Gespenster-Krimi 181 - Morgan D. Crow - E-Book

Gespenster-Krimi 181 E-Book

Morgan D. Crow

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Beschreibung

Donner grollte über den Wiesen und Äckern. Ein Blitz erhellte einen Augenblick lang die Weite, doch kein Regentropfen kühlte die ausgetrocknete, sommerliche Landschaft oder wusch den Staub von Dächern und Straßen. Ein frischer Wind kam von Westen auf und gewann rasch an Kraft. Unter Grollen und Wetterleuchten bog er Zweige und rüttelte an Fensterläden, als wollte er sich einen Blick ins Innere der Häuser von Goodman’s Land erzwingen, als suchte er in wilder Fahrt etwas Bestimmtes. Die tief stehende Sonne glomm am Horizont und färbte das Meer kupferfarben und purpur. Neuer Donner erhob sich, der Wind verwandelte sich in einen Sturm. Er trieb die Wolken voran, hob sie, die schwer und träge beinahe die Kronen der Bäume zu berühren schienen, höher hinauf - die Röte der untergehenden Sonne tauchte sie in blutige Farben. Alle Welt versank in ihrem Schimmer.

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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Die Stunde der Hexen

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

Die Stunde der Hexen

von Morgan D. Crow

Donner grollte über den Wiesen und Äckern. Ein Blitz erhellte einen Augenblick lang die Weite, doch kein Regentropfen kühlte die ausgetrocknete, sommerliche Landschaft oder wusch den Staub von Dächern und Straßen. Ein frischer Wind kam von Westen auf und gewann rasch an Kraft. Unter Grollen und Wetterleuchten bog er Zweige und rüttelte an Fensterläden, als wollte er sich einen Blick ins Innere der Häuser von Goodman's Land erzwingen, als suchte er in wilder Fahrt etwas Bestimmtes.

Die tief stehende Sonne glomm am Horizont und färbte das Meer kupferfarben und purpur. Neuer Donner erhob sich, der Wind verwandelte sich in einen Sturm. Er trieb die Wolken voran, hob sie, die schwer und träge beinahe die Kronen der Bäume zu berühren schienen, höher hinauf – die Röte der untergehenden Sonne tauchte sie in blutige Farben. Alle Welt versank in ihrem Schimmer.

Von der Arbeit heimkehrende Männer duckten sich auf ihren Fahrrädern gegen den Wind. Frauen eilten ins Freie, um Wäsche und vor die Türen der Geschäfte gestellte Waren einzufangen. Nicht wenige von ihnen fühlten ein seltsames Schaudern, wenn sie in den Himmel blickten, wenn der Sturmwind sie streifte, als seien Hände darin, die nach ihnen tasteten.

Ein Blitz zuckte über das Dorf hinweg, beinahe waagerecht – ihm folgte ein Donnerschlag, der das Geschirr in den Schränken zittern ließ.

In der Sakristei der Kirche St. Hilda klingelte ein Glockenspiel. Die zarten, aus Messing getriebenen Glöckchen flüsterten ängstlich.

Der Vikar, Mr Gregory, maß sie mit strengen Blicken. Er legte das Buch aus der Hand, in dem er eben etwas hatte nachschlagen wollen, und trat hinaus in den stillen Kirchenraum. Getaucht in das Scharlachrot des Unwetters, das sich mit den Farben der kunstvollen Fenster mischte, bereitete er ihm ein eigenartiges Grausen.

Auch Gregory spürte, dass etwas in der Luft lag, ohne festmachen zu können, woher seine Beunruhigung rührte. Gewiss, da war der Donner, das seltsame Licht. Allerdings war harsches Wetter an der englischen Südküste gewiss keine Seltenheit.

Der Vikar ging zur Priesterpforte und öffnete sie, um einen Blick ins Freie zu werfen. Der Sturm peitschte erste abgebrochene Zweige über den Friedhof und die Straße. Donner rollte heran und brach direkt über der Kirche wie Meeresbrandung.

Gregory zog den Kopf ein. Manchmal erwischte er sich noch dabei, dass derlei Getöse ihm noch Angst einjagte. Obwohl nun schon seit acht Jahren Frieden war und Verdun lange vorbei.

Von der kleinen Pforte an der Seite der Kirche aus beobachtete er die Wolken, die über das Dorf hinweghasteten. Etwas war darin.

Instinktiv wich Gregory unter den Türsturz zurück und bekreuzigte sich. Er schloss die Tür, mühte sich, die Schrecken abzuschütteln, die wieder in ihm aufsteigen wollten, und ging schließlich zurück zur Sakristei.

Er legte eben die Hand auf die Klinke, als sich eine gewaltige Böe gegen die Kirche warf.

Ein Jaulen fuhr durch das ganze Kirchenschiff und ein Hauch, so eisig kalt, dass es durch Mark und Bein ging.

Neuer Donner ertönte. Glas splitterte.

Gregory schrie auf und warf die Arme schützend über den Kopf. Bunte Splitter regneten herab, tanzten über den blanken Steinboden.

Der Sturmwind fuhr in die kreisrunde Öffnung des Fensters und gab dabei einen Laut von sich, als seien die Dämonen der Hölle ins Haus gefahren.

Bevor sie das Zimmer betrat, atmete sie tief durch. Auch Wochen, nachdem Harker aus dem Krankenhaus entlassen worden war, konnte Eliza die Anspannung nicht gänzlich abschütteln. Zu tief hatte sich ihr eingeprägt, was geschehen war. Wie knapp es gewesen war.

Sie öffnete die Tür und ging auf leisen Sohlen am Bett vorbei zu der doppelflügeligen Balkontür. Ihr Freund Harker hatte immer die Angewohnheit gehabt, mit offenem oder zumindest angelehntem Fenster zu schlafen. Doch seit seiner Krankheit fror er so schnell. Darum öffnete Eliza die Fenster erst am Morgen, wenn sie ihn weckte.

Sie zog die schweren, aquamarinfarbenen Vorhänge beiseite und drückte die geschwungene Klinke. Schon strömte warme, würzige Luft herein.

Am Abend hatte es ein Gewitter gegeben, und alles duftete noch nach feuchter Erde und Salz.

Das Meer lag wieder friedlich zu Füßen der Gärten von Musgrave Hall, doch in der Nacht hatte es geschäumt.

Einen Moment lang betrachtete Eliza die Weite. Von hier oben konnte sie einzelne Schiffe sehen – bei sehr gutem Wetter bis nach Frankreich.

Sie wand sich ab und umkreiste das große Bett.

»Guten Morgen, Lieber«, sagte sie, streifte ihre Slipper ab und streckte sich neben Harker aus.

Blass war er. Sein hübsches Gesicht noch immer mager, sein gewöhnlich dichtes, wildes schwarzes Haar matt und strähnig. Eliza schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an. Sie wusste, die Ärzte in der Klinik und Dr. Cutler, der Dorfarzt, gaben ihr Bestes. Doch wie heilte man einen Mann, der beinahe von einer Fee getötet worden war?*

»Guten Morgen«, sagte Harker leise.

»Guten Morgen. Wie geht es dir? Mich hat der Sturm die halbe Nacht wachgehalten.«

Harker rang sich ein müdes Lächeln ab. Kategorien wie »gut« oder »besser« waren sehr relativ geworden. Nachdem er in der Klinik soweit hergestellt worden war, dass er aufrecht sitzen und einige Schritte gehen konnte – und zumindest ein paar Pfund zugenommen hatte –, war er nach Musgrave Hall entlassen worden.

Das Herrenhaus gehörte Eliza, der Baroness Fitzgibbon of Musgrave. Seiner besten Freundin. Sie und ihr Butler Dillinger umsorgten Harker seither wie ein rohes Ei. In gewisser Hinsicht war er das auch.

»Brauchst du Dillinger heute Morgen?«, fragte Eliza und strich ihm eine Strähne aus dem hageren Gesicht.

Harker verneinte. Er war bemüht, sich selbst um seine Morgentoilette und das Ankleiden zu kümmern. Es strengte ihn noch immer übermäßig an, machte ihn kurzatmig und schlaff, aber er war entschlossen, an seiner Selbstständigkeit zu arbeiten.

Wie so oft, wenn er daran dachte, huschte ein Bild an seinem geistigen Auge vorbei. Schlank und schön und fröhlich, mit kirschrotem Mund und endlos langem, goldblondem Haar ... Eine lächelnde Mörderin.

»Gut«, sagte Eliza und setze sich wieder auf. »Ich muss nach dem Frühstück los. Du weißt ja, das Schulfest.« Sie verdrehte gespielt gelangweilt die Augen. »Ich habe Charles versprochen, dass ich komme. Aber ich versuche, mich nicht zu lange festnageln zu lassen.«

»Du musst nicht wegen mir zeitig heimkommen«, widersprach Harker. »Die Welt da draußen dreht sich weiter.«

»Gut«, sagte sie, klang aber wenig überzeugt. Wenn sie nicht hier war, war meist Dillinger zugegen, um ein Auge auf Harker zu haben. Sie wusste, dass ihr Butler in seiner unerschütterlichen Makellosigkeit und Gemütsruhe noch der Titanic das Versinken hätte ausreden können – und doch wäre sie lieber selbst an Harkers Seite geblieben.

»Ich hole dich dann zum Essen ab«, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Wie immer, wenn sie sein Zimmer verließ, atmete sie auf dem Korridor tief durch. Dann ging sie nach unten.

Nach einem ausgiebigen Frühstück brach Eliza ins Dorf auf.

Das jährliche Schulfest in Goodman's Land war stets ein buntes, lau‍tes, zuckerhaltiges Gewusel von Menschen, Aufführungen und Attraktionen. Man brauchte starke Nerven und eine sehr bejahende Lebenseinstellung, um es zu überstehen. Doch Adel verpflichtete nun einmal.

Mr Chadwick, der Wildhüter von Musgrave Hall, holte Eliza mit seinem Morris Crowley ab. Auf halbem Weg begegneten ihnen zwei Bewohner des Veteranenheims, denen sie sich als Mitfahrgelegenheit anboten. Arnie und Mr Miller nahmen sehr gern an.

Die Veteranen schätzten Eliza sehr. Während des Großen Krieges hatten sie und ihr Mann sich sehr für die Verwundeten, die Heimkehrer und ihre Familien eingesetzt. Sir Henry war vor drei Jahren verstorben, doch Lady Fitzgibbon hielt ihnen auch weiterhin die Treue. Sie war keine hochnäsige Madame, die der guten Presse wegen spendete. Eliza Fitzgibbon interessierte sich ehrlich für sie.

Auf der Fahrt berichtete Arnie, der trotz eines fehlenden Arms sehr gern und gut kochte, begeistert von einem neuen Rezeptbuch, das er ausgeliehen hatte. Mr Miller hielt sich, wie stets, zurück. Er war mehr Beobachter als Teilnehmer an Unterhaltungen.

Sobald der Anger gegenüber der Kirche St. Hilda in Sichtweite kam, wehte Stimmengewirr heran. Mr Miller behagte es durchaus nicht, aber Arnie versprach, ihn an den ausgelassenen Kindern und hektischen Eltern vorbeizuschleusen.

Mr Chadwick ließ die beiden aussteigen und lenkte seinen Wagen noch ein Stück weiter, in den Schatten einer großen Linde. Er nickte in Richtung der Kirche.

»Der Sturm hat eins der Fenster zerbrochen letzte Nacht«, sagte er und warf Eliza einen amüsierten Seitenblick zu. »Sie wissen, was das bedeutet, Ma'am.«

Eliza verzog das Gesicht. »O nein.« Ein kaputtes Fenster konnte nur eines bedeuten: Nicht nur allerlei Kinder und Eltern würden ihr den halben Tag über in den Ohren liegen, sondern auch Mr Gregory.

Der für seine trägen, um sich selbst mäandernden Predigten gefürchtete Vikar belagerte sie bereits seit einer Weile wegen eines neuen Taufbeckens. Nun gab es eine weitere kostspielige Position, die er versuchen würde, ihr mit unnachgiebiger Kleinarbeit aus den Rippen zu leiern.

Chadwick lachte in sich hinein. Dann wurde er erst. »Es ist das Runde.«

Eliza hob eine Braue. Sie wusste, was er meinte. Von den beiden Kirchen von Goodman's Land – St. Hilda und St. George – war Erstere die bei Weitem schönere. Vor allem war sie bekannt für ihre erlesenen Bleiglasfenster. Die Farbigkeit und die Feinheit der Details machten sie zu einem wahren Schmuckkästchen. Es gab jedoch nur ein einziges rundes Fenster, in der Westmauer.

»Sie wissen, was man über das Fenster sagt.«

Ja, auch das wusste Eliza. Das runde Fenster, das ein Allsehendes Auge in einer Sonne zeigte, die wiederum von einem Dreieck und schließlich einem achteckigen Stern umgeben war, stand im Ruf, aus einem ganz bestimmten Zweck angefertigt worden zu sein.

Man sagte, es wache über dem Grab einer Hexe.

Das Fest verlief nach allgemeinem Dafürhalten ausgezeichnet. Die Bewohner von Goodman's Land liebten es, Feste auszurichten. Sie fanden immer wieder Anlässe dazu, auch wenn das Ergebnis am Ende meist das gleiche war. War das Schulfest an der Reihe, unterschied es sich vor allem in Sachen des Unterhaltungsprogramms von den anderen.

An allerlei Büdchen wurden Bastelerzeugnisse und selbstgezogene Pflänzchen aus dem Schulgarten verkauft, und auf einer kleinen Bühne führten die Kinder ein gemischtes Programm auf. Es reichte vom schrillen Chorgesang angestaubten Liedguts bis zur dramatischen Interpretation klassischer Spielszenen und selbstgeschriebenen Witzen.

Es gab Kokosnusswerfen und einen Kostümwettbewerb – wobei sich das ein oder andere Kostümteil aus Pappe in der Sommerwärme von seinem Kleber verabschiedete – und kurze Vorträge der verschiedenen Klassenstufen über das, was sie im vergangenen Schuljahr gelernt hatten.

Ein kleiner Junge brach in Tränen aus, weil sein gefangener Lurch von der Katze gefressen worden war. Ein spindeldünnes Mädchen lief vor Aufregung so rot an, dass man befürchten musste, dass sie gleich in Ohnmacht fiel.

Zwischen allem fuhr die örtliche Feuerwehr mit ihrem blankgeputzten Wagen Touren quer durch das Dorf, wurden Waffeln gebacken und Würstchen gegrillt, Fisch zubereitet, der am Morgen noch im Meer geschwommen war, und das eine oder andere aufgeschlagene Knie verarztet.

Mütter fächelten sich mit ihren Hüten Luft zu, Väter fachsimpelten über Gott und die Welt – und immer wieder schnappten sich diverse Dorfbewohner ihre Grundherrin, um ihr diverse Sorgen und Nöte mitzuteilen. Nicht wenige erkundigten sich auch nach Harker.

Mittag kam näher, und erste Diskussionen zwischen Kindern und Eltern entbrannten, ob man heimgehen oder noch bleiben sollte. Eliza schmunzelte im Stillen über diese Dispute. Sie selbst war kinderlos und hatte sich nie als mögliche Mutter gesehen, und wenn Klein-Benjamin und Du-bist-doch-schon-groß-Catherine ihren Eltern dergestalt inbrünstig zusetzten, beglückwünschte sie sich heimlich dazu.

Eliza biss eben herzhaft in eine warme puderbezuckerte Waffel, als sie auf der anderen Straßenseite Mr Gregory entdeckte. Der Vikar kritzelte im Gehen irgendeine Notiz in ein kleines Heftchen und hatte sie noch nicht bemerkt.

Mit einem Mal stellte sich Eliza eine stechende Gänsehaut auf. Ein formloses Gefühl der Bedrohung breitete sich aus dem Nichts heraus in ihr aus.

Auch die anderen Menschen schienen es zu bemerken. Das Lachen und Schwatzen wurde leise, als senkte jeder die Stimme, um auf etwas zu horchen.

Der Wind frischte auf. Wolken warfen Schatten auf den Anger, der eben noch unter einem klaren blauen Himmel gelegen hatte.

Eliza legte ihren Imbiss aus der Hand. Sie sah auf zu dem blassen Leuchten, das in den Wolken zuckte. Eiseskälte überzog ihre Arme.

Jäh erschütterte ein Donnerschlag das Dorf.

Ein einzelner Blitz fuhr wie eine gleißende Klinge auf den Weg vor dem Kirchhof herab.

Menschen schrien.

Eine Druckwelle ließ Gläser klirren und presste sich gegen die Lungen.

Es dauerte nur eine Sekunde, dann klarte der Himmel wieder auf, und die Angst und das Gleißen des Blitzes schienen nichts als Illusion gewesen zu sein. Das Dorf hielt den Atem an.

Dann zerbarst die Stille. Gruppen von kreischenden Kindern und die eilends ins Schulhaus drängenden Erwachsenen strömten an Eliza und dem Waffelstand vorbei. Stimmen riefen um Hilfe.

Auf dem Weg vor der Kirche lag, lang hingestreckt, der Vikar von St. Hilda. Der Blitz war mitten durch ihn hindurchgefahren.

Trotz der Wärme und der Wolldecke, die Dillinger ihm gebracht hatte, fröstelte Harker. Mit müden Augen sah er zu, wie sich die Leinenbespannung des Sonnenschirms im seichten Wind hob und senkte.

Harker hatte versucht zu lesen – aber noch immer verließ ihn die Konzentration nach kurzer Zeit. Das Buch hatte er schnell aufgegeben, für einen Artikel in der örtlichen Zeitung mehrere Anläufe gebraucht, doch er klammerte sich daran fest wie an einem Strohhalm.

Strohhalme waren ab einem bestimmten Punkt das Einzige, das einem noch blieb.

Harker war seit Wochen krank, seine Besserungen klein und oft nicht von Dauer. Selbst wenn er sich nur im Haus bewegte, benötigte er einen Gehstock. Seine einmal sportliche Figur war dahin, sein Gedächtnis spielte ihm Streiche. Und wenn er schlief, suchte ihn die Fee heim.

Sie war ein hübsches Raubtier. Selbst ihr Tod hatte ihn nicht von ihr erlöst. Harker blieb ihr ausgeliefert. Blieb schwach, egal, welche Mittelchen man versuchte. Die Ärzte machten ihm wenig Hoffnung.

Harker hob die gefaltete Zeitung vor seine Augen und begann abermals zu lesen. Es fiel ihm schwer, sich den Inhalt des Berichts zu merken. Vor seiner Krankheit wäre es ihm ein Leichtes gewesen, ihn sich einzuprägen. Harker war Akademiker. Doktor der Geschichte, Doktor der Archäologie. Professor mit Lehrauftrag in Exeter. Doch das alles schien ein halbes Leben her zu sein.

Mit einer Konzentration, die ihm Kopfschmerzen bereitete, versuchte er, die tänzelnden Zeilen zu begreifen.

Rings um Goodman's Land, so wurde mit allerlei schlechten Wortspielen beschrieben, erwartete man in diesen Tagen das Auftauchen von magischen Quellen. Kleine, nur für wenige Tage sprudelnde Gewässer, die etwa alle einhundert Jahre erschienen. Andere Chronisten gaben einhundertfünfzig Jahre an, trotzdem kamen alle im Ergebnis auf 1926. Dieses Jahr.

Geschichten über wundersame Quellen gab es überall auf der Welt, und meist schrieb man ihnen in etwa die gleichen Kräfte zu. Wer aus ihnen trank, konnte mit den Tieren sprechen, die Zukunft vorhersehen, wurde immun gegen allerlei Krankheiten, erhielt die Gabe, vergrabene Reichtümer zu entdecken, oder wurde gar unsterblich.

Den Wunderquellen von Goodman's Land sagte man nach, dass unter den zwölfen, die entsprangen, sechs gute und sechs üble waren. Eine der schlechten Quellen verwandelte den Trinkenden angeblich in ein Tier. Eine andere ließ einen verstummen. Eine brachte gar den sofortigen Tod.

Harkers Interesse galt einer der sechs guten Quellen. Ihre Macht bestand darin, alle Spuren von Magie abzuwaschen.

Harker ließ die Zeitung sinken und schloss für einen Moment die Augen.

Das gleichmäßige Klopfen von Absätzen weckte ihn. Er runzelte die Stirn.

»Hallo, Lieber«, sagte Eliza und ließ sich mit einem Schnaufen neben ihm nieder. Der Liegestuhl, auf dem Harker seit dem Vormittag lag, war besonders breit und bot beiden bequem Platz. Er war vor Jahrzehnten für Tante Bessie, eine wohlbeleibte Verwandte von Elizas verstorbenem Mann Henry, konstruiert worden.

»Du bist ja doch so früh zurück«, sagte Harker.

Eliza gab ein Brummen von sich. Sie faltete die Hände vor dem Bauch und sagte: »Ja, weißt du, die Stimmung ist irgendwie eingeknickt, nachdem der Blitz den Vikar erschlagen hat.«

Harkers Stirn krauste sich noch etwas mehr.

Eliza hob die Schultern. »Du hast schon richtig gehört. Mit einem Mal hat es sich bezogen und – Wumm! Weg war er.«

Sie drehte sich auf die Seite, legte eine Hand auf Harkers Brust und berichtete ihm vom Gregorys Ende.

Dr. Cutler und seine Krankenschwester, Miss Hollister, waren sofort zu dem Getroffenen geeilt, doch jede Hilfe war zu spät gekommen. Der Blitz war direkt in seine beginnende Glatze gefahren und hatte ihn getötet.

Bis auf eine leichte Rötung der Kopfhaut und eine etwa zwei Inch breite Brandblase, die befremdliche Ähnlichkeit mit einer Schusswunde aufwies, schien er völlig unversehrt. Doch sein Herz begann nicht wieder zu schlagen.

»Charles hat alle Hände voll damit zu tun, die Kinder zu beruhigen«, beendete Eliza ihren Bericht.

Harker lachte leise. »Und du hast dich nicht berufen gefühlt, ihm dabei zu helfen?«

»Um Himmels willen, nein. Erwachsene Kranke sind mir lieber«, sagte sie. »Was hast du so getrieben, während ich weg war?«

Harker lehnte die Wange an Elizas kastanienrotes Haar. Der Duft von Maiglöckchen und Pfirsich ging davon aus. Er tippte auf die Zeitung. »Ich habe gelesen.«

Eliza schielte auf den Artikel. Sie hatte ihn am Morgen selbst gelesen, auch die, die in den vergangenen Tagen erschienen waren. Sie erriet leicht, worum sich Harkers Gedanken drehten.

»Es sind in diesem Körbchen aber einige ziemlich faule Äpfel«, sagte sie. »Falls diese Quellen überhaupt magische Kräfte haben, verwandeln sie dich in ein Äffchen, wenn du die falsche erwischst.«

Harker gab ein unwilliges Schnauben von sich. Unsicher, aber mit Nachdruck, setzte er sich auf. Eliza tat es ihm gleich.