Guido - Max Wellinghaus - E-Book

Guido E-Book

Max Wellinghaus

4,6

Beschreibung

Wussten Sie, dass Guido Maria Kretschmer einen Talisman besitzt, in dem er je eine Wimper von seiner Großmutter und dem Papst aufbewahrt? Dass seine Windhunde nur aus Kristallschalen trinken? Und dass er bereits eine Morddrohung erhielt? Diese Biografie zeigt die maßgeschneiderte Welt des Stardesigners - auch abseits der Fernsehkameras. Ein Einblick in das Leben des Mannes, dem die Frauen vertrauen, wenn es um ihr Äußeres geht. Denn Guido Maria Kretschmer weiß, was Ihnen wirklich steht. Mit Shows wie Shopping Queen hat er nicht nur einen Weg in die deutschen Kleiderschränke gefunden, sondern auch in die Herzen von Millionen Fans.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
2. Auflage 2015
© 2015 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Birgit Walter
Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann
Umschlagabbildung: Mathis Wienand/Getty Images, Shutterstock
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
ISBN Print 978-3-86882-592-3
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-774-5
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-775-2
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1: Guido
Eine Kindheit wie in Bullerbü
Von der Krankenschwester zum Designer
… und dann kam Udo Lindenberg!
Unterwegs mit Glühbirne und Talisman
Athlet im falschen Körper
Ein Weihnachtsbaum namens Herbert
Kapitel 2: Eine Hommage an die Familie
Danke für alles, Mama!
Fünf Geschwister – eine große Liebe
Sein Frank, sein Vorbild
Schwangerschaft wäre fabelhaft
Das Glück kommt auf vier Pfoten
Zwischen Berlin und Mallorca
Kapitel 3: Der Stoff, aus dem die Träume sind
Jede Frau kann schön sein
Wenn der Kleiderschrank sprechen könnte
Ein Hoch auf den BH
Bauchtasche bitte ohne Bauch
Männer hassen Ballerinas
Kapitel 4: Ab ins Fernsehen
Mit »Shopping Queen« fängt alles an
Bühne frei für das »Supertalent«
Hotter than my daughter
Deutschlands schönste Frau
Amerika, hier kommt Guido!
Kapitel 5: 50 ist doch kein Alter
Auf Augenhöhe mit den Stars
Yoga – sein Trick gegen Kritik
Garten Eden
Muss nur noch kurz die Welt retten
Die Sterne weisen ihm den Weg
Guido schneidert sich die Zukunft
Auszeichnungen (Auswahl)
Quellenangaben

Vorwort

Die schönsten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben selbst. Man kann ein leicht übergewichtiges, schlaues Mädchen aus dem Osten sein und wird Bundeskanzlerin. »Ich war ein kleiner Junge aus einem minikleinen Dorf und konnte Modedesigner werden. So wunderbar kann Freiheit sein ...«1 Und so wunderbar kann es nur einer formulieren: Guido Maria Kretschmer, der zurzeit wohl beliebteste deutsche TV-Star. Trifft man ihn persönlich, wird klar, warum ihn alle lieben. Es geht einfach nicht anders. Es ist dieser Mix aus Natürlichkeit und Charme, der diese besondere Aura ausmacht. Diese Gabe, ohne Punkt und Komma – dafür mit Händen und Füßen und in Rekordgeschwindigkeit – zu reden, dabei jedem die unverblümte Wahrheit ins Gesicht sagen zu können, ohne dass man jemals böse auf ihn wäre. Allem voran ist es aber sein Herz. Sein großes, so herrlich kitschig-romantisches, unverdorbenes Herz, das in jedem Menschen etwas Gutes und etwas Schönes sieht. Die »Zeit« nennt ihn nicht grundlos den »sympathischsten Mann Deutschlands«. Dafür schon einmal 10 Punkte, Guido!

Karl Lagerfeld sagt, dass Guido Maria Kretschmer eine ganz besondere Kraft habe. Dass er Dinge verändern, verbessern, ja eben verschönern könne. Und diese Kraft nutzt Guido. »Bei meiner Arbeit kommt mir meine Energie zugute«, erklärt der Designer, der Workaholic, der Perfektionist, der Visionär. Er hat schon immer an seine Ideen geglaubt, an die Macht der Liebe, daran, dass die Welt eben nicht nur schwarz-weiß ist, sondern ein wenig bunter ist, dass sie zwischen gold, champagnerfarben, rosé und koralle changiert. Für diese Vielfalt lebt und schneidert er.

Wie er selbst so gerne erzählt, braucht er dafür nicht mehr als ein weißes Blatt Papier und etwas Muße. Guido schreibt nämlich alles mit der Hand. »Ich glaube an das Handgeschriebene.« An die reine Macht ehrlicher Worte. Auch seine beiden Bücher hat er handschriftlich verfasst. »Eine Bluse macht noch keinen Sommer« und »Anziehungskraft« sind aus unzähligen geschwungenen Linien aus Tinte und Herzblut entstanden. Das mag für viele altmodisch klingen, doch es ist Guidos Art, authentisch zu sein und zu bleiben. Auch im TV. Manche machen sich inzwischen darüber lustig, dass er so oft im Fernsehen zu sehen ist. Einige lästern sogar, dass man ihn bald nicht mehr wird ertragen können. Aber Guido hat sich schon immer in die erste Reihe gesetzt, weil er den Fahrtwind ertragen kann. Er betont erhobenen Hauptes: »Für die zweite Reihe bin ich nicht gemacht.«

Nein, das ist er wahrlich nicht.

Das war schon immer so. »Mama, eines Tages bin ich in der Kiste«, frohlockt er bereits als Kind. Mit Kiste meint er das Fernsehen. Wie sehr er damit recht ­behalten sollte, weiß inzwischen das ganze Land. Dabei hat er das Rad nicht einmal neu erfunden oder, besser gesagt, den Stoff, aus dem bekanntlich die Träume sind. Nein, er ist einfach ein Mensch, der jede Menge Ahnung von Mode hat und nebenbei über Promis und Probleme plaudert. Ein Gentleman, der Frauen wie Männer über das Shoppengehen belehrt. Und doch ist Guido so viel mehr ...

Seine Freundin, »Zimmer frei«-Moderatorin Christine Westermann, beschreibt es so: »Mit Guido zusammen zu sein ist Kino, ist Glück, ist Beseeltsein.«2 Wer einen Abend mit Guido Maria Kretschmer verbringt, wird mit einem Lächeln ins Bett gehen. Seine Freunde bestätigen, dass er sich im Fernsehen so präsentiert, wie er wirklich ist. Unverstellt. Unprätentiös. Vielleicht weil Guido es einfach zu wichtig ist, nie zu vergessen, wer er ist und woher er kommt: »Ich bin genauso der Guido geblieben, der da immer war«3, betont der Designer. Meistens, so sagt er, schläft er heute noch mit einem Stück Stoff zwischen seinen Fingern ein. Wie damals schon als Kind. Dann spürt er die Baumwolle in den Händen und spinnt sich seine Zukunft neu.

2015 feiert »Mr Shopping Queen« seinen 50. Geburtstag. Halbzeit, wie man sagen möchte. Zeit, die Dinge Revue passieren zu lassen und zu prüfen, ob der Anzug des Lebens überhaupt noch passt oder ob er nicht hier und da ein wenig zwickt und die eine oder andere Naht nachgebessert werden müsste.

50 Jahre Guido, das sind fünf Kapitel voller textiler Leidenschaft.

Eine Kindheit wie in Bullerbü

Der 11. Mai 1965 ist ein Dienstag. »Downtown« von Petula Clark steht an der Spitze der deutschen Single-Charts und Salvador Dalí feiert seinen 61. Geburtstag, als in einem Krankenhaus in Münster ein Junge das Licht der Welt erblickt. Zu diesem Zeitpunkt ahnt niemand in Nordrhein-Westfalen, wer denn da so herzzerreißend schreit. Auch die Hebamme ahnt nicht, welchen späteren Star sie da in ihren Händen hält. Die Windel wird das erste Kleidungsstück des Mannes, der später einmal die Modewelt erobern soll. Sein Name: Guido Maria Kretschmer.

Guido wächst in Einen auf, einem Ortsteil des malerisch im östlichen Teil des Münsterlands gelegenen Warendorf. Die Landschaft prägen Äcker, Wiesen und Weiden, vereinzelte Wäldchen und die Ems, die sich neben der Werse durch die Münsterländer Parklandschaft schlängelt. Wird Guido nach seiner Kindheit gefragt, beschreibt er sie »wie in Bullerbü!«. Er wird groß in einer Mehrgenerationenfamilie inklusive Oma und Opa. Mit Tieren, viel Freiheit, Fantasie und dörflicher Idylle. Eben ganz wie die Helden Lisa, Lasse, Bosse, Inga, Britta, Ole und Kerstin aus Astrid Lindgrens »Wir Kinder aus Bullerbü«. Nur dass Guido eben nicht auf hohe Bäume klettert oder Krebse fängt, sondern bereits mit neun Jahren an der Nähmaschine sitzt. Er träumt damals schon von einer Karriere als Designer. Dass die anderen Buben im Dorf alle Feuerwehrmänner werden wollen, ist ihm egal. Er will nicht dorthin, wo es brennt. Er will nicht ins Feuer springen. Guido sieht seinen Job beim Feuerlöschen vielmehr darin, am Rand zu stehen und zu hoffen, dass alle überleben, und anschließend den Helden Schnittchen zu schmieren. »Das wäre eher meins«, gesteht er.

Dass Guido die Fähigkeit besitzt, wie kaum ein anderer auf Menschen zuzugehen, zeichnet sich bereits als Kleinkind ab. Wie Mutter Marianne verrät, ist sein erstes Wort, das Guido erlernt, nicht »Mama« oder »Papa« und auch nicht »Ball«, wie es bei vielen Jungen der Fall ist, sondern »Hallo«. Zum ersten Mal spricht er es wohl an einem Sonntag aus, an dem die ganze Familie sich um ihn versammelt. Als alle ihn anschauen, begrüßt er seine Liebsten, höflich wie er nun einmal ist, mit einem klar und deutlich formulierten »Hallo«. Rückblickend meint Guido über diesen Moment, dass das sehr viel über ihn aussagt. Es soll zudem kein einziges Kinderfoto geben, auf dem der heutige Designer nicht von Textilien umgeben ist. Immer zieht er gerade eine Gardine glatt oder hat ein Kissen auf dem Schoß.

Jeder Versuch, den aufgeweckten Jungen für etwas anderes als für Textil zu begeistern, scheitert. Auch das Musizieren wird eher als lästige Pflicht angesehen. Als er in den Sommerferien ein Instrument lernen soll, kauft ihm Mama Marianne dafür extra eine nagelneue Blockflöte. Doch statt die Tonleiter zu üben und sich den Noten zu widmen, konzentriert sich Guido auf die Optik und näht erst einmal eine neue Tasche für sein Instrument. Anschließend bemalt er die Flöte und beklebt sie mit Steinchen. Stolz wie Oscar präsentiert er seiner Mutter schließlich sein erstes musikalisches Meisterwerk. Über ihre Reaktion sagt er nur: »Die ist ausgeflippt.«

Seinen ersten Schritt ins Rampenlicht wagt er ein paar Jahre später, als Messdiener in der kleinen katholischen St.-Bartholomäus-­Kirche. Nicht deswegen, weil er besonders gläubig ist. Nein, für seine Entscheidung, dem Dorfpfarrer beim Gottesdienst zu assistieren, gibt es vielmehr einen fast blasphemischen Grund – Guido will dieses herrlich rote Messgewand tragen und eben auf der Bühne stehen. Wenn schon jeden Sonntagmorgen der Kirchenbesuch auf dem Programm steht, dann wenigstens oben mit dabei sein. Im Rampenlicht. Da, wo er hingehört. Die Zeit als Messdiener bringt auch einen praktischen Vorteil mit sich: All die Frauen in ihren guten Kleidern oder mit den teils viel zu eng sitzenden Blusen brennen sich tief in seine »Festplatte« ein. Von oben hat er den idealen Blick auf die Gemeinde. Ein Sonntag in der Kirche, so weiß er heute, schult das textile Auge enorm.

Die gewonnenen Erkenntnisse setzt er im Alter von neun Jahren zum ersten Mal an Omas Nähmaschine um. Das Licht der PFAFF 260 beschreibt er heute als seinen ersten Scheinwerfer. Die Nähmaschine ist für ihn von Anfang an ein stichelndes Wunderwerk, etwas, mit dem er sich ausdrücken kann. Endlich kann er mit der Handnäherei aufhören, sich mithilfe der Technik ganz auf seine Visionen und Ideen konzentrieren. Überall holt sich Guido seine Inspiration her. Wie oft seine Mutter mit dem Auto zurücksetzen muss, wenn sie auf der Straße eine Frau überholt, deren Kleid er noch einmal sehen will, weiß er nicht mehr. Später als Teenager sitzt Guido mit wachem Blick und seinem Zeichenblock bewaffnet in den Damenabteilungen von Kaufhäusern, schlürft Florida Boy oder Capri-Sonne und betrachtet die Frauen genau. Hier sieht er, was den Damen steht und was nicht, und lernt dadurch früh, wie man Frauen positiv sagt: »Lass das liegen, Schatz.« Hier wird »Shopping Queen« geboren.

Seine erste Kundin, wie könnte es anders sein, ist natürlich Mama Marianne. Er näht ihr eine Weste, die im Umfeld so gut ankommt, dass sie noch fünfmal von deren Freundinnen bestellt – und bezahlt – wird. Denn Guido näht nur gegen Bares. Tatsächlich hat er noch nie Taschengeld bekommen! »Seitdem ich denken kann, bin ich selbst­finanziert«, sagt er nicht ohne Stolz. Sein Können an der Nähmaschine spricht sich schnell herum. Bereits mit zwölf Jahren schneidert er für Freunde und Nachbarn, für Karnevals- und Schützen­vereine – und wird dabei von seinen Eltern nicht nur ermutigt, sondern auch bedingungslos unterstützt. Sein Vater baut schließlich das Gartenhäuschen für ihn um, richtet ihm darin ein eigenes Atelier ein, in dem Guido all seinen textilen Träumen Leben einhauchen kann. Es gibt sogar ein richtiges Schild, auf dem »Guidos Nähstube« steht. Mit 14 Jahren geht der Jungdesigner regelrecht in Massenproduktion. Zwei Jahre später nimmt das Guido’sche Textilimperium solche Ausmaße an, dass sein Vater die Aufmerksamkeit der Finanzbehörden zu fürchten beginnt und die Reißleine zieht oder, besser gesagt, den Faden kappt. »Guido«, sagt er, »wir müssen dich jetzt steuerlich anmelden, so geht das nicht weiter!«4 Zu diesem Zeitpunkt halten bereits die ersten Lkw vor dem Hause Kretschmer, um ballenweise Stoffe zu liefern.

Guidos Begeisterung für Textil wird auch von den Mitschülern akzeptiert. Da er von jeher einen engen Bezug zu Textilien hat, überrascht sie sein Umfeld nicht. Auch mit seiner Homosexualität hat keiner ein Problem. Ganz im Gegenteil. Seine Schwester Gudrun findet es sogar »ganz exklusiv«, meint zu ihm, wie aufregend sie es fände, dass er schwul sei. Guido hat deshalb nie das Gefühl, dass da irgendeiner in seinem Leben ist, der ihm sagt: »Oh, das geht nicht!«

Und so kann er sich in seiner Kindheit kreativ regelrecht austoben. Wenn seine Eltern mal nicht da sind, gestaltet er das Haus kurzerhand neu. Mal dekoriert er das Esszimmer zum Wohnzimmer um, mal verrückt er die Möbel, um ein schöneres Wohngefühl zu erschaffen, oder näht neue Gardinen. Guido liebt die Veränderung, er braucht sie. Aus Angst, er könnte sich bei seinen Umräumaktionen irgendwann einmal verletzen, bekommt er von seinen Eltern sogar kleine Rollen für jedes Möbelstück, denn Guido transportiert bisher die Tische auf seinem Rücken. Jahre später, als junger Student, nimmt er eine Putzstelle bei einem Ehepaar an. Bei denen sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa. Auch da räumt Guido gleich am ersten Tag die ganze Bude um. »Die kamen zurück in ein völlig neues Haus«, erzählt er mit diesem Grinsen in der Stimme. Guido ist happy, der Hausherr weniger.

Die Putzstelle ist Guido sofort wieder los, seine Verbundenheit zu den Möbeln jedoch bleibt. Noch heute hat Guido den Stuhl in seiner Villa stehen, auf dem er Schreiben lernte. Das ist ein kleiner Rokoko­stuhl im Stil von Louis XV, den ihm sein Vater absägen muss, weil Guido sonst zu hoch über der Schreibtischplatte sitzen würde. Der Stuhl ist inzwischen schon 15-mal neu bezogen worden und hat einen Ehrenplatz in Guidos Schlafzimmer. Auch von seinem Biedermeiersekretär trennt sich der Designer nicht. Er ist 13 Jahre alt, als seine Eltern einen Acker verkaufen, der überraschend zu Bauland wurde, und ihre Kinder an dem Gewinn teilhaben lassen. Als Guido dann eines Tages mit seiner Mutter durch die Stadt schlendert und in einem Geschäft ebendiesen Biedermeiersekretär entdeckt, ist es um ihn geschehen. Schon als Teenager so etwas Wertvolles zu bekommen, »das war überwältigend für mich«, zeigt er sich heute dankbar. Man kann sich gut vorstellen, wie er damals an diesem Sekretär sitzt, von der Schönheit dieses Möbelstücks inspiriert, und er anfängt zu zeichnen.

Von der Krankenschwester zum Designer

Wenn Guido in seiner Kindheit gerade einmal nicht an der Nähmaschine sitzt, ist er im Krankenhaus. Nicht, weil er sich geschnitten oder sonst irgendwie verletzt hat. Nein, dafür ist er zu geschickt mit seinen Fingern. Guido ist in der Klinik, weil ihm die Menschen dort leidtun. Er empfindet so viel Empathie für die Patienten, dass er ihnen schlicht helfen will. Und das, sooft es eben geht. Fast jeden Sonntag ist er dort. Um 5.30 Uhr steht er auf, marschiert angekleidet und voller Tatendrang ins Schlafzimmer seiner Eltern und offenbart seiner schlummernden Mama mit einem fröhlichen Lächeln, dass sie ihn jetzt ins Krankenhaus fahren sollen. »Meine Eltern«, so sagt er später, »haben mich dafür gehasst!«

Hätte er als Teenager schon gewusst, dass man mit Mode so viel Geld verdienen kann, um gut davon zu leben, hätte er nach dem Abitur wohl sofort Design studiert. Doch Guido entscheidet sich für den konventionellen Weg und beschließt, etwas Fundiertes zu lernen. Was also liegt näher als ein Medizinstudium? Zunächst beginnt er eine »Ausbildung zur Krankenschwester«, wie er es selbst nennt. Und zwar am altehrwürdigen St.-Franziskus-Hospital in Münster. Da hockt er nun im Unterricht der Berufsschule, ganz in Schwarz gekleidet. Die Haare ebenso schwarz gefärbt. Er büffelt Medizin, träumt aber von Mode. Und so näht er bei seinem Praktikum im Krankenhaus den Arztkittel erst einmal in einen Zweireiher um, selbstverständlich mit Stehkragen und passender Hose. Dass die »Textilinquisition« diesem Treiben bald ein Ende macht, überrascht kaum. Auch darüber hinaus eckt Guido immer wieder an. Den Nonnen wird das irgendwann zu viel: »Danke, Herr Kretschmer«, heißt es eines Tages, »Sie können gehen!«

Ordensschwester Juvenalis, seine Lehrerin an der Berufsschule, hat ihn bis heute nicht vergessen. Wie könnte sie auch. Er ist damals schon ein Star, erinnert sie sich. Allerdings ist Guido nicht immer der Beliebteste in der Klasse. Er hat es schwer, weil er eben außergewöhnlich ist. Doch Schwester Juvenalis hält zu ihm, als eine der wenigen. »Meine Lehrerin war eine große Stütze«, betont Guido. Der Chefarzt setzt sich ebenfalls für ihn ein. Er verteidigt Guido, sagt, dass er ein feiner Junge ist und er mächtig stolz wäre, einen solchen Sohn zu haben. Doch die Lobby kommt zu spät. Guido hat sich bereits entschieden, das Studium zu schmeißen. Dennoch profitiert er noch heute von dieser Zeit. Er lernt, Menschen sehr nahe zu kommen, hat keine Angst vor Körpern und weiß, wie die Anatomie funktioniert. Die besten Voraussetzungen, um passende Mode zu schneidern.

Guidos Stammkunden in seiner heimatlichen Nähstube sind zu dieser Zeit die Prostituierten der Gegend. Während andere Männer jede Menge Geld zücken, um diese Damen auszuziehen, zieht er sie für Geld wieder an. Und macht sie schicker als zuvor. Dem Designer waren das die liebsten Kunden, da sie immer Bargeld dabei hatten. Noch heute schlägt sein Herz für alle, die auf der Straße im Einsatz sind. Er habe da so viele feine Frauen kennengelernt, die er nicht missen möchte. An eine Geschichte erinnert sich Guido besonders gerne: Sie handelt von einer Domina, eigentlich einer Chemiestudentin, die nebenbei als Domina arbeitet. Guido mag sie sehr. Eines Tages will sie dem kleinen Schneiderlein – Guido ist damals noch etwas jünger – ihre Wohnung zeigen. Er solle sich doch einmal ansehen, wie sie so lebe. Also macht Guido es sich in ihrer Küche gemütlich und knabbert gerade an einem Schokoriegel, als es an der Tür klingelt. Ein Kunde ist da. Oha! Weil es jedoch gerade so gesellig ist und die Domina ihren kleinen Gast noch nicht nach Hause schicken will, greift sie kurzerhand zu einer eher unorthodoxen Methode – und zu jeder Menge Alufolie. Erst wickelt sie den Kunden mit der Silberfolie ein, dann sperrt sie ihn raus auf den Balkon und schimpft ihn aus: »Die einzigen Fesseln, die ich dir heute schenke, sind die Augen der Nachbarn.«5 Tür zu. Gardinen vor. Zurück zu Guido in die Küche, der mit großen Augen am Tisch sitzt und den erstaunten Mund zu einer Frage formt: »Der zahlt doch nicht dafür, oder?« Nach ein paar Minuten hat die Domina schließlich ein Einsehen mit dem Mann. Sie holt ihn zurück in die Wohnung und scheucht ihn wie einen Hund durch die Räume. So zumindest läuft der jugendfreie Teil ab. An diesem Tag wird Guido klar, warum seine Freundin, die Domina, so einen schicken, herrischen Look braucht.

Dass Kleider nicht nur Leute, sondern manchmal auch Kinder machen, ist eine weitere Anekdote, die Guido mit Freude erzählt. Einmal näht er ein Pferdekostüm für eine Frau, die an Karneval damit ihren Mann betrügt. Das Dumme an dieser Geschichte ist, dass der Ehemann sterilisiert und die Frau plötzlich schwanger ist. Nachher glaubt sie – und das findet Guido äußerst amüsant –, er sei mit schuld an der Babymisere. Weil das Kostüm so toll war und sie damit so eine heiße Stute war. Guido findet diese Logik äußerst amüsant.

Doch um sein Leben lang Karnevalskostüme oder Uniformen für Dominas zu entwerfen, nein, dafür hat ihm der liebe Gott nicht dieses textile Talent in die Wiege gelegt. Deshalb beschließt Guido im Alter von 21 Jahren, in Deutschland seine Zelte abzubrechen und sein Glück im sonnigen Süden zu versuchen. Er will nach Barcelona, um dort Modedesign zu studieren. Er weiß, was er kann. Und hat mit seinem Freund Frank Mutters einen Menschen an seiner Seite, der an ihn glaubt. Im Sommer 1986 heißt es: Adiós, Münster. Hola, España!

… und dann kam Udo Lindenberg!

Barcelona – schon der Name klingt nach Café con leche in einem der zahlreichen Lokale an der Plaça de Catalunya, nach fruchtiger Sangría am Sandstrand der Costa Brava und tanzenden Sonnenstrahlen auf der Haut. Und Barcelona klingt nach Geschmack, nach Stil und Glamour. Neben bekannten Labels wie Mango und Custo sind in der Metropole am Mittelmeer viele aufstrebende Modedesigner zu finden. Barcelona ist »the place to be«! Guido zieht es magisch hierher. Trotz damals noch unzureichender Spanischkenntnisse schafft er es, an der Fachhochschule aufgenommen zu werden: »Der Dozent sagte zu mir, er habe noch nie so sehnsüchtige und lebendige Augen für Mode gesehen.«6

Doch von Sehnsucht allein kann niemand leben, geschweige denn einen knurrenden Magen füllen. Guido muss also Geld verdienen. Gemeinsam mit seinem Freund Frank siedelt er nach Ibiza über, um auf dem Hippiemarkt »Las Dalias« seine selbst genähten Kleidungsstücke zu verkaufen. An jenen Sommer denkt Guido gerne zurück. Vielleicht weil er spürt, auf dem richtigen Weg zu sein. Vielleicht auch weil er sich das erste Mal in seinem Leben so richtig frei fühlt. Und diese Freiheit leben Guido und Frank aus – als Hippies, ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Sie wohnen in einer alten Finca, die gut und gerne 500 Jahre alt ist. Mitten im Haus steht ein Brunnen. »Ich hatte eine Wäschepresse. Und wir haben auf der Wiese Wäsche gebleicht«7, erinnert sich Guido. Seine Nähmaschine betreibt er mithilfe eines Generators. Und was er näht, kommt an.

Guidos Modestand, den er für ein paar Peseten mietet, ist immer gut besucht, die Kunden sind entzückt. Doch der Zufall will es – oder war es Schicksal? – , dass eines Tages kein Geringerer als Udo Lindenberg über den Hippiemarkt schlendert. Udo ist auf Ibiza, um Nina Hagen zu besuchen, und nutzt die Zeit für einen Shopping­ausflug. Man sieht es bildhaft vor sich, wie der Rockmusiker, den Hut lässig ins Gesicht gezogen, an den Ständen entlangspaziert, als plötzlich sein Blick durch die schwarze Sonnenbrille hindurch textil gefesselt wird. Er hält an Guidos Stand, durchstöbert die einzelnen Wunderwerke aus Stoff und nuschelt in bekannter Udo-Manier: »Ach, das sind ja tolle Klamotten.« Ob Guido nicht Lust habe, was für ihn zu machen? Guido hat Lust. Und wie! Also entwirft er fünf Jacken aus Brokat für das Bühnenoutfit des Kultsängers. Am Ende dieses Sommers verdient Guido damit seine ersten 5000 D-Mark und kauft sich von dem Geld eine zweite Nähmaschine: »Ich dachte mir: Vielleicht kann ich ja doch Designer werden.«8

Tatsächlich ist Udo nicht der Einzige, der Guidos außergewöhnliches Talent erkennt. Auch eine Stewardess kauft regelmäßig bei ihm ein – und genau damit fängt sie an, Guido Maria Kretschmers beispiellose Karriere. Denn der Chef dieser Stewardess ist ebenfalls von Guidos Kreationen begeistert. Mehr noch: In dessen Unternehmen wird gerade jemand gesucht, der eine neue Uniform entwickeln soll. Also setzt sich Guido hin und zeichnet Entwürfe. Sechs Monate später gewinnt er die Ausschreibung und erhält damit 1987 von der Fluggesellschaft Hapag Lloyd seinen ersten Großauftrag.

Mit gerade einmal 22 Jahren gründet Guido sein erstes Unternehmen, »GMK by pepper«, zudem das Modelabel »Guido Maria Kretschmer Corporate Fashion«. Und das, obwohl er damals noch gar keine Ahnung hat, wie Fabrikation überhaupt geht. »Ich habe dann irgendwie angefangen, war gut organisiert und habe das ganze Ding gestartet«9, beschreibt er diese fast einmalige Erfolgsgeschichte. Innerhalb von wenigen Jahren wird er zum Marktführer im Bereich Corporate Fashion, also für moderne Mitarbeiter- und Messebekleidung. Große Unternehmen beauftragen den Jungdesigner, ihre Firmenmode zu kreieren und zu produzieren. Die Deutsche Telekom, der Touristikkonzern TUI, die österreichische Supermarktkette SPAR, der Schreibgeräte- und Schmuckhersteller Montblanc, die Musical-Produktionsfirma Stage Entertainment sowie die renommierten Hotelketten Kempinski und Maritim zählen bis heute zu seinen Kunden. »Ich glaube, ich habe mein Handwerk einfach gut gelernt«, zeigt sich Guido bescheiden. Er arbeitet für Frauen und Männer aus der ganzen Welt, von Deutschland über Asien bis in die USA. Jedes Land empfindet Mode anders und jedes Land geht anders damit um. So werden zum Beispiel in Hongkong und in Chicago Kleidungsstücke auf unterschiedliche Weise gewaschen. Guido weiß das. Er hat längst ein Gefühl für Proportionen und Qualität entwickelt. Und Qualität hat bekanntlich ihren Preis. Zwei Drittel seines Umsatzes erzielt er heute mit Berufsbekleidung. Oder wie Guido es formuliert: »Ich kann es mir gar nicht leisten, nicht kommerziell zu sein!«10

Auf Partner und Sponsoren verzichtet der Modemacher bis heute. Sein Unternehmen trägt sich selbst und er möchte, dass das auch so bleibt. Weil er so einfach selbstständig in seinem eigenen Laden bleiben kann. Aus dieser Überzeugung resultiert sein Ratschlag an alle, immer nur so weit zu springen, wie man kann.

Doch es ziehen noch 16 weitere Jahre ins Land, bis Guido mit seiner Mode auch die Bühne erobert. 2003 wird dieser Traum endlich wahr. Auf einem Kreuzfahrtschiff, das von Hongkong aus unter dem Motto des »Deutschland-Jahres in Japan« startet, lernt Guido die Schauspielerin Katharina Thalbach kennen. Eine »Blitzfreundschaft«, wie er es nennt. Und ein Glücksfall. Guido präsentiert bei einer Modenschau an Bord wie gewohnt seine Berufskleidung »made in Germany«. Die Schauspielerin ist von den Uniformen begeistert und fragt den Designer, ob er nicht Lust hätte, auch einmal für das Theater zu arbeiten. Kurz darauf gestaltet Guido Katharinas Kostüme für ein Oscar-Wilde-Stück. »Das war die Erfüllung, endlich einmal zu wissen, für wen man etwas macht.«11 Zu sehen bekommt Katharina Thalbach die fertigen Kostüme erst am Tag der Premiere, sie vertraut Guido und seinem Gespür blind. Noch heute schwärmt sie von seinen unglaublich schönen Kostümen, »die er teilweise auch während der Proben neben mir beim Inszenieren nähte ... und hier noch ’ne Perle dran und da noch ein Stückchen Fell.«12

Das Treffen mit Katharina Thalbach entwickelt sich zu einem Türöffner.

Es folgen die Zusammenarbeit mit Detlef Buck für den Kinderfilm »Hände weg von Mississippi« und die Ausstattung für Vanessa Jopps Komödie »Meine schöne Bescherung«, in der Guido sogar eine kleine Nebenrolle als Bernd Schmitz übernimmt. Er stattet die Deutsche Oper Berlin für »Der Barbier von Sevilla« aus und macht sich zunehmend einen Namen in der Filmbranche. Für die Komödie »Rubbeldiekatz« mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle holt ihn Regisseur Detlef Buck das zweite Mal mit ins Boot. Erneut entwirft Guido nicht nur die Kostüme, sondern übernimmt auch einen kleinen Part, diesmal als Steward. Doch Guido zieht es nicht vor die Kamera, sondern zurück an die Nähmaschine.

2004 folgt der nächste Schritt in Richtung Glamour: Der Designer gründet sein neues Label »Guido Maria Couture« und präsentiert seine exklusiven Abendkleider erstmals auf den Laufstegen von Tokio und Schanghai. 2005 feiert er sein Debüt auf der Fashion Week in Berlin und wird von der Szene als neuer Stern am deutschen Modehimmel umjubelt. 2008 präsentiert er die Couture-Linie »be my friend« zum »New Faces Award« der Zeitschrift »Bunte«, Chefredakteurin Patricia Riekel überredet ihn dazu. Bei der alljährlichen Mercedes-Benz Fashion Week gilt seine Runway-Show inzwischen als DER Höhepunkt dieses Events. Spätestens jetzt ist Guido aus der Modewelt nicht mehr wegzudenken.

Plötzlich ist er gefragt. Als er wenige Jahre später seine heutige Wohnung in Berlin-Schöneberg bezieht, bekommt die Nachbarin mit, dass er etwas mit Mode zu tun hat. Sie wünscht ihm »toi, toi, toi« und ein »gutes Gelingen für die Zukunft«. Wohl mehr aus Höflichkeit, denn von seinem Erfolg ist sie kaum überzeugt. Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, wie diese Frau ihn mit einem besorgten Seufzen im Flur begrüßt, ihm ab und an ein Stückchen Kuchen vorbeibringt, weil er so ein Netter ist und es doch so schwer hat als Männerschneider. Wahrscheinlich denkt sie, er solle besser als Versicherungsvertreter arbeiten. Oder sie möchte ihn mit ihrer Tochter verkuppeln. Ein paar Wochen später fragt dieselbe Dame entgeistert: »Hab ich gestern bei Ihnen im Wohnzimmer Heino Ferch in der Unterhose stehen sehen?«13 Seitdem ahnt sie, dass das mit der Mode klappen könnte. Das mit ihrer Tochter allerdings nicht.

Auch Kolleginnen des Schauspielers Heino Ferch wie Jasmin Tabatabai und Martina Gedeck gehen jetzt bei Guido ein und aus. Meret Becker bezeichnet seine Kleider als »sinnliche Stoffträume«. Der Berliner Designerkollege Michael Michalsky bekundet: »Hier ist doch Platz für uns beide.«

Trotz seines Erfolgs bleibt Guido bodenständig. Jeden Job in seiner Firma macht er im Laufe der Jahre einmal selbst. Er arbeitet im Lager, in der Verwaltung und in der Schnittabteilung, übernimmt sein eigenes Marketing, schreibt Rechnungen und wäscht zwischendurch sogar die Autos. Er ist der Chef, der abends mit dem Besen noch einmal durchgeht. Er ist der Erste, der kommt, und der Letzte, der geht. Und dadurch, dass er jeden Arbeitsbereich aus eigener Anschauung kennt, weiß er, worauf man im Einzelnen achten muss. »Für meine Mitarbeiter ist es manchmal schwierig, weil ich sehr pingelig bin und immer alles so in Schuss haben will«14, gesteht Guido. Wenn er auf irgendetwas vertrauen kann, dann auf sich selbst – und der Rest muss organisiert sein. Egal, wie herzlich Guido privat ist, im Job ist er der Chef. »Dann habe ich das Krönchen auf.«