Kein Prinz ist auch keine Lösung - Chantal Schreiber - E-Book

Kein Prinz ist auch keine Lösung E-Book

Chantal Schreiber

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Beschreibung

Gwennie, Autorin romantischer Liebesromane und auch privat rettungslos romantisch, scheint nach vielen Liebespleiten endlich das große Los gezogen zu haben, inklusive Verlobungsring! Sogar Gwennies beste Freundin Kat, die größte Männer-Zynikerin aller Zeiten, ist mit Traummann Mike einverstanden. Doch da folgt der jähe Absturz von Wolke Sieben: Mike geht plötzlich ohne Angabe von Gründen auf Distanz, braucht mehr Zeit für sich und findet, dass alles zu schnell geht. Gwennie versteht die Welt nicht mehr, ist aber dennoch nicht bereit, Mike sausen zu lassen, immerhin hat eine Wahrsagerin ihr prophezeit, dass sie bald heiraten wird! Doch dann wird sie Zeugin, wie Mike eine andere Frau küsst ... Eine turbulente Komödie über die Liebe und kleine Missverständnisse mit großen Folgen. In den Nebenrollen: Ein ehemaliges Zirkuspferd, eine niedliche Nichte, ein Hund, der alles frisst und eine absolut unverkäufliche Immobilie.

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Seitenzahl: 328

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Inhaltsverzeichnis

Ein Versprechen / Ein Verrat

Verwicklungen

Schicksal

Ein Versprechen / Ein Verrat

KAT

Also, wenn ich das Telefon abhebe und ein Schluchzen höre, dann ist es meistens Gwennie. Und wenn Gwennie schluchzt, ist meistens ein Mann schuld. Obwohl sie überhaupt sehr emotional ist. Ich erinnere mich, dass sie mich einmal angerufen hat, als sie sich zu Hause King Kong angesehen hat, auf DVD.

Ich hebe ab.

Sie: schluchzt.

Ich: »Gwennie?«

Sie, schluchzt: »King Kong …«

Ich: »Komisch, da hätte ich eine tiefere Stimme erwartet.«

Sie: schluchzt.

Ich, seufzend: »Gwennie, warum siehst du dir aber auch so was an. Jeder weiß doch, dass der Affe und das Mädchen sich nicht kriegen.«

Sie, schluchzt: »Das ist es ja gar nicht! Aber King Kong sieht aus wie mein Opa! Und sie erschiehiehieiiiiiißen ihn …«

Also hatte irgendwie auch wieder ein Mann Schuld – wobei Gwennies Opa mit Abstand der Mann ist, mit dem ich in den letzten Jahren am wenigsten Probleme hatte.

Die Sache ist die: Gwennie ist eine hoffnungslose Romantikerin. Oder eigentlich eine hoffnungsvolle. Sie schlittert von einer Pleite in die nächste, männertechnisch gesehen, aber sie gibt niemals auf. Ihr Herz wird gebrochen, sie leidet wie ein Hund, vergräbt sich ein paar Wochen lang zu Hause und schreibt einen neuen Roman. (Gwennie schreibt Liebesromane, eine Reihe mit dem Titel Romantik für Fortgeschrittene – sie ist also berufsmäßige Romantikerin, sozusagen, natürlich nicht weniger hoffnungsvoll: Die Geschichten gehen immer gut aus.) Irgendwie fügen sich die Herzsplitter während des Schreibprozesses wieder zusammen, sie steigt wie der sprichwörtliche Phönix aus der Asche und ist bereit für die nächste große Liebe, der dann zumeist eine noch größere Katastrophe folgt.

Die Sache mit Mike hat sich eigentlich ganz gut angelassen – relativ gesehen. Also so, wie nach einer Serie von Totalschäden nur ein Blechschaden auch irgendwie was Positives hat. Womit ich sagen will: Mike ist eben auch nur ein Mann.

O-Ton-Gwennie: »Er ist ein Haupttreffer!« (Er ist nicht verheiratet.)

»Er lässt mir meinen Freiraum!« (Er hat eine eigene Wohnung.)

»Er ist echt witzig und intelligent!« (Er spricht in ganzen Sätzen.)

»Er trägt mich auf Händen!« (Man kann mit ihm Sex haben, der länger als zweieinhalb Minuten dauert.)

Okay, der Fairness halber will ich zugeben: er schien richtiggehend in sie verliebt zu sein. Er hat ihr Blumen geschenkt, sie in tolle Lokale ausgeführt, ihr Komplimente gemacht, sie permanent angestarrt, als wäre sie so was wie ein Weltwunder – ich hab anfangs sogar gedacht, mit seinen Augen stimmt was nicht. Ich gestehe, dass ich ihn wirklich einigermaßen witzig fand – vielleicht eine Berufskrankheit bei ihm, immerhin arbeitet der Mann in der Werbung. Aber hey, woher auch immer er es hat, es kann helfen, die langen Winterabende zu überstehen, die unweigerlich kommen, wenn die Romantikbrille etwas von ihrem Rosastich eingebüßt hat. Als die beiden die Sechsmonats-Schallmauer durchbrochen hatten (gewöhnlich beginnt spätestens nach drei Monaten das Ernüchterungs- und Schmerzritual), rief Gwennie mich erstmals vor Glück heulend an. Er hatte ihr einen Ring geschenkt, und sie hörte die Hochzeitsglocken bimmeln. Und ich freute mich für sie und dachte, es ist also tatsächlich möglich, »den Richtigen« zu finden. Zu voreilig, wie sich schnell herausstellte.

Denn kaum prangte der Ring an Gwennies Finger, verwandelte sich ihr Prinz im Fast-forward-Tempo in einen Frosch. Es war geradezu unheimlich, wie plötzlich das geschah: Auf einmal rief er nicht mehr so regelmäßig an. Sagte Verabredungen in letzter Sekunde ab. Musste an den Wochenenden arbeiten. Man kennt das ja.

Irgendwann kam der erste Heulanruf wegen Mike, weil er sie zum dritten Mal en suite versetzt hatte. Da hab ich gewusst, das ist der Anfang vom Ende.

Gwennie ist allerdings anderer Meinung. Sie hat immer für alles, was er tut oder nicht tut, eine plausible Entschuldigung. Eine schwere Woche, eine schwere Grippe, eine schwere Kindheit. Irgendwas passt immer. Unmöglich, ihr den Typen auszureden. Nicht nur deshalb, weil sie wirklich wahnwitzig in ihn verknallt ist und die beiden offensichtlich nach wie vor grenzgenialen Sex haben, wenn er dann doch mal auftaucht (ich bleibe allerdings bei der Hurra-es-dauert-länger-als-zweieinhalb-Minuten-Theorie – Gwennie ist einfach zu anspruchslos), sondern auch und vor allem wegen Frau Laura.

Frau Laura ist Wahrsagerin, und Gwennie würde Frau Lauras Fürze in einer Flasche auffangen und anbeten, wenn das möglich wäre.

Gwennie: »Frau Laura hat mir Mike vorausgesagt, das weißt du doch.«

Ich: »Wie, sie hat dir einen Rohrkrepierer mit Bindungsängsten vorausgesagt?«

Gwennie: »Nein, einen großen, dunklen Mann mit blauen Augen in einer verantwortungsvollen Position!«

Ich: »Das könnte auch ein Kaminfeger sein, der häufig in Schlägereien verwickelt ist und beim Sex gern oben liegt!«

Gwennie: »Kat!«

Ich: »Na, wenn’s wahr ist! Das war vor einem Jahr! Vielleicht solltest du dir von der Frau mal ein Arschloch-Update holen!«

Woraufhin sie mich sofort aus der Leitung warf, um Frau Laura anzurufen. Das war vor drei Tagen.

Und jetzt hebe ich ab, und Gwennie heult.

»Was ist los? Hat er dich schon wieder versetzt?«

»(Schluhuchz) Nein, es ist wegen Frau Lauhuhuhuhura!«

»Was hat sie dir vorhergesagt? Eine Ménage à trois mit Donald Trump und Vladimir Putin?«

»Nein, sie ist im (schluhuchz) Krahankenhaus!«

Nach einer Weile bekomme ich aus Gwennie raus, dass Frau Laura in ihrem Weinkeller von einer herabfallenden Flasche 98-er Cabernet Sauvignon getroffen wurde. Es kommt ihr nicht in den Sinn, die Fähigkeiten einer Wahrsagerin anzuzweifeln, die die bevorstehende Kollision der eigenen Schädeldecke mit einer Weinflasche nicht vorhersehen kann. Meine Frage, ob die Weinflasche gerettet werden konnte, geht in ihren Schluchzern unter.

Es stellt sich allerdings heraus, dass Gwennies Schmerz nur zum Teil auf Mitgefühl beruht. Vor allem bringt die Tatsache, dass ein Ende von Frau Lauras Krankenstand noch nicht abzusehen ist, sie so aus dem Gleichgewicht. Wo sie doch gerade jetzt so dringend eine makellose rosarote Zukunft braucht!

Aber Frau Laura hat eine schwere Gehirnerschütterung und eine Wunde am Kopf, die mit zwölf Stichen genäht werden musste. Sie bleibt zur Beobachtung mindestens eine Woche im Krankenhaus, und am Telefon hat sie nur schwach gemurmelt, dass sie momentan nichts sehen könne. Was mich persönlich überhaupt nicht überrascht, denn seit sie im Krankenbett liegt, ist sie notgedrungen trocken, und ihre Sehkraft funktioniert wohl nur, wenn der Wein innerlich angewendet wird, nicht äußerlich.

»Der Typ drückt sich. Bindungsängste, was weiß ich. Mit dem stimmt was nicht. Zuerst große Liebe, Herzen in den Augen, Wolken unter den Füßen, dann schenkt er dir einen Ring, und – päng – das war’s mit der Seifenblase. Ich sag dir, und zwar ganz ohne Kristallkugel: Lass ihn sausen!«

»Ich liebe ihn, das weißt du ganz genau.«

»Das sagst du immer.«

»Diesmal ist es anders!«

»Das sagst du auch immer!«

»Kat, wenn du eine Beziehung vorweisen kannst, bei der es mindestens ein gemeinsames Frühstück gab, dann nehme ich gern Ratschläge von dir an!«

Hab ich schon erwähnt, dass Gwennie biestig werden kann, wenn man ihr ihre aktuelle große Liebe ausreden will? Tatsache ist, dass Beziehungen nicht so mein Ding sind. Nicht, dass das immer so gewesen wäre. Ich war fast sieben Jahre lang mit jemandem zusammen. Es war eine von diesen »Nicht-ohne-den-anderen-können-immerschon-vorher-wissen-was-der-andere-sagen-will«-Kisten. Bis er mir eines Tages nach einem Ikea-Besuch eröffnete, dass er neuerdings ohne mich erstaunlich gut könne, allerdings nicht ohne eine gewisse Blondine, die er auf einem Seminar kennengelernt hatte.

Da ich davon ausgehen konnte, dass er wie immer schon vorher wusste, was ich darauf zu sagen hatte, sagte ich gar nichts, fuhr rechts ran, warf ihn zusammen mit Helmer, Billy, Freja und Lillberg an der Bundesstraße aus dem Auto und fuhr weiter.

Ich habe nicht geweint, keine Selbsthilfebücher gekauft und mir die Haare nicht abschneiden lassen.

Allerdings war ich seither nicht mehr bei Ikea. Gwennie meinte, ich sei traumatisiert und solle zu einer Therapeutin.

Ich dagegen meine, ich habe das ideale Mann-Frau-Verhältnis entdeckt. Ich habe mich damit abgefunden, dass jeder Mann so ein fieses kleines Alien-Monster in sich hat, das in einer Beziehung mit einer Frau sofort wächst und gedeiht, und irgendwann kotzt er es einem auf den Teller. Der Trick besteht also darin, nicht so lange zu warten.

»Wie du meinst«, sage ich also zu ihr, »aber ich wette, spätestens übermorgen heulst du wieder seinetwegen.«

»Das tu ich sicher nicht, denn übermorgen fahren wir übers Wochenende weg!« Triumph in der Stimme.

»Nein!«

»Doch! Er hat was Supersüßes gebucht, fünf Sterne mit tollem Essen, Himmelbett und Dampfbad. Ich glaube, er hat sich endlich wieder eingekriegt.«

GWENNIE

Kat ist die Beste. Nein, wirklich. So eine Freundin findet man unter Millionen nicht. Aber was Männer angeht, hat sie seit Ben einen Sprung in der Schüssel. Sie sieht in jedem Mann nur das Schlimmste und lässt keinen an sich ran. Nicht, dass sie keinen Sex hätte. Sie hat haufenweise Sex – für eine Nacht oder zwei Nächte, vielleicht sogar mal für sieben Nächte, aber die dürfen dann auf keinen Fall aufeinanderfolgen. Ich weiß nicht, ob es so ist, dass sie sich Männer aussucht, bei denen sie von vornherein ausschließen kann, dass sich mehr entwickelt. Oder ob sie immer dann verschwindet, wenn sich mehr zu entwickeln droht.

Eigentlich benimmt sich Kat den Männern gegenüber so ähnlich, wie meine Männer sich mir gegenüber benehmen. Vor Mike, natürlich. Dass es mit Mike anders ist, hab ich sofort gespürt.

Wir haben uns in einem Einkaufszentrum kennengelernt, auf der Rolltreppe. Ich fuhr hinauf, er fuhr hinunter. Mein Blick blieb an seinen Augen hängen, wirklich ganz erstaunlichen, strahlend blauen Augen. Er sah mich an, und es war, na ja, einer dieser Augenblicke, die man nie vergisst, als würde der Raum nicht existieren und die Zeit nicht weiterticken, als wäre alles, was in unser beider Leben während all der Jahre in jedem Augenblick passiert war, nur geschehen, um uns in diesem Moment zusammenzuführen.

Es war wirklich nur ein Augenblick, und dann war er auch schon wieder vorbei, denn wir fuhren ja in verschiedene Richtungen. Ich wünschte mir, meine Telefonnummer wäre mir auf die Stirn tätowiert und er hätte ein fotografisches Gedächtnis. Ich wünschte mir, die Auskunft hätte ein Büro mit Augenkarteien. Augen mit dazugehörigen Telefonnummern. Ich hätte seine Augen aus Hunderttausenden Augenpaaren herausgefunden.

Ich seufzte tief und ergeben und beschloss, alles dem Schicksal zu überlassen. Wenn das Schicksal uns zusammenbringen wollte, dann würde es das auch tun. Um auf Nummer sicher zu gehen, nahm ich aber doch sofort die nächste Rolltreppe nach unten, drängelte mich an allen Leuten vorbei und schubste beinahe einen Kinderwagen um, in der Hoffnung, ihn vielleicht noch abzufangen. Dann hörte ich eine Stimme, und ich wusste sofort, dass sie zu den unglaublichen Augen gehörte.

»Sie fahren in die falsche Richtung«, sagte die Stimme. »Schon wieder.«

Ich hörte auf zu drängeln und suchte seinen Blick. Er war auf der Rolltreppe nach oben.

Von diesem Moment an stand endgültig fest, dass das Schicksal für unsere Begegnung verantwortlich war. Kat meinte natürlich, wenn das Schicksal halbwegs intelligent wäre, hätte es uns beide auf dieselbe Rolltreppe gepflanzt. Aber darf ich mal fragen, wie ich dann genau in seine Augen hätte schauen sollen? Und wer weiß, ob zum Beispiel sein Hinterkopf dieselbe Wirkung auf mich gehabt hätte. Ich meine, jetzt, da ich seinen Hinterkopf näher kenne, mit den dichten, gewellten Haaren und diesen niedlichen kleinen Ohren, und jetzt, da ich weiß, wie gut er da in dieser Ohr-Haaransatz-Hals-Zone immer riecht … dieser spezielle Shampoo-Allure-Homme-Mike-Geruch … aber ich schweife ab.

»Champagnerbar, sechster Stock!«, rief ich.

»Schon unterwegs«, antwortete er. Und weil ich die Augen inzwischen schon genug bewundert hatte, konzentrierte ich mich auf sein Lächeln. Es war ein ganz besonderes Lächeln – mit nur leicht nach oben gekräuselten Mundwinkeln und etwas vorgeschobenem Kinn, ziemlich unwiderstehlich.

Und während ich so an ihn denke, wandert mein Blick zu dem glatten Weißgoldring mit dem Diamanten an meinem rechten Ringfinger.

Ich hatte wirklich keine Ahnung. Es war in unserer Lieblingspizzeria, dem Il Sestante oder Ilses Tante, wie wir es nennen. Mike hatte gerade den Kampf gegen eine riesige Pizza Sestante verloren und schob den Rest von sich weg. Ich hatte wie üblich nur eine Marinara. Aber mit extra Mais, extra Steinpilzen, extra Kirschtomaten und extra Pfefferoni. Ich war dabei, die verbliebenen Maiskörner gleichmäßig auf die restlichen drei Pizzastücke umzuverteilen. Aber nur aus kosmetischen Gründen. Ich war so satt, dass ich beinahe platzte und mein Magen wirklich allerhöchstens noch für eine klitzekleine Portion Profiteroles Platz hatte.

Mit diesem konzentrierten Blick, den er sonst immer nur aufsetzt, wenn jemand aus der Agentur anruft, holte er den Ring aus der Jackentasche und murmelte irgendwas von einer Schmuckkampagne und dass er sich nicht entscheiden könne, welches Modell er für die geplanten Anzeigen verwenden solle.

»Zeig mal her!«, hab ich gesagt, mir die Tomatensauce von den Fingern geschleckt und die Hand nach der samtbezogenen kleinen Schatulle ausgestreckt.

»Nein, nein, das mach wohl besser ich!«, hat er geantwortet und die Schatulle außer Reichweite gezogen. Ich dachte, er macht sich Sorgen, dass ich sie vollkleckere. Hab die Augen verdreht, weil er so pingelig sein kann, meine Hand mit der Serviette nachpoliert und über den Tisch gestreckt.

»Jetzt zeig schon!«

Er hat mir den Ring angesteckt, aber so, dass er von seiner Hand zunächst noch verdeckt war und nur er ihn sehen konnte.

»Ja, sehr schön. Den nehmen wir«, murmelte er zufrieden.

»Ich dachte, du willst meine professionelle Meinung hören. Also lass schon endlich sehen!«

Da ließ er meine Hand los, und ich sah mir diese funkelnde kleine Schönheit an meinem Ringfinger an. Ich geb’s ehrlich zu, es hat mir die Sprache verschlagen.

Er war traumhaft.

Ich holte tief Luft und sagte: »Er ist traumhaft.«

»Jaja«, meinte er beiläufig, »stimmt. Und er passt auch noch.«

»Ja, ganz genau sogar!«, seufzte ich und wollte ihn wieder vom Finger ziehen.

»Na, wenn er traumhaft ist und außerdem auch noch passt, dann solltest du ihn behalten!«

Ich starrte ihn an. Ich spürte förmlich, wie meine Augen plopp machten und ihm entgegenkullerten. Das Gefühl erinnerte mich an eine Szene in Grey ´s Anatomy. Der Patient hatte irgendein Problem mit dem Augendruck, und das Ganze sah gar nicht hübsch aus. Ich blinzelte also zweimal heftig, um meine Augen am Rausploppen zu hindern, und sagte heiser: »Was, einfach so?«

Er lachte. »Nein, natürlich nicht einfach so.« Ich muss ziemlich ratlos dreingeschaut haben, denn er lachte wieder, nahm meine Hand, beugte sich darüber und küsste meinen Finger knapp unterhalb der Stelle, wo der Ring saß. »Du müsstest mich schon heiraten, damit du ihn kriegst.«

Ich dürfte ein kleines bisschen geschrien haben. Kann auch sein, dass ich kurz in meinem Astralkörper fortgeschwebt bin oder so. Als ich zurückkam, herrschte jedenfalls Totenstille in dem Lokal, und alle Gäste starrten mich entsetzt an.

»Also?«, sagte Mike, ungerührt angesichts der Aufmerksamkeit, die wir erregt hatten. »Willst du den Ring nun oder nicht?«

»Ja«, sagte ich, »ich will!« Und fing an zu heulen.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte besorgt ein breitschultriger großer Kerl vom Nebentisch.

»Ja!«, schluchzte ich. »In bester Ordnung!« Und zeigte ihm und seiner Freundin meinen Ring, während Mike um den Tisch herumkam und sich neben mich setzte, damit er den Arm um mich legen und ich in sein Hemd schluchzen konnte. Er hatte wohl vorausgeahnt, dass ich mich nicht so schnell wieder beruhigen würde. Er reichte mir nämlich ein Papiertaschentuch, winkte mit der freien Hand den Kellner herbei, bezahlte die Rechnung und half mir in den Mantel. An seinem Arm schwankte ich hinaus.

»Ich hätte sterben können«, flüsterte ich benommen. »Ich hätte vor lauter Schreck tot in meine Pizza knallen können.«

»Das wär blöd gewesen«, gab er zu. »Dann hätte ich eine andere Frau finden müssen, die in den Ring passt. Und ein neues Lieblingslokal.«

Da ich immer noch nicht gefasst genug war, um eine richtige Unterhaltung zu führen, plauderte er auf dem Weg zum Taxistand munter weiter.

»Ich hatte schon überlegt, ihn in deinen Profiteroles zu verstecken. Aber das Risiko, dass du ihn mitisst, ohne was zu merken, war einfach zu groß.«

Ich nickte verständnisvoll. Ich liebe Profiteroles. Wenn ich so überlege, war das der einzige Abend, an dem ich Ilses Tante verließ, ohne welche gegessen zu haben. Aber ich stand ja unter Schock. Profiteroles! Ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum manche Menschen diese herrlichen, vollkommenen, mit Schokosauce überzogenen Brandteiggebirge beim Essen in so viele hässliche Häppchen zerteilen. Eine der Kugeln sind genau zwei Mundvoll. Nicht mehr und nicht weniger. Mikes Bedenken waren also durchaus berechtigt. Bei dem Gedanken, dass ich meinen Ring hätte aufessen können, kamen mir gleich wieder die Tränen.

»Ich liebe dich!«, schluchzte ich.

»Und ich liebe dich«, sagte er, kräuselte die Mundwinkel und schob das Kinn ein wenig vor. »Auch wenn du natürlich eine elende Heulsuse bist.«

Und dann küsste er mich.

Das war vor sechs Wochen und vier Tagen.

Und vor sechs Wochen und zwei Tagen hat er mir am Telefon erklärt, dass wir nichts überstürzen sollten. Dass er ein bisschen mehr Zeit für sich brauche. Dass wir einander unbedingt genug Freiraum lassen müssten. Zwei Tage später hat er mich versetzt – zum allerersten Mal, seit wir uns kennen.

Die nächsten drei Dates hat er auch abgesagt, wegen der Kampagne, für die er gerade arbeitet. Er will plötzlich nicht mehr bei mir übernachten, sondern »in seinen eigenen vier Wänden aufwachen«. Man muss sich das vorstellen: Wir haben absolut genialen, den Gleichgewichtssinn vernebelnden, alle physikalischen Gesetze aufhebenden Sex, er sieht mich an, ich weiß genau, dass er eine Millisekunde davor ist, »Ich liebe dich« zu sagen – und dann kriegt er plötzlich diesen gehetzten Blick, als wäre irgendwas Ekliges mit mehreren Köpfen und rasiermesserscharfen Zwölf-Zentimeter-Klauen hinter ihm her, springt aus dem Bett, murmelt was von »morgen früh raus« oder »Unterwäsche vergessen« und haut ab.

Kat meint, er hat einfach Angst gekriegt und ist noch nicht bereit zum Heiraten. Aber warum hat er mich dann gefragt? Hat ihn doch keiner gezwungen. Ich hatte noch nicht mal daran gedacht! Na ja, das ist vielleicht nicht die allerreinste Wahrheit. Ein paar kleine Szenen waren mir vielleicht hin und wieder durch den Kopf gehuscht: wie ich einer blumengeschmückten, von sechs Schimmeln gezogenen Kutsche entsteige, in einem Traum aus weißem Seidensatin, wie ich eine verzierte Voliere öffne und hundert weiße Tauben in den blassblauen Frühsommerhimmel fliegen lasse – oder wie ich vor dem Altar stehe und der Pfarrer sagt: »Sie dürfen die Braut jetzt küssen.« Mike hebt meinen Schleier hoch, ein Lächeln kräuselt seine Mundwinkel, und seine Lippen nähern sich unter dem Applaus der Menge (nur die fünfhundert allerengsten Freunde und Verwandten) den meinen – solche und ähnliche sehr vage Bilder waren vielleicht hie und da vor meinem geistigen Auge aufgetaucht, aber das hat nur mit meinem Beruf zu tun. Davon leben schließlich meine Romane. Ich muss mir so was vorstellen.

Was ich eigentlich sagen will: Manche Leute sind jahrelang zusammen, ohne dass das Thema Heiraten auf den Tisch kommt. Und ich hätte keine Eile gehabt, wirklich nicht. Diese sechs Monate bis zu dem Antrag waren die glücklichsten meines Lebens, und wir hätten von mir aus noch dreimal so lange so weitermachen können, ohne Trauschein, Kutsche und Tauben.

Warum also? Warum schenkt er mir aus vollkommen freien Stücken einen Ring und macht mir einen Antrag, um schon zwei Tage später einen Sicherheitsabstand einzuhalten, als wäre ich eine mordlustige Gottesanbeterin?

Warum verhält er sich manchmal ganz normal, genauso süß und aufmerksam, wie ich ihn kenne – und dann, so plötzlich, als hätte er sich selbst bei etwas Verbotenem ertappt, wird er von einer Minute zur nächsten kühl, distanziert, unnahbar?

Beziehungsgestörte Männer sind mir ja nichts Neues. Ich könnte ein Buch über sie schreiben. Ich könnte, aber ich kann nicht, weil die nicht in meine Romanreihe passen. Meine Leserinnen wollen nur über zwei Arten von Männern lesen: über sexy Schurken und sexy Helden. Beziehungsgestörte Normalos haben sie schließlich zu Hause. Von denen wollen sie ja gerade abgelenkt werden.

Also wie gesagt, ich kenne das. Aber Mike ist nicht so. Mike ist gefestigt, erfolgreich, selbstbewusst, liebevoll, kreativ und hat weder Probleme mit seiner Männlichkeit noch damit, seine Gefühle zu zeigen.

Ein Traummann eben. Auch wenn Kat was anderes sagt.

KAT

»Die Kunes will das Haus noch einmal sehen? Sie hat es sich schon viermal zeigen lassen! Einmal musste ich um fünf Uhr morgens aufstehen, weil sie sich überzeugen wollte, ob sie vom ostseitigen Balkon aus wirklich den Sonnenaufgang sehen kann!«

»Oh, Kat!« Carola sieht mich unter ihren frisch gestrafften Lidern hervor mitfühlend an. »Ich weiß. Ich hätte das wirklich zu gern für Sie übernommen. Aber ich kann nicht. Ich bin den ganzen Nachmittag beim Steuerberater.«

»Schon wieder? Diese Steuererklärung wird teurer als die Steuern.«

Wahrscheinlich ist Carola höchstens den halben Nachmittag beim Steuerberater. Es ist ja schließlich nur ein Jahresabschluss, den er fertig kriegen muss, nicht Krieg und Frieden. Danach hat meine Assistentin garantiert noch Zeit für Nagelstudio, Sonnenstudio und Figurstudio. Aber was soll’s. Sie mag vielleicht eine vierundfünfzigjährige Tussi mit einer Neigung zu Schönheitsoperationen, Bleistiftabsätzen, Nahtstrumpfhosen und offenherzigen Tops sein – aber sie ist ein Lottogewinn am Telefon. Carola ist durch absolut nichts aus der Ruhe zu bringen. Ich habe sie mit unverändert höflicher Stimme innerhalb einer Stunde dreimal den Unterschied zwischen Brutto- und Nettomiete erklären hören.

Demselben Anrufer.

Sie bleibt gleichbleibend freundlich zu Nervensägen aller Kategorien. Sie hört geduldig den Schnorrern zu, die um den Preis eines Zweimannzelts den Buckingham Palace angeboten bekommen und sich beschweren, dass St. James’ Park nicht im Preis mit drin ist.

»Imbach-Immobilien, einen wunderschönen Tag, was kann ich für Sie tun?« Carola neigt den Kopf und blickt mit großen, interessierten Augen vor sich hin, als könne der Anrufer sie sehen. »Ja, selbstverständlich kenne ich die genaue Adresse des Objekts.« Pause. Aha. Wieder einer von denen. Carola erkennt an einem nicht näher zu beschreibenden Flackern in der Stimme Spione unseriöser Immobilienbüros. Die wollen die genaue Adresse eines Objekts rauskriegen, um sich an den Besitzer heranzumachen und ihm anzubieten, es um die halbe Kaution zu verhökern.

»Sie möchten also gern einen Besichtigungstermin vereinbaren?«, fährt Carola mit einem so reizenden Tonfall fort, als wäre der Anrufer ihre innig geliebte Erbtante. »Ich kann Ihnen morgen elf Uhr oder um fünfzehn Uhr anbieten. Ich würde Sie dann an der Ecke … o bitte, gern. Es war mir eine Freude. Auf Wiederhören.« Das passiert ständig, und sie hat sich noch nie geirrt. Die von ihr als Spione Identifizierten beenden immer sofort das Gespräch, wenn sie die Adresse nicht ausplaudert. Ihr Schönheitsprogramm sei ihr also vergönnt. Meinetwegen auch während der Arbeitszeit.

»Sonst noch was außer der Kunes?«

»Um halb vier will ein Herr Nieberger die Coudenhove-Villa sehen.«

Das auch noch! Das hat sie absichtlich mir zugeschoben! Sie weiß, wie ich die Coudenhove-Villa hasse. Sie ist das ständig präsente Mahnmal meiner Selbstüberschätzung; ich hätte sie in Wahrheit niemals übernehmen dürfen. Diese Villa ist das schwarze Schaf unter meinen Objekten. Ich versuche bereits seit über einem Jahr, sie an den Mann zu bringen. Zweimal ist die Besitzerin schon mit dem Preis runtergegangen, aber dadurch ist sie nicht attraktiver geworden. Nicht die Besitzerin (obwohl es auf die auch zutrifft), sondern die Villa. Das Schönste daran ist unsere Anzeige: Geräumige Architektenvilla, BJ76, 4SZ, zentrale Küche, romantisches Extrazimmer mit Gartenzugang, Wohnsalon, 2 Bäder, 1 WC, 1 Herrschaftstoilette; Garten mit altem Baumbestand. Das Ding wurde von einem angeblichen Architekten gebaut, der es auch selbst bewohnte. Ich unterstelle dem Mann einen tief sitzenden Hang zur Selbstbestrafung. Es ist ein vollkommen reizloser grauer Bunker mit zu kleinen und zu wenigen Fenstern. Die Raumaufteilung ist schlicht schwachsinnig – unter anderem kann man keines der Schlafzimmer erreichen, ohne durch die Küche zu gehen (zentrale Küche). Die Veranda im Wohnzimmer hat eine geschlossene Glasfront zum Garten, aber ohne Terrassentür. Der einzige Weg hinaus führt durch die Besenkammer neben der Küche (romantisches Extrazimmer). Die Toilette im Erdgeschoss ist ein fünf Meter langer und zwei Meter breiter Raum, braun gefliest (Herrschaftstoilette). Wenn man nach einem Marathonmarsch durch deprimierendes Ocker/Marone-Mosaik endlich das WC erreicht hat, muss man unweigerlich wieder umdrehen, um zu checken, ob die Tür auch wirklich abgeschlossen ist. Ich habe noch nie eine so vollkommene Kombination von Hässlichkeit und Fehlplanung gesehen wie unter diesem Dach.

Ach ja, der alte Baumbestand: In dem verhältnismäßig kleinen Garten stehen drei riesige Tannen, die einander und dem Haus jegliches Sonnenlicht wegnehmen, was zusätzlich zum Charme des Anwesens beiträgt. Kurz gesagt: Das Ding ist absolut unverkäuflich, und ich hasse es, meine Zeit damit zu verschwenden. Ich bohre wütende Blicke in Carolas Rücken und will sie schon fragen, ob sie eigentlich mal überlegt hat, sich die Nasolabialfalte unterspritzen zu lassen. Zufällig weiß ich, dass sie dafür erst letzte Woche ein halbes Monatsgehalt auf dem Altar ihres Lieblings-Chirurgen geopfert hat.

Aber so grausam bin ich dann doch nicht – nicht einmal mit der Aussicht auf einen Besuch in der Coudenhove-Villa.

Ich seufze tief und nehme den Nachmittag in Angriff. Also zwei Termine noch. Napoleon wird ungeduldig werden. Napoleon ist sozusagen der Mann in meinem Leben. Er ist groß, dunkel und sehr kräftig. Seine wallende Mähne reicht fast bis zum Boden, und er steht auf Cornichons und Maiskolben. Er ist ein acht Jahre alter Friesenwallach, den ich selbst zugeritten habe.

Napoleon und Gwennie. Ein Freund zum Zuhören, eine Freundin zum Reden. Und ab und zu ein Typ für zwischendurch, schließlich will man nicht unbedingt auf Sex verzichten, nur weil man ansonsten männliche Gesellschaft recht entbehrlich findet.

Ich weiß gar nicht mehr, warum ich je geglaubt habe, einen Mann in meinem Leben zu brauchen. Maßlos überschätzte Spezies, finde ich.

Drei Stunden später bin ich endlich auf dem Weg zum Reitstall. Die Kunes wollte feststellen, ob man den als Hobbykeller für ihren Gatten geplanten Raum schalldicht auskleiden könne. Er ist in der Midlife-Crisis und hat sich gerade ein Schlagzeug gekauft. Was natürlich besser sei als etwa eine zwanzigjährige Blondine, daher wolle man Gott für kleine Gefälligkeiten dankbar sein und dem Mann seinen Spaß lassen, nicht wahr, was meinen Sie, Frau Imbach?

Wenigstens hat sie dann endlich unterschrieben. Halleluja! Und sie bedauert sehr, dass wir uns nun nicht mehr sehen werden, ob ich vielleicht Lust hätte, mal auf ein Tässchen Tee und ein Schwätzchen vorbeizuschauen? Um ein Haar hätte ich laut losgeschrien.

Der Coudenhove-Termin war noch schräger. Herr Nieberger. Ein Mann Mitte fünfzig, hager, mit Hut. Schreitet systematisch jeden Winkel dieses schrecklichen Baus ab, eine halbe Stunde lang, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Grüßt (wortloses Anheben des Hutes) und geht.

Na ja, Hauptsache, ich hab’s hinter mir. Es ist Freitagabend, und Napoleon wartet. Es wird schon dämmrig, für einen Ausritt reicht es also nicht mehr, aber ich kann noch für eine Stunde mit ihm in die Halle, dann hat er ein bisschen Bewegung – und ich auch.

Er ist auf der Koppel und kommt mir sofort entgegengetrabt, als ich ihn rufe. Er ist einfach prachtvoll. Sein dunkles Fell glänzt (zumindest auf der Seite, mit der er nicht im Schlamm gelegen hat), seine Mähne schwingt bei jeder Bewegung – und wie er den Kopf hält! Mit dem warmen Gefühl, das bei diesem Anblick in mir aufsteigt, kann kein Mann konkurrieren. Der Stress des langen, mühsamen Tages fällt von mir ab.

»Na, mein Großer!«, begrüße ich ihn. In diesem Moment klingelt mein Handy, und ich weiß einfach, dass es nichts Gutes ist.

Ein Blick aufs Display. Gwennie. Einen Augenblick lang spiele ich mit dem Gedanken, das Handy einfach wieder in die Tasche zu werfen. Napoleon schnaubt ungeduldig, und ich tätschle ihm den kräftigen Hals.

»Dauert nicht lange, mein Süßer. Aber wir können doch Gwennie nicht hängen lassen, oder?« Napoleon schnaubt wieder, diesmal zustimmend, und ich hebe ab.

Gwennie schluchzt. Herzzerreißend. Ich weiß sofort, was los ist, lange bevor sie einen zusammenhängenden Satz herausbringt. Mike hat das Wochenende abgesagt. Und sie hat sich so viel davon erhofft. Blöder Scheißkerl. Hab ich eine Wut auf den Typen. Sie sind doch alle gleich, einer wie der andere.

»Lass ihn endlich sausen, Gwennie!«

»Aber (schluchz) ich liebe ihn doch!«

»Du bist todunglücklich, die ganze Zeit! Wirf ihn raus! Achtkantig! Jetzt! Sofort!«

»Aber (schluchz), es muss doch einen Grund geben, warum er so ist!«

»Ja, Schatz, es gibt einen Grund: er ist ein Mann. Und die guten sind ausgestorben. Wenn es sie überhaupt jemals gegeben hat. In dem Fall war Gary Cooper der letzte.«

»Aber (schluchz), vielleicht gibt es einen anderen Grund. Und ich muss ihm Zeit geben, sich zu öffnen.«

»Gwennie, Schatz …«

»Vielleicht hat die Trennung von seiner Ex ihn so sehr verletzt, dass er nun Angst hat, sich fallen zu lassen …«

»Gwen, hör auf, diese therapeutischen Bücher zu lesen! Genauso gut könntest du Luftballonfiguren aus deinem Gehirn formen.«

»Vielleicht hat es mit seiner Mutter zu tun. Vielleicht musste er ihr am Totenbett versprechen, niemals zu heiraten.«

»Weil er auch im Jenseits nur Mamis Liebling sein darf. Ja, genau. Das ist es. Du hast das Geheimnis gelüftet.«

»Oder vielleicht ist es noch was Schlimmeres. Vielleicht hat er eine unheilbare Krankheit und will deshalb nicht, dass ich mich an ihn binde.«

»Gwen?«

»Ja?«

»Hör auf! Hör auf, deine Zeit zu verschwenden mit diesem verantwortungslosen, unzuverlässigen Idioten, der nur mit deinen Gefühlen spielt. Mike ist kein bisschen besser als die anderen. Er hat es nur geschafft, sich etwas länger zu verstellen.«

»Ich liebe ihn aber!«

»Der Satz kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Wenn doch nur Frau Laura wieder gesund wäre! Ich brauch so dringend ihren Rat!«

»Ich habe einen Rat für dich! LASS-IHN-SAUSEN!«

»Frau Laura hat immer irgendwas Tröstliches gesagt!«

»Für hundert Euro sagt dir jeder was Tröstliches!«

»Du nicht!«

»Nein, ich bin eine sadistische alte Hexe, die nicht mal für viel Geld was Nettes sagt. Deshalb magst du mich so.«

»Ach, Kat! Ich weiß ja, dass du mir nur helfen willst. Auf deine Art.«

»Hab ich es schon gesagt? Lass ihn sausen!«

»Mach’s gut, Kat.«

»Lass ihn sausen!«

»Ich leg jetzt auf.«

»Ja. Und dann lass ihn sausen!«

Tuuut, tuut, tuut.

Mann, wie das nervt. Ich bin ihre beste Freundin, und sie hört einfach nicht auf mich. Wenn Frau Laura ihr sagen würde »Lass ihn sausen!«, dann müsste er sich aber beeilen, um noch rechtzeitig vor seiner Zahnbürste und seinem schottischen Whisky unten zu sein.

Frau Laura müsste man sein. Verdammt.

Etwas blinkt hinter meiner Stirn auf wie ein Lämpchen.

Frau Laura müsste man sein! Genau!

Napoleon schubst mich ungeduldig, aber ich muss heute noch einen letzten Anruf tätigen, bevor ich das Handy endgültig abschalte.

»Carola, hallo, wo stör ich Sie denn? Im Sonnenstudio? Tut mir leid, aber es ist wichtig. Ich brauche unbedingt die Nummer dieser Freundin von Ihnen, die neulich da war … ja, die … genau. Hat sie derzeit eigentlich gerade ein Engagement? Nein. Super. Ich meine, vielleicht hab ich einen Job für sie. Okay. Danke. Schönen Abend noch, Carola.«

Wär ja noch schöner, wenn ich meiner besten Freundin nicht zu helfen wüsste.

GWENNIE

Sonntagabend. Na also. War ja gar nicht so schlimm. Ich hab das Wochenende überstanden.

Ich habe sogar drei ganze Kapitel von Hohe Zinnen – lange Schatten geschrieben. Baronin Richtfelsen intrigiert gegen Sophie, die schöne Dorflehrerin. Sie versucht, Sophie und ihren Sohn Vincent auseinanderzubringen, und der böse Plan scheint aufzugehen. Sie hetzt ihr einen gut aussehenden und gerissenen Anwalt auf den Hals, der behauptet, Vincent wolle Sophie um das Vermögen bringen, das ihr zusteht. Außerdem buhlt er mit teuflischem Charme um ihre Gunst, was die Baronin wiederum mit gespielter Besorgnis Vincent erzählt.

Ich bin darauf gekommen, dass Liebesromane (genau wie Liebesfilme) immer einem bestimmten Schema folgen, meine machen da keine Ausnahme. Es ist, grob gesagt, eine Gliederung in drei Teile. In Teil 1 spielen zumeist ein Versprechen und ein Verrat eine wichtige Rolle, wobei das Versprechen von Held oder Heldin gegeben wird, der Verrat aber auch von einer dritten Person ausgehen kann. Mit dem Verrat sind wir dann schon am Übergang zu Teil 2, den Verwicklungen, die sich so gestalten müssen, dass das Ende völlig offen bleibt. In Teil 3 heißt es dann: Auftritt Schicksal. Etwas geschieht, das jeden der Akteure zwingt, Farbe zu bekennen, und was zusammengehört, findet zusammen.

Ich bin momentan an jener Stelle, an dem das Verwirrspiel seinen Höhepunkt erreicht hat und man aufpassen muss, keinen der einander überkreuzenden Fäden aus den Augen zu verlieren. Ist der diabolische Anwalt vielleicht gar nicht so diabolisch? Spielt er das Spiel der Baronin nur mit, um Sophie beschützen zu können? Ist Vincent, der junge Baron, nur das unschuldige Opfer oder das willige Werkzeug der Intrigantin? Kann und will er den Reizen der ehrgeizigen Turnierreiterin Gilda von Gunnersbach widerstehen? Weiß er, dass ein Teil seines Vermögens eigentlich Sophie zusteht? Oder lässt seine Ränke schmiedende Mutter es nur so aussehen?

Noch ist alles möglich. Noch liegt in meiner Hand die Entscheidung, ob Sophie am Schluss den dunkelhaarigen Anwalt mit dem markanten Kinn oder den blonden Baron mit den sanften braunen Augen in die Arme schließen wird. Ob der lustige Butler die schrullige Schuldirektorin auf den Ball begleitet. Ob die Schuldirektorin, die für Sophie wie eine Mutter ist, auf dem Ball eine Herzattacke erleidet und an ihrem Krankenbett der eine oder andere sein wahres Gesicht zeigt. Ob in der Nacht ein Gewitter aufzieht, ein Blitz einen Baum fällt und dieser Baum auf ein fahrendes Auto stürzt, in dem ein geheimnisvoller Fremder gerade noch dem Tod entrinnt.

So viel Verantwortung!

Ob die Frauen, die im Bus auf dem Weg zur Arbeit, in der Mittagspause, am Sonntagnachmittag (wenn der Mann auf dem Fußballplatz ist) oder abends vor dem Einschlafen eins meiner Bücher aufschlagen, darin finden, was sie suchen, liegt einzig und allein bei mir. Und bis jetzt haben sie es offenbar gefunden – die Auflagen meiner Bücher sprechen, bei aller Bescheidenheit, für sich. Romantik für Fortgeschrittene habe ich auf Kats Rat hin schützen lassen. Die Reihe ist sozusagen mein Lebenswerk.

Was Romantik für Fortgeschrittene von anderen Liebesromanen unterscheidet? Das müsste man eigentlich meine Leserinnen fragen, aber ich glaube, die Antwort ist ganz einfach: Es ist der Witz. Meine Figuren lieben nicht weniger leidenschaftlich, hassen nicht weniger brennend und intrigieren nicht weniger heimtückisch als die in anderen Liebesromanen. Aber sie dürfen außerdem noch Humor haben. Und Sex natürlich. Nicht explizit, vulgär oder auch nur detailreich. Aber meine Charaktere sind keine Menschen ohne Unterleib. Das ist es eigentlich. Na gut, ich schmeichle mir auch, einen etwas anspruchsvolleren Stil zu haben als die Kolleginnen und Kollegen von der Kioskfraktion. Damit habe ich mir wohl auch verdient, dass meine Bücher einen liebevoll gestalteten, kartonierten Umschlag bekommen, statt eines Fotos zweier den Neunzigern entsprungenen Katalogmodels. Und natürlich schreibe ich die Dinger nicht am Fließband – es erscheinen zwei pro Jahr, nicht mehr und nicht weniger. Alle Faktoren zusammen bewirken offenbar, dass Romantik für Fortgeschrittene nicht verschämt im Wäscheschrank versteckt wird oder gleich nach der Lektüre im Frühzug unauffällig am Bahnhof im nächsten Altpapiercontainer landet.

Kat meint, ich hätte den salonfähigen Liebesroman erfunden. Und Kat hat meistens recht.

Drei Kapitel in zwei Tagen. Nicht schlecht. Herzschmerzen machen mich kreativ.

Ein Glück, dass ich wegen des anstehenden Kurztrips mit Mike schon vor dem Wochenende meine kleine Nichte Lucy gebeten habe, sich um Pegasus zu kümmern. Pegasus ist ein braun-weiß gescheckter Appaloosa, den ich vor vier Jahren einem Wanderzirkus abgekauft habe. Ich war damals gerade dabei, meinen ersten Bestseller zu schreiben – nur wusste ich natürlich noch nicht, dass es mal ein Bestseller werden würde. Er spielt im Zirkusmilieu, und ich besuchte zu Recherche-Zwecken die Vorstellung. Pegasus trat gemeinsam mit einem übergewichtigen Clown auf, der einen Cowboyhut trug. Der Clown kletterte auf verschiedenste Arten auf das Pferd, um dann immer wieder herunterzupurzeln. Ich glaube, der Blick, mit dem sich Pegasus zu dem Cowboyclown umdrehte, machte mich aufmerksam: intellektuelle Überlegenheit, gepaart mit Mitleid. Ich reite schon seit meiner Kindheit, hatte bis dahin aber noch nie ein eigenes Pferd, sondern war immer Mitreiterin gewesen. Mitreitgelegenheiten gibt es genug, die meisten Leute haben nur am Wochenende Zeit für ihre Pferde und überlassen es für einen Anteil am Einstell- und Futtergeld gern unter der Woche jemand anderem. Nun, jedenfalls war Cindy, mein letztes Mitreitpferd, zwei Monate zuvor fortgezogen, weil die Besitzerin geheiratet hatte. Ich vermisste Cindy zwar noch, aber über den ersten Trennungsschmerz war ich hinweg. Perfektes Timing also oder anders gesagt: Schicksal.

Ich hatte einen Logenplatz direkt am Manegeneingang. Als er dem Clown nach der Nummer aus der Manege folgte, machte Pegasus eine kleine Bewegung mit dem Kopf zu mir her und pflückte mir sanft, aber entschieden die Papiertüte mit den gebrannten Mandeln aus der Hand.

Definitiv Schicksal, keine Frage. Wir waren füreinander bestimmt. Am nächsten Tag zog der Zirkus weiter, und Pegasus blieb. Ich borgte mir Kats alten Trailer und bekam die Box neben Napoleon, die zufällig drei Tage zuvor frei geworden war. Schon wieder Schicksal.

Kat schüttelte nur den Kopf. »Und wenn ein Elefant sich deine gebrannten Mandeln geholt hätte? «

Natürlich gab es in dem Zirkus gar keine Wildtiere. Und heute hat Pegasus keinen größeren Fan als Kat. Außer Napoleon natürlich, die beiden sind beste Kumpels. Napoleon ist der Stärkste und der Herdenanführer. Pegasus steht unter seinem persönlichen Schutz, womit er in der Rangordnung ganz nach oben katapultiert worden ist. Napoleon ist also der Held, der Kraftmeier, der Anführer. Pegasus dagegen ist der Intellektuelle. Die Schiebehaken, mit denen die Boxen verschlossen sind, kriegt er mit links auf. Die Kiste mit dem trockenen Brot steht gleich gegenüber, und der Sack mit den Karotten lagert in der unversperrten Futterkammer. Pegasus teilt gern: er öffnet auch Napoleons Box. Der Stallbursche hat den Haken schon zusätzlich mit einem Seil fixiert, aber Pegasus öffnet auch Knoten. Derzeit gibt es Überlegungen, die Futterkammer mit einem Schloss zu sichern. Ich bin schon neugierig, wie rasch Pegasus rauskriegt, wie man einen Schlüssel umdreht.

Mike war ein einziges Mal mit im Reitstall, ich wollte, dass die beiden sich kennenlernen. Dummerweise hat Mike Panik vor Pferden – er kriegt schon Schweißausbrüche, wenn er nur die Titelmelodie von Black Beauty hört. Ich musste ihn beinahe mit Gewalt an den Koppelzaun schleifen. Dort stand er dann und beobachtete, wie ich Pegasus begrüßte und abschmuste. Damit er sich nicht ausgeschlossen fühlte, hab ich mich einmal zu Mike umgedreht, um zwischendurch auch ein bisschen mit ihm zu schmusen. Pegasus missbilligte diese Umverteilung meiner Aufmerksamkeit offenbar, denn als Mike, von mir ermutigt, nahe an den Zaun herantrat, rammte er ihn mit dem Kopf so heftig, dass Mike das Gleichgewicht verlor und in einer noch dampfenden Portion Pferdeäpfel landete. Natürlich konnte es sein, dass Pegasus Mike zur Begrüßung nur liebevoll schubsen wollte. Um ehrlich zu sein, hab ich auch versucht, Mike davon zu überzeugen, dass es so war. Selbstverständlich hat er mir kein Wort geglaubt – was wiederum für seinen Intellekt spricht. Von da an war jedenfalls klar, dass der Reitstall kein Bereich war, auf den sich unsere Beziehung erstrecken würde.

»Aber mit mir schläft sie!«, brüllte Mike Pegasus aus sicherer Entfernung an, bevor wir ins Auto stiegen, um heimzufahren. Der Stallbursche und eine Reitergruppe, die gerade von einem Ausritt zurückkam, lauschten interessiert.

Pegasus musterte Mike kühl, wobei sein Blick ganz offenkundig besonders lange an der rosafarbenen Jogginghose hängen blieb, dem einzigen Ersatz für die pferdemistverschmierten Jeans, den wir im Auto finden konnten. Dann wandte er Mike das Hinterteil zu.

Und ich verbrachte den späteren Abend damit, Mike zu beweisen, dass ich genügend Energie für ein Pferd und einen Mann hatte.

Das waren noch Zeiten. Kein Date ohne anschließenden Sex. Kein Sex ohne unmittelbar darauf folgendes nächstes Date.

Und jetzt? Das letzte Date ist über eine Woche her, und danach musste er nach Hause, »weil die Putzfrau in der Früh kommt«.