Fleckenverlauf - Terézia Mora - E-Book

Fleckenverlauf E-Book

Terézia Mora

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Beschreibung

Sieben Jahre hat Terézia Mora regelmäßig ihre Gedanken und Beobachtungen in einem Blog festgehalten - von ihrem 43. bis zum 50. Geburtstag. Kurze Texte, in denen die vielfach preisgekrönte Autorin (Deutscher Buchpreis, Georg-Büchner-Preis) spontane Eindrücke festhält und »Glücksmomente« im Alltag sucht. Einträge, in denen sie ebenso klug wie kurzweilig über unsere Zeit reflektiert. »Fleckenverlauf« enthält Momentaufnahmen, die weit über eine Ideensammlung für spätere Werke hinausgehen. Ein Tage- und Arbeitsbuch, das Terézia Moras literarisches Schaffen kunstvoll ergänzt.

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Zum Buch

Sieben Jahre hat Terézia Mora regelmäßig ihre Gedanken und Beobachtungen in einem Blog festgehalten – von ihrem 43. bis zum 50. Lebensjahr. Kurze Texte, in denen die vielfach preisgekrönte Autorin (Deutscher Buchpreis, Georg-Büchner-Preis) spontane Eindrücke festhält und »Glücksmomente« im Alltag sucht. Einträge, in denen sie ebenso klug wie kurzweilig über unsere Zeit reflektiert. »Fleckenverlauf« enthält Momentaufnahmen, die weit über eine Ideensammlung für spätere Werke hinausgehen. Ein Tage- und Arbeitsbuch, das Terézia Moras literarisches Schaffen kunstvoll ergänzt.

Zur Autorin

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband »Seltsame Materie«, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzern aus dem Ungarischen.

Terézia Mora

Fleckenverlauf

Ein Tage- und Arbeitsbuch

Luchterhand

3. Dezember 2014

Glück 07:59

Die junge Chinesin, die die heruntergefallenen Blätter der Gingkobäume vor dem Restaurant zusammenfegt und dabei ein chinesisches Lied singt. Ihre gelben Hosen, ihre braunen Stulpen, der Schal, den sie um den Kopf gewickelt hat. Die Vogelkäfige aus Bambus, die an den Bäumen hängen. Leer, offensichtlich nie wirklich dafür benutzt, Vögel darin gefangen zu halten, sind sie schön. Tatsächliche Vögel in tatsächlichen Käfigen zu halten ist hingegen Barbarei.

Tausende von Tricks. Bei der Arbeit singen.

4. Dezember 2014

»Er macht ja wohl ihren Sarg«

Das Zitat im Titel ist das Ergebnis eines Spiels. Das Spiel geht so:

1. Greife dir das Buch, das dir am schnellsten in die Hand fällt.

2. Suche den 5. Satz auf der 23. Seite heraus.

In diesem Fall: Hans Fallada: Der Bettler, der Glück bringt, Aufbau 2012. Frühe und späte Erzählungen und die »Geschichten aus der Murkelei«. Der beste Text im Band: Birgit Vanderbekes Nachwort.

Über dieses Spiel erfahren habe ich aus dem Blog von Hazugvirág, den ich lese, um etwas gegen das Gefühl der Sinnlosigkeit zu tun. Dagegen, und gegen die Scham, die ich empfinde, weil ich gerade Verträge über drei Bücher abgeschlossen habe, obwohl ich denke, dass es sinnlos ist, sie zu schreiben. Ich hätte das nicht tun dürfen, auch nicht, wenn mir meine Agentin sagt, alle täten es, und was wisse ich schon darüber, ob es wirklich sinnlos sei, der Sinn könne sich unterwegs finden bzw. fände sich unterwegs, und warum sollte ich bei dieser Suche nicht abgesichert sein, wenn ich schon die Chance dafür hätte.

Ich werde das niemals einspielen.

Sie: Na und?

Aber das mit den Büchern ist es nicht allein. Die Oberflächlichkeit aller Kommunikation. In den sozialen Medien, klar. In den alltäglichen und flüchtigen Begegnungen mit denen, die man nur oberflächlich kennt, klar. In den Begegnungen mit denen, die man etwas besser kennt, und daher weiß, dass nichts Tieferes zu erwarten ist, klar. Aber auch in den Begegnungen mit Freunden, die ja gerade deswegen die Freunde sind, weil eine tiefere Kommunikation möglich wäre, man bewegt sich intellektuell und emotionell im gleichen Bereich, es wäre also möglich – aber es passiert einfach zu selten. In der Mitte des Lebens hast du keine Zeit. Keine Zeit zu haben sieht so aus, dass ihr es mit Hängen und Würgen dreimal im Jahr schafft, euch für 2 Stunden zu sehen. Dann hechelt ihr die Oberflächen durch, denn diese müssen immer zuerst durchgehechelt werden, und bevor es tiefer werden könnte, müsst ihr weiter. Als Ergebnis davon habe ich das Gefühl, selbst »meinen Leuten« gegenüber nicht ehrlich sein zu können. Dabei lüge ich fast nie. Ich musste meine Kindheit damit verbringen, permanent Kritik dafür einzustecken, wenn ich als ich selbst zu sichtbar wurde. Als Folge davon verstelle ich mich niemals wieder mehr. Grundsätzlich sind auch meine Oberflächen aufrichtig, aber dadurch, dass es nie so weit kommt, dass man so etwas wie oben aussprechen könnte, fühle ich mich am Ende doch allein.

Ja, ich bin vermutlich gekränkt, dass auch ich von der Sinnlosigkeit angefochten werden kann. Dass mir das als Person passieren kann, war mir bekannt. Als Schreibende ist mir das bis jetzt noch nicht passiert, und jetzt stehe ich da wie nach einem Nasenstüber. Dass es mir etwas ausmacht, wenn mein konsumorientiertes und kulturfernes Umfeld (alles studierte Leute, übrigens) nicht nur einfach desinteressiert demgegenüber ist, was sinnstiftend für mein Leben ist (Auflösung: Hochkultur, innerhalb dieser insbesondere die Literatur), sondern teilweise offen feindselig. Es gilt nicht mehr als entlarvend und als schlechtes Benehmen, sich abfällig über Bücher und über die, die sie produzieren, zu äußern. Ja, ich weiß, Literatur ist, wenn man trotzdem schreibt, aber irgendwie … jetzt gerade … diese Verlassenheit.

Und dann stößt man auf Hazugvirág. Sie schreibt den Blog seit 2007, da war sie 18 und Schülerin in Ungarn. Heute ist sie 24 und Barista in London. Und so, wie »wir« mal waren. Als wir es noch schafften, Englisch, Französisch, Deutsch und Latein zu lernen, im Chor zu singen, Posaune zu spielen, die Schülerzeitung herauszugeben, sich statt der überforderten Eltern um die jüngeren Geschwister zu kümmern, das Sommercamp für die neuen Schüler mitzugestalten, einen Wochenendjob in einem Café zu machen, in die Hauptstadt zu fahren, um ein Straßenfest des Institut français zu besuchen (ist umsonst und man hört Französisch), mit Freunden durch die Stadt zu stromern usw. Was wir, natürlich, deswegen tun konnten, weil für Wohnen, Essen, Kleidung und Bücher gesorgt war und wir nicht den Großteil unserer Zeit damit verbringen mussten, selbst dafür zu sorgen. Und außerdem, weil mit 18 noch nichts sinnlos ist, du kannst nicht nicht glauben, dass du »Dichter des 21. Jahrhunderts« (Zitat Hazugvirág) sein wirst. Jemand, der schon mit 18 resigniert ist, schreibt sicher keinen Blog und auch nichts anderes.

Die Vorstellung, dass jemand schon so früh und nicht nur vorübergehend resigniert ist. Bedingt durch ein Milieu, ein Ereignis, eine Persönlichkeitsstruktur. Kann sein, er/sie ist nach herkömmlichen Maßstäben erfolgreich, integriert und was es noch an Wörtern gibt. Das wäre, vermutlich, noch der bessere Fall. Es gibt andere Fälle. Die, die nicht einmal nach einem »erfolgreichen Leben« aussehen. Wenn du schon als Kind frühvergreist bist.

Ich frühvergreise gerade. Immerhin erst mit 42. Nein, 43. Ich bin ja schon 43. Ich habe das letzte Jahr verloren. Vielleicht liegt es daran? Man kann nicht ungestraft eines seiner Lebensjahre aus lauter Unaufmerksamkeit verlieren … Während man sich Hazugvirág – was im Übrigen »die lügnerische Blume« bedeutet – als einen glücklichen Menschen vorstellen muss. Immer noch. Wobei sie mittlerweile nicht mehr 10–15 Bücher pro Monat auflistet, die sie gelesen hat. Aber sie kann immer noch aus dem Lateinischen ins Englische übersetzen. Sicher versteht das auch nicht jeder: Warum das nicht sinnlos ist. Und wenn ich verrate, dass sie diese Fähigkeit einsetzt, um dem Kind, das sie babysittet, etwas in dessen Sprache zu bringen? Und das Kind sagt: Wow, ich habe noch nie jemanden getroffen, der das konnte. Das Kind war bestimmt nicht unglücklich in dem Moment. Die Babysitterin sicher auch nicht. Und ich? Ich war auch nicht unglücklich. Dass es Leute wie Hazugvirág gibt, ist ein Trost.

Operiert

Gestern habe ich zum ersten Mal in meinem Leben mit zwei Frauen zusammengestanden, deren Gesichter vermutlich operiert waren. Die eine sah wie Joker aus, bei der anderen war die Haut an den Wangen und unterhalb der Augen merkwürdig gespannt, ein nicht sehr gutes Lifting, an den Seiten kräuselte es sich. Was sagt mir das, die ich finde, dass ich für 43 extrem gealtert bin, so dass mein Gesicht in Stücken ist?

(In Wahrheit habe ich Angst, dass dieses wie aus Stücken zusammengesetzte Gesicht mich verrät: meinen schlechten Charakter. Der Witz ist: Tatsächlich ist mein Charakter, wenn ich allein bin, schlechter, als wenn ich mich anderen zeige, aber nicht so schlecht, wie das zerstückelte Gesicht vermuten ließe. Ich sehe schlechter aus, als ich bin.)

[Das operierte Gesicht verwendet für »Ella Lamb in Mullingar«. Das Gesicht in Stücken für Lorelei in Kopp3.]

Auf der Straße singen

Im Übrigen hat auch heute eine junge Frau auf der Straße gesungen. Jemand mit einer blonden Rastafrisur, bunten Strümpfen und feuerrotem Lippenstift. Sie sang sehr schlecht, schlechter noch als die Chinesin vorgestern, deren Gesang sich wie eine verärgerte Tirade angehört hatte. Und dennoch …

Die junge Frau heute versteckte ihren schlechten Gesang unter Straßenlärm, aber beim aneinander Vorbeigehen waren wir für einen kurzen Moment nahe genug …

5. Dezember 2014

Glück, 07:55

Der morgendliche Rückweg von der Schule, zwischen 07:50 und 08:00 ist so eine sichere Bank für einen Glücksmoment, dass ich heute etwas getan habe, das man nicht tun darf: Ich wurde fordernd. Ich wartete darauf, wann er endlich kam.

Dementsprechend: nichts. Bäume und Lichteinfälle zogen ohne ein Aufblitzen vorbei. Und dann, natürlich, in der Sekunde, nachdem ich meine falsche Einstellung eingesehen und verzichtet hatte, kam er von unerwarteter Seite:

Die sich nur ganz leicht bauschenden, riesigen weißen Bahnen der Bauplane, die ein Eckgebäude verhüllen. Dahinter ein blass leuchtendes Fenster. Die Erinnerung daran, wie diese Planen neulich nachts in der Kälte, dem Wind raschelten. Auch als Kind waren Baustellen immer eine Quelle des Glücks. Der frische Geruch des Kalks besonders, aber selbst der der Lösungsmittel.

Die Vorstellung, diesen Blog hier 7 Jahre lang zu schreiben, von 43 bis 50 – die härteste »Zwischenzeit« für einen Menschen und eine Schriftstellerin –, auch diese Vorstellung ist eine Perspektive, die mich ein wenig glücklicher macht. Wobei ich etwas zweifle, ob ich es durchhalten werde. (Denke an Hazugvirág: Wie nützlich und tröstlich du es empfindest, dass sie durchgehalten hat.)

Dann die Vorstellung, aus diesen 10 Minuten jeden Morgen könnte sich eine Figur entwickeln, die nicht mehr ich bin, und diese Figur hätte eine Geschichte, ohne dass ich viel konstruieren müsste. Nicht so viel wie bisher jedenfalls. Sie würde sich einfach durch die Zeit entwickeln, dadurch, dass ich diesen Weg jeden Tag gehen muss, und ich ihn geduldig, aufmerksam und nicht fordernd gehe. Und diese Vorstellung, nun, war endlich eine wirklich friedliche und glückverheißende.

Als Beweis dafür, dass ich es doch nicht als sinnlos erachte, die nächsten drei Bücher zu schreiben? Denn dieses, das ich mir gerade vorgestellt habe, wäre das dritte, und erneut eines, von dem ich denke, danach bräuchte ich nichts mehr zu schreiben, denn das ließe sich unmöglich steigern ;).

[Nachtrag: Ich werde diese Figur Milly Bloom nennen. Ihren Roman werde ich »Die Einsiedlerin« nennen. … Und schon kauft ihn keiner. Nenne ihn: Der Einsiedler. Und dann ist es, ohne weitere Erklärung, eine Frau.]

I try to believe

»I try to believe like I believed when I was five … when my heart told me everything I needed to know.« Lucy Liu

Im Grunde versuche ich jeden Tag, diesen Zustand zu erreichen, und dann von diesem ausgehend etwas zu schaffen, das mich und eventuell andere über das Profane hinaushebt. Das gelingt an weniger Tagen, als ich es mir wünschen würde. Und darüber kann ich mich jedes Mal aufs Neue ärgern – obwohl ich weiß, dass auch das sinnlos ist. You can’t manufacture a miracle. Auch das ist ein Zitat aus der Popwelt. (Robbie Williams’ Songtext)

6. Dezember 2014

Pretend to be a poet

I’m a Brazilian going thru midlife crisis. I pretend to be a poet and have no fucking clue how I ended up following #NeinQuarterly

Getwittert von Marlon O.

Ich würde gerne Hallo sagen. The same, only in German-Hungarian – aber ich habe Angst, Marlon O. grüßt zurück …

7. Dezember 2014

Seite 23

»Die gesamte Erdbevölkerung hätte bei friedlichem Miteinander auf dem gefrorenen Inari-See Platz.«

Aus: Mit dem Moped durch Finnland von Juhani Seppovaara, Neofelis Verlag (Geschenk von KicsiD.)

E un Angelo, questo uomo

Sonntag, (vermutlich vorübergehend) keine Minusgrade mehr, sondern wenige Plus und Sonnenschein. Ich gehe laufen und dabei fällt mir ein:

Dass jemand den oben zitierten Satz über einen Mann sagt, den wir dabei beobachten, wie er durch den Tag hetzt, um Erledigungen für andere zu tätigen, und man bedauert oder belächelt ihn, weil er ein Leben wie ein »Hausdepp« führt, und dann stellt sich heraus, dass das Darius Kopp ist und nicht unglücklich dabei, und das Buch (der Erzählband) ist zu Ende.

Und falls du den Fokus verlieren solltest, wie das zu machen sei, dann denke an den 10-Minuten-weise getakteten Alltag von Müttern, und schon … (Also: Eigentlich ist diese männliche Figur eine »weibliche«, also ist sie, obwohl die Darstellungsweise das suggeriert, nicht »realistisch«.)

Die besseren 42

Nichts Wesentliches verschweigen. Wesentliches zu verschweigen hat die Folge, dass Glück ausgelöscht wird. Sich selbst nicht zu betrügen ist: Glück. Kannst stolz auf dich sein. Doch, doch. Das IST eine Leistung. Dass du dich zwar um ein My besser, aber immer noch grauenhaft fühlst? Ja, das ist bitter. So viel bekommst du. Ja, das hat etwas damit zu tun, wie du bist. Das ist eine Tatsache. Du kannst sie nur ertragen.

Telefonat mit meiner Agentin. Seit einer Weile ist sie heiser, besucht nun einen Logopäden. Hat sich den Mund fusselig geredet.

Wir reden darüber,

1. dass mir die Anreise nach Ascona zu beschwerlich ist. Hatte erst gleich abgesagt, dann hat mich ihr liebenswürdiger Mann doch überredet zuzusagen, nun will ich wieder absagen, weil mich kein 5-Sterne-Hotel und keine 3 Mahlzeiten am Tag für einen 8-Stunden-Trip mit: Bus, Flugzeug, noch einmal Flugzeug, Bahn und wieder Bus entschädigen können. Oder, in einer anderen Variante: Bus, Flugzeug, Bus, Bus (und wir sprechen hier von durch Italiener gesteuerte Busse in den Bergen; wir kennen das bereits), und kürzer dauert es auch nicht. Im Grunde will ich, dass sie versteht und akzeptiert, dass meine erste Entscheidung die richtige war. Warum werden eigentlich Leute ständig zu etwas überredet, das sie nicht haben/tun wollen? Meist, weil der, der da überredet, sich einen Gewinn davon verspricht. Aber in diesem Fall ist da kein Gewinn für sie, ich bin kein Gewinn, also versuchen sie vermutlich, mir gegenüber altruistisch zu handeln, aber ich bin nicht elend genug, das dankbar anzunehmen. Wie auch immer, sie will sich um eine möglichst verträgliche Anreise für mich bemühen. (Dabei könnte man das doch abkürzen … d. h. ich.)

2. dass es für das von mir geplante Übersetzungsprojekt (eine Anthologie internationaler Literatur, mit deutschsprachigen Autoren als Übersetzern) kein Geld gibt, dass sie sich dennoch weiter umhören will und wir uns zusammensetzen sollen.

3. wie es mir geht, ob ich geschrieben habe. Ja, wenn auch nicht viel, und das Gefühl der allgemeinen Sinnlosigkeit ist auch kaum kleiner geworden.

Zusammengefasst: Ich habe das Ende der Fahnenstange erreicht. Ich werde den Sprung ins englischsprachige Ausland nicht wieder schaffen. Ich werde es außerdem nicht mehr schaffen, dass mich viele Leute im deutschsprachigen Raum gerne lesen. Ein Argument des Auslands ist: Das, was ich schreibe, liefert ihnen nicht das Deutschlandbild, das sie gerne haben möchten. Für eine Berufsexotin bin ich wiederum nicht exotisch genug. Ich bin ja nicht einmal osteuropäisch genug. Nicht ungarisch genug. Nicht genug genug. Bereményis »Az égboltsapkájú«. Ab der zweiten Strophe, als er schon begriffen hat, dass die, die die Tür vor ihm zugeworfen und gesagt haben, du bist zur falschen Zeit am falschen Ort, nicht nur spielen. Die Tür wird nicht mehr aufgehen. Er wird den Himmel bis zu seinem Tode als Mütze tragen. (Wenn du eine Mütze hast, dann deswegen. Wenn du keine hast, dann deswegen.) Ich mache mir keine Illusionen: Das WAREN die besseren 42 (43) Jahre.

K. widerspricht kein einziges Mal – da sie nicht zu lügen pflegt, weiß ich, dass ich alles richtig erkannt habe. Es waren die letzten 3 guten Verträge, die sie für mich aushandeln konnte.

Ob ich mir nicht Hilfe holen wolle, um das alles leichter zu ertragen?

Ich sage, sie solle die Situation nicht pathologisieren. Das Einzige, was ich tun könne, sei, da durchzugehen. Es akzeptieren, dass es so ist. Noch habe ich das nicht geschafft, aber das heißt nicht, dass ich auf dem falschen Weg wäre. Es geht eben nicht alles leicht und schmerzlos.

Sie, dass ich aber meine Schmerzen lindern lassen könnte.

Es geht noch eine Weile hin und her, das Ende ist, dass sie sich umhören will, ob nicht jemand einen guten Analytiker kennt. Soll sie. Ich werde nicht hingehen. Offenbar ist mein Leiden nicht groß genug. Wer jammert, hat noch Reserven. Ich glaube immer noch insgeheim daran, die Situation ändern zu können. Mit dem nächsten Buch. Oder dem nächsten. Oder mit dem danach. Eine unattraktive, nicht gut genug labelbare 50-Jährige. Lächerlich.

9. Dezember 2014

Seite 23

»›Ich glaube nicht, dass du mit dem, was du auf dem Papier hast, die Nationale Schriftstellerprüfung schaffen kannst‹, sagte Barb dann mit großem Bedauern, denn obwohl er ihr Mann war, wollte sie ihn doch nicht unnötig verletzen.«

Aus: Donald Barthelme, Am Ende des mechanischen Zeitalters. Ausgewählte Prosa. Insel-Bücherei Nr. 1083

Stopping by woods on a snowy evening

Wenn Robert Frosts berühmteste Worte in einer Fernsehserie zitiert werden, taucht sogleich der Verdacht auf, sie seien abgedroschen. Also müssen sie überprüft werden, ob sie noch wirken, das ganze Gedicht lesen.

- - - - -

und: es ist immer noch makellos, es berührt mich immer noch. Es ist wie »warte nur, balde ruhest du auch« – unverwüstlich. Auch das ist Glück.

15. Dezember 2014

99 Jahre, 11 Monate

Kurzfilm über »Irénke néni«, verwitwete Gerle Györgyné. Mutter des verstorbenen János Gerle. Holocaust-Überlebende.

Kannte ihren Mann schon 9 Jahre, bevor sie heiraten konnten, denn früher musste ein Mann genug verdienen, dass er seiner Frau mindestens denselben Lebensstandard bieten konnte, wie der, den sie gewohnt war.

Der glücklichste Moment: Geburt des einzigen Sohns.

Traurigster Moment: Tod des Sohns.

Jeden Tag kommen Bekannte zu ihr, und sie zeigt ihnen Turnübungen gegen div. Beschwerden.

Neulich Konrád zu mir: »Wenn es mir schlecht geht, sage ich zu mir, dass es mir prächtig geht.« Auch ein Holocaust-Überlebender.

Melancholiker werden keine 100 Jahre alt.

Im Wartezimmer

… gerahmte Seiten mit Wörtern:

Entropie, Maßstäbe, Bodensatz, die Kamera läuft, Bedeutungsbehälter, Aussetzen, Eisenzeit, Vakuum, Spinngewebe, Verschreiben, Fassung, Asche, Lesbarkeit, Aufgabe

oder, wenn nicht paarweise von oben nach unten, sondern von links nach rechts gelesen:

Entropie, Bodensatz, Bedeutungsbehälter, Eisenzeit, Spinngewebe, Fassung, Lesbarkeit, Maßstäbe, die Kamera läuft, Aussetzen, Vakuum, Verschreiben, Asche, Aufgabe

Ergibt so oder so keinen Sinn. Dennoch: Da es Worte sind, fasse ich sofort Hoffnung, die Ärztin und ich könnten uns gut verstehen.

Aber wir verstehen uns nicht gut.

21. Dezember 2014

Denke ich an Finnland

Während ich Juhani Seppovaaras Finnland-Reise lese, fällt mir der Bibliothekar des Goethe-Instituts in Helsinki ein, der sich mir mit den Worten vorstellte: »Ich habe vier Kinder, und sie sind alle links!« Jedes Mal, wenn ich an Finnland denke, fällt er mir ein, und ich muss lächeln.

22. Dezember 2014

Deckname: Melania

Glück ist ein Thema (»so eine Sache«). Wozu diese Aufzeichnungen noch von Nutzen sein können: bei der Suche nach einer Frauenfigur. À la Recherche de Milly Bloom.

Heute ist mir Melania eingefallen, die beide Male, da ich ihr in 20 Jahren Abstand begegnete, zwei Leben führte.

1988. 1. Germanistikstudentin in Budapest. 2. Sängerin in Ljubljana.

2008. 1. Universitätsdozentin für Linguistik in Maribor. 2. Sängerin in Ljubljana. (Die Band war gerade dabei, sich aufzulösen.)

Als sie mich in Maribor moderierte, trug sie die Kleidung einer Philologin. Als wir nach Ljubljana fuhren, warnte sie mich vor, dort würde sie sich nicht nur anders kleiden müssen (»das ist mein anderes Leben«), sondern auch auf der Bühne anders agieren.

Die Rollen ausfüllen. Bei nur einer zu bleiben wäre das Unauthentische.

Seite 23; Müller, Pastior

»Am Tag war das Kopfkissen ein Leinwandsack, den man für alle Fälle, also fürs Stehlen und Betteln, bei sich trug.« Herta Müller: Atemschaukel.

Die meiste Zeit ist es so, dass ich befürchte, die Qualität H. M.s würde mich überwältigen, mich verstummen lassen. Wenn ich allerdings gerade verstummt bin, macht mich dieselbe wieder handlungsfähig.