Hausverstand - Hans Peter Doskozil - E-Book

Hausverstand E-Book

Hans Peter Doskozil

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Beschreibung

Stationen der Lebensgeschichte eines Sozialdemokraten, der polarisiert Hans Peter Doskozil ist ein Politiker aus Überzeugung. Der burgenländische Landeshauptmann hat sich ganz der Verbesserung der Lebensumstände in "seinem" Bundesland verschrieben. Dass er dabei auch aneckt und selbst in der eigenen Partei nicht nur Unterstützer hat, gehört für ihn zum Geschäft. In diesem Buch zeichnet er seine Lebensgeschichte, verwoben mit seinem beruflichen Werdegang, auf höchst spannende Weise nach. Eine Zeitreise von der Kindheit in Kroisegg bis ins Jahr 2024. - Politische Werte im Sinne der Sozialdemokratie und was der Hausverstand damit zu tun hat - Biografie eines Politikers: Wie der streitbare Burgenländer mit Schicksalsschlägen und Niederlagen umgeht - Hans Peter Doskozils politische Heimat: Verbundenheit und Konflikte mit der SPÖ - Politik in Österreich: Was der Landeshauptmann in den nächsten Jahren für sein Burgenland plant - Eurofighter, Mindestlohn, Migration und Integration: Stationen einer politischen Karriere Mit Sach- und Hausverstand gegen Machtmissbrauch und Ungerechtigkeit Hans Peter Doskozil hat mit dem Kapitel Bundespolitik abgeschlossen und sich ganz dem Burgenland verschrieben. Was er hier bereits erreicht hat und was in den nächsten Jahren ansteht, verrät er in diesem biografischen Buch auf sehr persönliche Weise. Seine Politik, seine Überzeugungen und wie er gelernt hat, mit seiner Kehlkopferkrankung zu leben, erzählt er in dieser Lebensgeschichte, die vor allem eines zeigt: Dass der streitbare SPÖ-Politiker sich ganz in den Dienst seiner Heimat stellt – mit Hausverstand.  

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Seitenzahl: 221

Veröffentlichungsjahr: 2024

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HAUSVERSTAND

Mein Leben, meine Politik

Hans Peter Doskozil

HAUSVERSTAND

Mein Leben, meine Politik

Der besseren Lesbarkeit wegen verwendet der Autor im nachfolgenden Text

die Sprachform des generischen Maskulinums. Personenbezogene Aussagen

beziehen sich auf alle Geschlechter.

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung

ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren beziehungsweise Herausgeber und

des Verlages ist ausgeschlossen.

© 2024 ecoWing Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – Wien,

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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

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Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Boston

Umschlaggestaltung: Isabel Neudhart-Haitzinger

Coverfoto: © Daniel Alexander Novotny - fotonovo.at

Autorenillustration: Claudia Meitert/carolineseidler.com

Printed by Neografia, Slovakia

ISBN: 978-3-7110-0316-4

Inhalt

Prolog

21. Juni 1970 Der Tag, als ich geboren wurde

7. September 1983 Der Tag, als ich ins Gymnasium wechselte

1989 Das Jahr, als der Grenzzaun zwischen Ungarn und Österreich abmontiert wurde

3. Juli 1989 Der Tag, als ich meine Ausbildung zum Polizisten antrat

7. Juli 2005 Der Tag, als das neue Fremdengesetz im Nationalrat beschlossen wurde

9. Oktober 2008 Der Tag, als mich Hans Niessl fragte, ob ich in sein Büro wechseln möchte

3. Jänner 2015 Der Tag, als mein Freund Kurt Kuch starb

27. August 2015 Der Tag, als in Parndorf 71 Tote in einem Kleinbus entdeckt wurden

16. Februar 2017 Der Tag, als ich eine Anzeige gegen Eurofighter einbrachte

6. Mai 2017 Der Tag, als ich Julia traf

16. Mai 2017 Der Tag, als ich Zeuge des Endes der Großen Koalition wurde

2018 Das Jahr der Diagnose

8. September 2018 Der Tag, als ich den Mindestlohn einforderte

11. November 2019 Der Tag, als wir die Anstellung pflegender Angehöriger im Burgenland verwirklichten

26. Jänner 2020 Der Tag, als die SPÖ die absolute Mehrheit im Burgenland zurückholte

29. Mai 2020 Der Tag, als die »Task Force Neusiedler See« gegründet wurde

19. Jänner 2022 Der Tag, als ich die »gemeinnützigen« Wohnbauträger herausforderte

24. Februar 2022 Der Tag, als Russland die Ukraine überfiel und Energie zum teuren Gut wurde

3. Juni 2023 Der Tag, als ich – für 48 Stunden – SPÖ-Chef war

10. Oktober 2023 Der Tag, als der Verfassungsgerichtshof meiner Beschwerde gegen das ORF-Gesetz recht gab

27. Dezember 2023 Der Tag, als wir den Kauf der Therme Stegersbach besiegelten und was das mit »Doskonomics« zu tun hat

14. März 2024 Was mir mein irakischer Friseur über Integration erzählte

Epilog Und jetzt? Meine politischen Prinzipien

Über den Autor

Prolog

Hausverstand. Was ist das eigentlich? Das Gegenteil von Sachverstand? Eher sind die beiden Geschwister. Und zwar Geschwister, die sich trotz aller Gegensätze gut verstehen. Sie sind Kollegen, die Hand in Hand arbeiten. Sie bilden das Team, das Wissen und Erfahrung, Übersicht und Expertise vereint und umsetzen kann. Nur wenn Hausverstand und Sachverstand zusammenarbeiten, kann man sich auf die Zukunft vorbereiten. Nur dann ist man auch für Krisen gerüstet, ihnen nicht hilflos ausgeliefert, sondern kann handeln, Lösungen finden und sie bewältigen.

Österreich ist ein großartiges Land, es hat eine lange, sozialstaatliche Tradition. Es ist aber auch ein Land, in dem die Steuerlast sehr hoch ist. Zu Recht erwarten sich Bürger, dass ihr Geld gut eingesetzt wird. »Nachher ist man immer gescheiter«, lautet eine Redensart. Aber wir alle, die Politiker im Besonderen, sind aufgefordert, schon vorher gescheit zu sein oder uns rechtzeitig schlau zu machen. Den Experten zuhören, den Menschen Beachtung schenken, denen, die Herausforderungen des Alltags meistern müssen, im gebotenen Tempo die richtige Antwort geben, das ist unsere Aufgabe. Und das ist der Punkt, an dem der Hausverstand ins Spiel kommen muss.

Was heißt das für mich konkret? Zum Beispiel, dass ich Dinge hinterfrage und ihnen auf den Grund gehe und mich nicht mit der erstbesten Antwort zufriedengebe, auch nicht mit der zweiten. So hat das Land Burgenland in den Jahren 2023 und 2024 gleich zwei wichtige Entscheidungen beim Verfassungsgerichtshof erwirkt, indem wir einen Antrag auf Normenkontrolle gestellt haben. Das ist die juristisch korrekte Formulierung; umgangssprachlich könnte man sagen, wir haben uns beschwert. Einmal ging es um die Unabhängigkeit des ORF, ein anderes Mal um die Vollspaltenböden in der Tierhaltung. In beiden Fällen haben wir recht bekommen. Die Regierung muss die ORF-Aufsichtsgremien reformieren, und die viel zu langen Übergangsfristen für Vollspaltenböden wurden von den Höchstrichtern gekippt.

Ich bin bislang der einzige Landeshauptmann, der Reformen auf diese etwas ungewöhnliche Art vorantreibt. Als Nächstes wollen wir die von der Bundesregierung eingeführte Übergewinnsteuer für Energiekonzerne beanstanden, weil sie massiv Geld, das den Burgenländern zukäme, abzieht. Dann wollen wir uns über die unterschiedliche Behandlung von Bundesländern bei der Verteilung von Ertragsanteilen beschweren. Es ist nämlich nicht erklärbar, warum ein Gemeindebürger in dem einen oder anderen Bundesland mehr wert ist als im Burgenland. Ganz konkret: Gemeinden in anderen Bundesländern bekommen bis zu 400 Euro jährlich mehr für einen Hauptwohnsitznehmer als ein burgenländischer Ort. Verschärft wird diese Situation dadurch, dass Wien die Zweitwohnsitzabgabe umsetzen möchte. Wer in Wien wohnt, aber woanders hauptgemeldet ist, soll bis zu 550 Euro pro Jahr zahlen.

Mich treiben Fragen an, wie: »Was ist gerecht?« Und wenn die herrschenden Gesetze meiner Meinung nach nicht gerecht sind: »Wie können wir das ändern?« Dem System auf die Finger zu klopfen, bestehende Machtverhältnisse zu hinterfragen, das treibt mich an. Vielleicht hat mich schon als Jugendlicher – wie so viele meiner Generation – der junge Jörg Haider inspiriert. Damals, als er noch nicht der fremdenfeindliche Rechtspopulist war, sondern der freche Infragesteller, der sich nichts aus Konventionen machte und Dinge ansprach, die andere lieber verschwiegen. Ganz sicher hat mich mein Freund Kurt Kuch inspiriert, ein Investigativjournalist, der leider viel zu früh verstorben ist und dem ich viel verdanke – die Art und Weise, Dinge zu hinterfragen und zu verfolgen.

Natürlich muss ich mir oft anhören: »Du bist so angriffslustig!« Das ist die Kehrseite, wenn man keine Ruhe gibt, bis man das Gefühl hat, die Gerechtigkeit hat gesiegt. Viele, viel zu viele, haben es sich im System bequem gemacht, auch einige unter meinen Parteifreunden, Spitzengewerkschaftern und unter den Spitzenfunktionären. Sie profitieren und wollen sich ungern stören lassen. Auch in manchen Bereichen meiner Partei ist das Grundverständnis von Solidarität, Vertrauen, gegenseitiger Unterstützung und ehrlichem Umgang abhandengekommen. Ausgerechnet in der SPÖ, die Solidarität als Bestandteil ihrer DNA versteht, aber sie im Inneren keineswegs durchgängig und nicht immer konsistent lebt. Anstatt sich unablässig damit zu beschäftigen, wie man von außen wirkt oder wie man eine »Message« unter die Leute bringt, könnte man den Blick nach innen richten. Dabei wird man feststellen, dass der Kern, die DNA, die Werte, der moralische Kompass der Partei überdacht und neu belebt werden müssen. Wenn das gelingt, muss man sich nicht mehr bemühen, eine »Message« rüberzubringen, weil man ohnehin verstanden wird.

Hans Peter Doskozil schreibt ein Buch. Will er also doch zurück in die Bundespolitik? Nein, ganz sicher nicht. Dieses Kapitel meines Lebens ist für mich eindeutig abgeschlossen, ohne Wehmut und ohne Ärger. Im Gegenteil: Ich freue mich auf die nächsten Jahre im Burgenland, sofern ich gewählt werde, weil ich noch viel vorhabe. Für mich ist das Burgenland eine Musterregion, von der der Rest des Landes viel lernen kann, wenn er will. Bisweilen wird es belächelt, weil es klein ist und in Randlage liegt. Aber weil es überschaubar und trotzdem vielfältig ist, können wir hier Best-Practice-Projekte verfolgen – in der Ökologisierung der Landwirtschaft, der Energiewende oder im Sozialen, etwa wenn es um die Etablierung von Pflegestützpunkten in allen 171 Gemeinden geht oder bei der Durchsetzung des Mindestlohns.

Ich weiß, dass ich bei manchen Medien und Parteifreunden das Image habe, der Quertreiber zu sein, der vieles anders sieht und sich mit seiner Meinung nicht zurückhält. Dass wir im Burgenland höchst innovative politische Ansätze verfolgen und tatsächlich etwas verändern und reformieren, geht in der Zugespitztheit politischer Auseinandersetzungen oft verloren. Mein Ansatz wird oft auch als Renaissance der Verstaatlichung verstanden. Dabei bin ich der Meinung, dass man die Grundversorgung als Gemeinwohl im weitesten Sinne – also Pflege, Gesundheit, Energie, Bildung, Infrastruktur und auch gewisse Wirtschaftszweige – nicht in die Hände Dritter geben sollte. Weil es immer teurer wird und Fähigkeiten verloren gehen, wenn man etwas aus der Hand gibt. Aber natürlich besteht dann die Verpflichtung, es als Gebietskörperschaft, als Staat, Bundesland, Stadt oder Gemeinde besser, kompetenter und günstiger zu machen. Ich stehe für einen starken Staat, der das Gemeinwohl breiter definiert als vielleicht allgemein üblich. Die Therme Stegersbach beispielsweise, die das Land Burgenland gekauft hat, zählt sicher nicht zur Grundversorgung, aber sie ist ein wichtiger Impulsgeber in der Region, eine Achse der regionalen Infrastruktur, die kein Spielball irgendwelcher Investoren sein soll, wie das etwa bei Güssinger Mineralwasser der Fall war.

Für mich ist dieses Buch Gelegenheit, einmal ausführlich über alles zu schreiben, was mich politisch bewegt und was im Burgenland gerade passiert. Vielleicht versteht mich der eine oder andere besser, wenn er dieses Buch gelesen hat.

Es gibt auch etwas sehr Persönliches, das ich mitgeben möchte: Ich habe in meinem Leben mit einigen Rückschlägen umgehen lernen müssen – politischen, aber auch privaten. Wie viele Menschen in diesem Land muss ich mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung leben und arbeiten. Es kostet Kraft und man braucht viel positives Denken. Wenn ein Schicksal zu akzeptieren ist, hilft einem auch der Hausverstand nicht mehr weiter.

21. Juni 1970Der Tag, als ich geboren wurde

Wenn ich an meine Kindheit denke, dann erinnere ich mich immer wieder an den Geruch von frisch gemähtem Gras. In meinem Heimatort Kroisegg, einem kleinen Grenzort an der burgenländisch-steirischen Grenze in der Nähe von Pinkafeld, gibt es einen Fußballplatz, wie in praktisch jeder Gemeinde. Er wurde vom Sportverein, ein wichtiger Teil der Dorfgemeinschaft, gepflegt. Dazu gehörte auch, regelmäßig das Gras zu mähen und den Abschnitt zu entsorgen. Wir fußballbegeisterten Buben waren fürs Rechen und Wegschaffen des frischen Grases zuständig. Es roch herrlich. Wann immer mir der Duft von frisch gemähtem Gras in die Nase steigt, muss ich an damals denken. An meine schöne, wohlbehütete Welt, in der ich aufwuchs.

Meine ersten fünf Lebensjahre verbrachte ich allerdings in der Siedlung Blumental unweit von Kroisegg. Wie Kroisegg war auch Blumental ein Grenzort zwischen den Bundesländern Burgenland und Steiermark. Staatsgrenze ist das natürlich keine, aber immerhin, es ist ein geteilter Ort. Zwei Häuser standen in der Steiermark, drei Häuser im Burgenland. Kein Wunder, dass mich das Bild der Grenze, die Grenze als Metapher, schon mein ganzes Leben beschäftigt. Danach zogen meine Eltern ins benachbarte Kroisegg. Meine Eltern arbeiteten hart und sparten, damit sie sich ein Einfamilienhaus bauen konnten – der Traum einer jeden Arbeiterfamilie in den 1970er-Jahren.

Ich komme also aus einfachen Verhältnissen. Meine Oma, eine resolute Frau, betrieb in der Nachkriegszeit eine kleine Landwirtschaft in Blumental, drei Hektar Grund gehörten zum Hof. Ihr Mann, mein Opa, ist im Zweiten Weltkrieg gefallen. Ich kenne von ihm kein Foto, auf dem er lächelt. Er war zum Glück kein überzeugter Nazi, sondern einer, der nicht aus konnte. Mein Vater war das einzige Kind, seine Schwester starb, als sie ein paar Tage alt war. Mann im Krieg verloren, Tochter verloren, alleinerziehend: Meine Oma hatte das Schicksal vieler Kriegswitwen nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich allein um ihre Familien kümmern mussten. Mein Vater wuchs also ohne Vater auf. Ein älterer Freund in der Nachbarschaft, ein Russe namens Ivan, der als Koch in einem sowjetischen Stützpunkt arbeitete, war da sicher kein Ersatz. Meine Oma hat von diesen harten Jahren nie erzählen wollen, aber mein Vater, Johann Doskozil, Jahrgang 1938, hat paradoxerweise gute Erinnerungen an seine frühen Jugendjahre. Ivan arbeitete als Koch und nahm ihn mit zum Einkaufen nach Pinkafeld oder auf die Jagd, ließ ihn seine Waffe tragen, und vor allem gab er ihm auch immer etwas zum Essen mit nach Hause. Mein Vater gehörte damals nicht zu den vielen Pendlern, er blieb zu Hause. Zuerst wurde er Fahrschullehrer in Pinkafeld. Später wechselte er zur BEWAG, der Burgenländischen Elektrizitätswirtschafts Aktiengesellschaft, heute kurz »Burgenland Energie« genannt. Dort gehörte er zum Instandsetzungstrupp, der Transformator-Stationen und Leitungen wartete. Er war immer sehr stolz darauf, für dieses Unternehmen zu arbeiten.

Meine Familie mütterlicherseits stammt aus Dreihütten in der burgenländischen Gemeinde Bernstein, hart an der Grenze zu Niederösterreich. Die Familie meiner Mutter war eher christlich-sozial, wählte also Schwarz. Mein Großvater mütterlicherseits war sogar ÖVP-Bürgermeister in Dreihütten. Sie waren außerdem Protestanten und recht liberal gesinnt. Väterlicherseits war die Familie katholisch, sogar sehr katholisch, und sozialdemokratisch. Meine Mutter, Herta Doskozil, 1948 geboren, entsprach ganz dem Idealbild einer Bürgermeistertochter: sehr korrekt und tüchtig. Sie arbeitete vor meiner Geburt einige Jahre in einer Fabrik in Willersdorf. Nach meiner Geburt blieb sie zu Hause und kümmerte sich um die wachsende Familie. 1977 kam meine Schwester Birgit auf die Welt, im Jahr 1984 mein Bruder Klaus.

Wenn man so will, hat sich die ganze Vielfalt des Burgenlands in meiner Familie im Kleinen widergespiegelt. Das kleine östlichste Bundesland tickt in vielerlei Hinsicht anders. Um das zu verstehen, lohnt ein Blick in die Geschichte. Die Randlage im Osten, die besonderen klimatischen Bedingungen bieten eine einzigartige Kombination. Bergland trifft auf Tiefebene. Der Neusiedler See positioniert sich als trennendes Element. Demgemäß ist die Wirtschaft vollkommen anders strukturiert. Vor allem die Landwirtschaft. Monokulturen auf adeligem Großgrundbesitz, bearbeitet von vielen Tagelöhnern ohne eigenen Besitz an Grund und Boden, versorgten den Wiener Hof. Die besitzlosen Tagelöhner hatten eine vollkommen andere Beziehung zu ihrer Arbeit und zum Boden, den sie bearbeiteten, als etwa die besitzenden Bauern in anderen Bundesländern. Dort entwickelte sich über Generationen ein inniges Verhältnis zu »ihrer« Scholle und ein dementsprechendes Selbstbewusstsein. Die besondere burgenländische Ausgangssituation bietet die Grundlage für eine lockere Selbstverständlichkeit im alltäglichen Umgang mit anderen Sprachen, eine gewisse Toleranz das fahrende Volk betreffend, ein unaufgeregteres Nebeneinander verschiedener Kulturen. Wenn niemandem etwas gehört, sind alle ein wenig gleicher.

Während der Weltkriege und in der Nachkriegszeit war ganz Österreich schwer gebeutelt. Aber im Burgenland waren durch ebendiese Randlage der Krieg, die Kriegsgefahr und dann der Eiserne Vorhang immer ein Stück näher als anderswo. Nach 1945 kam eine intensive Aufbauphase. Ich erinnere mich an die Erzählungen meines Vaters, die von einer Art unbewusstem Verständnis von Toleranz und vom Miteinander-Leben und -Arbeiten berichteten. Wer in der Besatzungszeit zwischen 1945 und 1955 hier war und versucht hat, sich etwas aufzubauen, konnte und wollte sich nicht damit aufhalten, ob nun einer Jude ist oder Roma, ob Kroate oder Ungar. Es ist ums nackte Überleben gegangen. Und zwar nicht nur wirtschaftlich. Es war auch notwendig, mit den russischen Besatzungssoldaten wie dem schon erwähnten Koch Ivan auf sozialer Ebene zurechtzukommen. Wenn der allgemeine Druck so groß ist, dann schweißt das jene, die ihn gemeinsam erleiden, zusammen. Wenn man aufeinander aufpassen muss und einander unterstützt, egal, ob wie damals mit Lebensmitteln oder Hilfeleistungen, entsteht ein Miteinander, das man Kameradschaft oder Solidarität nennen kann. Als das Haus meiner Großeltern väterlicherseits nach Kampfhandlungen getroffen wurde und abbrannte, wurde es mithilfe aller wieder aufgebaut. Da gab es keine Neidgenossen, sondern nur eine Nachbarschaft, in der alle dieselbe Ausgangslage hatten. Und die war für alle gleich schlecht.

Wenn verschiedene Kulturen zusammenleben, spielt auch Religion stets eine wichtige Rolle. Obwohl das Burgenland historisch stets eine Anlaufstelle für religiös Verfolgte war, gab es noch vor wenigen Jahrzehnten gewisse Bruchlinien. Von meinen Eltern weiß ich, dass eine Verständigung zwischen den Menschen verschiedener Religionen in ihrer Jugend gar nicht selbstverständlich war. Als es etwa darum ging, die Hochzeitszeremonie meiner Eltern zu organisieren, wurde noch heftig diskutiert, ob der katholische Pfarrer ein Paar trauen darf, dessen eine Hälfte der evangelischen, die andere der katholischen Glaubensgemeinschaft angehört. Solche Diskussionen gehören zum Glück der Vergangenheit an.

Meine Heimat, Kroisegg, war vorwiegend katholisch. Die Evangelischen waren mit drei Mitgliedern in der Minderheit. Von den dreien war eine meine Mutter. Der Austausch zwischen Kulturen und Glaubensgemeinschaften ist mir persönlich aufgrund meiner eigenen Herkunft ein Anliegen, nicht minder als Politiker. So sehe ich das jüdische Erbe des Burgenlands auch als wichtigen Bestandteil der Geschichte der gesamten Region. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung die Synagoge Kobersdorf gekauft und renoviert. Sie fungiert heute als Ort des Dialogs, für Veranstaltungen und interreligiöse Begegnungen. Auch die Synagoge in unmittelbarer Nähe zur Burg Schlaining, die auch das international bekannte Friedenszentrum beherbergt, wurde im Auftrag der Landesregierung renoviert.

Als Kind ist man in erster Linie den Einflüssen der unmittelbaren Umgebung ausgesetzt. In meinem Fall als Kind am Land waren das das Elternhaus und die Schule. Ich selbst habe mich hauptsächlich für Sport interessiert. In der Schule war Politik überhaupt kein Thema, im Elternhaus hingegen schon.

Meine Großmutter starb, als ich zehn Jahre alt war, trotzdem habe ich sehr starke Erinnerungen an sie. Sie war liebevoll und mir zugewandt, ein Ausgleich zu meinen sehr beschäftigten, weil hart arbeitenden Eltern. Als sie starb, war sie erst 69 Jahre alt, aber in ihren letzten zehn Lebensjahren schon stark vom Rheuma gezeichnet. Sie konnte das Haus nicht mehr verlassen und war dadurch für mich im Haus sehr präsent. Oft lief Heinz Conrads, der Lieblingsmoderator meiner Oma, im Schwarz-Weiß-Fernsehen. Sie war sehr gläubig. Eines der Dinge, die ich von ihr aufgehoben habe, ist ein Gebetbuch, das sie mir geschenkt hat. Es ist komplett zerfleddert, gespickt mit kleinen Kärtchen von Wallfahrtsorten. Für sie waren diese Bildchen das, was für mich Fußballbegeisterten die Panini-Sammlung war. Sie bewahrte es in einer kleinen grünen selbstbemalten Schatulle auf. Auch die habe ich noch. Beim Rosenkranzbeten nachmittags durfte ich sie nicht stören. Sie betete jeden Tag für gut eine Dreiviertelstunde. In der Volksschule erklärte ich dem Religionslehrer, unserem Pfarrer, dass ich gern sein Nachfolger werden will. So stark hat die christliche Erziehung meiner Oma mich damals geprägt.

Der sonntägliche Kirchgang war aus ihrer Sicht natürlich Pflicht. Sie konnte nicht mehr gehen, aber ich musste sonntags in die Kirche. Im Ort gab es aber nur eine Kapelle, der Pfarrer kam aus der Nachbargemeinde, und das nur am ersten Sonntag des Monats. Wir hatten keine Ministranten, denn eine sehr bigotte Frau aus dem Ort übernahm die Hilfsdienste und hätte sich ganz sicher nicht verdrängen lassen. Somit stand zumindest nie im Raum, dass ich auch ministrieren müsse. Einmal im Monat, am ersten Sonntag, feierten wir dann die Messe. Das war ein geselliges Ritual. Die Männer gingen danach zum Frühschoppen, die Frauen kochten derweil das Mittagessen.

Vor dem Essen betete meine Oma. Sie hielt sämtliche Feiertage und alle Rituale ein. Christlich sein, das bedeutete für sie nicht nur, brav in die Kirche zu gehen, sondern vor allem den Anspruch an sich selbst, ein guter Mensch zu sein und gerecht zu leben. Heute würden wir wohl Solidarität dazu sagen. Egal wie man es nennt: Dieses Empfinden von Rechtschaffenheit ist eine wesentliche Grundlage meines »moralischen Kompasses«, und den hat mir meine Oma mitgegeben. Das Verständnis von Recht, Unrecht, Gerechtigkeit und Glaube gehören zu mir. Sie begleiten mich jede Minute meines Lebens. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es wichtiger ist, nach einem Wertekanon tatsächlich zu handeln, als nur darüber zu reden. Was man tut, zeigt, ob ein Wertesystem nicht nur theoretisch existiert, sondern gelebt wird. Mein moralischer Kompass gibt mir Halt und Perspektive für alle Bereiche meines Lebens.

Ich kam wie gesagt aus einfachen Verhältnissen, wir waren allerdings nicht »Working Poor«, sondern klassische »Working Class«. Es wurde hart gearbeitet, damit sich alles ausging, auch wenn keine großen Sprünge drinnen waren. Meine Mutter war nach meiner Geburt zwar zu Hause, aber sie verdiente immer dazu. Sie arbeitete für die Sockenfabrik Falke in Pinkafeld. Während der Phasen der Heimarbeit brachte sie säckeweise Socken nach Hause und leerte sie am Küchentisch aus, weil sie geendelt werden mussten. Ich war für das Umdrehen der Socken zuständig, ich war der »Umdreher«. Die Socken musste man nämlich umstülpen, bevor man den Sockenrand bearbeiten konnte. Später dann, als wir Kinder aus dem Haus waren, ging sie wieder in eine Fabrik, zur Firma Meisterfrost. Dort arbeitete sie noch zehn Jahre, bevor sie dann in Pension gehen durfte.

Arbeiten, dazuverdienen, in der Schule fleißig lernen, damit man es dann besser hat: Das war ständig Thema bei uns zu Hause. Meine Eltern konnten sich ihr Haus in Kroisegg nur bauen, weil mein Vater als Facharbeiter gar nicht schlecht verdiente und dazu noch 100.000 Schilling Wohnbauförderung bekam. Sie machten alles selbst – mithilfe von Verwandten und Bekannten. Während des Hausbaus war mein Vater Alleinverdiener, es galt, drei Kinder zu versorgen, und wir mussten natürlich sparen.

Mein Freund in der Nachbarschaft bekam einen Plattenspieler, dann ein neues Moped. Das hätte ich auch gern bekommen. Meine Eltern haben sich nach Kräften bemüht, oft reichte es dann eben nur für etwas Gebrauchtes oder Übertragenes. Ich bekam ein Moped, aber eben kein neues. Eine KTM Comet, die 110 Km/h schaffte und mein Tor zur Freiheit war. Damit bin ich jede Disco im Südburgenland abgefahren. Und später dann auch mit meinem ersten Auto: einem Golf der ersten Generation, aber er ist nach der ersten Ausfahrt stehen geblieben, weil der Tankstutzen verrostet war.

Ich habe also gelernt zu verzichten, auch wenn ich gleichzeitig gesehen habe, dass ich nicht der Letzte in der Kette war. Es gab auch Kinder und Jugendliche, die kein Moped hatten. Die Ansage an uns Kinder war immer dieselbe: »Wir können dir materiell nicht viel geben, daher lern’, denn das, was du lernst, das kann dir niemand wegnehmen!«

Der Wert von Bildung wurde immer betont. Bildung sei das Wichtigste. Mir wurde nahegelegt, Matura zu machen und zu lernen. Auch wenn die Familie meiner Mutter politisch christlich-sozial geprägt war, hatten meine Eltern bei diesen Themen beide eine sozialdemokratische Grundhaltung. Es ging um sozialen Aufstieg, Leistung, Sicherheit – die drei großen Themen von SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky in jenen Jahren. Ob immer Rot gewählt wurde, vor allem in der Zeit nach 1986, als der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider so populär wurde, wage ich aber nicht mit Sicherheit zu sagen.

Familie, Schule – und dann? Im damals 232 Einwohner kleinen Dorf Kroisegg gab es nicht viel Abwechslung, das Zentrum des Lebens für uns Buben und Männer waren somit der Fußballverein und der Sportplatz. Am Fußballplatz traf sich der ganze Ort, hier kickten wir fast jeden Abend, hier kümmerten wir uns gemeinsam um die Instandhaltung, hier entstanden, wie schon erwähnt, beim Rasenmähen meine Geruchserinnerungen.

Logisch, dass ich damals in Fußball vernarrt war. Auch meinen Lieblingsclub wählte ich mir: Rapid Wien. Ich träumte wie so viele Buben von einer Karriere als Profikicker. Kurz ließ das Interesse nach, als Tennis modern wurde und Österreich mit Thomas Muster einen Weltranglisten-Star hatte. Mangels eines Tennisplatzes spielten wir auf der Asphaltstraße. Das Feld wurde mit Ziegelsteinen auf die Straße gezeichnet, als Netz diente eine Holzlatte. Dann schlugen wir mit Plastikschlägern auf den harten Tennisball. Immerhin, der Ball war echt.

Und dann war da noch die Formel 1, mit Niki Lauda als Star. Die Rennen wurden im Fernsehen – das damals nur aus ORF 1 und ORF 2 bestand und das einzige Fenster zur Welt war – übertragen und waren Großereignisse. Bei einem Wettbewerb gewann ich sogar ein Autogramm von Niki Lauda. Die Autogrammkarte wurde mir per Post zugeschickt. Es gab damals nur zwei oder drei zentrale Postkästen im Ort, ich weiß noch gut, wie aufregend es war, dorthin zu marschieren, reinzuschauen, das Kuvert zu finden und Niki Laudas echte Handschrift in den Händen zu halten. Lauda war bei uns am Land unter den Jugendlichen ein Star, alle schwärmten von ihm.

Zum Sport kam bald die Politik, das waren für uns die beiden wichtigsten Dinge abseits von Freunden, Schule und Familie. Politik kam über meinen Vater und über die Medien in meine kleine Welt. Vor allem über das Fernsehen. Während ich an vielen Samstagen meiner Kindheit mit meiner Oma darum kämpfen musste, ob am frühen Abend »Guten Abend am Samstag sagt Heinz Conrads« oder Sport geschaut wird – ich habe leider meistens verloren –, war mein Vater ein sehr eifriger Konsument der politischen Sendungen. In der Schwarz-Weiß-Welt von FS 1 und FS 2, wie damals ORF 1 und ORF 2 genannt wurden, wurden Parlamentsreden übertragen und Politikerdiskussionen veranstaltet. Ich wurde, wie viele meiner Generation, auch durch die Sendung »Club 2« sozialisiert.

Bei den politischen Sendungen hat mein Vater heftig mitdiskutiert und seine Ansichten, was da jetzt gut und richtig oder schlecht und furchtbar sei, lautstark mitgeteilt. Vielleicht hat es mit der heftigen Emotion in diesen Dingen zu tun, dass sich einige der politischen Fernseh-Momente fest in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Die Auftritte des damaligen Finanzministers Hannes Androsch im Fernsehen vergesse ich nie. Die Auftritte des späteren Bundeskanzlers und SPÖ-Chefs Franz Vranitzky ebenso wenig. Die Ehrfurcht von früher ist einer gewissen Bewunderung gewichen, aber die steht diesen großen österreichischen Politikern auch zu. Bruno Kreisky ist für mich eine weitere dieser Ikonen, die ich leider persönlich nicht mehr erleben konnte.

Dafür kam der damalige burgenländische Landeshauptmann Theodor Kery (SPÖ) einmal auf Besuch nach Kroisegg. Der ganze Ort war auf den Beinen, der Schulchor rückte aus und gab ein Ständchen zum Besten – und einige Kinder, darunter auch ich, wurden vom Lehrer ausgewählt, um ein Gedicht aufzusagen.

Die Berührung mit der Politik war allerdings nicht nur SPÖ-lastig. Als ich noch ein sehr kleines Kind war, ist der ÖVP-Vizekanzler Josef Taus im Rahmen einer Wahlkampftour am Pinkafelder Hauptplatz aufgetreten und hat eine Rede gehalten. Mein Vater hat mich dorthin mitgenommen. Ich war zu klein, um zu sehen, wer da am Podium steht und spricht. Verstanden habe ich vermutlich auch nicht viel von dem, was der Mann mit der dicken Brille da geredet hat. Dennoch war es ein Aha-Erlebnis. Die Energie, die da am Platz war, das Engagement und die Intensität im Publikum haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Die Erziehung meiner Eltern war wie schon beschrieben konsequent. Ich musste sofort nach der Schule die Hausaufgaben erledigen und lernen, lernen, lernen. Zumindest in der Volksschule. Zum Glück fiel mir das leicht, ich war ein sehr guter Schüler. Vielleicht hat mir auch geholfen, dass der Schuldirektor ein Jagdkollege meines Vaters war, eine Respektsperson, sympathisch und nicht angsteinflößend. Ich musste auch früh Verantwortung und Pflichten abseits der Schule übernehmen. Mir wurden im Haushalt bestimmte Tätigkeiten und Aufgaben zugeteilt.

Mehr Spaß bereitete mir eine andere meiner Pflichten: das abendliche Milchholen beim Bauern, denn dort war ständig etwas los. Dafür gab es eine blecherne Milchkanne, die fasste einen Liter, und der Bauer füllte sie haargenau mit einem Messbecher voll, ich bezahlte mit Kleingeld, das meine Mutter mir mitgab. Mit diesem Bauernhof verbinde ich schöne Erinnerungen, der Bauer ließ mich am Traktor mitfahren und an den Wochenenden war ich oft den ganzen Tag mit den Bauersleuten unterwegs, half beim Ausmisten, Mostpressen oder Kukuruz einsilieren.