vogelscheuche aus. Selbst die Farbe meiner Augen wirkt ganz wässrig und unscheinbar.

Meine Haut ist so fahl, dass ich einem Vampir Konkurrenz machen würde. Ich fahre mit einer Hand über den Kopf. Früher waren meine Haare ein bisschen länger, aber ich hatte irgendwann Anfang des Jahres das Bedürfnis, sie einfach abzuscheren. Seitdem gibt es keine Frisur mehr, sondern einfach nur fünf Millimeter.

Entschlossen ziehe ich meine Klamotten aus. Sebastian hat Handtücher neben der Dusche für mich bereitgelegt. Ohne weiter nachzudenken, begebe ich mich in die großzügige Kabine und stelle das Wasser an. Der erste Schwall ist eiskalt und lässt mich aufkeuchen. Schon bald wird es jedoch besser, sodass ich einen langen Augenblick stehen bleibe und die wunderbare Wärme auf der Haut genieße. Das Duschgel hat einen herben Duft. Einen Hauch davon habe ich auch bei Sebastian wahrgenommen. Es ist ein seltsames Gefühl, mich damit einzuschäumen, beinahe, als würde er neben mir stehen.

Verwirrt schaue ich an mir runter, denn ich bin schon wieder halb hart. Es ist verdammt lange her, dass ich... Ich bringe den Gedanken nicht zu Ende, sondern umschließe meinen Schwanz mit einer Hand, lehne mich gegen die Wand und strecke den Kopf in den Nacken. Zuerst spiele ich einfach nur, reize meine Eichel, massiere die Eier und fahre ohne Druck den Schaft entlang. Es tut gut. Die Anspannung fällt von mir ab, während sich ein Feuer in meinem Unterleib ausbreitet. Die Lust treibt mich an, zielgerichteter zu werden. Ich stelle mir Kevin vor, versuche mich an das Gefühl seiner Hand zu erinnern, werde keuchend schneller.

»Kevin«, flüstere ich, aber ich kann das Bild einfach nicht in meinem Kopf halten. Immer wieder verschwimmt es, zerfließt, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Mehr... Ich brauche mehr Reibung. Ein Prickeln rinnt meine Wirbelsäule entlang und schießt direkt in meine Eier. Ich umfasse sie mit der freien Hand und quetsche sie bis an die Schmerzgrenze. Noch einmal versuche ich, Kevins Bild heraufzubeschwören, aber ich sehe dunkelbraune Augen...

»Sebastian«, keuche ich, während der Orgasmus über mich hinwegfegt. Meine Beine zittern und ich atme stockend. Zähflüssig läuft ein Teil meines Safts über meine Finger. Der überwiegende Teil ist auf dem Boden gelandet, wo er im Ablauf verschwindet.

Ich schaue nach unten, kann nicht fassen, was gerade passiert ist. Eine Mischung aus Scham und Unbehagen kriecht durch meinen Körper und sorgt dafür, dass ich eilig zu Ende dusche und mich dann abtrockne.

Nur mit einem Handtuch um die Hüften gehe ich zurück ins Schlafzimmer. Die verschwitzten Klamotten will ich auf gar keinen Fall noch mal anziehen. Zum Glück entdecke ich meine Reisetasche neben dem Bett und suche mir frische Unterwäsche, ein Shirt und eine bequeme Jogginghose raus. Obwohl ich immer noch müde bin, fühle ich mich auch seltsam rastlos. Vorsichtig öffne ich die Tür. Sebastian liegt auf dem Sofa. Der Fernseher ist an. Er regt sich nicht. Vielleicht schläft er.

»Komm her«, sagt er in diesem Moment leise und schlägt die Decke auf einer Seite zurück. Ich sollte im Schlafzimmer bleiben. Auf gar keinen Fall kann ich sein Angebot annehmen... Mein Herz schlägt so laut, dass ich mir sicher bin, Sebastian kann es hören. Ich zögere einen weiteren Moment, dann überwinde ich die Strecke zum Sofa mit angehaltenem Atem. Schweigend krieche ich neben ihn.

Sebastian lässt die Decke über mir fallen. Er schaut mich an, lächelt und legt einen Arm um meine Schulter. Ich atme aus und begreife nicht, weshalb ich mich an ihn kuschle und warum es sich so gut anfühlt. Um nicht weiter darüber nachzudenken, starre ich auf den Fernseher und versuche, mich auf die Handlung zu konzentrieren.

3. Traum und Realität

Wunderbare Hitze umgibt mich und entlockt mir ein zufriedenes Seufzen. Es ist so behaglich. Mein Verstand schwebt irgendwo zwischen Schlafen und Aufwachen. Ich bin noch nicht bereit, die Augen zu öffnen. Ich spüre die Wärme und die Nähe eines anderen Körpers, der sich dicht an mich drängt und mich wie in einem schützenden Kokon gefangen hält. Ich habe dieses Gefühl vermisst, weiß gar nicht, wann ich mich zuletzt so wohlgefühlt habe.

Etwas Hartes drängt sich gegen meinen Hintern und lässt mich grinsen. Instinktiv strecke ich ihn nach hinten und ernte ein zufriedenes Knurren. Nicht mehr schlafend, aber auch längst nicht wach kribbelt es erregend in meinem Unterleib. Eine Hand streichelt über meine Seite und warme Lippen, umgeben von rauen Bartstoppeln, streifen meinen Nacken. So gut...

Finger wühlen sich unter mein Shirt und berühren nackte Haut, umkreisen meinen Bauchnabel, bringen mich zum Seufzen. Sie fahren höher, kitzeln meine Brustwarzen, die sich unter der Liebkosung zusammenziehen. Mein Puls beschleunigt sich. Ein Mund beginnt an meinem Hals zu saugen. Süßer Schmerz prickelt durch meinen ganzen Körper. Ich kann ein Stöhnen nicht unterdrücken, sehne mich nach mehr und bin mir nicht sicher, ob ich das alles nur träume. In einem Traum wäre es Kevin, aber der war niemals so zärtlich, wollte nicht schmusen oder kuscheln. Vielleicht hat er sich geändert und ich...

Ich keuche laut auf, als die fremde Hand in meine Hose rutscht und nach meinem Schwanz greift. Mein Becken zuckt nach vorn, auf der Suche nach mehr Berührung. Es ist ein bisschen, als würde ich fallen und zugleich gehalten werden. Vollkommen losgelöst und wundervoll. Ein langsamer Rhythmus erfasst uns. Ich stoße in die köstliche Enge der Finger, die mich umschließen und spüre gleichzeitig das Drängen hinter mir. Leises Keuchen, heißer Atem, der mir eine Gänsehaut beschert. Mein Körper bebt. Ich möchte, dass es niemals aufhört. Auf gar keinen Fall aufwachen und die tröstliche Wärme verlieren. Das erregende Gefühl soll nicht abklingen.

»So gut«, raune ich tonlos.

Unsere Bewegungen werden hektischer. Noch immer hüllt mich der Schleier des Schlafs wie eine warme Bettdecke ein. Jede Berührung ist so intensiv. Sie hallen in meinem Körper wider, kitzeln sämtliche Nerven und sorgen für ein unglaubliches Hochgefühl.

Mit sanftem Druck werde ich auf den Rücken gedreht. Zuerst wehre ich mich dagegen, denn ich habe Angst, dass ich aus dem Traum erwache. Die Lippen, die sich auf meine legen, löschen jedoch jeden Widerstand aus. Sie sind warm und weich, drängend und zärtlich.

Ich greife nach seinen Schultern, um mich daran festzuhalten. Schwer rollt er sich über mich. Seine Zunge dringt in meinem Mund. Erregendes Stöhnen umgibt uns. Meine Hände tasten über den fremden Rücken, spüren die Muskeln, die unter der weichen Haut arbeiten. Unsere Schwänze treffen immer wieder auf der Suche nach Reibung aufeinander. Er stützt sich mit einem Arm neben mir ab und bringt uns mit der anderen Hand zusammen. Haut an Haut... Es fühlt sich fantastisch an.

Mühevoll halte ich die Augen geschlossen, denn ich befürchte, dass der Zauber verfliegt, sobald ich in die Realität eintauche. Es ist so ein unglaublicher Traum, dass ich nicht bereit bin, ihn zu beenden.

Er flüstert meinen Namen, küsst meinen Hals und erobert erneut meinen Mund. Ich erwidere den Kuss voller Hingabe, spüre, wie sich der Orgasmus unweigerlich nähert. Er lässt sich nicht länger hinauszögern, setzt meinen Körper in Brand und sorgt dafür, dass ich mein Becken energischer nach oben stoße.

Ich presse die Lider fest zusammen, aber als ich komme, reiße ich sie unwillkürlich auf und starre in dunkelbraune, beinahe schwarze Augen. Ich kann mein Spiegelbild darin sehen, aber auch Erstaunen, Unsicherheit... und seinen Orgasmus.

Atemlos starren wir uns an, bis die Wellen verebben und sich heiße Feuchtigkeit zwischen uns ausbreitet. Der Schlaf hat seinen Schleier gehoben und die Wirklichkeit hat mich schlagartig zurück. Was haben wir nur getan? Vermutlich sieht er mein Erschrecken, denn er lächelt mich unsicher an, beugt sich vor, zögert kurz und haucht mir schließlich einen Kuss auf die Wange, ehe er sich zur Seite rollt und mit einem Arm seine Augen bedeckt.

Ich fühle mich vollkommen erstarrt. Nicht nur, weil der Nachhall des Höhepunkts meinen Körper gefangen hält, sondern auch, weil ich kaum begreife, was da gerade passiert ist. Wir haben ferngesehen und ich bin eingeschlafen, noch ehe der Film zu Ende war. Seine Nähe und Wärme haben mich eingelullt. Nach all dem Scheiß vom Vortag habe ich mich so behaglich gefühlt, dass ich die Augen nicht länger offen halten konnte.

»Ich werde nicht sagen, dass es mir leidtut«, sagt Sebastian, dreht sich zur Seite und stützt den Kopf auf den Arm ab. Ich spüre seinen Blick auf mir, starre aber weiter stur zur Decke. »Es wäre eine Lüge, auch wenn ich das nicht geplant hatte. Nichts davon...«

Er lacht leise, was mich nun doch dazu bringt, ihn anzusehen. Anstatt des sorgfältig zusammengebundenen Zopfes, sind seine Haare offen und wunderbar verstrubbelt. Nur mit Mühe kann ich mich davon abhalten, die leuchtend blonden Haare zu berühren. Er mustert mich eindringlich und sein Blick sucht nach meinem. Noch nie haben mich Augen dermaßen angezogen. Es ist unheimlich und aufwühlend.

»Ich will nicht, dass es dir leidtut, denn ich... Es wäre ebenfalls eine Lüge, wenn ich es behaupten würde.« Meine Stimme klingt rau und zittrig.