Friends & Horses - Chantal Schreiber - E-Book

Friends & Horses E-Book

Chantal Schreiber

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Beschreibung

Die letzten Ferientage bringen für Rosa jede Menge Aufregung: Finn, der Junge mit dem sie ihren ersten Kuss erlebt hat, wird in den USA studieren, Rosa muss eine Herzensentscheidung treffen. Aus heiterem Himmel erfährt sie, dass Fanny und Sokrates, die Pferde des Hotels, verkauft werden sollen. Als auch noch das Haus ihrer Familie von Hochwasser bedroht wird, zeigt sich, auf wen Rosa wirklich zählen kann und wie weit sie für ihren geliebten Sokrates zu gehen bereit ist ...

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Seitenzahl: 264

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Chantal Schreiber heißt wirklich so und schreibt Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie liebt Tiere (alle), Secondhandshops (Schatzsuche), Kochen und Backen (vegan), Bücher, Kino und Draußensein.

Sie lebt und arbeitet in der Nähe von Wien.

Mehr über Chantal Schreiber auf:

www.chantalschreiber.com

@chantalschreiberauthor

@ch.schreiber

Folgende Friends & Horses - Bände sind im

Egmont Schneider Verlag erschienen:

Friends&Horses – Schritt, Trab, Kuss

Friends&Horses – Sommerwind und Herzgeflüster

Friends&Horses – Pferdemädchen küssen besser

Dieses Buch ist für alle,

die erst wieder ruhig schlafen können,

wenn sie wissen, wie es mit Rosa & Co. weitergeht!

Ihr wisst, wer ihr seid und ihr seid die Besten!

Inhaltsverzeichnis

Full House

Blumen-Konzil

Rückblicke-Ausblicke-Einblicke

Unter vier Augen

Polo, Pläne, Pferdemädchen

Sternstunden

Wasser

Wenn alle Stricke reißen

Reiner Tisch

That’s what friends are for

Alles wird gut?

Wer die Welt bewegen will

Kleinigkeiten

Drei Wochen später

Fiesta

Und noch eine Kleinigkeit

1. Full House

„Lust auf Pancakes?“

Daisy steht in der Küche, einen Pfannenwender in der einen Hand, einen Teller mit Mini-Pancakes in der anderen. Sie trägt die rot-karierte Schürze, die ich meiner Mutter mal zum Geburtstag geschenkt habe, mit dem Aufdruck Desperate Housewife. Sie sähe aus wie eine dieser perfekten Hausfrauen aus den Fünfziger Jahren, wären da nicht die blauen Haare und der brandneue, noch etwas gerötete Tattoo-Schriftzug auf der Innenseite ihres Unterarms, Pippin my Love, mit dem Symbol für Unendlichkeit drum herum.

Mila, Daisys Mutter, ist Künstlerin und wirklich sehr tolerant. Aber ob sie ihrer vierzehnjährigen Tochter erlaubt hätte, sich ein Tattoo stechen zu lassen, bevor Daisy beschlossen hat, zu mir und Mom zu ziehen, weil sie es zu Hause nicht mehr aushielt, das bezweifle ich. Daisy hat bis dahin nie etwas darüber gesagt, dass es ihr zu viel ist, ständig die Verantwortung für ihre kleinen Schwestern und oft auch noch für den Haushalt zu haben. Sie hat nie gesagt, dass sie es nicht schön findet, für selbstverständlich genommen zu werden, und sich in entscheidenden Situationen nicht auf ihre Eltern verlassen zu können. Die Einzige, die mit Mila und Bernd, Daisys Vater, darüber gesprochen hat, war meine Mutter, und die Wirkung dieses Gesprächs hat nicht lang angehalten. Dass die immer sanfte, immer hilfsbereite Daisy es zu Hause plötzlich unerträglich findet, muss ein Schock für die beiden gewesen sein, deshalb haben sie auch ein mega schlechtes Gewissen – und Daisy hat ein Tattoo.

Nicht dass Mom und ich etwa damit gerechnet hatten! Es kam auch für uns völlig unerwartet. Ich glaube, als Mila Daisys wunderschöne, lange blonde Haare abschneiden musste, hat es irgendwie Klick in Daisys Kopf gemacht. Sie war vor Erschöpfung eingeschlafen, und Nini und Isa haben an ihrer schlafenden Schwester Frisurenexperimente gemacht. Damit die schöne Frisur nicht kaputt ging, haben sie die Haare mit einem Spray fixiert, das Mila für ihre Collagen verwendet. Die fast hüftlange, blonde Pracht war ruiniert. Aber das war noch nicht mal alles, denn Daisy hat nicht nur ihre Haare verloren, sondern auch einen Modeljob für eine Shampoo-Firma. Mit der Gage hätte sie sich sehr lange keine Sorgen mehr wegen Pippins Unterhaltskosten machen müssen. Wäre ich da gewesen, ich hätte sicher irgendwie helfen können, hätte ihr Gesellschaft geleistet, sie bei den Kindern abgelöst, und das ganze Haardrama wäre nicht passiert. Aber ich war etwa vierhundert Kilometer weit weg, um die Familie meines Vaters kennenzulernen, der vor meiner Geburt gestorben ist und von dem ich erst vor kurzem erfahren hatte.

Als Daisy mir also keine Fotos von ihrem Shampoo-Shooting schickte, sondern stattdessen überraschend vor der Tür meiner neuen Großmutter auftauchte, war mir schon klar, dass sie irgendwie noch unter Schock stand. Und als sie sich am nächsten Tag beim Friseur nicht nur einen ganz kurzen Schnitt verpassen, sondern die Haare auch leuchtend blau färben ließ, war es offensichtlich, dass wir in keiner Hinsicht mehr die „alte“ Daisy vor uns hatten. Die neue Daisy ist tougher, lässt sich nicht mehr so viel gefallen und kümmert sich endlich auch mal um sich selbst. Nun treffen sich Vater, Mutter und Tochter wöchentlich zur Familientherapie und Bernd und Mila müssen die Betreuung ihrer jüngeren Kinder wieder selbst übernehmen. Ich finde es jedenfalls toll, dass Daisy bei uns wohnt, und zwar nicht nur wegen der Frühstück-Upgrades, die wir seither genießen. Ich könnte eine Schwester bestimmt nicht mehr lieben als Daisy und es ist so schön, sie hier zu haben. Die Pancakes sind da nur das Tüpfelchen auf dem i.

Lust auf Pancakes? Ernsthaft jetzt?

„Hat jemals jemand diese Frage mit Nein beantwortet?“ Ich setze mich an unseren riesigen Küchentisch, der mir in letzter Zeit gar nicht mehr so riesig vorkommt, denn schließlich sitzen wir jetzt ja meistens zu viert daran. Sofort landet eine Portion duftender Pfannkuchen vor meiner Nase.

„Daisy!“ Meine Mutter steht in der Tür, noch bevor Daisy mir antworten kann. Sie trägt eines der schicken Kleider, die sie für die Arbeit im Hotel hat, und ringt melodramatisch die Hände, als wäre sie ebenfalls den Fünfzigern entsprungen. „Du sollst doch nicht immer für uns kochen! Ich habe schon ein ganz schlechtes Gewissen!“

„Lust auf Pancakes?“, wiederholt Daisy ihre Frage, als hätte sie Moms Ausbruch gar nicht gehört.

„Gott, ja!“ Meine Tante Anita drängt sich an ihrer Schwester vorbei und lässt sich neben mir auf die Küchenbank fallen, nur einen Augenblick, bevor Daisy auch vor ihr einen Teller mit einem beachtlichen Stapel Pancakes abstellt. Ihre Haare sind noch nass von der Dusche, sie trägt Shorts und ein T-Shirt mit dem Aufdruck My Girlfriend is amazing, ein Geschenk an ihren Exfreund, das sie ihm aus nachvollziehbaren Gründen wieder weggenommen hat. Ach ja, meine Tante! Das war die nächste Überraschung! Als wir nämlich mit unserer neuen Mitbewohnerin zu Hause vorfuhren, saß dort Anita vor der Tür und hat auf uns gewartet. Sie hat früher bei uns gewohnt, ist dann aber nach Frankreich gezogen, zu ihrem Freund, einem Sterne-Koch, den wir unter uns immer Bocuse nannten, nach dem berühmten französischen Koch. Aber sie und Bocuse hatten sich getrennt, vor einer Weile schon, und nun ist sie wieder hier. Mit anderen Worten: Wir sind jetzt eine Vierer-WG. Full House!

„Acht Kilometer Joggen und eine Stunde Yoga“, erklärt Anita stolz. „Ich bin am Verhungern! Gibt’s noch was außer Pancakes?“

„Ich hab gestern Bagels gebacken und es ist noch selbstgemachte Guacamole im Kühlschrank.“ Daisys Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. Na ja, sie lebt zwar noch nicht so lange mit meiner immer hungrigen Tante zusammen, aber ihre zwei kleinen Schwestern, für die sie bis vor kurzem ja die Hauptbezugsperson war, haben auch rund um die Uhr Appetit.

„Anita!“, ruft meine Mutter vorwurfsvoll. „Das ist Ausbeutung Minderjähriger. Ich versuche gerade, Daisy zu erklären, dass sie sich ihren Aufenthalt nicht verdienen muss.“

„Das weiß sie doch“, sagt Anita und beginnt ihren Pfannkuchen-Turm genießerisch mit Ahornsirup zu beträufeln. „Stimmt’s, Daisy?“

„Stimmt“, erklärt Daisy strahlend. „Außerdem ist mein Aufenthalt hier sowieso unbezahlbar.“

„Ach, Daisy“, meint meine Mutter und schmilzt sichtbar dahin. Sie umarmt meine blauhaarige Freundin mit dem Ergebnis, dass ihr rotes Kleid ebenso mehlbestäubt ist wie Daisys Schürze. Wenigstens färben die Haare nicht ab.

„Wir wollten uns doch um dich kümmern, nicht umgekehrt. Und nun machst du hier den Haushalt, genau wie bei dir zu Hause.“

„Nicht genau wie bei Daisy zu Hause“, unterbreche ich. „Hier erwartet es keiner von ihr. Und wenn sie es trotzdem tut, ist es nicht selbstverständlich für uns, sondern wir sind entsprechend begeistert und dankbar!“

„Sehr begeistert“, erklärt Anita mit vollem Mund und nur ganz leicht schuldbewusstem Blick. „Und sehr dankbar.“

„Siehst du, Ida“, sagt meine Freundin ernsthaft. „Deine Tochter ist außerordentlich klug. Und deine Schwester auch. Das kommt von den vielen Pancakes. Wenn du also ein bisschen aufholen möchtest, nimm erstens Platz und zweitens Ahornsirup.“

Mit diesen Worten wendet sich Daisy wieder dem Herd zu. Meiner Mutter bleibt einen Augenblick der Mund offen stehen, und Anita und ich werfen einander einen Blick zu. Irgendwie kriegen wir es hin, nicht zu lachen. Das ist nicht die Daisy, die wir kennen, die hätte sich niemals getraut, so was Freches zu sagen. Aber die alte Daisy hatte auch keine blauen Haare und kein Tattoo. Und keine wöchentliche Familientherapie, bei der ihr Selbstwertgefühl aufgebaut wird.

Ich nehme ein sauberes Geschirrtuch und entstaube das Kleid meiner Mutter, bevor ich sie sanft, aber bestimmt auf einen Küchenstuhl drücke.

„Es ist okay“, flüstere ich. „Wirklich.“

Mom setzt sich und Sekunden später steht auch vor ihr ein Berg duftender Pancakes, gekrönt von Heidelbeeren und Bananenstückchen.

„Also, was macht ihr alle heute?“, fragt Anita in die Runde und beginnt dann systematisch ihren Teller abzuschlecken.

Mom beobachtet sie mit einer Mischung aus Belustigung und leiser Missbilligung (den Blick bekomme ich sonst immer ab, wenn ich versuche, in meine Chucks zu schlüpfen ohne die Schnürsenkel vorher aufzumachen). „Du, Schwesterherz“, sagt sie dann, „ziehst irgendwas Vorzeigbares an und triffst mich Punkt elf im Hotel. An der Rezeption. Dein Urlaub ist beendet.“

Anitas Gesicht ist von ihrem erhobenen Teller halb verdeckt, nur die großen Augen sind zu sehen. Und die richten sich ungläubig auf meine Mutter. „Die haben mich genommen? Ernsthaft?“

Mom nickt. „Niemand ist erstaunter als ich, das kannst du mir glauben.“

Anita hatte sich um den Barkeeper Job im Hotel beworben, und da sie in dem Bereich viel Erfahrung hat und außerdem aussieht wie eine etwas jüngere, etwas kleinere, etwas dunklere Version meiner Mutter, dachten wir eigentlich, es könne nichts schiefgehen. Ich war natürlich nicht dabei, aber nach Moms Schilderung lief das Ganze in etwa so ab:

Anita sah sehr professionell aus in ihrem Barkeeper-Outfit mit weißer Bluse und schwarzer Jeans und sie begrüßte den Restaurantchef und den Personalchef charmant und selbstbewusst. So weit, so gut. Kaum hatte Anita Zitronen in Scheiben geschnitten und Oliven und Cocktailkirschen bereitgestellt, kam auch schon der erste Gast: Señor Rojas, der Vater unserer mexikanischen Freundin Ollie, der mittlerweile zu Moms engen Freunden zählt. Ollie und ich haben sogar genügend Indizien gesammelt, um überzeugt zu sein, dass zwischen den beiden deutlich mehr ist als Freundschaft. Anita ging artig zu ihm hin, ein Schälchen mit Nüssen in der Hand, und ab da lief so ziemlich alles schief, was schieflaufen konnte. Sie stellte das flache Schälchen mit den Nüssen so unglücklich auf Enriques Handy ab, dass der Inhalt auf den Tisch kippte. Natürlich entschuldigte sie sich umgehend, aber dann schob sie die Nüsse über den Rand des Tisches in ihre Hand, füllte sie erneut in die Schale und ging zur Bar, ohne das Schälchen mit den angetappsten Nüssen wieder mitzunehmen. An der Bar angekommen, machte Anita wieder kehrt – allerdings nicht, um die vergessenen Nüsse zu holen, sie hatte etwas ganz anderes vergessen: Enriques Getränkebestellung!

An dieser Stelle begann Mom die Geschichte abzukürzen: „Ich erspare euch Details wie die Olive, die nicht auf dem Spießchen bleiben wollte und die Zitrone, die durch den ganzen Raum purzelte wie eine verirrte Bowlingkugel. Als Anita den Drink endlich serviert hat, war ich heilfroh, dass er nur auf Enriques Schuhe und nicht auf sein Hemd geschwappt ist.“

Meine Mom ist eine gute Erzählerin. An diesem Punkt haben wir alle schon Tränen gelacht, Anita inklusive. „Es war wirklich nur ein ganz kleiner Spritzer“, prustete sie. Jedenfalls hat sich Anita keine großen Hoffnungen mehr auf den Job gemacht. „Was willst du machen?“, meinte sie mit einem Achselzucken. „Ich war nervös, irgendwie.“

„Du bist doch nie nervös“, sagte ich kopfschüttelnd.

Tatsächlich ist meine Tante einer dieser fröhlichen Menschen, die nichts aus der Ruhe bringen kann. Außer vielleicht Liebeskummer, für eine gewisse Zeit. Ansonsten neigt sie nicht zu Unsicherheit oder Selbstzweifeln, und das erklärt sie so: „Ich bin damit aufgewachsen, dass deine Mutter klüger, ehrgeiziger, erfolgreicher und schöner ist, egal was ich anstelle. Ab dem Moment, in dem ich das kapiert habe, war mein Leben herrlich! Ich habe mich einfach nicht mehr angestrengt!“

Das ist natürlich Blödsinn. Anita ist großartig und hat ganz andere Talente als Mom. Aber ich weiß trotzdem, was sie meint.

Jedenfalls ließ ich die Nervosität nicht so richtig gelten.

„Ich glaube, es war Vollmond“, hat sie weiter nach Erklärungen gesucht. „Und meine Tage hab ich auch grade gekriegt.“

„Wahrscheinlich hat Moms Blick dich nervös gemacht“, bot ich ihr eine Erklärung an. „Bei mir macht sie das auch immer, wenn ich im Hotel aushelfe.“ Gerunzelte Stirn, erhobene Augenbrauen, leicht gespitzte Lippen. Ich kann den Blick ziemlich gut nachmachen.

„Na klar, ich war schuld“, meinte Mom gutmütig. Sie ist irgendwie viel besser drauf in letzter Zeit, auch deshalb bin ich ganz sicher, dass da was Romantisches im Gange ist mit ihr und Ollies Vater.

Anitas Karriere im Hotel schien jedenfalls mit ihrem Probeauftritt gleich wieder beendet. „Weil es leider nicht um den Unterhaltungswert ging.“ OTon Mom. Meine Mutter hat weiterhin Kandidaten inspiziert und nicht mal nachgefragt, ob ihre Schwester denn für den Job infrage käme. Und für meine Tante war das Ganze gegessen. Bis eben.

Anita starrt immer noch ihre Schwester an, als hielte sie das Ganze für einen Scherz. Aber Mom zuckt nur mit den Schultern und macht ein Keine-Ahnung-wie-das-passieren-konnte-Gesicht. „Die anderen Bewerber waren nicht herausragend ...“, sagt sie vage, und wir wissen alle, dass der Satz in etwa so weiterginge: „... aber auch nicht so katastrophal wie du.“

„Es muss mein Charme gewesen sein“, meint Anita. „Oder mein komisches Talent.“

„Dann vergiss nicht, beides auch heute wieder mitzubringen“, meint Mom, steht vom Tisch auf und stellt ihren leergeputzten Teller in die Spüle. „Wie gesagt: Um elf Uhr an der Rezeption. Danke für das tolle Frühstück, Daisy.“

„Gern geschehen.“

„Bis später, Mädels“, verabschiedet Mom sich.

Daisy strahlt noch immer über das Frühstückskompliment, steht ebenfalls auf und beginnt, Tassen und Teller zu stapeln. „Ich muss jetzt zur Therapie“, sagt sie zu mir. „Aber wir können später ausreiten gehen, was meinst du?“

Ich habe den Eindruck, dass die Therapie richtig gut läuft.

„Zum ersten Mal sind mein Vater und meine Mutter mit mir zu einer vereinbarten Zeit an einem bestimmten Ort“, hat Daisy nach der ersten Stunde fast ehrfürchtig festgestellt. „Es fühlt sich zum ersten Mal so an, als würden sie mich wichtig nehmen. Das ist ziemlich cool, muss ich sagen.“

„Es war aber auch höchste Zeit.“ Das musste ich sagen!

Jedenfalls freue ich mich für sie, dass sich das Verhältnis zu den Eltern bessert und Daisy von einer Expertin bestätigt bekommt, dass sie Zeit für sich braucht, für ihre Freundinnen und für ihr Pferd. Ich kann der Frau nur zustimmen.

„Ja, dann so gegen Mittag im Stall?“

„Perfekt.“

Ich nehme Daisy den Geschirrstapel aus der Hand. „Lass nur, ich mach das. Die Pancakes sind etwas Küchendienst wert.“

„Du bist die Beste.“ Daisy wirft mir einen Luftkuss zu.

„Nein, du bist die Beste!“

„Nein, du bist die Beste!“

Ich muss zuerst lachen. „Zieh Leine, sonst kommst du noch zu spät.“

„Bis später, ihr zwei.“ Und damit ist auch Daisy zur Tür raus.

„Ich helf dir“, meint Anita und beginnt, die Teller in die Geschirrspülmaschine zu ordnen, während ich den Tisch fertig abräume.

„Ist cool, oder?“, frage ich meine Tante mit einem kleinen Grinsen.

„Unsere Mädels-WG?“ Sie grinst zurück. „Sehr cool. Hat mir gefehlt.“

„Du hast uns auch gefehlt.“

Sie seufzt. „Ich weiß. Was soll ich sagen. Ich dachte, Bocuse sei der Richtige. Und vielleicht war er das sogar. Vielleicht war ich ja die Falsche.“

Ich runzle die Stirn. „Du sprichst in Rätseln, Tante.“

Anita lacht. „Ich glaube, mir ist klar geworden, was ich falsch gemacht habe. Nicht nur in dieser Beziehung, sondern mit all meinen Exfreunden.“

Ich sehe sie erwartungsvoll an. „Und das wäre?“

„Ich war immer ein Satellit“, sagt Anita. „Seit meinem ersten Freund.“

Ich muss ziemlich verständnislos gucken, denn sie lacht erneut, als sie mich ansieht.

„Nimm so einen Erdbeobachtungs-Satelliten“, fährt sie fort. „Der kreist um die Erde. Sammelt Informationen über sie. Macht Bilder von ihr, sammelt und speichert diverse Daten, verarbeitet sie, sendet sie. Mal angenommen, die Erde verschwindet von heute auf morgen, was ist dann mit dem Satelliten?“

„Puuuh, keine Ahnung. Er hat nichts mehr zu tun? Er stürzt ab? Kriegt die Krise? Fällt in ein schwarzes Loch?“

Meine Tante dreht in einer „Tadaaa!“-Geste ihre Handflächen nach oben. „Ersetz einfach Erde durch Mann und Satellit durch deine doofe Tante und schon weißt du, was ich meine.“

„Hmmmm.“ Ich runzle die Stirn. „Verstehe. Kein Mann, kein Lebensinhalt?“

„Genau.“ Sie nickt. „Und das musste sich ändern. Kann ja nicht sein, dass alles sich immer nur darum dreht und nichts mehr einen Sinn ergibt ohne Mann. Deshalb wollte ich auch erst mal allein klarkommen und habe euch nichts erzählt. Ich dachte, ich muss ja nicht gleich Frankreich den Rücken kehren, weil Bocuse und ich nicht mehr funktionieren. Aber dann kam die Erkenntnis, dass ich dort eigentlich gar nicht so gern gelebt habe. Ich war wirklich nur seinetwegen dort. Sonst hat mich nichts gehalten.“ Sie holt einmal tief Luft und seufzt sie dann wieder aus. „Und deshalb bin ich jetzt hier.“

„Und ich Schaf dachte, du bist wieder hier, weil du uns vermisst hast.“

Anita lacht. „Du bist wirklich ein Schaf. Natürlich hab ich euch vermisst!“

Sie reicht mir den letzten Teller, ich stelle ihn in den Geschirrspüler. „Bist du über ihn hinweg?“, frage ich Anita, ohne sie anzusehen.

„Über ihn war ich ziemlich bald hinweg. Es tat mir schrecklich leid, weil er ein wirklich guter Mann ist. Aber es war sehr offensichtlich, dass wir nicht dieselben Ziele haben. Nicht so schnell hinweg war ich über die Tatsache, dass er gefühlte vier Minuten nach der Trennung eine neue Freundin hatte.“

„Also du warst über ihn hinweg“, antworte ich und drücke mit der Hüfte die Tür der Spülmaschine zu. „Aber dein Stolz nicht.“

„Schlaues Mädchen.“

„Und jetzt?“ Ich sehe sie neugierig an. „Bist du auf der Suche?“

Anita lacht. „Das hier ist doch keine Reality-Show, oder? Ist da vielleicht eine Kamera im Kühlschrank installiert? Und ein Mikro im Obstkorb? Das wäre fies, weil ich von Essen immer so schnell abgelenkt bin!“

Nun muss ich auch lachen. „Nein, ich bin bloß neugierig. Sorry!“

„Kein Problem.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Ich bin jetzt ein halbes Jahr allein. Das ist die längste Solophase, die ich je hatte, und es fühlt sich gut an. Ich bin sicher nicht auf der Suche, aber man weiß ja nie, was passiert. Jedenfalls will ich mich nicht gleich wieder Hals über Kopf verlieben, und für einen Kerl alles stehen und liegen lassen. Ohne mich zu fragen, was eigentlich für mich richtig ist.“ Sie seufzt. „Ich habe Ida immer dafür bewundert, dass sie so genau wusste, was gut für sie ist.“

„Na ja“, meine ich zweifelnd. „Ich bin nicht sicher, ob es gut für sie war, vierzehn Jahre ohne festen Partner zu sein.“

„Jedenfalls hat sie sich viel Drama erspart.“ Anitas Hand fährt erschrocken zu ihrem Mund, kaum dass sie die Worte ausgesprochen hat. „Oh, entschuldige! Das war so gedankenlos von mir. Ida hatte schließlich mehr Drama und Tragik, bevor sie zwanzig war, als ich in meinem ganzen bisherigen Leben. Tut mir echt leid.“

Anita meint damit die Sache mit Rick, meinem Vater. Er war Lehrer, gerade erst mit dem Studium fertig, als meine Mutter ihn bei einer Party kennenlernte, im Sommer vor ihrem Abschlussjahr. Er hielt sie für älter, als sie war, und sie sah keinen Grund den Irrtum aufzuklären, bis sich herausstellte, dass seine erste Anstellung ihn ausgerechnet an ihre Schule führte. Sie war nicht direkt seine Schülerin, aber die beiden beschlossen dennoch, ihre Beziehung für die Dauer von Moms letztem Schuljahr geheimzuhalten. Rick hätte wahrscheinlich seinen Job verloren, wenn es rausgekommen wäre. Sie waren sehr vorsichtig, was die Geheimhaltung anging. In anderen Bereichen nicht so sehr, sonst wäre meine Mom wohl nicht noch vor ihrem Abschluss mit mir schwanger geworden.

In der Nacht von Moms Abschlussball ist Rick bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Damit verlor sie mit einem Schlag nicht nur ihre große Liebe, sondern auch die Chance, auf die Uni zu gehen, denn sie hatte beschlossen, mich zu behalten. Und wenn man sich selbst und ein Kind versorgen muss, bleibt einem nichts anderes übrig, als Geld zu verdienen. Sie zog also zu meiner Uma hierher ins Grillental, fand einen Job im Hotel, arbeitete sich hoch und der Rest ist Geschichte.

Die Identität meines Vaters hat sie nie preisgegeben, weil sie nicht wollte, dass ein verzerrtes Bild von ihm in Erinnerung blieb: Der junge Lehrer, der die minderjährige Schülerin geschwängert hat. Der Einzige, dem sie sich damals anvertraute, war ihr Jugendfreund Mathias, der bis über beide Ohren in sie verliebt war und sie auch geheiratet hätte, obwohl das Baby – also ich – nicht sein Kind war. Bis vor kurzem wusste sonst niemand, wer mein Vater ist, Anita und mich eingeschlossen. Erst als ich auf eigene Faust herausfand, was damals geschehen war, hat mir Mom nach und nach die Einzelheiten erzählt.

„Das ist schon okay“, beruhige ich also Anita. „Du kennst die Geschichte ja erst seit ein paar Wochen.“

„Trotzdem.“ Sie seufzt. „Und du hast natürlich recht. Es wäre höchste Zeit, dass Ida wieder jemanden findet.“

Ich werfe ihr einen vielsagenden Blick zu. „Wer weiß? Vielleicht hat sie ja schon jemanden gefunden?“

„Was? Dein Ernst? Wen? Los, rück schon raus damit!“

„Kommt nicht infrage! Es ist nicht offiziell und sie killt mich, wenn ich Gerüchte in die Welt setze.“

„Das hast du doch eben schon getan!“, argumentiert Anita.

„Keineswegs! Ich habe nur eine Möglichkeit in den Raum gestellt.“ Ich muss lachen, als ich das Gesicht meiner Tante sehe. Wäre sie eine Cartoon-Figur, bekäme sie eine Sprechblase mit „Grrrrrrrrr!“ darin. „Niemand kann bestreiten“, fahre ich ungerührt fort, „dass sie vielleicht schon jemanden gefunden und es uns nur nicht erzählt hat. Das wäre schließlich typisch für sie.“

Meine Tante zieht ihre Augen zu schmalen Schlitzen und versucht, bedrohlich dreinzuschauen, was mich erneut zum Lachen bringt.

„Dann frage ich sie eben selbst“, meint sie trotzig.

„Tu das“, antworte ich gönnerhaft. „Ich wünsch dir viel Glück.“

Seit meine Mutter bei dem Geburtstagsfest meiner Cousine Gitti mit Ollies Dad getanzt hat, habe ich unsere Eltern nicht mehr gemeinsam gesehen. Allerdings müssen die beiden uns für ziemlich doof halten, wenn sie denken, dass wir deshalb glauben, sie hätten sich nicht getroffen. Dann müssten sie es etwas geschickter anstellen: Ollies Vater dürfte nicht an denselben Abenden ausgehen wie meine Mutter und nicht um dieselbe Uhrzeit wieder nach Hause kommen. Soll Anita doch versuchen, mehr rauszukriegen! Wenn Mom etwas nicht erzählen will, läuft man bei ihr gegen eine Wand. Das weiß niemand besser als ich – schließlich musste ich dreizehn Jahre warten, um die Wahrheit über meinen Vater zu erfahren.

„Was ist nun eigentlich mit dir und Finn?“, wechselt Anita überraschend das Thema.

Ja, gute Frage, denke ich, was ist nun mit mir und Finn?

Anita ist immer schon mehr meine Freundin gewesen als meine Tante. Und als wir in der Woche, nachdem sie bei uns eingezogen ist, gemeinsam der Rosita, unserem Ruderboot, das nach uns beiden benannt ist, einen frischen Anstrich verpasst haben, musste ich sie über alles aufklären. Wie ich in meiner kleinen, geheimen Bucht einen Jungen mit sehr blauen Augen kennengelernt habe, der für ein paar Tage da gestrandet war. Dass ich ihm dabei geholfen habe, sein Floß, das er aus weggeworfenen PET-Flaschen selbst zusammengebaut hatte, wieder flott zu machen, um seine Aktion fortzusetzen: Den ganzen Fluss abzufahren, dabei am Ufer Müll einzusammeln und ihn bei jedem seiner geplanten Stopps abzugeben. Von Anlegeplatz zu Anlegeplatz gab es mehr Fans, die ihn begrüßten, und mehr Follower im Netz. Er kam mit dem Floß nicht ganz so weit, wie er gehofft hatte, aber dennoch war seine Aktion, mit der er auf die Verschmutzung unserer Gewässer aufmerksam machen wollte, ein voller Erfolg.

Zwischen Finn und mir gab es diesen Draht, von Anfang an. Viel Zeit hatten wir nicht, aber es waren Stunden, die nur uns gehörten, an meinem Fluss, in meiner Bucht, die seitdem unsere Bucht ist, Finns und meine. Eines Tages war er dann wieder weg, so plötzlich, wie er gekommen ist, ein bisschen wie ein verzauberter Prinz. Plötzlich, aber nicht spurlos. Eine der PET-Flaschen war zurückgeblieben und in ihr eine Nachricht. Wir sehen uns wieder, Flussprinzessin.

Finn hat mir das Gefühl gegeben, einzigartig zu sein. Nein, er hat mir geholfen zu sehen, dass ich tatsächlich einzigartig bin. Wir waren einzigartig, Finn und Rosa, Huckleberry und die Flussprinzessin, in ihrer geheimen Bucht.

Ich dachte, es sei vorbei, als er weg war – ein bisschen wie der Zauber, der Cinderellas Kutsche wieder zum Kürbis und sie selbst wieder zur Dienstmagd werden lässt. Er war weg und ich war wieder nur Rosa. Dachte ich. Doch etwas hatte sich durch die Zeit mit ihm in mir verändert. Ich war plötzlich nicht mehr außer mir, weil Ollie, die „Neue“ hier bei uns, mit Daniel, meiner Sandkastenliebe, zusammen war. Obwohl ich kurz zuvor entdeckt hatte, dass meine eigenen Gefühle für Daniel nicht nur freundschaftlich waren. Das hat den Start meiner Freundschaft mit Ollie natürlich etwas holprig gestaltet. Aber jetzt kann ich es akzeptieren, mehr noch, mir ist plötzlich klar, dass man dem Universum ein bisschen Spielraum geben muss. Wenn man zu sehr auf ein bestimmtes Ergebnis fixiert ist, kriegt man den Tunnelblick. Und dann übersieht man die Möglichkeiten, die sich links und rechts sonst noch bieten. Daniel und ich sind wieder Freunde, und das ist auch gut so. Daniel weiß alles über mich, wir kennen uns, seit wir Babys waren.

Aber Finn? Finn wusste nichts von mir. Er hatte keine Erinnerung an die fünf-, zehn- oder zwölfjährige Rosa. Er hat mich so kennengelernt, wie ich bin, und eine Flussprinzessin in mir gesehen. Und jemanden, mit dem man tolle Gespräche führen und jede Menge Spaß haben kann.

Wenn ich mir meinen ersten Kuss ausgemalt habe, war es immer mit Daniel, wohl weil ich noch mit keinem anderen Jungen so viel Zeit verbracht habe.

Dann kam Finn. Und ein erster Kuss, der viel schöner war als alles, was ich mir je hätte vorstellen können.

Aber gleich nach der Sache mit dem Kuss war Finn wieder weg, und ich rechnete nicht damit, ihn jemals wiederzusehen. Dennoch passierte es ein paar Wochen später, als ich mit meiner Mutter meine neue Familie besuchte. Ich erfuhr in letzter Sekunde, dass Finn bei einer Veranstaltung in Sachen Umweltschutz über sein Projekt sprechen würde, und schaffte es mit viel Glück, ihn zu treffen. Wieder hatten wir nur ein paar Stunden. Ich fuhr am nächsten Tag nach Hause, er flog nach Griechenland, wo sein Vater eine meeresbiologische Beobachtungsstation leitet. Natürlich schreiben wir einander Nachrichten. Und er hat mich ein paar Mal angerufen und mir vom Alltag auf der Station erzählt. Von Ausfahrten mit dem Boot, Delphin- und Walsichtungen, Tauchgängen an Korallenriffen. Aber es ist nicht so, dass wir täglich voneinander hören. Wir haben beide ein sehr volles Leben und keiner von uns hängt ständig an seinem Handy. Ich glaube, obwohl wir es nie ausgesprochen haben, sind wir übereingekommen, dass es die Sache nicht einfacher macht, wenn man einander jede Sekunde schreibt.

„Rosa?“, fragt Anita noch einmal, wedelt mit ihrer Hand vor meinen Augen und holt mich mit einem Ruck aus Finn-Land zurück. „Finn und du? Was gibt es Neues?“

„Er ist an der wahrscheinlich besten Uni der Welt für umweltwissenschaftliche Studien angenommen“, antworte ich trocken. „Mit einem Teilstipendium.“

„Wow.“ Anita sieht mich mit großen Augen an. „Das ist ja unglaublich!“

„Finn ist ziemlich unglaublich“, sage ich, so neutral ich kann.

Anita legt den Kopf schief und mustert mich teilnahmsvoll. „Und wo ist diese supertolle Uni?“

„In Cambridge, Massachusetts. In den USA.“

„Dann fängt er da in einem Jahr an?“

„Nein“, antworte ich und seufze. „In einem Monat.“

„Oh.“ Anita sieht mich mitfühlend an und runzelt die Stirn. „Massachusetts ist nicht gerade um die Ecke.“

„Nein“, stimme ich zu. „Ist es nicht.“

„Könnt ihr euch denn wenigstens davor noch mal sehen?“

„Ich weiß nicht.“

„Du weißt nicht, ob ihr könnt?“, fragt meine Tante, die mich ziemlich gut kennt. „Oder du weißt nicht, ob du willst?“

In diesem Augenblick klingelt mein Handy und erspart mir eine Antwort, die ich bis jetzt noch nicht mal mir selbst geben konnte. „Finn“, sagt das Display. Ich zeige es meiner Tante, die verständnisvoll nickt, hebe ab und gehe mit dem Handy am Ohr aus der Küche.

„Flussprinzessin“, sagt seine Stimme, und mein Herz klopft viel schneller als noch vor fünf Sekunden.

„Hallo, Huckleberry“, antworte ich, und stelle mir vor, wie er neben seinem Vater an der Reling des Forschungsbootes steht und suchend übers Meer blickt. „Wie geht’s den Delphinen?“

2. Blumen-Konzil

Daisy, Ollie und ich sitzen auf unserem Wohnzimmer-Sofa, meinen Laptop auf dem Couchtisch so positioniert, dass wir alle drei von der Kamera erfasst werden können.

„Und Ida würde das erlauben?“ Iris kennt meine Mutter schon ziemlich lange, und der Blick aus ihren grünen Augen kommt deshalb genauso rüber wie ihre Stimme – skeptisch.

Die Grillental-Seite des Blumen-Konzils besteht aus Gänseblümchen Daisy, Violeta-Veilchen Ollie und mir. Auf der anderen Seite, fast vierhundert Kilometer entfernt, am Rande der Metropole, in der Straße, die durch ein Augenzwinkern des Universums sowohl das Haus meiner Großmutter, als auch das von Iris’ Eltern beherbergt, teilen sich Schwertlilie Iris und meine Cousine Marguerite, genannt Gitti, einen Bildschirm. Bei Gitti und Iris sieht man im Hintergrund die Sonne durchs Fenster lachen, bei uns hingegen donnert es gerade wieder: Draußen braut sich was zusammen. In den zwei Tagen, die seit meinem Gespräch mit Finn vergangen sind, gab es ein Gewitter nach dem anderen. Die Luft ist ständig drückend und aufgeladen, und jeden Moment hat man das Gefühl, es könnte von Neuem losgehen. Bei uns im Tal ist das oft so, dass sich gegen Ende des Sommers die Gewitter häufen, aber dieses Jahr ist es extrem.

Würde Mom es erlauben? Gute Frage.

„So weit bin ich noch nicht“, antworte ich. „Ich weiß selbst noch nicht, ob es eine gute Idee ist.“

„Wie bitte?“ Iris sieht mich mit ihrem Wer-bist-du-und-was-hast-du-mit-meiner-Freundin-gemacht-Blick an. „Zwei Wochen Griechenland-Urlaub inklusive Delphin-Watching und der Finn deiner Träume? Was daran ist keine gute Idee? Das ist hollywoodreif! Und ich will dich spielen. Ganz offensichtlich wäre ich die bessere Besetzung.“

„Der Finn ihrer Träume studiert aber ab September in Amerika“, gibt meine Cousine Gitti zu bedenken. Da Iris den Platz direkt vor dem Bildschirm beansprucht, sehe ich nur einen Teil von Gittis Gesicht hinter Iris’ Schulter hervorschauen. „Und vierzehn Tage sind gerade genug Zeit, um sich so richtig zu verlieben.“ Sie gibt Iris einen Schubs. „Mach dich nicht so breit, Superstar!“

„Zeit, um sich richtig zu verlieben, ja“, meint Daisy mit einem Seufzer. „Damit man dann den Rest des Jahres so richtig schön leiden kann.“ Sie sitzt neben mir und sieht mich sorgenvoll an.

„Sagt Daisy, deren Freund bis auf weiteres in Afrika weilt“, meint Iris mit einem kleinen Grinsen, auf ihren Bruder Eric anspielend. Die neue Daisy hat nicht zuletzt auch bei Eric ziemlich Eindruck gemacht, in den sie schon seit Kleinmädchentagen verliebt ist. Gerade als sie es am wenigsten erwartete, hat er plötzlich begonnen, sie mit anderen Augen zu sehen. Plötzlich war sie mehr für ihn als bloß die Freundin seiner kleinen Schwester. Aber um herauszufinden, wie viel mehr, dafür fehlte es an der Zeit, bevor Eric nach Tansania geflogen ist, wo er ein halbjähriges Volontariat in einem Hilfsprojekt macht.

Daisy wird rot, was einen hübschen Kontrast zu ihren blauen Haaren schafft. „Es ist noch kein bisschen klar, ob Eric mein Freund ist“, sagt sie.

Ich unterdrücke ein Seufzen. Schließlich kenne ich diese Situation ziemlich gut. Ich könnte auch nicht sagen, was Finn und ich genau sind. Ich weiß nur, dass es perfekt ist, wenn wir zur selben Zeit am selben Ort sind.

„Aber wenigstens kommt er in absehbarer Zeit wieder“, holt Daisy mich aus meinen Gedanken, als hätte sie wieder mal darin gelesen. „Während Finn mehr oder weniger ein neues Leben in den USA anfängt. Und ich kenne Eric schon fast seit meiner Geburt. Rosa und Finn haben noch kaum Zeit miteinander verbracht.“