Gespenster-Krimi 83 - Michael Blihall - E-Book

Gespenster-Krimi 83 E-Book

Michael Blihall

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Beschreibung

Karl Krobath saß auf der schmalen Holzbank vor seinem Haus und genoss den Sonnenuntergang. Er blickte über das verschneite Tal und döste trotz der Kälte vor sich hin.
Doch als seine Schäferhündin anschlug, richtete er sich ruckartig auf. Im Licht der untergehenden Sonne sah er eine hochgewachsene Gestalt in einem weiten, dunklen Mantel gemächlich auf seinen Bauernhof zukommen. Karl schirmte mit einer Hand seine Augen vor den Sonnenstrahlen ab und erkannte mehrere schattenhafte Leiber, die dem fremden Mann folgten. Zuerst hielt er diese Schatten für Hunde. Doch je näher sie kamen, desto besser erkannte er, dass es sich um Wölfe handelte. Der alte Mann glaubte, seinen Augen nicht mehr trauen zu können.
Seine Hündin bellte die ganze Zeit über wie verrückt. Der Fremde ließ sich davon nicht beirren, und Karls Unbehagen wuchs, als dieser mit seinem Wolfsrudel das Grundstück betrat ...


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Inhalt

Cover

Die Belagerung

Special

Vorschau

Impressum

Die Belagerung

von Michael Blihall

Karl Krobath saß auf der schmalen Holzbank vor seinem Haus und genoss den Sonnenuntergang. Er blickte über das verschneite Tal und döste trotz der Kälte vor sich hin.

Doch als seine Schäferhündin anschlug, richtete er sich ruckartig auf. Im Licht der untergehenden Sonne sah er eine hochgewachsene Gestalt in einem weiten, dunklen Mantel gemächlich auf seinen Bauernhof zukommen. Karl schirmte mit einer Hand seine Augen vor den Sonnenstrahlen ab und erkannte mehrere schattenhafte Leiber, die dem fremden Mann folgten. Zuerst hielt er diese Schatten für Hunde. Doch je näher sie kamen, desto besser erkannte er, dass es sich um Wölfe handelte. Der alte Mann glaubte, seinen Augen nicht mehr trauen zu können.

Seine Hündin bellte die ganze Zeit über wie verrückt. Der Fremde ließ sich davon nicht beirren, und Karls Unbehagen wuchs, als dieser mit seinem Wolfsrudel das Grundstück betrat ...

Karl erhob sich von seiner Bank, etwa zehn Meter vor ihm blieb der Mann mit seinen Wölfen stehen. Das Gesicht des Unbekannten verzog sich zu einem breiten Grinsen. Karl erschauderte bei diesem Lächeln. Der Mann vor ihm strahlte eine eiskalte und bösartige Aura aus.

Die Wölfe verhielten sich ruhig. Und auch Bessy, Karls Schäferhündin, hatte aufgehört zu bellen. Im selben Moment, als der Mann mit seinem Wolfsrudel stehen geblieben war.

»Grüß Gott«, sagte Karl mit krächzender Stimme. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

Das Lächeln des Mannes vor ihm wurde noch etwas breiter. Karl bemerkte die außergewöhnliche Augenfarbe des Fremden. Gelb, dachte er. Mit einem Rotstich ...

»Ich bin mir sicher, dass ich dir helfen kann, guter Mann.«

Die Stimme des Fremden klang sehr angenehm, und Karls Unruhe legte sich etwas.

Als der großgewachsene Mann ebenso ruhig weitersprach, hatte Karl das Gefühl, als käme diese Stimme direkt aus seinem eigenen Kopf. »Ich denke, dass ich dir einige deiner Sorgen abnehmen kann, Karl. Dieser Hof hier macht doch nur noch Kummer und Mühe, seit deine Vroni von uns gegangen ist, nicht wahr? Und deine Söhne? Sie sind weit weg und interessieren sich nicht dafür, was du hier mit Schweiß, Blut und Tränen aufgebaut hast.«

»Woher wissen Sie meinen Namen? Kennen wir uns? Woher wissen Sie das alles?«

»Es geht nicht darum, was ich weiß, lieber Karl. Es geht darum, was ich für dich tun kann ...«

»Und was können Sie für mich tun?«

»Ich schenke dir ... Freiheit.«

Eine Woche später

WERNER

Ein bisschen eng ist die Kurve schon, dachte Werner, als er seinen Bus auf die schmale Zufahrt lenkte, die zwischen der Kirche und dem Friedhof vorbeiführte.

Doch Werner war seit zwanzig Jahren Busfahrer und meisterte die Kurve gekonnt. Er liebte seinen Beruf. Umso mehr, seit er sich vor fast sieben Jahren seinen Traum erfüllt und sich mit einem eigenen Reisebusunternehmen in Kärnten selbstständig gemacht hatte. Sein Unternehmen lief sehr gut, und er fuhr inzwischen Ziele in ganz Europa an.

Manchmal bekam der sechsundvierzigjährige dadurch zwar seine Frau und seine beiden Töchter tagelang nicht zu Gesicht, aber die Familie kam dafür mit seinem Verdienst ganz gut über die Runden.

Heute hatte er allerdings eine eher kurze Routinefahrt zu erledigen: Er sollte eine kleine Gruppe von Pfadfindern aus einem Dorf in Kärnten abholen und nach Deutschlandsberg in die benachbarte Steiermark bringen.

Hin und retour – ungefähr 120 Kilometer, dachte er.

Werner freute sich über diesen Auftrag, da es ihn diesmal nicht so weit in die Ferne verschlug. Die Fahrt würde ihm zwar auch nicht viel Geld bringen, aber dafür könnte er den Abend wieder zusammen mit seiner Familie verbringen.

Am Telefon hatte man ihm gesagt, er solle neun Personen abholen. Sein Bus war deshalb mit seinen vierzig Sitzplätzen in Wahrheit ein wenig zu groß. Aber Horst, sein im Unternehmen angestellter jüngerer Bruder, war bereits heute früh mit dem kleineren Bus nach Wien gefahren ...

Werner fuhr weiter zum vereinbarten Treffpunkt. Ein großer Parkplatz hinter der alten Dorfkirche. Dort warteten auch schon einige Personen mit Rucksäcken. Eine Frau um die dreißig winkte zuerst dem Busfahrer zu und sprach dann mit ihrer Gruppe.

Neun Personen, zählte Werner mit einem Blick.

Sieben Jugendliche und zwei Erwachsene, denn außer der Frau stand noch ein Mann etwas abseits und tippte in sein Handy. Als der Bus schließlich anhielt, steckte der Mann sein Telefon in die Hosentasche und bedeutete den Jugendlichen mit einer Geste, dass sie ihre Rucksäcke aufnehmen sollen.

Kinder sind das jedenfalls keine mehr. Ich schätze mal, die werden alle so um die 16, 17, 18 herum sein ... Na, hoffentlich benehmen die sich einigermaßen.

Die Jugendlichen kamen nun auf den Bus zu, die Frau ganz vorne an der Spitze. Der Mann bildete den Abschluss. Werner betätigte den Knopf vor sich, der die vordere Bustür öffnete.

Die Frau kam um den Bus herum und streckte ihren Kopf herein. »Sind Sie der Bus, der uns nach Deutschlandsberg bringen soll?«, fragte sie.

»Ich bin zwar kein Bus, sondern nur der Busfahrer, aber ja, ich bringe euch nach Deutschlandsberg.« Werner strahlte sie mit seinen blendend weißen Zähnen an.

Die junge Frau wurde etwas rot, kicherte und wandte sich dann an ihre Gruppe. »Also, alles einsteigen«, rief sie. »Aber benehmt euch anständig.«

Irgendwie müssen die das immer dazu sagen, oder ...? Die Gruppenleiterin erinnerte Werner an seine ehemalige Volksschullehrerin.

»Ich heiße Steffi«, sagte sie, während sie einstieg. Dabei sah sie dem schwarzhaarigen Mann mit dem strahlenden Lächeln etwas länger in die Augen als nötig.

Ohne dass er sich darauf etwas einbildete, passierte Werner das tatsächlich öfter. Er war zwar eitel genug, bei seiner Haarfarbe inzwischen etwas nachzuhelfen, war seiner Frau in all den Ehejahren aber niemals untreu geworden. Selbst auf den langen Reisen nicht.

Steffi blieb ganz vorne neben ihm stehen, als die ersten Jugendlichen die schmale Treppe hochkamen und ins Wageninnere vorgingen.

Alle trugen – wie die beiden Erwachsenen – Pfadfinderuniformen. Einige hatten sogar einen Hut auf, andere wegen der derzeitigen Kälte lieber Wollhauben. Manche sahen den Busfahrer an und grüßten ihn freundlich, während andere ihn völlig zu ignorieren schienen. Werner war das vollkommen gleich. Er war das gewohnt.

»Steffi«, wiederholte Werner. »Dann darf ich ja hoffentlich Du sagen?«

»Natürlich.«

»Gut. Ich heiße Werner.«

Sie schüttelten sich die Hände.

Inzwischen waren alle Kids eingestiegen und an ihnen vorbeigegangen. Den Abschluss bildete der Mann, der aufgrund seines blonden schütteren Haares etwas älter als Steffi wirkte.

Trotzdem dürfte hier die Frau das Sagen in der Gruppe haben, war sich Werner sicher.

Während die jungen Leute hinten über die Belegung der Sitzplätze diskutierten – obwohl es davon mehr als genug gab – stellte sich der Mann ebenfalls vor und schüttelte Werner die Hand.

»Hallo. Danke, dass Sie uns fahren. Ich heiße Patrick.«

»Werner.«

Werner war über die Freundlichkeit der beiden Gruppenleiter sehr erfreut.

Das wird eine nette Fahrt. Schade, dass ausgerechnet solche Fuhren meistens nur sehr kurz sind.

»Wir sind vollzählig«, sagte Patrick unnötigerweise zu dem Busfahrer und nickte ihm zu.

»Na gut«, antwortete dieser. »Dann kann es ja losgehen.«

Werner betätigte wieder eine Taste, und die Tür schloss sich zischend und mit einem abschließenden schmatzenden Geräusch. Nachdem er sich über die Rückspiegel vergewissert hatte, dass die Straße nicht nur vor ihm, sondern auch hinter ihm frei war, startete er den Motor.

Die Lautstärke der Jugendlichen nahm noch etwas zu. Aber jeder saß zumindest schon auf einem Platz. Auch das hatte Werner mittels der Spiegel überprüft, bevor er losfuhr.

»Woher kommt ihr?«, fragte er die beiden Gruppenleiter, während er den Bus auf dem Parkplatz wendete. Die beiden hatten auf den Sitzen in der ersten Reihe schräg hinter ihm Platz genommen. »Ihr seid aber nicht aus Deutschlandsberg, oder?«

Steffi antwortete: »Nein, wir kommen eigentlich aus Wien. Aber wir haben gerade ein Pfadfinderlager in Deutschlandsberg.«

»Ein Lager? Mitten im Winter?«, fragte Werner überrascht. »Das heißt, ihr schlaft jetzt in dieser Kälte in Zelten?«

Steffi und Patrick sahen sich an und lachten.

»Nein«, sagte Patrick. »Wir nennen das nur so. Wir wohnen noch bis Ende der Woche in einer Jugendherberge in Deutschlandsberg. Normalerweise würden wir ja zelten. Aber nicht im Winter.«

»Und da seid ihr extra aus Wien hier angereist? Was gibt es denn so Schönes in Deutschlandsberg zu sehen?«

»Ach, wir sind ja nur ein kleiner Teil der Truppe«, sagte Steffi. »Es findet dort gerade ein größeres Treffen von Gruppen aus allen österreichischen Bundesländern statt. Aber Patrick kommt ursprünglich aus der Gegend hier, und er wollte gerne die Kirche besuchen, in der er als Kind ministriert hat. Tja, und wir haben ihn eben begleitet.«

Patrick sprach weiter: »Viel hat sich hier eh nicht verändert. Ein paar Geschäfte haben zugesperrt, ein paar neue Einfamilienhäuser sind dazu gekommen, aber sonst ...« Er hob die Schultern. »Schade, dass von meiner Familie niemand mehr in der Gegend wohnt. Seit meine Oma gestorben ist, war ich schon nicht mehr hier.«

Er sagte nicht, wie lange das schon zurücklag, und Werner fragte nicht nach. Er befürchtete, der jüngere Mann könnte ihm etwas zu sentimental werden.

Hinten im Bus wurde inzwischen laut gesprochen und gelacht. Werner sah in den Rückspiegel, der ihm das gesamte Businnere anzeigte, und lächelte.

Ja, die Jugend ... Die hat ihren Spaß. Werner beneidete die jungen Leute ein wenig. Er selbst war in deren Alter kein Mitglied einer Jugendgruppe gewesen. Er musste in seiner Kindheit am Hof seiner Eltern mithelfen, den aber inzwischen sein älterer Bruder übernommen hatte. Manchmal half er zwar noch beim Heu einholen mit, aber er war sehr froh darüber, beruflich einen ganz anderen Weg eingeschlagen zu haben. Genauso wie sein jüngerer Bruder, der dafür bei ihm im Busunternehmen mitarbeitete.

Für Pfadfinder oder die Landjugend wäre laut seinem strengen Vater gar keine Zeit gewesen. Und gleichaltrige Kinder kannte er, außerhalb der Schule, nur noch aus der eigenen Familie.

Werner versuchte, die Gedanken abzuschütteln. »Na ja, in einer Stunde ungefähr solltet ihr auch schon wieder bei den anderen in der warmen Stube sein«, sagte er.

Er zwinkerte Patrick und Steffi zu.

Patrick kannte sich offenbar tatsächlich gut in der Gegend aus, denn er fragte: »Fahren wir denn gar nicht über die Autobahn?«

»Gut aufgepasst«, antwortete Werner mit einem Lächeln. »Nein, lieber nicht. Laut Verkehrsfunk herrscht auf der A2 gerade starker Schneefall, und es hat sogar schon ein paar Auffahrunfälle gegeben. Die Autobahn ist daher teilweise gesperrt. Wir werden lieber über die Soboth fahren, das geht heute schneller.«

»Echt, über die Soboth?«, fragte Patrick besorgt. »Bei dem Wetter?«

Die Soboth war eine Passstraße, die Kärnten mit der Steiermark verband und aufgrund ihrer kurvigen Strecke, vor allem im Sommer bei Motorradfahrern, sehr bekannt und beliebt war. Allerdings war die Straße auch sehr steil und führte an einem Stausee vorbei auf eine Höhe über tausend Meter über dem Meeresspiegel.

»Liegt da oben noch gar kein Schnee?«, sprach Patrick weiter.

»Gestern hat es dort geschneit«, antwortete Werner. »Aber die Straßen sind inzwischen geräumt. Heute hat sich der Schneefall eher nach Westen verlagert. Es soll zwar in ein paar Stunden wieder anfangen zu schneien, aber da seid ihr schon wieder längst in eurer Jugendherberge«, versicherte Werner. »Ich bin auch bei der Herfahrt über den Pass gefahren. War überhaupt kein Problem.«

»Ach, dann bin ich ja beruhigt«, sagte Patrick und lehnte sich zurück.

Kurz vor der Einfahrt in die letzte Ortschaft vor der Passstraße konnten sie einen wunderbaren Ausblick auf die Drau genießen.

Hinten im Bus wurde es auf einmal ruhiger. Sogar die, die bisher lieber auf ihre Handys geblickt haben, sahen auf einmal aus den großen Fenstern hinaus auf das Naturschauspiel. Das Licht der untergehenden Sonne reflektierte so stark im Wasser der Drau, dass sich einige ihre Sonnenbrillen aufsetzen mussten.

Dann waren sie aber auch schon schnell im Ortskern angelangt, und der Blick auf den Fluss wurde durch die Häuser verstellt. Einige murrten. Sie fanden es offensichtlich schade.

»Wenn wir uns über die Soboth hochschlängeln, habt ihr noch einen tollen Ausblick auf das Tal«, rief Werner nach hinten.

»Vorausgesetzt, dass es da oben noch nicht zugezogen hat«, fügte er etwas leiser hinzu, als er bemerkte, dass sich von der Bergseite dunklere Wolken herschoben.

Dann verließen sie auch schon die Ortschaft. Ein Bus kam ihnen auf der Landstraße entgegen, und der andere Busfahrer grüßte mit seiner Lichthupe.

Werner erwiderte den Gruß und hob beim Vorbeifahren noch seine linke Hand.

Kurz danach setzte er bereits den linken Blinker, und nach der Kurve begann auch schon die erste Steigung ...

»So. Festhalten«, scherzte Werner. »Jetzt geht's mal ein Weilchen aufwärts.«

Er grinste bis über beide Ohren. In Wahrheit liebte er diese Bergstraße. Im Sommer fuhr er hier selbst oft und sehr gerne mit seinem Motorrad.

Heute war er mit dem Bus natürlich etwas gemächlicher unterwegs und konnte dafür die schöne Aussicht besser genießen. Doch mit etwas Pech würde er vielleicht nicht allzu viel davon mitbekommen. Er sah nämlich, dass die Wolken weiter oben am Pass bereits mehr zuzogen, und hoffte im selben Moment inständig, dass sie es wirklich noch über den Berg schafften, bevor der Schneefall einsetzte. Ganz so sicher wie vorhin war er sich jetzt doch nicht mehr. Aber noch befanden sie sich erst am Beginn der Passstraße, und Steffi und Patrick genossen sichtlich den Ausblick.

»Seht mal raus, Kinder«, rief Patrick nach hinten.

Die Kids reckten ihre Hälse. Ihre Köpfe drehten sich nach jeder Kurve von einer Seite zur anderen. Manche filmten die Aussicht sogar mit ihren Handykameras. Einige wenige wiederrum schien das gar nicht zu interessieren. Ein Junge mit dunklem Lockenkopf unterhielt sich gerade laut mit seinem Sitznachbarn. Aber ein Mädchen mit langen braunen Haaren war sogar aufgestanden, um besser sehen zu können. Sie hielt sich an den Kopfstützen links und rechts vom Mittelgang fest.

Werner bemerkte, dass ein anderes Mädchen – das, das ganz hinten in der letzten Reihe saß – offenbar ein Handyvideo von sich selbst drehte und pausenlos in die Kamera vor sich hin plapperte.

Er konnte nicht jedes Wort verstehen, doch mit einem Lächeln dachte er dabei an seine beiden Töchter. Die Größere war vor zwei Wochen erst fünfzehn geworden und drehte ebenfalls andauernd Videos von sich selbst, die sie dann auf YouTube und Instagram hochlud.

So ist das heutzutage. Heute ist jeder ein Star. Oder er möchte zumindest gerne einer sein ...

Ihm machte das nichts aus. Jedenfalls viel weniger als seiner Frau Karin. Sie regte sich ab und zu darüber auf und wies ihn an, auch einmal ein strenges Wort einzulegen. Aber er hatte sich natürlich bereits einige der Videos seiner Tochter angesehen und fand da gar nichts dabei.

Abgesehen davon, bringt sie ja auch in der Schule ihre Leistung, dachte er. Da macht mir die Jüngere schon ein bisschen mehr Sorgen ... Erst kurz vor Weihnachten hat sie auf die Mathe-Schularbeit ein »Nicht Genügend« nach Hause gebracht. Leider hat sie sich danach etwas rebellisch gezeigt und wollte nicht einsehen, dass ...

»Scheiße!!«, unterbrach er laut schreiend seine eigenen Gedanken. Werner stieg hart auf die Bremse.

Da sich niemand außer ihm im Bus angeschnallt hatte, fielen die Fahrgäste mehr oder weniger nach vorne. Das Mädchen, das sich während der Vollbremsung am Mittelgang aufgehalten hatte, stürzte zu Boden. Es schrie vor Schmerz laut auf.

Werner brach plötzlich der Schweiß am ganzen Körper aus! Hoffentlich ist niemandem was passiert!

Er hörte mehrere Schreie. Einer der Jungs beschimpfte ihn im Wiener Dialekt. Der Bus kam aber zu stehen, und Werner traute seinen Augen kaum.

So oft war er diese Passstraße schon hinauf und hinunter gefahren. Aber was er heute erlebte, passierte ihm zum ersten Mal: Keine zwanzig Meter vor ihnen war ein Baum auf die Straße gefallen!

Werner hatte das Umfallen des Baumes zum Glück schon rechtzeitig aus dem Augenwinkel mitbekommen. Noch bevor sein Gehirn allerdings realisierte, was da genau auf die Straße stürzte, war er bereits auf die Bremse gestiegen.

Dass ihn einige der Jugendlichen hinter ihm gerade ausschimpften, ließ ihn kalt. Er wusste, dass er dank seiner Reflexe Schlimmeres verhindert hatte.

Die beiden Gruppenleiter hat es ebenfalls nach vorne geworfen, und Patrick zog Steffi gerade wieder auf ihren Sitz hoch.

»Was ist denn passiert?«, fragte sie etwas verwirrt.

Werner drehte sich schräg zu den beiden um und sagte: »Tut mir leid für die harte Bremsung, aber da ist gerade ein Baum mitten auf die Straße gestürzt.«

Die Jugendlichen beruhigten sich etwas, denn jetzt hatten auch sie den Grund der Bremsung mitbekommen und wurden still. Ein Junge pfiff. Eines der Mädchen rief: »Ach, du Scheiße.« Aber im Großen und Ganzen beruhigten sich bald wieder alle.

Bis auf das Mädchen, das durch die Bremsung zu Boden gefallen war. Es weinte noch immer. Patrick wollte sich gerade zu der jungen Frau umdrehen und helfen, da war aber schon ein Junge neben ihr.