Freud obszöner Spötterfunken - Anno Dazumal - E-Book
SONDERANGEBOT

Freud obszöner Spötterfunken E-Book

Anno Dazumal

0,0
0,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine satirische Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, dem menschlichen Dasein und dem Versuch, die Welt zu verändern. Viele lustige Momente, jede Menge Skurrilitäten und ganz viel Beziehungsstreß. Aus scheinbar ganz normalen Leuten werden auf einmal Staatsfeinde, die keine Gnade mehr kennen und rücksichtslos ihre Ziele verfolgen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 355

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anno Dazumal

Freud obszöner Spötterfunken

Hysterischer Roman

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Überraschung

Das neue Glück

Der Andere

Der ganz Andere

Der Über-Vater

Das Wiedersehen

Die Super-Vision

Die Rückkehr

Das Treffen

Die Aktionen

Das Ende

Die Verhandlung

Das neue Leben

Das neue Glück

Die Entlassung

Der hilflose Helfer

Der Schock

Die Reise

Der falsche Patient

Das endgültige Ende

Impressum neobooks

Die Überraschung

Es war so gegen zehn Uhr fünf, als für Horst Radtke die Welt zusammenbrach, die er sich Stunden zuvor erst mühsam aufgebaut hatte. Doch der Reihe nach. Seine Frau hatte ihm am frühen Morgen mitgeteilt gehabt, daß sie ihn verlassen wolle und Horst war in jenem Moment der glücklichste Mensch auf der ganzen weiten Welt gewesen; nein, wahrscheinlich handelte es sich bei ihm zu jener Zeit um das glücklichste Lebewesen im gesamten Universum. Jahrelang hatte er verzweifelt versucht gehabt, aus dem Gefängnis, zu dem seine Ehe recht schnell geworden war, zu entfliehen, doch sie hatte ihn nicht gehen lassen und um sich von ihr zu trennen, war er viel zu schwach gewesen. Aus jenem Grund hatte er ja vor etlichen Jahren jene Psychotherapie bei Dr. Urban Wupf angefangen gehabt. Punkt zehn Uhr war er in dessen Praxiszimmer einmarschiert, in seinem Kopf hatte er die Fanfaren gehört und im Augenblick der tiefsten Befriedigung und des größten Triumphes hatte er es heraus posaunt: „Heute hat mich endlich meine Frau verlassen!“ Die Reaktion seines Psychoanalytikers hatte erstaunlich lange auf sich warten lassen, doch das hatte Horst zunächst gar nicht wahrgenommen gehabt, denn in seinem Kopf stieg eine gigantische Party und alle waren eingeladen. „Gisela hat mir heute früh erklärt, daß sie sich von mir trennen will und wissen Sie, was ich daraufhin gemacht habe?“ Der Doktor schaute ihn fragend an. „Ich bin ihr um den Hals gefallen und habe sie geküßt! Das habe ich seit drei Jahren nicht mehr gemacht gehabt! Beinahe hätte ich sogar mit ihr geschlafen, aber dann fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, daß es ja genau das war, was ich nie wieder tun wollte.“ Schön langsam bemerkte Horst dann doch, daß da irgend etwas nicht stimmte. Klar, er kannte Wupf bereits eine Weile und wußte, daß jener nicht gerade zu den Emo-Bomben zählte, aber seine Schweigsamkeit verwunderte ihn mit der Zeit dann schon. Schließlich war Horsts Trennung ja das Ziel gewesen, auf das die Beiden seit Jahren hingearbeitet hatten. Womöglich gehörte der Psychoanalytiker gar zu den Menschen, die sich nicht freuen konnten. Wie auch immer, Horst ging es blendend und er wußte gar nicht, was er vor lauter Freude als Erstes tun sollte. Glückselig lächelnd betrachtete er das Inventar seines Vertrauten und dachte sich, daß in dem Zimmer auch mal wieder aufgeräumt werden könnte. Und wenn schon? Heute gab es was zu feiern und nachdem er jahrelang ob seiner schrecklichen Ehe latent depressiv gewesen war, genoß er seinen manischen Anflug in vollen Zügen. „Wissen Sie, was ich mir heute gleich in meinen Kalender neben den heutigen Tag notiert habe? Tag der Befreiung!“ verkündete er stolz. Auf einmal stutzte er. „Sagen Sie mal, Doktor, was ist denn los mit Ihnen? Sie sehen aus, als wäre Ihnen eine Leber über die Laus gelaufen.“ Urban kratzte sich am Kopf und schaute verlegen in Horsts Richtung. „Herr Radtke, es gibt da etwas, das Sie wissen sollten“, begann er zögernd. „Ja, daß heute mein absoluter Glückstag ist!“ rief sein Klient begeistert. „Es freut mich ja ungemein, daß Sie sich so freuen und ich wünsche Ihnen auch, daß dieser Zustand noch unheimlich lange anhält, aber ich kann die Wahrheit nicht vor Ihnen verschweigen.“ „Welche Wahrheit denn? Wollen Sie mir etwa einreden, daß Sie der neue Lover meiner Ex sind?“ scherzte Horst immer noch blendend gelaunt. Wupf erstarrte und lief rot an. „Woher wissen Sie das?“ erkundigte er sich verwirrt. Man sah, daß in Horst etwas zu arbeiten begann und genau in den Moment klinken wir uns ein. Radtke starrte seinen Helfer an und wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte, weshalb er sich für eine Mischung aus Beidem entschied. „Wie kann das sein? Sie standen doch immer auf meiner Seite und haben mich unterstützt.“ „Natürlich. Ich gebe ja zu, daß ich Ihre Frau aufgrund von Ihren Erzählungen für das schlimmste Scheusal der westlichen Welt gehalten habe, so auf einem Niveau mit Wush Junior und Min Waden, aber als ich ihr dann zufällig einmal über den Weg lief, da ...“ „Da haben Sie sich gedacht, für ein Monster sieht die aber noch recht gut aus und sind dann mit ihr in die Kiste gehüpft.“ „Nein, ganz so einfach war es dann doch nicht. Wissen Sie eigentlich, warum ich Psychoanalytiker geworden bin?“ „Damit Sie Ihren Klienten die Frau ausspannen können.“ „Das auch, na ja, eigentlich war das tatsächlich der Hauptgrund. Wissen Sie, ich bin ein sehr schüchterner Mann und so hatte ich wenigstens gleich ein Gesprächsthema, nämlich Sie.“ „Schon mal was von der ärztlichen Schweigepflicht gehört, Sie Quarksalber?“ „Immer langsam reiten. Ich habe keine Geheimnisse verraten, außerdem kannte Ihre Frau Sie ohnehin besser als ich. Was mir die über Sie erzählt hat, das können Sie sich überhaupt nicht vorstellen!“ „Das will ich auch gar nicht. Aber bevor ich gleich ausraste, habe ich eine Frage, eine Sache, die mich schon immer interessiert hat: Wieso haben Sie keine Couch?“ „Ich hatte mal eine, doch dann legte sich eine sehr übergewichtige Frau darauf und das war ihr Ende. Danach habe ich es bleiben lassen und mir lieber dieses Schlafsofa angeschafft, damit ich hier auch mal übernachten kann.“ „Zum Beispiel mit meiner Frau.“ „Nein, wir haben es immer in Ihrem Bett getrieben, wenn Sie mit Ihren Kumpels beim Fußballglotzen waren.“ „Ich verstehe. Wissen Sie, in mir sind gerade zwei Kräfte am Werk, die gegeneinander ankämpfen. Am liebsten würde ich Ihnen die Fresse polieren, aber andererseits könnte ich mich den ganzen Tag lang darüber kaputtlachen, daß Sie so blöd gewesen sind, sich mit meiner Alten einzulassen. Mal ganz ehrlich, im Sommerschlußverkauf befände sich die garantiert auf dem Wühltisch und zwar auf dem von Rudis Resterampe.“ „Mein lieber Herr Radtke, wenn Sie nicht sofort damit aufhören, meine Freundin zu beleidigen, dann werde ich Ihnen eine Rechnung stellen, die sich gewaschen hat.“ „Das machen Sie doch sowieso, Sie Wucherpsycho. Aber jetzt mal unter uns: Wie konnte es denn zu diesem Supergau kommen?“ „Na ja, das ist relativ schnell erzählt: Ich war beim Einkaufen und stieß versehentlich mit meinem Einkaufswagen an den Ihrer Frau. Sie hat mich erst mal heftig beschimpft und als sie dann zufällig noch meine Visitenkarte entdeckt hatte, die mir versehentlich runtergefallen war, gab es überhaupt kein Halten mehr. Den ganzen Supermarkt hat sie zusammengebrüllt und ich wußte nicht, wem von uns das mehr peinlich sein sollte.“ „Das kann ich mir nur zu gut vorstellen“, gab Horst zu, der den Ausführungen seines Psychoanalytikers gebannt lauschte. „Na ja, nachdem sie sich irgendwann beruhigt und ich mich von dem Schrecken erholt hatte, entschuldigte ich mich zum x-ten Mal und lud sie zu einem Kaffee ein, damit sie nicht noch einen schlechteren Eindruck von mir bekam.“ „Sie Todesmutiger!“ „Ja, so war das und den Rest können Sie sich ja denken.“ „Nein, nein, so einfach kommen Sie mir nicht davon. Ich kenne meine Alte und weiß ganz genau, daß die eine nicht so leicht zu knackende Nuß darstellt. Also, wie haben Sie es angestellt, daß Sie sie von sich überzeugen konnten?“ „Das möchten Sie lieber nicht wissen.“ „Mein lieber Doktor, meine Therapie bei Ihnen endet heute ohnehin, denn den Grund, wegen dem ich immer zu Ihnen gekommen bin, gibt es für mich nicht mehr. Ich kann es immer noch nicht fassen. Also, raus mit der Sprache und nichts als die Wahrheit. Sonst bleibe ich bis übermorgen hier sitzen und gehe Ihnen auf die Nerven.“ „Also gut, wie Sie meinen, aber ich muß Sie warnen: Das, was ich Ihnen jetzt erzähle, wird Ihnen nicht gefallen und Sie werden womöglich eine schlechte Meinung von mir haben.“ „Ach, wissen Sie, Gugelwupf, so besonders viel habe ich von Ihnen eh nie gehalten.“ „Warum sind Sie dann jede Woche zweimal zu mir gekommen?“ „Weil Sie der Einzige waren, der sich mein Gejammer freiwillig anhören wollte.“ „Ich verstehe. Na gut, dann brauche ich mir ja keine großen Sorgen machen. Erst einmal muß ich zugeben, daß ich ja durch Ihre Schilderungen vorbelastet und dementsprechend überrascht war, daß Ihre Frau, von dem Schreivorfall mal abgesehen, ganz umgänglich zu sein schien.“ „Bei Fremden reißt sie sich am Anfang immer zusammen“, kommentierte Horst trocken. „Auf alle Fälle war ich positiv überrascht, denn sie hatte weder Haare auf den Zähnen noch drangsalierte sie mich irgendwie. Ganz im Gegenteil, wir unterhielten uns prächtig.“ „Worüber?“ „Eine ehrliche oder eine schonende Antwort?“ Horsts Blick sprach Bände. „Schon gut, natürlich eine ehrliche. Na ja, wie soll ich sagen, wir haben uns über Sie unterhalten und unsere Meinungen ausgetauscht.“ „Bestimmt habt Ihr fiese Witze über mich gemacht.“ „Das natürlich auch. Sie hat mir einige lustige Geschichten erzählt und dann habe ich nachgelegt. Wie auch immer, wir Beide hatten viel zu lachen und irgendwann fiel mir ein, daß ich die Chance und ihre gute Laune nutzen konnte, um sie zu fragen, warum sie sich nicht von Ihnen trennen wollte.“ „Das haben Sie sich tatsächlich getraut?“ wunderte sich Horst. „Na ja, warum nicht? Bis zu dem Zeitpunkt kannte ich ja immer nur Ihre Sicht der Dinge, deshalb dachte ich mir, so ein Perspektivwechsel könne nicht schaden.“ „Und was hat sie gesagt?“ „Daß sie Sie erst verläßt, wenn sie einen anderen Mann gefunden hat.“ „Und daraufhin haben Sie sich geopfert.“ „Ja, so könnte man es nennen.“ „Mein lieber Herr Doktor, ich bin stolz auf Sie. Stolz und wütend, denn natürlich ist es für mich nicht einfach zu begreifen, daß der Mann, mit dem ich in die Schlacht gegen meine Frau gezogen bin, nun auf einmal die Fronten gewechselt hat, aber andererseits ist es mir auch egal. Sie haben Ihre Mission erfüllt und im Endeffekt haben wir alle was davon. Zwar kann ich mir nicht vorstellen, wie Sie es mit diesem Drachen aushalten wollen, aber dabei handelt es sich um Euer Problem.“ „Ganz meine Meinung, mein lieber Horst. Außerdem finden Sie sowieso bald eine Frau, schon allein wegen Ihrem tollen Vornamen.“ „Hä? Wie meinen Sie denn das jetzt?“ „Na hören Sie mal! Da gibt es den Horst Nöler, den Horst Kleehofer, den Horst Plappert, den Horst Schlämmer und den anderen Horst Nöler.“ „Welchen anderen Horst Nöler?“ „Na, den Guido Born! Der heißt im richtigen Leben nämlich auch so.“ „Tatsächlich? Da ist mir ja fast der Guido lieber, obwohl, nein, dann wohl eher doch nicht. Aber Sie können sich auch nicht beschweren. Da gibt es schließlich den Urban Pirol und der Papst segnet ja immer urbi et orbi.“ „Das ist ein schlechtes Thema, das Sie da anschneiden. Mein Vater war katholischer Pfarrer. Er hat seine Frau und mich im Stich gelassen, um Bischof werden zu können.“ „Klingt ja fast wie beim Kleehofer. Eine klassische katholische Karriere, fast so wie beim Heiligen Augustinus.“ „Oh ja, the original Origines. Da brechen alte Wunden wieder auf.“ „Wunden gibt es immer wieder. Nichtsdestotrotz möchte ich, bevor ich diesen Raum verlasse und Sie hoffentlich nie wieder sehen werde, eine Sache noch ansprechen.“ „Na ja, da Sie keine Kinder mit Ihrer Ex haben, werden wir uns wohl tatsächlich nicht mehr über den Weg laufen. Schießen Sie los!“ „Das geht leider nicht, denn ich habe meine Pistole im Auto liegenlassen. Ich hatte ja keine Ahnung, daß ich sie hier tatsächlich brauchen könnte. Habe daheim nur vor Freude ein paarmal in die Luft geschossen. Also, wieso ist das im Gesundheitswesen alles so teuer?“ „Gute Frage. Der Fehler liegt im System und beginnt schon mit den Wörtern. Krankenhäuser, Krankenkassen, Krankenschwestern. Viel besser klingt doch Gesundheitshäuser oder Gesundheitspfleger.“ „Absolut. Die Gesundheitskassen gibt es ja inzwischen auch schon.“ „Leider nur Etikettenschwindel. Oder so ein Ausdruck wie krankfeiern, der ist doch völlig absurd und unangebracht. Wer feiert denn schon, wenn er krank ist?“ „Ach, da kenne ich so Einige. Sie meinen also, es sollte gesundfeiern heißen?“ „Genau. So, ich glaube, wir sollten uns dann besser voneinander verabschieden.“ „Das sehe ich genauso. Aber bevor ich gehe, eine allerletzte Frage: Hat meine Frau immer noch diese Hängetitten? Wissen Sie, ich habe sie schon seit Jahren nicht mehr nackt gesehen und sie fragen hab ich mich nicht trauen.“ „Tut mir leid, aber das fällt jetzt doch unter die Beziehungsschweigepflicht.“ „Wie Sie meinen, das hab ich mir nämlich gleich gedacht, daß die noch nicht beim Operieren gewesen ist. Na dann, viel Spaß mit meiner Alten, Doc.“ Nach jenen Worten verließ Horst Radtke fröhlich pfeifend das Sprechzimmer und Urban Wupf atmete erleichtert auf. Alles in allem war er recht glimpflich davongekommen, schließlich hätte es durchaus passieren können, daß sein Klient ausgeflippt wäre und ihn verprügelt hätte. Na ja, oft war es am besten, wenn man das Schlimmste erwartete, denn dann wurde es häufig gar nicht so dramatisch wie befürchtet. Den Fall Horst Radtke konnte er jetzt wohl endlich zu den Akten legen. Irgendwie freute er sich, aber er war auch besorgt.

Das neue Glück

Ganz anders erging es seiner neuen Flamme Gisela, die mit ihrer besten Freundin Dagmar in einem Café zusammensaß und über den Lauf der Dinge redete, insbesondere natürlich über das, was sich beziehungstechnisch gerade in ihrem Leben abspielte. „Mir geht es so gut wie schon lange nicht mehr. Heute morgen habe ich Horst gesagt, daß ich mich von ihm trennen werde.“ „Und hast Du ihm auch gesagt wegen wem?“ wollte ihre Freundin gespannt wissen. „Nein, das hatten Urban und ich so besprochen. Es wäre doch ein bißchen viel des Guten gewesen, wenn ich ihm mitgeteilt hätte, daß ich ihn mit seinem Psychiater betrüge. Wobei, von Betrug kann man eh nicht sprechen, denn er hat mich ja schon seit Jahren nicht mehr angerührt.“ „Aber wie hat er Deine Botschaft aufgenommen?“ „Erstaunlich gut. Es schien mir fast so, als wäre er froh darüber. Zugegeben, Urban hatte mir so etwas in der Art vorhergesagt, aber ich hatte ihm das bisher nicht abgenommen, denn ich hab immer geglaubt, der Horst würde schon gehen oder Schluß machen, wenn er es mit mir nicht mehr aushält.“ „Ist Dir denn nie der Gedanke gekommen, daß er dazu nicht in der Lage ist?“ „Nicht wirklich. Für mich stand nur fest, daß ich ihn erst verlasse, wenn ich einen anderen Kerl an der Angel habe.“ „Schon klar. Aber hast Du keine Angst, daß er ausrastet, wenn er erfährt, wer Dein neuer Freund ist?“ „Na ja, ich kenne den Horst ja schon eine Weile. Begeistert wird er bestimmt nicht sein, aber da er sich für mich ja auch nicht mehr sonderlich interessiert hat, dürfte er es wohl verkraften.“ „Also ich finde das schon irgendwie kraß. Ich stell mir gerade vor, wie das so wäre, wenn ich zu meiner Psychiaterin ginge und ich würde ihr erzählen, daß sich mein Freund von mir getrennt hätte und die würde dann sagen, „das weiß ich schon, der Grund dafür bin ich“.“ „Ja, klar, das ist schon ein bißchen grenzwertig, vor allem, weil er ja mit meinem Urban so lange zusammengearbeitet hat, um mich verlassen zu können, aber Du weißt ja, wie das im Leben halt mal so ist: Wo die Liebe hinfällt.“ „Na ja, ich bin auf alle Fälle ganz gespannt, wie das mit Euch Dreien weitergeht. Nur gut, daß ich damit nichts zu tun habe.“ „Jetzt hab Dich mal nicht so! Man könnte ja meinen, es würde sich bei uns um Verbrecher oder Psychopathen handeln, ganz so schlimm ist es ja auch wieder nicht. Horst und ich waren lange ein Paar, wir hatten uns in den letzten Jahren nicht mehr viel zu sagen und Urban ist genau der Mann, den ich jetzt brauche.“ „Mal ganz ehrlich, irgendwie beneide ich Dich schon: Welche Frau hätte nicht gerne ihren eigenen Psychiater?“ „Urban ist Psychoanalytiker.“ „Wo ist der Unterschied?“ „Die sind teurer. Na ja, ganz so toll ist es auch wieder nicht, weil er ja den ganzen Tag Leute analysiert und dementsprechend am Abend ziemlich kaputt ist und dann bestimmt keine Lust mehr darauf hat, sich meine Sorgen und Probleme anzuhören.“ „Wenn er Dich liebt, dann versucht er’s wenigstens.“ „Egal. Wichtig für mich ist erst mal, daß ich diese mißglückte Ehe hinter mir lassen kann.“ „Das sehe ich genauso. Geht der Horst jetzt eigentlich weiterhin zum Urban zur Therapie?“ „Das kann ich mir nicht vorstellen, weil er bestimmt befürchten würde, daß mir der alles weitererzählt.“ „Na ja, damit hätte er ja auch nicht ganz so Unrecht.“ „Ach, Du weißt doch wie das ist mit den Berufsgeheimnissen und Schweigepflichten: Das sind alles nur Menschen, da plaudert immer jemand was aus.“ „Mag sein, aber ich finde das nicht so prickelnd, wenn ich mir vorstelle, daß meine Psychiaterin sich mit jemandem über mich und meine Probleme unterhält.“ „Einfach nicht daran denken. Andererseits muß ich Horst auch dankbar sein, weil ich ja den Urban nur wegen ihm kennengelernt habe.“ „Wie meinst Du das? Ihr seid doch zufällig zusammengestoßen.“ „Ja, schon, aber wenn ich nicht seine Visitenkarte aufgehoben und gelesen hätte, dann wäre ich doch nie so ausgerastet und dann hätte er mich bestimmt nicht zu einem Kaffee eingeladen.“ „Wahrscheinlich hat er sich gedacht, diese hysterische Kuh könnte ganz dringend einen Psychologen gebrauchen.“ „Das wäre ja der Hammer. Irgendwann werde ich ihn mal danach fragen, aber erst, wenn wir schon eine Weile zusammen sind. Hoffentlich analysiert mich der nicht dauernd, wenn wir zusammen sind.“ „Ich dachte immer, Du hast es gern von hinten.“ „Das schon, aber das ist ja wieder was völlig Anderes.“ „Findest Du? Also mal ehrlich, so ein Gespräch bei einem Psychoanalytiker stelle ich mir schon so vor, daß man da alles von sich preisgibt und sich in gewisser Weise auch hingibt.“ „Du immer mit Deinen abartigen Phantasien. Das sind gut ausgebildete Profis, die können Berufs- und Privatleben sauber trennen.“ „Glaubst Du das echt? Ich sage dazu nur eins: Die sind auch nur Menschen.“ Gisela schaute ihre Freundin nachdenklich an. Vielleicht hatte Dagmar ja Recht. Was wäre, wenn es sich auch bei Urban um einen von den Männern handelte, die sich gerne von den eigenen Patientinnen vergöttern und anbeten ließen? „Das hätte mir gerade noch gefehlt“, kam ihr in den Sinn, doch dann holte Dagmar sie mit der nächsten Frage in die Wirklichkeit zurück: „Und wer zieht jetzt aus Eurer gemeinsamen Wohnung aus?“ „Natürlich Horst.“ „Hast Du das überhaupt schon mit ihm besprochen?“ „Natürlich ... nicht. Wann denn? Aber dadurch, daß ich mit Urban in unserer Wohnung schon des Öfteren geschlafen habe, ist das wohl klar.“ „Du willst damit sagen, daß er praktisch durch den Akt mit Dir sein neues Revier markiert hat?“ „Genau.“ Dagmar prustete los. „Was gibt es denn da zu lachen?“ fragte Gisela verärgert. „Also wirklich, manchmal könnte man meinen, wir reden von Tieren.“ „Na hör mal, seit Darwin wissen wir doch, daß es sich beim Menschen um eines der bedauernswertesten Viecher überhaupt handelt.“ „Auch wieder wahr. Trotzdem.“ Dagmar kicherte weiter. „Na ja, wenn Dir sonst nichts mehr einfällt, dann können wir ja unser Gespräch beenden und bezahlen.“ „Gute Idee. Nur eins noch: Wo schläft Horst dann jetzt?“ „Ach, der wird schon bei einem von seinen Saufkumpels unterkommen, um den mache ich mir da keine Sorgen. Dagmar, Dein Blick gefällt mir ganz und gar nicht. Du wirst doch nicht etwa vorhaben, was ich gerade befürchte. Ich kann Dich nur warnen: Horst ist wahrlich kein einfacher Mensch und wenn er was getrunken hat, dann kann er sehr schnell aufbrausend und zudringlich werden.“ „Gut zu wissen“, bemerkte ihre Freundin und lächelte verführerisch.

Es war am frühen Abend, als sich Urban und Gisela in den Armen lagen und nicht mehr voneinander lassen konnten und wollten. Irgendwann waren sie dann fertig und Gisela wollte schuldbewußt wissen: „Glaubst Du jetzt, daß ich meine orale Phase noch nicht überwunden habe, weil ich da so an Deinem Schwanz herumgespielt habe?“ „Ach was! Wir sind doch nicht mehr im 19.Jahrhundert! Natürlich hat uns Freud eine Menge beigebracht, aber es ist bei weitem nicht so, daß er für uns die Bibel oder den Koran geschrieben hätte, weshalb wir jedes Wort von ihm als heilig ansehen müßten“, machte Urban deutlich. Sie lagen auf ihrem Bett, draußen regnete es und drinnen war es auch ein wenig feucht. Genug geschweinigelt, jedenfalls hatten sie einen intensiven Akt hinter sich, waren aber doch nicht erschöpft genug, um der Welt folgenden Dialog zu ersparen: „Wie hat Horst reagiert?“ forschte Gisela. „Überraschend gefaßt. Natürlich hatte er aggressive Impulse mir gegenüber, aber das ist ja nur zu verständlich und war zu erwarten gewesen. Alles in allem scheint er es ganz gut verkraftet zu haben. Mehr noch, irgendwie kam es mir sogar so vor, als verspürte er eine klammheimliche Freude, so nach dem Motto: Jetzt kannst Du auch mal sehen, was ich für eine durchgeknallte Frau hatte.“ „Hey! Hast Du sie noch alle?“ „Moment mal, ich habe doch nur gesagt, was er sich vermutlich gedacht hat.“ „Und wenn schon? Das will ich überhaupt nicht wissen. Du bist mir ja ein lustiger Zeitgenosse. Stehst Du etwa immer noch auf seiner Seite?“ „Also bitte, Liebling, Du hast doch gerade ganz genau gesehen und noch viel stärker gespürt auf welcher Seite ich stehe.“ „Also, wenn das hier auf dem Niveau weitergeht, dann gute Nacht Literaturkritik“, ließ Gisela verlauten und er schaute sie verwirrt an. „Jetzt mal im Ernst: Ich glaube, daß er das gut überwinden wird, denn die Erleichterung darüber, nicht mehr mit Dir zusammen zu sein, schien bei ihm schon enorm zu sein.“ „Ich muß ja wirklich ein schrecklicher Mensch sein.“ „Ja, wenn man nach dem geht, was er immer so über Dich erzählt hat, dann trifft das vollkommen zu.“ „Wieso hältst Du es dann ausgerechnet mit mir aus?“ „Vielleicht gerade deshalb. Du darfst auch nicht vergessen, daß Ihr ja am Anfang bestimmt auch sehr verliebt gewesen seid.“ Daran kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Alles schon viel zu lange her. Der einzige Mann, den ich wirklich geliebt habe, war mein Vater.“ „So wie sich das gehört. Bleibt nur zu hoffen, daß Du nicht jeden Deiner Freunde mit ihm vergleichst.“ „Warum?“ „Weil gegen den Vater der Tochter kein Mann eine Chance hat. Der wird immer der großartige Held in ihrem Leben bleiben.“ „Außer wenn er sie vergewaltigt hat.“ „Manchmal selbst dann noch.“ „Tatsächlich?“ „Glaub mir, ich habe Frauen in der Therapie gehabt, die haben nichts auf ihren Vater kommen lassen und wenn er sie mißbraucht hat, dann haben sie die Schuld dafür bei sich selbst gesucht, so frei nach dem Motto, da war ich halt ein böses Mädchen gewesen und Papi hat mich bestrafen müssen.“ „Unglaublich!“ „Aber wahr. Am krassesten war eine Frau, die mir erklärt hat, keiner wäre im Bett so gut wie ihr Vater gewesen und sie sehne sich den Sex zurück, den sie mit ihm hatte.“ „Du, sei mir nicht böse, aber ich will jetzt wirklich nicht über Fritzl und Konsorten reden.“ „Schade. Dabei wäre es doch höchst interessant zu erfahren, welches Trauma der in seiner Kindheit erlebt hat, damit er so wurde wie er war und ist.“ „Findest Du nicht, daß Du in Deiner Freizeit versuchen solltest, auf andere Gedanken zu kommen?“ erkundigte sie sich und setzte sich auf ihn. Urban kam seiner Pflicht nach und gab noch einmal alles. Danach waren sie Beide ziemlich erledigt, aber glücklich. „Na, das läßt sich doch alles ganz gut an“, dachte sich Gisela zufrieden, doch dann schweiften ihre Gedanken ab und ihr kam etwas in den Sinn, das sie fast schon erfolgreich verdrängt gehabt hatte. „Oh mein Gott! Hoffentlich machen Horst und Dagmar gerade nicht dasselbe wie wir“, platzte es aus ihr heraus. „Und was sollte daran so schlimm sein?“ wunderte sich Urban. „Ich kenne Horst und ich kenne Dagmar und ich garantiere Dir eines: Wenn es zwei Leute gibt, die absolut nicht zusammenpassen, dann sind es die Beiden.“ „Na ja, ich bin der Meinung, das sollen sie selbst rausfinden“, sprach der Psychoanalytiker.

„Vielen Dank dafür, daß ich bei Dir übernachten kann“, begann Horst, nachdem er seine Sachen ins Gästezimmer gestellt und sich zu Gisela gesellt hatte. Jene hatte eine Flasche Wein geöffnet und prostete ihm zu. „Keine Ursache. Auf Deine neue Freiheit!“ „Na ja, so ganz habe ich das noch nicht verinnerlicht, ein bißchen plötzlich kam das alles schon für mich. Andererseits habe ich es mir seit Jahren gewünscht und darauf hingearbeitet. Hat mich übrigens überrascht, daß Du mich eingeladen hast. Ich hatte nämlich immer geglaubt gehabt, Du könntest mich nicht leiden und Gisela würde bei Dir immer über mich herziehen.“ „Das hat sie auch oft genug gemacht, das kannst Du mir glauben. Aber irgendwann habe ich mir gedacht, wenn Du wirklich so ein Scheusal wärst, dann wäre sie schon längst ausgezogen.“ „Na ja, jetzt bin ich ja rausgeflogen und mein Psycho ist ihr neuer Macker.“ „Ja, das habe ich auch ziemlich kraß gefunden. Wie kommst Du damit klar?“ „Also komisch ist es schon, in doppelter Hinsicht und Bedeutung des Wortes. Wenn mir das vor einem Jahr jemand prophezeit hätte, dann wäre ich nach einem Lachkrampf, der kein Ende genommen hätte, gestorben. So aber war ich immer noch überrascht und wie vor den Kopf geschlagen, aber mir war schon aufgefallen, daß Doktor Wupf in den letzten Monaten nicht mehr so schlecht über Gisela gesprochen hat und daß er immer versuchte mich zu bremsen, wenn ich mal wieder zu ausfällig wurde. Von daher hätte ich es mir irgendwie denken können.“ „Also ich stelle mir das schon heftig vor, daß der Mensch, dem ich fast alles über mich anvertraut habe, plötzlich mit meiner Ex zusammen ist.“ „Ja, klar, so richtig gecheckt habe ich das noch nicht. Andererseits sind Urban und Gisela die beiden Menschen, die mich am besten kennen. Vielleicht hat genau das sie zusammengeführt.“ „Wie meinst Du das?“ „Na ja, womöglich hatten die Beiden ein gemeinsames Feindbild: Mich.“ „Glaubst Du echt? Bei Gisela ist mir das schon klar, aber wieso sollte Dich Dein Psychologe hassen?“ „Ganz einfach: Ich war für ihn das, was ein Langzeitarbeitsloser für einen Jobvermittler in der Arbeitsagentur darstellt: Ein Fall, bei dem er kläglich versagt hat.“ „Ach so, ja, gut, das klingt nachvollziehbar. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Du so ein furchtbarer Mensch bist, daß man Dich hassen müßte.“ „Warte es lieber erst mal ab. Ich hatte bislang auch nicht so eine schlechte Meinung von mir, aber das Problem an der Psychoanalyse besteht ja auch darin, daß ich dem Doc alles sagen kann, was mir gerade durch den Kopf geht oder auch was ich ihm gegenüber empfinde, er dagegen zum Schweigen verurteilt ist.“ „Ja, schon, aber wenn Du ihn wirklich aufgeregt oder genervt hättest, dann hätte er die Therapie ja beenden können.“ „Du unterschätzt die Macht der Gewohnheit und das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis, das nicht nur finanzieller Art ist. Urban, jetzt kann ich Wupf endlich so nennen, wurde von mir ja zweimal wöchentlich über mein Leben auf dem Laufenden gehalten und selbst wenn es ihn auch oft nicht interessiert haben wird, so gehörte das doch zu seiner Struktur und seinem Tagesablauf dazu. Da entwickeln sich Abhängigkeiten, die man sich als Außenstehender überhaupt nicht vorstellen kann und will.“ „Mag sein, trotzdem finde ich, daß Du übertreibst. Du warst sein Klient und er Dein Therapeut, Ihr habt miteinander gearbeitet und jetzt hast Du Dein Ziel erreicht und er seines anscheinend auch. Was soll’s?“ „Auch wieder wahr. Noch einmal danke, daß ich bei Dir pennen kann, denn meine Kumpels konnte ich dahingehend vergessen. Weißt Du, beim gemeinsamen Saufen, da heißt es immer, klar, kein Problem, kannst jederzeit bei mir übernachten, aber wenn man dann mal vor der Türe steht und auf das Angebot zurückkommen will, dann haben sie hundert Ausreden. Plötzlich ist die Mutter zu Besuch da, die Freundin hat ihre Tage oder sie haben den ganzen Tag nur gekotzt.“ „Wie schon gesagt, ich habe Dich gerne eingeladen und ich muß zugeben, daß ich das nicht ganz ohne Hintergedanken gemacht habe.“ Irritiert schaute Horst sie an. „Ja, ich wollte schon lang mal wieder in der Arbeit erzählen, daß bei mir in der Wohnung ein Mann geschlafen hat.“ „Wieso? Und ich dachte immer, daß Du ..., hat Gisela erzählt.“ „So? Was hat sie denn noch erzählt?“

Der Andere

Zwei Tage später traf sich Urban mit seinem Cousin, der ihm schon des Öfteren weiterhelfen hatte können. „Weißt Du, Alex, die Sache wird immer schwieriger. Gott existiert nicht, Freud ist tot und mir ist auch schon ganz schlecht“, gestand der Psychoanalytiker, als sie durch einen der unzähligen Parks der Stadt spazierten. „Du meine Güte! Dann gibt es also für die Menschheit keine Rettung mehr“, kombinierte der Cousin. „Ganz genau. Ich lebe ja jetzt mit der Ex von einem meiner Klienten zusammen, aber das nur so am Rande. Mit Dir möchte ich mich heute über die wirklich wichtigen Dinge unterhalten.“ „Die da wären?“ „Was passiert mit uns nach unserem Tod?“ „Hat Dir das Dein Freud nicht erzählt?“ „Eigentlich schon. Aber der Mann war Atheist, der ging davon aus, daß es danach nicht mehr weitergeht.“ „Na toll. Dann hätte er sich seine ganze Theorie ja im Grunde sparen können.“ „Wieso das denn? Die hat sehr vielen Menschen auf der Erde weitergeholfen.“ „Und noch viele mehr zerstört.“ „Inwiefern?“ „Na hör mal! Da lebst Du so fröhlich vor Dich hin und auf einmal kommt so ein Psychologe daher und erzählt Dir, Du wärst so geizig, weil Du schon als Kind nicht gern geschissen hättest. Das nenne ich mal eine gelungene Traumatisierung.“ „Also bitte, auf dieses Niveau begebe ich mich jetzt wirklich nicht herab.“ Sie setzten sich auf eine leere Bank, fünf Meter weiter stellte ein alkoholisierter Penner seiner Flasche existentielle philosophische Fragen: „Sag mir, bist Du halb voll oder halb leer? Antworte gefälligst! Ich habe ein Recht darauf, das zu erfahren.“ Sie schauten sich leicht belustigt an. „Glotzt nicht so blöd, Ihr Asozialen!“ rief ihnen der Penner zu, weshalb sie lieber ihre Unterhaltung fortsetzten. „Freuds Lehre ist wesentlich tiefer und vielschichtiger. Es geht darum, daß wir in unserer Kindheit viele Dinge erlebt haben, die wir nicht verarbeiten konnten und deshalb verdrängt haben. Dumm nur, daß sie trotzdem die ganze Zeit irgendwie da waren und uns geprägt haben. Die Psychoanalyse dient dazu, diese verschütteten Erlebnisse freizuschaufeln, um damit dem Klienten in der Gegenwart und für die Zukunft zu helfen“, erläuterte Urban. „Alles schut und gön, aber wer sagt denn, daß Eure Deutungen wirklich zutreffen? Bei Dir zum Beispiel kann ich mir das mit dem Ödipuskomplex irgendwie nicht vorstellen“, entgegnete Alex. „Ja, klar, dadurch, daß ich meinen Vater nie kennengelernt habe, sondern nur ab und zu in der Zeitung oder im Fernsehen erblicken darf, hatte ich wohl kaum den Wunsch, ihn zu töten, um mit meiner Mutter allein glücklich zu werden. Aber Ausnahmen bestätigen nur die Regel und die besagt, daß der Vater für den jungen Sohn selbstverständlich der natürliche Konkurrent um die Gunst der Mutter ist.“ „Ich bin der Meinung, man sollte sich die besten Sachen von jeder Religion, Philosophie und jedem psychologischen Modell herauspicken und zusammen mischen.“ „Ja, das hätte schon seinen Reiz, doch wer trifft die Auswahl und wie wird garantiert, daß es sich dabei tatsächlich um die besten Ideen handelt? Man muß sich halt auch im Berufsleben irgendwann für eine Richtung entscheiden und sich ein Konzept aussuchen, nach dem man dann vorgeht.“ „Ja, der freiwillige Gang in die Fachidiotie.“ „Du hast leicht reden, Du mit Deinem Kynikerleben.“ „Wirf mir bitte nicht vor, daß ich nicht viel zum Leben brauche. Irgendwann werden die Leute schon noch merken, daß weniger mehr ist.“ „Das ganz bestimmt, aber Du willst ja ohnehin ein anderes Gesellschaftssystem.“ „Wohingegen Du Tag für Tag dafür arbeitest, daß alles so bleibt wie es ist.“ „Ja, manche Dinge ändern sich eben nie. Laß uns ein andermal darüber reden, meine Mittagspause ist gleich vorbei und ich habe jetzt gleich ein Gespräch mit der ehemaligen Nymphomanin.“ „Ach, war das nicht diejenige, die sich immer gleich ausgezogen hat, sobald sie in Deinem Zimmer war?“ „Genau die. Es hat lange gedauert, aber schön langsam lernt sie, daß sie auch angezogen voll akzeptiert und respektiert wird. Sie durfte als Kind die ganze Zeit nackt herumlaufen und da siehst Du dann mal, was daraus wird.“ „Schade, daß Du sie erfolgreich therapiert hast. Mit der hätte ich mich sonst bestimmt hervorragend verstanden.“ „Elender Lustmolch! Ab in Deine Denkfabrik, Du Keks von einem Scherz.“ Sie verabschiedeten sich und gingen davon.

Der ganz Andere

„Liebe Gisela! Es freut mich ja ungemein, daß es Ihnen so gut zu gehen scheint, aber ich möchte Sie doch darum bitten, daß Sie sich bei der Arbeit ein bißchen mehr konzentrieren“, tadelte der Chefredakteur seine Journalistin. „Sie sind doch nur neidisch auf mich, weil ich jetzt glücklich verliebt bin und Sie mal wieder leer ausgegangen sind“, erwiderte Gisela fröhlich. „Darum geht es nicht. Daß Sie meine Avancen seit Jahren zurückweisen ist eine Sache, aber es kann nicht sein, daß Sie wegen der Schmetterlinge in Ihrem Bauch minderwertige Arbeit abliefern.“ Sie befanden sich in den Redaktionsräumen ihrer Zeitung und ihre Verliebtheit gab Gisela die Kraft, die ihr sonst fehlte, wenn sie ihrem Vorgesetzten gegenüberstand. „Ich will Ihnen mal was sagen, Sie Pavianarsch! Mit Ihrem Nazijargon brauchen Sie mir überhaupt nicht zu kommen, denn ich werde mir von Ihnen nichts mehr gefallen lassen. Mein Freund ist nämlich Psychoanalytiker und der hat mir erzählt, daß so aufgeblasene Chefs wie Sie jede Menge Minderwertigkeitskomplexe in sich tragen, die sie durch einen autoritären Führungsstil zu überspielen versuchen.“ „Jetzt reicht es mir aber schön langsam! So unentbehrlich sind Sie nicht, Frau Radtke.“ „Für Sie ab jetzt wieder Frau Kastner und vielleicht schon bald Frau Doktor Wupf.“ „Die Zeiten, in denen die Ehefrauen den Titel ihres Gatten spazieren führen durften, sind zum Glück schon lange vorbei, Frau Kastner.“ „Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe! Sie Stromberg, Sie!“ „Also das war ja jetzt wohl schon um Einiges unter der Gürtellinie!“ empörte er sich und kehrte in sein Büro zurück. „Na, dem hast Du es jetzt aber gegeben“, meinte ihre Kollegin Svenja. „Der ist lange genug auf uns herumgetrampelt. Am liebsten hätte ich ihm ja gesagt, er könne mich am Arsch lecken, aber Urban hat mir erzählt, daß das nur Leute von sich geben, die ihre anale Phase nicht wirklich überwunden haben, von daher lasse ich das lieber“, erklärte Gisela. „Ja und außerdem kann ich mir gut vorstellen, daß der Dich tatsächlich am Arsch lecken würde, die perverse Sau.“ „Stimmt, das hatte ich schon wieder erfolgreich verdrängt. Früher hatte ich ja immer geglaubt gehabt, daß der schwul ist, aber dann hat er sich ja an mich rangemacht und jetzt bin ich froh, daß ich auf solche Typen wie ihn nicht länger angewiesen bin.“ „Wie läuft es denn mit Deinem Psychodoktor?“ „Hervorragend. Er ist genau der Mann, den ich mir immer gewünscht habe. Rücksichtsvoll, verständnisvoll und eine Granate im Bett.“ „Du Glückliche! Bei mir tut sich in der Richtung überhaupt nichts. Letzte Woche habe ich bei so einem Speed-Dating mitgemacht und es gab keine Übereinstimmung. Ich habe dann noch mal bei der Agentur angerufen und der Mann meinte, so etwas hätte er noch nie erlebt. Von den fünf Typen, die ich gerne wiedergesehen hätte, hatte mich keiner angekreuzt, dafür wollten die fünf anderen Typen, von denen ich nichts wollte, mit mir ausgehen.“ „Ja, das Leben ist manchmal schon wirklich ein grausamer Sadist.“ „Du, es geht mich zwar nichts an, aber kann es sein, daß Dein Ex jetzt mit Deiner besten Freundin zusammen ist? Ich habe die Beiden gestern eng umschlungen in der Stadt gesehen.“ Gisela erschrak. Für einen Augenblick hatte sie sich nicht unter Kontrolle, doch dann fand sie ihre Selbstbeherrschung wieder. „Ja, irgendwie hatte ich das befürchtet, nachdem ich ihm praktisch seinen Vertrauten ausgespannt habe, daß er es mir heimzahlen würde. Dagmar war eh schon so komisch gewesen und ich glaube fast, die kann ich als meine beste Freundin jetzt abschreiben.“ „Die stand doch schon immer ein bißchen auf Deinen Ex.“ „Findest Du? Warum hast Du mir das nie gesagt?“ „Ich bin doch nicht bekloppt. Ich sag Dir sowas doch nicht, solange Du mit dem Typen zusammen bist.“ „Auch wieder wahr. Aber irgendwie trifft es mich schon, denn jetzt kann ich meine Geheimnisse nicht länger mit Dagmar teilen, dafür hat Horst jetzt auch keinen mehr, mit dem er ernsthaft reden kann.“ „Und was ist mit seinen Kumpels?“ „Das sind doch nur Sauf- und Fußballfreundschaften, die reden nicht über ihre Probleme.“ „Einen Witz hab ich noch für Dich, bevor unser Stromberg zurückkommt und uns zur Arbeit zwingt. Wohin fliegt der schwule Adler?“ „Natürlich zu seinem Horst. Den hat Urban mir vor ein paar Wochen erzählt. Seitdem liebe ich ihn.“

Besagter Horst hatte derweil ganz andere Probleme. Er war durch die Stadt geschlendert, nachdem er im Büro Feierabend gemacht hatte und war auf ein paar Jugendliche gestoßen, die nichts Gutes im Schilde zu führen schienen. „Hey, was wollt Ihr von mir? Ich habe Euch nichts getan, also laßt mich gefälligst in Ruhe!“ forderte er sie auf, doch sie dachten überhaupt nicht daran, sondern umkreisten ihn. „Ganz ruhig bleiben. Wir sind hier mitten in der Stadt, überall laufen Leute herum, die werden mir schon nichts tun“, beruhigte sich Horst. Sekunden später mußte er den ersten Schlag in die Magengrube einstecken und ging zu Boden. „Hilfe!“ rief er so laut er konnte. Ein paar Leute drehten sich um, andere schauten absichtlich weg und schon landete ein Schlag in seinem Gesicht. „Das hier ist eine rational befreite Zone. Hier wird Dir niemand helfen!“ tönte der Anführer der Bande, als plötzlich eine fein gekleidete Dame erschien und ihn sich zur Brust nahm. „Hier steckst Du also, Jonathan. Sag mal, habt Ihr denn nichts Besseres zu tun, als harmlose Leute zu verprügeln?“ tadelte sie ihn. „Aber Mutti, der Kerl hat uns genervt“, widersprach ihr Sohn. „Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich möchte lieber erst gar nicht wissen, was in Deiner Erziehung alles schiefgelaufen ist. Laßt den armen Mann in Frieden und macht lieber etwas Nützliches!“ verlangte sie von den Jungs und mißmutig schlichen sie von dannen. Langsam richtete sich Horst auf und schaute die Frau dankbar an. „Ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet“, brachte er zögernd heraus. „Na ja, wissen Sie, mir ist die Sache schon furchtbar peinlich. Mein Jonathan ist im Grunde kein übler Kerl, aber er langweilt sich so schnell und dann wird er aggressiv. Als Kind hat er dann immer sein Spielzeug zertrümmert, ja und heute, da geht er dann mit seiner Clique einfach auf Leute wie Sie los. Ich hoffe, Sie sind nicht ernsthaft verletzt.“ „Ich glaube nicht, aber vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Sie Ihrem Söhnlein Brillant in seiner Kindheit nicht zu viel Zucker in den Arsch geblasen hätten.“ „Ja, das sage ich auch immer, aber dann verprügelt mich mein Mann und ich muß wieder die Schnauze halten.“ „Alles klar.“

Dagmar saß zusammen mit ihrer Mutter in der Gartenlaube und schwärmte in den höchsten Tönen: „Also, der Horst, der ist wirklich phantastisch! Ich habe die Gisela ja schon seit Jahren um ihn beneidet und konnte nie wirklich verstehen, warum sie immer dermaßen über ihn abgelästert hat. Andererseits muß ich zugeben, daß sie ihn ganz schön erzogen hat, so daß er mir fast aufs Wort gehorcht und das finde ich natürlich schon ziemlich praktisch“, plapperte die Tochter. „Schätzchen, ein Mann ist kein Hund“, stellte ihre Mutter klar. „Aber das weiß ich doch, Mama. Ich genieße es halt gerade einfach nur und ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, wie das war, ohne Sex gehabt zu haben einzuschlafen.“ „Aber hat sich die Gisela nicht immer darüber beschwert, daß er sie nicht mehr anrührt?“ „Das schon, aber ich glaube, das hatte ausschließlich was mit ihr zu tun. Von mir kann er jedenfalls die Finger nicht lassen und das verstehe ich nur allzu gut, denn mir geht es da ja genauso.“ „Du hast schon als Kind gerne an Dir herumgefingert, das ist wirklich wahr. Ich gönne Dir Dein Glück von tiefstem Herzen, aber sei Dir darüber im Klaren, daß nichts so bleibt wie es ist. Irgendwann wird auch Eure Verliebtheit ein Ende nehmen und dann wird der Alltag in Euer Zusammenleben einkehren. Erst danach wirst Du erkennen können, ob das zwischen Euch eine Zukunft hat oder nicht“, ließ die Mutter von sich hören. „Ach Mama, sei doch nicht immer so pessimistisch! Nur weil Du mit Papa nicht gerade das große Los gezogen hast, brauchst Du noch lange nicht glauben, daß alle Männer so wären wie er.“ „Was redet Ihr da schon wieder hinter meinem breiten Rücken über mich? Bestimmt nur Schlechtes!“ meldete sich ihr Vater aus seiner Hängematte zu Wort. „Natürlich. Was denn sonst?“ entgegnete seine Frau und er widmete sich wieder dem Sportteil seiner Zeitung. „Setz Dich doch zu uns! Unsere Tochter ist frisch verliebt“, fügte sie noch hinzu. „Keine Sorge, das vergeht schon wieder“, murmelte er und drehte sich zur Seite, um ein wenig zu dösen. „Na hoffentlich steht mir mit meinem Mann ein anderes Schicksal bevor“, dachte sich Dagmar, bevor sie sich verzog.

Der Über-Vater