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Glücksspielsucht ist ein Thema, das oft im Verborgenen bleibt. Doch was passiert, wenn Migration und Spielsucht aufeinandertreffen? Dieses Buch geht einer brisanten und bislang zu wenig erforschten Frage nach: Warum sind Migranten häufig stärker von der Glücksspielsucht betroffen? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle, und wie können Betroffene besser unterstützt werden? Mit einem besonderen Fokus auf die Bedeutung sogenannter Cafés, die für viele Migranten als sozialer Treffpunkt und gleichzeitig als riskanter Zugang zur Spielsucht dienen, bietet diese Arbeit einen tiefen Einblick in die Mechanismen von Abhängigkeit. Es werden nicht nur kulturelle und familiäre Dynamiken beleuchtet, sondern auch praktische Lösungsvorschläge und Therapieansätze vorgestellt. Von der Wahrnehmung der Glücksspielsucht in unterschiedlichen Kulturen bis hin zu konkreten Empfehlungen für Prävention und Behandlung. Dieses Buch liefert fundierte Antworten. Zahlen, Fakten und Statistiken unterstreichen die Relevanz des Themas. Ein unverzichtbares Werk für Fachleute, Angehörige und Betroffene gleichermaßen, das nicht nur informiert, sondern zum Handeln inspiriert.
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Seitenzahl: 76
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Wer Pech hat, gewinnt am Anfang!
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Vorwort
1.0 Einführung
Begriff
Symptome
Faktor “Zufall“ und “Glück“
Manipulationen und illegale Angebote
Einnahmen durch Glücksspiel
2.0 Das Suchtproblem
Annahme von professioneller Hilfe
Glücksspielarten
Typus der Spielsüchtigen
Gründe fürs Spielen
Therapie und Rückfall
3.0 Glücksspielsüchtige mit Migrationshintergrund
Generationenunterschied
3.1 Einfluss der Migration
Typischer Verlauf
3.2 Cafés
3.3 Problemwahrnehmung und –behandlung
Mythen
Therapieformen
Kultursensible Beratung und Therapie
4.0 Zahlen und Statistiken aus der türkischsprachigen
Glücksspielsuchthotline
5.0 Fazit
6.0 Literatur
„Gehen Sie, um Gottes willen, gehen Sie“, flüsterte eine andere Stimme an meinem linken Ohr. Ich sah flüchtig hin. Es war eine sehr bescheiden und anständig gekleidete Dame, um die Dreißig, mit einem krankhaft blassen und müden Gesicht, das immer noch Spuren einer einstigen Schönheit trug. In diesem Moment stopfte ich gerade die zusammengeknüllten Banknoten in die Taschen und sammelte die herumliegenden Goldmünzen ein. Ich griff nach der letzten Rolle mit fünfzig Friedrichsdor und drückte sie ganz unauffällig der blassen Dame in die Hand; ich folgte damals einem unwiderstehlichen Wunsch, und ihre schmalen, mageren Fingerchen, ich weiß es noch, drückten zum Zeichen lebhaftester Dankbarkeit fest meine Hand. Das alles geschah in einem Augenblick.
Nachdem ich alles eingesammelt hatte, begab ich mich rasch zu trente et quarante.
Bei trente et quarante trifft sich das aristokratische Publikum. Das ist nicht Roulette, es sind Karten. Hier garantiert die Bank hunderttausend Taler auf einen Schlag. Der höchste Einsatz ist gleichfalls viertausend Florin. Ich hatte von dem Spiel keine Ahnung und wusste nur, dass man auch hier auf Rot und Schwarz setzen konnte. Und danach richtete ich mich. Die Besucher des Saals versammelten sich um mich. Ich weiß nicht mehr, ob ich während dieser Zeit auch nur ein einziges Mal an Polina gedacht habe. Ich empfand damals eine unstillbare Lust beim Packen und Bündeln der Banknoten, die sich immer höher vor mir aufhäuften.
In der Tat, es schien eine Fügung des Schicksals. Dieses Mal, ausgerechnet dieses Mal, wiederholte sich ein Umstand, der beim Spiel übrigens gar nicht einmal selten ist. Das Glück, zum Beispiel, kann sich an das Rot heften und ihm zehn-, ja sogar fünfzehn Mal die Treue halten. Ich habe erst vorgestern gehört, dass das Rot in der letzten Woche zweiundzwanzig Mal hintereinander gekommen ist, an einen solchen Fall konnte man sich beim Roulette nicht einmal erinnern und erzählte voller Staunen davon. Selbstverständlich verzichtet man sofort auf Rot, schon nach dem zehnten Mal traut sich keiner mehr, darauf zu setzen. Aber auch auf Schwarz, das Gegenteil von Rot, traut sich von den erfahrenen Spielern keiner, auch nur einmal zu setzen. Der erfahrene Spieler weiß, was eine solche »Hartnäckigkeit des Schicksals« bedeutet. Man kann, wie es scheint, nach sechzehn Mal Rot annehmen, das siebzehnte Mal müsse unbedingt Schwarz bringen. Neulinge fallen darauf scharenweise herein. Sie verdoppeln und verdreifachen die Einsätze auf Schwarz und verlieren fürchterlich.
Ich aber, aus irgendeiner sonderbaren Hartnäckigkeit, hatte mich, sobald ich merkte, dass Rot sieben Mal nacheinander gekommen war, absichtlich darauf kapriziert. Ich bin überzeugt, dass es halb aus Ehrgeiz geschah; es ging mir darum, die Zuschauer durch rasenden Wagemut zum Staunen zu bringen – oh, diese eigentümliche Empfindung –, und ich weiß es noch ganz deutlich, dass mich plötzlich tatsächlich, ohne den herausfordernden Ehrgeiz, ein unstillbarer Durst nach einem Risiko gepackt hatte. Vielleicht war dieser Durst, nachdem die Seele so viele Empfindungen ausgekostet hatte, nicht gestillt, sondern nur gereizt und verlangte weitere Empfindungen, immer heftigere und heftigere, bis zur vollständigen Erschöpfung. Und wirklich, ich übertreibe nicht, wenn die Spielregel es erlaubt hätte, fünfzehntausend Florin auf einmal zu setzen – ich hätte sie gesetzt. Ringsum erregtes Rufen, es sei Wahnsinn, Rot sei bereits dreizehn Mal gewesen!
„Monsieur a gagné déjà cent mille florins“, hörte ich eine Stimme in meiner Nähe.
Plötzlich kam ich zu mir. Wie? Ich hatte an diesem Abend hunderttausend Florin gewonnen! Brauchte ich denn etwa mehr? Ich raffte die Banknoten zusammen, zerknüllte sie, füllte damit, ohne zu zählen, die Taschen, schob mein ganzes Gold zusammen, sämtliche Rollen, verstaute es und rannte aus dem Casino. Man lachte, als ich durch die Säle ging, über meine abstehenden Taschen und meinen unter der Goldlast schwankenden Gang. Ich glaube, sie wog wesentlich mehr als ein halbes Pud. Einige Hände streckten sich mir entgegen; ich gab jeweils so viel, wie die Hand in der Tasche fasste. Zwei Juden sprachen mich beim Ausgang an.
„Sie sind mutig! Sie sind sehr mutig!“ sagten sie zu mir. „Aber reisen Sie morgen früh ab, so früh als möglich, sonst werden Sie alles, alles verspielen …“
Auszug aus “Der Spieler“ von Dostojewski (2000).
Dostojewski verfasste sein Roman “Der Spieler“ 1866. Da er selbst an Glücksspielsucht litt und Spielschulden hatte, konnte er die Auswirkungen dieser Sucht, die Gefühle und Wahrnehmungen beim Spielen detailliert genau schildern. So enthält dieser Roman, den er in nur 26 Tagen diktiert haben soll, auch autobiographische Züge.
Bis die Glücksspielsucht allerdings auch als Problem und Krankheit weltweit erkannt wurde, sollte es aber noch über 100 Jahre dauern. Und auch dann kam es erst zu großen wissenschaftlichen Debatten darüber, welche Form von Krankheit es ist.
Inzwischen gibt es viele Untersuchungen in diesem Gebiet, so dass man davon ausgehen kann, dass auch in der Zukunft wichtige Erkenntnisse über die Glücksspielsucht gemacht werden können.
Zunehmend rückt auch das Thema Migration und ihr Einfluss auf die Glücksspielsucht ins Blickfeld der Forschung. Studien zeigen, dass Migranten stärker von der Sucht betroffen und auch anfälliger sind. In Deutschland betrifft dies vor allem türkische, kurdische und arabische Migranten. Hier fehlen jedoch verlässliche Forschungsarbeiten und Daten.
Genau hier soll die vorliegende Arbeit anknüpfen. Nachdem zunächst allgemeine Themen der Glücksspielsucht behandelt werden, soll die Arbeit Daten und Fakten über Glücksspielsüchtige mit Migrationshintergrund liefern und für weitere Forschungen und Studien einen wichtigen Beitrag leisten. Im Fokus stehen vor allem der Einfluss der Migration, aber auch die sogenannten Cafés, die zu einem wichtigen Faktor für Glücksspielsucht unter bestimmten Migrantengruppen führen. Zum Abschluss folgen Statistiken aus der türkischsprachigen Glücksspielsuchthotline.
Ein Dank an dieser Stelle gilt vor allem Ilona Füchtenschnieder-Petry, die mich zu diesem Thema sensibilisierte und unterstützte.
Dr. Cemil Şahinöz
Der Begriff “Glücksspiel“ könnte irritieren. Denn im Wort steckt das positiv besetzte Wort “Spiel“ (Hayer, 2015). Glücksspiel hat aber weder mit Glück zu tun, noch ist es ein Spiel. Es ist kein Spiel, der Gewinn ist kein Glück. Der Gewinn oder der Verlust sind vorprogrammiert und es macht süchtig. Das Endresultat ist dann nicht Glück, sondern eher Pech. Daher müsste es eigentlich nicht Glücksspielsucht heißen, sondern Pechsucht.
Glücksspielsucht, oder auch Pathologisches Spielen, ist häufig ein Thema, dass noch nicht wirklich in der Gesellschaft thematisiert wird. Vor allem, wenn man mit dem Thema nichts zu tun hat, bekommt man wenig davon mit1.
Zudem wird sie nicht so wahrgenommen wie andere Süchte. Ihre Gefahren sind unbekannt. Glücksspielsüchtige berichten davon, dass, wenn sie von ihrer Sucht sprechen, viele Personen sie fragen, wonach sie überhaupt süchtig sind, da diese Sucht eine substanzungebundene ist. Das bedeutet, die Unkenntnis über dieses Thema ist sehr hoch.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass Glücksspielsucht erst seit 2001 in Deutschland als Krankheit anerkannt wurde. Die Weltgesundheitsorganisation deklarierte es schon 1992 als solches. Dies zeigt, dass noch viel Sensibilisierungsarbeit in diesem Gebiet geleistet werden muss2.
An dieser Stelle macht es Sinn zu schauen, wann man überhaupt von einer Glücksspielsucht spricht. Laut dem ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health) wird es folgendermaßen definiert (GC50.0 und GC50.1): „Die Glücksspielstörung […] ist durch ein anhaltendes oder wiederkehrendes Glücksspielverhalten […] und durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist: 1. Beeinträchtigung der Kontrolle über das Glücksspiel (z. B. Beginn, Häufigkeit, Intensität, Dauer, Beendigung, Kontext); 2. Zunehmende Priorität des Glücksspiels in dem Maße, dass das Glücksspiel Vorrang vor anderen Lebensinteressen und täglichen Aktivitäten hat; und 3. Fortsetzung oder Eskalation des Glücksspiels trotz des Auftretens negativer Konsequenzen. Das Verhaltensmuster ist so schwerwiegend, dass es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereiche führt. Das Verhaltensmuster des Glücksspiels kann kontinuierlich oder episodenhaft und wiederkehrend sein. Das Glücksspielverhalten und andere Merkmale sind in der Regel über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten zu beobachten, damit eine Diagnose gestellt werden kann, wobei die erforderliche Dauer verkürzt werden kann, wenn alle diagnostischen Anforderungen erfüllt sind und die Symptome schwerwiegend sind.”
Seit 1980 ist Glücksspielsucht als Pathologisches Glücksspiel auch im DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) eingetragen. Laut der Definition von DSM spricht man von Glücksspielsucht, wenn mindestens 5 dieser Punkte3 zutreffen:
Starkes Eingenommen sein vom Glücksspiel
Immer höhere Einsätze, um die gewünschte Wirkung zu erreichen.
Wiederholt erfolglose Versuche, das Spielen zu kontrollieren, zu verringern oder zu stoppen
Unruhig und gereizt beim Versuch, das Spielen einzuschränken oder auf zu geben.
Spielt, um Problemen oder negativen Gefühlen zu entkommen.
Spielen, um Verluste auszugleichen
Belügen von Angehörigen, vertuschen des Spielens.
Wichtige Beziehungen oder der Arbeitsplatz wurden wegen des Spielens gefährdet oder verloren.