Herbstmilch - Anna Wimschneider - E-Book
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Anna Wimschneider

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Beschreibung

»Herbstmilch« ist die Lebensgeschichte der Bäuerin Anna Wimschneider – ein Dokument des zwanzigsten Jahrhunderts, das vom Schicksal der kleinen Leute handelt, von Menschen, die im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen und ihr Leben bewältigen, aufrecht und unerschütterlich. Das Buch wurde über Nacht zum Bestseller und Anna Wimschneider mit ihrem pfiffigen Charme schnell ein Liebling des Publikums. Josef Vilsmaier hat ihr mit der Verfilmung der Lebenserinnerungen ein weiteres Denkmal gesetzt.

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage Dezember 2011

ISBN 978-3-492-95466-2

© 1984 Piper Verlag GmbH Umschlag: semper smile, München Umschlagmotiv: perathon Medien GmbH

Datenkonvertierung: CPI - Clausen & Bosse, Leck

Im Landkreis Rottal-Inn steht an einem leichten Osthang ein Bauernhof mit neun Hektar Grund. Drinnen wohnten Vater und Mutter und der Großvater, das war Mutters Vater, und dazu noch acht Kinder. Franz war der älteste, dann kam der Michl, der Hans und nun ich, das erste Mädchen, nach mir Resl, Alfons, Sepp und Schorsch und später dann noch ein Bub.

Wir Kinder hatten ein fröhliches Leben. Die Eltern waren fleißig, Großvater arbeitete auch noch mit, obwohl er schon zwischen 80 und 90 Jahre alt war. Wenn er sich rasiert hat, mit einem langen Messer, schauten wir Kinder zu, denn das war sehr lustig. Der Spiegel hing an der Wand, und der Großvater schnitt ganz komische Gesichter, die Knie hat er an die Bank gestemmt, und weil er so zitterte, machte die Bank so lustige Töne.

Im Frühling lag draußen vor der Hofeinfahrt ein großer Wiedhaufen, den die Mutter mit dem Hackl in Bündel hackte. Da spielten wir Kinder, krabbelten auf dem Haufen herum, da wimmelte es nur von Kindern. Die Zapfen von den Fichten, das waren unsere Rosse, die Reigerl von den Föhren unsere Kühe, die Eicheln unsere Schweine. Aus den großen Rindenstücken wurde dann ein Hof gebaut. Rindenstücke waren auch unsere Wagen, an die mit einem Faden oder einer leichten Schnur unsere Tiere eingespannt wurden. Als Getreide nahmen wir Spitzwegerich, Breitwegerichblätter waren unser Geld, und alle möglichen Gräser hatten ihre Bedeutung und machten unseren Spielzeugbauernhof reich.

Die Eltern freuten sich an ihren Kindern. Gegen Abend spielten wir meist Fangen, schüttelten eine Menge Maikäfer von den Kirschbäumen und wurden vor dem Schlafengehen noch einmal richtig munter. Einmal zog mir die Mutter ein schönes rotes Samtkleid an, setzte mich auf den Schubkarren, um zum Getreidedreschen Scheps zu holen. Auf dem Weg ins Dorf hat sie mich bei den Häusern, an denen wir vorbeikamen, den Leuten vorgestellt, denn sie war sehr stolz auf ihr erstes Mädchen.

Eines Tages lag die Mutter im Bett, ich weiß nicht, warum, und die größeren Kinder waren bei ihr in der oberen Stube. Von unten hörten wir eine Streiterei, die Mutter kniete sich auf den Boden, aus dem man ein Stück herausnehmen konnte. Sie schaute hinunter. Der Vater und der Großvater stritten. Der Großvater hatte vom Brunnen hinterm Haus Wasser geholt, der Vater aber die Haustüre abgeschlossen, da konnte der Großvater nicht mehr herein. So ergab sich die Streiterei.

*

Einmal spielten wir auch so schön und lustig und liefen alle rund ums Haus. Da kam bei der Haustüre die Fanny heraus mit unserem Badwandl und schüttete nahe beim Haus viel Blut aus. Wir blieben alle ringsherum stehen und sagten, heh, heh, was haben wir denn geschlachtet? Sie sagte, das ist von der Mutter. Haben wir denn die Mutter geschlachtet? Wir wollten zur Mutter hinein. Sie sagte, bleibt noch da stehen, ich sag es euch schon, wenn ihr reingehen dürft.

Wir warteten. Dann zogen wir die Stiege hinauf in die obere Stube. Es begegneten uns zwei Männer in weißen Kitteln. Zwei Nachbarinnen standen da, und der Vater und alle weinten. Die Mutter lag im Bett, sie hatte den Mund offen, und ihre Brust hob und senkte sich in einem Röcheln. Im Bettstadl lag ein kleines Kind und schrie, was nur rausging. Wir Kinder durften zur Mutter ans Bett gehen und jedes einen Finger ihrer Hand nehmen. Später wurden wir wieder zum Spielen hinausgeschickt.

Am Abend kamen die Nachbarn und viele Leute zum Rosenkranzbeten. Die Mutter lag im Vorhaus, in der Fletz aufgebahrt. Ihre schönen rötlichen Haare waren in Locken gekämmt, wie sie dies immer vor dem Spiegel getan hatte. Sie hatte ein schwarzes Kleid an, und Schuhe hatte sie auch an. Wir Kinder fragten, warum hat die Mutter Schuhe an? Die Nachbarin sagte, daß das ein alter Brauch ist, denn eine Wöchnerin muß auf Dornen in den Himmel gehen. Die Nachbarn beteten einen Rosenkranz, dann bekamen sie Brot, und ein Trunk wurde gereicht. Dann wurde noch ein Rosenkranz gebetet. Das war zwei Abende so.

Am Tag, als die Mutter starb, nahm den Kleinsten gleich die Taufpatin mit, obwohl sie nie ein Kind gehabt hatte und selbst schon alt war. Wir hatten alle Hunger und nichts zu essen. Statt dessen lagen die jüngsten vier auf dem Kanapee, zwei nach hinten, zwei nach vorn, Joppen als Kopfkissen und als Zudecken. Wir Größeren haben auch irgendwelche Kleidungsstücke zusammengesucht und uns auf die Holzbänke gelegt, die rund um die Stube gingen. Wir haben geweint, weil wir die Mutter nicht mehr hatten, und sind vor Hunger und Kummer eingeschlafen. Der Vater hat uns dann schlafend ins Bett getragen.

Der Vater suchte sofort eine Haushälterin, die kam auch. Das ging zwei Wochen mit ihr. Dann stellte sie die ganzen Zuber und Eimer, alles, was wir hatten, voll eingeweichter Wäsche auf die Bänke in der Stube und ging fort. Der Vater suchte wieder eine, die war auch nicht länger da, stellte auch die Wäsche auf die Bänke und verschwand. Wahrscheinlich hat die Wäsche jemand aus der Nachbarschaft gewaschen. Bügeln habe ich nie jemanden gesehen. Der Vater suchte dann eine Hochzeiterin, es wurde ihm diese und jene geraten, und immer stellte sich heraus, daß dieselben auch noch zwei, drei Kinder mitgebracht hätten. Da hat er sich überlegt, diese Frauen würden die ersten Kinder hinausdrücken und ihre Kinder als Erben einsetzen. Das wollte er nicht. Es ging dann überhaupt nicht mehr um. Die Kinder hatten Hunger.

Meine Mutter hatte eine Nachbarin noch auf dem Sterbebett gebeten, meine Firmpatin zu sein. Die kam dann zum Melken, und dafür bekam sie eine Schürze voll Äpfel. Es war gerade Sommer, meine Mutter ist am 21. Juli 1927 gestorben.

*

Es kam die Ernte, und die meiste Arbeit war da die Feldarbeit, und jeder hatte es satt, immer wieder zu helfen. Da dachte der Vater, ich muß mir selber helfen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Kinder arbeiten zu lassen.

Der älteste war der Franz, noch nicht dreizehn Jahre, dem hat die Nachbarin das Melken gelernt, der zweitälteste war der Michl, elf Jahre, der mußte den Stall misten. Eine andere Nachbarin kam, um mir das Kochen und Flicken zu lernen und wie ich mit den kleinen Kindern umgehen muß. Ich war acht Jahre. Der drittälteste, der Hans, mußte auch mithelfen. Zum Futtereinbringen fürs Vieh mußten wir größeren Kinder alle hinaus. Um fünf Uhr war Aufstehen, der Vater nahm die Sense, ein Bruder die Schubkarre, wir Jüngeren hatten Rechen dabei. In einer Stunde war das Futter mit dem Schubkarren eingebracht, die Kleinsten haben noch geschlafen. Franz hat die beiden Kühe gemolken, die leicht zu melken waren. Die Nachbarin die anderen zwei, denn die waren zäh. Ich habe Feuer gemacht und die Milch gekocht, in die Schüssel gegeben, ein wenig Salz dazu und dann Brot eingebrockt. Dann standen wir alle um den Tisch herum, beteten das Morgengebet, den Glaube-an-Gott, und ein Vaterunser für die Mutter. Manchmal war auch eins von den kleinen Geschwistern schon aufgestanden, um das mußte ich mich kümmern, so daß ich kaum zum Essen kam. Nach dem Essen beteten wir das Dankgebet und wieder ein Vaterunser für die Mutter. Die Buben hatten sich schon gewaschen und gekämmt, so konnten sie noch den Gottesdienst vor Schulbeginn erreichen. Ich dagegen mußte erst die Kleinsten aus dem Bett holen, ihnen beim Biseln helfen, sie anziehen und füttern. Manchmal haben sie geweint, weil sie mit mir wohl nicht zufrieden waren. Großvater blieb noch im Bett. Ich konnte mich erst dann zur Schule fertigmachen, wenn der Vater von der Stallarbeit hereinkam. Nun lief ich so schnell ich konnte die vier Kilometer zur Schule. Dabei mußte ich oft anhalten, weil ich in der Seite ein starkes Stechen hatte, und oft kam ich erst an, wenn die erste Pause war. Da lachten mich die anderen Kinder aus.

Es dauerte nicht lange, da sagten die Buben, im Haus ist alles deine Arbeit, das ist Dirndlarbeit. Nach der Schule kam die Meieredermutter, um mir das Kochen beizubringen. In meinem Beisein sagte der Vater zu ihr, wenn sich’s das Dirndl nicht merkt, haust du ihr eine runter, da merkt sie es sich am schnellsten. An Sonntagen lernte sie mir das meiste, da war keine Schule. Mit neun Jahren konnte ich schon Rohrnudeln, Dampfnudeln, Apfelstrudel, Fleischgerichte und viele andere Dinge kochen. Aber am Anfang habe ich auch viele Fehler gemacht, der Vater kam herein, schaute in den Ofen und sagte, ach Dirndl, du mußt ein größeres Feuer machen, so kannst du kein Fleisch braten. Das Wasserschiff im Ofen ist zuwenig gefüllt, wie oft muß ich dir das noch sagen, und schon gab es eine Watschn. Die Meieredermutter hat mich auch manchmal geschimpft, geschlagen hat sie mich aber nie.

Bei der Arbeit mußte ich einen Schemel mittragen, weil ich so klein war, daß ich in keinen Topf gucken konnte. Auf den Herd schauen, Schemel hin, einheizen, Schemel weg, zur Anrichte, Schemel hin, wie oft ging das während des Kochens! Wenn es beim Fleischbraten aus dem Rohr geraucht hat, konnte ich nachschauen. Bei Rohrnudeln dagegen ging das nicht, die sind dann zusammengefallen, und wenn sie auf den Tisch kamen, war wieder eine Watschn fällig. Es ging ja noch an, wenn ich sie vom Vater bekam, aber die großen Brüder gaben auch noch eine dazu. Ich habe das Salzen vergessen, meine Gedanken waren bei den Geschwistern, die in der Stube gespielt haben. Wenn es dann oft recht wild zuging, und sie haben beim Fangen oder Blinde-Kuh-Spielen etwas zerbrochen, ging es an mir aus, weil ich auf die Geschwister nicht aufgepaßt habe. Und wenn die drei großen Brüder am Boden miteinander gerauft haben, daß es der Vater draußen noch hörte, dann kam er mit einer Gerte herein und schlug wahllos drein. Dann war für diesmal wieder Ruhe.

Nach einiger Zeit brachte der Vater den Kleinsten wieder heim, weil die alte Taufpatin vom Schlaf nicht mehr aufgewacht war. Wir haben uns über den kleinen Ludwig sehr gefreut, er war noch ganz klein und konnte noch nicht richtig reden. Damals hatten Buben und Mädchen im Alter bis zu drei Jahren die gleichen Kleider an. Das war einfach, wenn eines mal mußte, so konnte man es schnell aufs Topferl setzen, eines von den anderen Geschwistern mußte dann was vormachen, da blieb es schon sitzen.

Milch und Kartoffeln und Brot gehörten zu unserer Hauptnahrung. Abends, wenn ich nicht mehr richtig kochen konnte, weil wir oft von früh bis vier Uhr nachmittags Schule hatten und dann erst in der Abenddämmerung heimkamen, da haben wir für die Schweine einen großen Dämpfer Kartoffeln gekocht. Die kleinen Kinder konnten kaum erwarten, bis er fertig war, schliefen dann aber doch auf dem Kanapee oder auf der harten Bank ein. Wir mußten sie dann zum Essen wecken. Weil wir soviel Hunger hatten, haben wir so viele Kartoffeln gegessen, daß für die Schweine nicht genug übrigblieb. Da hat der Vater geschimpft. Der Hans hat einmal 13 Kartoffeln gegessen, da hat der Vater gesagt, bist du narrisch, du frißt mehr wie eine Sau, friß nicht so viel, es bleibt ja nichts mehr für die Sau.

Von Zeit zu Zeit kam mal eine Nachbarin und schaute nach, wie es so ging und was ich machte. Anfang des vierten Schuljahres mußte ich zur Meieredermutter gehen, um jetzt Brotbacken und Großwä­schewaschen zu lernen. Wir machten es daheim dann genauso, der Vater und ich. Wir hatten auch den gleichen Waschzuber wie die Meieredermutter. Erst haben wir die Wäsche über Nacht eingeweicht, dann wurde sie von mir und Vater ausgewrungen, aufgelockert und in den Zuber gelegt. Oben auf die Wäsche kam ein großes Leinentuch, in das Birkenholzasche gestreut wurde, dann wurde kochendes Wasser draufgeschüttet, das war die Lauge für die Wäsche, Waschpulver hatten wir keines. Nach einigen Stunden wurde diese Lauge unten aus dem Zuber gelassen. Jetzt wurde die Wäsche auf der Waschbank mit Kernseife eingerieben und gebürstet. Ich stand auf meinem Schemel, denn ich war zu klein für die Waschbank.

Beim Brotbacken war es umgekehrt, wir mußten den Backtrog auf den Boden stellen, weil ich da zum Teigkneten mehr Kraft hatte. Wir haben immer auf einmal 16 Laib Brot gebacken, ein einzelner Laib wog vier bis fünf Pfund. An jedem Tag aßen wir drei Laib. Einen zur Morgensuppe, einen verbrauchten wir Kinder in der Schule zum Pausenbrot, und den dritten Laib Brot aßen wir am Abend. In der Schule hatten wir zwei Pausen, die kleine, die war 15 Minuten, und die große Mittagspause, eine ganze Stunde. Weil ich in der überfüllten Mädchenbank keinen Platz mehr hatte, kam ich neben einem Buben zu sitzen, der mir im Auftrag seiner Mutter jeden Tag eine Rohrnudel mitbrachte. Das habe ich dieser braven Bäuerin nie vergessen.

Vater sagte immer, drei Laib Brot müssen für einen Tag langen. Doch es reichte nicht immer, wir aßen dann wieder die Schweinekartoffeln, und der Vater sagte, ihr Kinder eßt mich noch arm. Beim Essen saß das eine kleine Kind auf Vaters Schoß und links und rechts auch eines, die langten alle in Vaters Teller. Abends gab es zumeist Dampfnudeln, die konnte ich recht schön machen, mit brauner Kruste. Ich gab sie mit der Kruste nach oben in eine große Schüssel, die wurde auf einen eisernen Dreifuß gestellt, und unten drinnen stand eine große Schüssel mit Gurken, Milch oder Kletzenbrühe. Das sah recht appetitlich aus, so daß wir wieder neuen Hunger bekamen. Es mußten immer ganz große Portionen sein, zwei Tiegel oder Reinen voll. Den Großvater haben wir auch nicht vergessen, dem habe ich sein Essen in seine Kammer gebracht, nur weiche Sachen, denn er hatte keinen Zahn mehr.

Als der Großvater noch besser zu Fuß war, da ging er ganz früh fort in die Kirche. Der Michl mußte mit, weil der Großvater unterwegs immer an der gleichen Stelle in den Wald ging und unter dem gleichen Baum seine Notdurft verrichtete. Anziehen konnte er sich nicht mehr allein, deshalb war ja der Michl dabei.

Der Großvater hatte ein Hemd mit vorn am Hals zwei Knopflöchern, da mußte man ein Kragenknöpferl durchstecken, und auf der vorderen Seite konnte man das Knöpferl umkippen. Dann kam die aus weißem Leinenstoff gefertigte, ganz hart gestärkte Brust, die war breit wie der Oberkörper, und unten konnte man sie noch ein bißchen in den Hosenbund stecken. Oben beim Kragenknöpferl wurde eine Krawatte eingehängt. So sah man das alte Hemd nicht mehr, das er darunter anhatte. An die Füße zog er Schnallenschuhe an, auch Gummistutzen hatte er zum Anziehen. Die hatten links und rechts einen schwarzen dehnbaren Gummi am Knöchel eingenäht. Die Hosen waren sehr eng und hatten Hosenträger. Zur Arbeit trug der Großvater immer eine blaue Leinenschürze, die um den Hals und um den Bauch ein schmales, blaues Leinenband hatte. Er arbeitete nie ohne seine Schürze, die man Fetzen nannte. Bei uns auf dem Lande gibt es heute noch Stoff für solche Fetzen zu kaufen. Es ist das gleiche blaue Leinen.

Tagsüber hatte der Großvater seinen Platz auf der Ofenbank, da waren wir Kinder oft ganz nahe bei ihm. Seine grauen Haare standen vereinzelt in die Höhe, in den Ohrläppchen waren kleine Goldplättchen. Das sollte für die Augen gesund sein. Seine rechte Hand lag auf dem Ofensims, und wir Kinder faßten die lockere Haut auf seiner Hand und dehnten sie. Das durften wir alle machen, nur der Alfons nicht, den konnte er nicht leiden. Statt Alfons sagte er immer Atterl zu ihm. Wenn ich Knödel machte, hat mir der Großvater das Brot geschnitten.

*

An den Winterabenden heizten wir den Ofen fest ein, die Stube war warm. In der oberen Stube, genau über dem Ofen unten, war ein Kachelofen, der vom unteren Ofen mitbeheizt wurde. Er hatte Hufeisenform, und man konnte sich in seine Bucht hineinsetzen. Da haben wir Kinder einander immer wieder herausgezerrt, wenn eins zu lange drinnen blieb, denn die anderen wollten sich auch vor dem Schlafengehen aufwärmen. Der Vater legte ein Brettchen auf den Stubenofen und setzte sich darauf, so daß es oft brenzlig roch, das war dann Vaters Hose. Der Vater rauchte am Abend gerne eine kurze Pfeife mit billigem Tabak, den Kloben, wie er seine Pfeife nannte. Und über dem Tisch hing eine Petroleumlampe mit einem gläsernen Schirm, das war recht gemütlich. Der Vater mußte unheimliche Geistergeschichten erzählen, vom Krieg, den er mitgemacht hatte, und von Mordsachen. Großvater erzählte, wie er von Eggenfelden nach Passau mit den Pferden schweres Langholz gefahren hat. Oft ging das Petroleum in der Lampe aus, und je dunkler es in der Stube wurde, um so lebhafter wurden wir Kinder. Da wurde blind Mäuschen gefangen, man stieß überall an, das war sehr lustig. Von dem Petroleumrauch bekamen wir ganz schwarze Nasenlöcher und schwarze Bärtchen, darüber mußten wir lachen.

Während meine Geschwister dem Vater zuhörten, hatte ich auf dem Tisch eine Handnähmaschine stehen, ich mußte fleißig flicken. Dazu war noch ein kleines Öllämpchen nötig, das stand auf einem Literhaferl, sonst hätte ich die Naht nicht sehen können. Wenn der Vater mit den Geschwistern zu Bett ging, durfte ich noch lange nicht mit dem Nähen aufhören, erst um zehn Uhr abends. Oft schlief ich vor Müdigkeit ein, da klopfte der Vater oben auf den Boden und rief, was ist mit dir, ich höre die Nähmaschine nicht mehr. Da wurde ich wieder wach und nähte weiter.

Einmal brauchte ich einen größeren Leinenfleck zum Bettwäscheflicken. Der Vater wollte ihn mir aus der oberen Stube holen. Da stand ein breiter Schrank, in dem waren zwei große Ballen mit Leinen. Das hat die Mutter selbst gewebt, ein Ballen war grobes und einer sehr feines Leinen. Wie nun der Vater den Schrank aufmachte, war kein Leinen mehr da. Da schaute sich der Vater weiter um. Im Glaskasten fehlte eine goldene Riegelhaube mit den echt goldenen und silbernen Nadeln, und der ganze Schmuck der Mutter war auch weg. Der Vater sagte, das müssen die Haushälterinnen mitgenommen haben.

Die Winter waren damals viel kälter, es gab viel mehr Schnee als heute. Selten hatten junge Leute Unterwäsche und Handschuhe, auch wir Kinder nicht. Überall sah man große Eiszapfen hängen. Der Schnee auf der Straße wurde von den Männern weggeschaufelt. Einen Schneepflug gab es noch nicht. Von allen Seiten war man eingemauert. Manchmal gingen die Schneemauern fast bis zum Lichtdraht am Straßenrand. Ab und zu kam ein Pferdeschlitten die Straße entlang. Das Läuten der Glöcklein hat man schon von weitem gehört. Wenn der Schlitten dann im Trab an uns vorbeikam, rochen wir den Dung der Pferde, und wir Kinder drückten uns mit den Schulranzen an die Schneewand, damit uns auf der engen Straße nichts passierte. Viele Sperlinge saßen auf den Pferdeäpfeln und suchten sich heraus, was noch zu fressen war. Manchmal lag auch ein toter Vogel auf der Straße, der erfroren oder verhungert war. Der tat uns sehr leid.

Als Wärmflasche hatten wir Dachziegel und große Kieselsteine. Gegen Abend wurden diese ins Bratrohr und auf die Herdplatte und, wenn sie dann heiß waren, ins Bett gelegt. Auch bei Zahnweh tat so ein Ziegel gut. Man wärmte sich auf dem Kissen eine Stelle, legte sich mit der schmerzenden Stelle drauf, und wenn dann noch vorgelesen oder gesungen wurde, war der Schmerz schon leichter zu ertragen. Mir ging es nicht so gut, wenn ich Zahnweh hatte. Oft mußte ich in der Kälte Wäsche waschen, denn die Waschbank stand draußen im Backofenhaus und war auf der Südseite offen. Das war im Sommer schön, aber im Winter pfiff der Wind und trieb den Schnee hinein. Da hatte ich dann ein dickes Tuch um den Kopf gebunden, der ganz verschwollen von Zahngeschwüren war. In kurzer Zeit war die Wäsche angefroren, da mußte ich herunter vom Schemel und die Wäsche erneut ins heiße Wasser legen. Da wir neun Personen waren, gab es viel Wäsche. Meine Hände waren ganz rot und blau gefroren. Und viel habe ich geweint.

Bis der große Schnee kam, gingen wir in Holzschuhen, und wenn einer im Dreck steckenblieb, zogen wir ihn mit der Hand wieder heraus. Damals standen im Schulhausgang viele Holzschuhe, die kamen oft durcheinander, und es war immer ein Gerangel, bis jedes Kind seine Holzschuhe wiedergefunden hat. In der Schule saßen wir oft in nassen Strümpfen. Handschuhe, die ich und meine Schwester gestrickt haben, gab es immer zuwenig. Die Kleinsten brauchten auch schon welche, zum Schlittenfahren und Schneemannbauen. Hosen wurden jeden Tag zerrissen. Da zwang mich mein Vater, bis um zehn Uhr abends zu nähen und zu flicken, wenn alle anderen schon im Bett lagen. Auch er ging zu Bett. Wenn es mir dann gar zuviel wurde, ging ich in die Speisekammer, machte die Tür ganz auf und stellte mich hinter die aufgeschlagene Tür. Da konnte ich mich verstecken und weinte mich aus.

Ende der Leseprobe