Gebrauchsanweisung für Zürich - Milena Moser - E-Book

Gebrauchsanweisung für Zürich E-Book

Milena Moser

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Beschreibung

Marmorwaschbecken in öffentlichen Toiletten, Designerstühle im Postamt und blitzsaubere Trambahnwagen mit eingebauten Zeitungsständern: Zürich ist eine Klasse für sich. Milena Moser, die in der Nähe des Bahnhofs Tiefenbrunnen aufwuchs und mehr als drei Jahrzehnte in Zürich lebte, stellt sich den typischen Klischees: dem Geld und dem Gold, den absurd hohen Preisen und den Steuerflüchtlingen. Sie spaziert durch die Altstadt und zum Zürichsee. Besucht Außenbezirke, die heute angesagt sind, und Lokale mit karierten Tischdecken, die früher als bünzelig galten, plötzlich aber sehr in sind. Erlebt Romantik und Hipster-WGs im Umkreis der Langstraße und bewegt sich auf den Spuren bekannter Krimihelden ebenso wie auf denen großer Psychoanalytiker.  

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Die Rechtschreibung folgt den in der Schweiz gebräuchlichen Schreibweisen mit ss statt ß.

ISBN 978-3-492-97157-7

Dezember 2015

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015

Coverkonzeption: Büro Hamburg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Covermotiv: Beachparty im Strandbad Enge (Alessandro Della Bella/Keystone/Laif)

Litho: Lorenz & Zeller, Inning a. A.

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Nicht cool genug für diese Stadt?

Zürich. Die Stadt, in der ich so lange gelebt habe, dass ich sie wie eine alte Verwandte behandle. Sie ist mir nah und fremd zugleich. Sagen wir, sie ist meine Tante – Tante Turica. Eine angeheiratete Tante, eine, die immer eine gewisse Distanz wahrt, die ihre Geheimnisse hütet. Bei ihr weiss ich nie so recht, woran ich bin. Sie zeigt mir nie, wie sehr sie mich mag, und ist doch immer für mich da. Jedes Mal, wenn ich sie besuche, habe ich den Eindruck, ich müsse erst einmal eine Prüfung bestehen. Ihr Blick wandert von meinen Füssen nach oben – das vergesse ich immer, sie hat sehr klare Vorstellungen von dem, was sie als passendes Schuhwerk bezeichnet. Ihr unbestechlicher grauer Blick ist gnadenlos wie das Licht in der Umkleidekabine einer teuren Boutique. Er bedeutet mir, dass ich nicht wirklich gut genug bin für sie. Nicht erfolgreich genug. Nicht genügend Geld habe. Nicht gut genug aussehe. Und am schlimmsten: nicht die richtigen Schuhe trage. Ich mache sie direkt für meinen Schuhtick verantwortlich. Doch so viele Paare ich auch im Schrank stehen habe, für Zürich sind es nie die richtigen. Ihre Augenbraue zuckt ganz leicht, vermutlich liege ich auch heute wieder knapp daneben. Gerade, als mich der Mut zu verlassen droht und ich mich frage, ob ich nicht lieber wieder gehen soll, nimmt sie mich in den Arm. Na ja, nicht wirklich in den Arm. Das ist nicht ihre Art. Sagen wir, sie legt eine kühle Hand auf meine Schulter und küsst knapp an meinen Wangen vorbei.

»Dann komm halt herein«, sagt sie. Aber so gut kenne ich sie dann doch, um zu wissen, dass das nun mal ihre Art ist, sich auszudrücken. Sie neigt nicht zum Überschwang. Ihr »komm halt rein« bedeutet so viel wie von anderen ein jubelndes »Da bist du ja endlich, lass dich umarmen!«

Und wirklich, ich kann mich nicht beklagen – ihr Empfang ist immer formvollendet und höflich. Sie bewirtet mich fürstlich, und sie sieht immer wahnsinnig gut dabei aus. Kein Haar am falschen Platz. Keine Laufmasche in den unsichtbaren Strümpfen. Sie sieht gut aus, aber schön ist sie nicht. Alterslos, perfekt, unangreifbar, unnahbar. Es dauert immer eine ganze Weile, bis sie auftaut. Doch irgendwann geht die Sonne unter, und der Tee wird kalt. Dann holt sie die Cognacflasche aus dem Schrank, und plötzlich zeigt sie eine andere Seite.

Sie flucht. Sie lacht. Und sie erzählt von früher… Und mit einem Mal verstehe ich sie besser.

Manchmal geht sie mir auf die Nerven. Manchmal lästere ich über sie. Aber wehe, jemand anderer kritisiert sie auch nur im Geringsten! Dann zeige ich sofort die Zähne. Denn das gebührt einem Aussenstehenden nicht, finde ich. Fauche ich. Und ich lege gleich los mit einem Vortrag über die Vorzüge dieser Stadt, über ihre Geheimnisse, über ihren unerwarteten Charme, die Überraschungen, die sie hinter einer spröden Fassade gekonnt versteckt.

Dieses Buch ist die lange Version dieses Vortrags. Wenn ich manchmal kritisch bin, dann vergessen Sie nicht: Ich darf das. Ich habe lange genug hier gelebt. Ich gehöre zur Familie. Und wenn ich hier und da ein klein wenig lästere, dann nicht, um Sie dazu aufzurufen, das auch zu tun – ganz im Gegenteil. Ich will Ihnen damit nur den Schlüssel zu dieser Stadt in die Hand drücken. Lassen Sie sich von ihrem abweisenden Gebaren nicht beeindrucken, will ich Ihnen sagen. Vertrauen Sie nicht unbedingt auf den ersten Eindruck. Zürich ist eine Stadt voller Widersprüche. Eine provinzielle Weltstadt. Eine bürgerliche Kulturmetropole. Ein unverschämt teures Pflaster, das seine grössten Schätze gratis anbietet.

»Zürich ist wie ein Versprechen, das nie eingelöst wird.« Das hat einmal eine Kellnerin zu mir gesagt, die aus einem Walliser Bergdorf in die Stadt gezogen war. Sie sprach immer noch in ihrem urchigen Dialekt, der selbst für Deutschschweizer schwer zu verstehen ist. Doch ich wusste genau, was sie meinte. Schliesslich war ich selbst mit dreizehn aus der Vorstadt in die Stadt gezogen. In die Stadt der uneingelösten Versprechen. Was hatte ich mir nicht von diesem Umzug erhofft!

Zürich, das war das Ende des Regenbogens. Das Zentrum der Coolness. Hier würde es bestimmt endlich losgehen mit dem wahren Leben, dem wilden. Seit einer Weile schon besuchte ich die Mittelschule in der Stadt, pendelte mit der Vorortbahn hin und her. Obwohl die Fahrt nur zwanzig Minuten dauerte, führte sie in eine für mich vollkommen andere Welt. Nein, schlicht in die Welt. Ich benutzte jede Gelegenheit, um länger zu bleiben, in Cafés herumzusitzen, in denen ich nicht wusste, was ich bestellen sollte, oder auf Treppenstufen zu sitzen und zu rauchen, wenn ich eigentlich in der Schule sein sollte. Im Schlepptau neuer Freundinnen wagte ich mich in die coolen Läden in der Altstadt und probierte Jeans an, die ich nicht kaufen durfte.

Kleider kaufen! Dafür war die Stadt immer schon da gewesen: Da war das traditionsreiche Warenhaus Jelmoli, in dem wir als Kinder zweimal pro Jahr neu eingekleidet wurden. Die Fahrt mit dem Auto, das Parkhaus, in dem mir immer mulmig wurde. Die Stadt war gross und grau und roch nach Abgasen. Das, und die Leute grüssten sich nicht auf der Strasse, wie es uns zu Hause und in der Schule eingeschärft wurde – notfalls riefen wir geistesabwesenden Erwachsenen hinterher: »Hey, grüezi säge!« In der Stadt hingegen beachtete einen niemand, das war gefährlich und gleichzeitig befreiend.

Als mein Vater auszog, zeigte sich dieser unverhoffte Silberstreifen am ansonsten eher tristen Horizont. Die Scheidung der Eltern bedeutete neben vielen anderen Veränderungen auch, dass wir umziehen würden: in die Stadt! Ich konnte es nicht erwarten. Doch dann stellte sich heraus, dass unser neuer Wohnort nur hundert Meter von der Stadtgrenze entfernt lag, dass mein Schulweg nicht etwa kürzer geworden war, nur einsamer, ohne meine Freundinnen in der Vorortbahn, ohne die hübschen Jungs im Raucherabteil, die wir durch die Trennscheibe verstohlen beobachteten. Überhaupt: Nichts von dem, was ich mir von dieser Stadt versprochen hatte, erfüllte sich. Zürich machte keineswegs eine andere aus mir. Ihre Coolness übertrug sich nicht auf mich, so verpasste ich zum Beispiel die sogenannte »Bewegung« der Achtzigerjahre, die Revolte meiner Generation. Als wäre ich nie da gewesen. Dafür wäre ich fast einer Sekte aufgesessen, die auf unsichere junge Mädchen spezialisiert war. Und ich kaufe bis heute die falschen Jeans. Erst mit den Jahren merkte ich, dass es den meisten Zürchern ganz genauso geht: Sie alle erhoffen sich von der Stadt eine Art automatisches Upgrade ihres Lebens – das die Stadt aber nicht erfüllt.

Ich habe Zürich erst wirklich verstanden, als ich die Stadt verliess. Erst als ich ein paar Jahre lang in San Francisco, der Hauptstadt der Uncoolen, gelebt hatte, deren Bevölkerung sich im Wesentlichen aus Menschen zusammensetzt, die in der Mittelschule ausgelacht und verprügelt wurden: Aussenseiter, Streber, Computernerds, Jungs in Stöckelschuhen, muskulöse Mädchen, Künstler, Spinner. Dort bewegte ich mich wie ein Fisch im Wasser. Doch ich kam weiterhin jedes Jahr für zwei Monate nach Zürich. Und erst, als ich die Stadt hauptsächlich von ihrer Sommersonnenseite erlebte, begann ich sie so richtig zu schätzen. Plötzlich sah ich sie mit neuen Augen, mit der naiven Begeisterung einer amerikanischen Touristin. »Schaut doch«, rief ich zur Verlegenheit meiner alten Freunde entzückt. »Schaut doch, wie schön es hier ist! Schaut, wie sauber und pünktlich alles!« Und damit meinte ich nicht nur ihre atemberaubende Lage, die ich immer für selbstverständlich genommen und gar nicht mehr beachtet hatte. Die Berge! Der See! Klares Wasser, in dem man schwimmen kann – vermutlich könnte man es sogar trinken, so sauber ist es. Gut gelaunte Menschen auf geschmackvollen Picknickdecken. Designer-Eis vom Handwagen. Und über allem wachen die immer noch schneebedeckten Bergketten. Die Postkarte lebt! Rote Marmorwaschbecken im öffentlichen Klo. Designerstühle im Postbüro, blitzsaubere Tramwagen mit eingebauten Zeitungsständern. Luxuriöse Bäderanlagen, wasserspeiende Drachen, Rutschbahnen für jedes Alter. Gut angezogene Menschen überall, keine hängenden Bäuche, keine weissen Turnschuhe weit und breit, ich war begeistert.

Kurz, eine prächtige Stadt. In der allerdings erschreckend schlechte Laune herrscht. Der überwältigende Anspruch, immer an vorderster Front der Coolness dabei zu sein und sich gleichzeitig diese Anstrengung nicht anmerken zu lassen, raubt der Bevölkerung den letzten Nerv. Unruhig flitzen ihre Augen hin und her: Wo ist es nun, das pralle, urbane Leben, wo findet es statt? Wo geht es ab? Der im Hinterkopf ständig präsente, nagende Verdacht, eben nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, verdirbt ihr die Laune. Dabei ist meine Tante Turica wie jede andere stolze, schöne Frau. Übereifrige Verehrer langweilen sie. Hechelnden Trendsettern verschliesst sie sich. Aber denen, die sich einen Deut drum scheren, wo »man« hingeht und was gerade »angesagt« ist, denen zeigt sie sich von einer ganz anderen Seite. Die, die sich nicht um sie bemühen, werden von ihrem stillen, aber auch leicht schrägen Charme überrascht.

Kurz, die Einzigen, die diese coole Stadt wirklich unbeschwert geniessen können, sind ironischerweise die Uncoolen, die sporadischen Besucher wie Sie und ich.

Alle Wege führen zum HB

Vergessen Sie den Flughafen. Der Flughafen Zürich, wie er nach einer Reihe unglücklicher Namen simpel heisst (»Kloten« bedeutet auf Holländisch »Hoden«, und »Unique« klang so sehr wie »Munich«, dass dem Gerücht nach diverse Taxifahrer mit ahnungslosen Gästen über die Grenze nach Norden gefahren sind). Der Flughafen Zürich also ist ein Transitflughafen, eine Durchgangsstation auf dem Weg nach anderswo. Nein, wer Zürich zum Ziel hat, kommt mit dem Zug an. Der Zürcher Hauptbahnhof ist nicht nur der grösste, sondern auch der älteste Bahnhof der Schweiz. Der ursprüngliche Bau war der Endbahnhof der 1847 eröffneten ersten ganz auf Schweizer Boden gebauten Bahnstrecke. Sie führte von Baden nach Zürich und ist heute noch eine der beliebtesten Pendlerstrecken des Landes. Diese Verbindung trug im Volksmund den schönen Namen »Spanisch-Brötli-Bahn«, nach einem Gebäckstück, das eine ziemlich interessante Geschichte hat: Es wurde ursprünglich in Mailand hergestellt, welches im 16. Jahrhundert unter spanischer Herrschaft stand. Die »Spanisch Brötli« waren vor allem im 17. und 18. Jahrhundert beliebt. Besonders die wohlhabenden Zürcher, die oft in Baden zur Kur weilten, schätzten dieses dekadente »Stückli«. Es bestand nämlich aus luftigem Blätterteig mit einem sehr hohen Butteranteil – und ein solches Luxusgebäck herzustellen war im reformierten Zürich verboten. Aber die reichen Zürcher wollten diesen Genuss auch zu Hause nicht mehr missen, und so schickten sie ihre Dienstboten aus. Diese mussten nachts die 25 Kilometer von Zürich nach Baden zurücklegen, um am Morgen das Gebäck zu kaufen und es möglichst frisch den Herrschaften zum Sonntagsfrühstück aufzutischen. Mit dieser ersten Bahnverbindung konnten die »Spanisch Brötli« in 45 Minuten von Baden nach Zürich transportiert werden. Dafür wurde die Strecke wohl hauptsächlich genutzt, denn daher hat sie ihren Namen. Und diese Geschichte sagt eigentlich schon alles, was man über Zürich wissen muss.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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