Highland-Hexen-Krimis: Sammelband I-VI (Gesamtausgabe) - Felicity Green - E-Book

Highland-Hexen-Krimis: Sammelband I-VI (Gesamtausgabe) E-Book

Felicity Green

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Beschreibung

Spannend, magisch, schottisch: Alle sechs HIGHLAND-HEXEN-KRIMIS in einem Band.

Erlebe magische Abenteuer mit den schottischen Hexen: In der Bestseller-Paranormal-Mystery-Serie von Felicity Green, die im malerischen Örtchen Tarbet in den schottischen Highlands spielt, steht in jedem Band eine andere junge Frau mit einem besonderen magischen Talent im Vordergrund.

In diesem Sparpaket sind alle sechs Haupt-Bände der Reihe enthalten.

① In DER TEUFEL IM DETAIL folgt Studentin Andie MacLeod einem magischen Auftrag. Im Traum hat sie gesehen, dass B&B-Besitzerin Dessie McKendrick Hilfe braucht.

Dessie ist davon überzeugt, dass im malerischen Städtchen Tarbet in den schottischen Highlands eine mysteriöse Gruppe Frauen etwas Böses im Schilde führt.

② In DER TEUFEL IM LEIBE geht es um die hübsche, aber skrupellose Kräuterhexe Penny, die ein mysteriöses schwangeres Mädchen in ihrem Rosengarten findet.

③ Die pummelige, rothaarige Fionna richtet in DER TEUFEL IN DER KÜCHE einiges an magischem Chaos mit dem Kochbuch ihrer Großmutter an, während Privatdetektivin Abbey Fine Fionnas fragwürdiger Herkunft auf die Schliche kommt.

④ In DER TEUFEL IM BUNDE wird das Geheimnis der Oberhexe Mary MacDonald endlich gelüftet. Polizistin Kenna Maxwell findet eine tote junge Frau in deren Küche, die einer jungen Mrs MacDonald bis aufs Bild gleicht – und die Oberhexe ist spurlos verschwunden. Kennas Ermittlungen führen sie zu einer Mord-Serie in den 1930er-Jahren.

⑤ In DER TEUFEL IM SPIEL stürzt sich Wetterhexe Jem Rivers in magische Abenteuer. Ein unerklärlicher Tsunami, schockierende Familiengeheimnisse und eine gefährliche Sekte hindern sie daran, Tarbet zu entkommen.

⑥ In DER TEUFEL IM EICHHÖRNCHEN wird die neue Oberhexe Fionna dafür verantwortlich gemacht, dass alle Hexen Großbritanniens bei der großen Beltane-Feier ihre Magie verlieren.


»Genau die richtige Mischung aus Krimi, Urban Fantasy und Spannung.« LETANNAS BÜCHERBLOG

Der HIGHLAND-HEXEN-KRIMI Sammelband I – VI: Jetzt die komplette Reihe mit über 2000 Seiten kaufen und 65% im Vergleich zum Erwerb der Einzelbände sparen.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Highland-Hexen-Krimis: Sammelband I-VI

Felicity Green

Inhalt

Der Teufel im Detail

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Der Teufel im Leibe

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Der Teufel in der Küche

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Kapitel einunddreißig

Kapitel zweiunddreißig

Kapitel dreiunddreißig

Kapitel vierunddreißig

Epilog

Der Teufel im Bunde

Prolog

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreissig

Kapitel Einunddreissig

Kapitel Zweiunddreissig

Kapitel Dreiunddreissig

Kapitel Vierunddreissig

Kapitel Fünfunddreissig

Kapitel Sechsunddreissig

Der Teufel im Spiel

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Kapitel einunddreißig

Kapitel zweiunddreißig

Kapitel dreiunddreißig

Kapitel vierunddreißig

Kapitel fünfunddreißig

Kapitel sechsunddreißig

Kapitel siebenunddreißig

Kapitel achtunddreißig

Quellen

Der Teufel im Eichhörnchen

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Kapitel einunddreißig

Kapitel zweiunddreißig

Kapitel dreiunddreißig

Epilog

Danke und gratis Buch

Teuflisch Einsam

Leseprobe DER TEUFEL IM GRABE

Die Autorin

Felicity Green

HIGHLAND-HEXEN-KRIMIS

Sammelband I -VI

Die komplette Reihe

DER TEUFEL IM DETAIL

DER TEUFEL IM LEIBE

DER TEUFEL IN DER KÜCHE

DER TEUFEL IM BUNDE

DER TEUFEL IM SPIEL

DER TEUFEL IM EICHHÖRNCHEN

© Felicity Green, 1. Auflage 2020

www.felicitygreen.com

Veröffentlicht durch:

A. Papenburg-Frey

Schlossbergstr. 1

79798 Jestetten

Umschlaggestaltung: Carolina Fiandri, CirceCorp design

Korrektorat: Wolma Krefting, bueropia.de

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden oder wurden fiktionalisiert. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

DER TEUFEL IM DETAIL ist erstmals 2016 erschienen.

DER TEUFEL IM LEIBE ist erstmals 2016 erschienen.

DER TEUFEL IN DER KÜCHE ist erstmals 2017 erschienen.

DER TEUFEL IM BUNDE ist erstmals 2017 erschienen.

DER TEUFEL IM SPIEL ist erstmals 2018 erschienen.

DER TEUFEL IM EICHHÖRNCHEN ist erstmals 2019 erschienen.

Das Buch

Eigentlich wollte Andie MacLeod ihre Semesterferien in Edinburgh verbringen. Doch dann hat sie einen Traum, der ihr unmissverständlich zu verstehen gibt, dass sie in ihrem Heimatort Tarbet einen Job zu erledigen hat. Sie folgt ihrem magischen Auftrag mit gemischten Gefühlen: Das malerische Städtchen in den schottischen Highlands ist zwar sehr beliebt bei den Touristen, aber etwas Aufregendes passiert hier vielleicht nur einmal alle zehn Jahre.

Nein, es passiert genau alle zehn Jahre …

Vor zehn Jahren verbrachten Dessie McKendrick und ihr Mann Connor während ihrer Flitterwochen auch eine Nacht in Tarbet am Loch Lomond. Als Dessie am nächsten Morgen im unheimlichen Thistle Inn aufwachte, war Connor nicht mehr da. Nachdem die Polizei die Ermittlungen längst aufgegeben hat, lebt Dessie immer noch am Ort des Verbrechens, betreibt dort ein B&B und untersucht bis zur Besessenheit jedes kleinste Detail, das mit Connors Verschwinden zu tun hat.

Will Andie, die jetzt in Dessie’s B&B arbeitet, ihr dabei helfen? Als wieder ein junger Mann spurlos verschwindet, muss Dessie sich fragen, ob das Mädchen etwas damit zu tun hat. Und ob die Polizei, ja, die ganze Gemeinde, ein Auge zudrückt, als Andie und eine mysteriöse Gruppe Frauen etwas Böses im Schilde führen …

Für meine angeheiratete Familie, ohne deren Hilfe ich als frischgebackene Mama nicht die Zeit gefunden hätte, dieses Buch zu schreiben!

Prolog

Das Boot glitt über den See, so als ob es nicht auf dem Wasser fahren, sondern auf dem dichten Nebel schweben würde. Im Boot stand eine hochgewachsene junge Frau. Sie glich einer Galionsfigur: hölzern, Kinn energisch vorgeschoben, Blick starr nach vorn gerichtet. Der See hätte jeder Loch in den schottischen Highlands sein können, aber Andie wusste, so wie man in Träumen Dinge einfach wusste, dass es sich um Loch Lomond handelte. Am Ufer angekommen, stieg die Frau mit den schulterlangen blonden Haaren aus dem Boot aus. Andie kannte sie. Es war Dessie McKendrick.

Dessie drehte sich zu ihr um und spätestens jetzt wurde sich Andie bewusst, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Traum handelte. Sie selber war in diesem Traum zugegen und folgte Dessie in den kleinen Ort, der am Ufer des Sees gelegen war. Es war Tarbet, Andies Heimatort. Andie erkannte die Namen der Gasthäuser und B&Bs auf den Schildern vor den Häusern. Jedes zweite Haus in Tarbet vermietete Gästezimmer. Das malerische Örtchen in den Highlands lebte vom Tourismus. Dessie war ebenfalls hier zu Hause. Vor einigen Jahren zugezogen, war auch sie die Besitzerin eines B&Bs. Dort schien sie jetzt, in Andies Traum, auch hinzugehen. Immer wieder schaute sie sich um, um sicherzustellen, dass Andie ihr auch folgte. Ihre grauen Augen wirkten ausdruckslos. Dennoch hatte ihre ganze angespannte Körperhaltung etwas Dringliches.

Dessie's B&B war ein weiß getünchtes, großes, verwinkeltes Cottage, das Andie noch nie zuvor betreten hatte. Sie folgte Dessie ins Haus, bis sie vor der Tür mit der Nummer 3 standen. Dessie schaute Andie an, hielt einen Moment lang inne, nahm dann den Schlüsselbund aus der Tasche und schloss die Tür auf. Plötzlich befand sich Andie mitten im Zimmer, ohne sich daran zu erinnern, hineingegangen zu sein. Die Tür war geschlossen.

Dessie, oder um genauer zu sein, Dessies Doppelgängerin, hob langsam den Zeigefinger und legte ihn auf ihre Lippen. Andie sah sich im Zimmer um. Die Wände waren voll mit Zeitungsausschnitten, Fotos und Dokumenten. Ab und zu blitzte noch die Tapete mit dem Blümchenmuster dahinter hervor, aber der größte Teil der Wandfläche war bedeckt. Unzählige Gegenstände lagen überall herum. Unter dem Chaos konnte Andie ein gewöhnliches Gästezimmer entdecken. Das war es wohl einmal gewesen, bevor es so zugemüllt worden war. Ein großer Schreibtisch war in eine Ecke gequetscht worden. Der Schrank, dessen Türen offen standen, quoll über mit Männerkleidung. Auf dem Fußboden waren Gegenstände zu kleinen Haufen aufgetürmt. Hier ein Turm CDs, dort ein Stapel Bücher. In einer Ecke stand eine Sammlung verstaubter Whiskyflaschen auf einem Wägelchen aus Edelstahl. Vor dem Bett lagen ein großer grüner Rucksack und weitere Dinge, die zur Campingausrüstung gehörten. Andere, eher ungewöhnliche Sachen, waren auf dem Bett ausgebreitet. Auf den ersten Blick hatte es Andie für Unordnung gehalten, doch jetzt sah sie, dass die Gegenstände der Größe nach sortiert worden waren. Ein silberner Brieföffner, eine Spieluhr mit Zirkustieren, kleine Bilder mit bunten geometrischen Figuren, eine Dartscheibe, Billardstöcke.

Dessies Doppelgängerin nahm die Spieluhr in die Hand, ließ sie dann wieder fallen, ging zur Wand, zeigte auf ein Foto und verzog den Mund zu einem Lächeln, das aber ihre Augen nicht erreichte. Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, der wie ein kalifornischer Surfer aussah. Strahlend blaue Augen, blonde zerzauste Haare, blendend weiße Zähne, braun gebrannt. Dessie wirkte immer noch irgendwie mechanisch, wie es Doppelgängern so eigen war. Doch aus ihren ausdruckslosen Augen flossen Tränen, die ihre blassen Wangen herunterkullerten.

Andie wartete gespannt, was als Nächstes passieren würde. Vielleicht handelte es sich ja tatsächlich nur um einen Traum. Sie hoffte, dass es nur ein Traum war. Doch insgeheim wusste sie, was am Ende dabei herauskommen würde. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie so etwas erlebte.

Dessies Haut wurde immer blasser und trockener, bis sie an Pergamentpapier erinnerte. Andie strengte sich an aufzuwachen. Doch es gelang ihr nicht. Traum-Andie konnte sich noch nicht einmal von der Stelle rühren, als Dessies graue Augen in die Höhlen zurücktraten, die Haare büschelweise ausfielen und die Fingernägel sich von den Fingerkuppen lösten. Die große Frau wurde vor Andies Augen immer verschrumpelter, wie eine Mumie. Andie kannte das Gefühl der Hilflosigkeit nur zu gut, das sie nun überkam. Wieder gab sie sich Mühe, endlich aufzuwachen, doch Andie im Traum gelang es noch nicht einmal, die Augen abzuwenden. Sie war gezwungen mit anzusehen, wie Dessie McKendrick sich zersetzte.

Dann kam das Schlimmste, das, was Andie als Kind immer eine Heidenangst eingejagt und ihr schlaflose Nächte bereitet hatte. Aus Dessies Körperöffnungen, den Augenhöhlen, den Ohren, dem Mund, den Nasenlöchern, quollen weiße kleine Maden. Die Maden schienen sie von innen aufzufressen, bis nur noch Knochen und die Pergamenthaut übrig waren. Schließlich fiel auch das Knochen-Haut-Gebilde in sich zusammen. Wie aus dem Nichts erschienen Käfer und andere Insekten, die sich über die Reste von Dessie McKendrick hermachten. Der winzige Haufen auf den Holzdielen in Zimmer Nummer 3, der einmal Dessie gewesen war, verschwand schneller, als Andie sich ekeln konnte. Aus Erfahrung wusste Andie, dass es sowieso nichts brachte. Sie war gezwungen, das hier mit anzusehen. Als Dessie vollends verschwunden war, wurde es richtig kalt im Raum. Traum-Andie klapperten die Zähne. Sie schlang die Arme um den fröstelnden Körper. Nebel drang unter dem Türspalt hervor, durch das offene Fenster und diverse Ritzen und Spalten in den Wänden. Bald war das ganze Zimmer voller Nebel, sodass Andie nichts mehr sehen konnte. Panisch versuchte sie, sich im Raum zu orientieren und die Tür zu finden. Sie musste aus diesem Traum entkommen. Aus diesem Haus. Aus diesem Zimmer.

Vorsichtig tastete Andie nach der Tür und bekam eine Klinke zu fassen. Als sie die Augen aufmachte, brauchte sie einen kleinen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass sie in ihrem Zimmer in Edinburgh stand. Sie träumte nicht länger, sie war wach und sie war schlafgewandelt. Es war ihre Tür, ihre Klinke, die sie erreicht hatte, nicht die in Zimmer Nummer 3 in Dessie’s B&B. Ihr Atem ging keuchend und ihr war immer noch kalt. Es dauerte eine Weile, bis sie dem Gefühl der Erleichterung trauen konnte. Andie nahm sich den Bademantel, der an einem Haken an der Tür hing, und zog ihn sich über. Das Zimmer in dem Haus, das sie sich mit anderen Studenten teilte, war in fahles Mondlicht getaucht. Andie setzte sich auf die Bettkante, schaltete die Nachttischlampe an und ließ sich den Traum, die Vision, noch einmal durch den Kopf gehen.

Seit Beginn ihres Biotechnologie-Studiums hier in Edinburgh hatte sie derartige Träume nicht mehr gehabt. Sie war recht froh gewesen, Tarbet zu entkommen, obwohl sie immer gewusst hatte, dass ihre besondere Gabe sie wahrscheinlich dorthin zurückbringen würde. Selbst einem stillen, introvertierten Mädchen wie ihr kam der kleine Ort langweilig vor. Edinburgh war um einiges aufregender. Und sie hatte schließlich Optionen. Dennoch musste sie hart dafür arbeiten. Nicht nur die akademischen Leistungen hatte sie bringen müssen, sondern sich auch das Studium selber finanzieren. Ihre Eltern waren nicht gerade wohlhabend. Das Semester war gerade zu Ende und sie musste sich sowieso einen Job suchen. Ihre Hoffnung, die Semesterferien in Edinburgh verbringen zu können, hatte sich mit diesem Traum zerschlagen. Natürlich gab es auch die Möglichkeit, den Traum zu ignorieren, aber das konnte sie einfach nicht. Das lag nicht nur daran, dass sie ein verantwortungsbewusstes Mädchen war. In der Vergangenheit hatte sie schon öfter versucht, derartiges zu verdrängen. Die Träume würden nur schlimmer werden, eine Dunkelheit würde sich in ihr ausbreiten und von innen auffressen. Sie würde nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, nicht mehr ihr Zimmer verlassen können, bis sie den Hilferuf der Doppelgängerin erhörte.

Dessie McKendrick brauchte ihre Hilfe – und vermutlich wusste sie nichts davon. Ihre Freundin Tara half den Sommer über in Dessie’s B&B aus. Vielleicht konnte Andie ihre Stelle übernehmen. Tara würde die besonderen Umstände verstehen. Andie schob sich eine Strähne ihres langen, dunkelbraunen Haares hinter das Ohr und seufzte. Dann stand sie auf, zog den Koffer aus dem Schrank, legte ihn aufs Bett und fing an zu packen. Morgen früh würde sie nach Tarbet fahren. Es gab keinen Grund, das Ganze aufzuschieben.

Sie hatte einen Job zu erledigen.

Kapitel eins

Grayson zeigte auf die Flasche Wein. Dessie schüttelte nur stumm den Kopf, nahm ihr leeres Glas in die Hand, stand auf und ging zur Küchenzeile am anderen Ende der großen Wohnküche. Sie stellte das Glas in die Spüle und horchte, hörte aber kein gluck, gluck des Weins, der aus der Flasche gegossen wurde. Ihre Schultern entspannten sich. Sie konnte es sich nicht leisten, mehr als ein Glas Wein mit Grayson zu trinken. Sie hatte das Gespräch wie immer sehr genossen, wünschte sich jedoch jetzt, dass Grayson auf sein Zimmer gehen würde. Dennoch war sie etwas enttäuscht, als sie das Scharren des Stuhles vernahm. Regentropfen hämmerten leise gegen das Fenster über der Spüle. Ein typischer schottischer Sommer. Einer der Gründe, warum sie hier so gerne wohnte, dachte Dessie bitter.

Grayson räusperte sich. »Ich gehe besser schlafen. Ich muss morgen früh raus, schon vor dem Frühstück.«

»Stimmt, dein Trip«, sagte Dessie, immer noch aus dem Fenster in die dunkle, regnerische Nacht starrend. Der Gedanke, dass sie Grayson vermissen würde, war Dessie unangenehm. Sie versuchte, die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu ignorieren, die sich jedes Jahr vermehrt dort breitmachten, wenn Grayson den Sommer in ihrem Bed & Breakfast verbrachte. Seit vielen Jahren war der Amerikaner nun Dauergast über die Sommermonate, benutzte Dessie's B&B als Basis für seine Abstecher zu anderen Destinationen in Europa. Lange hatte Dessie es gar nicht zugelassen, dass sich eine Freundschaft bilden konnte. Doch irgendwann waren aus Smalltalk tiefere Gespräche geworden und mittlerweile hatten sie sich angewöhnt, in der großen Wohnküche, in der Dessie Frühstück für ihre Gäste servierte und abends für sich selber kochte, die Abende mit einem Glas Wein ausklingen zu lassen, wenn Grayson da war. Natürlich fühlte sich Dessie schuldig. Aber da war noch eine andere Emotion, etwas Köstliches, Gefährliches, dem sie nicht widerstehen konnte. Doch widerstehen musste und würde sie.

Dessie drehte sich zu Grayson um. Sie musste sich nicht zu einem Lächeln zwingen, als sie den gut aussehenden Mann mit den klaren blauen Augen und dem dunklen Haar ansah. Die silbernen Schläfen ließen ihn älter wirken, als er war, wahrscheinlich Ende dreißig, Anfang vierzig, und gaben ihm außerdem ein äußerst respektables Erscheinungsbild. Sicherlich half es ihm bei seiner Arbeit als Vermögensberater, so vertrauenswürdig auszusehen, dachte sich Dessie. Er war immer vage, was seinen Beruf anging, aber sie nahm an, dass er sehr erfolgreich war. Schließlich konnte er es sich erlauben, mehrere Monate im Jahr Urlaub zu machen. Doch manchmal traf er sich auch mit Kunden in Europa, und Grayson hatte ihr erzählt, dass er morgen ein Meeting in London hatte.

Dessie musste sich auf die Zunge beißen, bevor ihr ein »Du wirst mir fehlen« entweichen konnte. Deshalb sagte sie gar nichts, sondern nickte nur stumm. Wenigstens musste sie sich keine Sorgen machen, dass Grayson sie für abweisend hielt, schließlich war er ihre sehr distanzierte Art gewöhnt. Er wünschte ihr ruhig eine gute Nacht, schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und ging dann in sein Zimmer.

Dessie nahm Graysons Glas, trank den letzten Schluck aus, den er immer darin ließ – eine Angewohnheit von ihm – und stellte es neben ihres in die Spüle. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, die Gläser dort stehen zu lassen, überlegte es sich dann aber schnell anders. Es würde morgen früh, wenn viel zu tun war, eine weitere Arbeit bedeuten, die sie womöglich nur stresste. Routine, die sie immer strikt einhielt, brachte Dessie durch den Tag.

Sie war gerade dabei, den Hahn aufzudrehen, als die Türklingel sie in ihrer Bewegung innehalten ließ. Dessie schaute auf die Wanduhr über der Tür. Unweigerlich zog sie die Brauen zusammen. Das Wassertaxi von der Jugendherberge, dachte sie, und ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken. Wenn so spät noch Gäste kamen, dann waren es meist die armen West-Highland-Way-Wanderer, die in der Rowardennan-Jugendherberge am anderen Ufer des Sees kein Zimmer mehr bekommen hatten. Ein mulmiges Gefühl beschlich Dessie, als sie zur Haustür ging und sie öffnete.

Vor ihrer Tür standen tatsächlich vier junge Menschen mit großen Rucksäcken auf dem Rücken. Dessie schaltete die Außenbeleuchtung an. Die jungen Leute, zwei Mädchen und zwei Jungen, höchstens Anfang zwanzig, waren vom Regen durchnässt.

»Ja bitte?«, fragte Dessie.

»Auf Ihrem Schild steht nicht Kein Zimmer frei«, sagte eine der jungen Frauen in jammerndem Tonfall. Die roten Locken klebten ihr im Gesicht, schwarzer Mascara hatte Spuren auf ihren Wangen hinterlassen und ihr Lippenstift war verschmiert. Dessie konnte kein großes Mitleid für sie aufbringen. Wieder einmal Wanderer, die unterschätzt hatten, wie anstrengend der berühmte Langstreckenwanderweg war, der von Milngavie hinter Glasgow bis Fort William in den Highlands ging. Dieses Mädchen, das wahrscheinlich eine große Schminktasche im Rucksack mitschleppte, würde es sicherlich nicht bis Fort William durchhalten. Vermutlich würden sie und ihre Freunde morgen schon in den Zug steigen und mit der West-Highland-Bahn weiterfahren, statt die ganze Wanderung, die gut neun Tage dauern konnte, zu überstehen.

»Bitte sagen Sie uns, dass Sie noch Zimmer haben«, wiederholte das Mädchen und sah sie mit einem flehenden Blick aus den großen blauen Kulleraugen an.

»Ich habe nur noch ein Zimmer mit einem Doppelbett frei«, sagte Dessie und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Sie war schon dabei, die Tür wieder zu schließen, als das Mädchen mit den roten Locken einen Fuß dazwischenschob. Bevor Dessie sichs versah, stand sie halb in ihrem Eingang.

»Wir nehmen es«, schrie sie, packte den Jungen, der neben ihr stand, am Arm und zog ihn ins Haus.

»Ein Zimmer mit einem Doppelbett«, wiederholte Dessie etwas überrumpelt. »Also leider nicht genug Platz für vier Personen.«

»Sie sind unsere letzte Rettung«, sagte das Mädchen und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. »Wir waren schon überall, doch im ganzen Ort hat es keine freien Zimmer.«

»Aber Val«, sagte der junge Mann, den die Rothaarige immer noch am Handgelenk hielt. »Was ist denn mit Denise und Nate, wir können doch nicht …«

»Jetzt waren wir eben schneller«, winkte Val ab. »Müssen wir etwa alle leiden und im Regen stehen bleiben, wenn es nun mal nur noch dieses eine Zimmer gibt?« Sie ließ den Jungen los und streifte den Rucksack von ihren Schultern. »Gott, ist das Scheißding schwer!«

»Tut mir leid«, sagte der junge Mann, ein richtiger Durchschnittstyp, in Richtung des anderen Mädchens.

Die zierliche junge Frau, die noch vor der Tür stand, schob frustriert die Kapuze ihres Regenmantels vom Kopf. Sie hatte lange, dunkle Haare und große traurige Augen. »Schon gut, Sam«, sagte sie resigniert. Sie drehte sich zu dem anderen Mann um, der sich etwas weiter im Hintergrund hielt. Doch der schaute nur auf seine Schuhe und murmelte etwas Unverständliches.

»Haben Sie vielleicht noch einen Tipp, wo die beiden hingehen könnten?«, wandte sich Sam an Dessie.

Die Nackenhaare stellten sich ihr auf und sie konnte kaum atmen. Ohne zu blinzeln, starrte sie den jungen Mann für eine gefühlte Ewigkeit an. Die Unsicherheit stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Entschuldigung, aber wissen Sie vielleicht von einem B&B, das noch nicht belegt ist?«, wiederholte Sam seine Frage, in der Annahme, dass sie ihn nicht verstanden hätte.

Dessie schluckte schwer, atmete langsam durch die Nase ein und räusperte sich. Nein, sie durfte nicht projizieren, sondern musste sich zusammenreißen. Sei nicht albern, schalt sie sich selber. Sie zwang sich, die Worte auszusprechen, obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte. »Mrs MacDonald hat sicher noch ein Zimmer frei. Zwei Straßen weiter links den Berg hoch. Es heißt Thistle Inn, aber eigentlich ist es …«, schweifte Dessie ab.

»Versucht es doch da«, meinte Sam, »oder sollten wir vielleicht alle dorthin …?«

Unsicher blickte er Val an. Die schüttete energisch den Kopf. »Wir bleiben hier«, entschied sie.

»… Inn ist etwas irreführend«, fuhr Dessie fort. »Es sind nur zwei Zimmer in ihrem Haus, die Mrs MacDonald vermietet, man teilt das Bad mit ihr und so weiter, also, äh, eine Art traditionelles Bed & Breakfast. Eher altmodisch, falls Ihnen das etwas ausmachen sollte«, fügte sie hoffnungsvoll hinzu. Doch es half nichts. Schließlich war das hier für die jungen Leute die letzte Zuflucht. Ein Dach über dem Kopf war jedenfalls besser als im Regen zu stehen, auch wenn es das schlechteste B&B in Tarbet war. Nun, schlecht war es ja nun nicht gerade, aber … Dessie schüttelte den Kopf, so als ob sie die düsteren Gedanken damit abschütteln könnte.

Das Mädchen mit den traurigen Augen sah sich wieder zu dem Jungen um, dessen Gesicht Dessie im Dunkeln und im Regen nicht genau ausmachen konnte. »Also sollen wir?«

Nate zuckte unschlüssig mit den Schultern und brummelte etwas, das wie »Mir egal« klang.

»Na dann«, sagte Denise seufzend und winkte den anderen beiden zum Abschied zu. »Bis morgen.«

»Zimmer Nummer fünf«, sagte Dessie tonlos zu Val und Sam. Die beiden gingen ins Haus, doch Dessie blieb noch einen Moment an der Tür stehen und sah den traurigen Gestalten nach, eine groß, eine klein, die in der dunklen Nacht verschwanden.

Sie wusste, es war völlig irrational, aber sie konnte das schreckliche Gefühl nicht abschütteln, dass sie Nate und Denise ins Verderben geschickt hatte.

Kapitel zwei

Andie MacLeod unterdrückte ein Gähnen, als sie um sechs Uhr dreißig am nächsten Morgen die Tür zu Dessie's B&B aufschloss. Zwischen sieben und neun wurde hier Frühstück serviert und dementsprechend gab es früh am Morgen am meisten zu tun. Eine Frühaufsteherin war Andie nicht, andererseits war es schön, am Mittag schon Feierabend zu haben. Nach dem Frühstück und dem Abwasch half sie Dessie noch mit der Wäsche und dem Beziehen der Betten, doch das Putzen der insgesamt sieben Zimmer und der Küche übernahm dann Dessie. Ab und zu war Andie auch am späten Nachmittag im B&B, um Gäste einzuchecken, wenn Dessie mal außer Haus war. Doch für gewöhnlich erledigte Dessie die Besorgungen am Mittag, wenn geschlossen war, und hielt sich abends im Bed & Breakfast auf. Dessie lebte sehr zurückgezogen, hatte nicht viele Freunde und, soweit Andie wusste, auch keine Hobbys. Man sah sie nicht oft im Dorf. Sie war als Eigenbrötlerin bekannt.

Als Andie ins Haus ging, kam ihr Dessie schon entgegen. Andie wollte ihr einen fröhlichen guten Morgen wünschen, stutze aber, als sie Dessies Gesicht sah. Die grauen Augen waren weit aufgerissen und sie war ganz blass, bis auf die hektischen roten Flecken auf den Wangen. Sie hatte eine Hand an die Kehle gelegt, so als ob sie keine Luft bekäme. Unschlüssig blieb Andie im Flur stehen. Noch im Gehen zog Dessie ihr Schlüsselbund aus der Tasche, doch es glitt durch ihre Finger, und für einen Moment starrte sie es an, wie es auf dem Boden lag, bevor sie sich bückte und es aufhob. Sie nickte Andie stumm zu, steckte einen Schlüssel in das Schloss zu Zimmer Nummer 3, drehte ihn um, verschwand durch den Türspalt und machte die Tür mit einem lauten Knall zu. Andie blieb noch etwas stehen und lauschte, nur um zu hören, wie sich der Schlüssel von innen im Schloss wieder drehte.

An sich war das kein sonderbares Verhalten, denn sie hatte Dessie schon öfter in Zimmer Nummer 3 verschwinden sehen. Dessie hatte ihr erklärt, dass dieses Zimmer Gästen nicht zugeteilt wurde, sondern dass sie es für private Zwecke nutzte. Nur sie hatte einen Schlüssel dafür und unter keinen Umständen sollte Andie es betreten.

Andie war nicht sonderlich überrascht darüber, schließlich hatte ihr Tara schon von Dessies eigentümlichem Verhalten erzählt. Kichernd hatte Tara Vermutungen aufgestellt, was sich wohl hinter der Tür zu Zimmer Nummer 3 so Geheimes verbarg. Leichen, Lederfetisch-Sachen, ausgestopfte Tiere, Actionfigurensammlungen? Andie, die wusste, wie es tatsächlich in diesem Raum aussah, es aber Tara nicht sagen wollte, hatte gemeint, dass es vielleicht eine Art Meditationsraum sei, wo Dessie ungestört sein wollte. Tara wusste natürlich über Andie Bescheid, aber so ganz genau nun auch wieder nicht. Sie waren im selben Alter, waren zusammen aufgewachsen und gemeinsam zur Schule gegangen, hätten unterschiedlicher aber nicht sein können. Sie gingen freundlich miteinander um, aber so wirklich mochte Andie das oberflächliche Mädchen nicht, das hauptsächlich an Schminke, Klamotten und Jungs interessiert war.

Obwohl Andie Zimmer Nummer 3 in ihrem Traum gesehen hatte, war sie natürlich trotzdem neugierig, wie es wirklich darin aussah. Es würde sich ihr schon noch offenbaren, dachte sie, als sie in Richtung Küche ging. So aufgebracht hatte sie Dessie zwar noch nie gesehen, aber sie arbeitete schließlich erst seit ein paar Wochen hier, und vielleicht war auch Dessies heutiges Verhalten nichts Ungewöhnliches. Sie würde einfach das Frühstück vorbereiten, wie an jedem anderen Tag auch.

Was Andie allerdings überraschte, war, dass sich in der großen Wohnküche schon zwei Personen befanden. Normalerweise trudelten die ersten Gäste tatsächlich erst zwischen sieben und halb acht ein.

Die beiden, ein rothaariges Mädchen und ein großer Junge, ungefähr in Andies Alter, bemerkten anscheinend ihre hochgezogenen Augenbrauen. Wohl unschlüssig, was sie sagen sollten, stellten sie sich vor. »Hallo, wir sind Val und Sam«, sagte der Junge.

Andie ging zu einem der Schränke an der Wand, öffnete die Türen, holte Teller heraus und begann, die Tische zu decken. »Ich bin Andie, ich arbeite hier. Eigentlich gibt's Frühstück erst ab sieben.«

Die beiden sahen sich an. »Ja, das wissen wir«, meinte die Rothaarige, »aber wir hatten gehofft, wir könnten schon früher etwas bekommen. Eine Tasse Kaffee? Eine Scheibe Toast?«

Andie bemerkte, wie Sam von einem Fuß auf den anderen trat. Auch Val sah nervös aus. »Jetzt setzt euch doch erst einmal.«

»Wir wussten nicht, ob wir vielleicht die Besitzerin mit unserer Bitte verärgert haben«, sagte Sam. »Sie hat die Gläser fallen lassen, die sie dort drüben in den Schrank stellen wollte, und ist aus dem Zimmer gelaufen.«

»Wir wollen ja echt keine Umstände machen, aber eine Tasse Kaffee ist doch drin, oder nicht?«, meinte Val.

Mit gerunzelter Stirn ging Andie zum Schrank hinüber. Tatsächlich. Auf dem Fußboden lagen zwei Weingläser in Scherben. »Ja, ich mach gleich die Maschine an«, sagte Andie zerstreut.

»Es ist nur so, wie wir schon der Besitzerin erklärt haben«, redete Sam weiter, »dass wir einen Anruf von unserer Freundin Denise bekommen haben. Sie und ihr Freund Nate sind gestern Nacht im Thistle Inn untergekommen. Hier war ja nur noch ein Zimmer frei und die beiden mussten sich was anderes suchen. Naja, und jetzt, jetzt ist Nate irgendwie verschwunden oder so.«

»Auf jeden Fall hat Denise vorhin ganz panisch angerufen«, fühlte Val sich genötigt, weiter zu erklären, wahrscheinlich, weil sie sich erhoffte, so schneller an ihr Frühstück zu kommen. »Als sie heute Morgen aufgewacht ist, war Nate nicht mehr da. Ob wir so schnell wie möglich rüberkommen können. Was wir da machen sollen, weiß ich auch nicht. Durch unsere Anwesenheit kommt er schließlich auch nicht schneller wieder. Wahrscheinlich ist er schon zurück, bis wir da sind.« Energisch schob sich Val eine rote Locke hinter das Ohr.

Gedankenverloren schaltete Andie die Kaffeemaschine an und holte das Toastbrot aus dem Schrank. »Das Thistle Inn? Mrs MacDonald?«

»Ja, genau.« Val setzte sich an einen Tisch. »Nate ist wahrscheinlich nur spazieren gegangen. Er hat manchmal so komische Anwandlungen. Wollte vielleicht die Arrochar Alps bei Sonnenaufgang sehen oder so etwas.«

»Ohne Denise eine Nachricht zu hinterlassen?« Sam stand immer noch und holte sein Handy aus der Tasche. »Zumindest hat sie noch nicht geschrieben, dass er schon wieder zurück ist, und es ist schon mindestens eine Stunde her, seit sie bemerkt hat, dass er fehlt.«

Val winkte sichtlich genervt ab und nahm dann erleichtert die Tasse Kaffee entgegen, die Andie ihr reichte. »Jetzt lass uns wenigstens erst einmal frühstücken«, sagte sie, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte.

Andie tat ein paar Scheiben Brot in den großen Toaster und stellte eine Auswahl an Marmeladen und Honig auf den Tisch, an den sich Val gesetzt hatte. »Also, kann ich euch Eier und Speck anbieten? Das ist schnell gemacht.« Bevor die beiden geantwortet hatten, holte sie schon die große Pfanne aus dem Schrank und die Zutaten aus dem Kühlschrank. Schließlich wollten die meisten der anderen Gäste, die bald eintrudeln würden, bestimmt das obligatorische schottische Fry Up essen. Wenn sie das Frühstück alleine zubereiten musste, dann würde es für sie ganz schön stressig werden. Der Gedanke erinnerte sie daran, dass Dessie einfach abgehauen und die beiden Gäste allein in der Küche gelassen hatte.

»Nein, so früh am Morgen kriege ich so etwas nicht runter«, lehnte Val ab.

»Dann für mich auch nicht«, sagte Sam.

Das gab Andie genug Zeit, die Frühstückscerealien und das Obst, die Milch und diverse Säfte auf dem Frühstücksbuffet anzurichten. »Also Dessie, ich meine Mrs McKendrick, ist einfach aus dem Zimmer gelaufen, als ihr um ein früheres Frühstück gebeten habt?«, fragte sie verwundert.

»Na ja, nicht sofort«, antwortete Val mit vollem Mund und schluckte den Bissen Toast hinunter, bevor sie weitersprach. »Erst als wir erklärt haben, warum wir gerne früher frühstücken wollen, ließ sie die Gläser fallen. Ich dachte erst, sie wolle ein Kehrblech holen, aber als sie nicht wiederkam …« Val zuckte mit den Schultern.

»Wahrscheinlich hat sie das Ganze an ihre eigene Vergangenheit erinnert«, dachte Andie laut nach. Als sie sich umdrehte, sahen Sam und Val sie erwartungsvoll an. Andie wurde rot. »Dessies Mann ist vor zehn Jahren hier in Tarbet verschwunden«, fuhr sie fort und ärgerte sich, dass sie sich nun in Erklärungsnot befand. Aber vielleicht würden die beiden sich ja mit dieser kurzen Erläuterung zufriedengeben, hoffte sie. Nichts da. Sie hatte sie natürlich damit nur noch neugieriger gemacht.

»Wie, verschwunden?«, wollte Val wissen. »Er wird immer noch vermisst, oder was?«

»Genau«, murmelte Andie, drehte den beiden den Rücken zu und beschäftigte sich mit den Vorbereitungen für das typisch schottische, gekochte Frühstück, das meist aus Eiern, Speck, Blutwurst, Würstchen, Pilzen, Tomaten und Hash Browns bestand.

»War das hier in diesem B&B?«, ließ Val nicht locker.

»Nein, damals hatte Dessie das B&B noch nicht. Sie wohnte noch gar nicht hier. Dessie und ihr Mann waren Touristen, so wie ihr, die hier in Tarbet Urlaub gemacht haben. Dann ist ihr Mann verschwunden, und … Mehr weiß ich auch nicht«, sagte Andie und biss sich auf die Lippe.

»Aber …« Val ließ sich so leicht nicht vom Thema abbringen. Sam war mehr damit beschäftigt, sein Handy zu checken.

»Es ist schon zehn Jahre her«, unterbrach Andie Val. Sie zwang sich zu einem Lächeln und drehte sich um. »Damals war ich ja noch ein Kind, als das passiert ist.«

Sie steckte das Brot in den silbernen Toasthalter und stellte ihn auf den Tisch.

»Mein Gott, du wirst ja wohl schon hören, wenn du eine SMS von Denise bekommst«, sagte Val zu Sam und rollte verärgert mit den Augen. »Außerdem wird sie bestimmt anrufen, wenn Nate wieder auftaucht.«

»Ja, wenn er wieder auftaucht«, meinte Sam skeptisch, immer noch auf das Display starrend.

Andie machte sich wieder daran, Pilze zu schneiden, beobachtete Val und Sam aber aus dem Augenwinkel. Das Verschwinden des jungen Mannes war sonderbar, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Dessie vor zehn Jahren Ähnliches passiert war wie dieser Denise. Aber Andie hatte Val und Sam noch nie vorher gesehen, weder in Träumen noch anderswo, und war sich ziemlich sicher, dass ihre Aufgabe hier nichts mit ihnen zu tun hatte. Wenn Nate irgendetwas Schlimmes zugestoßen wäre oder zustoßen würde, dann wäre sie wohl die Erste, die davon erfuhr, und zwar bevor es passierte. Also konnte sie Val guten Gewissens beipflichten. »Der kommt bestimmt wieder.«

»Das glaube ich nicht.« Dessies Stimme hörte sich gefasst an. Andie hatte gar nicht gemerkt, dass ihre Chefin wieder in die Küche gekommen war und drehte sich zu ihr um. Dessies Gesichtsausdruck wirkte wieder völlig neutral, so als ob nie etwas Ungewöhnliches vorgefallen wäre. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Nate nicht wiederkommen wird.« Sie ging zu dem Tisch hinüber, an dem Sam und Val saßen und sagte resolut zu ihnen, in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: »Los, wir holen Denise ab und fahren zum Polizeirevier in Helensburgh. Ich fahre.«

Val und Sam sahen sich erst überrascht an, standen dann allerdings auf.

»Ähm, okay«, sagte Val unsicher. Doch Dessie war schon aus dem Zimmer gestürmt. Val und Sam folgten ihr, und aus dem Fenster konnte Andie beobachten, wie sie zu Dessie ins Auto stiegen und wegfuhren.

Andie kaute auf der Unterlippe herum und schaute dann auf die Uhr. Fünf vor sieben. Gott sei Dank schienen die anderen Gäste noch auf sich warten zu lassen. Zeit genug, einen Anruf zu tätigen. Andie zog ihr Handy aus der Tasche und wählte die eingespeicherte Nummer vom Thistle Inn.

Kapitel drei

Die Fahrt nach Helensburgh, wo sich das für Tarbet zuständige Polizeirevier befand, dauerte gewöhnlich eine halbe Stunde, fühlte sich für alle im Auto aber sicher an wie eine Ewigkeit. Anfangs hatte Val, die darauf bestand, vorne zu sitzen, ein paar Fragen gestellt. Zum Beispiel, warum sie unbedingt sofort zur Polizei fahren mussten. Aber Dessie hatte nur einsilbig geantwortet. Bald herrschte ein bedrücktes Schweigen. Denise, die sie vom Thistle Inn abgeholt hatten, kaute nur auf ihren Fingernägeln herum. Ihre Augen, denen Dessie im Rückspiegel ab und zu begegnete, wirkten noch trauriger als gestern Abend. Sam schaute Denise dauernd besorgt an. Val, sichtlich genervt, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte aus dem Fenster. Dessie konnte sich nicht vorstellen, dass sie tatsächlich verärgert darüber war, die Wanderung nicht fortzusetzen, so wie sie gestern Abend ausgesehen hatte. Vielmehr vermutete sie, dass Val nicht darüber erbaut war, was für ein Drama um Nates Verschwinden gemacht wurde. Wenn sie das rothaarige Mädchen richtig einschätzte, dann war sie gewöhnlich diejenige, die im Mittelpunkt stand.

Die Stimmung im Auto wurde immer unangenehmer, je näher sie Helensburgh kamen. Dessie war sehr erleichtert, als sie endlich auf den Parkplatz vor der Polizeistelle einbiegen konnte, und wartete ungeduldig, bis alle aus dem Auto ausgestiegen waren. Schnell drückte sie auf den Schlüssel, um ihren Wagen automatisch abzuschließen und eilte dann ins Gebäude.

»Jetzt warten Sie doch mal!«, rief Val ihr nach. »Wollen Sie uns vielleicht nicht zuerst einmal sagen, wieso wir hierhergekommen sind?«

»Du, Nate ist immer noch nicht wieder zurück«, sagte Denise mit sanfter Stimme, und hielt dabei ihr Handy hoch. Sie hatte wohl Mrs MacDonald gebeten, sich bei ihr zu melden, sollte Nate zum Thistle Inn zurückkehren.

»Ja, aber da muss man doch nicht sofort zur Polizei rennen«, regte sich Val auf.

»Ihm kann doch nur was zugestoßen sein, er hätte doch nicht Denise …«

Dessie hörte nicht mehr, wie Sam diesen Satz beendete, weil sie schon durch die Drehtür ins Polizeigebäude gegangen war.

An der Rezeption saß eine ältere Dame, die auf den ersten Blick wie eine gemütliche schottische Großmutter aussah. Graue Haare, zu einem lockeren Dutt aufgetürmt, eine Brille, die tief auf der Nasenspitze saß. Es hätte zu dem Bild gepasst, wenn sie dort hinter dem Schreibtisch mit Stricknadeln und Wolle gesessen hätte. Doch als Dessie näher trat, fiel ihr auf, dass der erste Eindruck trog. Rosa Simmonds, wie die Dame laut dem Namensschild hieß, hatte einen äußerst scharfen Blick. Ihre Stimme passte allerdings wieder zum Erscheinungsbild, fand Dessie, als Rosa mit kehligem, weichem Highland-Akzent sagte: »Hallo, meine Liebe. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich muss unbedingt mit Inspektor Murray sprechen«, antwortete Dessie in recht barschem Tonfall. Sie hatte keine Zeit für ein gemütliches Schwätzchen.

»Da muss ich Sie wohl enttäuschen … Miss McKendrick, richtig? Inspektor Murray ist seit zwei Jahren pensioniert. Worum geht es denn?«

»Mrs McKendrick«, verbesserte Dessie. »Das möchte ich lieber mit dem zuständigen Beamten besprechen.«

»Dachte ich es mir doch, dass Sie es sind«, plauderte Rosa Simmonds locker weiter. »Von Dessie’s B&B, richtig?«

»Ja, ja. Wer ist denn nun Inspektor Murrays Nachfolger?«

»Das wäre Inspektor Declan Reid, meine Liebe. Mögen Sie mir vielleicht nicht doch lieber sagen, um was es sich hier handelt?«

Mittlerweile waren Sam, Denise und Val auch an der Rezeption angekommen. Rosa warf ihnen neugierige Blicke zu.

»Denises Freund Nate ist verschwunden«, meinte Dessie seufzend und etwas ungehalten. »Ich möchte aber erst einmal mit Inspektor Reid sprechen, weil ich wertvolle Informationen zu dieser Sachlage habe.«

»Ach, Sie Arme«, sprach Rosa Denise an. »Wie lange ist er denn schon …«

»Bitte! Es ist wirklich wichtig, dass ich sofort mit Inspektor Reid spreche«, unterbrach Dessie sie.

Rosa schaute sie einen Moment lang an.

»Na gut, bitte warten Sie kurz.«

Rosa verschwand durch die Tür, die in das Innere des Polizeipräsidiums führte. Tür und Wand hinter Rosas Schreibtisch waren aus Glas, sodass man die Schreibtische und Personen im Großraumbüro dahinter erkennen konnte. Dessie beobachtete, wie Rosa zu einem jungen Mann hinüberging, der nicht, wie die meisten anderen Leute im Büro, in eine Uniform gekleidet war. Stattdessen hatte er einen schlecht sitzenden Anzug an. Während seines Gesprächs mit Rosa griff er sich an den Knoten seiner Krawatte und lockerte ihn. Dem Inspektor war sichtlich unbequem in seinen Kleidern. Dessie kniff die Augen etwas zusammen, um seine Gesichtszüge aus der Distanz auszumachen. Er war jung, zumindest für einen Inspektor. Jedenfalls nicht viel älter als Dessie selber, also etwa Anfang 30. Wahrscheinlich trug er in seiner Freizeit Jeans und T-Shirts. Seine braunen Haare waren etwas zu lang, und dem verstrubbelten Look nach zu urteilen, hatte er sich wohl heute schon öfter die Haare gerauft. Auch wenn sie ihn von weiter weg betrachtete, so kam er ihr nicht vor wie jemand, der sich absichtlich die Haare so stylte. All diese Gedanken flogen Dessie durch den Kopf, während sie nervös wartete.

Nachdem Rosa eine Weile, eine zu lange Weile in Dessies Augen, mit dem Inspektor geredet hatte, drehten sie beide ihre Köpfe in Dessies Richtung. Schließlich nickte Inspektor Reid. Rosa kam wieder zu ihrem Schreibtisch zurück, öffnete die Tür und sagte: »Bitte kommen Sie doch herein, Mrs McKendrick.«

Dessie rauschte an ihr vorbei und ließ sich auf den Stuhl vor Inspektor Reids Schreibtisch plumpsen. »Inspektor«, sagte sie außer Atem, »mein Name ist Dessie McKendrick, mir gehört ein Bed & Breakfast in Tarbet und ich wohne etwa seit zehn Jahren dort, seit mein Mann verschwunden ist. Und das ist auch der Grund, warum ich mit Ihnen sprechen möchte. Es ist nämlich so …«

»Langsam, langsam, Mrs McKendrick«, unterbrach sie Inspektor Reid. Sein autoritärer Ton passte nicht so ganz zu dem Anflug von Unsicherheit in seinen hellbraunen Augen. »Ich bin mir über Ihre Situation bewusst. Rosa hat mich darüber informiert, was mit Ihrem Mann passiert ist. Sie brauchen also nicht so weit auszuholen.«

»Ja, aber genau darum geht es hier doch«, antwortete Dessie unwirsch. Sie ärgerte sich, dass sie schon wieder an jemanden geraten war, der ihre Bedenken als unwichtig abtat. Dieser Mann war eindeutig befördert worden, bevor er in der Lage war, die Verantwortung für sein Amt zu tragen, das konnte wohl ein Blinder erkennen, dachte sich Dessie. Wahrscheinlich sahen seine Leistungen auf dem Papier gut aus und in der Praxis war er eine Niete. Kurz hatte sie zu hoffen gewagt, dass der neue Inspektor kompetenter als Inspektor Murray sein würde. Ihre Hoffnungen wurden jetzt schon zerschlagen. Sie würde ihm alles einfach ganz genau erklären müssen. Dessie seufzte und begann von Neuem:

»Jetzt hören Sie mir doch ganz einfach einmal zu.« Der Inspektor hob die Hände, die Handflächen nach außen, in einer Geste, die halb abwehrend, halb auffordernd wirkte. Er setzte eine duldsame Miene auf und Dessie fuhr fort. »Vor genau zehn Jahren übernachteten mein Mann Connor und ich in Tarbet. Wir hatten gerade geheiratet und verbrachten unsere Flitterwochen in den Highlands. Mein Mann ist …«, Dessie zögerte, »… war aus Edinburgh und ich Studentin in Canterbury, in England. Wir sind auf dem West Highland Way gewandert und haben einen Abstecher nach Tarbet gemacht. Wir kamen dort erst spät abends an, und obwohl es ja so viele B&Bs und Gasthäuser in Tarbet gibt, war nirgendwo ein Zimmer frei. Schließlich sagte man uns, dass wir es doch einmal im Thistle Inn bei Mrs MacDonald versuchen sollten. Tatsächlich waren die beiden Zimmer im Thistle Inn nicht belegt und wir mieteten uns dort für eine Nacht ein.«

Dessie holte tief Luft. Inspektor Reid schaute auf seine Armbanduhr. Schnell erzählte Dessie weiter, so emotionslos wie möglich. Das war ihr ausnahmsweise einmal möglich, weil ihre Wut über Inspektor Reids Verhalten – er nahm sie anscheinend nicht ernst und glaubte, Besseres zu tun zu haben – irgendwie den Schock und die Trauer neutralisierte, die sie immer noch überkamen, wenn sie an diesen Moment dachte. »Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Connor verschwunden. Und, um es kurz zu machen, er wird bis heute vermisst. Die Ermittlungen wurden irgendwann eingestellt, weil ihr Vorgänger …«, Dessie fuchtelte aufgebracht mit den Armen, »Inspektor Murray, es nicht für nötig gehalten hatte, Connors Verschwinden als einen Fall für die Polizei zu betrachten. Ich brauche Ihnen ja nicht zu erklären, wie das läuft. Ein junger Mann, ohne entsprechende Vorgeschichte und auch nicht psychisch oder anderweitig krank – da wird einfach angenommen, dass er sich freiwillig vom Acker gemacht hat. Inspektor Murray fand Connors finanzielle Situation merkwürdig und es gab andere Ungereimtheiten …« Dessie merkte, dass sie sich in Rage geredet hatte und zwang sich dazu, sich zu beruhigen. »Das tut jetzt aber nichts zur Sache. Fakt ist, dass niemand außer mir lange nach meinem Mann gesucht hat und sein Verschwinden bis heute ungeklärt bleibt. Jetzt, Inspektor Reid, müssen Sie die Ermittlungen wieder aufnehmen!«

»Muss ich das?«, fiel ihr Inspektor Reid mit hochgezogenen Augenbrauen ins Wort.

»Ja«, rief Dessie ungeduldig. »Sehen Sie, Inspektor, denn es ist wieder genau das Gleiche passiert. Wieder ein junger Mann. Wieder im Thistle Inn. Wieder bei Mrs MacDonald. Ziemlich genau zehn Jahre später. Das kann doch kein Zufall sein.«

Jetzt hatte sie endlich Inspektor Reids Aufmerksamkeit. Er rutschte ungemütlich auf seinem Stuhl hin und her. »Wie bitte?«

»Ja, gestern standen zwei Pärchen bei mir vor der Tür, wieder war es spät, ich hatte nur noch ein Zimmer frei, anscheinend das letzte im ganzen Ort. Ein Pärchen kam bei mir unter, das andere schickte ich weiter. Ich wusste mir keinen anderen Rat, als sie zum Thistle Inn zu schicken, schließlich wollte ich sie nicht die ganze Nacht in Tarbet herumirren lassen. Ich hatte schon ein schlechtes Gefühl dabei. Das Pärchen, Denise und Nate heißen sie, mietete tatsächlich ein Zimmer bei Mrs MacDonald. Und heute Morgen erfahre ich, dass Nate über Nacht spurlos verschwunden ist.«

Inspektor Reid starrte Dessie für einen Moment lang verwundert an, bevor sein Blick in Richtung Glasscheibe wanderte. »Sind das die Personen, von denen Sie reden?«

Dessie nickte schon, bevor sie sich automatisch umdrehte. Durch die Glasscheibe sah sie, dass Denise auf der Couch im Eingangsbereich des Präsidiums saß, Rosa eine dampfende Tasse auf den niedrigen Tisch vor das Mädchen stellte und auf sie einredete. Sam stand neben Denise, hatte eine Hand auf ihre vornübergebeugten Schultern gelegt und die Brauen sorgenvoll zusammengezogen. Val stand etwas weiter weg und hatte das Gesicht ebenfalls verzogen. Ihre Miene wirkte auf Dessie allerdings eher verärgert als besorgt.

»Genau«, sagte Dessie und drehte sich wieder zu Inspektor Reid um. »Das junge Mädchen, das sitzt, ist Denise. Die anderen beiden sind Val und Sam. Ich habe die drei hierher gefahren.«

Inspektor Reid stand auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare »Dann bedanke ich mich, Mrs McKendrick. Ich würde doch gerne erst einmal mit Denise sprechen.«

»Dann gebe ich Ihnen noch ein paar Informationen für den Bericht, damit Sie die nicht im System nachschauen müssen«, sagte Dessie und zeigt mit dem Kinn in Richtung Computer. »Sagen Sie mir doch dann bitte einfach, wann ich herkommen und meine Aussage unterschreiben soll.«

Inspektor Reid seufzte und kratzte sich an der Wange.

»Das wird zunächst nicht nötig sein, Mrs McKendrick. Ich spreche erst mal mit der jungen Dame, dann kontaktieren wir Freunde und Verwandte, und ich bin mir sicher, wie in neunzig Prozent der Fälle wird sich das von alleine lösen. Es ist«, er schaute wieder auf die Armbanduhr, »gerade mal acht Uhr. Ich weiß, das ist eine sensible Sache für Sie, mit Ihrer Vorgeschichte, aber die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Nate …«

»Inspektor Reid«, sagte Dessie durch zusammengebissene Zähne. Sein herablassender Ton ärgerte sie maßlos, aber sie wusste, dass es nichts brachte, emotional zu werden, wenn sie vom Inspektor ernst genommen werden wollte. »Ich bestehe darauf, dass Sie zumindest einen Bericht zu meiner Aussage machen.« Inspektor Reid schien ein Moment abzuwägen, setzte sich dann jedoch resigniert hin. Er schob ein paar Dokumente auf seinem Schreibtisch hin und her und fand in dem Chaos ein leeres Blatt Papier. »Na dann, voller Name?«

»Desdemona LaFleur.«

Der Inspektor, den Stift schon auf dem Papier, hielt inne und sah sie fragend an.

»McKendrick ist der Name meines Mannes. Als wir geheiratet haben, hat er meinen Namen LaFleur angenommen. Das ist also der Name, der in meinem Pass steht. Desdemona LaFleur. Doch seit dem Verschwinden meines Mannes nenne ich mich McKendrick.«

Dessie hielt Inspektor Reids Blick herausfordernd stand. Sie konnte sich denken, was in seinem Kopf vorging. Er hatte nicht gerade ein Pokerface. Schließlich schrieb er den Namen auf, stellte ihr ein paar weitere Fragen zu ihrer Person und fragte nach ihrer Telefonnummer.

»So, Mrs LaFleur … äh … McKendrick, ich würde dann wirklich gerne erst einmal mit Denise sprechen. Es ist ja sehr nett von Ihnen, dass Sie die jungen Leute hierhergebracht haben. Aber einer meiner Constables kann sie dann wieder nach Tarbet fahren. Es ist nicht nötig, dass Sie noch hier warten.« Als er sah, dass Dessie im Begriff war, ihm ins Wort zu fallen, fügte er schnell an: »Hören Sie, ich verstehe ja, dass Sie glauben, es gäbe eine Verbindung zwischen diesem Ereignis und dem Verschwinden Ihres Mannes. Es scheint mehr als nur ein Zufall zu sein. Ich versichere Ihnen, sollte das tatsächlich der Fall sein, dann werde ich der Sache nachgehen. Aber ich muss erst die Fakten prüfen …«

Dessie konnte sich jetzt nicht länger zurückhalten. »Das weiß ich doch, Inspektor. Aber Sie müssen mir glauben, da stimmt etwas nicht. Mein Bauchgefühl sagt mir …«

Nun war Inspektor Reid an der Reihe, Dessie zu unterbrechen. Auch seine Geduld schien ein Ende zu haben.

»Ihr Bauchgefühl in allen Ehren. Aber wir hier bei der Polizei müssen unsere Ermittlung nun doch noch auf Fakten stützen.« Seine Augen blitzten, stellte Dessie überrascht fest. Da schien doch ein hitziges Temperament in ihm zu schlummern.

Dessie überlegte einen Moment, stand dann auf und schüttelte Inspektor Reid die Hand. Sie wandte sich schon zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal um. »Fakten haben mir leider bislang nicht viel geholfen«, sagte sie mit sanfter, trauriger Stimme. »Seit zehn Jahren sammele ich alle Fakten, jedes einzelne Detail, das ich zu Connors Verschwinden finden kann, und bin kein Stück weiter gekommen, um herauszufinden, was mit der Liebe meines Lebens passiert ist.«

Kapitel vier

Andie hatte alle Hände voll zu tun, die Gäste zu bedienen, die anscheinend alle den gleichen Einfall hatten und früh aufgestanden waren. Es versprach ein sonniger Tag zu werden und die meisten wollten das schöne Wetter nutzen und zeitig zu ihren Wanderungen aufbrechen. Um acht waren alle gesättigt und schon aus dem Haus oder gar ausgecheckt.

Alle, bis auf einen Gast, wie Andie feststellen musste, als sie die Gelegenheit ergreifen und das kleine Büro in Dessies Abwesenheit auf Hinweise darauf untersuchen wollte, was genau hier ihre Aufgabe war. Sie hoffte, irgendwo einen Schlüssel zu Zimmer Nummer 3 zu finden, um sich darin umsehen zu können. Doch gerade, als sie vor dem Büro stand, kam jemand mehrere Türen weiter aus Zimmer 7. Der attraktive amerikanische Dauergast. Wie hieß er doch gleich? Irgend so ein Name wie aus einem dieser Liebesroman-Heftchen.

»Hallo!«, begrüßte er sie. Andie drehte sich unschlüssig zu ihm um. »Andrea, richtig?«

»Äh, ja. Alle nennen mich Andie.«

Er schenkte ihr ein blendendes Lächeln. »Grayson. Grayson DuMont. Ich bin sozusagen jeden Sommer hier zu Hause.« Andie nickte nur abwesend. Sie hatte eigentlich keine Lust, sich zu unterhalten, denn so oft war sie nicht allein im B&B und sie wollte gerne die Gunst der Stunde nutzen.

»Ist Dessie nicht da?«, fragte Grayson.

»Nein, sie musste nach Helensburgh auf das Polizeirevier. Entschuldigen Sie mich, aber ich sollte … äh, mich um die Wäsche kümmern.« Sie nickte Grayson zu und ging ins Büro, um sich die Schlüssel zu den Zimmern zu holen, deren Gäste schon abgereist waren. Sie ärgerte sich, dass ihr spontan keine Tätigkeit eingefallen war, die es rechtfertigte, sich länger im Büro aufzuhalten. Die Schlüssel in der Hand ging sie wieder in den Korridor, in der Hoffnung, dass der Amerikaner nicht mehr dort war, aber Mr DuMont stand immer noch am selben Fleck und checkte anscheinend etwas auf seinem Handy. Es blieb Andie nichts anderes übrig, als in die Zimmer zu gehen, die Betten abzuziehen und die benutzen Laken und Handtücher in den Haushaltsraum zu bringen. Nun, diese Aufgabe hatte sie sowieso zu erledigen gehabt, also konnte sie auch gleich die Maschinen anstellen. Dessie war noch nicht zurück und sie musste sowieso die Zimmerschlüssel zurück ins Büro bringen. Hoffentlich blieb ihr etwas Zeit, dort herumzuschnüffeln.

Gerade hatte sie die Waschpulver in die drei großen Maschinen gefüllt, als ihr Handy klingelte. Sie zog es aus der Jeanstasche und schaute aufs Display. Es war Sarah, eine Kommilitonin.

»Hallo Sarah«, sagte sie, und stellte die Maschinen der Reihe nach an. »Wie geht’s?«

»Hi. Nicht schlecht. Hab mich immer noch nicht von dieser ekligen Genetik-Prüfung erholt und du?«

Andie lachte. »Erinnere mich nicht daran. Ich hab sie einfach verdrängt.« Die lauten Geräusche der sich drehenden Trommeln erfüllten den kleinen gekachelten Haushaltsraum. Andie ging hinaus, um ihre Freundin besser verstehen zu können. Ihr Blick fiel auf das andere Zimmer, das in dem kleinen Gang gelegen war, in dem sich auch der Haushaltsraum befand. Das war Dessies eigenes Schlafzimmer mit angrenzendem Bad. Wenn sie sich doch da drin mal umsehen könnte, das wäre vielleicht auch nützlich, dachte sie, schaute sich um und drückte die Klinke herunter. Natürlich war die Tür abgeschlossen. »Was gibt’s«, fragte sie Sarah zerstreut.

»Ich wollte fragen, ob du Lust hast, mit Kirsten und mir heute Abend ins Kino zu gehen. Der neue Film von den Coen-Brüdern ist angelaufen. Du hast doch mal erzählt, dass du ein Fan bist.«

»Ach so, du, ich bin gar nicht in Edinburgh, sondern zu Hause, in Tarbet.« Schon wieder sah Andie, wie sich die Tür zu Zimmer 7 öffnete und sie schlüpfte in die Küche, die sich genau neben dem Gang zum Haushaltsraum und Dessies Zimmer befand. Sie hatte keine Lust, Grayson schon wieder zu begegnen. Hoffentlich war er dabei, das B&B zu verlassen, dann wäre sie ganz ungestört.

»Zu Hause?«, sagte Sarah überrascht. »Wieso das denn? Ich dachte, du machst das Praktikum im Labor von Crump & Kendall? Du warst doch so überglücklich, als du das bekommen hast.«

Andie verzog das Gesicht. »Ja«, seufzte sie. »Das war ich auch.« Sie hatte sich um den begehrten Praktikumsplatz beworben, ohne sich große Hoffnungen zu machen und war völlig von den Socken gewesen, als sie die Zusage bekam. Aber sie hatte bald der Realität ins Auge blicken müssen, dass sie es sich nicht leisten konnte, mehrere Wochen unbezahlt zu arbeiten. Obwohl sie wusste, dass es nichts brachte und sich ihre Eltern nur schlecht fühlen würden, hatte sie ihre Mutter gefragt, ob sie ihr aushelfen könnten.

»Tut mir leid, Liebes«, hatte ihre Mutter am Telefon gesagt und geseufzt: »Du weißt ja, wie es ist.« Sie wusste es nur zu gut und bereute, überhaupt gefragt zu haben. Die kleine Invalidenrente ihres Vaters, der seinen Beruf als Schlosser nicht mehr ausüben konnte, brachte ihre Eltern gerade so über die Runden. Früher hatte ihre Mutter im Tarbet Hotel gearbeitet, aber nach einer längeren Krankheit hatte man ihr nur noch saisonale Arbeit angeboten. Stattdessen arbeitete sie jetzt halbtags als Raumpflegerin in Helensburgh und überwies Andie jeden Monat einen kleinen Betrag, der aber noch nicht mal für die Miete ihres Zimmers reichte. Zähneknirschend hatte Andie das Praktikum wieder absagen müssen. Zumindest hatte man ihr in Aussicht gestellt, vielleicht ihr Praxissemester dort machen zu dürfen, und somit hatte sie diese einmalige Chance hoffentlich nicht gänzlich vertan. Das alles wollte sie Sarah aber nicht auf die Nase binden. Außerdem hatte sie ihre Pläne nach dem Traum sowieso ändern müssen.

»Leider hat das nicht geklappt«, sagte sie knapp. »Und ich habe hier einen guten Job gefunden, also bin ich für den Sommer nach Hause gefahren.«

»Echt?« Sarah klang skeptisch. »Nach Tarbet? Das ist doch so ein kleines Kaff, hast du erzählt, oder?«

»Ja«, antwortete Andie deprimiert. »Ich wünsche euch viel Spaß im Kino. Ich hoffe, der Film läuft noch irgendwo, wenn ich wieder in Edinburgh bin. Das nächste Kino hier ist über fünfundzwanzig Meilen weit weg.«

»O Gott, du Arme«, sagte Sarah. »Hättest du keinen Job in Edinburgh finden können? Und vielleicht sogar einen besser bezahlten?«

»Vielleicht, aber … es gibt noch einen anderen Grund, dass ich den Sommer hier verbringe. Äh … eine Familiensache.«

Gott sei Dank gab sich Sarah mit dieser vagen Erklärung zufrieden. Außerdem, dachte sich Andie, als sie sich von ihrer Freundin verabschiedete und auflegte, war diese Ausrede schließlich gar nicht so weit hergeholt.

Kapitel fünf

Dessie hatte es nicht so eilig, wieder nach Tarbet zurückzukommen. Lieber wäre sie im Polizeirevier geblieben, hätte darauf gewartet, was bei dem Gespräch zwischen Inspektor Reid und Denise herausgekommen wäre. Aber es brachte ja auch nichts, sich stur den Wünschen des Inspektors zu widersetzen. Damit wäre auch niemandem geholfen.

Natürlich wurde ihr jetzt bewusst, als sie über ihre Unterhaltung mit Inspektor Reid nachdachte, dass sie ihm unrecht getan hatte. Inspektor Murray hatte sie nicht ernst genommen und sie war seinem Nachfolger so begegnet wie Inspektor Murray während der vielen Unterredungen, bei denen sie ihm ihre Theorien hatte nahebringen wollen. Jetzt war sie Declan Reid gegenüber genauso aggressiv aufgetreten wie Inspektor Murray am Ende.

Aber sie wusste sich auch nicht anders zu helfen! Das ihr so bekannte Gefühl der Ohnmacht überkam sie wieder und Dessie merkte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Selbstverständlich musste der Inspektor ihre Geschichte erst überprüfen, bevor er etwas unternahm. Beschämt und wütend auf sich selbst wischte Dessie die Tränen von den Wangen, als sie daran dachte, dass sie wie eine Verrückte ins Präsidium gestürmt war und wie sie sich Inspektor Reid gegenüber verhalten hatte. Doch sie hätte auch nicht gewusst, wie sie sich anders Gehör verschaffen könnte. Immer schien es ihr so eindeutig, dass die Ursache für Connors Verschwinden ein Verbrechen gewesen sein musste, aber niemand anderes wollte es sehen. Und jetzt, wo Nate dasselbe passiert war, so offensichtlich dasselbe passiert war, da mussten doch auch andere das einsehen, was sie ihnen schon seit zehn Jahren klarmachen wollte, und etwas unternehmen …

Und so drehten sich Dessies Gedanken im Kreise. Sie konnte die Tränen einfach nicht zurückhalten und als sie auf halbem Wege nach Tarbet war, sah sie die Straße vor sich so verschwommen, dass sie anhalten musste. Die Route von Helensburgh nach Tarbet führte immer am Westufer des Loch Lomond entlang und jetzt befand sie sich auf Höhe des Dorfes Luss. Dessie parkte ihren alten Nissan, zog die Handbremse an und saß einen Moment bewegungslos da. Schließlich stieg sie aus, überquerte die Straße und den schmalen grasbewachsenen Seitenstreifen mit den vereinzelten Bäumen, um zu dem schmalen Sandstrand am Ufer des Sees zu gelangen.

In der Ferne sah sie den Gipfel des Ben Lomond in den Wolken verschwinden, die an dem Berg vorbeizogen. Die Morgensonne warf ein schwaches Licht auf den hölzernen Pier von Luss einige hundert Meter links von ihr. Dessie trat an das Wasser heran, das gemächlich ans Ufer schwappte. Die Wasseroberfläche kräuselte sich ab und an, wenn ein Windhauch darüber strich; das Wasser war klar, und doch konnte kein Blick seine Dunkelheit durchdringen. Nicht umsonst rankten sich viele Mythen und Legenden um die Gewässer in Schottland, in deren unergründlichen Tiefen angeblich Kreaturen aus der Vorzeit oder gar einer anderen Welt hausten. Dessie zog es immer wieder ans Ufer dieses Sees, der nur einen kurzen – meist nächtlichen – Spaziergang von ihrem B&B entfernt war. Der Anblick des Lochs gab ihr jedes Mal einen sonderbaren inneren Frieden, während sich ihr gleichzeitig die Nackenhaare aufstellten. Ihr ganzer Körper kribbelte, so als ob sie etwas Freudiges erwartete oder Angst vor etwas haben müsse – sie war sich nie ganz sicher.

Dessies Tränen waren mittlerweile versiegt und sie holte tief Luft. Am gegenüberliegenden Ufer, so wusste sie, lag die Bucht von Milarrochy mit dem gleichnamigen Campingplatz. Ein schönes Fleckchen. Sie erinnerte sich daran, wie Connor und sie während ihrer Wanderung darüber nachgedacht hatten, dort das Zelt aufzuschlagen, das sie mit sich trugen. Doch obwohl ihre Rücken von der Last der schweren Rucksäcke schmerzten, hatten sie beschlossen, weiter bis zur Rowardennan-Jugendherberge zu wandern. Die Aussicht auf ein warmes Bett war einfach zu verführerisch.

Dessie lächelte traurig. Was wäre wohl gewesen, wenn sie damals eine andere Entscheidung getroffen hätten? Wenn sie auf dem Campingplatz geblieben wären? Wie anders hätte ihr Leben wohl ausgesehen. Ihr drängte sich der Gedanke auf, der ihr öfter schon gekommen war. Vielleicht hätte es nie anders kommen können, vielleicht hatte es das Schicksal so gewollt, dass ihr und Connor nur ein kurzes Glück vergönnt gewesen war. Vielleicht war es zu gut, zu schön, zu märchenhaft gewesen, um von Dauer zu sein.

Amy spähte durch den Vorhang. »Er ist wieder da«, flüsterte sie.

Dessie strich sich das Haar aus dem Gesicht, als sie sich von ihrer Lockerungsübung wieder aufrichtete. Sie war sowieso schon nervös genug. Man könnte meinen, nach zwanzig Vorstellungen, bei denen sowieso niemand im Publikum saß, hätte sich ihre Nervosität längst gelegt. Sie wusste auch nicht, welchen Teufel Amy, Chris, Tom und sie geritten hatte, als sie sich für zwei Vorstellungen am Tag beim Edinburgh Fringe Festival angemeldet hatten. Sie waren alle zwar noch nie selber dort gewesen, aber natürlich wussten sie, wie viele Aufführungen, Theatergruppen und damit auch Wettbewerb es während des dreiwöchigen Theaterfestivals in der schottischen Hauptstadt gab. Das konnte man sich schon allein in Anbetracht der vielen Veranstaltungsorte denken, die den Theatergruppen für das Festival eine »Bühne« anboten. Dazu kam noch, dass in der gleichen Zeit das »große« Edinburgh Festival mit teuren Produktionen und Stars sowie auch das Filmfestival mit noch bekannteren Persönlichkeiten stattfanden. Naiverweise waren sie hier mit der Einstellung angekommen, dass das Fringe Festival nur auf eine Studententheatergruppe aus Canterbury gewartet hatte.

»Kann doch gar nicht sein!« Dessie rollte gespielt mit den Augen, war aber insgeheim geschmeichelt, dass der Mann sich schon wieder unter den wenigen Zuschauern befand.

»Doch, und er hat Blumen dabei«, rief Amy aufgeregt. Nun ging auch Dessie zum Vorhang, zog vorsichtig den schweren Samtstoff auseinander und wagte einen Blick auf die fünf Stuhlreihen vor der »Bühne«. Sie führten ihr Stück zwar in dem recht bekannten Underbelly auf, hatten sich aber nur einen winzig kleinen Raum ganz unten im Keller leisten können. Eine selbstgebaute Vorhangkonstruktion aus zwei Lampenständern, einer Gardinenleiste und alten Samtvorhängen unterteilte den Raum in Bühne und Auditorium. Kein Wunder, dass sich selten Leute hierhin verirrten, obwohl sie natürlich im Programmheft standen und sie vor jeder Vorstellung fleißig Flyer verteilten. Leider konkurrierten sie dabei oft mit hundert anderen Flyer-Verteilern auf der Royal Mile, wo die Leute in großen Trauben um die Straßenkünstler herumstanden oder sich an diesen Menschenaufläufen vorbeiquetschten, abwesend die Flyer in die Hand nahmen und ein paar Meter weiter wieder fallen ließen.