Für mich bist du ein Wunder - Andi Weiss - E-Book

Für mich bist du ein Wunder E-Book

Andi Weiss

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Beschreibung

In diesem Buch erzählen Menschen von Wundern, die sie erlebt haben. Manche trotzen den Stürmen des Lebens, versöhnen sich nach langem Streit oder entdecken "zufällig" ihren künftigen Lebenspartner. Da fällt eine Mauer und es geschehen Wende-Wunder ... Was alle Geschichten miteinander verbindet, ist die Hoffnung spendende Erfahrung, dass Menschen über sich hinauswachsen können und Gott die Fäden in der Hand hält. Alle Erlebnisse zeigen, dass das Leben unerwartete, wundersame Wendungen nehmen kann. Auch dann, wenn manches aussichtslos schien.

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Über den Herausgeber

Andi Weiss ist auf zahlreichen Konzerten und Veranstaltungen als Songpoet und Geschichtenerzähler unterwegs. Die andere Hälfte seiner Zeit berät und begleitet er als Coach und Logotherapeut Menschen in Krisensituationen und unterstützt Firmen in der Förderung ihrer Führungskräfte. Auch als Buchautor hat er sich bereits einen Namen gemacht. Von der renommierten Hans-Seidel-Stiftung wurde er mit dem „Nachwuchspreis für Songpoeten“ ausgezeichnet.

Andi Weiss ist verheiratet und lebt mit seiner Frau Martina und seinem Sohn Emil Leo in der Nähe von München. Er engagiert sich für die Hilfsorganisation Opportunity InternationalDeutschland.

Mehr Informationen über den Autor und Künstler finden Sie unter www.andi-weiss.de

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Ein Wort zuvor….

Mensch, wie ich dich bewunder

Die Liebe spricht für sich

Keine Herzensverhärtung feststellbar

Wenn ich das gewusst hätte

Gesegnet um zu segnen

Leid und Sinn

Das Lied vom Zaun

Ein Überfall in der Sandgrube

Das Geschenk

Freude verstehen – auch wenn das Leben nicht so läuft

Der Koffer

Der Pitbull

Das Wunder im Wohnzimmer

Bethlehem im Ruhrgebiet

Es war einmal an einem warmen Sommertag

Die Macht der Schwachen

Hans

Getragen

Gottes Augenzwinkern

Licht in der Dunkelheit

Die stillen Wunder im Leben

Wie die Träumenden

Wir dürfen wissen, es kommen wieder gute Tage …

Das Großstadtwunder

Wenn andere an dich glauben, wenn du selbst es nicht kannst

Schogetten in der Zone

Der Mut eines Einzelnen

Psalm 91

Du bist für mich ein Wunder

Die Reise zu mir selbst

Wessi und Ossi glücklich vereinigt

Tabea, unser Wunder

Mein Mann – mein Wunder

Mein blondes Wunder

Auf der Bahnsteigkante des Lebens

Ein Zuhause in Gott

Geschenke des Himmels

Eine Liebeserklärung

Eine Einladung mit Folgen

Du bist mein Wunder

Der Mantel meines Vaters

Im Dialog die Wunder entdecken, die das Leben schenkt

In alle Ewigkeit

Schmerz lass nach!

Ein Wort zuvor….

Wun·der

Wúnder/

Substantiv, Neutrum [das]

außergewöhnliches, den Naturgesetzen oder aller Erfahrung widersprechendes und deshalb der unmittelbaren Einwirkung einer göttlichen Macht oder übernatürlichen Kräften zugeschriebenes Geschehen, Ereignis, das Staunen erregt; ein Wunder geschieht, ereignet sich

etwas, was in seiner Art, durch sein Maß an Vollkommenheit das Gewohnte, Übliche so weit übertrifft, dass es große Bewunderung, großes Staunen erregt; „die Wunder der Natur“

Liebe Leserin, lieber Leser! Herzlich willkommen in diesem wunderbaren Buch!

Hier erzählen ganz unterschiedliche Menschen von ganz unterschiedlichen Wundern. Da finden zwei Menschen nach einem Streit wieder zueinander. Da fallen Mauern. Da trotzen Menschen den Stürmen des Lebens und andere entdecken „zufällig“ ihre zukünftigen Lebenspartner und mit ihnen die kleinen und großen Wunder des Alltags.

Was alle Geschichten miteinander verbindet, ist die wundersame Erfahrung, dass Menschen über sich hinauswachsen können. Viele verschiedene Begebenheiten und Erlebnisse, die zeigen, dass das Leben unterwartete, wundersame Wendungen nehmen kann. Auch dann, wenn Situationen schon längst aussichtslos schienen.

Ich bin ehrlich zu Ihnen. Mir fiel es schwer, auch übernatürliche Heilungswunder in die Geschichtensammlungen mit aufzunehmen. Und trotzdem finden sich in diesem Buch Geschichten, die auch von Heilungen erzählen. Seit vielen Jahren begleite ich Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen. Viele von ihnen haben mir von ihren Heilungswundern erzählt. Was für ein Geschenk, wenn ein Mensch trotz schwerer Krankheit wieder gesund wird! Aber ich habe in den vielen Jahren noch mehr Menschen kennengelernt, die genauso gehofft, geglaubt, gebetet und gekämpft haben. Menschen, die trotzdem gestorben sind, die trotzdem keine Kinder bekamen oder die trotzdem nicht geheilt wurden – obwohl sie fest daran glaubten. Manchmal werden Menschen gesund und manchmal nicht, auch wenn ihnen der Glaube an Gott und die Hoffnung auf Heilung gemein ist. Ich kenne auch viele Menschen, die an diesen Grenzen des Lebens nicht mehr glauben können, dass da ein Gott ist, der sie liebt. Wer könnte das nicht nachvollziehen? Und trotzdem will ich an Gott festhalten – trotzdem. Weil ich glaube, dass Gott schon immer an mir festhält – trotzdem. Weil ich glaube, dass Gott da ist. Bei und für jeden Menschen. Unabhängig davon, ob unsere Gebete nach unseren Vorstellungen erfüllt werden oder nicht. Nein, ich glaube nicht, dass Gott am Schalter sitzt, den einen heilt, weil er es „verdient“ hat, und den anderen nicht. Aber ich glaube, dass – egal was passiert – selbst im größten Leid, Leben gestaltet werden kann. Ich glaube, dass wir nicht alleine sind und deshalb Grenzen überwunden werden können. Wunder geschehen, wenn es gelingt, dass zwei Menschen wieder aufeinander zugehen. Wunder geschehen, wenn Gottes Liebe Menschen dazu bringt, im dunkelsten Tal mutig weiterzugehen. Wunder geschehen aber auch dann, wenn Menschen Frieden finden, indem sie sich nicht zufriedengeben mit ihrer Situation.

Sicher erinnern Sie sich an den Moment, in dem der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 30.9.1989 auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag in wenigen Worten die Reisefreiheit für alle Bürger der damaligen DDR verkündete. Der darauf folgende Schrei der vielen Menschen, die sich unter dem Balkon versammelt hatten, geht mir noch heute tief unter die Haut. Es ist ein Schrei der Befreiung. Ein Triumph. Gewaltlos und doch so gewaltig wurden Grenzen gesprengt.

„Mit allem haben wir gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten. Sie haben uns wehrlos gemacht“, sagte der ehemalige Vorsitzende des DDR-Ministerrates Horst Sindermann, als die Mauer fiel. Gebete geben Kraft. Gebete machen Mut. Gebete sind trotzig – weil sie sich nicht einfach abspeisen lassen und weil sie an eine doppelte Kraft erinnern: Sie ringen, bitten, schreien, kämpfen – im Wissen um die versprochene Nähe Gottes und der eigenen Lebensverantwortung. Thomas von Aquin hat gesagt: „Für Wunder muss man beten. Für Veränderung muss man arbeiten.“ Widerspricht sich das nicht? Ich glaube, nein. Martin Luther ergänzt: „Ich muss heute viel arbeiten – also muss ich heute viel beten“.

Es ist das trotzige „DOCH!“ des Lebens. Die Hoffnung, die antreibt. Das Wissen: Ich bin für mein Leben verantwortlich – aber ich bin damit nicht alleine. Wenn ein Mensch sich seines „Selbst“ bewusst wird. Wenn ein Mensch begreift, dass sein Leben ganz im Hier und Jetzt, aber auch weit über dieses gegrenzte Leben hinaus eine Bedeutung hat. Dann, wenn ein Mensch weiß, dass er mehr wert ist, als er vielleicht gerade sehen kann. Dann, wenn ein Mensch trotz seiner verfahrenen Lebensgeschichte wieder Leben gestalten kann. Dann entstehen die großen und kleinen Wunder, die das Leben so bedeutsam machen.

Mich bewegt die Geschichte einer Frau, die zu ihrem Seelsorger geht. Sie erzählt ihm aus ihrem Leben. Ein dunkles Leben. Eine schwierige Kindheit, eine noch schwierigere Jugend. Als sie am Ende angekommen ist, sagt sie: „Verstehen Sie mich jetzt? Verstehen Sie, warum ich mich selbst nicht lieben kann? Verstehen Sie jetzt, warum ich mich so schmutzig und so wertlos fühle?“ Der Seelsorger nimmt daraufhin einen Geldschein in die Hand und fragt: „Was ist denn dieser Geldschein wert?“ Die Frau antwortet: „50 Euro – steht doch drauf!“ Dann nimmt der Mann den Geldschein, zerknüllt ihn und macht Risse rein. Er wirft ihn auf den Boden und tritt darauf herum. Anschließend hebt er den Geldschein wieder auf, zeigt ihn erneut der Frau und fragt: „Was ist der Geldschein denn jetzt wert?“ Mit Tränen in den Augen antwortet die Frau: „50 Euro“.

Was hält Sie davon ab, die vielen Wunder in Ihrem Leben zu entdecken? Sind es die Enttäuschungen und Verletzungen Ihres Lebens? Momente, die uns die positive Sicht auf das Leben verdunkeln, weil wir fest davon überzeugt sind, dass es im Leben ja sowieso nicht weitergeht? Sind es die Momente, in denen Menschen an Ihnen schuldig geworden sind? Und Sie fragen sich schon seit so vielen Jahren, wann diese Wunden endlich aufhören wehzutun, und wann diese Verletzungen endlich heilen dürfen? Vielleicht sind es aber auch die Momente ihres Lebens, in denen Sie schuldig geworden sind. An Gott? An anderen Menschen? An sich selbst? Und vielleicht fragen Sie sich schon so lange, wie es Ihnen trotzdem gelingen könnte, Ihr Leben zu gestalten? Vielleicht leiden Sie gerade unter einer schweren Krankheit? Und immer, wenn Sie sich anschauen, wenn Sie in den Spiegel schauen, Ihren Körper, Ihr Leben sehen, dann sehen Sie so viele Argumente, die dagegensprechen, dass Sie es wert sind, geliebt zu werden. Nicht von Gott, nicht von anderen Menschen und schon gar nicht von sich selbst?

Sie sind doch nicht nur Ihre Krankheit! Sie sind doch nicht nur Ihre Lasten, Ihre Sorgen, Ihre Wunden oder Verletzungen. Sie sind doch so viel mehr! In Ihnen liegt ein gesunder, ein heiler Kern. Im Psalm 139 lesen wir, wie Gott sich schon vor unserer Geburt kreative Gedanken gemacht hat, mit welchen großen Schätzen er uns ausstattet. Sie sind wunderbar gemacht! Und diesen Schatz kann Ihnen niemand nehmen, niemand kaputt machen oder stehlen. Sie sind ein Wunder!

Vielleicht sehen Sie gerade nur Ihre Traurigkeit, Ihre Wunden, Ihre Verletzungen, Ihre Einsamkeit, Ihre Arbeitslosigkeit, Ihre Sorgen, Ihre Ängste. Sie sind ein geliebtes Kind Gottes! Sie sind mehr als alles, was Ihnen den Grund zum Leben nimmt. Sie sind größer als Ihre Angst. Mehr als Ihr Körper! Mehr als Ihre Erfolge und Niederlagen! Wachsen Sie über sich hinaus! Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr Leben! Gestalten Sie Ihr Leben und feiern Sie die grenzenlosen Möglichkeiten, die Ihnen jeder neue Tag schenkt! Schauen Sie zurück auf Ihr Leben und entdecken Sie, was Sie schon alles geleistet haben, und dann schauen Sie in den Spiegel und sagen sich: „Ja, ich bin ein Wunder!“ Wer diesen heilsamen Blick auf sich selbst lernen darf, der kann dieses Geschenk auch heilsam weitergeben und auch zu seinem Mitmenschen sagen: „Für mich bist du ein Wunder!“

Bleiben Sie behütet!

Ihr

Andi Weiss

Mensch, wie ich dich bewunder

Mensch, wie ich dich bewunder,

wie ich täglich staune,


wie du dein Leben denkst.

Und Mensch, trotz alter Wunden

hast du dich neu erfunden,


weil du täglich kämpfst.


Es gäb so viele Gründe aufzugeben,

doch dich kann nichts zerstörn.


Trotz aller schweren Schwierigkeiten

wirst du nicht aufhörn.

Mensch, da waren ohne Ende Schrecken,

du wolltest dich nicht verstecken,


hast dich dem Leben präsentiert.

Mensch, dir wurde viel entgegnet,

es hat so oft geregnet,


doch du hast triumphiert.

Jetzt bist du an dem Punkt,


du schaust zurück, die Welt schaut zu.

Du hast so viel geschafft, und jetzt –

mach du nur weiter so!

Für mich bist du ein Wunder,

weil du mich verwunderst,

wie du dein Leben meisterst,

und wie du dich festhältst.

Und mitten im „Land unter“,

machst du die Welt noch bunter,

beweist mir, wie du stehst

und wie du dein Leben lebst,

dass es trotzdem weitergeht.

Mensch, trotz aller Widrigkeiten

siehst du die guten Zeiten


und lässt die Glut noch glühn.

Und Mensch, trotz vieler schwerer Worte,

hast du doch deine Orte


und lässt dort deine Blumen blühn.

Jetzt bist du an dem Punkt:


Du schaust zurück, die Welt schaut zu.

Du hast so viel geschafft, und jetzt –

mach du nur weiter so!

Andi Weiss

„MENSCH, WIE ICH DICH BEWUNDER!“

aus der CD: „GIB ALLES, NUR NICHT AUF!“

© T. und M.: Andi Weiss ©

www.andi-weiss.de

Die Liebe spricht für sich

Auf den ersten Blick wirkt die Mutter von Caro ein bisschen so, wie ich mir als Kind eine Hexe vorgestellt habe. Tiefliegende, dunkle Augen unter der gerunzelten Stirn fixieren mich misstrauisch. Sogar das spitze Kinn passt in mein Bild. Nur der Besen fehlt. Dafür hat sie aber eine hohe, schrille Stimme. Diese bohrt sich in mein Ohr, während sie alle Schandtaten und Verfehlungen von Caro aufzählt und allen Ärger, den sie andauernd und immer und immer wieder mit ihrer Tochter hat. Diese sitzt still da und blickt aus dem Fenster. Einige Male – zu Beginn war sie noch wütend geworden – hatte sie versucht, sich zu verteidigen. Inzwischen hat sie aufgegeben. Vorübergehend. Gerade erzählt die Mutter, Caro quäle nun schon den Hund, sie schlage ihn und trete nach ihm. Ich sehe Caro an. Sie schaut weg. Tränen füllen ihre Augen. „Kein Wunder, wenn ich sie dann mal härter anfasse. Ich kann nicht mehr. Ich kann für nichts garantieren. Das nächste Mal schmeiße ich vielleicht den Stuhl nach ihr.“ Eine wütende, verzweifelte Hexe. Ohne Besen zum Glück. Wir vereinbaren, dass es eine Pause braucht. Nach vielen gescheiterten Versuchen des Zusammenlebens wollen beide erst mal Ruhe voneinander. Caro geht vorübergehend in eine Einrichtung, in der Kinder wohnen, die in der selben oder einer ähnlichen Situation sind. Sie kommt weiterhin jede Woche zu mir, sie wirkt entlastet. Es geht ihr gut. Heute trifft sie zum ersten Mal in der Therapiesitzung auf die Mutter. Wir haben eine gemeinsame Stunde vereinbart. Wie Fremde sitzen sie sich gegenüber. Die Mutter ist gekränkt. „Da geht’s dir jetzt wohl besser, weil du da alles darfst, oder?“ Jetzt ist gut, Frau Hexe. Wir sind immerhin heute hier, um „Psychokram“ zu machen. Also: Auf geht’s! Ich habe ein neues Spiel. Es heißt Gefühlspantomime. Einer zieht eine Karte, verdeckt. Ich erläutere: „Darauf sehen Sie ein Bild von einem Menschen, der irgendein Gefühl ausdrückt. Das spielen Sie nach. Und wir müssen raten, was es ist. Sie fangen an, okay?“ „Okay.“ Die Hexe zieht „glücklich“. Immerhin mimt sie so, dass wir es erraten. Und sogar noch lachen. Es läuft gut. Ich ziehe „wütend“. Auch meine Darbietung kommt gut an, das Gefühl scheint aber unter den Anwesenden auch bekannt zu sein. Jetzt kommt Caro. Sie nimmt die Karte. Sie spielt. Und spielt. Was macht sie denn da? Steht in der Ecke und guckt traurig zu ihrer Mutter. Spielt sie überhaupt noch? Es dauert ewig. Keiner sagt was. Irgendwann sage ich: „Ich komm nicht drauf.“ Ihre Mutter, ganz leise und ruhig, sieht sie an und flüstert: „Ich weiß es“. Caro wartet. Die Mutter flüstert: „Vermissen?“ Caro nickt. Ich bin raus. Lange sitzen beide aneinander geschmiegt, ohne zu sprechen. Die Liebe spricht für sich.

Martina Weiss, Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche, Jahrgang 1978

Keine Herzensverhärtung feststellbar

Wenn man bei ihnen im dritten Stock klingelte, bewegten sich parterre die Gardinen. Schritte schlurften herbei, die schrundige Holztür des abgerockten Mehrfamilienhauses öffnete sich, eine grimmige Frau musterte einen geringschätzig und keifte dann ins Treppenhaus hinauf: „Euer Westbesuch ist wieder da!“

Wenn ich – etwa alle eineinhalb Jahre – das junge Theologiestudentenpaar im Osten Berlins besuchte, unterhielten wir uns oben in ihrer Mansardenwohnung im stickig warmen Geruch aus Braunkohle-Ofen, Plastik-Bodenbelag und F-6-Zigaretten, nur leise und lieber bei laufendem Rasierapparat oder Fön. Die Bude war verwanzt. Eine Concierge als Spitzel im Hauseingang genügte der Staatssicherheit nicht.

Das Wunderbare an diesen Freunden in der DDR: Man konnte mit ihnen offen über die gegenseitige Schenkerei sprechen: Natürlich freuten sie sich über Kaffee, Südfrüchte, schicke Klamotten, verbotene Bücher und Schallplatten. Aber: Der staatlich verordnete Mangel machte sie zu artig dankbaren Kindern und mich zum gönnerhaften West-Weihnachtsmann. Diese schiefe Ebene der Beziehung rückten wir gemeinsam radikal waagerecht. Dass ich unter westdeutschen Bedingungen keineswegs reich und sie gemessen am Niveau ostdeutscher Lebenshaltungskosten keineswegs arm waren – das mussten wir einander nicht beteuern, das sahen wir ein in Gesprächen über Neid, Gier, Statussymbole, Stolz, Ehrgefühl, Scham, Arroganz, Unterwürfigkeit. Es waren geradezu pfingstliche Verständigungswunder, politische Versachlichungswunder, persönliche Ehrlichkeitsmirakel. Es gab bewegende Gebete bei Tisch und berührende Gottesdienste in der Kirche. Als sie nach Ungarn in Urlaub fuhren, war ich mir sicher: Das wird ein Fluchtversuch. Sie wollen über Österreich rauskommen. Nein, der nächste Anruf kam wieder aus der Jungen Gemeinde in der gefährlich brodelnden und bröckelnden DDR. Ein Treuewunder, ein Solidaritätswunder, ein Mutwunder:

Immerhin hatten am 4. Juni 1989 die regierenden Kommunisten in Peking rund 3.000 Demonstranten mit Panzern niedergewalzt, und es war nicht ausgeschlossen, dass die SED-Chefs in Berlin dasselbe tun würden.

Dann fiel die Mauer. Dann fiel die Ostmark. Dann fiel die Treuhand ein und über alles her. Dann fielen die Masken. Und in vielen Kirchen fiel vieles aus. Opfer und Mittäter waren schwer zu trennen, Wendeverlierer und Wendegewinner gab es in denselben Familien.

Mir fielen die Vorurteile auf: Einst hochwillkommene Weihnachtsmänner aus dem Schlaraffenland waren jetzt beargwöhnte Raubritter aus dem Heuschreckenland. Einst geachtete Widerständler gegen die SED waren jetzt die ersten Übersiedler mit Reihenhaushälfte in Westfalen. Manche Friedensbeter und Kerzen-Demonstranten von 1989 richteten sich in heimlichem Selbstmitleid ein. Oder richteten ihre Enttäuschung gegen alle Wessis, die ja keine Ahnung hatten und nicht mitreden konnten und besser zu Hause geblieben wären und überhaupt…!

Im dritten Stock klingeln musste ich nicht mehr: Die Mansarde war nach Grundsanierung durch einen Investor unbezahlbar geworden für unsere Freunde. Die Stasi-Frau parterre war Sachbearbeiterin in einem Berliner Bezirksamt geworden, war also quasi in ihrer Branche geblieben. Die Junge Gemeinde gab es mangels junger Leute nicht mehr.

Das Wunder? Es begegnete mir in jenen DDR-Christen, die sich gerade nach dem Wendewunder der Herzensverhärtung widersetzten. Für sie, für etliche unserer Freunde „drüben“, fiel mir zehn Jahre nach dem Mauerfall ein Text ein. Johannes Nitsch hatte ihn vertont und Christine Rösch, Diakoniepfarrerin in Radebeul bei Dresden, gesungen:

Wir mussten uns so oft verweigern,

zunächst und allererst dem Neid.

Man wusste uns den Frust zu steigern

und auch die Minderwertigkeit.

Und jeden Tag „was willste machen“

und jedes Jahr „so ist’s nun mal.“

Da klang es bitter, unser Lachen.

Die alten Witze klangen schal.

Sich der Erwartung nicht zu beugen,

stets arm und dankbar dazusteh’n,

vorm großen Mann den Kopf zu neigen

und dabei auch noch aufrecht gehn

war meistens schwierig, manchmal quälend.

Ein Hin und Her aus Stolz und Gier.

Das strengte an. Man fühlt sich elend.

Daran lief manche Freundschaft leer.

Wir mussten uns oft widersetzen

den Lügen und der Kumpanei

und jenen Ängsten, die uns hetzten:

Die große Chance sei vorbei.

Als nichts mehr ging und viele gingen,

gab Gott uns Kraft, nach Haus zu fahr’n

und nicht den Abgesang zu singen,

nein, auch die Hoffnung zu bewahr’n.

Wir weigerten uns auch zu glauben,

das Leben werde dadurch gut,

dass man sie schnappt, die sauren Trauben

und falschen Hasen aus dem Hut.

Dem faulen Zauber sich zu sperren,

dass nur wer hat, auch etwas ist –

fällt schwer unter den neuen Herren,

seit Habgier eine Tugend ist.

Lasst Euch die Herzen nicht verhärten

zur Zeit der Überheblichkeit.

Was wertvoll war, wird Gott bewerten

mit Gnade und Barmherzigkeit.

Dass Euch die Seele nicht verkrustet,

schafft Christus selbst, der in Euch wohnt,

von dem Ihr ahntet oder wusstet,

dass jeder Tag mit ihm sich lohnt.

Andreas Malessa,Theologe, Hörfunkjournalist, Buchautor, Jahrgang 1955, Hochdorf bei Stuttgart, www.andreas-malessa.de

Wenn ich das gewusst hätte …

Wenn ein Kind geboren wird, sich entwickelt und all das Gute und Schöne, das Gott in diesem neuen Menschen angelegt hat, zum Vorschein kommt, ist das immer ein Wunder – ein wunderbares Wunder geradezu. Erst recht, wenn direkt nach der Geburt festgestellt wird, dass der frische Erdenbewohner mit diversen Fehlbildungen zur Welt gekommen ist und sein Überleben und Entwickeln alles andere als sicher ist. So haben wir es bei der Geburt von Sohn 02 erlebt.

Seitdem spreche ich mit vielen Menschen über die schwierige, für uns emotional kaum fassbare Situation rund um Sohn 02. Es ist unfassbar, wie viele Menschen an uns denken, für uns beten, uns unterstützen und in aller eigenen Hilflosigkeit trotzdem signalisieren wollen: Ihr seid nicht allein. Das tut unglaublich gut. Vor Kurzem sagte in einem solchen Gespräch jemand zu mir: „Wenn ich vor der Geburt meines Kindes gewusst hätte, dass es so krank sein würde und was das dann konkret für Folgen hätte, dann hätte ich, glaube ich, lieber kein Kind bekommen.“ Da musste ich kurz drüber nachdenken …

Wenn ich vorher gewusst hätte, wie chronisch krank und dadurch behindert Sohn 02 werden würde … Wenn ich gewusst hätte, wie viel Mist, Schmerzen, Zwang und Angst er erleben und durchleiden muss … Wenn ich gewusst hätte, wie körperlich weh es einem tun kann, wenn das eigene Kind völlig unschuldig und unverdient leidet … Wenn ich vorher gewusst hätte, wie sehr das unser aller Leben bestimmen und prägen wird … Wenn ich gewusst hätte, was das alles kostet an Zeit, Kraft, Geld, wie groß der Strauß von Stilblüten deutscher Bürokratie werden wird, den wir quasi nebenbei so ansammeln … Wenn ich gewusst hätte, wie überfordernd das für jeden Einzelnen meiner Familie werden würde, ebenso wie für uns zusammen … Wenn ich gewusst hätte, dass Ärzte auch nur Menschen sind, Menschen, die ich in einem Moment bewundere und liebe, weil sie meinem Kind helfen, und Menschen, auf die ich manchmal Sekunden später zutiefst wütend bin wegen ihrer Kommunikationsunfähigkeit und ihren Beschränkungen in Diagnose und Therapie … Wenn ich gewusst hätte, dass meine Kraft, meine emotionale Belastbarkeit, mein Vertrauen in Gott, meine Ehe, mein Bild von mir als Vater, Ehemann, Glaubender und Mensch so stark gefordert werden würden, wie noch nie – oft über die Grenzen des bisher Vorstellbaren, manchmal über die Grenzen des eigentlich Möglichen hinaus …

Wenn ich vorher gewusst hätte, dass wir völlig unvorbereitet, im Nebel nach einem sicheren Grund stochernd, Entscheidungen treffen sollen, eigentlich müssen, uns dagegen sträuben und irgendwie doch auch wollen, die über Leben und Tod befinden … Wenn ich vorher gewusst hätte, dass ich irgendwann noch nicht einmal mehr weiß, für was ich konkret beten soll. Und Gott dieses Kind nur noch hinhalten und bitten kann: Mach es gut mit ihm – und lass uns nicht irrewerden daran … Wenn ich all das vorher gewusst hätte …

dann …

hätte ich im Ethikunterricht in der evangelischen Hochschule Tabor wohl (noch) besser aufgepasst, als es um Sterbehilfe und ähnliches ging. Gebracht hätte das zwar wahrscheinlich auch wenig, denn die theoretische Beschäftigung mit einem solchen Thema ist halt noch nicht mal das Abziehbild des Hauchs eines Dunstes einer Ahnung von dem, was es „in echt“ und wirklich bedeutet, wenn man es selbst durchlebt.

… hätte ich gehörig Angst gehabt, dann aber in typischer Selbstüberschätzung gedacht: „Das packen wir schon“ und wäre zur Tagesordnung übergegangen.

… hätte ich es wohl einfach nicht geglaubt – noch nicht einmal mir selbst.

Ist das nicht aber auch egal?

Doch ich habe das alles vorher nicht gewusst. Ich weiß auch nicht, wie alles weitergehen und welche Herausforderungen es weiter mit sich bringen wird. Ich kann nicht sagen, wie das Urteil von Sohn 02 zu der Frage ausfallen würde, ob er selbst lieber nicht geboren worden wäre, wenn …

Aber ich kann für mich mehr als deutlich sagen: Egal, wie (über-)anstrengend das alles sein mag. Egal, wie viel es mich persönlich kostet, diesen kleinen Mann durch sein bisher sehr unfreundliches Leben zu begleiten. Ich liebe diesen Minikerl. Und dieser Liebe ist es – immer wieder zu meinem eigenen Erstaunen – egal, wie hoch die Kosten sind. Sie freut sich am anderen und konserviert die schönen Momente und wunderbaren gemeinsamen Erlebnisse.

Wenn ich das alles vorher gewusst hätte! Ich wollte die Momente trotzdem nicht missen, wenn ich nach einem langen Tag nach Hause komme und Sohn 02 vor Freude nicht weiß, wohin mit sich, weswegen er gleichzeitig grinst wie ein Honigkuchenpferd, mit beiden Händen winkt und wild den Kopf schüttelt. Ich wollte die Momente nicht missen, zu erleben, wie sehr sich die beiden Brüder lieben. Wie sie es beide genießen, wenn wir als Familie zusammen sind und einfach Zeit haben. Ich möchte nicht verpasst haben zu erleben, wie sich Sohn 02 an mich kuschelt, wenn ich ihn auf den Arm nehme, weil er sich erschrocken, der Pflegedienst ihn geärgert oder der Arzt mal wieder erfolglos versucht hat, Blut abzunehmen. Oder wie Sohn 02 auf seine Weise und in seinem Rahmen die Welt entdeckt und freudig-stolz ist, wenn ihm etwas Neues gelingt …

Verrückt, oder?!

Das ist irgendwie verrückt. Ich weiß, was uns das alles bisher schon gekostet hat und kann nur erahnen, was es uns noch abverlangen wird. Rein vernünftig betrachtet … Aber der Liebe ist das ziemlich wurscht. Die freut sich lieber über alles Schöne, das da ist und ist gespannt, was wir noch zusammen erleben werden. Wie wir uns immer besser kennenlernen und unsere Beziehung (aus-)bauen können. Wie wir das Geschenk des anderen immer mehr als solches annehmen und feiern.

So sehr es aktuell vielleicht eher nach mieser Prognose und begrenzter Lebenszeit aussieht – die Liebe hat noch viel vor. Was für ein Wunder!

Ich freue mich darauf.

Heiko Metz, Theologe, Jahrgang 1978, Marburg

Gesegnet um zu segnen