HANNING. MACHT. HANDBALL. Geheimnisse aus dem Innersten eines faszinierenden Sports - Bob Hanning - E-Book
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HANNING. MACHT. HANDBALL. Geheimnisse aus dem Innersten eines faszinierenden Sports E-Book

Bob Hanning

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Beschreibung

Bob Hanning ist der starke Mann im deutschen Handball – und einer der wenigen Sportfunktionäre mit Kultstatus. Seit Jahren bestimmt der charismatische Manager den Herzschlag seines Sports und hat dabei alle Höhen und Tiefen des zweitliebsten Mannschaftssports der Deutschen miterlebt. Mit seinem Mut zur Meinung und Konfrontation wird der Wahlberliner von Publikum und Fachwelt gleichermaßen geliebt wie gehasst. In seinem Buch erzählt er, wie aus einem 1,68 Meter kleinen Torwart einer der einflussreichsten Funktionäre der Handball-Welt wurde, der sich in einer Mischung aus Selbstironie und Eitelkeit auch schon mal als Napoleon inszeniert. Hanning liebt den Tanz auf der großen sportpolitischen Bühne, aber mit noch größerer Leidenschaft coacht er auch Jugendteams und vermittelt Werte. Ein Buch über große Siege und schmerzhafte Niederlagen, mit einmaligen Anekdoten und spannenden Einblicken hinter die Kulissen einer faszinierenden Sportart. Ein Buch, in dem so manches Geheimnis gelüftet und das für Gesprächsstoff nicht nur in der Handballwelt sorgen wird.

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INHALT

I.Revolution! Mein Weg an die Macht

Bob und ich – eine komplizierte GeschichteStefan Kretzschmar (mit Nils Weber)

II.Erfolg ist planbar – aber aller Anfang ist schwer

Hochhaus-Träume: Kirmes in den Siebzigern oder Wie alles anfing

Bob-Store und Bundesliga: Der Deal mit meinem Vater

Handeln, nicht warten! Vom Jugendcoach zum Weltmeister-Macher

Können statt Wissen: Erste Schritte in der Bundesliga

III.Ich, Napoleon – Hamburger Lehrjahre

Schmutziges Ende, sauberer Anfang: Hamburg, da bin ich

Handball ist auch Unterhaltung: Napoleon als Blitzableiter

Geldsorgen und Gefängnis: Vom Trainer zum Krisenmanager

Hinterfrag dich, aber stell dich nicht in Frage: Mein Aus in Hamburg

IV.Berlin. (M)eine Erfolgsstory

So küsste ich die Hauptstadt wach: Ein- und Aufstieg bei und mit den Füchsen

Siebzehn Dauerkarten, keine Lobby: Wir waren nicht gewollt

Ein Haufen Amateure, oder: Thekentruppe auf Weltreise

Großer Name, Glanz und Glamour: Silvio Heinevetter

Bruder im Geiste: Dagur Sigurðsson

Alles ist „moglich“: Iker Romero und das Ampel-System

Immer on fire: Dagur geht

Impuls für die Zukunft: Stefan Kretzschmar

Insolvenz? ADG! Corona bedroht unseren Sport

V.Motivation durch Identifikation – Nachwuchsarbeit bei den Füchsen

Der Berliner Weg

Schulturnier statt Champions League

Wir legen Wert auf Werte: Aus Angst wird Augenhöhe

Heimat für den Handball: Füchse Town

Stromkasten Hanning: Wer ich bin

VI.Amateure hoffen, Profis arbeiten – Bob ’n’ Roll beim DHB

Aus Liebe zum Sport

Katastrophe vor dem Kilimandscharo: In Badelatschen am Abgrund

Des Pharaos Prinzipien: Per Wildcard in die Wüste

Sigurðsson übernimmt: Hexenjagd auf Hanning

Der Fall Bernhard Bauer: Dolchstoß aus dem Hinterzimmer

Heiner Brand: (M)eine Lichtgestalt hört auf zu leuchten

Bad Boys: Was mir keiner nehmen kann

Belohnungsprinzip: 3200 Löcher für den Kopf

Erst Rio, dann Reinfall: Dem Rausch folgt der Kater

Die Akte Prokop: Aufstieg und (Fast-)Fall meines Bundestrainers

Wetten, Liebe, Pferdesport: Einen Drux verkauft man nicht

Bunte Pullis, Riesenstimmung: Die Bob-WM

Prokop ist kein Klopp: Ich bin gescheitert

Viel Lärm um Nichts: Das Tokio-Theater

VII.Rückzug von der großen Bühne? Was ich noch sagen möchte

Danksagungen

I. Revolution! Mein Weg an die Macht

Jetzt waren es also nur noch ein paar Schritte. Vier Stufen, um genau zu sein. Mein Herz fing wie wild an zu pochen. Monate, nein, Jahre hatte ich auf diesen Moment hingearbeitet.

Eine kleine Revolution. Meine Revolution, die ich akribisch vorbereitet, immer wieder diskutiert und öffentlich verteidigt hatte. Nun war es so weit. Später sollte dieser Tag als der Beginn einer Ära, eine Art Wendepunkt in die Geschichte des deutschen Handballs eingehen. Aber später war später – jetzt befand ich mich im großen Saal des Maritim-Hotels Düsseldorf. Und in mir, dem Medienprofi, dem Meister des publikumswirksamen Auftritts, tobte der Sturm.

Das Raunen im Plenum drang gedämpft zu mir herüber. Unabhängig davon, dass es eigentlich Usus war, dass derjenige, der wie ich damals von der Liga vorgeschlagen wurde, auch zum Vizepräsidenten Leistungssport gewählt wird, spürte ich schon an jenem 21. September 2013, dass mir gegenüber nicht bloß Freunde saßen. Mit dem Papier „Amateure hoffen, Profis arbeiten“ hatte ich nicht wenige der rund hundertfünfzig Anwesenden gegen mich aufgebracht. So viel stand fest.

Dem deutschen Handball ging es nicht sonderlich gut zu jener Zeit. Was sage ich … Der Verband lag am Boden! Nach fünfzehn Jahren unter dem damaligen Präsidenten Ulrich Strombach hatte sich der mitgliederstärkste Handballverband der Welt in einen tiefen Schlaf verabschiedet, die Strukturen waren verkrustet – und sportlich hatte die Nationalmannschaft, einstiges Aushängeschild des DHB, gerade einen neuen Tiefpunkt erreicht. Verblasst waren die großen Erfolge unter Bundestrainer Heiner Brand. Der EM-Titel und olympisches Silber im Jahr 2004 oder das goldene Wintermärchen von 2007 im eigenen Land wirkten im Herbst 2013 wie Relikte aus einer anderen, längst vergessenen Zeit.

Die Gegenwart sah düster aus. Platz elf bei der Weltmeisterschaft 2011, die damals schlechteste WM-Platzierung einer deutschen Mannschaft in der Geschichte, und die verpasste Olympiaqualifikation für die Sommerspiele 2012 hatten wir gerade irgendwie verwunden, da setzte es im Sommer 2013 den nächsten Tiefschlag: eine 25:27-Niederlage in Podgorica gegen die Feierabendhandballer aus Montenegro. Nie zuvor hatten wir eine Europameisterschaft verpasst, im elften Anlauf passierte es. Ein Debakel. Historisch schlecht waren wir.

Der damalige Bundestrainer Martin Heuberger, Nachfolger von Heiner, der seinen Job nach der WM-Schlappe von 2011 geräumt hatte, bekam vom scheidenden Präsidium eine Jobgarantie, was zur Folge hatte, dass es in der Szene noch mehr rumorte als ohnehin schon. Kretzsche, damals wie heute um kein kritisches Wort verlegen, brachte seine Fassungslosigkeit via Twitter zum Ausdruck: „Ist das bitter. Keine Ahnung, wie das geschehen konnte … Staatstrauer!“ Alle auch nur halbwegs Handballinteressierten waren sich einig: Es war höchste Zeit für eine neue Geschichte. Und da kam ich ins Spiel.

Ich konnte die Trägheit des DHB-Tankers nicht mehr ertragen und wollte den Kahn unbedingt wieder flottkriegen. Der Ära Strombachs fehlte es nicht an Erfolgen, doch mittlerweile an einer Vision. Das Verhältnis des Verbands zur Bundesliga war an einem Tiefpunkt angelangt, die Arbeit mit aufstrebenden Talenten basierte mehr oder weniger auf Zufall. Nach dem umjubelten Titel 2007 gab es keine nachhaltige Entwicklung, nur noch Stagnation. Und auch den Klubs mangelte es an Mut, auf junge Spieler zu bauen und diese konsequent einzusetzen. Kurz: In meinen Augen musste sich eine Menge ändern.

Und da hockten sie nun, die Chefs der Landesverbände, die alteingesessenen Granden des deutschen Handballs, die Heiner Brands, Uli Strombachs und Hotti Bredemeiers, und zitterten angesichts dessen, was über sie hereinzubrechen drohte. Sie alle wussten: Es muss sich etwas ändern, und es ist gut, dass der Hanning kommt. Der kann das! Aber – auch das wussten alle – es wird mit ihm auch ziemlich anstrengend. Und damit sollten sie recht behalten.

Besonders eisig war mein Verhältnis zu Heiner. Vom Vertrauen und gegenseitigen Respekt unserer gemeinsamen Zeit, als ich ihm bis zur Jahrtausendwende als Co-Trainer bei der Nationalmannschaft zuarbeitete, war nicht viel geblieben. Heiner gehörte wie viele im Verband zu jener Kaste, mit der mir eine Erneuerung nicht möglich schien. Nicht weil ich sie nicht mochte. Sondern weil es Zeit für etwas Neues war. Auch wenn ich damals nicht ahnen konnte, welche grotesken Züge unsere Kommunikation wenig später annehmen würde, war die Beziehung zu Heiner schon im Herbst 2013 stark belastet. Uns fehlte die gemeinsame Basis, wir kämpften für unterschiedliche Ziele. Das war mir vor meiner Antrittsrede klar geworden, als ich ihn in einem Restaurant getroffen und versucht hatte, mit ihm zu reden. Über meine Rolle, über seine. Über meine Vision vom neuen DHB. Es war klar, unter mir, seinem einstigen Lehrling, wollte er partout nicht arbeiten. Das gab er mir klar zu verstehen.

Ich wusste natürlich schon damals: Die Reformpläne musste er als Frontalangriff auf ihn und seinen Kreis verstehen, allein mit dem Titel „Amateure hoffen, Profis arbeiten“ hatte ich das scheidende Präsidium düpiert. Ich stellte einfach alles in Frage. Mein Thesenpapier war ein Grenzübertritt. Mir ging es aber nicht um Machtspielchen, ich war überzeugt, dass Veränderungen notwendig waren.

Zu gern hätte ich Heiner und Co. meine Thesen vorab in Ruhe erläutert. Doch ein geplanter Termin in Leipzig wurde aus für mich fadenscheinigen Gründen abgesagt. Und so ergriff ich die Flucht nach vorn und ging den Weg über die Medien. Aber ich ahnte schon, was ich damit lostreten würde.

Welch tiefe Wunden das Papier offenlegte, zeigten die Reaktionen, die mich aus der ganzen Republik erreichten. Ich hatte offenbar die Baustellen, oder besser Schwachstellen, des Systems DHB benannt: die Führungsschwäche und die Verbandsstruktur, die Unprofessionalität der Landesverbände, die mangelhafte Jugendförderung, die fehlende individuelle Eliteförderung und die wackelige Finanzierung des Ganzen.

Auch wenn es viele noch immer nicht hören wollen: Achtzig Prozent meines damaligen Papiers sind inhaltlich das, wonach der Verband heute, im Jahr 2021, arbeitet. Ich hatte fleißige Helfer an meiner Seite. Helfer wie vor allem den zusammen mit mir neu gewählten Präsidenten Bernhard Bauer – ein kluger Kopf aus der Politik, dem der deutsche Handball einiges zu verdanken hat, dessen übersteigertes Geltungsbedürfnis ihm aber einige Monate später zum Verhängnis werden sollte …

Und damit zurück zu den Geschehnissen im Herbst 2013. In den Wochen vor dem Bundestag und dem für mich entscheidenden Auftritt vor den vielen Vollblutfunktionären gönnte ich mir ein Coaching. Frank Steffel, Präsident meines Klubs Füchse Berlin, ein langjähriger Vertrauter und bis heute einer meiner engsten Freunde, legte mir eine Schauspielerin ans Herz, die mir empfahl, bereits den Gang zur Bühne zu üben. So verrückt es klingt, aber es ging tatsächlich konkret um den Weg auf die Bühne, ums Treppensteigen. Am Abend vor dem Bundestag bin ich tatsächlich noch mal rein in den Raum und dreimal die Treppe rauf- und runtergegangen, habe mich ans Rednerpult gestellt und von dort in den Saal geschaut. Ich stellte mich auf einen Kampf ein.

Ich habe beileibe kein Problem damit, vor Menschen zu sprechen. Aber hier ging es ums Ganze. Ich hatte keine Wahl. Immer wieder hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen: Guckst du weiter zu und kritisierst nur von außen? So wie die Daniel Stephans oder Christian Schwarzers dieser Welt. Oder begibst du dich in den Ring? Mit den Füchsen Berlin hatte ich einen Verein von den Niederungen der zweiten Liga in die Champions League geführt. Doch Klubarbeit ist Klubarbeit. Da hast du andere Freiheiten – sofern deine Gesellschafter und Sponsoren das mittragen. Wenn du aber für einen Verband arbeitest, dann kannst du nicht von ihm leben, sondern du musst für ihn leben. Und genau das wollte ich. Ich wollte die Veränderung. Viele Jahre hatte ich in den Führungsgremien der Bundesliga mitgemacht, weil mir die Themen Jugend und Nachwuchs wichtig waren. Und genau dies war auch ein Grund für meine Bewerbung beim DHB. Ich wollte Veränderung für meine Jungs, die ich in Berlin trainierte. Veränderung für all die jungen Talente, die keine Chance in der Bundesliga bekamen. Veränderung der Strukturen des Verbands. Und eine Veränderung des Auftretens. Eine Veränderung von der Basis her. Hätten wir einfach so weitergemacht, wäre der deutsche Handball auf Dauer abgehängt worden. Es brauchte jemanden, der neu denkt. Jemanden, der anders denkt. Und dieser jemand war ich.

Diese Gedanken bewegten mich vor der Aufführung – unterm Strich ist es ja nichts anderes als das, eine Aufführung. Und mir schlotterten die Knie.

Erinnerungen an meine Kindheit kamen mir in den Sinn. Frühsommer 1982, Waldorfschule in Essen, achte Klasse. Ich war gerade vierzehn Jahre alt und sollte den Barach, eine der Hauptrollen in Turandot, spielen. Die Aula war ausverkauft. Nach einigen in den Sand gesetzten Proben hatte ich auch die Generalprobe komplett verhauen. Noch kurz vor dem Auftritt wollte man mich absetzen. Bob, willst du nicht was anderes spielen, hieß es. Der Barach ist vielleicht eine Nummer zu groß für dich.

Dann kam der Tag der Aufführung. Den Ersatzmann hatten sie schon neben die Bühne gesetzt. Und siehe da, auf einmal lief alles wie am Schnürchen.

„Schweig! Verrat mich nicht!

Beim großen Lama, sprich! Wie bist du hier?“

„Durch ein Geschick der Götter, muss ich glauben,

Da es mich hier mit Euch zusammenführt.

An jenem Tag des Unglücks, als ich sah, […]

Dass Ihr und König Timur, Euer Vater,

Im Treffen umgekommen. Meinen Schmerz

Erzähl’ ich nicht; verloren gab ich alles.

Von Land zu Lande irrt’ ich flüchtig nun

Drei Jahre lang umher, ein Obdach suchend,

Bis ich zuletzt nach Peking mich befunden.

Hier unterm Namen Hassan glückte mir’s,

Durch treue Dienste einer Witwe Gunst

Mir zu erwerben, und sie ward mein Weib.

Sie kennt mich nicht; ein Perser bin ich ihr.“

Proben, das war zeit meines Lebens so, gingen gern daneben. Doch wenn es drauf ankam, das lernte ich an jenem Tag im Frühsommer 1982, konnte ich mich auf meinen Instinkt verlassen. Seitdem höre ich in kniffligen Situationen nicht so sehr auf den Kopf, sondern den Bauch, das Gefühl.

So auch am 21. September 2013, einem Tag, der mein Leben verändern sollte. Ich, ganz züchtig im grauen Anzug mit grauer Weste und gestreiftem Hemd, stand an der Schwelle zur Bühne im Maritim-Hotel Düsseldorf, und die Erinnerungen an meine Kindheit flößten mir frische Energie ein.

Im nächsten Moment bin ich auf die Bühne – und habe einfach improvisiert. Ich habe mir das Mikrofon geschnappt, mich direkt in die Mitte gestellt und gesagt: „Leute, da ihr mich hinter dem Pult kaum sehen könnt, mache ich das besser von hier vorn.“ Es gab ein schallendes Gelächter – und damit war im Grunde alles erledigt, das Eis war gebrochen. Zehn Minuten Redezeit reichten, sie wählten mich. Ohne Gegenstimme. Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Ich wusste, dass dies der Anfang von viel Arbeit sein würde, der Beginn eines Spiels, das größer war als jedes andere Spiel, das ich bis dahin gespielt hatte.

Bob und ich – eine komplizierte Geschichte Von Stefan Kretzschmar

Bob Hanning. Wo soll ich da anfangen? Ein Egoist. Schlimmer noch, ein Egozentriker. Einer, der sich für den Nabel der Handballwelt, zumindest aber des deutschen Handballs hält. Ein Wichtigtuer, Marktschreier, Besserwisser, Provokateur, Selbstdarsteller, Gernegroß. Arrogant, anmaßend, geltungssüchtig, taktlos, geschmacklos, exzentrisch, größenwahnsinnig, machtbesessen, eigennützig, rücksichtslos, gewissenlos, gefühllos. Einer, der für Erfolg und Ruhm über Leichen geht.

Habe ich was vergessen? Bestimmt. Aber das hier soll schließlich kein Roman werden.

Vorurteile wie diese gab und gibt es über Bob Hanning zuhauf, und ich plaudere an dieser Stelle kein großes Geheimnis aus, wenn ich sage, dass nicht gerade wenige Leute in der Handballszene bis heute ein Bild von ihm haben, das sich in Teilen mit obiger Auswahl, quasi einem „Worst of“, deckt. Von den Fans mal ganz zu schweigen. Bob Hanning ist zweifellos die umstrittenste Figur im deutschen Handball. Ein Typ, der total polarisiert. Das Problem dabei: Alle haben eine Meinung zu Bob, aber die wenigsten kennen ihn, wissen, was ihn wirklich antreibt und bewegt. Das wird sich mit diesem Buch sicher ändern. Was mich betrifft, habe ich seit einiger Zeit die Gelegenheit, Bob aus nächster Nähe zu erleben, und kann durchaus sagen: das Glück.

Ich will ehrlich sein und nichts beschönigen, denn das hat keiner von uns beiden nötig: Auch ich hatte viele Jahre lang keine sonderlich hohe Meinung von Bob. Weniger staatstragend ausgedrückt: Ich konnte diesen Hanning nicht leiden. In den besten Momenten war er mir egal, in den schlimmsten ging er mir richtig auf den Sack, insbesondere dann, wenn wir uns mal wieder in der Wolle hatten. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit, was ziemlich praktisch ist, denn das macht es deutlich einfacher, jemanden abzustempeln, in eine Schublade zu stecken und dort zu lassen. Er kam mit meiner Art nicht klar, ich mochte die seine nicht, und weil wir beide nicht auf den Mund gefallen sind, gab es ordentlich Beef. Man kann durchaus von einer feindlichen Koexistenz sprechen.

Wenn mir also jemand vor ein paar Jahren prophezeit hätte, dass ich mal ein Kapitel in einem Buch von Bob Hanning übernehmen und auch mit ihm zusammenarbeiten würde, erfolgreich, sehr eng, vertrauensvoll und obendrein harmonisch – zumindest meistens –, dann hätte ich dieser Person nicht widersprochen – ich hätte sie einfach ausgelacht. Vermutlich hätten wir gemeinsam gelacht. Über den Joke. Kann ja unmöglich jemand ernst meinen, so einen Schwachsinn: Hanning und Kretzschmar als Duo! Tja, jetzt ist dieser Schwachsinn mein Alltag.

Wie zur Hölle konnte das passieren? Gute Frage, lange Geschichte. Ich möchte sie einerseits möglichst kurz halten, muss aber schon etwas ausholen, um nachvollziehbar und verständlich zu machen, wie wir erst ziemlich beste Feinde wurden und schließlich ein eingespieltes Team werden konnten, in dem – und das ist eigentlich auch verrückt – nicht ich der Paradiesvogel bin.

Angefangen hat unsere gemeinsame Geschichte aus meiner Sicht bei den Olympischen Spielen in Sydney im Jahr 2000. Dort habe ich Bob, der damals als Co-Trainer von Heiner Brand dabei war und sich seinen olympischen Traum erfüllte, erstmals bewusst wahrgenommen, aber wie auch die meisten meiner Mitspieler nicht für voll genommen. Wir haben uns damals direkt bei seiner Ankunft im olympischen Dorf ein paar kreative Scherze auf seine Kosten erlaubt, die aus unserer Sicht total witzig, objektiv gesehen aber billig und böse waren. Ohne ins Detail gehen zu wollen: Sie bezogen sich auf Bobs Körperlänge, und ich bin rückblickend wahrlich nicht stolz darauf. Ich bin sicher, dass es ihn getroffen und auch für nachhaltige atmosphärische Störungen zwischen den beteiligten Parteien gesorgt hat.

Auf der anderen Seite gibt es da dieses Foto, auf das mich erst vor wenigen Jahren jemand aufmerksam gemacht hat. Es ist direkt nach unserem dramatischen Ausscheiden im Viertelfinale gegen Spanien aufgenommen worden, bei dem ich den entscheidenden Wurf an den Pfosten geknallt habe. Dieses Spiel war bekanntlich lange Zeit mein Trauma und hat mir unzählige schlaflose Momente bereitet. Ich sitze also wie ein Häufchen Elend am Spielfeldrand. Und neben mir steht Bob, den wir veralbert und verletzt hatten, legt die Hand auf meine Schulter und versucht, mir in meiner dunkelsten Stunde Trost zu spenden, mich aufzumuntern. Ich überlasse es jedem selbst, die Szene zu interpretieren, könnte mir aber vorstellen, dass dieses Bild nicht ganz zu jenem passt, das der ein oder andere von Bob Hanning im Kopf hat.

Ich habe keinerlei Erinnerung an diesen Moment. Null. Die Stunden nach der Schlusssirene sind ein schwarzes Loch in meinem Gedächtnis, bis heute. Ich kenne nur das Bild und habe mir so meine Gedanken gemacht. Es ist natürlich spekulativ, aber vielleicht wäre einiges, was in den fast fünfzehn Jahren danach zwischen uns passiert ist, nie derart eskaliert, wenn mir dieses Foto früher in die Hände gefallen wäre. Damit meine ich nicht, dass wir dann keinerlei Meinungsverschiedenheiten gehabt und auch offen ausgetragen hätten, aber es wäre womöglich einige Eskalationsstufen darunter abgegangen.

Ein Foto, das dagegen in den folgenden Jahren mein Bild von Bob prägte, und längst nicht nur meines, war der Schnappschuss in Napoleon-Montur, der in seiner Zeit als Trainer des HSV Handball entstanden ist. Ich fand die Aktion lächerlich und peinlich, allerdings bescherte sie nicht nur Bob, sondern auch seinem Klub jede Menge Aufmerksamkeit. Aber ich schaute damals nicht mit den Augen eines PR-Profis auf die Dinge, sondern als Spieler des SC Magdeburg. Während ich den HSV als sportlichen Konkurrenten wahrnahm, machte es mir das Napoleon-Bild wirklich schwer, diesen Hanning ernst zu nehmen.

Das änderte sich mit seinem Engagement in der Hauptstadt. Was niemand für möglich gehalten hätte und ich als Ur-Berliner erst recht nicht: Es gelang Bob, den dortigen heillos zerstrittenen Handballverband zu vereinen und hinter das Projekt Füchse Berlin zu bringen, in einer sehr bestimmenden Art und Weise – manche sagen: diktatorisch –, aber das Resultat gibt ihm recht. Details der Erfolgsgeschichte erspare ich mir, denn es ist Bobs Geschichte und an ihm, sie zu erzählen. Fakt ist, dass mit dem Aufstieg der Füchse in die Bundesliga der Kleinkrieg zwischen uns richtig losging.

Die riesige Rivalität zwischen Magdeburg und Berlin ist bekannt, und ich bin sicher, Bob wird ausführlich darlegen, wie sie gewachsen, immer mal wieder eskaliert ist, aber auch gepflegt wurde, denn sie bescherte den Duellen zwischen beiden Klubs besondere Aufmerksamkeit. Natürlich waren die Füchse und Hanning aus meiner Sicht – ich wurde im Jahr ihres Erstliga-Aufstiegs Sportdirektor beim SCM – zunächst Emporkömmlinge mit einem deutlichen Hang zum Größenwahn. In den ersten Jahren straften wir sie mit Niederlagen und Geringschätzung, als sie uns schließlich sportlich überholten, rächten sie sich dann mit einer in unseren Augen unerträglichen Hauptstadt-Arroganz.

Die ganze Sache hat sich immer weiter hochgeschaukelt, und alle Episoden ausführlich abzuhandeln, könnte fast ein eigenes Buch füllen. Es gab jedenfalls immer wieder gegenseitige Sticheleien, Seitenhiebe, Tiefschläge. Die ultimative Kriegserklärung war natürlich, als die Füchse uns Silvio Heinevetter ausspannten, und das auch noch mit Hilfe des bei uns geschassten Ex-Managers Bernd-Uwe Hildebrand, den Bob für seine Zwecke eingespannt hatte. Ich fand das skrupellos und nahm die Sache persönlich, aber es war zugegebenermaßen von Bob auch ausgesprochen clever eingefädelt und in der Sache ein weitsichtiger Schachzug. Längst nicht sein einziger.

Je besser die Füchse wurden, desto mehr nervte mich Bob, denn er machte verdammt viel richtig und dabei aus vergleichsweise wenig eine ganze Menge. Ich gebe zu, dass ich schon damals heimliche Bewunderung dafür hegte, wie er den Handball in meiner Geburtsstadt wieder groß machte, was vielleicht niemand anders geschafft hätte. Das hat mich einerseits gefreut, aber andererseits hat es mich, da will ich ganz ehrlich sein, auch angekotzt, dass es ausgerechnet diesem Hanning gelungen ist.

In unserer spannungsgeladenen Geschichte war meiner Meinung nach immer auch eine ordentliche Portion Neid im Spiel. Wir beide sind starke Charaktere und Menschen, die das Rampenlicht suchen, die Öffentlichkeit auch brauchen, Aufmerksamkeit durchaus genießen und nicht nur nach Erfolg streben, sondern auch nach Anerkennung. Manchmal kommt man sich dabei ins Gehege, denn die Bühne des Handballs ist nicht sonderlich groß und Popularität durchaus auch eine Währung. Da werden schon mal die Ellenbogen ausgefahren, und es wird nicht immer in der Sache argumentiert oder gestritten, sondern auch mal in eigener Sache.

Man kann sich sicher meine Begeisterung vorstellen, als Bob ein paar Jahre später Vizepräsident des Deutschen Handballbundes wurde, denn nun musste ich mich mit diesem Typen in meiner Funktion als hauptberuflicher TV-Experte auch noch bei Länderspielen, großen Turnieren und allen wichtigen Fragen unserer Sportart herumschlagen. Dass Bob wenig später seinen Vereinstrainer Dagur Sigurdsson als Bundestrainer inthronisierte, brachte das Fass zum Überlaufen. Mit meiner öffentlichen Fachanalyse, die Personalie sei ein Affront und Armutszeugnis für den deutschen Handball, auch inhaltlich die falsche Wahl und überhaupt der Untergang des Abendlandes, lag ich zwar komplett auf der Linie der Handballszene hierzulande, aber letztlich mal so was von daneben! Und wer lachte zuletzt? Genau. Ich weiß nicht, ob Bob wirklich lachte und sich vor Genugtuung die Hände rieb, aber die bildliche Vorstellung reichte mir schon. Rückblickend muss ich zugeben, dass er zwar nicht in allen unseren Streitfragen richtig lag, aber für meinen Geschmack waren es deutlich zu viele, und ich fand natürlich, dass er es zu sehr raushängen ließ.

Wendepunkt in unserem spannungsgeladenen Verhältnis war die Europameisterschaft 2016. Dorle und ich fuhren mit dem Auto zum Finale nach Krakau, um die Mannschaft zu unterstützen. Schon im Vorfeld hatte ich lobende Worte für das Team und auch den Trainer gefunden, was Bob registriert hatte und bei einem Smalltalk vor Ort schmunzelnd anmerkte. Wir plauderten entspannt wie lange nicht. Vielleicht war es der perfekte Ort, Anlass und Zeitpunkt für uns beide, um zu realisieren, dass es nicht um Hanning oder Kretzschmar geht und wer was wann wie mal gesagt hat, sondern um den deutschen Handball. Um die Sache. Darum, die Kräfte zu bündeln für unseren Sport, weil wir alle in einem Boot sitzen und es höchste Zeit war, persönliche Animositäten und Eitelkeiten, zumindest was uns betraf, über Bord zu werfen.

Mit dem Erfolg der Nationalmannschaft unter Dagurs Regie wuchs auch meine Anerkennung für Bobs Arbeit, vor allem wurde mir klar, dass ich nicht jede Idee, jeden Plan oder jede Entscheidung doof finden und kritisieren musste, nur weil sie von Bob Hanning kam und er mit Leuten über Kreuz lag, die ich mag und sogar zu meinen Freunden zähle. Dorle spielte bei dieser Entspannungspolitik eine bedeutende Rolle, denn sie ist eine hervorragende Menschenkennerin und forderte von mir, meine Sichtweise auf den Menschen Bob Hanning grundsätzlich zu überdenken und das Bild, das sich über Jahre verfestigt hatte, in Frage zu stellen, die Perspektive zu wechseln, mich in ihn hineinzuversetzen. Auf Letzteres hatte ich ja richtig Bock … Wir diskutierten viel. Dabei bekamen wir uns mehr als einmal richtig in die Wolle, weil ich das Gefühl hatte, dass sie mir in den Rücken fiel, und ich fragte Dorle, ob sie neuerdings als Anwältin von Bob Hanning tätig sei. Sie kann sehr hartnäckig sein. Und überzeugend.

Bob und ich haben nie offiziell Frieden geschlossen, uns nicht episch ausgesprochen oder gemeinsam betrunken. Es war ein Prozess. Wir telefonierten häufiger, wenn es um grundsätzliche Fragen des Handballs oder Einschätzungen ging, weil wir die Expertise des anderen schätzen. Wenn ich Spiele mit Beteiligung der Füchse kommentierte, konnte ich mich darauf verlassen, dass Bob mich in der Halbzeit draußen vor der Halle aufsuchte, weil er wusste, dass ich dort eine rauche, und wir fachsimpelten über das Spiel und scherzten. Ganz locker, von Mal zu Mal unbeschwerter.

Ausgelacht habe ich ihn trotzdem, als Bob mir im Sommer 2019 in einem Telefonat, in dem ich seinen Rat zu einer beruflichen Offerte einholen wollte, ziemlich unvermittelt den Job bei den Füchsen anbot. Ich hielt es für einen lockeren Spruch, einen Witz. Am nächsten Tag telefonierten wir erneut, und ich lachte nicht mehr. Bob meinte es erst. Ein paar Monate und viele Gespräche mit vielen Leuten später war meine Rückkehr in meine Heimatstadt, an deren grünem Rand ich seit einigen Jahren wohne, perfekt. Es war kein einfacher Schritt. Ich musste dafür auch über meinen Schatten springen.

Die offizielle Bekanntgabe hielten viele Leute für einen Scherz – und manche für einen schlechten. Für meine Entscheidung habe ich viel Applaus und Zuspruch, aber auch mächtig auf die Fresse bekommen. Vor allem aus Magdeburg, was nachvollziehbar ist. Und aus meinem Freundeskreis, zu dem viele ehemalige Handballer gehören, für die Bob ein rotes Tuch ist. Sie haben ihre Gründe. Gerade in den ersten Wochen nach der Unterschrift musste ich mir einiges anhören. Das war und ist nicht ganz einfach für mich. Ich sitze zwischen den Stühlen, und es kann sich jeder vorstellen, dass das nicht gerade der bequemste Platz ist.

Was den Job betrifft, bin ich genau dort, wo ich sein will. Es war der richtige Schritt.

Machen wir uns nichts vor: Bob ist ein Stratege, der sehr weit vorausschaut, viel weiter, als es in unserer Sportart üblich ist, in der das nächste Spiel immer nur drei, vier Tage entfernt ist. Mich nach Berlin zu holen, war anfangs eine ganz pragmatische Nummer, eine reine Business-Entscheidung von Bob, und das gilt ja auch für meine Seite. Ich denke, mittlerweile mag er mich auch. Das beruht auf Gegenseitigkeit.

Im Alltag erlebe ich Bob als unermüdlichen und leidenschaftlichen Arbeiter. Er hasst Mittelmaß und akzeptiert nicht, wenn jemand zu wenig aus seinen Möglichkeiten macht. Von den Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, fordert er unheimlich viel – aber nie mehr, als er selbst zu geben bereit ist. Das klingt erst mal fair, aber man muss bedenken, dass Bob für den Handball lebt. Neudeutsch: 24/7. Ich kenne niemanden in unserem Sport, der härter arbeitet. Wenn der inflationär verwendete Zusatz „rund um die Uhr“ auf jemanden zutrifft, dann auf Bob.

Wer mich kennt, der weiß, dass das nicht unbedingt meiner Vorstellung vom Leben entspricht. Ich könnte sein Leben nicht ansatzweise führen, hätte keine Lust, mich mit Haut und Haaren und allen Stunden des Tages dem Handball zu verschreiben. Um das zu erreichen, was er erreicht hat, müsste ich mein Pensum nicht verdoppeln. Sondern verzehnfachen. No way! Aber er akzeptiert mehr und mehr, dass es auch andere Wege gibt, die zum Ziel führen, als nur den Hanning-Weg, und ich für meinen Teil Freiheiten brauche, um meine Qualitäten ausspielen zu können. Das bedeutet nicht, dass die Füchse besser werden, wenn ich auf dem Golfplatz einen Birdie hinlege, aber ich habe auf dem Green mit dem Smartphone in der Hand schon so manchen Deal eingefädelt und Konflikte entschärft. Allerdings lässt Bob kaum eine Gelegenheit aus, mich daran zu erinnern, dass es immer etwas zu tun gibt. Er macht das sehr subtil, aber unmissverständlich.

Wir haben mittlerweile ein sehr respektvolles und vertrauensvolles Verhältnis. Natürlich gibt es auch mal Meinungsverschiedenheiten, die wir mit offenem Visier austragen, aber die Diskussionen gehen immer zivilisiert ab, sind meistens fruchtbar und letztlich auch bereichernd – und das meine ich nicht in monetärer Hinsicht!

Was die Arbeit angeht, passt kein Blatt Papier zwischen uns, und er hat mich in der Zeit unserer Zusammenarbeit bislang nicht ein einziges Mal enttäuscht oder nicht Wort gehalten. Wir ergänzen uns gut. Ich bin mehr der emotionale Typ, Bob der rationale. Wenn es die Situation erfordert, spielen wir Good Cop/Bad Cop. Als echten Bad Guy sehe ich ihn nicht.

Anders als oft behauptet, handelt Bob nicht zuerst aus persönlichen Motiven oder weil er jemanden besonders gut oder gar nicht leiden kann, sondern immer der Sache wegen. Das ist zumindest meine Erfahrung, seit wir Seite an Seite die gleichen Ziele verfolgen. Ich erlebe Bob als leidenschaftlich, aber zugleich kühl kalkulierend, wenn es sein muss, knallhart, aber nicht bösartig. Ich denke, manchmal fehlt es ihm an Gespür, was Worte und Entscheidungen bei einem Gegenüber anrichten können. Ich habe den Eindruck, er merkt oft gar nicht, wenn er jemandem vor den Kopf stößt. Er ist jedenfalls keiner, der ohne mit der Wimper zu zucken Leute absägt und pfeifend über Leichen spaziert. Bob ist kein Arschloch.

Er ist ein Macher und Entscheider, der sich nicht scheut, auch heiße Eisen anzupacken, wenn andere Leute herumeiern, sich lieber wegducken oder Konflikte aussitzen wollen. Er ist auch kein Verstecker oder Verpisser, sondern sagt einem die Meinung auf den Kopf zu, kann knallhart in seinem Urteil und seiner Ansprache sein. Manchmal gibt er es den Leuten mit der groben Kelle. Dabei übertreibt er es auch mal, und es kommt nicht gut an, zeigt aber meistens die gewünschte Wirkung. Wenn er von dir überzeugt ist, dann steht er hinter dir. Dann hält er, wenn es sein muss, auch mal den Kopf für dich hin.

Bob ist ein Überzeugungstäter. Er trifft Entscheidungen nicht, um besser dazustehen oder dafür gefeiert zu werden, sondern weil er sie für richtig hält. Wer das nicht glaubt, sollte kurz mal nachzählen, wie oft Bob außerhalb der Berliner Stadtgrenzen für irgendetwas auf breiter Basis Beifall bekommen hat. Den Applaus gab es oft erst viel später – und meistens nicht für ihn. Er denkt und handelt, um den Sport voranzubringen.

Es gibt keinen besseren Beweis dafür als sein Engagement für den Nachwuchs. Da legt Bob einen regelrechten Fanatismus an den Tag. Wer sonst würde das denn in Doppelfunktion machen? Jeden Morgen die A-Jugend trainieren? Jeden Morgen um 7 Uhr in der Halle stehen? Am Wochenende Hunderte von Kilometer durch Deutschland zu Spielen fahren oder durch halb Europa zu allen möglichen Turnieren? Das macht er aus Leidenschaft, aus Freude, nicht aus Kalkül oder Berechnung, was ihm ja viele vorwerfen. Er hat in Berlin ein Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut, das in Deutschland seinesgleichen sucht und auch in Europa zu den besten gehört. Davon profitieren am Ende auch die Nationalmannschaft und damit letztlich der gesamte Handball hierzulande, für den Bob verdammt viel getan hat – und dabei meiner Meinung nach weit mehr gegeben als zurückbekommen hat. Der DHB wird es schwer haben, ihn zu ersetzen, und müsste eigentlich zwei Leute als Nachfolger einstellen.

Bevor mir jemand Schmeichelei oder Arschkriecherei vorwirft und mir auch noch eine bezahlte Autorenschaft (nein, leider) unterstellt wird: Bob ist zweifellos ein eigenwilliger und kein einfacher Typ, das wissen wir alle, und das weiß er selbst. Aber das bin ich auch nicht. Wer ist das schon?! Und natürlich bin ich nach wie vor nicht immer mit allem einverstanden, was er sagt und auch wie – und in welchem Pullover.

Ja, die Pullover … Und die Sakkos. Und Hemden. Ich muss darauf zu sprechen kommen, weil es direkten Einfluss auf mein Leben hat. Ich weiß nicht, ob es jemandem aufgefallen ist, aber seitdem ich mit Bob zusammenarbeite, trage ich nur noch einfarbig. Schwarz, Weiß und wenn ich mal was ganz Verrücktes machen will: Grau. Ich traue mich schon gar nicht mehr, etwas Buntes anzuziehen, aus Angst, jemand könnte sagen, ich mache das nur, um meinem Chef zu gefallen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, und wenn ich heute Fotos von mir aus den 90ern angucke, dann sitze ich beim Thema Mode sicherlich im Glashaus, aber an manchen Spieltagen erscheint Bob in einem Aufzug in der Halle, der sogar einer Schaufensterpuppe die Schamesröte auf die Plastikwangen treiben würde. Ich darf das sagen. Mittlerweile kann Bob nämlich über sich selbst lachen, ziemlich herzhaft sogar.

Viele Leute regen sich ernsthaft über seine Outfits auf. Fakt ist auch: Sie reden darüber. Wer die Pullover wirklich für ein gravierendes Problem im deutschen Handball hält, sollte auch bedenken, dass es in diesem Land Millionen von Menschen gibt, die keine Ahnung von Handball haben, geschweige denn den Namen eines Nationalspielers kennen. Aber sie kennen den Typen mit den bunten Pullis.

Tja, jetzt ist mein Beitrag doch beinahe ein Roman geworden. Ich hätte es kurz und mir einfach machen können. Ein paar warme Worte, fertig, nach dem Motto: Früher fand ich ihn scheiße, heute ist er ein geiler Typ. Aber das hätte erstens wie eine Pflichtübung ausgesehen, eine Gefälligkeit. Vor dem Hintergrund unserer komplizierten Vorgeschichte wäre eine knappe Würdigung auf ein, zwei Seiten Papier einfach nicht glaubwürdig gewesen – und es wäre der Person Bob Hanning auch nicht gerecht geworden.

Ich kann und will niemanden zwingen, Bob Hanning toll zu finden. Aber ich würde mir wünschen, für ihn, dass sich der ein oder andere die Mühe macht, genauer hinzuschauen, wer in den schrillen Pullovern und was hinter der großen Klappe steckt. Ich habe den zweiten Blick jedenfalls nicht bereut. Je weiter wir uns angenähert haben, desto mehr ist mein Respekt für sein Engagement für den Handball, aber auch meine Sympathie gewachsen. Ich bin der lebende Beweis, dass Bob nicht nachtragend ist. Ich war viele Jahre lang sein vielleicht größter, eindeutig aber sein lautester Kritiker. Er hat mich überzeugt. In meinen Augen ist Bob Hanning ein ganz Großer. Trotz der Pullover. Punkt.

Geschrieben von Nils Weber

II. Erfolg ist planbar – aber aller Anfang ist schwer

Hochhaus-Träume: Kirmes in den Siebzigern oder Wie alles anfing

Es begann auf einer Fensterbank in Essen. Norbertstraße 1, Hochhaus, zehnter Stock. Bei Tante Michael. Meine Mutter arbeitete zu jener Zeit besonders viel. Sie verbrachte unzählige Stunden in der Universität, um für ihren Psychologie-Abschluss zu lernen. Und so gab es immer wieder Zeiten, in denen keiner zu Hause war und ich nach der Schule zu unserer Nachbarin, einer älteren Dame, ging. Tante Michael kümmerte sich rührend um mich. Sie kochte für mich und spielte mit mir stundenlang Matchbox-Autos. Am liebsten saß ich auf ihrer hellen Marmorfensterbank in der Stube. Von dort oben hatte man einen tollen Ausblick. Ich fühlte mich wie im Riesenrad. Vor unserem Haus passierte über das Jahr hinweg so allerhand, das Allergrößte war die Kirmes auf dem großen Parkplatz, die zweimal jährlich bei uns Station machte. Das Gewirr von Menschen, die bunten Lichter, das Gefühl von großer Welt: Ich liebte es. Manchmal gingen wir nach unten, um eine Runde über den Platz zu drehen. Ich bekam Zuckerwatte und Popcorn und durfte Karussell fahren. Je höher und schneller, desto besser. Der Rummel war aber längst nicht alles, was mir der Ausblick aus Tante Michaels Stubenfenster bot. Jenseits des Parkplatzes lag linker Hand die Grugahalle. Die Gedanken des kleinen Bob begannen zu fliegen, wenn ich an die sportlichen Schlachten dachte, die dort Woche für Woche geschlagen wurden. Erst waren es die Handballer von SC Phönix Essen, die in der Grugahalle regelmäßig um Bundesliga-Punkte kämpften, später dann der legendäre TuSEM, der dort seine Meisterschaften errang.

Wenn du im Ruhrpott mit Blick auf die Grugahalle aufgewachsen bist, dann war der TuSEM schnell das Größte. Natürlich wollte ich Handballprofi werden! Irgendwann suchte ich die Telefonnummer des Jugendabteilungsleiters raus und rief bei ihm an. „Ich will Torwart werden“, sagte ich und verwies auf meine astzarten Reflexe. Zwei Tage später stand ich zum ersten Mal in der Halle.

Meine Mutter Layla war darüber nicht sonderlich begeistert. Nicht, dass sie ein Problem damit gehabt hätte, dass ich die Sache selbst in die Hand genommen hatte, sie hat meine Begeisterung für den Handball schlicht nicht verstanden. Sport spielte bei uns überhaupt keine Rolle, er war nicht existent. Selbst Fußballübertragungen im Fernsehen wurden im Hause Hanning ignoriert. Meine Mutter und auch ihr neuer Mann, mein Stiefvater Wolfgang, haben unheimlich viel gelesen und gearbeitet. Sie legten großen Wert auf Erziehung, achteten auf Tischmanieren und vermittelten mir Werte im Umgang mit Menschen. Aber Sport? Nie! Gerne hätten sie es gesehen, dass ich die Zeltfabrik meiner Großeltern mütterlicherseits übernehme. Das Unternehmen in Kassel-Wilhelmshöhe mit fast tausend Mitarbeitern genoss Weltruf. Und ich war nach dem Tod meines Bruders Tobias, der wenige Wochen nach seiner Geburt an einer Hirnhautentzündung starb, das einzige Enkelkind. Doch ich hatte andere Dinge als die Unternehmensnachfolge im Kopf. Meine Gedanken drehten sich von Anfang an um Handball.

Ich war, das musste ich allerdings schnell einsehen, eher minderbegabt fürs Handballspielen. Und auch minderbemittelt – allein aufgrund meiner Körpergröße, die selbst zu besten Zeiten 1,68 Meter nicht überstieg. Die goldene Regel im Zusammenspiel von Abwehr und Torhüter, die typische Aufteilung in eine Torwart- und eine Blockecke, war bei uns außer Kraft gesetzt. Bei uns gab es nur oben und unten. Für oben fehlten bei mir leider die entscheidenden Zentimeter, deswegen musste ich zumindest unten meinen Kasten sauber halten. Meine unbändige Lust schmälerten die schwierigen Voraussetzungen nicht im Geringsten. Nichts tat ich lieber, als durch mein Tor zu segeln, auch wenn die Bälle häufig links und rechts oben einschlugen, ohne dass ich auch nur ansatzweise eine Chance gehabt hätte, eine Hand an den Ball zu bekommen. Wenn ich dann doch mal einen Wurf pariert hatte, drehte ich mich dreimal um die eigene Achse und feierte mich wie einen Weltmeister, bevor ich den Ball zum Gegenstoß rausspielte. Mein Potenzial reichte noch für die Essener Stadtauswahl und für ein Training in der Niederrheinauswahl. Das lag aber auch nur daran, dass die Mannschaft bei uns im Leistungszentrum trainierte und sie einen Torwart brauchte. Irgendwann musste ich dann jedoch einsehen, dass meine Bemühungen nicht zielführend waren und es für mich bis ganz nach oben als Handballer nicht reichen würde. So begann ich schon im Alter von 14 Jahren, Jugendmannschaften zu coachen, meine Prioritäten verschoben sich: Ich wollte es nun als Trainer an die Spitze schaffen. Dafür studierte ich Taktiken und Trainingsformen, Wurfbilder und Abwehrsysteme. Mir hat es schon als Kind viel Freude bereitet, gemeinsame Ziele zu verfolgen und Strategien zu entwickeln. Während die anderen auf Partys gingen und Mädels abschleppten, tüftelte ich an Trainingsplänen und träumte von Titeln und Triumphen.

So gut ich beim Sport in der Halle funktionierte, so schleppend lief es in der Schule. Das begann schon in der Waldorfschule, als ich ein Instrument lernen sollte. Ich bekam die Leier in die Hand gedrückt, wusste aber nichts damit anzufangen. Ich hatte keinerlei Begabung, keinen blassen Schimmer von Noten, und auch keine Lust. Meine Mutter brachte dafür kein Verständnis auf. Jeden Nachmittag schickte sie mich aufs Zimmer, wo ich eine Viertelstunde üben musste. Weil mir das mit den Noten partout nicht gelingen wollte, bekam ich an die einzelnen Saiten der Leier Farbfäden und spielte nicht G, H, C, sondern Rot, Gelb, Schwarz. Ich hatte überhaupt kein Gefühl für Töne und Rhythmus und auch null Ehrgeiz, daran etwas zu ändern. Musik war beileibe nicht das einzige Fach, das auf der Strecke blieb. Egal, ob Mathe, Deutsch, Englisch oder Russisch – Schule war nicht meins. Mir fehlte die Motivation, denn ich habe immer nur das gerne gemacht, worin ich einen Sinn sah. Mich interessierte das Ergebnis schon in frühen Jahren mehr als das Erlebnis. Sehr zum Leidwesen aller Beteiligten um mich herum. Die Pädagogen sind an mir verzweifelt. Meine Eltern auch.

Und doch blicke ich mit Freude zurück auf diese Zeit. Ich bin ausgesprochen gern in die Waldorfschule gegangen. Ich genoss die persönliche Zuwendung der Lehrer und die Nestwärme, die mir das stets wertschätzende System entgegenbrachte. Ich durfte sein, wie ich sein wollte, und konnte mich als Person völlig frei entwickeln. Der Bob, wie man mich heute kennt, ist auch und zu großen Teilen in der Freien Waldorfschule Essen gemacht worden. Dafür bin ich sehr dankbar.

Auszug aus Hannings Zeugnis der Freien Waldorfschule in Essen zum Abschluss des achten Schuljahres am 14. Juli 1982:

„Seine schriftlichen Leistungen in den Mathematikepochen befriedigten ihn selbst nicht, da er gleich im Nachhinein erkannte, dass er die Aufgaben zu oberflächlich und flüchtig angepackt hatte und mit mehr Ruhe und Konzentration zu besseren Ergebnissen gekommen wäre. Wirkliche Verständnisschwierigkeiten tauchten nur dann auf, wenn Robert durch die Besprechungen und Verhandlungen außerschulischer Aktivitäten – hier zeigte er sich als außerordentlich talentierter Organisator – stark abgelenkt wurde.“

Langeweile kannte ich nicht. In der Schule und auch zu Hause gab es immer etwas zu tun. Wir waren inzwischen umgezogen, und meine Mutter hatte ihre eigene Praxis als Psychologin bei uns im Haus. Hin und wieder nahm ich die Anrufe der Patienten entgegen, die abends schon mal auf unserem Privattelefon durchklingelten, und versuchte mich als Therapeut. Ich hörte mir die Ängste und Sorgen der Menschen an und fand es ungemein spannend, wie die Leute sich mir anvertrauten. Berührungsängste oder gar Furcht hatte ich keine. Im Gegenteil, es bereitete mir Freude, Menschen zuzuhören und gemeinsam an Lösungsstrategien zu arbeiten. Sogar bei Tablettendosierungen legte ich mich fest. Wenn du eine Psychologin und einen Neurologen jeden Tag um dich herum hast und bei den Mahlzeiten ständig den Gesprächen über medizinische Themen lauschst, bekommst du eine Menge mit. In einer Lehrerfamilie aufzuwachsen, ist sicherlich eine Herausforderung. In einer Familie mit einer Psychologin und einem Neurologen groß zu werden, ist, wie ich mit Fug und Recht behaupten kann, eine noch größere Herausforderung. Natürlich war ich zu einem Teil immer auch Patient.

Viele Stunden und Tage meiner Kindheit verbrachte ich übrigens mit meiner Liebe zu den Fußballern von Hertha BSC. Berlin ist im Pott natürlich ein absolutes No-Go, keine Sau interessiert sich für Hertha BSC. Aber ich hatte eine Schwäche für Erich Beer, der Anfang der siebziger Jahre für Rot-Weiss Essen an der legendären Hafenstraße gespielt hatte und im Ruhrgebiet ein Held unserer Generation wie Ente Lippens war. Vor allem mochte ich den Namen, er klang so schön nach Teddybär. Und da dieser Teddybär in meiner Jugend für die Hertha auflief, verschlang ich alles, was mit der Hertha zu tun hatte. Wenn im Radio Übertragungen liefen, zeichnete ich sie mit dem Kassettenrecorder auf, und jeden Montag, direkt nach dem Wochenende, flitzte ich zum Büdchen um die Ecke und kaufte mir von meinem Taschengeld die Berliner Morgenpost, um alles über das zurückliegende Spiel der Hertha zu erfahren. Ich schnitt sämtliche Artikel aus und heftete sie fein säuberlich in einer Mappe ab.