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Geschichten aus Aolai erzählt, wie auch die Erzählung "Schwalbennest" geschichten aus einem fernen Land. Aolai ist ein Teil der Simulation Magira. Diese Simulation bietet auf der Welt Magira den unterschiedlichsten Kulturen Platz. Jede Kultur wird durch wirklich lebende Personen dargestellt und mit Leben Erfüllt. Aolai ist eine davon. Sie basiert auf den alten Werten des Kaiserreichs China.
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2025
Herausgeber
Erik Schreiber
Geschichten aus Ao-lai
Arcanum Fantasy Verlag
e-book: 310
Titel: Geschichten aus Ao-lai
Erscheinungstermin: 01.08.2025
© Saphir im Stahl Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Archiv Andromeda
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb neobook
Herausgeber
Erik Schreiber
Geschichten aus Ao-lai
Arcanum Fantasy Verlag
Inhaltsverzeichnis
Lusede Yanying
Mord in Miyako-Tokoro
Die vergänglichen Spuren des Mönchs Chiang Lung im Staub der Geschichte seiner Heimat Ao-Lai
Eine bemerkenswerte Geschichte
No-Tscha
In nur einer Nacht
Dichtermönch Zshung-tse
Ehre den Ahnen
Die GrabunhoIde verIassener TempeI
Finsternis über dem Land
Die Hölle von Ao-lai
Der Mann, der gern Pfandleiher werden wollte
Der langweilige Geschichtenerzähler
Der sesshafte Gast
Lusede Yanying
Im Palastgarten des Daogun saß die Zauberin Lusede Yanying, lizenzierte aolaische Mosushi für die Provinz Shintaiy, vor einem kleinen Teehaus. Sie konnten ihren Blick über die schönen Gartenanlagen und kleinen Teich bis hinüber zum Palast blicken.
Die Dienerin Motoko Kusanagi schenkte der jungen, hübschen Frau Tee ein. Es war ihre sechste Kanne Tee, seit dem sie sich in den Garten begeben hatte. Um ihre Fertigkeiten der Kalligraphie zu verfeinern, malte sie mit feinen Strichen in einem Sandkasten die Zeichen für „Geist“ und „Macht“. Geduldig wartete sie nach jedem Zeichen, während die Dienerin stumm mit einem Schieber den Sand erneut glättete.
Auf hohen Absätzen, wie im Palast üblich, stolzierte die Geschichtenerzählerin des Daogun, Aoi Chocho, durch den Garten. Ihr reich verzierter Kimono, ein Geschenk des Daogun für eine besonders schöne Geschichte, raschelte so sanft, dass dies Geräusch mit dem Gluckern der kleinen Bäche und Wasserfälle verschmolz.
Sie kam über eine kleine Brücke zum Teehaus mit der Zauberin. Stumm schaute sie eine Weile den Kalligraphieübungen zu. Gerade griff Yanying zur Teeschale, als sie von der Geschichtenerzählerin begrüßt wurde: „Mhui Thai, Mosushi Lusede Yanying. Eure Kunstfertigkeit mit dem Pinsel zeugt von langer Übung. Würdet Ihr nur für mich einmal ein anderes Zeichen malen?“
„Es freut mich, dass Euch diese ungelenken Pinselübungen so gefallen. Ich übe nun schon seit zwölf Jahren, doch scheint es mir, als ob ich nur wenige Zeichen in einer akzeptablen, lesbaren Form zu malen vermag. Welches Zeichen wünscht ihr denn hier im Sande zu sehen?“, fragte Fräulein Lusede.
„Macht!“
„Macht? Aber ich habe dieses Zeichen doch gerade erst …“
„Ich meine die Macht, die Euch hierher an den Hof des Daogun brachte. Die wahre Macht …“
„Jade? Magie? Chi? Welche davon meint ihr?“
„Jade? Nein. Magie? Nein. Euer Leben! Davon will ich gern mehr erfahren. Könnt ihr dieses Leben in ein Zeichen unterbringen?“
Die Zauberin lächelte verschmitzt, ergriff die Teeschale und schleuderte mit einer gekonnten Handbewegung den Rest des Tees in den Sand. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stand sie auf und ging. Aoi Chochos Mundwinkel zuckten unwillig, denn dieses Verhalten war ungebührlich und unhöflich, aber die Zauberin hatte am Hof des Daogun eine Sonderstellung. Just wollte Chocho zornig aufstehen, als sie erkannte, dass die Tropfen des Tees im Sand ein Schriftzeichen geformt hatten: „Großmutter“.
Aoi Chocho stand am späten Nachmittag mit dem Daogun vor dem Teehaus und schaute auf das Schriftzeichen im Sand. „Großmutter“, sprach der Daogun Tozan Toragashi, „ein seltsames Zeichen als Antwort auf die Frage nach der Macht. Andererseits verständlich, denn schon Lusedes Großmutter war hier in Shintaiy bis vor gut zwanzig Jahren lizenzierte Zauberin am Hofe meines Vorgängers.“
„Das habe ich gar nicht gewusst!“, hauchte Aoi Chocho erstaunt.
„Vielen älteren Shintaiy ist der Name Lusede noch sehr bekannt. Yanyings Vater ist Sohn eines kleinen aolaischen Handelshauses, das schon seit mehr als 40 Jahren Handel mit den Shintaiy betreibt. Uraga hat mit Richter Morinaga für mich ein wenig nachgeforscht. Ihre Mutter, übrigens bis vor der Hochzeit einst eine einfache Schneiderin am Hof der Familie Sato, ist vor sieben Jahren verstorben.“
„Lauter bekannte Namen!“
„Ja, der ehrenwerte Sheng hat nicht ohne Grund gerade diese Zauberin an meinem Hof entsandt.“
„Er hat eigene Pläne?“
„Folgt die Nacht auf den Tag?“
„Daher batet ihr mich, zu ihr in den Park zu gehen. Ihr wolltet mehr über Fräulein Lusede erfahren.“
„Nun, ich sollte vorbereitet sein. Sie ist auf den Sheng vereidigt, nicht … auf mich!“
„Was wisst ihr noch über Sie?“
„Sie wurde in der Provinz geboren, ist jetzt also zweiundzwanzig Jahre alt. Ihr Vater lebt hier vor Ort in Miyako-Toroko. Seltsamerweise hat sie mit dem Vater wenig Kontakt. Fräulein Lusede erlernte das magische Handwerk nicht in einer der „wenigen offiziellen“ Ausbildungsstätten für lizenzierte Mosushi. Das hat Richter Morinaga herausgefunden. Die Kalligraphie lässt vermuten, dass Ihre Großmutter, obwohl seit zwölf Jahren verstorben … vielleicht dem Talent ein wenig auf die Sprünge geholfen hat.“
„Und wie wurde sie denn dann eine lizenzierte Mosushi?“
„Das weiß sicherlich nur der Sheng. Aber den möchte ich nicht fragen“, meinte Daogun Toragashi. „Aoi Chocho, ich wünsche, dass ihr euch mit ihr anfreundet. Ich muss mehr über Lusede Yanying erfahren.“
Der Tod steht mir gut
Die Hitze flimmerte über der „Insel voller Täler“, nur hier oben auf den Klippen wehte ein leichtes Lüftchen. Mehr oder weniger betreten schauten die Trauernden auf das Grab des einstigen Handelsherren des Hauses Houdu. Lange hat dieser dafür gesorgt das sich die „Insel voller Täler“ als „Tor zur Außenwelt“ verstehen durfte. Nur die Lotsen dieses Hafens kannten den Weg durch die Klippen und Untiefen hinaus in die „Alte Welt“.
Einige Mitglieder der Jadefamilie sind erschienen, darunter auch Daogun Tozan Toragashi, doch nur wenige Anwesende bemerkten den Mann mittleren Alters, der sich etwas Abseits hielt. Auch Xiu Xing sah den Mann, wusste ihn aber nicht einzuordnen in dem Bekanntenkreis von Herrn Houdu. Wer war der Fremde?
Quan Wu „de bangshou“, des Handelsherren alter Leibwächter stupste den Neffen, Houdu Mei „you dongxi youyong“ von Herrn Houdu an: „Sagt, ist das nicht Rou Chang?“ Dabei nickt er in Richtung des Fremden.
„Ja, er hat sich sehr verändert. Nicht nur die weiße Strähne ist neu, sein ganzes Erscheinen. Nun, es sind auch sicherlich fünf Jahre vergangen, seit wir ihn das letzte Mal sahen. Ist er auch im Testament bedacht, so wie wir?“
Der Fremde, Rou Chang, einst Anwärter der Jadefamilie, warf den beiden einen kurzen Blick zu und verbeugte sich leicht. Er drehte sich zur anderen Seite und schien mit jemanden zu sprechen, doch an seiner Seite war niemand zu sehen.
Leise sprach Rou Chang: „Seid ihr sicher das alle zu eurer Testamentseröffnung, kommen werden?“
„Sicher werden sie kommen. Es geht um viele Tael Gold, den Posten des Botschafters und den Fortgang des Handels mit den Fremdländern“, hörte er eine leise Stimme.
Bisai Taitai und Xiu Xing, die alten Mätressen des Handelsherren standen zusammen und tuschelten, Tozan Toragashi und Bin Ghou steckten den Hang abwärts schreitend ebenfalls die Köpfe zusammen. Die Gesellschaft zerfiel in kleine Gruppen, die über die Testamentseröffnung auf der kleinen Insel „Chaochen“ sprach. Wieso nur hat der alte Mann dafür nicht seine „Insel voller Täler“ auserkoren?
Einige der Anwesenden kannten „Chaochen“ nur zur gut. Manche erinnern sich nur ungern an die Nacht mit dem Heuschreckengeist oder an die Reise in das Reich der Toten ...
Mord in Miykoko-Tokoro
Fürst Sato betrachtete die Kiste vor sich. Obwohl die Münzen noch den Boden bedeckten, konnte er erkennen, dass sie bald leer sein würde. „Und es gibt wirklich keine Hoffnung weiteres Geld aufzutreiben?“ Es tat ihm in der Seele weh, sich an seinen Verwalter wenden zu müssen, doch ihm bleib nichts übrig.
„Ich habe überall nachgeschaut, Herr. Wir werden eine lange Durststrecke vor uns haben.“
Eigentlich musste sich der Fürst selbst die Schuld an dieser finanzielles Katastrophe geben. Seit er vor acht Jahren durch den Tod seines Vaters Fürst in Sintaiy geworden war, hatte er nur ein Ziel vor Augen gehabt: Einmal Mitglied im Daihyo zu werden und über den Kronrat die Insel-Kette zu kontrollieren. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte er unzählige Feste gegeben, viele Geschenke an wichtige Leute zum Geburtstag persönlich überbracht und einige wichtige Tempel verschönern lassen.
Und was hatte es ihm gebracht? Er war lediglich Mitglied im Kokkai, der Adelsversammlung, geworden. Viele Leute hatten ihm versichert, dass ihm irgendwann eine große Karriere bevorstand, er hätte bereits die Aufmerksamkeit des Daijo-Daijin - des mächtigen Herrschers.
Doch dann war alles anders gekommen. Der Sheng hatte den Daijo-Daijin abgesetzt und Tozan Toragashi zum Daogun ernannt. Dieser Emporkömmling musste die weit entfernten Welten, die Eingeweihte Magira nannten, bis auf das letzte Goldstück ausgeplündert haben, um dann durch Bestechung an diesen Posten zu kommen. Jetzt war dieser Kerl sein Herrscher, aber die Verhältnisse konnten sich ändern. Was er jetzt brauchte, war Zeit.
„Kann ich noch Geld aus meinem Gut holen?“
„Ich befürchte, das wird schwierig, Herr. Eure Mutter oder euer Bruder würden davon erfahren.“
Natürlich! Seine Mutter hatte ihn gewarnt, in die Hauptstadt zu ziehen. „Du wirst dort alles Geld verlieren und am Ende die Ehre.“ Ihre Worte brannten in ihm wie Feuer. Mit Hohn und Spott würden sich die Familienmitglieder daran erfreuen, wie er langsam unterging.
Vor allem sein Bruder. Seit der Kindheit kannte er nur das Kriegshandwerk. Nur seine Autorität hatte verhindert, dass dieser Trotzkopf mit jenem Toragashi nach Magira aufgebrochen wäre. Sobald die Schande bekannt würde, könnte er damit gegenüber seinen Gefolgsleuten prahlen, jungen schönen Männern, die er seit Jahren zu unsinnigen Manövern einsetzte, wenn er nicht nachts noch andere Betätigungen für sie fand.
„Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit?“
Dem Verwalter war die Situation offensichtlich peinlich. „Es gäbe schon etwas, aber ich weiss nicht ...“
„Mach es!“ Die Stimme klang nicht wütend. Sie klang verzweifelt.
Einige Tage später.
Uraga hatte gerade in der Schenke das achte Schälchen Reiswein zu sich genommen, als ein Diener des Daogun erschien und ihm ein kurzes Schreiben überreichte. Jemand Wichtiges war ermordet worden, und der Stellvertreter des Schwertmeisters habe nun die Erlaubnis, die Ermittlungen zu beobachten. Morgen früh solle er dem Daogun persönlich Bericht erstatten. Fluchend wickelte er sich mühsam in seinen Umhang. Dem Wirt warf er einen kleinen Beutel zu, der offensichtlich enttäuschten Schankmaid einen Blick. Sie hatte sich einiges versprochen, das Kind von armen Fischerleuten, die Piraten getötet hatten, wie sie immer behauptete. Vermutlich hatte sie danach einige Zeit bei den Schrecken der See gelebt, denn Uragas Geldbeutel war nach jeder Nacht mit ihr leer. Während er schwankend dem Diener folgte, fluchte er über den Regen, der die Hauptstadt von Shintaiy seit Tagen überzog. Wie die Kleine war er nur ein dünner Ersatz für jene Jahre im fernen Magira, und Gudruda, die Wali mit ihrer speziellen Art von Humor.
Schließlich erreichte er ein flaches langgestrecktes Gebäude. Darin fand er - nicht gerade zu seiner Überraschung - Richter Morinaga vor, der mit seinen Gehilfen alles auf den Kopf stellte.
Es handelte sich um eine Schneiderstube. Gelegentlich hatte Uraga den Daogun hierher begleitet.
„Ihr kommt zu spät, Uraga! Wenn ihr einen guten Schneider braucht, was offensichtlich der Fall ist, müsst ihr euch an einen seiner lebenden Kollegen wenden.“
Uraga hatte das Bedürfnis, einen Richter zu verprügeln. Morinaga war Angehöriger einer bekannten Familie, und da er seine Abneigung gegen Toragashi nicht laut äußern durfte, versteckte er sie in Angriffen gegen Uraga. „Ich wurde hierher befohlen, Morinaga! Wo ist die Leiche?“
Der Schneider des Daogun war kein sehr groß gewachsener Mann gewesen, doch jetzt hatte jemand offensichtlich versucht, ihn noch kleiner zu machen, vielmehr in den Boden zu rammen. Sein Kopf war zertrümmert. Das dazugehörende Werkzeug war eine Kassette aus Eisen. Merkwürdig war nur, dass er auf einem Haufen von Kleidern lag. Sie waren offensichtlich von einem Haken in der Decke gerissen worden, und dann waren da noch auf einem Balken seltsame Dellen.
„Habt ihr genug gesehen?“, blaffte Morinaga. Er tauschte mit einigen seiner Gehilfen eindeutige Blicke aus.
„Wo sind seine Gesellen?“
„Zu Hause zum Essen. Der Meister hatte keine Frau.“ Uraga hatte plötzlich eine Ahnung. Ihm fiel die Szene wieder ein, als er hier mit dem Daogun gewesen war. Der Schneider war so zerstreut gewesen, dass es einige Zeit gekostet hatte, bis ihm wieder eingefallen war, wo er das Gewand für den damaligen Fürsten hingehängt hatte. Und richtig. Ein Überwurf in einer Ecke gehörte dem Meister und Uraga fischte daraus einen kleinen Zettel.
„Was ist das für ein Zettel?“
„Vermutlich die Kunden, die heute zu ihm kommen sollten.“
„Ich wäre euch dankbar, wenn ihr euch nicht weiter in die Untersuchung einmischt. Für mich ist der Fall klar. Geht jetzt!“
Uraga machte eine formvollendete Verbeugung und war aus der Tür verschwunden, bevor der Rechtsgelehrte einen Wutanfall bekommen konnte.
Draußen schlug er schnell den Weg zu seiner Kneipe ein. Zum Glück war Miyako-Tokoro nicht sehr groß und so erwischte er Eng und Chang beim Zechen.
Sie gehörten zu den Ausgestoßenen der Gesellschaft, keine richtigen Shintaiy, aber auch nicht nach Ao-Lai gehörend. Aber sie waren ausgezeichnete Informanten.
„Ihr Lumpenhunde, hört mir jetzt genau zu!“ Aus seiner Tasche holte er den Zettel hervor und verlas einige Namen. „Ihr werdet euch jeden dieser Fürstenhaushalte anschauen. Es muss einen geben, dessen Diener in letzter Zeit nicht so häufig auf den Straßen zu sehen sind. Sein Herr ist reich, hat aber noch kein festes Amt. Aber das Wichtigste: Seht euch nach einem Mann um, der das Vertrauen des Herrn genießt. Er muss sehr groß sein! Überflüssig, aber ihr könnt ja versuchen herauszubekommen, ob er heute Nacht zu Hause war. Den Namen dieses Mannes brauche ich.“ Eng und Chang nickten gleichzeitig und waren blitzschnell verschwunden.
In der Zwischenzeit beschloss Uraga, eine beginnende Übelkeit mit Alkohol zu bekämpfen.
Aber vorher sah er die Schankmagd aus der Küche kommen. Vielleicht gab es da noch etwas anderes.
Am nächsten Morgen.
Wenn man Yamata Kimushi begegnete, konnte das in zweierlei Form geschehen: Entweder man sah ihn oder man roch ihn. Es gehörte einfach zur Erscheinung des Shinnen-Priesters, wenn dies auch nur eine gute Maske war. Uraga kannte die Person sehr genau, der er jetzt über den Weg lief.
„Bei der Göttin der Barmherzigkeit! Uraga, ihr seht ja aus wie der leibhaftige Tod!“
Uraga versuchte witzig zu sein. „Versucht ihr einmal jede Nacht im Dienste des Daogun unterwegs zu sein.“
Kimushi rümpfte die Nase. „Musstet ihr dazu eine Schnapsbrennerei zerschlagen?!“
„Ach Unsinn!“ Uraga wusste natürlich, dass seinem Gegenüber genau bekannt war, was er in der Nacht trieb.
„Kimushi, ihr seid doch so schlau. Gibt es nicht in nächster Zeit eine Sitzung des Kokkai?“
„Ihr wollt mich nur veralbern, Uraga! Jeder in Miyako-Tokoro weiß, die nächste Sitzung ist morgen. Aber irre ich mich, oder seid ihr nicht hinter den Mördern des Schneiders unseres vielgeliebten Daoguns her?“
„Hängt alles damit zusammen. Eigentlich wollte ich ihm ja Bericht erstatten, aber ich denke diese Aufgabe hat sich erledigt.“
„Das kann schon sein. Mögen die Götter eure Wege behüten!“
„Und auch die euren, mein fürstlicher Freund!“ Uraga zischte diesen Satz so leise, dass ihn niemand hören konnte.
Nach dem Besuch eines Barbiers hätte sich Uraga gut fühlen können, doch dann tauchten plötzlich Eng und Chang vor ihm auf. Ein Teil der Informationen, die sie ihm gaben, klang interessant, doch dann kam die Nachricht, die ihn erschreckte: Richter Morinaga hatte die Gesellen des Schneiders verhaften lassen.
Wütend rannte Uraga los. Er hoffte, noch vor Beginn der Verhandlung vor Ort zu sein.
Morinagas Haus war gar nicht zu verfehlen. Zwar wollten ihm einige Wachen den Eintritt versperren, aber das Wappen des Daogun war ein guter Türöffner.
Wenn man bisher gezweifelt hätte, dass der Schneider ein guter Handwerker gewesen war, so zeigte die Zahl und der Rang der Anwesenden bei der Gerichtsverhandlung es deutlich an.
Vor dem Richtertisch knieten einige gefesselte Personen, vermutlich die verhafteten Gesellen.
Morinaga war in schrecklicher Laune. „Ich gebe euch noch einmal die Möglichkeit, das Verbrechen zu gestehen. Einer von euch hat den Meister im Streit erschlagen.“
„Gnade, Herr! Wir hatten nichts mit seinen Geschäften zu tun!“
„Was für Geschäfte?“
„Wir wissen es nicht. Manchmal schickte er uns aus der Werkstatt. So auch gestern Abend.“
„Ihr lügt! Und zusätzlich beschuldigt ihr einen Toten. Ihr wolltet eure Unterschlagung verdecken. Ich werde die Folter anordnen!“
„Da wäre ich vorsichtig, Richter.“ Uraga trat nach vorne und ging auf die Knie. Nicht, dass er den Vorsitzenden für so wichtig hielt, aber das Amt war zu ehren. „Wenn einer der hier Angeklagten unter der Folter stirbt, kommt ihr in Schwierigkeiten, denn sie sind unschuldig!“
„Lasst mich zufrieden mit eurem dummen Gerede, Uraga! Ihr verlasst sofort das Gericht!“
„Moment mal!“ Eine sanfte ruhige Stimme war zu hören. Der Daogun Tozan Toragashi betrat langsam den Raum, während die Anwesenden auf die Knie sanken. „Ich will nicht unterbrechen, aber ich würde gerne hören, was dieser brave Mann zu sagen hat.“
Uraga erhob sich und zog den Sprecher der Angeklagten hoch. Er reichte ihm höchstens bis zur Schulter. „Schneider sind gewöhnlich recht klein. Gibt es jemand unter euch, der größer ist?“
„Nein, Herr!“
„Richter, das bedauernswerte Opfer ist mit der Kassette erschlagen worden. Aber offensichtlich von oben. Um von oben auf einen Menschen einzuschlagen, muss man sowohl stark sein als auch sehr groß. Diese Leute sind nichts von beidem.“
Morinaga schluckte langsam. „Wenn ihr das meint, werde ich das überprüfen lassen. Aber die Tatsache, dass ihr keinen Beweis habt, wird diese Menschen auch nicht retten.“
„Ich habe noch mehr, Richter.“ Uraga sah sich im Saal um, nickte kurz und ging dann zum Fürsten.
„Höchster Herr, mit eurer Erlaubnis, bitte ich darum, dass die Wächter, die Angeklagten und die Leute ohne Adel den Raum verlassen.“
„Warum sollte ich das tun?“
Als Antwort reichte ihm Uraga den kleinen Zettel. „Das waren die Kunden, die er gestern bedienen wollte. Sie sind alle hier im Raum, doch nur einer ist der Täter.“
„Und er ist darunter?“