Herzensprojekt Traumprinz - Karo Stein - E-Book

Herzensprojekt Traumprinz E-Book

Karo Stein

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Beschreibung

Matti kann sich überhaupt nicht beklagen: Er hat einen tollen Job, eine schöne Wohnung und die zwei besten Freundinnen, die man sich nur wünschen kann. Nur sein neuer Nachbar Christian strapaziert seine Nerven gehörig und mit der Liebe will es auch nicht so richtig klappen. Als ein rätselhafter Unbekannter ein ungewöhnliches Buch auf seiner Türschwelle zurücklässt, beschließt Matti enthusiastisch, das Herzensprojekt Traumprinz einfach selbst in die Hand zu nehmen. Doch das ist leichter gesagt als getan und die romantische Vorstellung geht ziemlich schnell im Chaos unter. Und zu allem Überfluss bringt Christian Matti auch noch völlig durcheinander. Was, wenn der Traumprinz vielleicht doch näher ist als gedacht?

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Seitenzahl: 439

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Deutsche Erstausgabe (ePub) März 2020

© 2020 by Karo Stein

Verlagsrechte © 2020 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Lektorat: Debora Exner

ISBN-13: 978-3-95823-808-4

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die Autorin des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

Klappentext:

Matti kann sich überhaupt nicht beklagen: Er hat einen tollen Job, eine schöne Wohnung und die zwei besten Freundinnen, die man sich nur wünschen kann. Nur sein neuer Nachbar Christian strapaziert seine Nerven gehörig und mit der Liebe will es auch nicht so richtig klappen. Als ein rätselhafter Unbekannter ein ungewöhnliches Buch auf seiner Türschwelle zurücklässt, beschließt Matti enthusiastisch, das Herzensprojekt Traumprinz einfach selbst in die Hand zu nehmen. Doch das ist leichter gesagt als getan und die romantische Vorstellung geht ziemlich schnell im Chaos unter. Und zu allem Überfluss bringt Christian Matti auch noch völlig durcheinander. Was, wenn der Traumprinz vielleicht doch näher ist als gedacht?

Von Überraschungen und Klischees

Ein Konzert mit Sitzplätzen ist der größte Witz des Jahrhunderts. Bei Vivaldis Vier Jahreszeiten möchte ich meinen Hintern auch gemütlich auf einem bequemen Sitz platzieren, um den wunderbaren Violinen zu lauschen, aber da vorn singt und tanzt Maite Kelly. Und hier bin ich, ihr verdammt größter Fan. Die ersten Takte des nächsten Liedes erklingen. Ich erkenne es sofort und kann kaum länger auf dem verflixten Stuhl sitzen bleiben. Es... es geht einfach nicht...

»Nun steh schon auf«, ruft Marie lachend, pikst mir in die Seite und erhebt sich solidarisch.

Ich springe vom Stuhl und meine Beine beginnen ein peinliches Eigenleben, denn ein Tänzer ist leider nicht an mir verloren gegangen. Ich klatsche frenetisch und singe laut und schief mit. Meine Kehle fühlt sich schon ganz rau an und meine Handflächen brennen.

Ich glühe vor Begeisterung und schwitze wie ein Schwein. Egal! Entschlossen wische ich mir mit einer Hand die Tropfen von der Stirn. So viel Bewegung hatte ich seit einer Ewigkeit nicht mehr.

Marie reicht mir ein Taschentuch. Ich werfe ihr einen kurzen dankbaren Blick zu, aber dann schaue ich sofort wieder nach vorn. Schließlich darf ich keine Sekunde dieses Konzerts verpassen.

Mein Herz schlägt wahnsinnig schnell und es kribbelt heiß in meinem Bauch. Es ist so ein unglaublich schönes Erlebnis, meine Lieblingssängerin endlich live zu erleben. Sie ist perfekt, wirkt so echt und ehrlich. Der Akzent ist süß. Die Texte sind sinnlich und verführen mich immer wieder zu Tagträumen. Jedes Wort berührt meine Seele, als hätte sie diese Lieder nur für mich geschrieben. Auch wenn die Leute über Schlagermusik die Nase rümpfen. Ich mag sie... mag sie sehr. Nicht zu vergessen, dass die Tänzer verdammt heiß aussehen.

»Danke.« Schniefend wende ich mich Marie zu und lehne meinen Kopf gegen ihre Schulter. Sie ist beinahe so groß wie ich, sodass das ziemlich gut funktioniert.

»Wirklich, ich kann euch nicht genug dafür danken, dass ihr mir die Karte geschenkt habt und dass ihr auch noch mitgekommen seid...« Ich schlucke den dicken Kloß, der mir den Hals zuschnürt, herunter und seufze schwer.

»Sing und tanz. Bedanken kannst du dich später noch mal bei Freddy.« Marie deutet mit einem breiten Grinsen neben sich. Freddy ist nicht aufgestanden. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt, die Beine überschlagen und verzieht das Gesicht, als hätte sie in die sauerste Zitrone der ganzen Welt gebissen. Ich lache und spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen. Dass sie trotz ihrer Abneigung hier sitzt, bedeutet mir unglaublich viel.

»Wir werden beide für diesen Abend leiden müssen«, prophezeit Marie und zwinkert mir zu.

»Ich werde es wie ein Mann ertragen«, rufe ich enthusiastisch, beginne erneut zu klatschen und stimme in den nächsten Song mit ein.

Das letzte Lied. Ist das Konzert wirklich in ein paar Minuten vorbei? Es hat doch gerade erst angefangen. Ich weiß gar nicht, ob ich genug Eindrücke gesammelt und tief in meinem Herzen abgespeichert habe.

Maite verbeugt sich, der Vorhang fällt und ich brülle aus Leibeskräften: »Zugabe!«

Das geflüsterte Oh Mann, das eindeutig von Freddy kommt, ignoriere ich und quietsche, als meine Lieblingssängerin mit einem Bademantel wieder auf der Bühne erscheint.

»Wie der Udo«, rufe ich Marie zu. Sie nickt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht weiß, was ich meine. Egal. Ich genieße die folgenden zwei Lieder.

Kaum ist der letzte Ton verklungen, winkt Maite, wirft dem Publikum Luftküsse zu und verschwindet. Diesmal wird sie nicht zurückkommen, denn die Techniker beginnen augenblicklich mit dem Abbau. Seufzend lasse ich mich auf den Stuhl fallen und beobachte die Massen, die sich durch den Eingang nach draußen schieben.

»Geschafft«, sagt Freddy mit einem tiefen Seufzen. »Ich hoffe, mein Gehör kann sich von dieser Musik wieder erholen und mein Gehirn... Also, wenn ich heute Nacht Albträume von diesen gesungenen Schmonzetten bekomme, ich weiß nicht, ob du das wiedergutmachen kannst.«

»Ich werde dich trösten«, verspricht Marie und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. »Wenn du schlecht schläfst, werde ich dich in den Arm nehmen und sanft schaukeln.« Sie haucht Freddy abermals einen kleinen Kuss auf die Wange.

»Und wenn das nicht hilft, fickst du mich, bis mein Gehirn sich an nichts mehr erinnern kann.«

»Ihhh, ekelhaft«, schimpfe ich und verziehe angewidert das Gesicht. »Es ist immer noch mein Geburtstag. Ihr dürft solche Sachen nicht an meinem Geburtstag sagen.«

»Wir sind mit dir zu diesem Konzert gegangen, da solltest du ein bisschen Vagina-Talk ertragen.« Freddy schaut mich herausfordernd an. Ich strecke ihr die Zunge heraus und halte mir theatralisch die Ohren zu. Das nützt jedoch nur wenig, denn ich kämpfe eher mit den unwillkommenen Bildern in meinem Kopf. Dabei habe ich mich immer noch nicht von dem pinkfarbenen Vibrator erholt, der neulich bei ihnen auf dem Waschbeckenrand stand. Ich wollte doch nur schnell aufs Klo, da rechnet man doch nicht mit so etwas. Die beiden haben mich den Rest des Tages damit aufgezogen.

»Es geht schon los«, behauptet Marie lachend. »Ich habe ja gesagt, dass wir leiden werden.«

»Die Aussicht auf einen gehirntötenden Fick klingt für mich nicht nach leiden«, antworte ich wehmütig. »Außer ich müsste ihn mit einer Frau haben, also das... das wäre wirklich...« Ich schüttle mich, während Freddy erneut das böse V-Wort sagt.

Inzwischen ist der Saal beinahe leer und das größte Gedränge vorbei. Ich verstehe nicht, weshalb die Leute es beim Hinausgehen immer so eilig haben. Wenn ich mir die Zeit für ein Konzert nehme, sollte es am Ende doch wirklich nicht auf ein paar Minuten ankommen. Es ist viel entspannter, die Atmosphäre noch ein bisschen nachhallen zu lassen.

»Dein Geburtstag ist im Übrigen noch nicht vorbei«, sagt Marie, als wir den Saal nun ebenfalls verlassen. »Wir haben noch... noch ein Geschenk für dich. Na ja, es ist... also...«

»Wenn du so stotterst, machst du mir Angst. Was habt ihr getan? Mir einen Callboy organisiert?«

»Hast du es denn so nötig?«

»Ja, natürlich, aber... nein, nein, es geht schon. Der Handbetrieb funktioniert einwandfrei.«

»Ihh, ekelhaft«, ruft Freddy und imitiert meinen Tonfall von vorhin. Sie hält sich ebenso theatralisch die Ohren zu. »Erst die Musik, dann masturbierende Männer. Sollte ich bleibende Schäden davontragen, verklage ich euch alle beide. Immerhin kenne ich einen guten Anwalt.«

»Mich willst du auch verklagen?«, erkundigt sich Marie gespielt empört. »Ich dachte, du liebst mich!«

»Das dachte ich von dir auch. Bis du mich zu diesem Konzert geschleppt hast.«

»Du vergisst, dass ich diejenige bin, die einen guten Draht zu Anwälten hat«, sagt Marie und streckt Freddy die Zunge raus. Sie arbeitet als Anwaltsgehilfin in einer großen Kanzlei.

»Ach, Freddy«, jammere ich und schnaufe grummelnd. »Die Maite ist doch echt süß und ihre Lieder sind...«

»Schlagerschnulzen.«

»Mir egal, was du denkst«, behaupte ich und betrachte missmutig die lange Schlange vor der Garderobe, in die wir uns nun einreihen müssen. Hätten wir doch unsere Jacken vorhin nur nicht abgegeben. »Du kannst mir diesen wunderbaren Augenblick und das großartige Konzert nicht verderben.«

»Will ich auch gar nicht«, sagt sie versöhnlich und kommt auf meine linke Seite. Sie hakt sich bei mir ein und lehnt ihren Kopf gegen meinen Arm. Im Gegensatz zu Marie ist Freddy mindestens einen halben Kopf kleiner als ich. Dafür ist sie unglaublich taff.

Als Streetworkerin muss sie ein dickes Fell haben und trotzdem empathisch bleiben. Ihr cooles Aussehen mit den Tattoos am Hals und auf den Armen sorgt dafür, dass die Jugendlichen ihr vertrauen. Umso krasser ist es, dass ausgerechnet diese beiden sich gefunden und verliebt haben. Offenbar ziehen sich Gegensätze tatsächlich an.

»Tut mir leid, Matti«, sagt Freddy und reißt mich aus meinen Gedanken. »Ich weiß, dass du auf diese Musik stehst. Es macht dich zu so einem wunderbaren Klischee.«

»Ebenso wie dich die Lederhose, dein Bike und der Undercut zu einer klischeehaften Butch machen.«

»Das stimmt. Und Marie ist meine hübsche Femme, mit den perfekten Modelmaßen und den lockigen goldenen Haaren.«

»Gelebtes Klischee«, erwidere ich glucksend. »Da fällt mein Schlagerfetisch nun wirklich nicht ins Gewicht.«

Für eine lange Sekunde schweigen wir drei, dann brechen wir in so lautes Gelächter aus, dass sich die Leute in der Schlange nach uns umschauen und pikiert die Gesichter verziehen. Zum Glück sind uns solche Reaktionen egal. Wir interessieren uns schon lange nicht mehr dafür, was andere über uns denken.

Endlich sind wir an der Reihe, bekommen unsere Klamotten ausgehändigt und machen uns auf den Weg nach draußen. Wir haken uns alle drei unter. Als Geburtstagskind darf ich natürlich in die Mitte und genieße es, von meinen besten Freundinnen flankiert zu werden.

»Immerhin widerlegen wir gemeinsam ein Klischee«, sagt Marie nach einer Weile prustend.

»Welches soll das denn sein?«, erkundige ich mich neugierig.

»Du weißt schon, Schwule und Lesben können sich doch angeblich nicht leiden. Wir beweisen das Gegenteil.«

»Absolut«, stimmt Freddy zu.

»Ja, ich liebe euch wirklich sehr und nicht nur, weil ihr mir diesen wunderbaren Abend geschenkt habt. Ohne eure Freundschaft wäre ich nur ein halber Mensch.«

»Oh Mann, Matti. Dass du immer so sentimental werden musst. Jetzt fange sogar ich an zu heulen.« Freddy kichert und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

Mein Herz wird ganz weit und ein unglaubliches Glücksgefühl überflutet mich. Ich bleibe mitten auf dem Parkplatz stehen, lege den Kopf in den Nacken und starre in den sternenklaren Himmel hinauf. In diesem Moment wird mir bewusst, was für ein Glück ich habe.

Diese beiden Frauen sind das Beste, was mir passieren konnte. Ich habe einen Job, eine Wohnung, ein wirklich gutes Leben. Vielleicht versteckt sich auch noch irgendwo eine Liebe für mich, denn manchmal fällt es mir schwer, nicht neidisch auf die beiden zu sein. Ihre Liebe strahlt ihnen aus jeder Pore. Sie sind tatsächlich füreinander geschaffen und ich hoffe, dass sie dieses besondere Gefühl für den Rest ihres Lebens bewahren können. Und mich natürlich auch. Ich möchte gern ein Teil davon sein, jedenfalls auf eine vollkommen unerotische Weise.

»Ich bin wirklich dankbar«, sage ich leise und atme tief durch. Die Luft ist benzin- und dieselgeschwängert dank des kleinen Staus, der sich auf dem Parkplatz gebildet hat. Trotzdem bilde ich mir auch einen Hauch Meeresbrise ein. Der unverkennbare Duft nach frischem Fisch, Schlamm und abgestandenem Wasser. Bis zum Ryck ist es nicht weit. Eigentlich ist es für Anfang März wunderbar mild, sodass ich sogar noch Lust auf einen kleinen Spaziergang hätte.

»Der Abend ist noch nicht vorbei«, sagt Freddy, als hätte sie meine Gedanken erraten.

»Habt ihr noch einen Plan?«, will ich neugierig wissen und hoffe gleichzeitig, dass es doch lieber kein Spaziergang ist. Meine Füße tun nämlich vom Hüpfen und Tanzen doch ziemlich weh. Ich habe eine beschissene Kondition, aber irgendwie keinen Bock, etwas daran zu ändern, solange ich meine Klamotten keine Nummer größer kaufen muss.

»Lass dich überraschen.« Marie kichert und drängt mich zum Auto. Noch ein Klischee, denn der Wagen ist eine lilafarbene Knutschkugel mit Blumenaufklebern. Er ist Maries ganzer Stolz, während Freddy und ich uns darauf geeinigt haben, dass schlecht gefahren besser als gut gelaufen ist. Allerdings hat Freddy zwischen all den Blümchen ein paar Totenkopfaufkleber angebracht, was das Karma irgendwie wieder ausgleicht. Trotzdem fährt sie lieber mit dem Motorrad, aber da passen wir zum Glück nicht zu dritt drauf. Es ist eine Höllenmaschine, auf die ich mich wirklich nur ungern setze.

»Gib mir den Schlüssel«, sagt Freddy und streckt ihre Hand aus. »Ich fahre, dann kannst du mit Matti Sekt trinken.«

»Oh, es gibt Sekt?«, frage ich freudig und klatsche in die Hände. »Nichts wie los.«

Ich schiebe mich am Fahrersitz vorbei nach hinten, denn das tolle Automobil hat natürlich nur zwei Türen. Behäbig rutsche ich auf die Rückbank und stelle erneut fest, dass ich unbedingt ein bisschen mehr Bewegung brauche. Irgendwann schaffe ich es sonst nicht mehr, hier reinzuklettern. Natürlich könnte ich über die Anschaffung eines eigenen Wagens nachdenken. Alternativ könnten wir für Freddys Bike einen Beiwagen kaufen und ich... Oh mein Gott, allein das Bild von uns dreien auf dem Motorrad bringt mich zum Lachen.

»Was ist so komisch da hinten?«, erkundigt sich Marie und schaut mich neugierig an. Freddy startet den Wagen. Inzwischen hat sich der Stau aufgelöst, sodass wir problemlos vom Parkplatz herunterfahren können.

»Ich bin total ungelenkig«, erwidere ich glucksend.

»Und das ist witzig?«, fragt sie erstaunt.

»Nein, das ist tragisch. Es ist schlimm, dass ich befürchten muss, nicht mehr hier hinten reinzukommen.«

»Ja, für einen schwulen Mann ist es sicherlich ganz furchtbar, wenn man hinten nicht mehr reinkommt«, behauptet Marie lachend.

»Der war so flach, meine Liebe«, murre ich und kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Allerdings liegt ihre Aussage nicht weit entfernt von der Wahrheit. Ich kann mich kaum noch erinnern, wann das letzte Mal jemand mein Heck erobert hat. Verschwommene Bilder von der Silvesterparty tauchen in meinem Kopf auf. Da war dieser namen- und gesichtslose Typ, der am nächsten Morgen eilig aus meinem Bett verschwunden ist. Das war der Moment, an dem ich dem Teufel Alkohol abgeschworen habe, aber irgendwie ist er stärker als ich. Es gibt schließlich viel zu viele Gründe, um zu feiern, und das Leben dauert nicht ewig.

Ich schaue aus dem Fenster und erkenne sofort, wo Freddy uns hinbringt. Im Sommer wäre um diese Zeit noch richtig was los im Museumshafen. Die Kneipenschiffe hätten offen und die Treppen, die hinunter zum Fluss führen, wären voll mit Menschen, die Musik hören und grillen. Jetzt ist es hier jedoch ziemlich ruhig. Nur ein paar Pärchen genießen eingehüllt in Decken ein bisschen stille Romantik. Stirnrunzelnd beobachte ich, wie Freddy auf den Parkplatz fährt und den Motor abschaltet.

»Was wollen wir hier?«, frage ich und lehne mich zwischen den beiden Sitzen nach vorn. »Hier ist doch nichts los.«

»Der Sekt ist im Kofferraum. Sogar ein alkoholfreies Bier für Freddy.« Marie dreht den Kopf zur Seite und lächelt. »Ich habe doch vorhin von einer Überraschung erzählt.«

»Hier? Springt gleich ein Stripper aus der Hecke?«

»Mann, Matti, du musst echt dringend flachgelegt werden«, grummelt Freddy, öffnet die Tür und steigt aus. Verwirrt schaue ich Marie an, denn ich verstehe Freddys plötzlichen Ausbruch nicht.

»Habe ich was Falsches gesagt oder die Überraschung verdorben, weil ich es erraten habe?«

»Nein, kein Stripper. Wenn du jemanden zum Ficken brauchst, dann such ihn dir gefälligst selbst.« Marie streckt mir die Zunge heraus, aber dann lacht sie und ich bekomme einen weiteren Kuss. »Es ist wichtig und Freddy ist ein bisschen aufgeregt.«

Irritiert mustere ich meine beste Freundin. Sie schiebt sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wirkt erstaunlich nervös.

»Ihr macht es aber spannend.«

Die Heckklappe geht auf und ein kühler Windzug fährt durchs Auto.

»Wollt ihr da drin Wurzeln schlagen? Steigt endlich aus.«

»Ein alter Mann ist kein D-Zug«, antworte ich grimmig und quetsche mich erneut an dem nach vorn gelegten Fahrersitz vorbei. Raus geht es zum Glück ein bisschen leichter.

»Die Dreißiger-Grenze hast du ja schon vor zwei Jahren überschritten und bist noch nicht im Altersheim gelandet. So schlimm kann es also nicht sein.«

»Warte nur ab, in ein paar Monaten kannst auch du Good bye zu den Zwanzigern sagen.«

»Was für ein Glück, dass ich erst 28 bin«, ruft Marie fröhlich.

»Küken«, antworten Freddy und ich gleichzeitig und grinsen uns schief an. Sie wirft mir zwei Decken zu und holt einen Korb aus dem Kofferraum.

»Wenn du jetzt noch ein rotes Mützchen hervorzauberst, bist du perfekt«, sage ich scherzhaft, was Freddy mit einem Brummen beantwortet.

»Kommt schon, bevor es so kalt wird, dass wir erfrieren.«

Marie geht eilig voran. Freddy holt sie ein und verschränkt ihre Hände miteinander. Ein winziger Stich fährt in mein Herz, denn ich möchte auch jemanden haben, den ich auf diese Weise anfassen kann.

Es ist nicht so, als würde ich ausschließlich nach der großen Liebe suchen. Eine kleine heiße Affäre würde mir schon gefallen, aber selbst dafür ist mir bisher kein brauchbarer Mann über den Weg gelaufen.

Seufzend folge ich den beiden zu den Hafenterrassen. Am Wasser ist es deutlich kühler. Fröstelnd ziehe ich den Reißverschluss meiner Jacke zu und halte die Decken schützend vor meinen Bauch. Ich glaube, die teile ich nicht.

Die Brücke ist in sanftes, orangefarbenes Licht getaucht. Der Schein der Lampen spiegelt sich auf der Wasseroberfläche wider. Die Schiffe wirken wie dunkle Riesen, die begleitet von permanentem Plätschern hin- und herwanken, als hätten sie zu viel getrunken. Obwohl sich auf der gegenüberliegenden Seite die große Hauptverkehrsstraße befindet, ist es erstaunlich still. Ich mag den Blick auf die Stadt mit den alten Schiffen im Vordergrund. All das macht schließlich auch einen Teil meines Jobs aus.

»Wo bleibst du denn?«, höre ich Marie rufen. Die beiden haben sich bereits ein ganzes Stück von mir entfernt. Eilig folge ich ihnen und beobachte, wie Freddy eine Flasche Sekt aus dem Korb nimmt, sie in Richtung Wasser hält und den Verschluss entfernt. Mit einem Knall schießt der Korken heraus und verschwindet in der Dunkelheit. Kurz darauf hören wir ein leises Platschen.

»Das ist nicht sehr umweltbewusst«, schimpfe ich mit ihr.

»Möchtest du hinterherspringen und ihn wieder rausholen?«, erkundigt sie sich spöttisch.

»Ich könnte dich reinschubsen, immerhin hast du den Korken ins Wasser geschossen.«

»Woher sollte ich denn ahnen, dass die Flasche so unter Druck steht?«

»Weil du wie ein Henker gefahren bist«, erwidere ich grinsend und werfe die Decken auf die Stufe vor uns.

»Mädels, hört auf, euch anzuzicken, sonst befördere ich euch beide ins Wasser.« Marie stemmt die Hände in die Hüften und schaut uns grimmig an. Sogar in der Dunkelheit kann ich ihre Augen blitzen sehen.

Obwohl sie immer so tut, als wäre sie total sanft mit ihrem Puppengesicht und der grazilen Figur, steckt auch in ihr eine kleine Bitch.

»Gib schon die verdammte Pulle her«, rufe ich und nehme Freddy den Sekt aus der Hand. »Ich brauche Alkohol.«

»Wir haben Gläser dabei«, sagt Marie empört, als ich den ersten Schluck direkt aus der Flasche trinke.

Sie zaubert tatsächlich zwei Sektflöten aus dem Korb. Danach holt sie das Bier für Freddy heraus und breitet die Decken auf der Stufe aus.

»So, das sollte uns vor Hämorriden schützen«, behauptet Marie, setzt sich hin und wackelt probeweise mit dem Hintern. »Ja, das ist gemütlich. Komm her zu mir.« Sie schaut mich an und klopft neben sich auf den weichen Stoff. Ich zögere einen Moment, dann lasse ich mich neben sie fallen. Freddy nimmt auf meiner anderen Seite Platz. Erneut befinde ich mich in der Mitte und frage mich, ob diese Sitzordnung von den beiden beabsichtigt ist.

Marie nimmt mir die Flasche aus der Hand und gießt die beiden Gläser voll. Freddy öffnet ihr Bier.

»Auf einen wundervollen Abend«, sagt Marie. »Und natürlich auf deinen Geburtstag.« Freddy wiederholt die Worte leise, dann stoßen wir an und trinken.

»Danke, Mädels. Echt, ihr macht mich total glücklich.«

»Da geht noch was«, behauptet Freddy und dreht die Flasche zwischen ihren Händen. Ich weiß nicht, ob sie gedankenverloren oder nervös ist. Mich macht das seltsame Verhalten auf jeden Fall hibbelig.

»Verratet es mir schon, bevor ich vor Aufregung einen Herzinfarkt bekomme.«

»Also gut«, sagt Marie und atmet tief durch. »Freddy und ich sind ja schon eine ganze Weile zusammen und... und alles läuft wirklich gut. Also wir... wir lieben uns und unsere Beziehung fühlt sich nach einem festen Anker und einem echten Zuhause an.«

»Wollt ihr mich neidisch machen? Soll ich mich freiwillig ins Wasser stürzen?«

»Nein, nein, bloß nicht. Wir brauchen dich noch.« Marie legt mir einen Arm um die Schultern und drückt sich an mich.

»Was meine Frau dir so blumig sagen möchte, ist, dass wir darüber nachgedacht haben, unser Glück zu teilen.«

»Mit mir?« Ich verstehe gar nichts mehr. Wollen sie etwa... »Wir drei?«, frage ich entsetzt und kann nicht glauben, dass sie so eine Möglichkeit überhaupt in Betracht ziehen. So nötig habe ich Sex nun wirklich nicht.

»Ich weiß ja nicht, woran du denkst«, äußert sich Freddy lachend. »Aber wir dachten an ein Kind.«

»Na, das beruhigt mich jetzt aber«, antworte ich atemlos und trinke mein Glas leer. Sofort gießt Marie nach. Ich spüre, wie sie mich beide erwartungsvoll ansehen. Ein Kind... na ja, warum auch nicht? Viele Paare bekommen früher oder später... »Oh...«, nuschle ich und schlucke schwer. »Ihr wollt... Wollt ihr mir sagen... also...«

»Wir wollten dich fragen, ob du der Vater unseres Kindes sein möchtest.« Marie flüstert die Worte, aber in meinem Kopf hören sie sich wie laute Trommelschläge an.

»Ich... ein Vater.« Meine Brust fühlt sich mit einem Mal ganz eng an. Mein Herz rast und mir ist schwindelig. Ich schaue die beiden Frauen abwechselnd an. Sie erwidern meine Blicke und lächeln.

»Wirklich?«, frage ich krächzend. »Ihr wollt, dass ich... also, mit wem und wie?«

»Ich möchte schwanger werden«, sagt Marie. »Und was das wie betrifft: Du denkst hoffentlich nicht, dass wir beide...«

»Nein, auf keinen Fall«, erwidere ich und ein Schauer rinnt mir über den Rücken.

»Shocking Vaginas«, flötet Freddy kichernd. »Wir versuchen es lieber mit der Bechermethode, also, wenn du mitmachen willst, versteht sich.«

»Eine Familie«, sage ich andächtig und versuche, die Worte zu begreifen. »Und ich darf auch ein Vater sein? Also, ich würde im Leben des Kindes eine Rolle spielen? Natürlich seid ihr die Eltern, aber ich... ich wäre auch... auch irgendwie wichtig?« Erneut fühlt sich meine Kehle wie zugeschnürt an. Zum Glück ist es dunkel, sodass die beiden nicht sehen, dass meine Augen bis zum Rand im Wasser stehen. Nur mit Mühe kann ich mir ein Schniefen verkneifen.

»Natürlich«, antwortet Marie. »Wir haben uns ganz bewusst gegen einen Samenspender und für dich entschieden. Du bist unser bester Freund und wärst bestimmt ein großartiger Daddy.«

»Siehst du das auch so?«, erkundige ich mich bei Freddy.

»Wir haben eine ganze Weile darüber nachgedacht. Das ist keine spontane Aktion, weil Maite Kelly so toll gesungen hat und das Wasser so tiefschwarz glänzt. Mir, beziehungsweise uns, ist sehr wohl bewusst, was das alles bedeutet. Allerdings würde ich das Kind gern adoptieren.«

»Klar, das verstehe ich... glaube ich jedenfalls. Ich... mein Kopf ist total leer. Ich bin überwältigt und verängstigt zugleich. Gibt es noch Sekt?«

Schweigend trinken wir, öffnen eine weitere Flasche, sitzen dicht gedrängt nebeneinander und starren auf das Wasser hinaus. Wir könnten mit meinem Sperma ein Kind zeugen. Ein echtes menschliches Wesen, das von zwei Mamas und einem Papa großgezogen wird. All die Dinge, die wir mit ihm oder ihr unternehmen könnten. Spaziergänge durch den Tierpark, das Fischerfest im Sommer... kindgerechter Urlaub in einem Ferienhaus... Weihnachten... Meine Gedanken galoppieren in eine unendliche Zukunft davon, nur mein Herz hat keine Ahnung, wie es sich als Vater fühlen soll.

»Bechermethode«, murmle ich nach einer gefühlten Ewigkeit. »Keine Vaginas für mich.«

»Nein, die bekommst du nicht zu sehen. Außer du willst bei der Geburt...«

»... meine Hand halten«, ruft Marie energisch dazwischen. »Matti will ausschließlich meine Hand halten und wird sich keinen Zentimeter vorwärts bewegen.«

»Ganz bestimmt werde ich mir den Ausgang nicht angucken. Aber wenn du mir die Knochen brichst, rede ich nicht mehr mit dir.«

Erneut umhüllt uns eine unfassbare Stille. Die Gewissheit, dass wir drei dieses Abenteuer gemeinsam wagen wollen, durchdringt mich allmählich und hinterlässt ein seltsames Kribbeln in meinem Inneren. Es ist, als würde es mich von innen jucken, und ich habe keine Chance, mich zu kratzen.

»Also, ja?«, fragt Marie nach einer Weile und streckt ihre Hand schräg nach vorn.

»Ja«, flüstere ich ergriffen und lege meine darauf.

»Scheiße, ja!«, ruft Freddy und knallt ihre obendrauf.

»Fuck«, knurre ich und fange an zu lachen. »Das ist vollkommen verrückt.« Ich drücke beiden einen Kuss auf die Wange, dann küssen sie mich, anschließend knutschen Freddy und Marie direkt vor mir und dann trinken wir noch mehr Sekt.

Die nächsten Stunden verschwimmen in einem Rausch aus Sekt und Zukunftsplänen. Irgendwann sind die drei Flaschen leer und wir fangen an zu frieren. Freddy, die als Einzige nüchtern ist, scheucht uns zurück zum Auto. Ich schwanke mindestens genauso stark wie die Schiffe, deren Anblick dafür sorgt, dass mir schwindlig wird.

»Kotzt bloß nicht ins Auto«, meckert Freddy. Diesmal klettert Marie nach hinten.

Vor meiner Wohnung verabschieden wir uns und fangen an zu heulen. Marie und ich natürlich, Freddy verdreht bestimmt nur die Augen über unsere Sentimentalität. Ich kann es nicht mehr genau erkennen, aber ich schimpfe sie deswegen trotzdem aus.

Der Weg bis zum Hauseingang kommt mir erstaunlich lang vor. Der verdammte Untergrund schwankt, was ja kein Wunder ist, denn hier ist alles auf Sumpf gebaut.

»Trockengelegter Sumpf«, murmle ich vor mich hin, während ich die Stufen nach oben in den dritten Stock erklimme. Verdammt, ist das anstrengend. Einen Moment denke ich darüber nach, auf einem der Treppenabsätze eine Pause einzulegen, aber ich befürchte, dass ich dann einschlafe.

Schließlich erreiche ich meine Tür, brauche mehrere Anläufe, um den Schlüssel ins Schloss zu bekommen, und stolpere beim Reingehen über irgendetwas. Verwirrt schaue ich nach unten und entdecke eine rechteckige Verpackung. Hellgrünes Papier mit einer schlichten Schleife darauf. Ein weiteres Geschenk für mich? Mit einem Grinsen hebe ich es hoch. Könnten Pralinen sein...

»Freddy und Marie, ihr seid echt verrückt«, flüstere ich, lege das Päckchen auf den Tisch und falle mit Klamotten ins Bett. Lediglich die Schuhe streife ich mir von den Füßen, bevor ich einschlafe.

Von Büchern und Bechern

Mein Schädel brummt unerträglich, als ich am nächsten Morgen aufwache. Zum Glück habe ich frei und auch sonst keine weiteren Verpflichtungen. Ich kann also direkt vom Bett aufs Sofa umsiedeln und den ganzen Tag schlafen, fernsehen und meinen Kater auskurieren.

Mühsam richte ich mich auf, denn meine Blase meldet sich mit einer gewissen Dringlichkeit zu Wort.

»Pinkeln.« Meine Stimme klingt krächzend und heiser, als hätte ich ein Reibeisen verschluckt. Ich treibe mich selbst an, schleunigst das Bett zu verlassen. Zusätzlich bekomme ich eine Gänsehaut von dem widerlichen Geschmack in meinem Mund. Das kann doch unmöglich von dem bisschen Sekt sein, den wir getrunken haben.

»Pissen und Zähneputzen«, präzisiere ich mein Vorhaben und mache mich auf den Weg ins Badezimmer. Ein erleichtertes Seufzen hallt von den Fliesen wider, als der Druck nachlässt. Ich bleibe noch eine Weile sitzen, denn das Zimmer beginnt, sich unnatürlich zu drehen. Verdammt, ist mir schwindlig.

Mühsam richte ich mich schließlich doch auf und hangle mich zum Waschbecken hinüber. Gott sei Dank habe ich nur ein Minibad, sodass die Entfernung ausgesprochen gering ist. Ich spritze mir Wasser ins Gesicht, nehme mehrere große Schlucke und taste blind nach der Zahnbürste.

Den Blick in den Spiegel versuche ich zu vermeiden, aber ich kann mir nicht mit geschlossenen Augen die Zähne putzen. Dafür dreht sich das Karussell in meinem Kopf immer noch viel zu schnell. Seufzend schaue ich mich an. Vermutlich habe ich einen Zeitsprung gemacht, denn das kann unmöglich das Gesicht eines vor wenigen Stunden erst 32 gewordenen Mannes sein. Nein, ich sehe aus wie... kurz vorm Abtreten und fühle mich auch so. Dunkle Ringe unter den Augen. Ein deutlicher Bartschatten, der meine Haut fahl und grünlich wirken lässt. Und dazu der weiße Schaum der Zahnpasta, der mir aus den Mundwinkeln läuft und über mein Kinn tropft.

»Ein sabbernder Zombie«, nuschle ich und spucke ins Waschbecken. Ich malträtiere meine Zunge, bis ich würgen muss, um diesen Pelz loszuwerden, spüle den Mund aus und atme tief durch.

Die Dusche ignoriere ich, denn ich will einfach nur schnell aufs Sofa. Außerdem erwarte ich heute niemanden, für den es sich lohnen würde, frisch und munter auszusehen. Ich schmiere mir lediglich eine große Menge Creme ins Gesicht, in der Hoffnung, dass auf diese Weise noch ein wenig von meinem ehemals jugendlichen Aussehen zu retten ist. Anschließend gönne ich mir noch zwei Aspirin.

Ab aufs Sofa. Vorher hole ich noch eine Flasche Wasser aus der Küche und ziehe die Klamotten von gestern Abend aus. Gott, bin ich eklig, aber ich lebe allein, also geht es niemanden etwas an.

Kaum habe ich es mir auf der Couch gemütlich gemacht und die flauschige Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen, fällt mein Blick auf den Tisch.

Irritiert runzle ich die Stirn und betrachte das rechteckige Paket. Irgendwo tief in meinem Gehirn blitzt eine verschwommene Erinnerung auf, dass es gestern Nacht vor meiner Tür lag. Mit einem Ächzen richte ich mich auf und strecke die Hand danach aus. Während ich vorhin noch an Pralinen dachte, erkenne ich jetzt, dass es nicht starr genug für eine Schachtel ist. Das fühlt sich eher nach einem Buch an.

Neugierig reiße ich das Papier ab und betrachte das in warmen Gelb- und Orangetönen gehaltene Cover. Titel und Autor sagen mir gar nichts. Deshalb drehe ich das Buch um und lese den Klappentext. Ich brauche einen Moment, ehe ich die Worte begreife. Was haben sich die Mädels denn dabei gedacht, mir einen schwulen Liebesroman zu schenken?

Natürlich lese ich gern. Am liebsten Fantasy oder historische Romane. Die meisten Bücher, die ich besitze, sind in irgendeiner Form geschichtlich angehaucht. Störtebeker und die Piraten der Ostsee, die Entstehung und Bedeutung der Hanse, die geschichtliche Entwicklung von Greifswald und seiner Umgebung... Fakten und Mythen, die ich für meine Arbeit brauche und an denen ich darüber hinaus großen Spaß habe. Aber Liebesromane? Wann habe ich denn jemals erwähnt, dass ich so etwas mag? Marie und Freddy kennen mich doch so gut, dass sie... ich bin sehr gespannt, was sie sich dabei gedacht haben.

Instinktiv greife ich zum Handy, das ich vorsorglich ebenfalls auf dem Tisch platziert habe, und schreibe ein Dankeschön in unsere WhatsApp-Gruppe.

Was für ein Buch?, erkundigt sich Marie prompt.

Verwundert mache ich ein Foto und verschicke es.

Das ist nicht von uns.

Ha ha ha, antworte ich und betrachte den Einband erneut. Es macht auf jeden Fall neugierig und ich habe heute schließlich auch nichts anderes vor. Warum also nicht lesen, anstatt fernzusehen? Vorausgesetzt mein Kopf spielt mit. Ich komme jedoch nicht dazu, das Buch aufzuschlagen, denn mein Handy beginnt zu klingeln. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass Marie am anderen Ende der Leitung ist.

»Schatz, wieso schenkst du mir einen schwulen Liebesroman?«, frage ich deshalb auch gleich, weil ich ihr immer noch nicht glaube.

»Das war ich nicht«, erwidert sie erstaunlich ernst. »Ich habe sogar kurz Freddy angerufen, ob sie vielleicht... Aber ehrlich, das ist nicht von uns.«

»Hm...« Mehr fällt mir dazu nicht ein. Wer würde mir denn ein solches Geschenk vor die Tür legen?

»Hast du einen heimlichen Verehrer?«, fragt sie kichernd.

»Witzig. Die Männer, die ich bisher kennengelernt habe, wären nicht so subtil. Da hätte ich vermutlich eine Schachtel Gummis und für die Romantik Gleitgel mit Kirscharoma bekommen.«

»Du warst ja auch überwiegend mit Arschlöchern zusammen.«

»Vielen Dank!« Ich knurre empört, auch wenn Marie leider recht hat. In den wenigen Beziehungen, an denen ich mich bisher versucht habe, wurde ich verletzt, betrogen und ziemlich niedergemacht. Die kurzen Affären verliefen auch nicht besser für mich. Während anscheinend jeder schwule Mann eine offene Beziehung als einzig wahre Möglichkeit des Zusammenlebens sieht, bin ich so etwas wie ein Alien oder Neandertaler. Ich will einen Partner ganz für mich allein und das in jeder Hinsicht. Natürlich kann ich auch sehr gut zwischen Liebe und Sex unterscheiden, aber ich möchte einfach ausreichend für jemanden sein. Ein hoffnungsloser Traum.

»Es lag ja nicht an dir, sondern an den Kerlen«, behauptet Marie. Das soll wohl eine Art Entschuldigung sein. Immerhin haben die beiden sich immer um mich gekümmert und die Scherben meines zerschlagenen Herzens aufgekehrt und zusammengeklebt.

»Vermutlich bin ich viel zu kompliziert und zu anspruchsvoll«, erwidere ich mit einem Seufzen und reibe über meine schmerzende Stirn.

»Aber es ist doch spannend«, wirft Marie ein. »Ein Unbekannter hat dir ein Geschenk vor die Tür gelegt. Das ist schon ziemlich romantisch.«

»Ich finde es eher unheimlich«, gebe ich zu und mein Herz beginnt, unangenehm zu pochen. Die Vorstellung, dass es jemanden gibt, der nicht nur meinen Geburtstag kennt, sondern auch noch weiß, wo ich wohne... Das ist creepy.

»Denk noch mal genau nach. Da muss doch jemand in deiner Nähe sein, der mehr von dir will.«

»Wer sollte das denn sein? Ich pendle ausschließlich zwischen der Arbeit und meiner Wohnung hin und her. Dazu gibt es gelegentliche Besuche bei euch.«

»Dann war vielleicht in letzter Zeit öfter jemand da, der sich als Tourist ausgegeben hat und...«

»Oh, bitte. Nein, glaub mir. Niemand gibt sich so viel Mühe. Außerdem wäre es auch gar nicht nötig. Wenn der Kerl einigermaßen nett aussieht...« Ich verharre und schlucke schwer. »Vermutlich ist er hässlich oder hat eine fette Narbe im Gesicht oder einen Mikropenis oder...«

»Stopp, aufhören. Matti, deine Fantasie geht mit dir durch. Und überhaupt, seit wann legst du so viel Wert auf das Äußere?«

»Tu ich doch gar nicht. Ich versuche lediglich, einen Grund dafür zu finden, der diese Heimlichtuerei erklärt.«

»Vermutlich bist du auch noch viel zu betrunken. Hör auf, dir Horrorszenarien auszumalen, und warte einfach ab. Eine Karte war offenbar nicht dabei, oder?«

»Karte?«, frage ich und richte mich ruckartig auf. Das hätte ich lieber nicht tun sollen, denn mein Kopf will augenblicklich explodieren. »Nein, ich... ich glaube, da war nichts... jedenfalls...« Ich drehe und wende das Geschenkpapier, betrachte sogar das Schleifenband, sehe unter dem Tisch nach und schüttle das Buch.

»Da ist nichts«, antworte ich enttäuscht.

»Dann warte doch einfach ab, was passiert. Sicherlich wird dir derjenige irgendwann ein Zeichen geben.«

»Und wenn ich das nicht erkenne? Du weiß, dass ich nicht gut in solchen Dingen bin.«

»Komm mir nicht wieder mit deiner Kindheit«, erwidert Marie lachend, dann hält sie jedoch inne. Obwohl wir nur telefonieren, kann ich ihr mitfühlendes Gesicht vor mir sehen. Sie seufzt leise und räuspert sich dann.

»Wie geht es dir überhaupt? Haben wir dich gestern einigermaßen gut abgelenkt?«

»Es war perfekt«, erwidere ich und meine es absolut ernst. Tagsüber habe ich gearbeitet und am Abend das Konzert... »Ich hätte keinen besseren Geburtstag erleben können.«

»Das freut uns. Es war auch ein ganz besonderer Zufall, dass deine Lieblingssängerin ausgerechnet zu deinem Geburtstag in die Stadt kommt. Cooler wäre es gewesen, wenn wir dich damit hätten überraschen können, aber dann hättest du in den letzten Wochen mit Scheuklappen durch die Gegend laufen müssen.«

Die Vorstellung bringt mich zum Lachen und nimmt das drückende Gewicht von meiner Brust. Ich bin dankbar, dass uns so eine tiefe und besondere Freundschaft verbindet. Auch Babette, meine Arbeitskollegin, hat sich viel Mühe gegeben.

»Du weißt, dass du nicht allein bist«, sagt Marie eindringlich.

»Natürlich, mach dir keine Sorgen. Es ist wirklich alles gut. Ich hatte einen Spitzentag.«

Vielleicht schaffe ich es später noch auf den Friedhof. Den letzten Satz sage ich jedoch nicht laut, denn Marie ist eine schlimmere Heulsuse als ich. Meine Mutter ist inzwischen seit drei Jahren tot. Dank des verdammten Krebsleidens hatten wir schon im Vorfeld genügend Zeit, um uns zu verabschieden. Natürlich tut jeder Gedanke an sie noch furchtbar weh. Mit ihr ist die einzige Familie gestorben, die ich hatte. Irgendwo lebt mein Erzeuger noch, aber wir haben keinen Kontakt. Ich habe keine Onkel und Tanten, keine Großeltern...

Manchmal reißt mich die Tatsache, ganz allein auf der Welt zu sein, in ein tiefes schwarzes Loch, dann fühle ich mich wie erstarrt und fürchte mich regelrecht vor allem da draußen. Zum Glück kommt irgendwann immer wieder die Erkenntnis, dass ich nicht allein bin. Ich habe Freundinnen, die besten Freundinnen der Welt.

»Ich liebe euch wirklich sehr«, flüstere ich und lächle debil.

»Wir lieben dich auch. Du hast einen festen Platz in unseren Herzen, deshalb, also... hast du über unsere Sache noch mal nachgedacht?«

»Die Bechermethode«, flüstere ich und mein Puls schnellt in die Höhe. Haben wir gestern tatsächlich am Ryck gesessen und diese... diese unglaubliche Entscheidung getroffen?

»Matti, bist du noch dran?« Marie klingt nervös und aufgeregt. »Sag bitte nicht, du hast es dir anders überlegt.«

»Ich habe bis eben gar nicht mehr daran gedacht. Mein Gehirn schwimmt offenbar noch immer in zu viel Sekt. Ich... ein Baby... Wirklich? Wir wollen ein Baby machen? Wir drei wollen Eltern werden?«

»Das wäre der Plan.«

»Der Plan«, flüstere ich ehrfürchtig und spüre, wie ein Schweißtropfen an meiner Schläfe hinunterrollt. Der Gedanke ist kaum greifbar und die Auswirkungen sind riesig, aber ich wäre wieder Teil einer Familie.

»Bitte grüble nicht so viel darüber nach. Ich weiß, dass du gern alles zerdenkst. Am Ende wirst du mehr Argumente finden, die dagegen als dafür sprechen, aber hier ist die emotionale Seite viel wichtiger. Ich weiß, dass wir für ein Kind sorgen können. Wir haben eine Menge Liebe zu geben und ein Zuhause und eine Familie.«

»Sag mir nur eins: Habt ihr euch für mich entschieden, damit ich... also, damit ich auch wieder zu jemandem gehöre?« Die Worte quälen sich nur mühsam über meine Lippen, aber die Frage war so plötzlich da, dass ich sie nicht zurückhalten kann. Ich kann kein Vater aus Mitleid werden. Das würde sich vollkommen falsch anfühlen.

»Ich werde dich nicht anlügen, Matti. Natürlich spielt deine Situation auch eine Rolle. Es tut mir im Herzen weh, dass du keine Familie mehr hast. Der Tod deiner Mutter hat uns alle geschockt und dass dein beschissener Vater keinen Kontakt will... Das macht mich echt wütend. Ich möchte, dass du nicht länger das Gefühl hast, allein auf der Welt zu sein, aber das war für Freddy und mich wirklich nicht der Hauptgrund. Du bist unser bester Freund. Wir lieben dich. Manchmal kann ich es kaum glauben, was für ein Glück es ist, dass wir uns gefunden haben. Eine kosmische Fügung, anders lässt es sich gar nicht erklären. Wir verstehen uns so gut. Du bist irgendwie niemals das fünfte Rad am Wagen, weil wir zusammen immer Spaß haben und es sich richtig anfühlt. Wir haben schon so viel durchgestanden und...«

»Ich werde es machen«, unterbreche ich sie, bevor ich dank ihrer Rede anfange zu heulen.

»Flennst du?«, fragt sie schniefend.

»Nein, natürlich nicht. Wann habe ich jemals geheult?« Verstohlen wische ich mir über die Wange und spüre gleichzeitig, wie meine Mundwinkel ganz von allein nach oben wandern. Ein unheimliches Glücksgefühl durchströmt meinen Körper und mir wird ganz flau im Bauch. Ich weine und lache zugleich und komme mir total berauscht vor, aber das liegt ganz bestimmt nicht am Restalkohol.

»Ich will ein Papa sein, mit euch... Es gibt niemanden, mit dem ich mir so ein Abenteuer vorstellen könnte. Außerdem weiß ich, dass ihr beide wunderbare Eltern sein werdet.«

»Danke, du...«

Ihre nächsten Worte gehen in einem unerträglichen Dröhnen unter. Das Sofa vibriert und die Flasche Wasser klirrt leise.

»Was ist denn bei dir los?«, brüllt Marie mir ins Ohr.

»Keine Ahnung«, rufe ich zurück und habe das Gefühl, mein Schädel explodiert jeden Augenblick von dem furchtbaren Lärm.

»Irgendwelche Modernisierungsmaßnahmen?«

»Der neue Nachbar«, jammere ich. Schlagartig tritt Ruhe ein. »Gestern ist jemand nebenan eingezogen. Die Wohnung stand ja nicht sehr lange leer.«

»Oha, ist es etwa ein gut aussehender Nachbar?«

Eine Antwort darauf kann ich mir sparen, denn der Höllenlärm setzt wieder ein. Ich verabschiede mich eilig von Marie und ziehe ein Kissen über meinen Kopf. Das schützt mich jedoch kaum, denn die Erschütterungen sind unangenehmer als der Krach.

»Ich sterbe hier drüben«, rufe ich laut. Erneut wird es leise. Verwundert hebe ich den Kopf und lausche. Das kann er doch unmöglich nebenan gehört haben. Hat er auch nicht, denn schon geht es munter weiter. Sogar die Dekorationen auf meinem Sideboard rutschen herum.

Schließlich gesellt sich zu dem Lärm auch noch Getrampel im Hausflur. Ich vernehme Lachen und Frauenstimmen.

Irgendwann werden wir uns sicherlich begegnen. Ich hoffe, sie sind einigermaßen nett und nicht zu chaotisch. Bis vor einem halben Jahr haben zwei Studenten dort gewohnt. Aus jedem verdammten Tag wurde eine Party. Ich habe nichts gegen Feiern, aber wenn man selbst kaum noch zum Schlafen kommt und morgens eilig zur Arbeit muss und in Kotze tritt... Ehrlich, dann kann ich auch ungemütlich werden.

Das Bohren und Hämmern beginnt erneut. Ich schalte den Fernseher ein, erhöhe die Lautstärke beinahe bis zum Maximum und schaue ein paar Folgen meiner Lieblingsserie auf Netflix.

Gegen Mittag wird es endlich leiser. Augenblicklich falle ich in einen tiefen Schlaf, aus dem mich schließlich das Piepsen meines Handys reißt.

Du hast übrigens noch knapp einen Monat Zeit, schreibt Marie mit vielen Emojis dahinter.

Wofür?, hake ich verwirrt nach. Immerhin bin ich gerade aus einem wirren Traum aufgewacht, in dem ich mit Maite Kelly auf einem Kreuzfahrtschiff war, das von einer monsterhaften Vagina dentata mit wirklich riesigen Zähnen angefallen wurde. Freud hätte wohl seine wahre Freude an der Deutung dieser Sequenz gehabt. Ich fühle mich dagegen immer noch ziemlich benommen. Außerdem bin ich total verschwitzt.

Meine fruchtbaren Tage sind erst Ende des Monats, präzisiert sie. Der Becher kann noch ein bisschen warten.

Okay, schreibe ich lediglich zurück, schließe die Augen und nehme mir ganz fest vor, tatsächlich nicht darüber nachzudenken. Wir werden mit Sicherheit bald noch einmal darüber sprechen, nur nicht heute. Ich muss diese Bilder unbedingt loswerden. Am besten alle Bilder, in denen weibliche Sexualorgane eine Rolle spielen. Ich stehe immerhin ausschließlich auf Schwänze.

Mühsam rapple ich mich vom Sofa auf. Ich muss aus den eklig verschwitzten Klamotten raus und endlich duschen.

»Alexa«, rufe ich laut. »Spiel im Bad Musik von Maite Kelly.«

Natürlich passiert nichts, denn ich habe keine Alexa. Stattdessen schnappe ich die praktischen mobilen Boxen und mein Handy und lege beides ins Fenster. Ich suche meine Lieblingsplaylist heraus und lausche mit einem breiten Grinsen den ersten Takten. Eilig schäle ich mich aus den Klamotten und stelle mich in die Kabine. Der erste kalte Wasserstrahl bringt mich zum Keuchen, danach singe ich schief und laut mit, ignoriere das Kratzen im Hals und das inzwischen nur noch dezente Pochen in meinem Schädel.

Der leckere Schokoladenduft meines Duschgels steigt mir in die Nase. Ich stöhne leise und schäume meinen Körper gründlich ein. Die Anspannung fällt allmählich von mir ab, dafür breitet sich sanfte Erregung in mir aus. Instinktiv umfasse ich meinen Schwanz und atme genüsslich aus. So gut...

Ich reibe mich langsam, spüre, wie ich härter werde und es in meinem Unterleib zu kribbeln beginnt. Die andere Hand lege ich an meine Eier und massiere sie. Ich lehne meinen Kopf gegen die Fliesen, sodass das heiße Wasser über meinen Rücken rinnt. Kitzelnd perlen Tropfen meine Spalte entlang.

Ich stöhne leise, bewege die Finger schneller und verwöhne meine Eichel. Die Vorhaut vor- und dann weit zurückzuschieben, macht mich immer ganz verrückt. Ein irres Prickeln rast meine Wirbelsäule entlang und sorgt dafür, dass meine Haut ganz empfindlich wird. Plötzlich fühlen sich die Wassertropfen wie kleine Nadelspitzen an, die die Erregung noch zusätzlich befeuern. Hitze breitet sich in mir aus.

Ich stoße schneller in meine Hand, übe mehr Druck auf meine Hoden aus und verliere die Kontrolle. Mit einem Aufschrei komme ich. Keuchend beobachte ich, wie der erste Schub die Fliesen trifft, der zweite landet auf dem Boden und wird augenblicklich weggespült. Nur langsam beruhigt sich mein Herzschlag wieder. Ich fühle mich angenehm matt und zufrieden.

Als ich jedoch mit der Brause die Sauerei von den Fliesen entferne und dabei beobachte, wie das Sperma durch den Abfluss verschwindet, beginnen die Gedanken in meinem Kopf erneut zu kreisen.

»Bechermethode«, flüstere ich und betrachte mein inzwischen weiches Geschlechtsteil. »Hast du gehört, du musst in einen Becher spucken.« Glucksend spanne ich die Muskeln im Unterbauch an, sodass mein bestes Stück zustimmend nickt.

»Aber was dann und vor allem wie?«

Kopfschüttelnd stelle ich das Wasser ab und steige aus der Dusche. Mache ich das bei Freddy und Marie im Bad, damit ich das Zeug gleich übergeben kann? Werden die beiden dazu vielleicht schon nackt im Bett liegen? Oh mein Gott.

Vaginas, kreischt mein Verstand. Ich bekomme eine Gänsehaut. Aber wenn ich es zu Hause mache, vielleicht entspannt bei einem Porno... wo fülle ich den Saft dann ab? Etwa in eine Tupperbüchse? Sollte ich vielleicht ein besonderes Glas dafür kaufen?

Wir haben im Geschäft so hübsche Schnapsgläschen mit Schiffen oder der Marienkirche oder der Holzbrücke. Ich könnte so eins mitnehmen und dann befüllen. Laufe ich anschließend damit zu den beiden nach Hause? Sie wohnen nicht gerade um die Ecke. Wie lange ist Sperma überhaupt überlebensfähig?

Von der wunderbaren Handentspannung ist nichts mehr übrig, dafür drehen sich meine Gedanken so schnell, dass mir übel wird. Gleichzeitig beginnt mein Magen zu knurren.

Ich schlinge mir ein Handtuch um die Hüften, gehe in die Küche und öffne den Kühlschrank. Zum Kochen habe ich keine Lust, aber für ein paar Wurstbrote reicht mein Elan. Beim Schmieren der Schnitten verbiete ich mir jeden weiteren Gedanken an Sperma.

Mit einem vollen Teller, auf den ich auch noch ein paar Tomaten und Gewürzgurken gelegt habe, ziehe ich mich aufs Sofa zurück. Der Lärm aus der Nachbarwohnung ist verstummt, nur Maite singt immer noch im Badezimmer. Schnell hole ich mein Handy. Zum Glück gibt es keine weiteren Nachrichten. Eine Weile starre ich abwechselnd das Buch und den Fernseher an, während ich genüsslich die erste Schnitte verspeise. Lesen oder fernsehen? Ich nehme das Buch noch einmal in die Hand und mustere es eindringlich.

»Wer hat dich vor meine Tür gelegt und warum? Bist du etwa der Weg zu meinem Traumprinzen oder führst du mich zu einem psychopathischen Killer?«

Egal, ich kann ja mal reinlesen. Sollte der Inhalt Mist sein, kann ich es ja immer noch in den Mülleimer werfen.

Es ist kein Mist... Bereits die ersten Kapitel nehmen mich total gefangen. Ich kann nicht aufhören, gehe sogar mit dem Buch aufs Klo und ziehe anschließend lesend ins Bett um. Irgendwann, weit nach Mitternacht, schlage ich es zu und schlafe mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen ein.

Von Motivation und Zufall

Am nächsten Morgen werde ich von einem Kribbeln geweckt, das sich von meiner Schädeldecke bis zum kleinen Zeh zieht. Im ersten Moment befürchte ich, dass ein Ameisenvolk meine Wohnung übernommen hat, aber ich befinde mich zum Glück allein im Bett.

Es ist Samstag, ein freies Wochenende liegt vor mir und ich fühle mich so zufrieden wie schon lange nicht mehr. Zuerst begreife ich nicht, woher diese Stimmung kommt, aber dann fällt mir das Buch wieder ein.

Beschwingt richte ich mich auf. Es liegt auf dem Nachttisch. Hektisch greife ich danach, schlage es wahllos in der Mitte auf und lese bis zum Ende. Was für ein Happy End! Ich bin ganz hin und weg davon, aber es ist nicht allein die Liebesgeschichte, sondern die Motivation, die ich dabei empfinde. Ich erkenne mich in dem Buch wieder. Das ist total verrückt und seltsam, denn der Protagonist hat eigentlich kaum etwas mit meinem Leben gemein.

Ich denke jedoch schon seit einer Ewigkeit darüber nach, endlich ein bisschen mehr Sport zu treiben. Genau genommen geht es wohl eher darum, überhaupt mit irgendeiner Sportart anzufangen. Hin und wieder einen Spaziergang zu machen und im Sommer zu schwimmen, fällt vermutlich nur bedingt unter den Begriff sportliche Betätigung. Zumal das sommerliche Schwimmen auch eher ein Bräunen am Strand und Abkühlen im Wasser ist. Kondition und Fitness werden dabei kaum trainiert.

Ich bin nicht dick, habe vielleicht drei oder vier Kilo mehr, als angeblich ideal wären, aber die haben sich gut auf meinem Körper verteilt. Eine winzige Speckrolle an den Hüften. Meine Oberschenkel könnten auch muskulöser sein.

Über die Möglichkeit, meinem Traumprinzen in so einem Sporttempel über den Weg zu laufen, habe ich bisher noch niemals nachgedacht. Aber es ist durchaus möglich. Wir könnten uns finden, gemeinsam trainieren, für den Rest unseres Lebens glücklich sein und in den Sonnenuntergang reiten. Mal ich auf ihm, dann er auf mir. Ich mag schließlich beides.

Unglaublich, ich falle tatsächlich auf einen Schmachtfetzen herein, aber er ist so gut geschrieben. Ich will das auch für mein Leben.

Entschlossen springe ich aus dem Bett und gehe ins Bad. Unterwegs mache ich einen Zwischenstopp in der Küche, um die Kaffeemaschine zu befüllen. Gestern bin ich den ganzen Tag ohne das schwarze Gebräu ausgekommen, aber heute brauche ich unbedingt eine ordentliche Dosis Koffein.

Nach der morgendlichen Badroutine ist auch der Kaffee durchgelaufen. Ich stecke Brot in den Toaster und decke den kleinen Tisch in der Küche.

Der Raum ist leider viel zu klein für eine ordentliche Sitzgelegenheit. Aber das große schwedische Möbelhaus hat ja genau für solche Situationen perfekte Konzepte entwickelt, sodass wir sogar zu dritt in meiner Küche sitzen und essen können, auch wenn es verdammt eng ist und derjenige, der an der schmalen Seite sitzt, immer aufstehen muss, damit ein anderer vorbeikommt. Die meiste Zeit bin ich jedoch allein hier und da funktioniert es prima.

Während ich frühstücke, checke ich mein Handy auf neue Nachrichten. Die Mädels wünschen mir einen guten Morgen und haben ein Bild von einem heißen Kerl geschickt, der mir eine Tasse Kaffee reicht.

Ich nehme ihn, antworte ich und sende lachende Emojis dazu.

Genüsslich trinke ich den ersten Schluck und überlege, was ich heute mache. Ich muss auf jeden Fall ein paar Lebensmittel einkaufen. Der Supermarkt ist zum Glück nur wenige Hundert Meter entfernt. Da ich gestern nicht auf den Friedhof gegangen bin, werde ich das heute nachholen. Instinktiv schaue ich aus dem Fenster.

Der beginnende Frühling zeigt sich von seiner besten Seite. Der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Ich könnte am Nachmittag vielleicht damit beginnen, meinen Balkon aufzuräumen, und endlich die Radieschen aussäen. Schließlich habe ich mir fest vorgenommen, in diesem Jahr mein Hochbeet besser zu nutzen.

Mit einem tiefen Seufzen erinnere ich mich daran, wie ich das Ding im letzten Jahr voller Elan im Baumarkt gekauft habe. Natürlich auch Erde und allerlei Sämereien dazu. Meine blühende Fantasie hat aus mir einen urbanen Gärtner und Selbstversorger gemacht, aber am Ende habe ich nur eine Reihe holziger Radieschen und kümmerlichen Blattsalat geerntet. Dieser erste, fehlgegangene Versuch schreckt mich jedoch nicht davon ab, meine Fähigkeiten in diesem Jahr auszubauen und zu verbessern. Die Balkonkästen bestücke ich allerdings wieder mit Blumen. Im Supermarkt habe ich letzte Woche bereits Stiefmütterchen gesehen. Davon kann ich mir gleich eine Palette mitnehmen.

Hast du heute Abend schon was vor?

Einen Moment lang starre ich die Nachricht gedankenverloren an und zucke dann mit den Schultern.

Habt ihr eine Idee?, schreibe ich zurück.

Gemütlicher Fernsehabend mit Pizza und Rotwein?

In diesem Moment setzt das durchdringende Geräusch des Bohrers nebenan wieder ein.

»Fuck!« Knurrend verfluche ich den Lärm und beende mein Frühstück. Es wird Zeit, dass ich aus der Wohnung komme.

Ich bin dabei, tippe ich, während ich den Tisch abräume. Aber bei euch. Hier ist immer noch die Hölle los.

Ich bekomme eine Reihe nach oben gestreckter Daumen, Weingläser und vermutlich einfach alles, was irgendwie zu der Unterhaltung passt, von Marie gesendet. Lachend schließe ich den Chat.

Ich gehe in den Flur, schlüpfe in meine Schuhe, ziehe eine Jacke an, binde mir einen Schal um den Hals und werfe Portemonnaie und Schlüssel in meinen Rucksack. Im letzten Moment erinnere ich mich daran, zwei Einkaufstaschen mitzunehmen, damit ich keine Plastiktüten kaufen muss. Freddy und Marie haben mir diverse Vorträge über Plastikmüll gehalten und mich mit einer Unmenge an Stoffbeuteln versorgt. Leider fällt es mir nicht immer leicht, daran zu denken, die Dinger auch mitzunehmen. Dass ich diesmal daran gedacht habe, ist offenbar ein weiteres Zeichen dafür, dass heute ein guter Tag wird.

Im Hausflur ist der Lärm noch viel schlimmer. Kaum habe ich meine Tür zugezogen, geht die von nebenan auf. Eine junge Frau kommt lachend heraus und stockt, als sie mich sieht.

»Hallo«, grüßt sie mich mit einem breiten Lächeln. »Tut mir leid, dass es so laut ist, aber die Männer sind mit dem Einbau der Küche fast fertig.«

»Kein Problem«, antworte ich zurückhaltend, denn der erste Kontakt mit fremden Menschen ist mir immer ein bisschen unangenehm. Ich taue leider erst auf, wenn ich jemanden schon einige Male gesehen habe oder wenn Alkohol im Spiel ist.