Gefährliches Ego - Maximilian Pollux - E-Book

Gefährliches Ego E-Book

Maximilian Pollux

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Beschreibung

Der bekannte Ex-Verbrecher über narzisstische Mörder, Sexualstraftäter und Hochstapler.

Narzisst*innen sind sich selbst am nächsten, sie manipulieren und werten andere Menschen ab, um das eigene Ego zu stärken, und kommen so immer an ihr Ziel. Narzissmus im Kontext zwischenmenschlicher Beziehungen ist das Thema der Stunde, aber darüber hinaus entfaltet er oft auch ein kriminelles Potenzial.

Maximilian Pollux, selbst Ex-Häftling und True-Crime-Experte, widmet sich in seinem ersten populären Sachbuch narzisstischen Verbrechern und ihren Geschichten. Als ehemaliger Intensivtäter, der insgesamt knapp zehn Jahre in Haft verbrachte, und heutiger Anti-Gewalt-Trainer hat Pollux eine einzigartige Perspektive auf die Fallgeschichten: Wie äußert sich der sogenannte bösartige Narzissmus und warum steht er in Zusammenhang mit dem Begehen von Straftaten? Wie denkt ein kriminelles Hirn? Was macht narzisstische Täter so gefährlich? Und lassen sich ihre Taten verhindern?

Das Buch zum erfolgreichen Podcast »Pollux«: mit exklusiven, bisher unerzählten Fällen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 386

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

Narzissten sind sich selbst am nächsten, sie manipulieren und werten andere Menschen ab, um das eigene Ego zu stärken, und kommen so immer an ihr Ziel. Es ist nicht überraschend, dass die Kombination aus mangelnder Empathie und dem Bedürfnis nach Macht ein ungeheures kriminelles Potenzial hat. Wenn jemand davon erzählen kann, ist es Maximilian Pollux.

Als ehemaliger Intensivtäter, heutiger Anti-Gewalt-Trainer – und Narzisst – hat er eine einzigartige Perspektive auf die von ihm gesammelten Fallgeschichten: Wie äußert sich der sogenannte »bösartige Narzissmus«? Wie denkt ein kriminelles Hirn? Was macht narzisstische Verbrecher so gefährlich? Und lassen sich die Taten der Mörder, Sexualstraftäter und Hochstapler verhindern?

Packende Kriminalfälle, psychologische Analyse und persönliche Erfahrungen: True Crime neu erzählt!

Autor

Maximilian Pollux saß unter anderem wegen Raubüberfällen und Drogenhandel zehn Jahre in Haft. Statt diese Zeit ein ewiges Stigma sein zu lassen, hilft er heute Jugendlichen, nicht dieselbe Laufbahn einzuschlagen: Nach seiner Freilassung absolvierte er eine Ausbildung zum systemischen Anti-Gewalt-Trainer. Er gründete den Verein SichtWaisen e. V. und gibt in diesem Rahmen Workshops an Schulen, in Jugendeinrichtungen und Gefängnissen. In Podcasts und auf seinem YouTube-Kanal reflektiert er seine Vergangenheit als ehemaliger Intensivtäter und teilt Inhalte zum Thema True Crime – seine große Leidenschaft.

MAXIMILIAN POLLUX

GEFÄHRLICHES EGO

WENN NARZISSMUS TÖDLICH ENDET

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe September 2025

Copyright © 2025: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Redaktion: Peter Sich

Recherchen und Archiv: Andreas Baumgartner

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: Julian Hartmuth/Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

AR ∙ CB

ISBN 978-3-641-32957-0V001

www.goldmann-verlag.de

Inhalt

Wer ist Maximilian Pollux?

Bin ich ein Narzisst?

Wie entsteht Narzissmus?

Fall 1: Ich würde es wieder tun

Narzissmus in Beziehungen

Fall 2: Lieber tot als fett

Das Zeitalter des Narzissmus

Fall 3: Die Leute sagen, ich sehe verheerend gut aus

Der Narzissmus der Eliten

Fall 4: Ich werde Milliardärin!

Die Diagnose

Der rote Sportwagen

Vulnerabler Narzissmus

Fall 5: Mein Problem sind die Mädchen

Keine Schuld ohne Empathie

Fall 6: Es geht uns lediglich ums Geld

Maligner Narzissmus – das Böse

Fall 7: Ich wünschte, du wärst tot!

Kränkung und narzisstische Wut

Fall 8: Die Geschichte wird sich an mich erinnern. Als Helden.

Das letzte Wort

Danke sagen …

Quellenverzeichnis

Wer ist Maximilian Pollux?

Mit der Entscheidung, ein True-Crime-Buch zu schreiben, war mir eines sofort klar: Ich wollte das Buch aufbauen wie eine Staffel meines Podcasts. Das heißt: so viele Hintergrundinfos zum Oberthema wie möglich und spannende Einzelfälle, die eine Mischung aus »bekannt« und »absolut unerwartet« sein sollten.

Jetzt musste ich also nur noch ein Thema finden.

Ich stellte mir die Frage: Was macht meine Arbeit besonders? Warum hört ihr mir zu und warum habt ihr jetzt dieses Buch gekauft?

Am guten Aussehen wird es nicht liegen, denn Podcasts sind ein auditives Medium und was ihr jetzt in den Händen haltet kein Bilderbuch. Es muss also an was anderem liegen … vielleicht an meiner Vergangenheit?

Wenn ich von Verbrechen spreche, berichte ich aus der Sicht eines ehemaligen Täters. Ich kenne Gefängnisse von innen. In meiner Jugend war ich an der Planung und Durchführung unzähliger Verbrechen beteiligt. Durch Drogenhandel und Raubüberfälle bin ich schon als Jugendlicher zu Geld gekommen. Schläger, Rocker, die Partyszene und Prostituierte gehörten zu meinen Kunden. Drogen, Gewalt und Rausch waren mein Alltag. Und als mich schließlich ein Haftbefehl zwang, Deutschland zu verlassen verbrachte ich die nächsten zwei Jahre auf der Flucht vor dem Gesetz.

Dabei lernte ich, wie die organisierte Kriminalität in anderen Ländern funktioniert und was es heißt, vogelfrei zu sein.

Die schlimmste Zeit meines Lebens.

Eine Zeit, voll Blut, Leid, Angst und Wahnsinn.

Nach meiner Verhaftung in Amsterdam wurde ich zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Davon habe ich fast zehn abgesessen. Den Großteil in einem bayerischen Hochsicherheitsgefängnis, das als härtester Knast Deutschlands gilt.

Ich lernte Serienmörder, Entführer, Räuber, Profikiller, Vergewaltiger und Kinderschänder kennen. Ich sah sie in ihrem Alltag, lebte und arbeitete mit ihnen zusammen. Am Ende machte mich die Banalität des Bösen fast selbst wahnsinnig.

Nach meiner Entlassung ging es im Grunde da weiter, wo ich zuvor aufgehört hatte und ich stand bald wieder mit einem Bein im Knast.

Ich wusste, ich will mich ändern, hatte aber keine Ahnung, wie. Dann traf ich Cat, die Liebe meines Lebens. Sie gab mir Luft und den Raum zum Atmen, den ich brauchte, um mein altes Ich hinter mir zu lassen.

Cat wollte mich ohne Straßenstatus, ohne Drogen, ohne Pistole und vor allem: ohne Haftbefehl!

Ein neues Leben begann, und um meine Dämonen auf Trab zu halten und die Waage des Lebens vielleicht irgendwann wieder ins Gleichgewicht zu bringen, entschloss ich mich meine Geschichte zu teilen. Wir gründeten den gemeinnützigen Verein SichtWaisen, um mit gefährdeten und bereits kriminellen Jugendlichen zu arbeiten.

Jetzt lernte ich eine weitere Seite dieses kränkelnden Systems kennen, das vom jugendlichen Intensivtäter auf der Straße zum grauhaarigen Häftling in einem Hochsicherheitsgefängnis führt: die Familien und Hilfestrukturen, die um diese jugendlichen Täter herum existieren.

Ich gab Hunderte von Workshops in Schulen, Jugendhäusern, Wohngruppen, Kliniken und Gefängnissen. Dabei durfte ich die Geschichten von Kindern und Jugendlichen hören, die Gewalt- oder Drogenerfahrungen haben. Geschichten von Vernachlässigung, Missbrauch, Armut und psychischen Problemen. Ich lernte die Folgen frühkindlicher Traumata kennen, und ich lernte, dass so gut wie alle Täter einmal selbst Opfer waren. Und dass diese Opfer später oft selbst wieder Täter produzieren. Ein verhängnisvoller Kreislauf.

Im Zuge dieser Arbeit wurde ich zum ersten Mal mit den Folgen von Kriminalität für die Geschädigten und deren Angehörigen konfrontiert. Ich sprach mit Müttern, deren Söhne sich im Gefängnis suizidiert hatten, mit Schwestern, deren Brüder bei Raubüberfällen ermordet wurden, mit Männern, die als Kinder von ihren unter Drogen stehenden Eltern missbraucht wurden.

Dabei lernte ich viel darüber, wie viel verbrannte Erde Verbrecher hinterlassen – und über meine eigene Verantwortung als Ex-Täter.

Ich durfte mit Polizisten, forensischen Psychiatern und Sozialpädagogen zusammenarbeiten, eine Seite, die ich als Täter zuvor nicht kannte. So lernte ich, wer die Menschen sind, die ihr Leben der Bekämpfung von Kriminalität widmen. Warum tun sie, was sie tun? Was ist ihr Antrieb, was gibt ihnen Kraft, wovor haben sie Angst?

Durch meine Arbeit im sozialen Bereich und vor allem als Anti-Gewalt-Trainer und Impulsredner im Umgang mit Intensivtätern bekam ich einen Einblick in diese Welt.

Heute zähle ich forensische Gutachter, Mordermittler und Richter zu meinen Freunden.

Durch meine eigenen Erfahrungen konnte ich eine recht differenzierte Sicht auf den Komplex Kriminalität entwickeln. Wenn ich darüber spreche, dann nicht nur als Experte, der sich sein Wissen angelesen hat und nun aus der Vogelperspektive auf die Beteiligten blickt, sondern als Beteiligter. Ich rede nicht nur über Fremde, ich rede über meine Freunde, über meine Feinde und über mich selbst.

Bald bin ich so lange entlassen, wie ich im Gefängnis gesessen habe, und jeden Tag bin ich dankbar für all die Chancen, die mir das Schicksal seitdem gegeben hat. Jeden Tag stelle ich mich meinem Trauma, denn die Schuld, die ich empfinde, wird noch lange nicht beglichen sein. Was ihr in den Händen haltet, ist nur ein weiterer Versuch, etwas zurückzugeben.

Bei der Suche nach einem Oberthema für dieses Buches wollte ich es ähnlich machen, wie bei all meinem anderen Content: Ich wollte sicherstellen, dass ich mich damit auskenne und nicht nur über etwas schreibe, sondern aus dem Auge des Sturms berichte.

Und boy oh boy, ich glaube, ich hab da was gefunden … Viel Spaß mit meinem ersten True-Crime-Buch.

Bin ich ein Narzisst?

Die Reise auf dem Weg zu diesem Buch hätte für mich nicht spannender sein können. Mein Plan war, euch acht Fälle krimineller Narzissten zu präsentieren. Sorgfältig recherchiert und so gut erzählt, wie ich nur kann. Research Andy, den ihr vielleicht aus dem Pollux Podcast mit Claudy oder von unseren gemeinsamen Projekten auf Patreon kennt, und ich waren uns direkt einig, dass es genügend schwerstkriminelle Narzissten gibt, um ein Buch zu füllen.

Wer Andy gar nicht kennt, er ist so was wie meine rechte Hand in Sachen Research, und unsere Gespräche über True Crime, Geschichte und Popkultur sind elementar beim Entwickeln der Dramaturgie der Fälle, die ihr dann zu hören bekommt. Wir sind beide Nerds und immer bereit, die Extrameile zu gehen, um irgendwas zu finden, das andere übersehen haben. Wir konnten es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Es fehlte nur eine Kleinigkeit.

Denn weil ich das in den Podcast-Staffeln so liebe, sollte ein Fall von meinen persönlichen Erfahrungen und Begegnungen handeln.

Also überlegte ich, wer aus meiner Vergangenheit erfüllt die Kriterien, die ich an die Täter in den ausgewählten Fällen stelle. Wer meiner ehemaligen Mittäter oder Knastbekanntschaften ist ein Narzisst?

Ich wollte es mir nicht einfach machen, ich wollte euch was bieten. Eine echte Überraschung! Jemanden, mit dem ihr nicht gerechnet habt, der aber wie die Faust aufs Auge passt.

Ich sitze also da und grübele vor mich hin. Wer in meinem Leben könnte ein echter Narzisst sein?

Als ich meiner Frau Cat von dieser Idee erzähle, ist ihre Antwort kurz und knapp:

»Schreib über dich! Du bist ein Narzisst!«

Bitte was?!

Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. Und schon im nächsten Moment beginne ich, eine Tirade von Rechtfertigungen abzufeuern.

»Als Nächstes nennst du mich einen toxischen Gaslighter, der dich triggert! Alles inflationär verwendete Modewörter, mit denen gerade um sich geworfen wird. Dass du da mitmachst, hätte ich nicht gedacht«, empöre mich in bester Boomer-Manier.

»DUBISTEINNARZISST!«

Ist ihre knappe Antwort.

Okay, das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Was sie nicht weiß, ist, dass ich mich bereits so deep eingelesen hab, dass ich mir solche hingeschluderten Amateurdiagnosen nicht gefallen lassen muss.

Es wird leicht sein, ihre Behauptung zu widerlegen.

Ich hol mein Handy raus. Ein wenig genervt, denn solche Diagnosen sollten nie leichtfertig von Laien in den Raum geworfen werden. Okay, Cat ist nicht wirklich eine Laiin. Sie hat Soziale Arbeit studiert, verfügt über eine Menge Zusatzqualifikationen im therapeutischen Bereich, blickt auf fast 20 Jahre eigene Therapieerfahrung zurück und arbeitet bei den SichtWaisen mit delinquenten Jugendlichen, die alle Arten von Persönlichkeitsstörungen mit sich bringen.

Trotzdem: Für Diagnosen gibt es Checklisten wie die im DSM-5, in der die narzisstische Persönlichkeitsstörung definiert ist.

Das DSM-5 ist das Klassifikationssystem der American Psychiatric Association. Kurz gesagt, ist es ein Diagnosehandbuch. In Deutschland benutzen wir dafür die ICD-11. Darin sind die jeweiligen psychischen Erkrankungen definiert.

Diese Klassifikationssysteme sind immer in Bewegung und richten sich im besten Fall nach dem neuesten Forschungsstand.

Jetzt werden wir aber mal sehen, denk ich mir. Innerlich zu 100 Prozent überzeugt, dass heute alle ihre Partner – oder zumindest ihre Ex–Partner – als Narzissten diagnostizieren. Ist ja ein Modewort und ich bin bestimmt nicht narzisstischer als andere! Vielleicht manchmal ein wenig egoistisch, aber wer ist das nicht?

Gönnerhaft klappe ich die Seite auf und beginne vorzulesen.

»›Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) kann diagnostiziert werden, wenn von den neun dargestellten Diagnosekriterien fünf oder mehr zutreffen!‹«

Also, Kriterium 1:

»›Grandioses Selbstwertgefühl‹.«

Cat prustet los, sie krümmt sich vor Lachen.

Es gibt jetzt verschieden Zusätze, zum Beispiel:

»Übertreibung von eigenen Leistungen und Talenten, Erwartung, als überlegen anerkannt werden zu wollen, ohne dass entsprechende Leistungen erbracht werden, oder ständige Versuche, andere von der eigenen Großartigkeit zu überzeugen.«

Das Lachen, das ich mir an der Stelle anhören muss, wäre unglaublich ansteckend, wenn ich nicht gerade beweisen wollen würde, dass ich kein Narzisst bin!

Leider hatte ich aber erst im letzten Jahr einen Shitstorm, weil ich auf YouTube mit ehrlicher Überzeugung behauptet habe, den besten True-Crime-Podcast Deutschlands zu haben.

Intellektuell ist mir auch klar, dass eine Aussage wie »der beste« in Fragen der Kunst nicht zu belegen ist, aber in mir drin, ganz tief in mir drin, bin ich nach wie vor der felsenfesten Überzeugung, dass mein Podcast »DERBESTE« ist. Noch schlimmer ist nur, dass ich das dann auch wirklich allen erzählen muss. Das nicht zu tun, bereitet mir fast körperliche Schmerzen.

Na gut, denk ich mir, eins aus neun, das wird wohl den meisten so gehen.

Kriterium 2:

»Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe.«

Cat kann nicht mehr, das volle Lachen geht in ein Kichern über. Und ja, das zweite Kriterium ist ungünstig, denn seit meiner frühesten Kindheit träume ich genau davon!

Ich will der Main Character in diesem Spiel sein.

Ungeachtet dessen versuche ich es mit meiner bekannten Strategie und rufe: »Das wünscht sich doch tief im Inneren jeder! Jeder will reich, schön und beliebt sein!«

Das mag zutreffen, aber der springende Punkt ist: Wie oft denkt man intensiv darüber nach? Und wie fest ist man davon überzeugt, das alles auch zu verdienen?

Es gab Zeiten, da bestimmten Fantasien darüber, wie ich diese Ziele erreiche, jede freie Minute. Wann habt ihr das letzte Mal darüber nachgedacht?

Wenn es heute war – gratuliere, ihr dürft ein Häkchen bei diesem Punkt machen. Wenn nicht, denke ich, das geht in Ordnung.

Zwei von neun, ich hoffe da zeichnet sich kein Trend ab!

Kriterium 3:

»Glaube, etwas Besonderes und Einzigartiges zu sein und nur von anderen besonderen oder hochrangigen Menschen verstanden zu werden.«

Oh Mann, ich geb zwar nichts drauf, wie hochrangig Menschen sind, aber ich bin doch ziemlich überzeugt davon, selbst was »Besonderes« zu sein. Das Dumme dabei ist, dass das phasenweise passiert und ich nur fünf Minuten später glaube, der letzte Dreck zu sein.

Im Zuge der Recherchen für dieses Buches habe ich gelernt, dass genau das Teil der Störung sein kann: ein aufgeblasenes, aber äußerst fragiles Ego, das ständig Bestätigung braucht.

Eine dieser Bestätigungen ist, sich mit »wichtigen« Leuten zu umgeben, die einem damit das Gefühl geben, selbst wichtig zu sein …

Verdammt, ich hatte gedacht, das hier macht mehr Spaß!

Lasst uns doch den Test gemeinsam machen, ich komme mir gerade sehr nackt vor.

Eure Ergebnisse dürft ihr mir gerne auf Social Media schicken. Am Ende des Buches verrate ich euch dafür vielleicht auch noch mein Ergebnis beim Psychopathy Checklist Rating. Ich weiß, da warten einige von euch schon seit Jahren drauf.

Jetzt ziehen wir das hier erstmal weiter durch. Muss ich erwähnen, dass Cat sich den Bauch hält vor Lachen? Drei von neun Kriterien getroffen. Das schmerzt. Aber noch ist nichts verloren.

Kriterium 4:

»Verlangt übermäßige Bewunderung«

Das kann doch nicht wahr sein, was ist das für ein dummer Test?! Ergänzend dazu findet man noch

»die subjektiv empfundene, unbedingte Notwendigkeit der Bewunderung durch andere Menschen«.

Cat ist prustend und schnaubend von der Couch gerutscht. Sie kriegt kaum noch Luft.

Seit meiner Jugend will ich von anderen für meinen Humor, meine Furchtlosigkeit, mein Engagement oder meinen Fleiß bewundert werden. In der Schule war ich der Klassenclown. Und wie oft erzähle ich anderen davon, wie unglaublich viel ich gerade arbeite? Natürlich mache ich das, weil ich will, dass man mich dafür krass findet.

Ich schäme mich gerade und wünschte, es wäre anders, aber ich mache viele Dinge nur, weil ich will, dass andere davon erfahren. Das war schon als Kind so und ist durch Social Media nicht besser geworden.

Macht ihr das alle wirklich nicht?

Es ist so schwer für mich, das zu glauben, aber Cat zum Beispiel will gar nicht, dass alle erfahren, was sie alles tut.

Mist.

Vier von neun.

Jetzt wird es eng. Das Nächste, halt nein: die nächsten fünf Kriterien müssen mich raushauen! Mein Optimismus, der mich schon sehr häufig in Schwierigkeiten gebracht hat, kommt zurück. Ich bin kein Narzisst. Keine Sorge. Das klärt sich gleich.

Kriterium 5:

»Anspruchsdenken, d. h. unangemessene Erwartungen an eine besonders günstige Behandlung oder automatische Erfüllung der Erwartungen des Betroffenen«

Puuh, dass ist schwierig. Zumindest schon mal kein glasklares »Ja!« oder?

Aber während ich mich noch winde, liest Cat den Zusatz: »Hohe Ansprüche an das Verhalten anderer ihnen gegenüber. Am besten sollen alle Wünsche von den Lippen abgelesen werden.«

Ich bleibe dabei: Den Punkt gebe ich mir zu dem Zeitpunkt nur bedingt.

Viereinhalb von neun.

Die Spannung steigt!

Kriterium 6:

»Zwischenmenschliche Ausbeutung, d. h. er/sie nutzt andere aus, um seine/ihre eigenen Ziele zu erreichen.«

Dazu gehören Arbeits- ebenso wie Freizeitbeziehungen. Langsam werde ich nachdenklich. Denn jetzt mal ganz im Ernst, auch wenn ich versuche, heute nicht mehr so zu denken, gab es eine Zeit in meinem Leben, in der ich jeden einzelnen meiner zwischenmenschlichen Kontakte nur gepflegt habe, weil ich davon irgendwas hatte.

Zur Erklärung: Ich war ein Drogendealer – und zwar 24/7. Jeden Tag den ganzen Tag. Wenn ich mit euch zu tun hatte, dann habt ihr entweder Drogen von mir gekauft oder ich hab sie von euch bezogen. Alles andere war mir vollkommen egal. Jeder Mensch in meinem Leben hatte irgendeinen Nutzen für mich. Mein ganzes soziales Umfeld war darauf aufgebaut. Echte Freundschaft gab es für mich nicht. Selbst meine Beziehung diente nur dazu, mir den Anstrich eines normalen Lebens zu verleihen.

Ich habe daran gearbeitet. Immer und immer wieder. Weil ich nicht so sein will! Aber wenn ich auf die Stimme in meinem Inneren hören würde, dann wäre es heute noch so: meine Ziele, meine Interessen, meine Vorteile!

Der Humor, mit dem ich mich dem Ganzen nähern wollte, vergeht mir langsam, denn es erinnert mich an ein ekelhaftes Gefühl. Jedes Mal, wenn Menschen sagen, du musst nur auf dein Herz hören, weiß ich nicht, was das heißt. Sätze wie: »Die Stimme in deinem Innersten weist dir den richtigen Weg«, machen mich fertig. Immer wenn ich so was höre, muss ich schlucken, denn aus meinem Innersten kommt an der Stelle nichts Nettes. Mein Innerstes will an sich denken, laut sein, alles an sich nehmen, sich selbst in den Vordergrund drängen. Mein Innerstes will fressen, fressen und noch mehr fressen!

Ich musste lernen, nicht auf diese Stimme zu hören. Als ich ihr gefolgt bin, hat mir das eine 13-jährige Gefängnisstrafe eingebracht. Als ich auf mein Inneres gehört habe, hat man mich hinter den höchsten Mauern eingekerkert, um die Gesellschaft vor mir zu schützen.

Dieser Kalenderspruch mag also für andere okay sein, für mich ist er es nicht. Denn ich mag nicht, was mir mein Innerstes für Vorschläge macht. Heißt das, ich mag mich nicht? Oh Mann, dieses Buch wird kein Zuckerschlecken.

Sagen wir fünf von neun.

Damit ist es eigentlich schon rum ums Eck.

Laut diesem Klassifizierungssystem habe ich eine NPS, eine Narzisstische Persönlichkeitsstörung.

Das kam unerwartet.

Ziehen wir es trotzdem durch.

Kriterium 7:

»Mangelnde Empathie; ist nicht bereit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren.«

Ich war ein Gangster.

Ich habe geschossen, gefoltert und zugestochen. Ich habe als Dealer vom Leid suchtkranker Menschen profitiert und nie haben mich irgendwelche Gewissensbisse geplagt.

Bis heute nicht.

Aber hättet ihr mich damals gefragt, ob ich empathisch bin, hätte ich Ja gesagt. Ich liebe meine Hunde, meine Frau, meine Freundin, meine Familie. Verdammt, ich weine doch sogar bei Filmen.

Heute weiß ich: Das ist genau die Antwort eines Narzissten!

Schauen wir uns nur mal das mit den traurigen Filmen an. Ja, ich weine, aber weil ich mir dabei immer vorstelle, ICH wäre es, dem etwas Trauriges passiert. Ich muss diese emotionalen Momente auf mich übertragen, um davon betroffen zu sein. Es reicht nicht, dass es irgendwem anders schlecht geht.

Viele Jahre Therapie waren nötig, damit ich heute endlich Zugang zu den Gefühlen und Bedürfnissen anderer habe. Ich erwische mich immer noch regelmäßig dabei, wie ich andere Menschen übersehe, vor allem wenn sie nicht aus MEINEM engen Umkreis kommen. Diese Tendenz ist extrem stark und man braucht Hilfe, um sich da zu ändern.

Vielleicht werde ich irgendwann normal fühlen können, aber trotz großer Fortschritte in den letzten 20 Jahren werde ich mir hier den Punkt geben müssen.

Mittlerweile bin ich ziemlich geknickt. Was lustig angefangen hat, wurde verdammt schnell verdammt dunkel. Narzisstisch zu sein, ist nichts Schönes, es scheint einen zum Monster zu machen.

Cat, immerhin mit mir verheiratet, lacht auch nicht mehr.

Kriterium 8:

»Neidisch auf andere oder glaubt, dass andere neidisch auf ihn/sie sind.«

Ich bin zwar nicht oft neidisch auf andere, aber es gibt diese Situationen. Seltener auf deren Status, Geld oder Erfolg, aber häufig auf soziale Situationen.

Wenn ich sehe, wie andere ihren Geburtstag mit Freunden feiern, wie sie sorglos sind, wie sie ihren Urlaub ohne einen Gedanken an morgen genießen können, wie sie mit Freunden chillen oder gar sich selbst genügen. Das alles sind Dinge, die mir nicht gelingen. Und wenn ich das bei anderen sehe, sticht mich manchmal der Neid.

Viel häufiger denke ich aber, dass jemand neidisch auf mich ist.

Gerade eben erst hat jemand bei einem meiner Auftritte angefangen rumzustänkern und ist dann auch vor dem Ende wütend aus der Halle gerauscht. Nachdem er abgedampft war, hatte ich mir sofort gedacht, dass der nur neidisch auf mich war. Wahrscheinlich hätte er selber gerne den besten True-Crime-Podcast der Welt!

Seht ihr, das ist es, was mir mein Innerstes sagt. Weird, oder?

Ich hoffe, ihr hasst mich nach diesem Buch nicht.

Das hoffe ich wirklich.

Kriterium 9:

»Arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Haltungen.«

Verdammte Axt, das passt zum Schluss noch mal wie die Faust aufs Auge. Es passt so gut, dass ich jetzt doch ein bisschen lachen muss.

Ich versuche nie absichtlich, andere kleinzumachen, aber tatsächlich denke ich, ich bin sehr gut in so gut wie allem. Vorausgesetzt, ich habe Bock drauf. Wahrscheinlich ist das Hochmut.

Cat steht auf, tätschelt mir die verschwitzte Glatze und fragt:

»Bist du wirklich überrascht?«

Acht von neun.

Und ohne Selbstschutz sogar neun von neun.

Ja, das überrascht mich.

»Nur ein echter Narzisst wäre an der Stelle überrascht, mein Schatz.«

Sie reibt mir das jetzt richtig rein, und ich, ich habe damit wohl den Verbrecher für das Buch gefunden, zu dem ich eine persönliche Beziehung habe.

Mich selbst.

Ich schreibe also in diesem Buch auch über mich selbst.

Na, wenn das nicht nach einem echten Narzissten klingt.

Wie konnte ich das alles so lange übersehen?

*

Nach dieser Erkenntnis wollte ich euch eigentlich acht Fälle von Kriminellen, die ich für Narzissten halte, präsentieren. Ich wollte deren Eigenschaften, Verhaltensweisen und eben Besonderheiten dieser großenteils psychisch auffälligen Täter beschreiben, nur um dann im letzten Kapitel die Bombe platzen zu lassen.

Etwas, das niemand erwartet hätte, und zwar, dass ich, euer geschätzter Autor Maximilian Pollux, selbst Narzisst bin.

Ich wollte einige Erlebnisse aus meiner kriminellen Vergangenheit erzählen und damit das vollkommen unerwartete untermauern, nämlich, dass ich ein narzisstischer Täter bzw. Ex-Täter bin.

Das sollte mein Sixth-Sense-mäßiges Finale werden. Ich hab euch schon zu Hause sitzen sehen, ungläubig ausatmend, das Buch zur Seite legend und noch mal über alles, was ihr auf den letzten 300 Seiten gelesen habt, rekapitulierend, nur einen Gedanken im Kopf: Das habe ich nicht kommen sehen.

Wieder wurde ich zu Hause ausgelacht.

»Jeder weiß, dass du ein Narzisst bist!«

Na, wenn das so ist, dann gibt es eben keinen einzeln abgetrennten Fall von mir, sondern ich erzähle euch zwischen den Fällen was aus meinem Leben, das Bezug zum Thema hat. (Wieso befürchte ich, dass es da mehr als genug passende Anekdoten geben wird?)

Außerdem nehme ich euch mit auf die Reise eines Menschen, der gerade eben erst erfahren hat, dass er möglicherweise an einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, einer NPS.

Ich sage möglicherweise, denn die laienhafte Selbstdiagnose mithilfe von Fragebögen ist nicht statthaft.

Übrigens gilt das für alle in diesem Buch gemachten Aussagen! Ich diagnostiziere nicht! Ich spekuliere. Dabei halte ich mich zwar an anerkannte Fakten, aber im Grunde stelle ich Behauptungen über Leute auf, denen ich nie begegnet bin. Das sind also keine Diagnosen.

Die dürfen nur von Fachpersonen wie Psychiatern oder klinischen Psychologen gestellt werden. Und das ist auch gut so. In diesem Buch wird uns ein breites Spektrum begegnen. Nicht bei jedem der hier behandelten Täter wurde eine NPS diagnostiziert. Dennoch zeigen sie alle starke Züge dessen, was wir zumindest umgangssprachlich als Narzissmus bezeichnen. Und bei allen lässt sich meiner Meinung nach ein Zusammenhang zwischen diesen Eigenschaften und ihrem kriminellen, meist gewalttätigen Handeln sehen. Wenn in meinem Text in der Folge von Narzissmus die Rede ist, verwende ich diesen Begriff umgangssprachlich und nicht diagnostisch. Bei den Fällen, in denen die Betroffenen von forensischen Gutachtern diagnostiziert wurden, sprechen wir das in der Regel an.

*

Was mich selbst betrifft, haben wir bis jetzt nur das Ergebnis, das die Auswertung des DSM-5-Test ergibt. Danach habe ich eine NPS. Aber was heißt das?

Bin ich der Typ, vor dem in jedem zweiten Insta-Selfcare-Post gewarnt wird? Bin ich ein Monster, vor dem man sich besser in Acht nehmen sollte?

Ich wusste immer, dass ich egozentrische Tendenzen habe, dass ich die Welt um mich herum sehr auf mich beziehe. Vielleicht auch mehr als andere Menschen, aber dass es gleich eine pathologische Persönlichkeitsstörung sein soll, das muss sich dann doch erstmal setzen.

Die Narzissmus-Forschung steckt nach wie vor in den Kinderschuhen. Von den Ursprüngen des Begriffs in der griechischen Mythologie (ihr wisst schon, der Jüngling, der sich in sein eigenes Spiegelbild in einem See verliebt) über Freud und die Psychoanalyse bis hin zu einer ganzen Armee von qualifizierten und weniger qualifizierten Experten im Social-Media-Zeitalter sind wir zwar einen weiten Weg gegangen, aber noch immer kratzen wir nur an der Oberfläche.

Die Parameter, nach denen man eine NPS bestimmt oder ausschließt, sind in ständigem Wandel. Man spricht von weiblichem und männlichem Narzissmus. Es gibt den offenen und verdeckten Narzissmus, manche sprechen sich gar gegen eine Klassifizierung als Persönlichkeitsstörung aus und reden in diesem Zusammenhang von narzisstischen Nöten.

Es gibt noch andere Arten der Klassifizierungen und Typisierungen. Auch damit werden wir uns beschäftigen. Dass die sich ständig weiterentwickeln, zeigt, wie viel Bewegung noch in diesem Thema steckt.

Gab es früher den »grandiosen Narzissmus«, den »vulnerablen Narzissmus« und den »malignen Narzissmus«, sind mittlerweile noch der »kommunale« und der »spirituelle Narzissmus« hinzugekommen.

Aber – und das ist jetzt wirklich nur ein Vibe – die Leute, über die wir in diesem Buch sprechen, sind alle zumindest mit einem Bein im malignen Narzissmus anzusiedeln. Wenn jemand erstmal über Leichen geht, liegt dieser Schluss nahe. Und das haben sie alle hier gemein. Sie alle stellen ihre Bedürfnisse über das Leben und die Gesundheit anderer.

Das habe auch ich eine lange Zeit getan, und ich kann nicht anders, als meine Art zu denken und mein früheres Handeln damit zu vergleichen.

Es passt. Wie bei einer Schablone.

Vielleicht muss ich doch noch genauer hinsehen.

Es wäre nicht meine erste Diagnose.

Und auch das ist wichtig. Denn Narzissmus kommt selten allein!

In meinem Fall war ADHS von Anfang an dabei, und später kam eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung hinzu.

Die häufigsten Begleiterkrankungen bei narzisstischen Persönlichkeitsstörungen sind Depressionen, Essstörungen und Substanzgebrauchsstörungen. So was nennt sich komorbide Störungen, also Störungen neben einer anderen psychischen Störung. Beide müssen unabhängig voneinander die Kriterien einer eigenständigen Diagnose erfüllen.

Das macht das Erkennen von pathologischen Narzissten umso schwerer, da Verhaltensweisen oft auf andere Ursachen geschoben werden und die NPS als eigenständige Diagnose oft hinten runterfällt.

Aber es ist wichtig, diese zu erkennen. Denn Persönlichkeitsstörungen sind kein Spaß! Für niemanden, auch nicht den Narzissten selbst.

Das sieht man besonders an einer Zahl recht deutlich: dem Anteil an Betroffenen, der Suizid begeht. Der ist nämlich unter Narzissten sehr viel höher als bei der Restbevölkerung. In Deutschland begehen von 100000 Menschen rund 13 Suizid.

Im Vergleich dazu tötet sich einer von zehn krankhaften Narzissten selbst!

Das sind alarmierende Zahlen, die zeigen, dass diese Störung Betroffene nicht nur häufig zu Tätern, sondern auch selbst zu Opfern macht. Wie oft ich bereits kurz davor war, meinem Leben ein Ende zu setzen, kann ich nicht mehr zählen.

Wieder wird mir kalt.

Dieses Buch wird eine Reise in mein Innerstes, und mit jeder Seite wird mir bewusster, wie wichtig es ist, diesen Weg zu gehen.

Bis jetzt hat mir nämlich jede Diagnose geholfen, besser im Leben zurechtzukommen. Warum wehre ich mich also so hartnäckig gegen etwas, über das mein Umfeld anscheinend schon längst Bescheid weiß?

Ich glaube, es liegt daran, dass ich gemocht werden will.

Ich will kein Arschloch sein, das andere ausnutzt und mit dem am besten niemand was zu tun haben sollte. Ich will auch nicht in denselben Topf geworfen werden, mit all den unangenehmen Leuten in diesem Buch.

Ich möchte nicht so sein!

Aber es gibt etwas, das mir Hoffnung macht – vielleicht stellt diese Diagnose kein endgültiges Urteil dar, das besagt: »Du bist ein Arschloch! Und du wirst auch immer eins bleiben!«

Vielleicht können selbst Narzissten zu besseren Menschen werden?

Wenn das der Fall ist, werde ich in diesem Buch aufschreiben, was dafür nötig ist.

Wie kann auch der Narzisst ein ungefährliches, wertvolles und für andere Menschen positives Mitglied der Gesellschaft werden? Gibt es passende Therapieformen? Was kann er oder sie selbst tun, um nicht Sklave der eigenen Persönlichkeit zu bleiben? Was – wenn überhaupt – kann das Umfeld tun? Und was könnten gesamtgesellschaftliche Ansätze sein, um narzisstisches Treiben in unschädlichere Bahnen zu lenken?

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Mir wird klar, dass ich Hilfe brauche, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Dafür wende ich mich an eines der bekanntesten Gesichter des Narzissmus in Deutschland:

Dr. Pablo Hagemeyer.

Er ist der Experte im deutschsprachigen Raum und hat mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht. Ich habe zwei davon gelesen und kann sie sehr weiterempfehlen.

Ich frage ihn, ob er sich vorstellen könne, an einem Buch über narzisstische Straftäter mitzuarbeiten. Nach einer Pause füge ich hinzu: »Es könnte sein, dass ich einer dieser Täter bin.«

Dr. Hagemeyer ist interessiert.

Wie genau wir uns dann kennengelernt haben, erzähle ich ausführlich im Podcast »Gefährliches Ego«, den ihr überall hören könnt, wo es Podcasts gibt. Die ganze Story würde hier den Rahmen sprengen. Deshalb nur so viel – bei der Arbeit an diesem Buch sind wir Freunde geworden, und ich schätze sowohl seinen Input, seinen messerscharfen analytischen Verstand, als auch seinen Humor und die Herzlichkeit, die er mir und Research Andy bei mehr als einer Gelegenheit entgegenbrachte.

So ein Kaliber an Expertenpower im Boot zu haben, hat mir Mut für die weitere Reise gemacht.

Auch Pablo Hagemeyer hat uns immer wieder ermahnt, als Laien nicht einfach Selbstdiagnosen mit einem Fragebogen zu erstellen. Weder bei uns noch bei anderen. Dabei nickte ich jedes Mal pflichtbewusst, aber mir war klar, dass ich hier gerade Wasser predige, während ich mir selbst als Laie die Diagnose gegeben habe.

Es wird immer offensichtlicher, dass es unabdingbar ist, mich von einem Facharzt checken zu lassen.

Ich weiß gar nicht, warum ich mich davor so sehr drücke bzw. zunächst gar nicht auf die Idee gekommen bin. Es hätte mir als Erstes einfallen müssen, kam mir aber nicht in den Sinn.

Das passt zu einer Sache, die uns Pablo Hagemeyer im Interview erzählt hat: »Die meisten echten Narzissten, also die mit der Persönlichkeitsstörung, werden nicht wegen Narzissmus in Therapie gehen. Denn man geht nicht in Therapie für etwas, das man nicht erkennt oder nicht erkennen will.«

Und im Grunde ist es bei mir nicht anders. Es gibt da diesen blinden Fleck. Ich meine, ich war wegen vieler Dinge in Behandlung, aber der Verdacht auf eine NPS kam nur auf, weil ich ein Buch über das Thema schreiben wollte.

Und mich jetzt von einem Experten diagnostizieren zu lassen, ruft extremen Widerstand in mir hervor.

Ich habe mir das zuerst mit dem Trauma erklärt, das ich durch die Begutachtung während meiner Zeit als Krimineller erlitten habe. Tagelang wurde ich von verschiedensten Gutachtern gemessen, gewogen und am Ende für »nicht gut« befunden.

Die Gutachtensituation war jedes Mal sehr belastend. Immer mit dem Damoklesschwert der drohenden Sicherungsverwahrung über dem Kopf. Ein falsches Wort, ein negatives Gutachten und alles könnte vorbei sein. Statt einer Entlassung würde man mich für immer wegsperren.

Das verbinde ich noch heute mit Gutachtern und Evaluationen meiner Psyche. Aber – und jetzt kommt’s –: Beim ADHS-Gutachten hat mich das nicht gestört. Dort konnte ich ganz einfach hin.

Und eigentlich weiß ich auch, dass es für mich kein Risiko mehr birgt, mich einem Psychiater gegenüber zu öffnen. Da muss also mehr dahinterstecken – und während ich das gerade schreibe, muss ich schon wieder über mich lachen.

Ich dachte mir nämlich, an wen könnte ich mich wenden?

Meine Situation ist ja doch sehr besonders, und es ist sicher nicht leicht, hinter meine schillernde Fassade zu blicken. Wer kriegt das hin?

Und natürlich fällt meinem Gehirn ein, den Besten zu fragen. Also bitte ich Pablo Hagemeyer, meinen Fall zu übernehmen. Wenn ihr euch fragt, warum ich lache: Eines der Kriterien aus dem DSM-5 beschreibt den Glauben, etwas »Besonderes und Einzigartiges zu sein und nur von anderen besonderen oder hochrangigen Menschen verstanden zu werden.« Und natürlich ist nur der bekannteste Experte Deutschlands würdig, mich zu begutachten!

Ohne Worte …

Es ist wirklich äußerst unangenehm, sich selbst zuzusehen, wenn man erstmal weiß, worauf man achten muss.

Aber gut, um dieses Buch zu Ende zu bringen, brauche ich Gewissheit.

Die erste Frage, die mir Pablo Hagemeyer stellt, nachdem ich ihm mein Anliegen geschildert habe, ist:

»Was ist, wenn die NPS nicht rauskommt?«

Meine Antwort darauf war:

»Dann mach ich drei Kreuze und sag allen, dass sie sich geirrt haben.«

Ich hab also meine Tests ausgefüllt und versucht, ehrlich zu sein. Manchmal war es auch einfach schwierig für mich, weil ich manche Verhaltensweisen nicht so wahrnehme.

Ich denke zum Beispiel nicht, dass ich andere Leute runtermache. Das bin nicht ich.

Aber Tausende Leute hören, wie ich in meinem Podcast über andere True-Crime-Podcaster herziehe, weil mir deren Arbeit schlampig vorkommt. Oder wir fragen einfach Andy, was er von der Behauptung hält, dass ich niemanden runtermache …

Verdammt!

Ich weiß, ich komme nicht um diesen Prozess herum, und nachdem ich ein Dutzend Fragebögen ausgefüllt habe, mache ich mich an einem kalten Dezembermorgen auf den Weg zum netten Narzissmus-Doc Pablo Hagemeyer.

Zur Diagnostik gehört neben diesen Tests und Fragebögen nämlich auch die Anamnese, während der die Lebensgeschichte durchgesprochen und soziale Beziehungen beleuchtet werden. Wichtig ist natürlich auch die Verhaltensbeobachtung während dieses Gesprächs.

Und da Pablo Hagemeyer sich nicht nur bereit erklärt hat, meine Begutachtung zu übernehmen, sondern Research Andy und mir auch eine Million Fragen zu unseren True-Crime-Fällen in diesem Buch zu beantworten, steht uns ein langer Tag bevor.

Im Zug bin ich nervös.

Sind unsere Fragen gut? Sind wir fit genug, um mit einem echten Experten über dessen Thema reden zu können? Werden wir uns blamieren?

Wie immer schwanke ich zwischen »Ich schreibe gerade das Beste, was je zum Thema kriminelle Narzissten geschrieben wurde!« und »Mein Gott, ich bin unfähig, und alles, was wir bis jetzt geschrieben haben, ist Müll!«.

In dieser Stimmung nörgle ich an Research Andy rum, und als wir schließlich bei Pablo Hagemeyer klingeln, bin ich komplett durchgeschwitzt und geh auf dem Zahnfleisch.

Die Tür öffnet sich. Wir lächeln uns an. Game recognizes game.

Das Ergebnis der nächsten fünfeinhalb Stunden findet ihr in diesem Buch. Manchmal als Zitat, meistens jedoch zwischen den Zeilen. Pablo Hagemeyer hat uns geholfen, unsere Kenntnisse auf den aktuellen Stand der Wissenschaft zu bringen. Wir haben unfassbar viel gelernt, aber da wir an jenem Tag vor lauter Fragen zu den Fällen nicht mehr zu meiner Begutachtung gekommen sind, hallt mir Dr. Hagemeyers Satz in den Ohren nach: »Wir machen mit der Begutachtung online weiter, ich hab dich ja jetzt mal live erlebt.«

Ich frage mich, was will ich denn überhaupt?

Ein Teil will auf keinen Fall die gleiche Diagnose wie die Täter in diesem Buch. Ich will es nicht – dieses Label NARZISST.

Aber ein anderer Teil in mir hat Angst davor, die Diagnose nicht zu bekommen. Denn noch nie zuvor in meinem Leben hat die Beschreibung einer psychischen Störung so sehr auf mich gepasst.

Ich erkenne so gut wie jede der beschriebenen Verhaltensweisen wieder, und je mehr ich darüber lese, desto besser passt es. Außerdem ist da dieses Monster, das besonders sein will und besonders bleiben will, und was wäre besonderer als ein pathologischer Narzisst zu sein?

Wird die Diagnose etwas ändern, egal wie sie lautet?

Ich weiß es nicht.

Bisher hat mir jede Diagnose geholfen, besser im Leben zurechtzukommen. Mir war eigentlich immer klar, dass ich ADHS habe, aber seit ich auch die Diagnose habe, verstehe ich mich stabiler. Bin mir selbst näher. Und auch andere kommen besser mit mir zurecht. Es ist, als hätte ich eine Superkraft diagnostiziert bekommen, vorausgesetzt, ich gestalte mein Leben dementsprechend.

Es gibt von Eckart von Hirschhausen dieses Beispiel mit dem Pinguin. Der macht an Land keinen besonders flinken oder eleganten Eindruck – unter Wasser bewegt er sich aber pfeilschnell und manövriert wie kein Zweiter.

Übertragen auf ADHS bedeutet das, in der Schule stillsitzen und was hören, was mich nicht interessiert: ein Alptraum!

Acht Stunden lang für ein Thema recherchieren, das mich interessiert, während ich Liegestütze mache und drei Reels gleichzeitig produziere: ein Träumchen!

Aber liegt in der NPS überhaupt irgendein Vorteil? Wo ist die Superkraft darin, ein Arschloch zu sein, das vorrangig an sich selbst interessiert ist? Immer wieder die Frage, will ich so eine Diagnose überhaupt haben? Oder wäre es nicht besser, »normal« zu sein?

So oder so ist es Teil meiner Verantwortung als Autor dieses Buches, den korrekten Weg im Diagnoseverfahren zu gehen.

Diesen Weg gehen wir jetzt Seite für Seite gemeinsam, und egal wo wir am Ende ankommen, wir werden eine Menge über kriminelle Narzissten gelernt haben.

Versprochen.

Wie entsteht Narzissmus?

Mir ist wichtig, dass wir eines verstehen: Narzissmus ist nicht gleich Narzissmus. Der Begriff hat in den letzten Jahren einiges an Profil verloren. Wie andere psychologische Fachbegriffe wie zum Beispiel »Trigger« wurde er durch inflationäre Nutzung im allgemeinen Sprachgebrauch weichgespült und in seiner Bedeutung erweitert.

Heute kennt fast jeder ein Beispiel für einen Narzissten aus dem Nahfeld. Meist ist es der toxische Ex-Partner oder die ehemalige beste Freundin. Oft sogar die Mutter oder der Vater. Sich selbst verdächtigt dabei kaum jemand, narzisstisch zu sein. Das ist spannend, denn ratet mal, wer häufig narzisstische Eltern hat?

Richtig: Narzissten!

Aber niemand will selbst betroffen sein. Das Schreckgespenst Narzissmus macht allen Angst. Es ist unklug, den eigenen Namen in der Öffentlichkeit mit diesem Begriff zu assoziieren.

Dabei hat Research Andy dazu einen tollen Satz gesagt:

»Narzissmus ist wie Körpergröße – jeder hat eine. Nur: Ob du 1,65 bist oder über zwei Meter, macht einen Unterschied. Denn es geht nicht darum, ob, sondern wo auf dem Spektrum du dich befindest.«

Stimmt das? Ist jeder narzisstisch? Vielleicht sogar diejenigen, die in unzähligen Insta-Reels, Podcasts, YouTube- und TikTok-Videos über Narzissten schimpfen?

Im Grunde ist die Antwort einfach: Ja!

Jedes Kleinkind ist narzisstisch. Wenn ein Baby schreit, weil es Hunger hat, denkt es nicht an die gebeutelten Eltern, die doch nur mal zwei zusammenhängende Stunden Schlaf brauchen.

Dieser Primärnarzissmus ist angeboren und überlebensnotwendig. Ohne ihn wären wir in dieser frühen Phase nicht lebensfähig.

Später verwandelt sich dieser Me first-Ansatz im besten Fall, und wir lernen, dass auch andere Menschen Bedürfnisse haben, die wir akzeptieren müssen.

Gleichzeitig entwickeln wir aber auch eigene Vorstellungen und Wünsche. Wir verfolgen persönliche Ziele, sind dabei ehrgeizig und verbessern unterwegs unser Skillset, um erfolgreicher zu werden.

Das ist gesund narzisstisch und vollkommen in Ordnung – solange wir lernen, unsere Bedürfnisse zwar an erste Stelle, aber nicht um jeden Preis über die aller anderen zu stellen. Wir lernen, dass wir manchmal verzichten oder umdenken müssen, um anderen nicht zu schaden.

Was, wenn das nicht passiert?

Wenn die Fähigkeit, andere zu »sehen« und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, nicht entwickelt wird? Wenn sich das eigene Image, das, was man der Außenwelt präsentieren will, so sehr in den Vordergrund drängt, dass nichts anderes mehr zählt?

Dann haben wir es mit einem ziemlich unangenehmen Individuum zu tun. Einem selbstsüchtigen, egozentrischen und unempathischen Individuum.

Einem Narzissten.

Im ausgeprägtesten Fall – in der Psychologie »pathologisch« genannt – sprechen wir hier von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung oder kurz: NPS. 

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Damit aus dem primären, gesunden Narzissmus eine NPS werden kann, muss einiges passieren.

Bei der Recherche für über 200 Folgen True-Crime-Podcast bin ich immer wieder auf das Zusammenspiel von nature und nurture gestoßen. Es gilt auch hier. Also nature: Was bringe ich schon bei meiner Geburt mit – bestimmte biologische Faktoren wie die Gene und neurobiologische Mechanismen. Und nurture: Was erlerne ich durch meine Umwelt in der frühen Kindheit und weiterhin im Verlauf meines Lebens – durch frühkindliche Erfahrungen, durch Erziehungsstile der Eltern und kulturelle Faktoren.

Denn – und das ist wichtig – eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist immer eine Reaktion auf die Umwelt.

Auf die Frage, was während der Erziehung zum Entstehen einer NPS beiträgt, sagt uns Pablo Hagemeyer: »Zu wenig vom nährenden Richtigen und zu viel vom destruktiven Falschen führt zu einer brüchigen Selbstwertstruktur, die zur Überzeugung gelangt, sich nur durch narzisstische Strategien stabilisieren zu können.«

So einfach ist es, so naheliegend und doch so tief.

Ich denke, man kann gut nachvollziehen, dass Kinder, die von ihren Eltern wenig Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen haben oder eben nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind (Erfolg, Leistung), später als Erwachsene versuchen, die eigenen Skills und Verdienste besonders nach vorne zu stellen.

Das macht Sinn. Es ist logisch. Psycho-logisch.

Zu wenig bedingungslose Liebe, zu viel Leistungsprinzip.

Ich beneide Eltern nicht. Denn bei der Kindererziehung gibt es unzählige weiterer Fallstricke, die Narzissmus oder sogar die Entstehung einer NPS fördern können. Manche weniger drastisch, andere massiv. Besonders in der Mutter-Kind-Beziehung geht es um die richtige Distanz. Zu wenig Interesse wird dafür sorgen, dass das vernachlässigte Kind niemals sein eigenes Potenzial erkennt, und verhindert eine gesunde Entwicklung des eigenen Selbstwerts. Es gilt aber auch das Gegenteil: Zu viel Fürsorge hemmt, schränkt ein und erdrückt das Kind.

Wir werden in diesem Buch auch Menschen kennenlernen, die als Kind übertrieben in den Mittelpunkt gestellt wurden. Deren Bedürfnisse und Wünsche zu lange als absolut behandelt wurden und deren Fähigkeiten zu unkritisch gefeiert wurden. Wenn man darüber nachdenkt, wird einem schnell klar, dass ein Kind so kein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln kann. Denn sobald die überschwänglichen Reaktionen auf das eigene Sein ausbleiben – und das wird unweigerlich passieren, sobald das Kind das Elternhaus verlässt und sozial interagieren muss –, kommt es zu einer starken Diskrepanz zwischen erlernter Wahrnehmung und eigenem Erleben. Es ist logisch, dass diese Kinder als Erwachsene Bestätigung durch andere Menschen suchen, um sich ihrer sicher zu fühlen. Von innen kommt nichts. 

Zu wenig Realismus, zu viel Überbehütung.

Und das sind die Kinder von den Eltern, die denken sie tun ihr Bestes. Was Eltern anrichten, die nicht daran interessiert sind, ihren Kindern ein sicheres Zuhause zu schaffen oder gegenüber ihren Kindern sogar eine entsprechende Grausamkeit an den Tag legen, kann man sich jetzt denken.

Wichtig ist: Wie überall gibt es keine hundertprozentige Korrelation zwischen elterlicher Grausamkeit und der Entwicklung von pathologischem Narzissmus. Viele Kinder erfahren Missbrauch in egal welcher Form und werden dennoch zu gesetzestreuen, empathischen und liebevollen Erwachsenen.

Aber andere bleiben sozial deformiert und entwickeln eine narzisstisch gestörte Persönlichkeit. Für einige von ihnen ist das der Beginn einer egoistisch motivierten und durch Hass auf die gesamte Menschheit gefütterten kriminellen Karriere.

Wie anfangs erwähnt, haben Narzissten oft selbst narzisstische Eltern. Das liegt daran, dass deren natürlicher Erziehungsstil beinhaltet, ihre Kinder nicht als eigenständige Individuen wahrzunehmen, sondern als eine Art Erweiterung der eigenen Person. Dabei werden dann die Elternbedürfnisse so auf das Kind projiziert, dass dieses von früh auf lernt, die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen. So hat es kaum Chancen, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Diesen Faktor benennt Pablo Hagemeyer als maßgeblich für die Entwicklung einer narzisstischen Tendenz:

»Die narzisstische Selbsterweiterung der Eltern führt zu einer dramatischen Überschreibung der natürlich angelegten selbstbezogenen Bedürfnisse des Kindes, das sich zur Bewunderung oder aus der Not zur Gefälligkeit gezwungenermaßen zurücknimmt und gar nicht lernt, sich selbst echt und ehrlich als Individuum wahrzunehmen, sondern nur das Image der Eltern mitsamt deren elterlichen narzisstischen Projektionen lebt. Das sich dadurch selbst innerlich entweder leugnet, negiert, unterdrückt, abwertet, kaum emotionalen Kontakt zu sich hat, kein Selbst-Mitgefühl, das leidet, depressiv wird, sich sinnlos und leer im eigenen Kern wahrnimmt und dann als Kompensation spürbar oder in einer Art Selbstverblendung dieses elterliche Image als Grandiosität oder paranoider Angst der Selbstwertbedrohung weiterlebt und denkt: That’s it.«

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Die Folgen einer solchen Entwicklung können vielseitig sein. Neben dem Begünstigen einer NPS reichen diese von sozialer Isolation und Depression über später delinquentes Verhalten, Essstörungen oder Substanzmissbrauch bis hin zu ausgeprägten Persönlichkeitsstörungen wie Borderline oder dissozialen und paranoiden Störungen.

Oft ist das Leben von Narzissten auch von Neid bestimmt. Und hierfür wird durch das Elternverhalten der Grundstein gelegt. Auch das macht Sinn. Bewusst oder unbewusst nehmen Kinder wahr, dass andere »besser« behandelt werden. Dabei entsteht ein tiefer Groll. Das ist vollkommen nachvollziehbar. Aber während es manche Menschen schaffen, damit umzugehen und sich als Erwachsene selbst zu geben, was sie als Kinder vermissen mussten, kultivieren andere tiefe ablehnende Haltungen gegenüber dem Rest der Welt. Missgunst, Neid und Feindseligkeit können die Folgen sein.

Wenn wir noch einen Blick auf weitere negative Verhaltensweisen von unbehandelten Narzissten werfen, finden wir ein hohes Maß an zwischenmenschlichen Problemen durch aufbrausendes Verhalten und offene oder auch verdeckte Aggressionen. Auch Angst ist ein treibendes Motiv für Narzissten. In extremen Fällen kann es zu einer derart gestörten Wahrnehmung der Realität kommen, dass Betroffene psychoseartige Symptome entwickeln. Gefährlich wird es, wenn sich zusätzlich andere pathologische Persönlichkeitsstrukturen – wie antisoziale oder paranoide – entwickeln. Das Risiko, dass solche Personen später durch schwer schädigende Verhaltensweisen auffällig werden und Verbrechen bis hin zu Gewalttaten begehen, steigt enorm.

Das zeigt auch unser erstes Fallbeispiel. Und auch wenn es mir lieber wäre, nichts mit unserem ersten Täter gemein zu haben, startet auch seine »Karriere« mit etwas ebenso Typischem wie scheinbar Harmlosen: mit Graffiti.

Ich selbst war zwölf oder 13 Jahre alt, als ich anfing, mich für Graffiti zu interessieren – und ich wurde sofort abhängig.

Der Gedanke, mir einen neuen Namen zuzulegen und unter diesem Namen dann berühmt zu werden, war unglaublich verlockend für mich.