Grün ist die Hoffnung - T.C. Boyle - E-Book

Grün ist die Hoffnung E-Book

T. C. Boyle

3,9

Beschreibung

Felix Nasmyth hat alles hingeschmissen: Er ist raus aus Kinderchor und Schulorchester, hat der Kirche den Rücken gekehrt, das Studium abgebrochen, geheiratet und sich scheiden lassen. Jetzt mühen er und seine Freunde sich in den abgelegenen Bergen von Kalifornien einen ganzen Sommer lang mit dem Anbau von Hanf ab. Danach wollen sie ernten und eine halbe Million Dollar einsacken. Doch sie haben nicht mit schnüffelnden Nachbarn, sintflutartigen Regenfällen, Felix‘ neuer Liebe und einem lästigen Drogenfahnder gerechnet … Dreist, witzig und spannend: Die Neuübersetzung dieses Romans über drei schräge Typen und ihren Traum vom leichten Geld hat alles, was einen echten Boyle ausmacht.

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Über das Buch

Endlich in neuer Übersetzung: der Boyle-Klassiker über drei schräge Typen und ihren Versuch, in den Bergen nördlich von San Francisco Marihuana anzubauen. Dreist, witzig, spannend.

Felix Nasmyth hat alles hingeschmissen. Er ist bei den Pfadfindern wieder raus sowie aus dem Kinderchor und dem Schulorchester, er hat der Kirche den Rücken gekehrt, das Studium abgebrochen, geheiratet und sich scheiden lassen. Das Einzige, bei dem er durchgehalten hat, ist das Sommerlager mit seinen Freunden. Und davon erzählt er in diesem Buch: Einen ganzen Sommer über mühen sich er und seine Freunde, drei verspätete Hippies, mit dem Ha fanbau in Mendocino County ab. Danach, so ihr Traum, müssen sie nichts anderes tun, als zu ernten und eine halbe Million steuerfreie Dollar einzusacken. Doch sie haben nicht mit schnüffelnden Nachbarn, sintflutartigen Regenfällen, dem Stachel der Lust und mit Felix’ neuer Liebe gerechnet – die schöne Töpferin Petra, mit der ihn ein gemeinsamer Feind verbindet: der alles andere als zimperliche Officer Jerpbak. Und der Traum vom leichten Geld, die »grünen Hoffnungen«, lassen auf sich warten.

Hanser E-Book

T. Coraghessan Boyle

GRÜN ISTDIE HOFFNUNG

Roman

Aus dem Englischenvon Dirk van Gunsteren

Carl Hanser Verlag

Die englische Originalausgabe erschien 1984

unter dem Titel Budding Prospects bei Viking in New York.

Das Motto von Arthur Miller wird zitiert aus Arthur Miller, Tod eines Handlungsreisenden,aus dem Englischen von Volker Schlöndorff und Florian Hopf,Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1986.

ISBN 978-3-446-25196-0

© T. Coraghessan Boyle 1984

Alle Rechte der deutschen Ausgabe

© Carl Hanser Verlag München 2016

Umschlag: Peter-Andreas Hassiepen, München

Satz: Satz für Satz, Wangen im Allgäu

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

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Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Dieses Buch istfür meine gärtnernden Freunde.

Du pflüge tief, wenn der Faule hält Ruh,

so hast du zu essen und zu verkaufen dazu.

Benjamin Franklin: Der Weg zum Reichtum

»Also, Jungs, als ich siebzehn war, bin ichin den Dschungel gegangen, und als icheinundzwanzig war, kam ich wieder raus.Und bei Gott: Ich war reich.«

Arthur Miller: Tod eines Handlungsreisenden

Teil 1DER BODENWIRD BEREITET

Kapitel 1

Ich hab nie was zu Ende gebracht. Ich bin aus der Pfadfindergruppe, dem Chor und der Marschkapelle ausgetreten. Hab aufgehört, Zeitungen auszutragen und in die Kirche oder zum Basketballtraining zu gehen. Ich hab das College abgebrochen, bin mit einem 4-F aufgrund mangelnder mentaler Belastbarkeit dem Militär entgangen, hab das Studium wieder aufgenommen, einen Promotionsstudiengang (Englische Literatur des 19. Jahrhunderts) belegt, in der ersten Reihe gesessen, eifrig mitgeschrieben, mir eine Hornbrille angeschafft und am Vorabend der entscheidenden Prüfung beschlossen, nicht hinzugehen. Ich hab geheiratet, mich bald getrennt und wenig später scheiden lassen. Ich hab das Rauchen, das Joggen und den Verzehr von dunklem Fleisch aufgegeben und jede Menge Jobs hingeschmissen: Totengräber, Tankwart, Versicherungsvertreter, Filmvorführer in einem Pornokino in Boston. Als ich neunzehn war, vögelte ich wie verrückt mit einem spitznasigen, hängebusigen Mädchen, das ich noch von der Highschool kannte. Das Mädchen wurde schwanger. Ich verließ die Stadt. So ziemlich das Einzige, bei dem ich durchgehalten hab, war das Sommerlager.

Und davon will ich Ihnen jetzt erzählen.

Vor zwei Jahren lebte ich allein. Ich wachte allein auf, putzte mir allein die Zähne, machte irgendwelche Aushilfsjobs, aß Burritos aus einer Pappschachtel, las die Zeitung, zog mich aus und ging zu Bett, alles allein. Das Universum hatte sich für eine Weile zusammengezogen, und ich lernte, mich darauf einzustellen. Ich war einunddreißig. Ich saß mit Männern, die einundfünfzig, einundsechzig, einundachtzig waren, an der Theke eines Diners, schlürfte Tomatensuppe mit Reis und sah der Bedienung zu. Manchmal aß ich mit Freunden zu Abend, spielte Billard, tanzte in überfüllten dunklen Clubs zu flotten Latino-Rhythmen; manchmal kam ich mir vor wie ein bärtiger, in die Betrachtung einer Steinwüste versunkener Asket.

An diesem besonderen Abend – es war Ende Februar – blieb ich zu Hause und las. Eine japanische Seilschaft wagte den Aufstieg zum Gipfel des K2, meine Lungen brannten in der dünnen Luft, der tödlich kalte Wind jagte mir Eiskristalle ins Gesicht, als die Nadel des Plattenspielers hängen blieb und Le Sacre du Printemps mit knirschendem Kreischen auf der Stelle trat, als wäre die ganze Truppe aus Najaden und Dryaden und Satyrn in Elastananzügen unvermittelt erlahmt. Ich sah auf. Regen klopfte an die Fenster wie ein schmierig grinsender Voyeur, das Haus gab kleine Geräusche von sich – das Ächzen des Kühlschrankmotors, das Seufzen der Heizung –, das Feuer knisterte ominös um einen Nagel im brennenden Scheit. In diesem Augenblick, wie auf ein Stichwort, läutete es an der Tür. Es war nach zwölf. Ich warf einen reumütigen Blick auf den Fernseher – bleich geschminkte Zombies schlurften über den Bildschirm und kauten dabei bratwurstartige Eingeweide –, legte das Buch beiseite, verknotete den Gürtel meines Bademantels und ging zum Kopf der Treppe. Es läutete erneut, insistierend.

Ich wohnte in der Fair Oaks Street, drei Blocks westlich der Mission, in einer Wohnung mit eigenem Aufgang. Es war ein in sechs Farben gestrichenes viktorianisches Haus. Ich hatte vier Zimmer, eine Dachterrasse, einen Flur und eine schöne Aussicht. Bevor die Sprechanlage ihren Geist aufgegeben hatte, war das Signal so leise und verrauscht gewesen, dass ich nicht mal die Stimme meiner Mutter erkannt hätte – ebenso wenig übrigens wie Screamin’ Jay Hawkins’ »I Put a Spell On You«. Ich stand am Kopf der Treppe, drückte, eher neugierig als besorgt, auf den Knopf für den Öffner und sah drei Schatten aus der Nässe dort draußen hereinschlüpfen.

Ein Blitz zuckte, Hörner und Geigen kreischten wie eine Alarmsirene ein ums andere Mal denselben gequälten slawischen Ton, und die drei Gestalten polterten bumm-bumm-bumm die Treppe herauf. Für einen bösen Augenblick wich ich zurück und verfluchte mich, weil ich sie so vertrauensselig reingelassen hatte – schattenhafte Gestalten, Fremde, Junkies, mexikanische Betrüger –, doch dann sah ich zu meiner Erleichterung, dass es Vogelsang war. »Felix«, sagte er.

»Hey«, antwortete ich.

Er hatte eine junge Frau dabei, ihr Haar war so kurz wie das einer ostdeutschen Schwimmerin und weißblond gebleicht. Drei Stufen hinter ihr ging ein Typ Ende zwanzig in Gummistiefeln und einem gelben Regenmantel, von dem im trüben Licht des Treppenhauses ein eigenartig phosphoreszierendes Leuchten ausging. Alle drei sahen aus, als wären sie vier-, fünfmal von der Bay Bridge gesprungen: Die Nasen trieften, das Haar klebte am Schädel, Kragen und Schuhe waren klatschnass. Vogelsang grinste sein Psychopathengrinsen. »Lange her«, sagte er und klopfte mir auf die Schulter.

Genauer gesagt: zwei Monate. Vogelsang lebte in herrlicher Abgeschiedenheit in den Bergen oberhalb von Bolinas, wo er ruchlose Geschäfte machte, diverse Perversionen pflegte und Elektrowerkzeug, Holzschnitzereien, gestreifte Barberhop-Stangen sowie kistenweise trockenen Rotwein von obskuren kleinen Weingütern mit Namen wie Ziegenknie oder Sangre de Cristo sammelte. Desgleichen sammelte er antike Motorräder, Kupfertöpfe, Espressomaschinen, so groß wie Kirchenorgeln, geschlechtslose Schaufensterpuppen aus den Fünfzigern (die er bemalte, lackierte und in verblüffenden, obszönen Posen im Haus in Szene setzte), Messer mit Horngriff, tahitische Fischernetze und eine Reihe düster-verkrampfter Ölgemälde mit religiösen Sujets wie der Enthauptung Johannes des Täufers oder den masochistischen Ekstasen von Flagellanten. Alle paar Wochen kam er nach San Francisco, um in Trödelläden zu stöbern, am North Beach herumzuhängen und sich in wilde Partnertauschpartys in Berkeley zu stürzen. Norman Mailer hätte ihn geliebt.

In diesem Augenblick schob er die Frau in den Vordergrund. Ich bemerkte, dass in ihrem rechten Nasenflügel ein dünner Silberring steckte und ihre Zehennägel schwarz lackiert waren. »Das ist Aorta«, sagte Vogelsang. Ich hatte sie gleich eingeordnet: College-Punk-Studentin. Vermutlich stammte sie aus Pacific Heights und hieß in Wirklichkeit Jennifer Harris oder Heather Mashberg. Sie gab mir den harten Blick und streckte die Hand aus, die nass und kalt war wie etwas, das man aus einem Teich gezogen hat. Ich neigte den Kopf und verzog die Mundwinkel.

»Und das«, sagte Vogelsang und wies auf die Gestalt mit Regenmantel drei Stufen unter ihm, »ist Boyd Dowst, ein Freund von mir aus Santa Rosa.«

Daraufhin geriet der Regenmantel in Bewegung, und eine große, knochige Hand wurde über das Treppengeländer gestreckt und ergriff meine. Ich starrte in das Gesicht eines Yankee-Bauern: eckig, mit großen Ohren und Augen, deren Farbe an Stromisolatoren denken ließ. »Ich wohne jetzt in Sausolito«, sagte er und strich sich mit der freien Hand das tropfende Haar aus dem Gesicht. Die andere, freundliche Hand vollführte noch immer pumpende Bewegungen, als erwartete er, dass aus meinen Fingerspitzen Milch oder so spritzte.

Ich war barfuß, mein Bademantel war schmuddelig, die hängende Nadel des Plattenspielers bearbeitete meine Nerven wie eine Baumsäge. Ich bat sie herein.

Vogelsang trat ins Wohnzimmer, zog die nasse Jacke aus und hängte sie über die Lehne eines Stuhls. Seine Bewegungen waren wie immer rasch und nervös wie die einer Wildkatze, die auf die kleinste Regung, das leiseste Knistern reagiert. Er roch nach Regen, aber da war noch ein anderes Aroma, eine dunkle, urtümliche Ausdünstung. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff: Er roch nach Sex. Als er die Jacke zu seiner Befriedigung arrangiert hatte, wandte er sich mir zu, um dieses und jenes zu erläutern, wobei er kurz innehielt, ein Mundspray aus der Tasche zog, zweimal auf den Knopf drückte und dann mit seinem Monolog fortfuhr, in dem er seine neuesten Erwerbungen beschrieb, die baulichen Veränderungen auf seinem Besitz in Bolinas erwähnte, kurz auf die Fortschritte seiner Investitionen in den Rohstoffmarkt einging und schließlich eine ebenso saftige wie detaillierte Schilderung der urbanen Orgie zum Besten gab, an der er und Aorta früher am Abend teilgenommen hatten. Und wie immer sprach er mit einer eigentümlich mechanischen Diktion, jedes Wort deutlich abgesetzt und unverschliffen, als wäre er ein Professor für Linguistik, der eine Podiumsdiskussion über die Zukunft der Sprache leitete.

Ich machte mich in der Wohnung zu schaffen, hörte mit halbem Ohr zu, legte eine andere Platte auf, stellte den Fernseher leiser und kramte einen Aschenbecher, vier Flaschen Bier und ein Plastiktütchen mit Gras hervor. Vogelsang folgte mir auf Schritt und Tritt und hielt seinen Vortrag. Dowst und die Frau setzten sich auf das Sofa. Das Tütchen lag kaum auf dem Tisch, da griff Dowst danach, öffnete es und roch daran – oder vielmehr: Er sog den Geruch ein wie einer, der nach einem langen Tauchgang an die Oberfläche kommt –, woraufhin er verächtlich das Gesicht verzog und das Tütchen auf den Tisch warf, als enthielte es etwas unaussprechlich Widerwärtiges, Hundescheiße vielleicht, oder verfaulende Spatzeneier. Ich sah es aus dem Augenwinkel, als ich die Strawinsky-Platte in ihre Hülle schob.

»Boyd hat in Yale gerade seinen Master gemacht«, sagte Vogelsang, ließ sich auf der Armlehne des Sofas nieder und trank zur dramatischen Unterstreichung des Gesagten einen Schluck Bier. »In Botanik.«

Ich zog einen Sessel heran. »Gratuliere«, murmelte ich, warf Dowst einen Blick zu und wechselte abrupt das Thema – wer interessierte sich schon für irgendein Riesenbaby, das an einer Elite-Uni akademische Lorbeeren gesammelt hatte? Solche Geschichten kannte ich zur Genüge. Ich sagte was über den Regen und machte einen schlechten Witz über das Niveau der Lustbarkeiten auf Vogelsangs Party.

»Du kapierst nicht«, beharrte Vogelsang. »Botanik. Er kann alles wachsen lassen, überall.«

Ich nickte. Die Frau musterte mich, als wäre ich ein Sandwich in der Auslage eines Deli, und Dowst blätterte mit zusammengekniffenen Augen in einer Ausgabe von Scientific American, die er aus einem Stapel auf dem Boden gezogen hatte. Aus dem Fernseher ertönten gedämpfte Schreie. Ich blickte auf und sah die Heldin, gefangen in einem aus dünnen Gipsplatten gebauten Flur, während die behaarten Arme der Zombies – ich staunte über ihre Unersättlichkeit – durch die Wände stießen und nach ihr grapschten.

Vogelsang stellte das Bier ab, fischte das Mundspray aus der Tasche und verpasste sich eine Dosis – der feine, seifige Sprühnebel hing in der Luft wie eine Atemwolke an einem kalten Morgen. »Ich hab heute dreihundertfünfzig Morgen Land in Mendocino County gekauft«, sagte er. »So abgelegen wie der Mond, mit einer Hütte drauf.«

Dowst sah von seiner Lektüre auf. »Und ganzjährig Wasser.« Ich stellte fest, dass er sich nicht die Mühe gemacht hatte, den Regenmantel auszuziehen, der sich um ihn bauschte wie ein Kunststoffzelt, wie ein feucht schimmernder gelber, am Hals geschlossener Friseurumhang. Er versuchte vergeblich, eine nasse Strähne beiseitezustreichen, die neben seiner Nase hing, und wandte sich wieder der Zeitschrift zu.

»Genau«, sagte Vogelsang. »Mit einem Bach und zwei Quellen.«

Es war halb eins. Ich hatte die Frühlingsweihe gehört, es regnete, ich war müde. Ich fragte mich, worauf Vogelsang eigentlich hinauswollte. »Klingt nett«, sagte ich.

»Wir werden ein Sommerlager eröffnen.« Er grinste schief, als wäre dies die Pointe eines subtil aufgebauten Witzes. Dowst lachte in sich hinein. Die Frau saß zusammengesunken vor ihrer unberührten Flasche Moosehead Lager und starrte durch die Wand. Ich stand auf und schaltete das Radio ein.

Das unvermittelte dumpfe Dröhnen einer leisen Basstrommel, ein bisschen kreischendes Metall und dann eine eigenartig distanzierte weibliche Stimme, die wie Eis aus den Lautsprechern kam:

The best things in life are free

But you can save them for the birds and bees,

Give me money, that’s what I want …

»Hör mal, Felix«, sagte Vogelsang, »wie fändest du es, eine halbe Million zu verdienen, steuerfrei?«

Ich setzte mich wieder. Alle drei sahen mich an. »Du machst Witze«, sagte ich.

»Ich meine es todernst.« Vogelsang sah mich mit dem Charles-Manson-Blick an, den er aufsetzte, wenn er vermitteln wollte, dass er es todernst meinte.

»Was«, sagte ich, beugte mich vor und griff nach meinem Bier, »mit einem Sommerlager?«

»Mit Cannabis sativa«, sagte Dowst so leise, als spräche er einen der geheimen Namen Gottes aus.

»Wir pflanzen zweitausend Setzlinge.« Vogelsang starrte auf das Mundspray-Fläschchen, als wäre es mit den Hieroglyphen wirtschaftlicher Kalkulationen beschriftet, mit Kosten-Nutzen-Tabellen und Staffeltarifen für Wertverfall und unversicherten Verlust. Er sah auf. »Rechnen wir ein halbes Pfund pro Pflanze. Das macht tausend Pfund à sechzehnhundert Dollar.« Er hob das Fläschchen an den Mund und klappte das Kinn hinunter, überlegte es sich jedoch anders. Ich sagte nichts. Das Kunststoffventil tippte hypnotisierend im Takt der Musik an seine gespitzten Lippen. »Ich stelle das Kapital und das Land, Boyd kommt alle paar Tage vorbei und sieht nach dem Rechten, und du bist die Arbeitskraft. Wir teilen durch drei.«

Mit einem Mal war ich hellwach, Gehirnzellen pulsierten wie die Freispielanzeige eines Flippers. Vogelsang machte keine Fehler – das wusste ich. Ich wusste auch, dass er einen genialen Riecher für lukrative Geschäfte hatte, denn ich hatte bei zwei glücklichen Gelegenheiten davon profitiert. (Beim ersten Mal gingen wir eine Partnerschaft ein, kauften ein heruntergekommenes viktorianisches Haus in Haight Ashbury, zahlten dreitausend der vereinbarten zwanzigtausend Dollar an, steckten fünfzehntausend in die Renovierung und verkauften es für hunderttausend. Beim zweiten Mal rief er einfach an, gab mir den Namen eines Brokers und sagte, ich solle soviel Zirkon wie möglich kaufen. Ich hatte achttausend Dollar auf der Bank und keinen Job. In einer Woche verdiente ich mehr als im ganzen Jahr zuvor.) Nein: Wenn Vogelsang dahinterstand, würde die Sache laufen. So sicher, wie Segovia für die Gitarre oder Willie Mays für den Baseballschläger geboren war, so war Vogelsang dafür geboren, Pennys zu säen und Dollars zu ernten. Mit dreiunddreißig war er bereits nicht mehr auf eine sichtbare Erwerbstätigkeit angewiesen – seit ich ihn kannte, hatte er nie einen Job gehabt. Stattdessen fand er Investitionsmöglichkeiten, trieb Handel mit legalen wie illegalen Waren, kaufte und verkaufte Häuser und Grundstücke und Gott weiß, was sonst noch, und das alles mit dem unerschütterlichen Selbstvertrauen und Killerinstinkt eines angehenden Gould oder Carnegie.

Und sein Timing war unübertroffen, das muss ich zugeben. Er kam genau im rechten Moment: Meine Scheidung war eineinhalb Jahre her, ich war rastlos und deprimiert und begann mich zu fühlen wie ein Gefangener in Einzelhaft. Eine halbe Million. Es war, als hätte der Chef der NASA mich gefragt, ob ich der erste Mensch auf dem Mars sein wolle. Die Sache hatte ihre Risiken, keine Frage, aber das machte das Projekt nur um so verlockender – es ging um Nervenkitzel, Kühnheit und die Gelegenheit, der Gesellschaft ins Gesicht zu pinkeln. Vogelsang schwebten nicht hundert oder hundertfünfzig Pflanzen vor, er wollte sich nicht mit fünfzehn- oder zwanzigtausend Dollar begnügen – nein, er wollte Marihuana anbauen, wie Reynolds Tabak anbaute. Mein Kreislauf war inzwischen in Schwung gekommen. Als ich in die drei erwartungsvollen Gesichter sah, war ich schon halb entschlossen.

»Ich hab keine Ahnung, wie man Gras anbaut«, sagte ich schließlich.

Darauf war Vogelsang vorbereitet. »Brauchst du auch nicht«, sagte er und erhob sich von der Armlehne. »Das ist Boyds Abteilung.«

»Aber zweitausend Pflanzen … kriegt einer allein das hin?«

»Auf keinen Fall«, sagte Dowst und raschelte mit dem Regenmantel.

»Du wirst wahrscheinlich zwei Vollzeitkräfte brauchen, die dir helfen«, fuhr Vogelsang fort. »Wer die sind und was du ihnen zahlst, bleibt dir überlassen. Du kannst ihnen ein festes Gehalt oder einen Anteil an deinen fünfhunderttausend geben. Aber was auch immer – sie müssen bereit sein, die nächsten neun Monate ihres Lebens zu opfern, und vor allem müssen sie« – er hielt inne und suchte das rechte Wort – »diskret sein.«

Der Regen prasselte auf das Dach wie Pennys, die eiskalte Stimme im Radio sang Money, give me money, /Money, give me money. Aus irgendeinem Grund waren wir alle aufgestanden. Dowst und Vogelsang grinsten, und das Gesicht der Frau war etwas weicher geworden und hatte einen Ausdruck angenommen, den ich als eine Art wilder Freundlichkeit deutete.

»Was ist mit deinem Freund in Tahoe?«, sagte Vogelsang, als hätte er eine spontane Eingebung (und in diesem Augenblick wurde mir klar, dass er die ganze Zeit mit mir gespielt hatte wie ein Marktschreier, wie ein Anreißer auf dem Jahrmarkt, der seine Masche durchzog). »Wie heißt der noch …« (Er kannte den Namen so gut wie ich.) »Cherniske?«

»Phil«, sagte ich, halb zu mir selbst. »Ja, Phil«, als hätte ich gerade die Lösung eines äußerst schwierigen Rätsels entdeckt.

Vogelsang nahm meine Hand und schüttelte sie gratulierend, Dowst zeigte all seine langen, schimmernden Zähne, und die Frau kämpfte mit dem Impuls, die Mundwinkel nach oben zu ziehen. Ich fühlte mich, als wäre ich gerade von einer Weltumsegelung zurückgekehrt oder hätte den amtierenden Wimbledon-Champion geschlagen. Ich sagte nicht ja, ich sagte nicht nein, doch Vogelsang erhob bereits die halb geleerte Flasche Moosehead und brachte einen Toast aus.

Er hatte mir den Arm um die Schultern gelegt, auf dem Bildschirm wurden die Zombies von den Helden mit Granaten beworfen und zerlegt, die kalte Stimme sang mir Money ins Ohr, der Duft von Moschus, von Empfängnis, von Samen und dem dunklen Aroma der Erde stieg mir in die Nase, und dann riss er die Hand, mit der er die Bierflasche umklammerte, ganz hoch und rief wie ein Zeugnis ablegender Erweckungsprediger: »Auf das Sommerlager!«

Kapitel 2

In meiner Kindheit hatte nichts auf eine Verbrecherlaufbahn hingedeutet. Ich war kein Waisenkind, ich wurde nicht geschlagen oder ausgesetzt, ich hing nicht, eine Zigarette im Mundwinkel und ein Stilett in der Tasche, an Straßenecken herum, ich hatte weder einen Dachschaden infolge jahrelanger Aufenthalte in Erziehungsheimen noch war ich moralisch und körperlich ausgezehrt, weil ich auf taubenverschissenen Treppen im Ghetto Heroin gefixt hatte. Nein – ich war ein Kind der Mittelschicht, ich wurde mit Schokoriegeln, Fertiggerichten und Antibiotika gefüttert, bis ich meine Eltern überragte wie der riesenfüßige Abkömmling einer anderen Spezies, wie ein Kuckuckskind, das von Spatzen großgezogen wurde. Ich konnte rechnen, mochte Verdi, aß Kalbsschnitzel in Marsala, Sushi und Schnecken und war imstande, einen guten Wein auszuwählen. Meine Weste war zwar nicht makellos rein, doch die wenigen Flecken stammten lediglich von winzig kleinen Übertretungen. Da waren die üblichen Verkehrsvergehen, ein unglücklicher Zwischenfall auf den Stufen des Justizministeriums bei einem der Friedensmärsche in Washington und eine Geldstrafe, weil ich auf den Straßen von Lake George mit einem geöffneten Behältnis alkoholischen Inhalts angetroffen worden war. Aber das war’s dann auch schon. Selbstverständlich brach ich, wie jeder andere ordentliche Bürger mit unveräußerlichen Rechten, regelmäßig das Gesetz, indem ich verbotene Substanzen erwarb und konsumierte, gewohnheitsmäßig mit mehr als hundert Kilometern pro Stunde über die Schnellstraßen brauste, auf Wasserbetten und in Yacuzzis vögelte, öffentlich urinierte, mich wissentlich und vorsätzlich in die Gesellschaft von Menschen begab, die usw., usw. Andererseits warf ich weder Abfall auf die Straße noch war ich ein Erpresser, Einbrecher, Räuber, Schläger, Vergewaltiger oder Mörder. Ich war einunddreißig, ausgestattet mit der Umsicht und dem Konservatismus der Reife, und konnte mit einigem Recht behaupten, vielleicht nicht gerade eine Stütze der bürgerlichen Gesellschaft, aber doch einer ihrer Strebebogen zu sein.

Dennoch war ich, zwei Stunden, nachdem Vogelsang gegangen war, und trotz einer an Narkolepsie grenzenden Müdigkeit und einem beständigen, niagaragleich strömenden Regen, unterwegs nach Lake Tahoe, um die ersten unwiderruflichen Schritte in den Abgrund des Verbrechens zu tun.

Um vier Uhr morgens hielt ich an einer Fernfahrerkneipe, setzte mich auf einen mit rissigem Vinyl bezogenen Hocker an die Theke, schaufelte Ei und Fett in mich hinein, hörte das idiotische Country-Gejodel aus der Jukebox und trank acht Tassen nach Metall und Tod schmeckenden Kaffee. Es hatte aufgehört zu regnen, und ich musterte kurz mein von Neonlicht und Sattelschlepperscheinwerfern beleuchtetes Gesicht in der dunklen, nassen Fensterscheibe und stellte fest, dass meine glänzenden Augen und stoppeligen Wangen eine gewisse kriminelle Energie verrieten. Oder auch bloß Müdigkeit. Ich legte Geld auf den Tresen, stolperte hinaus zu meinem rostfleckigen Toyota und fuhr den Hügel hinauf, wo flammend der Morgen über South Tahoe dämmerte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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