Heldenhass - Kristjan Knall - E-Book

Heldenhass E-Book

Kristjan Knall

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Beschreibung

Kristjan Knall ist berüchtigt für seine kritischen Bücher mit Fußnoten. Dieses Mal lässt der Mann mit der Fellmütze seinen Hass nicht an lebenden Berlinern, sondern an den (meistens toten) Helden unserer Gesellschaft aus. Ob Gandhi, Martin Luther, Mutter Teresa oder Henry Ford. Knall deckt auf, wie viel Dreck die Gefeierten und Glorifizierten am Stecken hatten. Dabei kommen auch jene nicht ungeschoren davon, die diese Menschen verehren. Als Bonus erzählt Kristjan Knall dann noch von diversen Anti-Helden unserer Gesellschaft, also den „Bösen“. Auch dabei macht er es sich nicht einfach, denn: „Man kann nicht die ganze Zeit das pure Böse verkörpern. Ab und zu will man ein Eis essen, mit den Kindern spielen, kacken. Selbst die Bösesten sind Menschen wie wir.“ Lach- und Sachgeschichten über das allgegenwärtige Grauen, die Ambivalenz von Gut und Böse und das Absolute im Wahnsinn und der kollektiven Dummheit.

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„Unerwartet das ist und bedauerlich …“

– Yoda.

„Heilige sollten immer als schuldig gelten, bis ihre Unschuld bewiesen ist.“

– George Orwell.

Für Michael Jackson, Genie und Kinderfreund.

Kristjan Knall kommt vom Kampfstern Ironika und landete im trostlosesten Jahrzehnt der Geschichte, den 80ern, in Berlin. Die erste Verlegerin fragte ihn: „Du bist’n Wessi, wa?“

Ist bis heute nicht klar.

Er studierte was Langweiliges und arbeitete was Grässliches, darum muss er Dampf ablassen. Den bekommt Berlin (inBerlin zum Abkackenund101 Gründe Berlin zu Hassen), Europa (Europa ist geil, nur hier nicht) und die lesende Welt insgesamt (Stoppt die Klugscheißer) ab.

Er hasst den Kapitalismus und mag Schokoladenkuchen. Er glaubt, dass Kunst furchtbar ist, Literatur aber das kleinste Übel, zumindest wenn man sie übers Knie bricht. In der Edition Subkultur ist von ihm 2019 das Sachbuch „Neukölln - Ein Elendsbezirk schießt zurück“ erschienen.

Kristjan Knall

Heldenhass

Das Böse siegt immer und das ist auch gut so

www.edition.subkultur.de

Kristjan Knall: „Heldenhass“ Das Böse siegt immer, und das ist auch gut so.

1. Auflage, März 2020, Edition Subkultur Berlin

© 2020 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe / Edition Subkultur

Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin

www.subkultur.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Der Inhalt dieses Buches ist Satire. Es enthält Sarkasmus, Ironie und wird stellenweise zynisch. Alle Ereignisse und Behauptungen, die wahr sind, haben entsprechende Bezugsquellenangaben. Darüber hinaus berufen sich der Autor und sein Pseudonym auf die Satirefreiheit und das Recht, eine Meinung zu haben, auch wenn es nicht die eigene ist.

Lektorat und Projektleitung: Laura Alt

Cover: Thomas Manegold unter Verwendung eines public domain pictures

Satz & Layout: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-943412-89-5

epub ISBN: 978-3-943412-90-1

Einleitung

Du hast Helden. Das ist verständlich, aber schwachsinnig.

Der Mensch liebt komfortable Irrtümer: blühende Landschaften, gesundes Fleisch, „Wir haben von nichts gewusst“. Rechthaber sind meistens auch Machthaber und der Irrtum kippt die Besserwisser der Welt von ihren Sockeln. Wir Menschen sind nicht gut mit Wahrheit, wir sind gut mit Zusammenhalt. Besonders unserer Identität. An deren Anfang stehen Helden: Mutter Teresa, die Gute, Wolfgang Amadeus Mozart, der Virtuose, Henry Ford, der Geniale.

Aber weißt du was? Manchmal sind die Gütigen menschenverachtende Arschlöcher, die Virtuosen inzestuöse Tourettegeplagte und die Genialen schäumende Antisemiten. Am Ende deiner Identität lauern deine liebsten Finsterlinge: General „Butt Naked“, der Warlord, die Brüder Sass, die Diebe, Issei Sagawa, der unvorstellbar Perverse.

Aber weißt du was? Manchmal sind die Bösen Wohltäter. Schlächter werden Priester und der Perverseste zeigt uns das Schwein in uns. Wie fühlt sich das an? Wenn das, was du Charakter nennst, keine schlechte Scharade sein soll, gibt es nur eine Antwort: lustig. Illusionen halten uns zurück.

Hier ist richtig, wer Lust auf Götterdämmerung hat, auf auffliegende Verlogenheit. Wer die Bösewichte schon immer faszinierender als blasierte Helden fand. Wer nach einer Rechtfertigung suchte, um auf die dunkle Seite der Macht zu kommen. Alle anderen nehmen jetzt bitte die Bibel zur Hand. „Religionen sind das Opium des Volkes“, sagte Marx. Heute sind es Helden.

Disclaimer-Dystopie

Freie Meinungsäußerung? Am Arsch. Wir leben im „Anwaltozän“: im Zeitalter der Anwälte. Leider darf ich nicht auf Lebende eindreschen, nicht wahr, die Herren Schill Tiger, Grauland, Heimathost? Ihr bekommt auf keinen Fall mehr als zweideutige Andeutungen.

Doch die meisten rekrutieren ihre Helden nicht aus dem Heute, sondern aus den Größten und Niedrigsten der Geschichte. Und die hatten alle Dreck am Stecken. Zum Glück.

Die Disclaimer-Dystopie ist Realität. In jeden Wurstroman, jedes Telefonbuch, jedes Tagebuch, in dem dreisterweise selbsternannte Sternchen erwähnt werden, muss ein Disclaimer. Die Elite zerstört ungerührt die Umwelt und schießt in tonnenschweren Stahlkisten durch die Gegend. Vergnügt vermüllt sie die geistige Landschaft bestenfalls mit Einzelheiten des öden Lebens eines abgehalfterten spanischen Radfahrers auf Malle – schlimmstenfalls mit rechtsradikalen Parolen aus dem Fürstentum Bayern oder Sachsen.1 Aber wehe, wenn angedeutet wird, sie seien keine guten Menschen! Wehe, wenn ihre millionenfache Wähler-, Follower- und Anschmacht-Legion einen „Vogelschiss“ in die Idylle bekommt!

Darum jetzt hier, exklusiv, der Disclaimer: DIESES BUCH SOLLTE VON NIEMANDEM GELESEN WERDEN. BESONDERS NICHT VON DENEN, DIE SICH FÜR GUT HALTEN. DENEN, DIE NICHTS SEHEN, NICHTS HÖREN UND NACHHER WIEDER VON NICHTS GEWUSST HABEN WOLLEN. DEN NEUTRALEN, DIE VORGEBLICH NICHT TEIL DES PROBLEMS ODER DER LÖSUNG, SONDERN NUR DER LANDSCHAFT SIND. DENEN, DIE DEN STATUS QUO UNTERSTÜTZEN.

ES WERDEN HIER VIELE BÖSE WORTE BENUTZT, VIELE UNSCHICKLICHE GEDANKEN GEDACHT. ES WIRD DENEN, DIE ES WIRKLICH VERDIENEN, KEIN RESPEKT ENTGEGENGEBRACHT. GANZ EHRLICH, DAS JESUSKIND WÜRDE WEINEN, WENN ES WEITERLÄSE. DIESES BUCH IST NICHT FÜR KINDER UNTER 14 JAHREN UND EWIGGESTRIGE JEDEN ALTERS GEEIGNET. AFD-WÄHLERN WIRD DAS LESEN STRENGSTENS VERBOTEN. DAS IST ZU EUREM BESTEN, DAMIT ES ZU KEINER WELTBILD-ERSCHÜTTERUNG KOMMT. WIR LIEBEN EUCH DOCH ALLE.

ICH NEHME KEINEN BEZUG AUF DIE WELT, ALLES ENTSPRINGT MEINEM EIGENEN KOPF. JEDER, DER SICH ANGEPISST FÜHLT, HAT DAS FALSCH VERSTANDEN UND SOLL NICHT SO EINE PUSSY SEIN. IM ZWEIFELSFALL IST ALLES SATIRE, IHR ZIEGENFICKER.

1 „An Gymnasien etwa haben Schüler in Hessen und Schleswig-Holstein achtmal mehr Zeit für politische Bildung als in Bayern. Betrachtet man den Lehrplan aller Schulformen, beschäftigen sich Hessen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen am stärksten mit politischen Themen. Sachsen schneidet unterdurchschnittlich ab.“

Teil 1

„Die Welt wurde von Wahnsinnigen für die Normalen gemacht.“

– Oscar Wilde.

Stiefmutter Teresa

Mutter Teresa ist kein Mensch mehr, sie ist ein Idiom, ein Sprichwort. Sie bedeutet Gutherzigkeit, Selbstaufgabe, Nächstenliebe. Die Friedensnobelpreisträgerin und Heiliggesprochene war und ist das telegene Selbstbild des Christentums. Daran zweifeln nur absolute Unmenschen.

Was seltener erwähnt wird, ist, dass sie Albanerin war. Bei ihrer Geburt hieß sie einschüchternd exotisch: Anjezë Gonxhe Bojaxhiu. Es passt nicht zu unserer europäischen Identität, dass das Land, das wir geflissentlich ignorieren, obwohl es in der Mitte Europas liegt, für unsere Werte maßgeblich sein soll. Es passt uns nicht, weil dort der Feind wohnt. Haltet die Kinder fest: Muslime! Für Heimathorst erschreckende 58,79 % der Albaner sind Muslime und – schlimmer! – allen haftet noch der Makel des Kommunismus an. Enver Hoxha schaffte es wie kein Zweiter, die Lehren von Marx und Lenin falsch zu verstehen. Er baute eine rigide konservative Diktatur auf. Sicherheit ging vor. Alle paar Meter am Strand ein Bunker, in Beton gegossene Zeichen seiner Paranoia. Leider hatten die meisten Leute zwar hinreichend unsinnige Arbeit, aber nichts zu essen. Das scheinen auch die gegenwartsmüden Vergangenheitsfetischisten zu vergessen, die den Erhalt von Arbeitsplätzen fördern und das Grundeinkommen verweigern: Ein Arbeitsplatz ist Lebenszeitverschwendung und keine Garantie für Einkommen, Sinn oder Menschenwürde. Man kann noch heute arm sein und trotzdem arbeiten. Arbeitsplätze sind mehr wert als Menschen. Nicht jeder Mensch bekommt einen Arbeitsplatz, jeder Arbeitsplatz aber einen Menschen. Der Markt regelt das! „Der Mensch braucht nicht die Arbeit, der Mensch der braucht das Geld“, singt der Liedermacher Götz Widmann. Wenn du die gleiche Sache jeden Tag acht Stunden lang machst, dann ist das ein Wahn. Außer du wirst dafür bezahlt, dann ist es ein Beruf.

Gut, Albanien war härter. Zwar darbte niemand auf den Straßen, weil er sofort von der Staatssicherheit weggeschafft wurde. Aber es brauchte einen Helden. Vorhang auf für Mutter Teresa. Sie hatte 517 Kinderheime in über 100 Ländern. Davon die meisten in Indien, für den Biodeutschen: Albanien auf Speed. Noch ärmer, noch wahnsinniger, noch merkwürdigere Religionen und Bräuche. Da würde man nicht mal zum Sterben hingehen. Und noch grässlichere Krankenhäuser. Zu Mutter Teresas Hochzeiten in den Siebzigern und Achtzigern war das indische Gesundheitssystem, gelinde gesagt, gruselig. Den meisten Ärzten und Krankenschwestern kann man jedoch zugestehen, dass sie mit den kleinen Ressourcen das Beste versuchten. Nicht so in Mutter Teresas „Sterbehäusern“. Kahle Räume, in denen nur das Bild der Mutter hing, Betten dicht an dicht, die Patienten fixiert. Schlechtes Essen, keine Trennung von Patienten mit Tuberkulose und anderen Seuchen von anderen, keine spezifische Behandlung, nicht einmal Schmerzmittel. Wer sich einschiss, wurde von den „Krankenschwestern“ ausgelacht. Ein Journalist verglich die Zustände mit dem Konzentrationslager Bergen-Belsen.2

Mutter Teresa war selten in der Stadt, in der sie sich einen Namen machte. Kein Wunder, Kalkutta war ein rauchender Trümmerhaufen voll von Kranken, Armen und Leidenden. Sie jettete um die Welt, palaverte mit den Reichen und Schönen und unterstützte Kampagnen gegen Abtreibung. Wahrscheinlich, damit noch mehr Leute sterben konnten. Wie ein großer Philosoph unserer Zeit, Marilyn Manson, sagte: „Let’s just kill them all and let God sort them out.“ Das Zitat stammt von Arnold Amalrich, im 13. Jahrhundert ging das als Meinung und nicht als Verbrechen durch. Passenderweise war er Mönch des katholischen Zisterzienserordens. Der Anlass? Die Kreuzzüge wurden mit dem Massaker von Béziers eröffnet. 20.000 Menschen wurden im Namen der Barmherzigkeit getötet.

Vielleicht hatte die arme Mutter Teresa kein Geld? Den indischen Behörden gab sie natürlich keine Auskunft – wo kämen wir denn da hin? Das Vermögen ihrer Stiftung wurde auf Hunderte Millionen US-Dollar geschätzt. Als die deutschen Finanzbehörden anfragten, sagte sie, das gehe sie gar nichts an. Übersetzt auf Nonne bedeutet das: „Verpisst euch!“

Ein Journalist schätzte, dass ihr Einkommen jährlich 50 Millionen US-Dollar betrug – allein in New York. Ein beträchtlicher Teil davon kam von guten Katholiken, die sie auch vor Gericht verteidigten: italoamerikanischen Mafiosi. Mutter Teresa hatte noch bessere Freunde. Sie pflegte engen Kontakt zu den Duvalier-Brüdern, den skrupellosen und korrupten Diktaturen von Haiti. Selbst im Knast besuchte sie ihre „Freunde“ noch. Als ob das alles nicht geschmacklos genug gewesen wäre, legte sie in ihrem Heimatland Blumen am Grab des meistgehassten Albaners nieder: Enver Hoxha.

Zur gleichen Zeit wurde sie als Folge eines begeisterten Medientaumels heiliggesprochen, da sie angeblich ein Krebsleiden durch Handauflegen geheilt hatte. 1979 folgte – wenn man schon mal dabei ist – der Friedensnobelpreis. Die Geschichte war einfach zu gut. Der Ehemann der Geheilten und die Ärzte waren zwar der Meinung, es war ihre Behandlung, aber wenn man die Wahl zwischen Medizin und Gott hat, nimmt man doch Gott, wenn man wirklich glaubt.3 Genau wie Mutter Teresa, die zum Sterben nicht in eines ihrer Hospize ging, sondern in einem US-amerikanischen Krankenhaus allen Komfort genießen durfte. Wieso durften das ihre Nächsten, die sie anscheinend so liebte, nicht? Der formvollendete Atheist Christopher Hitchens schrieb in seinem Buch mit dem streng unironischen Titel „The Missionary Position: Mother Teresa in Theory and Practice“, dass Mutter Teresa den Katholizismus konsequent vertreten habe. Sie sagte: „In der Akzeptanz des Sterbens der Armen liegt etwas Schönes, sie leiden wie Jesus Christus. Die Welt wird durch ihr Leiden bereichert. […] Wir lassen Menschen, die wie Tiere leben, wie Engel sterben.“

Geschmacklos, sadistisch, aber völlig logisch, wenn man an Tausende Jahre alte Geistergeschichten glaubt. Bis hierhin könnte die Geschichte die einer finsteren kollektiven Psychose sein, eine Überreaktion, weil die Welt zu komplex, zu stressig für das mentale System ist. Wie der Straßburger Veitstanz des Mittelalters, bei dem sich die Menschen zu Tode tanzten. Wie der Lachepidemie, die 1962 Tansania befiel, in der Tausende Menschen über Monate lachten, sodass sogar Schulen geschlossen werden mussten. Wie das Dritte Reich, die AfD.4 Das veraltete gesellschaftliche Ordnungssystem Katholizismus wurde überstrapaziert, wurde wild. Ein gutes Argument gegen Aussagen wie „der Zweck heiligt die Mittel“. Natürlich denkt jeder: „Damit habe ich nichts zu tun.“ Aber zum Beispiel bei der Diskussion über Homöopathie und Placebos ist die Frage brandaktuell: Soll man andere oder sich selbst bescheißen, wenn es hilft? „Raus aus der Selbstunterwerfung mit homöopathischer Hundemilch?“5 Die Antwort ist immer nein, denn wenn es hilft, dann nur kurz. Religionen, Placebos und Selbstbeschiss sind wie Heroin: Hilft, wie Bayer 1898 auf der Packungsbeilage schrieb, gegen Husten.6 Strenggenommen keine Lüge, aber die Nebenwirkungen töten heute mehr US-Amerikaner als Verbrechen und Unfälle – zusammen.

Aber diese Geschichte ist mehr als das. Denn das edle Motiv kann man nur unterstellen, wenn die Protagonisten wirklich an die Geistergeschichte glauben. Selbst, wenn in Jerusalem 30 Jahre nach Jesus Tod ein neuer Jesus predigte.7 Wenn sie nicht daran glauben, dann müsste etwas fundamental Böses in den Handelnden vorgehen, eine Grausamkeit, die eine menschliche Spezialität zu sein scheint. Vielleicht eine Trotzreaktion auf die ganzen Litaneien vom Gutsein? Ein transzendentales „Fick dich!“ an die christliche Propaganda? Ein mentales Übergeben nach einem an zölibatäre Dogmen verschwendeten Leben? Wer nicht daran glaubte, müsste ein extremer Sadist, ein Psychopath sein, um so zu handeln. Wie Mutter Teresa. Sie wollte alle ihre Briefe nach ihrem Tod vernichtet sehen. Zum Glück geschah das nicht. Die Briefe deckten auf, dass sie von Zweifeln zerfressen war. „Wo ist mein Glaube?“, schrieb sie. „Selbst ganz tief drin … ist nichts als Leere und Dunkelheit. Gott, wenn es dich gibt – bitte vergib mir! […] So ein tiefes Verlangen nach Gott … abgestoßen, leer, kein Glaube, keine Liebe, kein Eifer.“ In den acht Jahren Briefwechsel schwand ihr Glaube weiter. Nach eigener Aussage betete sie selbst nicht mehr. Ihr Lächeln, sagte sie, sei eine Maske.

2 Noch heute steht im katholischen Bayern eine Anti-Abtreibungskapelle. Der Besitzer Franz Graf behauptet, der „Babycaust“ sei der „Größte Völkermord in der Geschichte der Menschheit“. Natürlich keine strafbare Holocaustrelativierung, nicht in Bayern. Tipp: Wen die Kreuze im Klassenzimmer stören: Angststörung begründet Abhängen.

3 Der Widerspruch bei Religiösen zeigt sich zum Beispiel, wenn Islamisten beim Anschlag in Paris 2015 die „Märtyrer rächen“ wollen, die von der Polizei erschossen wurden – Wieso muss man jemanden rächen, der ins Paradies gekommen ist? Wie viele Religiöse verzichten auf den Arzt und bestellen den Priester?

4 Die brilliert auch mit der Eigenwahrnehmungsstörung des Jahres. Während Ausländer laut ihr marodieren sollen, sind AfD-Abgeordnete die kriminellsten im Parlament. Genau genommen fünfmal so kriminell.

5 Sein Magazin, 3/19, S. 12

6 https://www.zeit.de/2008/12/Heroin-Kasten

7 1957 Journal of Biblical Literature, Volumes 76-77 Society of Biblical Literature and Exegesis pg 104 - 14.5.19

Willy Brandt – Promisker Doppelspion

„Niederlagen feiert man nicht.“

– CDU-Fraktion zu Brandts Kniefall.

1962 besuchte Robert Kennedy, der Bruder des US-Präsidenten, Berlin und schenkte dem Zoo einen Weißkopfseeadler, den er „Willy Brandt“ taufte. Bald stellt sich heraus: Willy war ein greises Weibchen. Der Zoodirektor ersetzte ihn heimlich mit einem jungen, starken „Ersatz-Willy“. Der Kanzler musste voll im Saft stehen.

Mit Willy Brandt als Kanzler war die Sozialdemokratie auf ihrem Höhenflug: rational, populär, sexy. Er war der augenzwinkernde Kopf einer Bundesrepublik, die nicht mehr als Hort von Nazinachkommen gesehen werden wollte. Er spielte beim atomaren Wettrüsten nicht mit und suche konsequent den Dialog hinter der Mauer. Dort hörte man zu. Er fiel in Warschau für eine der größten politischen Gesten der Geschichte auf die Knie. Viele wünschen ihn sich heute zurück, wenn sie der SPD beim Sterben zusehen. Einer Partei, die sich radikal disqualifiziert hat, mit Hartz IV (Nahles: „Kein Recht auf Faulheit“), dem Mitspielen bei den neoliberalen Privatisierungseskapaden der „Konservativen“ (von Krankenhäusern über Schulen bis zur Bahn) und mit Sätzen wie von Helmut Schmidt an Brandt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ In einer Partei, die einen Erlöser bräuchte, ist Brandt eine der wenigen vergangenen Idyllen, die den Linken bleibt. Deswegen ist es umso schmerzlicher, dass Willy Brandt, wie er selbst sagte, kein „Säulenheiliger“ war.8

Auf den ersten Blick war sein Privatleben für die deutsche Öffentlichkeit hinreichend normal. Seine Frau Rut sagte: „Willy war ein wundervoller Politiker mit Inhalt und Stärke.“ Politiker, wohlgemerkt. Kein Wort über den Menschen.

Es lauerten dunkle Wolken am mentalen Horizont: „Er verkroch sich tagelang im Bett und blieb liegen, manchmal eine ganze Woche.“ Harte Depriklatsche, allein in einer winzigen Dachwohnung seines Wohnhauses auf dem Bonner, ja, Venusberg. Niemand, nicht sie, nicht die Kinder hätten das Schlafzimmer betreten dürfen. „Nur seine engsten Vertrauten und Mitarbeiter, Kanzleramtsminister Horst Ehmke und Staatssekretär Egon Bahr, platzten einfach in sein Schlafzimmer rein und sagten: ‚Willy, wir müssen regieren.‘“ Die 82-Jährige erinnerte sich: „Dann raffte er sich auf und war schnell wieder der Alte.“

Übertrieben, melodramatisch, nur was für den Stern? Die Intimjournalisten, die nach allem lechzen und ihn „Scheißleben“ murmeln gehört haben wollen? Die gab es, aber auch die Aussage von Brandts Parteifreund Holger Börner, dem der Kanzler a. D. später beichtete: „Wenn ich in dieser Nacht einen Revolver gehabt hätte, hätte ich mich erschossen!“ So erkennt man den Mann von Welt, erschießen nur mit Revolver, nie mit einem Magazinlader. „In Wahrheit war ich kaputt“, sagte Willy Brandt über die Endphase seiner Kanzlerschaft. Willy Brandt hat damals, am 1. oder 2. Mai, auch einen Abschiedsbrief an die Familie zu Papier gebracht, ihn dann aber doch zerrissen. Von jedem Abgrund kann man zurückkommen, sofern man nicht springt. „Wäre auch kein Verlust, wenn man da runterfiele!“, hörte Spiegel-Reporter Hermann Schreiber am Klippenrand von Helgoland mit. Es war in hässlicher Ironie der Tag der Arbeit, der 1. Mai 1974. Willy Brandt stand dicht am Rand der politischen Weltbühne, von der er fünf Tage später stürzen sollte.

Sieben Jahre zuvor, am 25. August 1967, drückte er auf einen großen roten Knopf und startete eine Ära: das Farbfernsehen. Von Anfang an war Brandt ein Medienprodukt. Sein Sturz sollte den bedeutendsten Spionagefall der deutsch-deutschen Geschichte einläuten. Wenn schon gehen, dann mit einem Knall. Der Skandal liest sich wie ein Politthriller mit Tätern, Intriganten, Schurken, Versagern und einem einsamen, mitschuldigen Opfer. Helden gibt es keine. Außer jenem Geheimdienstchef Wolf, der heute noch den ehemaligen Gegenspielern im Westen den Finger zeigt. Alles begann eine Woche zuvor, am 24. April 1974.

Günter Guillaume: ein Name, der paradox exotisch wirkt – wie Napoleon im Interhotel. Guillaume war Referent Brandts, im innersten Zirkel der Macht. Er „verehrte“ Brandt, unerwidert. Brandt hielt ihn für „unangenehm“, sah in ihm einen „beschränkten Parteifunktionär“. Guillaume beteuerte später vor Gericht: „Es gibt zwei Männer, denen ich ehrlich zu dienen versucht habe: Willy Brandt und Markus Wolf.“ Die Hilfe war so gewöhnungsbedürftig wie Mutter Teresas Nächstenliebe: Der „Offizier in besonderem Einsatz“ des Ministeriums für Staatssicherheit (unter Markus Wolf) spionierte in bestem orwellschen Neusprech als „Kundschafter des Friedens“ acht Jahre lang den „Kanzler des Friedens“ aus. Bis ins peinlichste Detail.

Brandt bekam von rechts wie von (pseudo-)links Flak. Dass er im Krieg in Norwegen war und nicht beim fröhlichen Massenschlachten mitmachte, wurde ihm grotesk lange von rechts nachgetragen. Die Stasi wäre auf Facebook nicht sein Freund gewesen. In internen Dokumenten sagte sie, er sei ein „rücksichtsloser Karrierist“, „Demagoge“, „politischer Hochstapler“, „Intrigant“, „Egozentriker“, „Weiberheld“, „systematisch arbeitender Feind der Arbeiterbewegung“ und „verkappter Trotzkist“. Die Stasi spielte den ebenso verbohrten rechten Dogmatikern wie dem bayerischen katholisch-konservativen Verleger Hans Kapfinger und dem Journalisten und Publizisten Hans Frederik ironischerweise kompromittierendes Material zu. Allerdings änderte sie ihre Meinung und bestach sogar zwei Unionsabgeordnete, beim Misstrauensvotum 1972 für Brandt zu stimmen. Die Aktion firmierte unter dem Namen „Brandtschutzwochen“.

Nicht, dass er nicht seit den fünfziger Jahren im Visier der eigenen Sicherheitsbehörden gestanden hätte. Die hatten sonst nichts zu tun. Immerhin lag laut der Datenbank des britischen Programmierers William Tunstall-Pedoe der langweiligste Tag 20. Jahrhunderts im an sich schon öden Jahrzehnt: der 11. April 1954. Aber der aktenschreddernde „Verfassungsschutz“, das BKA oder der direkt aus der SS als „Operation Gehlen“ hervorgehende BND versagten, wie üblich, auf ganzer Linie. Und das ist die wohlwollende Interpretation. Natürlich läge es einem Haufen moralisch flexibler Schergen, die die KZs als Wärter noch von innen gesehen hatten und nun in per Definition undemokratischen und unkontrollierten Institutionen „arbeiteten“, absolut fern, einen „vaterlandslosen Gesellen“ ins offene Messer laufen zu lassen. Natürlich verschwanden die „streng geheimen“, in einer besonderen Stahlkassette versiegelten „Amourenakten“ des Bundeskriminalamtes aus den Tresoren der Bundesanwaltschaft. Die haben bestimmt böse Flüchtlinge geklaut. Was kann da schon drin gestanden haben, das einen Kanzler gefährdet haben könnte? Kohl saß die Schwarzgeldaffäre auf seinem gigantischen Arsch aus und Merkel „merkelte“ (Jugendwort 2015) sich durch die NSA-Überwachungsaffäre. Beides absolut disqualifizierende Verbrechen, für die jeder Normalbürger jahrelang einsitzen würde. Aber Brandt? Nun, der vögelte.

Es war das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Bundesrepublik, dass Brandt ein notorischer Lebemann und ein „Womanizer“ war. Wie Tito bevorzugte er bei den Damen lange Röcke, Campari, verwehrte sich aber gegen Zigaretten. Das Ausmaß seiner Egomanie wurde und wird aber gerne wegidealisiert. Wie seine Mutter einst sagte: „Er ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen.“ Als er nach Jahren der Zombieehe seiner Frau Rut die Affäre mit seiner 33 Jahre jüngeren Saftschubse Brigitte Seebacher gestanden habe, sagte sie, sei er verblüfft gewesen, „dass ich fast alles schon wusste.“ Sie habe ihm gesagt, dass sie sich scheiden lassen sollten. Das erwischte den Herrscher kälter als der Tod, sie blickte in bodenloses Unverständnis. „Er stand auf und ging.“ Nach mehr als 30 Ehejahren und drei gemeinsamen Kindern. Bis zu seinem Tod 1992 habe er sich „nie wieder gemeldet.“ Keine halben Sachen. Als hätte er wie die Römer Karthago nach dem Plündern noch versalzen wollen, erwähnte er in seiner 800 Seiten starken Autobiografie „Erinnerungen“ Rut mit keinem Wort. „Fick dich!“ auf Bundeskanzler.

Brandt wurden in „Anflügen von Dringlichkeit“ von Chefbeschützer Ulrich Bauhaus und Referent Guillaume Frauen „zugeführt“. Praktischerweise vor allem Journalistinnen und Vorzimmerdamen, aber auch einer 19-jährigen blonden Stewardess. Bei der einen Reise mit dem Sonderzug war es eine Schwedin, die nachts ins Chef-Abteil vorgelassen wurde, bei der anderen eine Französin. In Bonn empfing eine Liebschaft ihren „Bären“, bei Hamburg-Aufenthalten kam meist die Journalistin in die Hotelsuite, in Berlin handelte es sich oft um eine Jugoslawin, in Paris um eine bekannte Publizistin. In München habe der Security-Chef einen neuen Mitarbeiter angewiesen: „Wenn ich mal weg bin und der Chef braucht was, dann gehst du runter in die Halle und nimmst eine von denen, die da herumsitzen. Du fragst nach dem Preis und schickst sie dem Kanzler rauf. Der Referent bezahlt dann alles.“ „Völkerverständigung“ und „freie Marktwirtschaft“ auf Bundeskanzler.

Eines minder schönen Abends saß Ministerialrat Klaus Kinkel in einem Hubschrauber. Er war von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher von Bonn nach Hamburg geschickt worden, in seiner Hand ein Dossier, in dem minutiös alle „Zuführungen“ aufgeführt waren. Kinkel ging ins Hotel Atlantic und legte es Brandt neben die Frühstückstasse. Der war tief schockiert. Nicht darüber, was er da las, sondern dass er es lesen konnte, als amtliches Protokoll.

Seine Affäre und spätere Frau, Seebacher, kommentierte die Version der Geschichte als „lächerlich“. Brandt verurteilte den komplottartigen „Blick durchs Schlüsselloch“ durch „Sicherheitsintriganten“. Robustere Naturen hätten Guillaume-Affäre und Weibergeschichten, wie von Scheel empfohlen, „auf einer Backe“ abgeritten, besonders weil die Liste mit den angeblichen Liaisons zwar lang, aber unpräzise war. Ob sich alles so zugetragen hat, bleibt der Fantasie der Gala-Leser überlassen, die Fakten liegen im Trüben. Aber das war egal. Für Menschen ist Wahrheit ein Motor für den Gruppenzusammenhalt. Wenn in einem Bereich Wahrheit transzendental wurst ist, dann in der Politik. „Drain the Swamp“, „blühende Landschaften“, „die Freiheit am Hindukusch verteidigen“. Was zählt, sind Geschichten. Und diese war zu gut.

Im Friedensstaat DDR war es Usus, Politikern in Interhotels Prostituierte „zuzuführen“, die Schande versteckt zu filmen und sie anschließend als IM zu erpressen. So, wie Marx es sich sicher für den Sozialismus gewünscht hätte. Brandt war als erpressbar gebrandmarkt. Der Kanzler war entblößt. Der Rest war Götterdämmerung.

Am nächsten Morgen tat Willy Brandt etwas Unerwartetes: Der notorische Morgenmuffel verabschiedete sich vor der Arbeit von seiner Frau Rut. Er sagte: „Ich werde heute zurücktreten.“ Sie sagte: „Das finde ich richtig. Einer muss die Verantwortung auf sich nehmen.“ In ihren Erinnerungen schrieb sie: „Willy sagte später einmal zu mir, dass Wehner9 und ich an seinem Rücktritt schuld seien. Meinen angeblichen Anteil daran wollte er nicht näher erklären.“ So war das vor den 68ern: Egal, wie sehr man sich in die Scheiße ritt – die Frau war schuld.10 Trotzdem: An diesem Tag wurde Willy Brandt entthront und endgültig zur Legende.

Und dann? Er hatte genug Anstand, um sich nicht à la Schröder oder Sarrazin in Aufsichtsratsposten zu verhuren. Bis 1987 war er SPD-Parteivorsitzender und von 1976 bis 1992 Präsident der Sozialistischen Internationale, fuck yeah! Seine strenge, bestenfalls rechtssozialdemokratische Gemahlin fütterte ihn so gesund, wie es in einer Zeit geht, in der man denkt, Menschen bräuchten dreimal am Tag Fleisch, bis er Darmkrebs11 bekam. Bei Terminen trank Brandt zwar weiter gern Rotwein und schnorrte Zigaretten, bat aber darum, nicht zu petzen: „Brigitte sieht das nicht gerne.“

Welchen Schluss soll man daraus ziehen? Sicher, Brandt stand zu seinen Schwächen, auch das machte einen Teil seines Nimbus aus. „Dieser Willy Brandt“, sagte er im September 1972, „so, wie er geworden ist, und so alt, wie er jetzt auch geworden ist, den funktioniert keiner mehr um.“ Integrität oder Lernresistenz? Doch er war sicher keiner jener gefühlskalten, hemdsärmeligen Karrieristen, kein Apparatschik. Im Gegenteil. Auch an der Macht wurde er kein Zyniker. Vor allem aber, und das ist der größte Unterschied zu den Schreckgespenstern der heutigen Politik, hielt er sich zu keinem Zeitpunkt für unersetzlich. Das war er auch nicht. Er war ein Mensch wie jeder andere, mit Schwächen, Peinlichkeiten, Ausfällen. Er war eine Legende, kein Held, kein Engel. Sogar die Berufsverbote für Linke befürwortete er. Zwar hat er sich politisch verdient gemacht, aber er ist ein Mahnmal, dass niemand, besonders nicht alte weiße Männer, zu viel Macht bekommen sollten. Dass Geheimdienste allesamt verboten gehören, weil der Zweck nie die Mittel heiligt. Dass ein transparentes System wichtiger ist als schillernde Individuen.

Das Ironische ist: Brandt wäre in einer Gesellschaft, die überkommene strukturell-christliche Fetische wie Monogamie und Heirat überwunden hat, komfortabel gefahren. Er hätte sich privat und politisch ausleben können und allen Urteilenden gepflegt den Finger zeigen können. Aber, das mussten schon die Nazis lernen: Mehrfrontenkriege verliert man. Sein größter Fehler war es, nicht offen zu seinen Schweinereien zu stehen. In den Achtzigern tauchten Dokumente auf, die nahelegten, dass er während der Kriegsjahre für den Westen und Osten spioniert haben soll. War Brandt selbst Geheimdiensten untreu? Natürlich wäre das Arbeiterkind mit der Aussteigerattitüde, wenn er alles offengelegt hätte, nie an die Spitze gekommen. Man muss ich entscheiden: Macht oder Wahrheit, Persönlichkeit oder Wählbarkeit. „Nett“ ist die kleine Schwester von „scheiße“. Legendengeschichten sind immer gelogen.

8 Er wollte aus Bonn nach Berlin zurück, weil die Berliner wussten, dass er kein Säulenheiliger war. Schon damals war Berlin restlos desillusioniert.

9 Bester Zwischenruf im Parlament: „Sie Wurstwasser!“ Wehner nahm Twitter vorweg.

10 Die gute alte Zeit, nach der sich AfD-ler wie Beatrix von Storch zurücksehnen.

11 Nebenbei: Fuck Body Positivity. Du fühlst dich in deinem Schwabbelkörper vielleicht gut, Prostatakrebs aber auch: https://www.monash.edu/discovery-institute/news-and-events/news/2019-articles/researchers-reveal-prostate-tumours-fed-by-fatty-acids; 14.5.19

Gandhi – Übergriffiger Guru

„Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“

– Mahatma Gandhi.

Der Frieden trägt eine runde John-Lennon-Brille, ist knusprig braungebrannt, ausgemergelt, in einen weißen „Dhoti“ gehüllt und sagt: „Auge um Auge macht die ganze Welt blind.“ Niemand steht mehr für den Frieden als Mahatma Gandhi. Sein Vorname bedeutet „große Seele.“ Seine Zitate prangen neben der Bong und den Taschentüchern auf Teenagerfußböden, Apple verhurte ihn in den Neunzigern in der „Think Different“-Werbekampagne, er wurde mit Vorliebe von US-Präsident Obama zitiert. Milliarden von Menschen verehren ihn noch heute. Die haben keine Ahnung.

Gandhi war, wie man so schön sagt, ein Mann des Friedens. Kostet ja nichts. Durch seinen gewaltfreien Protest implodierte das gigantische englische Kolonialreich in Indien. Den Friedensnobelpreis gewann er im Gegensatz zum Obama allerdings nie. Und das, obwohl er 1937, 1938, 1939 und 1947 nominiert war. Kurz nach seinem Tod 1948 verweigerte ihm das Nobelpreiskomitee den Preis posthum. Der Nobelpreis wurde nicht verliehen, „da kein geeigneter Kandidat gefunden wurde.“

Als der Dalai Lama ihn 1989 erhielt, sagte das Komitee, es sei „zum Teil ein Tribut an die Erinnerung an Mahatma Gandhi.“ Eine merkwürdig relativierende Formulierung. Vielleicht wussten die mehr als der gemeine Teenager?

Finstere Politik

„Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich,

dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“

– Mahatma Gandhi.

Als Gandhi an der Schwelle zum 20. Jahrhundert noch von der Welt ignoriert wurde, warb er am Vorabend des Ersten Weltkriegs in Südafrika – ausgerechnet für das britische Militär. „Für Wandel müssen wir uns verteidigen, mit Waffen. Um diese bestmöglich zu nutzen, sollten wir der Armee beitreten.“ Das muss Gandhis berüchtigter Pazifismus sein.

In einem Anfall von Genialität oder Kompensation entwickelte er das Konzept „Satyagraha“, damit es auch ja niemand aus dem Westen aussprechen kann. Es bedeutet „Geradlinigkeit in Wahrheit“ und ist das genaue Gegenteil seiner Rekrutierungsarbeit. Die Waffe der Schwachen aber moralisch Starken: Durchbreche die Gewaltspirale und mache deinen Gegner zum Freund, indem du an sein Gewissen appellierst. Dazu eine fette Portion Motivation: „Wenn ich glaube, dass ich es schaffen kann, werde ich sicher die Fähigkeit erhalten, auch wenn ich sie vorher nicht hatte.“ Beste Selbsthilfelitanei, begeistert heute noch als „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, „Tschakka, du schaffst das“ oder „Ich werde nie wieder Opfer sein!“ Milliarden. Gandhi motivierte vor allem, dass seine Rasse mehr wert war als die „Neger“.

Ja, liebe Empöria, das steht da und das soll auch da stehen. Es ist leider keine Übertreibung, im Gegenteil. Gandhi benutzte das Wort „Kaffir“, das heutige Historiker als noch gravierender ansehen. Falls jemand zweifelt, Gandhi legte nach: Die Ureinwohner Südafrikas, „deren einziger Zeitvertreib jagen ist und deren einziger Wille ist, Vieh zu sammeln, damit sie eine Frau kaufen können und ihr Leben in Faulheit und Nacktheit führen können“, waren nicht seine besten Freunde. Besonders die Nacktheit wird noch wichtig. Über die Buren, die weißen Nachfahren der Holländer, hingegen sagte er: „Wir glauben ebenso an die Reinheit der Rassen wie sie“.

Gandhis Hierarchie war klar: Die Weißen waren mehr wert, die Schwarzen weniger, Inder in der Mitte. Unterordnung war für ihn kein Problem, aber zusammen mit den „Kaffir“ im Zugabteil sitzen oder auf die gleiche Toilette gehen? Niemals! Er zettelte einen Aufstand an, damit er in die erste Klasse durfte. Es muss der zweitdekadenteste Aufstand nach der Hüterevolution sein, bei der nach dem Hutverbot König Carlos III. 50.000 Madrilenen randalierten und ihn aus der Stadt vertrieben. Aber Gandhis Aufstand gelang. Erstaunlicherweise richtete die Bahn daraufhin Waggons für „Inder“ ein. Gandhis erster Sieg war keine Gleichheit, sondern Segregation – mit ihm an der Spitze.12

Selbst die indische „Rasse“ war ihm nicht „rein“ genug. Die „unberührbaren“ Dalits revoltierten, um das Recht, eigene Repräsentanten zu wählen, in die frische Verfassung aufzunehmen. Der „Humanist“ Gandhi weigerte sich so eklatant, dass er in den Hungerstreik ging. Den nannte er – bei anderen – übrigens „… die schlimmste Form der Überzeugung, ein Angriff gegen die fundamentalen Prinzipien der Gewaltfreiheit.“ Tausende Dalits wurden in Krawallen geschlachtet. Der Autor der Verfassung, Dr. Ambedkar, gab Gandhi nach. Auf seinem Totenbett sagte er, es wäre der größte Fehler seines Lebens gewesen. Mahatma verdiene den Namen „große Seele“ nicht.

Im sich befreienden Indien wurden auch Wagenladungen Muslime geschlachtet und ganze Gemeinschaften vertrieben. Die Abspaltung von Bangladesch und später Pakistan war für die Pest aller Epochen, die Nationalisten, der ultimative Affront. Öffentlich sprach sich Gandhi für eine Versöhnung mit dem Erzfeind aus. Privat verbot er seinem Sohn Manilal, eine Muslimin zu heiraten. Anscheinend muss man, um der indischen „Rasse“ anzugehören, auch die richtige Religion haben.

Hat da wer „Faschist“ gesagt? Du Schuft! Obwohl man natürlich zugeben muss, dass er Mussolini ziemlich geil fand. Er lobte seinen „Dienst für die Armen, seine Opposition gegen die Super-Urbanisation, seine Anstrengungen, Kapital und Arbeit zu koordinieren, und seine Liebe für die Menschen. [Mussolini] war einer der großen Staatsmänner unserer Zeit.“ Das muss nichts heißen, jeder verfällt ab und an der Italophilie? Nun ja, einen Brief an Hitler eröffnete er mit:

„Lieber Freund, einige meiner Freunde haben mich dazu gedrängt, Ihnen einen Brief im Namen der Menschheit zu schreiben. Jedoch habe ich mich bisher dagegen gewehrt, da ich das Gefühl hatte, dass jeder Brief von mir als eine Dreistigkeit aufgefasst werden könnte. Etwas in mir sagt mir allerdings, dass ich mein Zögern hinter mir lassen und meine Bitte an Sie richten soll, was auch immer diese wert sein mag.

Es ist offensichtlich, dass Sie heute die eine Person auf dieser Welt sind, die einen Krieg verhindern kann, welcher unsere Menschlichkeit in den Status der Unzivilisiertheit zu stürzen droht. Wollen Sie für Ihre Sache wirklich diesen hohen Preis auf sich nehmen, ganz gleich, wie wertvoll sie Ihnen auch erscheinen mag? Werden Sie der Bitte von jemandem Gehör schenken, der willentlich die Methode des Krieges abgelehnt hat – und das nicht ohne Erfolg? In jedem Fall möchte ich Sie um Vergebung bitten, falls ich mich in meinem Schreiben an Sie geirrt habe. Ich bleibe Ihr ergebener Freund.“

Wohlwollend könnte man annehmen, das sei alles „Satyagraha“-Geschleime, um die nahende Tragödie des Zweiten Weltkriegs zu verhindern. So weit, so weitsichtig. Der Brief kam jedoch nie an, er wanderte sofort in den Giftschrank der Regierung. „Freund“ war definitiv zu nett, auch der zweite Brief verschwand. Wer noch Zweifel hat:

„Dass ich Sie als Freund bezeichne, ist keine Formalität. Ich habe keine Feinde. Wir zweifeln nicht an Ihrer Tapferkeit, Ihrer Hingabe an Ihr Vaterland, noch glauben wir, dass Sie das Monster sind, als das Ihre Gegner Sie beschreiben.“13

Er sollte sich minimal irren. Gandhi setzte strategisch auf die britische Demokratie: Bei genügend Widerstand würde das House of Commons einknicken. Sein Freund Hitler wäre ein anderes Kaliber gewesen. Als Lord Halifax, der Vizekönig von Indien, 1938 Hitler traf, schlug der vor, Gandhi zu erschießen. Sollte es Proteste geben, sollten die indischen Parlamentarier folgen, in, das schien wichtig, Zweihunderterschritten.

So durchschlagend Gandhis Erfolg in Indien war, so gefährlich ignorant war er der restlichen Weltpolitik gegenüber. Den Juden in Palästina riet er, „auf die Gutmütigkeit der Araber zu hoffen“. Eine gute Strategie, wenn man sterben will. Genau deswegen empfahl er den Juden im Dritten Reich, sich gewaltlos zu stellen: „Für den Gläubigen hat der Tod keinen Schrecken!“ Für den Lebenden hat Glauben einen Schrecken. Gandhis Politik war „spirituell“, so bewegte er Millionen. Leider ist „spirituell“ ein schickeres Wort für „Geisterglauben“ oder „aus dem Arsch gezogen.“ Das waren die Begriffe „Rasse“, „Gott“ und „Vaterland“ auch. Willkürliche Politik kann wie bei Gandhi funktionieren, sie kann aber schnell zur Katastrophe werden. Das sah man spätestens ein Jahr später, als zwei bekennende Esoteriker mit denselben Begriffen die Welt in Brand setzten: Mussolini und Hitler.