Hitzewelle - Monika Martin - E-Book

Hitzewelle E-Book

Monika Martin

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Beschreibung

An einem heißen Tag im Herbst finden drei Rentner aus Deutschland auf Levantino, einer kleinen Insel vor der italienischen Riviera, einen Toten, den angeblich niemand gekannt hat. War er Opfer des Streits um den Bau einer Wasserleitung, der die Dorfgemeinschaft in zwei Lager gespalten hat? Commissario Roberto Pagani stößt auf eine Mauer des Schweigens. Erst Kommissar Attila Benkö, der auf der Insel Urlaub macht, bringt Licht in das Dunkel und muss feststellen, dass nicht alles so ist, wie es scheint.

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Seitenzahl: 267

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Das Buch:

An einem heißen Tag im Herbst finden drei Rentner aus Deutschland auf Levantino, einer kleinen Insel vor der italienischen Riviera, einen Toten, den angeblich niemand gekannt hat. War er Opfer des Streits um den Bau einer Wasserleitung, der die Dorfgemeinschaft in zwei Lager gespalten hat? Commissario Roberto Pagani stößt auf eine Mauer des Schweigens. Erst Kommissar Attila Benkö, der auf der Insel Urlaub macht, bringt Licht in das Dunkel und muss feststellen, dass nicht alles so ist, wie es scheint.

Die Autorin:

Monika Martin, Jahrgang 1969, ist Sozialpädagogin und führt seit 1996 für das Institut für Regionalgeschichte, Geschichte für Alle e.V. historische Stadtrundgänge in Nürnberg durch.

„Hitzewelle“ ist ihr zweiter Kriminalroman.

Monika Martin lebt mit ihrer Familie in Schwanstetten bei Nürnberg.

Außerdem von Monika Martin bei Books on Demand erschienen:

„Die Tote im See“, August 2008

„Schattenschlag“, Februar 2012

„Apfelrausch“, August 2013

„Hochgericht“, Dezember 2014

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Levantino

Danksagung

1

Es war heiß und drückend schwül. Die gleißende Sonne, die seit Wochen erbarmungslos auf die ausgetrocknete Landschaft gebrannt hatte, wurde von dünnen Schleierwolken verdeckt. Die Natur lechzte nach Abkühlung und Regen. Das Leben stand nahezu still. Selbst der Wind, der gelegentlich etwas Frische vom Meer heran blies, schien heute durch die Hitze vertrieben worden zu sein. Auch die üblichen Geräusche eines Sommertages auf der kleinen Insel waren verschwunden. Es war kein Rauschen der Blätter zu hören, kein Vogel zwitscherte in den Zweigen und die an stürmischen Tagen so wilde Brandung lag regungslos in der Sonne. Nur das ausgelassene Zirpen der Zikaden durchbrach die Ruhe und wirkte dadurch noch aufdringlicher und schriller als sonst. Die heiße, immer feuchter werdende Luft roch intensiv nach Eukalyptus, Lavendel und Piniennadeln.

Am westlichen Horizont bildeten sich die ersten dicken Wolken, die im Laufe des Tages zu einer bedrohlichen Wetterfront auswachsen würden. Es würde auch heute so kommen, wie es die Bewohner Levantinos bereits seit Jahrzehnten kannten. Nach Wochen der Trockenheit und Dürre gingen starke Gewittergüsse auf die ausgedorrte Erde nieder, die diese Wassermengen nicht aufzunehmen in der Lage war. Die Folge waren Überschwemmungen, Erdrutsche, Schlamm und Geröll, die der ohnehin mageren Ernte der Insel meist den Rest gaben.

Jedes Jahr hofften die Menschen darauf, dass es diesmal nicht so schlimm werden möge, doch in den letzten Jahren wurden ihre Gebete immer seltener erhört.

Luca Bottini stapfte missmutig durch das hohe Gras, atmete schwer und wischte sich im Minutentakt den Schweiß von der Stirn. Er fluchte innerlich über das Wetter und darüber, dass er mittlerweile in einer so schlechten körperlichen Verfassung war. Dieser kurze Spaziergang hätte ihn früher keinerlei Anstrengung gekostet. Er hätte ihn sogar im Laufschritt zurücklegen können, ohne seinen Puls spürbar in die Höhe zu treiben. Doch leider waren die letzten Jahre nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Er würde in wenigen Jahren 50 werden und dort, wo einst straffe, durchtrainierte Muskeln waren, wuchs der Bauch besorgniserregend schnell. Zum wiederholten Male nahm er sich fest vor, wieder mehr für sich und seinen Körper zu tun, sich gesünder zu ernähren und Sport zu treiben.

Bevor er dieses Vorhaben mehr oder weniger motiviert in die Tat umsetzen konnte, musste er jedoch erst den Auftrag erledigen, der ihm das so dringend benötigte Kleingeld einbringen würde.

Er hatte in seinem Leben schon unzählige Male mit solchen oder ähnlichen Jobs sein Geld verdient, ohne Fragen zu stellen, oft ohne die Auftraggeber wirklich zu kennen.

Manchmal fragte sich Luca Bottini, wann er die Weichen für seine berufliche Karriere gestellt hatte und ob es nicht immer noch möglich wäre umzuschwenken und sich in die Sicherheit eines bürgerlichen Lebens zu begeben. Doch auch diese Pläne versandeten, gemeinsam mit dem Vorhaben Sport zu treiben und weniger zu trinken, im Nichts.

Ein leichter Wind kam auf. Luca blickte zum Himmel. Er konnte die Gewitterwolken noch nicht sehen und durch sein Leben in der Stadt war ihm das Gespür für das Wetter abhanden gekommen. Er hielt kurz inne und genoss das zarte Lüftchen auf seinem schweißnassen Gesicht.

Bereits seit über zwei Stunden war er jetzt unterwegs zu dem Haus, von dem sein Auftraggeber gesprochen hatte.

Langsam hatte er Zweifel, ob er den richtigen Weg gefunden hatte und ärgerte sich darüber, dass es auf dieser winzigen Insel kein Auto oder zumindest ein Moped oder einen Roller zu mieten gab. Gut, dieser Pfad, auf dem er im Moment unterwegs war, wäre selbst für einen Geländewagen unbefahrbar. Er fragte sich aber, ob es nicht auch einen besser begehbaren Weg zu dem Haus gab, schließlich war es ja auch einmal bewohnt gewesen. Die Leute hatten sich sicherlich nicht jedes Mal durch diese Wildnis gearbeitet.

Aber er durfte ja keine Fragen stellen und musste streng nach Auftrag handeln.

Er hatte Durst und setzte seinen Rucksack ab, um an die Wasserflasche heranzukommen. Zuerst hatte er den Kopf geschüttelt, als man ihm dringend anriet, das Wasser mitzunehmen. Er dachte, er schaffe den Weg problemlos in einer halben Stunde und wäre kurze Zeit später wieder zurück am Treffpunkt, um das Geschäft abzuwickeln, doch wie so oft hatte er sich geirrt.

Er nahm einen großen Schluck des lauwarmen und schalen Wassers aus der Plastikflasche und dachte sehnsüchtig an ein kühles Bier oder zumindest ein Glas frisches Mineralwasser mit Kohlensäure und einer halben Zitronenscheibe. Doch darauf musste er wohl noch etwas warten.

Die Stille, die über dem Land lag, war ihm nicht ganz geheuer. Er lebte in der Großstadt, wo selbst in der Nacht der Lärm in seine Wohnung drang und für ein ständiges Rauschen in den Ohren sorgte. Hier wurden seine Ohren einzig und allein durch das nervige Zirpen der Zikaden beansprucht, und Luca Bottini musste zugeben, dass er den Verkehrslärm herbeisehnte.

Er setzte die Flasche ab und war gerade dabei sie in seinem Rucksack zu verstauen, als er durch ein knackendes Geräusch aufgeschreckt wurde. Schnell blickte er sich um und spähte in die trockenen, dornigen Büsche hinter sich.

„Hallo! Ist da jemand?“, rief er in die gespenstische Stille, doch er erhielt keine Antwort.

Kopfschüttelnd setzte er den Rucksack auf den Rücken und nahm sich vor, auf der Hut zu sein.

Nach einigen Minuten erreichte er einen großen Olivenhain, der sehr gepflegt wirkte. Unter den unzähligen kleinen knorrigen Bäumen waren riesige schwarze Netze ausgebreitet, um bei der Ernte die reifen Früchte aufzufangen. Luca hatte vor einiger Zeit jemanden kennen gelernt, der bei der Olivenernte geholfen hatte. Er hatte ihm erzählt wie schwer diese Arbeit sei und wie wenig den Erntehelfern dafür bezahlt wurde.

Sein aktueller Auftrag war dagegen sehr lukrativ und im Gegensatz zu manch anderem Job einigermaßen risikolos, abgesehen von der Gefahr eines Hitzschlages oder eines Sonnenbrandes. Auf die Schlangen, die bei dieser Hitze angeblich besonders angriffslustig waren, musste er natürlich auch aufpassen, aber diesen Herausforderungen fühlte er sich leicht gewachsen.

Er ließ die Olivenbäume hinter sich und erreichte langsam die Stelle, von der aus man das Haus sehen konnte. An einem steilen Hügel sah Luca Bottini ein Grundstück mit einem Garten, der mehr einem Urwald glich. Zwischen meterhohen Bäumen und dichtem Gestrüpp ragte ein baufälliges Dach heraus, das schon etliche Löcher aufwies. Langsam näherte er sich dem Anwesen, das seit über zwei Jahren unbewohnt war. Der Besitzer war gestorben, hatte aber augenscheinlich auch die letzten Jahre seines Lebens nicht mehr am Haus oder im Garten gearbeitet.

Das Grundstück war umgeben von einem rostigen Zaun, der an vielen Stellen abgeknickt, lückenhaft und von dichtem Blätterwerk zugewuchert war. Das Eingangstor hing schief in den Angeln und versperrte dem seit langer Zeit ersten Besucher nicht mehr den Zutritt.

Er schob die langen Zweige der Büsche zur Seite, die den Zugang zum Haus von beiden Seiten säumten und sah eine steile Treppe vor sich, die weit den Hügel hinauf führte. Die Stufen, aufwändig mit Bruchsteinen belegt, bröckelten bereits auseinander und waren eine Stolperfalle für Lucas müde Beine. Er stieg immer höher hinauf und wurde das Gefühl nicht los, dass er nicht alleine war. Immer wieder blieb er stehen und blickte sich um, doch er konnte im dichten Gestrüpp Nichts und Niemanden entdecken.

Die Schwüle erreichte ihren Höhepunkt und der Schweiß rann ihm in Bächen den überhitzten Körper hinab. Das Hemd war völlig durchnässt, seine nackten Arme glänzten und er verströmte einen unangenehm scharfen Geruch. Leider hatte er kein trockenes Taschentuch mehr, um sich über das Gesicht und seine brennenden Augen zu wischen. Leise schimpfte er vor sich hin. Zu allem Überfluss summten nun auch noch mehrere Stechmücken aggressiv um ihn herum.

Als er schließlich das Ende der Treppe erreicht hatte, hörte er plötzlich über sich ein leises Grollen. Er blickte nach oben und bemerkte jetzt erst, dass die Sonne hinter dicken, schwarzen Wolken verschwunden war.

Die Luft war zum Schneiden und Luca Bottini verfluchte zum wiederholten Male die beschwerlichen Umstände seines Auftrages.

Vor ihm lag ein heruntergekommenes, großes Haus, das einst sehr imposant gewesen sein musste. Manche der großen Fensterscheiben waren zerbrochen, andere wurden teilweise von halb herunter hängenden Fensterläden verdeckt. Der terrakottafarbene Putz bröckelte von den Wänden und die Haustür war geschlossen. Luca beschloss, das Anwesen zunächst von außen in Augenschein zu nehmen und setzte seinen Rundgang fort.

Das Haus war umgeben von einem gepflasterten Weg, zwischen dessen Steinen verschiedene Gräser wucherten, die zum Teil bereits kniehoch waren. Die Zweige der dichten hohen Büsche schienen nach den Hauswänden greifen zu wollen und verwandelten den Weg in einen Tunnel.

Gelegentlich nahm Luca eine kühle Brise wahr, die aus dem dichten dunklen Grün des Gartens oder aus irgendeiner finsteren Hausecke heranstrich.

Er war zwar nicht gerade zart besaitet, aber dieses Haus mit all seiner Verlassenheit und Einsamkeit und das drohende Gewitter jagten ihm nun doch einen Schauer über den Rücken.

Vor dem Haus befand sich die Terrasse, auf der noch immer einige Möbelstücke standen. Luca widerstand der Verlockung, sich auf einen der Liegestühle zu legen und eine halbe Stunde zu ruhen. Zum einen hatte er die Befürchtung, das Holz würde unter seinem Gewicht nachgeben, zum anderen zeigte ihm ein Blick zum Himmel, dass Eile geboten war. Abgesehen davon hätte er in dieser unheimlichen Umgebung nicht die Ruhe gefunden, sich wirklich zu entspannen.

An der Hauswand lehnten einige Gartengeräte, die durch dichte Spinnweben so wirkten, als ob sie sich mit aller Kraft an das Gemäuer klammern wollten.

Inzwischen hatte er die Rückseite des Gebäudes erreicht, die in Richtung Norden lag und die wohl nie ein Sonnenstrahl erreichte. Die Luft wurde etwas kühler, der Wind frischte auf und trug einen neuen, unangenehmen Geruch mit sich. Luca schüttelte sich, denn er glaubte zu wissen, was so penetrant stank. Er blickte sich suchend um und entdeckte eine Treppe, die einige Stufen hinab zu einer Tür führte. Es war so dunkel, dass er den Treppenabsatz am Ende der Stufen kaum erkennen konnte. Als sich seine Augen besser an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er dort unten ein schwarzes Fellbündel liegen, um das Hunderte von dicken Fliegen laut summten. Der Gestank war ekelerregend und Luca wand sich angewidert ab, als er wieder dieses knackende Geräusch wahrnahm, das ihn schon seit geraumer Zeit verfolgte. Gehetzt blickte er sich um und spähte ins dunkle Dickicht.

Der Wind wurde stärker, die ersten Blitze zuckten und tiefes Donnergrollen ließ Luca erbeben.

Wenn gleich ein Gewitter losbrechen und möglicherweise ein Blitz in das Haus einschlagen würde, hätte sich sein Auftrag ohnehin erledigt. Darauf konnte er sich aber nicht verlassen. Er tastete nach dem Feuerzeug und war froh, diesen ungastlichen Ort so schnell wie möglich verlassen zu können. Es knackte wieder. Diesmal hörte er stetig lauter werdende Schritte und Atemgeräusche.

Panik stieg in ihm auf. Er blickte sich hektisch nach einem Stock oder einer anderen Waffe um.

Die Schritte kamen näher. Sie schienen von mehreren Richtungen zu kommen. Er wich gerade in Richtung Treppe zurück, als ein gewaltiger Donnerschlag ertönte. Luca spürte einen stechenden Schmerz, stolperte rückwärts über eine lose Bruchsteinplatte und stürzte die Stufen hinab. Sein Kopf prallte auf eine Kante und er spürte nicht mehr, wie er mit verrenkten Gliedern auf dem weichen schwarzen Bündel am Fuß der Treppe liegen blieb.

Da entlud sich das Gewitter mit ganzer Kraft.

2

Die kleine Trattoria platzte fast aus allen Nähten und Pino di Roma hatte alle Hände voll zu tun, bis alle Gäste mit Getränken und kleinen Snacks versorgt waren. Die Geräuschkulisse war enorm und die Luft zum Schneiden. Nach dem heftigen Gewitter am Abend zuvor war es bereits den ganzen Tag wieder heiß und schwül gewesen. Die Natur hatte den Regen dringend benötigt und dampfte bis zum Vormittag noch satt in der immer heißer werdenden Sonne.

Es war aber nicht alleine das Wetter, das die Atmosphäre in der einzigen Trattoria der kleinen Insel so aufheizte. Vielmehr lag es an der hitzigen Debatte, die von den Gästen an diesem Samstagabend so lauthals geführt wurde.

Alle waren da. Salvo Sentiero, der Bürgermeister der Insel, stand auf und versuchte, sich in dem Stimmengewirr Gehör zu verschaffen.

„Ruhe!“, brüllte er mit kräftiger Stimme und ließ seine mächtige Faust auf den rustikalen Holztisch krachen. Die Gespräche verstummten und alle Augen waren auf ihn gerichtet.

„Freunde!“, begann er, „ich weiß, dass es viel zu diskutieren gibt und dass jeder etwas zu sagen hat, aber ich möchte euch doch um Disziplin bitten, sonst bringt das alles nichts und wir kommen in der Sache nicht weiter!“

„Da gibt es auch nichts weiter zu kommen und die so genannte Sache ist doch Schwachsinn!“, brüllte ein junger Mann von etwa 30 Jahren in die Menge und so mancher Kopf nickte heftig. Er hatte ungepflegtes dunkles Haar und trug eine nicht eben frisch gewaschene Arbeitskleidung.

„Matteo Bocca!“, wies ihn Salvo scharf zurecht. „Sei still und halte dich zurück. Wir kennen deinen Standpunkt inzwischen zur Genüge und haben uns heute hier getroffen, um auch die Meinungen der anderen Leute zu hören. Respektiere das gefälligst, oder mach, dass du nach Hause kommst. Haben wir uns verstanden?“

Matteo ließ sich wutschnaubend mit zornesrotem Gesicht auf seinen Stuhl zurückfallen und winkte ab.

„Können wir uns jetzt wie erwachsene Menschen benehmen?“, erstickte Salvo das erneut aufkeimende Geflüster im Keim und blickte streng in die vielen Augenpaare, die teils herausfordernd, teils erwartungsvoll auf ihn gerichtet waren.

„Um alle auf den gleichen Kenntnisstand zu bringen, möchte ich zuerst den aktuellen Stand der Dinge zusammenfassen.“

Zustimmendes Gemurmel war zu hören und Salvo fuhr fort.

„Als Bürgermeister dieser Insel ist es meine Pflicht, mich um das Wohl der Bürger zu kümmern…“

„Hört, hört!“, ließ Matteo hämisch verlauten und blickte sich triumphierend um.

Salvo sparte sich eine Zurechtweisung und beließ es bei einem scharfen Blick in Matteos Richtung.

„Seit Generationen versorgen wir uns auf der Insel mit Wasser aus unseren Zisternen und schaffen das Trinkwasser vom Festland herüber.“

„Das wissen wir doch längst!“, unterbrach ihn ein kleiner, schmächtiger Mann mit dünnem grauem Haar, der an Matteos Tisch saß. „Komm doch endlich zur Sache!“

„Reg dich ab, Romeo, ich bin bereits bei der Sache!“, konterte Salvo sichtlich angestrengt und fuhr fort.

„Letztes Jahr hat uns Francesco einen Plan für den Bau einer Wasserleitung vorgelegt, die vom Festland aus bis zu uns auf die Insel gelegt werden soll.“ Er deutete auf den gepflegten jungen Mann in einem teuer aussehenden Anzug, der neben ihm saß und mit wichtiger Miene in die Runde blickte.

„Dieser Klugscheißer soll doch dahin zurück, wo er hergekommen ist!“, schrie Matteo. „Er hat sich jahrelang nicht für uns interessiert!“

„Genau! Woher soll einer wie der denn wissen, was für uns hier wichtig ist?“, stimmte Romeo zu und die Emotionen kochten erneut hoch.

Die Männer in der Trattoria waren offensichtlich in zwei Lager gespalten. Die eine Hälfte saß dicht bei Matteo und Romeo, während sich die andere um Francesco und Salvo versammelt hatte.

„Lasst doch Salvo um Gottes Willen ausreden! Das ständige Meckern bringt keinem etwas!“, schaltete sich nun ein älterer, hagerer Mann mit einer gewaltigen Hakennase in den Streit ein. Sein Gesicht war wettergegerbt, seine stahlblauen Augen funkelten angriffslustig und seine tiefe Bassstimme dröhnte durch den Raum.

Richardo Martini war der örtliche Reeder und Betreiber der Fähre, die zweimal täglich zwischen Levantino und dem Festland unterwegs war.

„Haltet jetzt euren Mund, wenn ihr ihn noch im Griff habt und hört euch an, was Salvo zu sagen hat, oder seid ihr schon am frühen Morgen so betrunken, dass ihr nicht mehr folgen könnt?“

Matteo und Romeo senkten die rot angelaufenen Köpfe und knurrten vor sich hin. Salvo nickte Richardo dankbar zu und erklärte:

„Die Wasserleitung hätte den Vorteil, dass wir endlich vom Regen unabhängig wären. Wie ihr wisst, hat die Niederschlagsmenge in den vergangenen Jahren immer weiter abgenommen, und es ist anzunehmen, dass sich dieser Trend weiter fortsetzen wird…“

„Es gab immer gute und schlechte Jahre“, unterbrach ihn Romeo und Salvo nickte.

„Natürlich gab es die, aber die schlechten Jahre haben nun mal zugenommen, ob du es willst, oder nicht.“

Da meldete sich zaghaft ein älterer Herr mit langem, lockigem, weißem Haar, das zu einem Zopf gebunden war. Er trug eine weiße, weite Sommerhose, die ihm bis zur Mitte der Wade reichte, ein grellbuntes Hemd, und einen alten verbeulten Strohhut. Das Hemd war offen und ließ dichtes, weißes Brusthaar herausquellen. Im linken Ohrläppchen leuchtete ein großer, silberner Ohrring und mitten im gebräunten Gesicht prangte ein beachtlicher Schnauzbart.

Salvo Sentiero seufzte über die neuerliche Unterbrechung, konnte sie aber nicht ignorieren.

„Ja, Herr Adelsberger, was möchten sie sagen?“

„Die Kosten, Herr Bürgermeister, die Kosten werden doch enorm sein, oder?“

Arno Adelsberger war mit seiner Frau Adele vor über 20 Jahren aus der Schweiz nach Levantino gekommen. Beide waren inzwischen über 80 und wohnten zurückgezogen in ihrem Haus am Rande der kleinen Insel. Arno malte Aquarelle und seine Frau versuchte sich in der Bildhauerei. Sie traten kaum in Erscheinung und suchten nur sehr selten den Kontakt zu anderen Menschen. Umso verwunderter waren die Inselbewohner, die beiden etwas wunderlichen Zeitgenossen hier bei dieser Versammlung zu sehen und sich auch noch zu Wort melden. Viele hatten Arno Adelsberger noch nie sprechen hören.

„Herr Adelsberger, soweit war ich noch nicht…“

„Und die vielen Leute, die dann vielleicht hierher kommen und unsere Ruhe stören? Wissen sie, Herr Bürgermeister, meine Frau und ich brauchen Ruhe, viel Ruhe für unsere Arbeit. Wenn wir gestört werden, können wir nicht…“

„Herr Adelsberger“, versuchte Salvo erneut, den alten Herrn zu beruhigen, doch es war zwecklos.

„… unseren kreativen Gedanken folgen, die über das Meer herangetragen werden. Und ohne diese Kreativität, diese Wärme und diesen Frieden können wir nicht arbeiten, nicht wahr, Liebes?“

Adele Adelsberger, die in ihrem leuchtend gelben Hosenanzug nicht nur die einzige Frau, sondern auch die schillerndste Erscheinung im Raum war, nahm die Hand ihres Mannes, nickte ihm liebevoll zu und blickte wieder zu Salvo Sentiero. Dieser wischte sich gerade schwer atmend den Schweiß von der Stirn und fragte sich, warum er auf die Schnapsidee mit dieser Versammlung gekommen war. Demokratie? Man sieht ja, wohin das führt. Er hätte auf Francesco hören und diese anstrengende Diskussion vermeiden sollen. Eine so weitreichende Entscheidung konnte er natürlich nicht über die Köpfe der Bewohner hinweg treffen, aber vielleicht wäre es besser gewesen, die Bevölkerung einfach abstimmen zu lassen. Geheim, wie bei der Bürgermeisterwahl, oder besser noch per Briefwahl, um das persönliche Zusammentreffen der Kontrahenten zu vermeiden, aber leider konnte er nicht mehr zurück. Da musste er jetzt durch.

„Herr Adelsberger hat natürlich recht. Es kommen Kosten auf uns zu, die wahrscheinlich nicht gering ausfallen werden. Wie hoch der Betrag für jeden wird, wissen wir noch nicht, aber ihr müsst wissen, dass das eine Investition in die Zukunft ist, in die Zukunft unserer Kinder!“

„Mir kommen gleich die Tränen!“, warf Matteo zynisch ein. „Ihr denkt nur an eure Zukunft – und zwar die finanzielle Zukunft! Ihr wollt euch doch mit der ganzen Sache nur eine goldene Nase verdienen!“

Er sprang auf und deutete auf einen der Männer, die neben Salvo saßen.

„Du, Richardo, willst doch nur, dass noch mehr Touristen hierher kommen, die du für teures Geld mit deinem alten Kahn transportieren kannst. Und du...“, er zeigte auf einen großen schwergewichtigen Mann mit rotem Gesicht, tätowierten Armen in einem verschwitzten, weißen Unterhemd, „ ...Cosma Orsi, willst deine marode Baufirma sanieren, und unsere Insel mit schmucklosen Billighäuschen zupflastern, auf deren winzigen Terrassen gut verdienende, weißhäutige Stadtmenschen aus Deutschland oder Holland faul auf modernen Liegestühlen liegen und Ansprüche stellen. Und all das nur, weil sich dieser Lackaffe“, er blickte wütend auf Francesco, „einbildet, seinen abgehobenen Lebensstil auf unsere Kosten zu finanzieren.“

Da erhob sich Francesco gelassen, trat auf seinen Widersacher zu und stellte sich so dicht vor ihn, dass sich ihre Nasen beinahe berührten.

„Und du, kleiner Olivenbauer“, grinste er herablassend, „hast doch nur Angst um deine Bäumchen mit den paar holzigen Oliven, die längst nicht mehr das sind, was dein lieber Opa, Gott habe ihn selig, abgeliefert hat.“

Matteo hob die Faust, doch Francesco hielt ihn an beiden Handgelenken fest. Sie starrten sich hasserfüllt in die Augen.

„Ich verdiene mein Geld wenigstens mit ehrlicher Arbeit, während du in deinem Leben nichts anderes zustande bringst, als dich auf undurchsichtige Geschäfte einzulassen.“

Francesco lachte kalt.

„Woher hast du denn das viele Geld, mit dem du unsere Insel retten willst? Wenn wir ehrlich sind, ist dein Vater doch genau im richtigen Moment gestorben und hat dir sein Geld hinterlassen – oder hast du etwa nachgeholfen?“ „Nimm das zurück!“, flüsterte Francesco, „sonst…“

„Was sonst? Willst du mir etwa drohen?“

Mit einem Mal war es ganz still im Raum, die Spannung unerträglich, als plötzlich Francescos Kopf ruckartig nach vorn schnellte und seine Stirn mit einem durchdringenden Knacken auf Matteos Nase krachte. Das Blut schoss in hohem Bogen aus Matteos Gesicht, als er mit einem spitzen Schrei zu Boden ging.

3

Die frische Seeluft tat jetzt gut. Die Möwen kreischten, das Meer war ruhig und der Himmel, abgesehen von einigen weißen Wölkchen, tiefblau. Es würde wieder ein heißer Spätsommertag werden.

Hans Beil, Anton Steinberg und Hartmut Öchsner, drei Rentner aus Deutschland, saßen erschöpft an Deck der Fähre und ließen sich den Wind um die Nase wehen. Ihre Blicke schweiften über die traumhafte Landschaft der so genannten Cinque Terre, jener fünf malerischen Örtchen, die wie aus dem Bilderbuch an die Steilküste Liguriens gebaut waren.

Mit seinen 62 Jahren war Hans Beil der Jüngste in der Runde. Er war drahtig, sportlich und versprühte stets gute Laune. Vor fast 25 Jahren hatte er sich, wie so viele Nicht-Italiener, ein Ferienhaus auf Levantino gekauft. Seither verbrachte er mit seiner Familie, Verwandten oder Freunden mehrere Wochen im Jahr auf der Insel. In regelmäßigen Abständen standen Reparaturarbeiten oder kleinere Bauvorhaben am Haus oder Grundstück an, die er am liebsten mit befreundeten Handwerkern erledigte.

In diesem Herbst sollte eine Gartenlaube gebaut werden, mit Betonfundament, gemauerten Wänden und Ziegeldach.

Deshalb war auch Anton Steinberg mit von der Partie. Er war pensionierter Dachdecker, der trotz seiner fast 70 Jahre eine Beweglichkeit und Geschicklichkeit an den Tag legte, die nahezu jeden jüngeren Kollegen in den Schatten stellte. Im Laufe seiner über 40-jährigen Berufslaufbahn hatte er sich neben seiner eigentlichen Ausbildung Fähigkeiten und Fertigkeiten in unterschiedlichsten Gewerken angeeignet. Wenn es darauf ankäme, könnte er wahrscheinlich ein ganzes Haus alleine bauen, vielleicht mit Ausnahme der Elektro- und Installateurarbeiten. Deshalb war er auch schon zum achten Mal mit seinem Freund Hans auf dem Weg nach Levantino. Anton liebte die Arbeit und konnte sich erst dann richtig entspannen, wenn alles nach seinen Vorstellungen erledigt war. Das war zwar förderlich, was die Bauvorhaben betraf, konnte aber für seine Freunde mitunter sehr anstrengend sein. Anton brauchte für seine Arbeit ausreichend Material, gutes Werkzeug, am besten sein eigenes, und willige Helfer, die ihm jederzeit uneingeschränkt zur Verfügung standen.

Für diese Aufgaben war Hartmut Öchsner genau der Richtige.

Er war in seinem Berufsleben Polizist gewesen und ging auch auf die 70 zu. Ähnlich wie Anton war auch er körperlich fit, trieb viel und gerne Sport und liebte die Natur. Hartmut war zwar geschickt in handwerklichen Dingen, doch fehlte ihm die Ausbildung und Erfahrung. Deshalb stellte er sich gerne als Helfer zur Verfügung und arbeitete dem „Profi“ zu. Darüber hinaus war er für den Garten und die Ausarbeitung verschiedener Wanderrouten zuständig. Er war in diesem Jahr zum dritten Mal dabei und hatte darauf bestanden, dass neben der Arbeit auch ausreichend Zeit zum Wandern und Schwimmen blieb.

Die drei Männer hatten sich vor mehr als 15 Jahren bei einem Kuraufenthalt kennen gelernt. Während der Zeit auf der Insel pflegten sie ihre seit Jahren gewachsene Männerfreundschaft bei reichlich Rotwein und Grappa und genossen die Tage in vollen Zügen.

„Na, Hartmut, wie sieht es mit deinen Italienischkenntnissen aus?“, fragte Hans augenzwinkernd. „Kannst du dieses Jahr selbst deinen Caffé bestellen?“

„Das will ich meinen“, antwortete Hartmut stolz.

„Immerhin bin ich zweimal in der Woche zum Italienischkurs gegangen und habe dafür meine Chorprobe geschwänzt.“

Hans lachte. „Du wirst sehen, es ist ein beruhigendes Gefühl, wenn man sich in der Landessprache verständigen kann und nicht immer darauf angewiesen ist, dass jemand übersetzt. Habe ich recht, Anton?“

Anton, der schon öfter dabei gewesen war, nickte zustimmend. Seine Italienischkenntnisse reichten zwar bei weitem nicht an die von Hans heran, aber er wurde immer sicherer.

Nach einer Dreiviertelstunde erreichten sie den kleinen Hafen der Insel und machten sich fertig zum Aussteigen.

„Kommt uns wieder Romeo abholen?“, fragte Anton, als das Schiff anlegte.

„Natürlich“, antwortete Hans und blickte sich suchend um.

Romeo Silva war Einheimischer und für viele Fremde auf der Insel eine Art Hausmeister oder Hausverwalter, der sich um die Anwesen kümmerte, wenn die Besitzer nicht da waren. Darüber hinaus ging er den Leuten bei verschiedenen Arbeiten zur Hand und organisierte Fahrdienste.

Es gab nur zwei Autos auf der Insel. Das eine gehörte dem Handwerker, der für alle Reparaturarbeiten zuständig war. Das andere war ein Kleintransporter, das als Inseltaxi diente.

Die Männer hatten gerade das Schiff über den wackeligen Landungssteg verlassen, als ein kleiner, älterer Mann mit grauem Haar und Arbeitskleidung eifrig winkend auf sie zugelaufen kam.

„Buongiorno, signori!“, begrüßte er die drei herzlich und schloss Hans, Anton und Hartmut fest in seine Arme.

„Ciao, Romeo! Schön, dich zu sehen! Wie geht es dir?“

„Ach, wie soll es mir schon gehen? Das Wetter ist traumhaft, der Wein schmeckt hervorragend und meine Freunde aus Deutschland geben uns wieder einmal die Ehre!“

Die Männer lachten und begannen das Material auszuladen.

Der Transporter, den Hans über Romeo bestellt hatte, stand schon bereit und setzte sich nach einer weiteren halben Stunde voll beladen in Bewegung.

„Was gibt es Neues auf Levantino? Inseltratsch oder Ähnliches, das ich wissen sollte?“, fragte Hans fröhlich, als das altersschwache Fahrzeug durch die holprigen, engen Gassen wackelte.

„Das kann man sagen“, meinte Romeo ernst. „Gestern Abend war eine Versammlung in der Trattoria. Sei froh, dass du nicht dabei warst, es war fürchterlich, wie eigentlich immer, wenn es um diese unselige Wasserleitung geht. Matteo ist ausgeflippt und Francesco hat ihm die Nase gebrochen! Man sollte das ganze Projekt abblasen, es gibt doch nur böses Blut!“, ereiferte sich Romeo und Hans seufzte.

Er als Hausbesitzer war, was den Bau der Wasserleitung betraf, auch stimmberechtigt, wusste aber nicht, wofür er sich entscheiden sollte. Am liebsten hielt er sich aus den Streitereien heraus. Für ihn hatte jede der beiden Lösungen etwas für sich.

Inzwischen waren sie angekommen. Romeo half noch beim Abladen und verabschiedete sich wieder. Hans hatte ihn zwar zum Essen eingeladen, aber Romeo musste schon wieder zu seinem nächsten Termin.

Als dann endlich alles im oder am Haus verstaut war, war es früher Nachmittag, und die Sonne brannte glühend heiß vom Himmel. Die Männer hielten nach einer kräftigen Brotzeit zunächst eine ausgiebige Siesta.

Hartmut erwachte als erster und dachte erst jetzt daran, seine Frau anzurufen um ihr mitzuteilen, dass die Fahrt gut verlaufen war. Hans hatte in seinem Haus einen eigenen Telefonanschluss und die Durchwahl nach Deutschland gut sichtbar auf einem Zettelchen neben dem Apparat vermerkt.

„Öchsner“, meldete sich Helene und Hartmut erzählte gerade das Nötigste, um die Telefonrechnung nicht über Gebühr zu strapazieren.

„Hallo, ich bin es. Wir sind gut angekommen, alles ist in Ordnung, alle sind gesund, das Wetter ist heiß und sonnig und wir haben noch nichts Warmes gegessen. Ist bei dir alles klar?“

Helene bejahte, versprach, auch die anderen Frauen zu benachrichtigen und wünschte ihrem Mann noch eine schöne Zeit.

„Melde dich wieder“, rief sie noch in den Hörer, doch das Gespräch war bereits unterbrochen.

„Hast du den Frauen Bescheid gesagt?“, fragte Anton, als er gähnend den Raum betrat. Hartmut nickte.

„Gut, dann können wir ja jetzt unsere Sachen auspacken und langsam ans Essen denken, was hältst du davon?“

Sie waren erschlagen von den Anstrengungen der langen Anreise und der ungewohnten Hitze. Jetzt freuten sie sich auf ihr traditionelles Abendessen in Pinos Trattoria am Dorfplatz.

Da keiner der drei Herren ein begnadeter Koch war, hatten sie schon vor längerer Zeit beschlossen, abends lieber zum Essen zu gehen. Anton erinnerte sich noch gut daran, als sie zum ersten Mal ohne Hans` Frau Gerlinde auf Levantino waren und darüber diskutierten, wer denn nun Gerlinde in der Küche und im ganzen Haushalt ersetzen sollte. Alle blickten damals betreten zu Boden, bis Anton klar und deutlich sagte:

“Also, eines sage ich euch: Ich mache gar nichts!“

4

Der Abend war herrlich. Die Sonne war eben untergegangen und hinterließ aufgeheizte Mauern, laue Luft und den betörenden Duft nach Urlaub. Die Menschen waren aus ihrer Mittagsstarre erwacht und belebten den tagsüber nahezu ausgestorbenen Dorfplatz.

In der Trattoria waren fast alle Tische besetzt, doch Hans, Hartmut und Anton fanden noch einen schönen Platz und setzten sich hungrig nieder. Sie blickten erwartungsvoll in Richtung der Tafel, auf der Pino, der Chef des Hauses, jeden Tag die drei Tagesgerichte kritzelte. Seine Schrift war derart unleserlich, dass man trotz Tafel gezwungen war, Pino selbst nach den Köstlichkeiten zu fragen, die er für den Abend anbot.

„Ciao, Pino, wie geht es dir?“, begrüßte Hans den sympathischen Wirt. „Was hast du denn Leckeres für drei hungrige Rentner anzubieten?“

Pino lächelte und erklärte, was er in der Küche vorbereitet hatte. Hans bestellte für alle drei das Menü mit Rigatoni al forno, Schwertfisch und Tiramisu. Als Aperitif wurde bereits der erste Grappa gereicht.

Als das Essen auf dem Tisch stand, verstummten die Gespräche. Die Männer genossen schweigend die köstlichen Nudeln in würziger Soße, die mit knusprigem Käse überbacken waren. Der anschließend servierte Fisch zerging förmlich auf der Zunge und schmeckte nach Sonne und Meer. Vor dem Nachtisch lehnten sich die Freunde satt und zufrieden zurück. Erst jetzt begannen sie, ihre Umgebung bewusst wahrzunehmen.

Am Tisch nebenan saß ein älteres Paar, das Hans mit einem kurzen Nicken grüßte. Etwas abseits spielten vier Damen mittleren Alters Karten und am Stammtisch waren drei Männer, die offenbar Einheimische waren, in ein angeregtes Gespräch vertieft, als ein junger, schlecht rasierter Mann mit dunklem, ungekämmtem Haar die Trattoria betrat. Er trug eine schmutzige schwarze Cordhose, ein kariertes Hemd und schwere Arbeitsschuhe, an denen dicke Erdklumpen hingen. Sein Gesicht war blau und zugeschwollen und über der Nase klebte ein Pflaster.

„Sieh an, Matteo unser Biobauer! Du siehst ja schlimm aus. Hast du dich an deinen Olivenbäumchen verletzt?“, meinte ein etwa gleichaltriger, sehr gepflegt wirkender Mann mit einem arroganten Lächeln.

Matteo knurrte ihn hasserfüllt an.

„Hör doch endlich auf mit deinem überheblichen Gerede, du hast doch keine Ahnung, was hier auf der Insel los ist! Verschwinde dorthin, wo du hergekommen bist und lass uns hier in Ruhe!“, ereiferte er sich. „Du sitzt in deiner schicken weißen Stadthose und dem affigen Polohemdchen im Schatten, tippst irgendetwas Unwichtiges in deinen lächerlichen Computer und willst mir sagen, was für uns hier das Beste sein soll!“