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Sabine Schmidt

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Beschreibung

Eine Satire darüber, was Europa einmal war, was es geworden ist und was es sein könnte   Adam Benessere: erster Euroklon, was keine Hilfssprache darstellt, sondern einen neuen Europäer Paolo und Francesco: Erziehungshelden, die sich bereit erklärten, Adam nach Europäischen Richtlinien großzuziehen Sigrun Ahab: die Seewölfin, Retterin von Schiffbrüchigen aus aller Welt Die Dragqueen Zelenskaya: Präsidentin der Ukraine und Star des Filmfestivals von Cannes Wladimir der Schreckliche: Möchtegern Vernichter Europas Henriette Bärwolf: bärbeißige deutsche Außenministerin Bazooka Altmann: Kann die Stigmatisierte von Tirschenreuth den Frieden in Europa retten? Elli Fant: Gründerin der Lockdown-Partei Robert Hoppenheimer: weltbekannter Künstler; korrigiert das Jüngste Gericht von Michelangelo Iwan Eisenstein: Presse-Versprecher des Zaren Die Päpstin Franziska: bietet der Ukraine an, die Krim in den Vatikan zu verlegen Maxim Sergejewitsch Wawulin: Ukrainischer Schachweltmeister und Oberbefehlshaber des Schachehrenbataillons Gino Zoppi und Freddi Marx: Tour de France- Gewinner und Doppelspitze der Europäischen Radlerpartei: Sie treten rein, wo sie nur können

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Sabine Schmidt

Geboren in den Vereinigten Staaten von Europa

Eine Satire

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Der erste Europäer

Mein Name ist Adam Benessere und ich bin der erste Euroklon, eine ganz neue Spezies. Mein Vater, ein zum Stamm der Roma gehöriger hochgebildeter Nomade, steckte fünf verschiedene Eizellen von einer Italienerin, einer Deutschen, einer Engländerin, einer Dänin und einer Griechin, die er auf seinen Reisen hofiert hatte und die ihm zum Abschied jeweils dieses ganz persönliche Geschenk überlassen hatten, in eine Retorte, die er mit seinem Samen befruchten ließ. Heraus kam ich wie ein Kaninchen aus dem Zylinder.

Da mir mein Vater eine gute Erziehung zukommen lassen wollte - was sein Nomadenleben mir nicht ermöglicht hätte - warb er für mich und meine Adoption in einer Annonce im Darknet unter dem Titel „Erziehungshelden gesucht“.  Ihm schwebten dabei Paare vor, die auf natürlichem Weg keine Nachkommen haben konnten. Er betonte, dass für ihn nur Eltern mit herausragendem erzieherischen Engagement infrage kämen. Ob rechtmäßig verheiratet oder nur liiert, spiele keine Rolle. Er stehe gern für ausführlichere Informationen zur Verfügung.

Lieber Leser, Sie sehen, mein leiblicher Vater machte es sich nicht leicht, eine adäquate Familie für mich, seinen Sohn, den er für etwas ganz Besonderes erachtete, zu finden.

Die Kandidaten sollten bei Antritt der Erziehungsheldenerfahrung mindestens das 25. Lebensjahr und höchstens das vierzigste Lebensjahr vollendet haben. Als Preis winkte für die Auserwählten ein kleiner Junge – nämlich ich – mit äußerst begehrenswerten Erbanlagen: ein Kind mit typisch europäischem Erscheinungsbild, was es bis zu diesem Tag noch nicht gegeben hatte, denn Südeuropäer sahen völlig anders aus als Mittel- oder Westeuropäer. Mit mir betrat der klassische Europäer die Weltbühne, d.h. den Euro im Geldbeutel plus Wangenküsschen ab dem fünften Lebensjahr! Ein Mitglied der europiden Spezies wusste nicht genau, zu welchem Land sein Geburtsort gerade gehörte. Es hatte darüber hinaus im Laufe der Geschichte seinen Namen mindestens dreimal geändert. Mit der Hälfte seiner Familie konnte ein wahrer Euroklon nicht kommunizieren, außerdem orientierte er sich bei Google Maps an Fahrradreparaturwerkstätten statt an Landesgrenzen. Sobald diese weiter als 500 Meter entfernt waren, befand man sich außerhalb Europas, wo kaum Fahrräder genutzt wurden.

Die Sprache des Europäers weist eine stark atonale Melodie auf. Als Schüler ist er meistens sehr faul und auffällig, also kein Musterschüler, gibt nie sein Bestes, gibt leicht auf und hält nichts wirklich durch. Er hat große Kulleraugen, die für Offenherzigkeit stehen, und taucht in keinen Kriminalitätsstatistiken auf. Wenn man einem Europäer für etwas dankt, dann bekommt man als Antwort „keine Ursache“.

Ein Europäer nimmt nichts an, wie es ist, sondern meckert, dass sich die Balken biegen.

Wenn Rohstoffe vergeudet werden, herrscht das Prinzip „Recyceln, das sollen die anderen!“

Statt Folkloreabende feiern Europide in jedem Ort das Oktoberfest, wo Bier und Gemüsesuppe fließen.

Der Menschenrechtstag – die Ratifizierung der Grundrechte - wird jedes Jahr am 26. August begangen und erinnert an die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte durch die französische Nationalversammlung im Jahre 1789. Sie gilt als Meilenstein in der Geschichte der westlichen Demokratien und deshalb wird der 26. August als europäischer Nationalfeiertag angesehen.

Nach dieser kurzen Exkursion in die Entstehungsgeschichte der Vereinigten Staaten Europas wird der geneigte Leser schnell einsehen, dass meine Adoption für meinen Vater und jedes Bewerberpaar eine Win-Win-Situation darstellte.

Bei seiner Auswahl der geeignetsten Erziehungshelden für meine Wenigkeit berücksichtigte mein biologischer Vater erzieherische, finanzielle und gesellschaftliche Kriterien.

Nach akribischer Prüfung aller Bewerber fiel die Wahl meines Vaters auf ein Homoehepaar aus Turin - Francesco und Paolo Benessere, die für meine Aufzucht überdurchschnittliches Engagement zu investieren versprachen.

Sie lehrten mich die Kunst des Möbelrestaurierens und Latein, die Sprache ihrer glorreichen Vorfahren. Sie besaßen eine Werkstatt im ältesten Viertel von Turin, wo ich meine ersten Lebensjahre, herumkrabbelnd zwischen Fischleimtöpfen und handgefertigten eleganten Piemonteser Barockmöbeln, verbrachte. Die filigranen Holzeinlegearbeiten, die meine Homos in liebevoller Kleinstarbeit restaurierten, beschäftigten meine Fantasie in großem Ausmaß. Stundenlang konnte ich mich in die reichen Verzierungen aus Palisander- und Rosenholz vertiefen.

Francesco und Paolo waren beide sehr mütterliche Väter, die es mir an nichts mangeln ließen. Meine erste Erinnerung an sie betrifft ihren Erfindungsreichtum, als sie versuchten mich zum Essen zu bewegen, da ich ein sehr suppenkasperiges Kleinkind war. Meine beiden Homos waren Freeganer und pflegten eine aus einer abgöttischen Tierliebe geborene fleischfreie und leidfreie, auf weggeworfenem Gemüse und Obst basierende Ernährungsweise. Oft nahmen sie mich mit zu den Containern, wo sie Nahrung, deren Haltbarkeitsdatum bereits um etliche Tage überschritten war, aus dem Müll fischten.

Als ich wieder mal "nein, meine Suppe ess ich nicht!" schrie, nahm mich Francesco auf den Schoß und sagte:

"Kleiner Adam, diese Kartoffel fleht dich an: wirf mich nicht weg, such mein Schwesterchen!" Das überzeugte mich und ich aß mich durch den Suppenteller auf der Suche nach der verlorenen Kartoffel. Es kam mir so vor, als sei ich selbst diese kleine verwaiste Kartoffel, die verzweifelt nach ihrer Schwester suchte und sie nicht fand. Ich sog genussvoll den Duft des frisch gekochten Gemüses ein, das andere achtlos weggeworfen hatten. Zärtlich drehte ich es mit dem Löffel um, meinte ein kleines Gesichtchen zu erkennen, lächelte ihm freundlich zu und schaufelte es in meinen Mund, von wo aus es bald zu den anderen Geschwisterchen hinabrutschte, die es schon sehnsüchtig in meinem Magen erwarteten. Das war der Augenblick, wo ich hoffnungsvoll in Francescos Gesicht blickte. Gleich wird er mich liebevoll an sich drücken und mir zu verstehen geben, dass ich genug zu mir genommen hatte, und mich zu meinen Spielsachen entlassen.

"Siehst du, kleiner Adam, jetzt hast auch du eine Ahnung davon, was es heißt nach etwas für immer Verlorenem zu suchen."

Was habe ich denn für immer verloren, fragte ich mich, ohne eine Antwort zu finden.

Jeden Abend, nachdem Francesco und Paolo ihre Bottega abgeschlossen hatten, zogen wir zum Mülltauchen los, was dazu diente unser Abendessen zu besorgen. Sie zogen mir ein paar Gummihandschuhe über, setzten mir eine Stirnlampe auf und los ging's. Als erstes war der Abfallbehälter eines kleinen Supermarktes in der Nähe unseres Geschäfts dran. Paolo öffnete den Deckel des Containers und hob mich hinein.

"Schau mal, bei diesem Spinat ist das Mindesthaltbarkeitsdatum nur um drei Tage überschritten. Den kannst du ruhig mitnehmen", ermunterte mich Francesco. Ich tat, was er sagte und reichte ihm die gewünschte Packung.

"Davon mach ich uns eine leckere Torta Pasqualina", fügte er hinzu. Mir lief das Wasser im Munde zusammen und ich begann mich als Sammler seltener Leckereien zu fühlen. Aus einem Ei war eine gelbliche Flüssigkeit getreten, die eine Spur hinterlassen hatte. Ich folgte dieser Spur und traf kurz darauf auf eine Schachtel mit sechs Eiern, von denen drei noch völlig intakt waren. Stolz reichte ich Paolo meinen Fund, der die Eier sorgfältig in unserer Mülltauchertasche verstaute.

"Heute Abend sind sie jedenfalls noch ohne gesundheitliches Risiko genießbar", ließ Francesco verlauten. Zum Glück kannten wir alle drei keinen Ekel. Das vereinte uns.

Die Sättigung liegt im Dreck. Man muss sie nur entdecken und das Problem mit dem Verdienen des Lebensunterhaltes ist schon fast gelöst. So einfach war das für Francesco und Paolo, meine einfallsreichen Homos.

Zu Hause warfen wir nie etwas weg. Es hinterlasse Risse in der Seele, behaupteten meine beiden lieben Väterchen. Indem wir Weggeworfenes wiederverwerteten, gaben wir ihm einen neuen Wert.

Nach einer Stunde hatten wir außer den Zutaten für eine Spinattorte noch drei Äpfel und zwei halbausgetrunkene Flaschen mit Orangenlimonade gefunden. Zufrieden machten wir uns mit unseren Schätzen auf den Heimweg.