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Mehr Gastronomie rund um den Nürnberger Dutzendteich! Der erfolgreiche Gastronom Friedhelm Eck stellt ein neues, innovatives Konzept zum Ausbau des Geländes vor. Er plant Gondelfahrten, Wasserrutschen und den Wiederaufbau des Leuchtturms. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Auch der junge Unternehmer Bertram de Jong präsentiert futuristische Entwürfe und liefert sich einen erbitterten Machtkampf mit seinem Konkurrenten, bis eines Morgens ein Toter auf dem Fundament des Eisbärenfelsens im Nummernweiher liegt ...
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Seitenzahl: 327
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Der Volkspark Dutzendteich
Für meinen Vater
Das Buch:
Mehr Gastronomie rund um den Nürnberger Dutzendteich! Der erfolgreiche Gastronom Friedhelm Eck stellt ein neues, innovatives Konzept zum Ausbau des Geländes vor. Er plant Gondelfahrten, Wasserrutschen und den Wiederaufbau des Leuchtturms. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Auch der junge Unternehmer Bertram de Jong präsentiert futuristische Entwürfe und liefert sich einen erbitterten Machtkampf mit seinem Konkurrenten, bis eines Morgens ein Toter auf dem Fundament des Eisbärenfelsens im Nummernweiher liegt ...
Die Autorin:
Monika Martin, Jahrgang 1969, ist Sozialpädagogin und führt seit 1996 für das Institut für Regionalgeschichte, Geschichte für Alle e.V., historische Stadtrundgänge in Nürnberg durch.
„Teichwächter“ ist der dritte Krimi aus der Reihe „Krimis mit Geschichte“, in der die Autorin ihre literarische Tätigkeit mit ihrem regionalgeschichtlichen Engagement zu einem Kriminalroman mit Fakten aus der Nürnberger Stadtgeschichte verbindet.
Monika Martin lebt mit ihrer Familie in Schwanstetten bei Nürnberg.
Außerdem von Monika Martin bei Books on Demand erschienen:
Aus der Reihe „Krimis mit Geschichte“:
„Hochgericht“, Dezember 2014
„Rauschgoldengel“, Oktober 2016
Aus der Reihe „Ermitteln, wo andere Urlaub machen“:
„Die Tote im See“, August 2008
„Hitzewelle“, August 2010
„Schattenschlag“, Februar 2012
„Apfelrausch“, August 2013
„Ein Nürnberger, der an einem Sonntag nicht an den
Ufern des Dutzendteiches weilt, weiß gar nicht, dass
überhaupt Sonntag ist.“
(Hanns Schödel, 1925)
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Epilog
Februar 1988
Der Schnee glitzerte im Mondlicht. Das Thermometer an der kleinen Hütte zeigte -3°C. Das schlechte Gewissen trieb die beiden Männer aus der heimeligen Wärme hinaus in die unwirtliche, tief verschneite Landschaft.
„Die Gefahr kommt nicht von drüben, sondern von unten“, leierte einer von ihnen den viel zitierten, aber zutreffenden Spruch herunter und schnallte sich die Skier an die Füße. Sollte sie ihr Vorgesetzter, der von unten, also aus der Polizeidienststelle am Fuß des Hangs kam, dabei erwischen, dass sie in der Hütte saßen, statt an der Grenze entlang zu patrouillieren, dann gnade ihnen Gott. Sie wagten es nicht, Licht zu machen und wärmten sich flüsternd im Dunklen am Bollerofen, doch auch der Chef war mit allen Wassern gewaschen. Manchmal schaltete er schon kurz vor der letzten Kurve die Scheinwerfer seines Dienstfahrzeugs aus, um seine Untergebenen nicht vorzuwarnen. Es herrschte schließlich Zucht und Ordnung!
Der Hund hechelte und tänzelte aufgeregt um die Füße der Männer herum. Wenn auch die Menschen nur ungern zu dieser späten Stunde im tiefen Schnee unterwegs waren, den Hund freute es. Schließlich machten sich die dick vermummten Gestalten auf den Weg zum Zaun. Sie fragten sich nicht zum ersten Mal, was sie eigentlich hier taten. Sie wollten diese Grenze nicht, hätten sie am liebsten längst abgerissen.
Die von drüben hatten sie gebaut. Weshalb mussten auch diesseits der menschenverachtenden Anlagen Männer entlangpatrouillieren? Worauf sollten sie achten? Dass niemand die Grenze passierte?
Wer wollte schon nach drüben? Und wenn, dann konnte er am Übergang hinüberspazieren. Ganz unspektakulär, ganz unproblematisch.
Anders war es, wenn welche von drüben rüberkamen, verängstigt, erschöpft, manchmal verletzt, aber glücklich. Sie halfen ihnen. Brachten sie in Sicherheit. In Sicherheit vor ihren eigenen Landsleuten.
Das war schlimm, würde sich aber so schnell nicht ändern. Es war anstrengend, mit Hund an der Leine und Skiern an den Füßen in der Dunkelheit und Kälte im Wald unterwegs zu sein. Bald hatten sie es geschafft. Die Ablösung stand wahrscheinlich schon mit müden Augen im Badezimmer, die Uniform sorgfältig auf einem Bügel an der Tür. Noch schnell die Krawatte gebunden und gleich ging es los. Doch noch war es nicht soweit. Die Nachtschicht glitt lautlos in den Spuren der Spätschicht dahin. Bald würden sie frische Spuren ziehen müssen - es hatte begonnen zu schneien.
Die Männer erreichten eine kleine Lichtung, spähten durch ihre Ferngläser hinüber. Nur mühsam konnten sie die einzelnen Sicherheitszäune erkennen, die dafür sorgen sollten, dass alle Menschen dort blieben, wo sie zu sein hatten.
Da! Bewegte sich da nicht etwas?
Einer der Männer starrte gebannt hinüber, gab seinem Kollegen ein Zeichen. Der Hund spitzte die Ohren. Und wieder!
Da waren zwei Gestalten, die geduckt im Zickzack durch die Todeszone hasteten. Einer versteckte sich hinter einem schmalen Baumstamm, der andere lief mit tief gebeugtem Rücken weiter.
Langsam, viel zu langsam kamen sie näher. Die Männer an den Ferngläsern hielten die Luft an. Würden die beiden es schaffen? Einer von ihnen stolperte, fiel in den Schnee, rappelte sich wieder auf, rannte um sein Leben.
An einem der Wachtürme ging Licht an, ein gewaltiger Suchscheinwerfer richtete sich auf die Flüchtenden. Gespenstisch hoben sich die Schatten von dem grellen Licht der Scheinwerfer ab.
Noch hundert Meter, hundert lange Meter.
Rufe waren zu hören, Schüsse.
Eine Gruppe schwer bewaffneter Männer rannte auf die Flüchtenden zu, Schnee stob auf.
Noch fünfzig Meter und ein drei Meter hoher Zaun, dann hätten sie es geschafft.
Plötzlich zerriss ein lauter Knall die unheimliche Szenerie.
Schreie waren zu hören.
Eine Mine!
Angeblich sollten diese Minen niemanden töten, sondern lediglich fluchtunfähig machen.
Rauchschwaden waberten durch den winterlichen Wald.
Es roch nach Schwefel.
Dann war es ruhig.
April 2010
Die Nacht war still, so still wie sie in unmittelbarer Nähe einer vierspurigen Straße nur sein konnte. Aus der Ferne erklang ein Martinshorn, gelegentlich fuhr ein Auto vorbei. Der laue Südwind blies durch die noch nahezu blattlosen Zweige der mächtigen, alten Bäume. Endlich schien sich der lange, schneereiche Winter verabschieden zu wollen, endlich waren die frostigen Nächte vorbei. Die Natur sammelte frische Kräfte, verströmte den ersten Frühlingshauch. Blüten spitzten vorsichtig aus den schützenden Knospen hervor und verbreiteten ihren betörenden Duft, der später Tausende von Bienen anlocken würde. Das Wasser der kleinen Weiher gurgelte leise, das Mondlicht spiegelte sich in der glatten Oberfläche wider.
Es waren die wenigen ruhigen Stunden, die dem großen Park rund um den Dutzendteich jeden Tag vergönnt waren, die wenigen Stunden zwischen dem hektischen Lärm des Volksfestes, dem Schreien und Lachen der spielenden Kinder, den aufdringlichen Stimmen bunt gekleideter Menschen, die bereits am frühen Morgen mit klappernden Stöcken unterwegs waren.
Bald würde der neue Tag mit dem Gezwitscher unzähliger Vögel erwachen, die Luft erfüllt sein vom vielstimmigen Quaken der Frösche und dem aufgeregten Schnattern der Enten, bevor dann wieder Spaziergänger, Jogger und Radfahrer das Gelände bevölkerten.
Doch noch war es nicht soweit.
Noch war es ruhig, ein tiefer Frieden lag über dem nächtlichen Park, die Bäume und Büsche gehörten den Tieren, die im Schutze der Dunkelheit auf Beutefang gingen. Es knackte, plätscherte, ächzte, es raschelte, knisterte und rauschte.
Allmählich frischte der Wind auf und ließ die jungen Blätter an Ästen und Zweigen tanzen. Erste dunkle Wolken schoben sich vor die funkelnden Sterne.
Mit einem Mal mischten sich fremde Laute unter die Geräusche der Natur, menschliche Laute. Ein dunkler Schatten huschte geduckt den feuchten Kiesweg entlang, atmete stoßweise, kickte kleine Steinchen ins Wasser. Immer wieder blieb er im Schutz der riesigen Bäume stehen und blickte sich lauernd um, doch niemand außer ihm war zu dieser Uhrzeit zwischen den beiden Nummernweihern unterwegs.
Zögernd näherte sich der Schatten einem morschen, alten Baum, der nicht so aussah, als habe er in diesem Jahr noch einmal die Kraft, zu neuem Leben zu erwachen. Der Stamm war tief zerfurcht, viele Äste bereits abgebrochen. Niedergebeugt hing er schräg über der Wasseroberfläche, als wolle er jeden Moment hineinfallen.
Die Böen wurden stärker, wirbelten die trockenen Blätter des vergangenen Herbstes hoch auf und trieben sie vor sich her.
Der zarte Lichtkegel einer kleinen Taschenlampe blitzte auf und leuchtete in das Innere des hohlen Stammes. Die dunkle Gestalt fasste in das Loch hinein, zog vorsichtig einen kleinen unscheinbaren Gegenstand hervor und presste ihn an sich. Langsam ließ sie sich mit dem Rücken am Stamm hinabgleiten, kauerte sich auf den Boden und betrachtete den Fund im fahlen Licht des Mondes, bevor dieser wieder von einer Wolkenwand verdeckt wurde. Beinahe liebevoll streichelten ihre Finger über das kleine Etwas, bevor sie sich erhob und es wieder zurück in sein Versteck legte. So unbemerkt wie die Gestalt gekommen war, verschwand sie auch wieder in der hereinbrechenden Dämmerung.
Der Sturm war immer mächtiger geworden, schien mit den Kronen der mächtigen Bäume spielen zu wollen, doch die über hundert Jahre alten Stämme trotzten den Kräften der Natur. Zum Pfeifen des Windes kam ein immer lauter werdendes Ächzen und Knarzen. Der morsche, alte Baum wogte in den Böen hin und her, wurde von der Macht des Windes in Richtung Wasser gedrückt, suchte mit seinen knorrigen Wurzeln Halt in der aufgeweichten Uferböschung. Vergeblich.
Mit dem nächsten heftigen Windstoß gab der Baum seinen Widerstand auf, knickte mit einem lauten Seufzer ab und stürzte in den Weiher hinein.
Der große Sitzungssaal des Nürnberger Rathauses füllte sich langsam. Abgeordnete der einzelnen Fraktionen und Vertreter verschiedener Genehmigungsbehörden trudelten nach und nach ein, packten Unterlagen aus ihren Aktentaschen, stellten sich ein Glas und ein Fläschchen Wasser bereit. Man tauschte Freundlichkeiten aus, traf noch schnell kurze Absprachen, verabredete sich zum Mittagessen. Stühle wurden gerückt, Hände geschüttelt und letzte Telefonate geführt. Der Facility Manager, der früher einfach nur Hausmeister hieß, hatte bereits die Leinwand und den Beamer vorbereitet. In zehn Minuten sollte die Präsentation beginnen.
Ein stattlicher Mann Ende fünfzig in teurem Anzug, mit gepflegtem, vollem, grau meliertem Haar, lehnte lässig an einem Tisch, die Arme verschränkt. Durch die randlose Brille beobachtete er interessiert das geschäftige Treiben. Neben ihm saß eine junge Frau und tippte mit ihren perfekt manikürten Fingern auf der Tastatur eines Laptops. Dabei war das leise Klacken ihrer dunkelrot lackierten Fingernägel deutlich zu hören. Sie trug ein blaues, maßgeschneidertes Kostüm, eine eng sitzende weiße Bluse mit gewagt tiefem Ausschnitt und hochhackige Pumps. Eine Perlenkette zierte ihr leicht gebräuntes Dekolletee, in den zierlichen Ohrläppchen glitzerten edle Ohrstecker. Das lange, hellblonde Haar war zu einer Hochfrisur aufgesteckt.
„Sind Sie soweit, Frau Haas?“, erkundigte sich Friedhelm Eck bei seiner Assistentin, legte ihr wie zufällig von hinten eine Hand auf die schmale Schulter und warf einen Blick auf das Display des Laptops. Dabei beugte er seinen Kopf so weit hinab, dass er problemlos am teuren Schmuck der jungen Frau hätte knabbern können.
„Ich bin bereit“, lautete die zweideutige Antwort, begleitet von einem hingebungsvollen Augenaufschlag.
Friedhelm Eck strich ihr leicht über die gepuderte Wange und wandte sich anschließend dem Vorsitzenden des Gremiums zu, der eben den Raum betreten und auf seinem Stuhl Platz genommen hatte.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen“, begann der Vorsitzende, als die Gespräche langsam verstummt und alle Augen auf ihn gerichtet waren. „Ich begrüße Sie herzlich zu unserer heutigen Sitzung. Ein herzliches Willkommen auch an unsere Gäste, Herrn Friedhelm Eck und seine Kollegin. Schön, dass Sie da sind.“ Er wartete den kurzen, höflichen Applaus ab und fuhr fort.
„Der Wettbewerb zur Neugestaltung des Areals süd-westlich der Großen Straße im Volkspark Dutzendteich läuft jetzt bereits seit einigen Monaten, und es sind sehr viele kreative Vorschläge eingegangen. Dankenswerterweise hat sich eine Kommission bereits mit den Einsendungen befasst und eine Vorauswahl getroffen. Herr Eck, der ja schon etliche erlebnisgastronomische Projekte erfolgreich umgesetzt hat, wird uns heute sein Gastronomie- und Freizeitkonzept vorstellen. Bitte, Herr Eck.“
Wieder verhaltener Applaus.
„Herzlichen Dank, Herr Vorsitzender“, begann der Gastronom betont lässig und lächelte charmant in die Runde. „Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, Vertreter aus dem Bauamt, dem Wasserwirtschaftsamt, dem Kultur- und Verkehrsamt und natürlich dem Ordnungsamt. Auch ich möchte Sie recht herzlich begrüßen. Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen heute meinen Vorschlag zur Umgestaltung des Areals rund um die beiden Nummernweiher präsentieren darf.“
Das Licht im Saal wurde gedimmt, leise Klaviermusik ertönte und auf der vorbereiteten Leinwand erschien ein Foto vom Nürnberger Dutzendteich:
Sonnenuntergangsstimmung mit orangerot gefärbten Wölkchen, sanft gekräuselter Wasseroberfläche, ein händchenhaltendes Liebespaar im Schwanen-Tretboot. Ein weiteres Fingernagel-Klacken beförderte einen geschwungenen, pinkfarbenen Schriftzug ins Bild:
Der Dutzendtich –
ein Kleinod in Nürnbergs Südostn
„Der Dutzendteich, ein Kleinod in Nürnbergs Südosten“, referierte Friedhelm Eck mit tiefer Stimme und einschläferndem Tonfall, als handelte es sich um eine Verkaufsveranstaltung für Dessous und nicht um eine sachlich-nüchterne Stadtratssitzung.
Im Zeitlupentempo wechselten die Fotos auf der Leinwand und zeigten das Gelände rund um den Dutzendteich aus unterschiedlichen Perspektiven, doch immer in perfekter romantischer Stimmung und mit Liebespaar im Schwanen-Tretboot.
„Der Dutzendteich. Anders, als viele glauben, kommt dieser Name nicht daher, dass es hier einst ein Dutzend - also zwölf - Seen gab. Er leitet sich vielmehr von der sogenannten Dutze ab, einer alten Bezeichnung für den Schilfrohrkolben. Bereits seit Jahrhunderten ist dieser See magischer Anziehungspunkt für Erholungsuchende und Familien, für Ausflügler und Verliebte. Um es mit den Worten des Nürnberger Autors Hanns Schödel auszudrücken: Der Dutzendteich wurde vom Schicksal erschaffen, damit die lieben Nürnberger wissen, wann ein Sonntag ist “, fuhr der Gastronom hingebungsvoll fort, während im Saal amüsiertes Gemurmel zu hören war.
„Ich halte es für sehr wichtig, Sie zunächst über die historisch belegte Bedeutung des Volksparks Dutzendteich zu informieren, bevor ich Ihnen im Anschluss daran mein neues Konzept vorstelle. Ich glaube, nur dann können Sie ermessen, wie wichtig und unabdingbar eine Aufwertung des Geländes ist. Ich möchte gemeinsam mit Ihnen an den Glanz vergangener Zeiten anknüpfen.“
Die Mienen der Zuhörer zeugten von Interesse und gespannter Erwartung.
„Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger wissen heutzutage gar nicht mehr, was es dort vor den einstigen Toren der Stadt alles zu bestaunen gab. Denken wir nur an den Tiergarten, der 1912 angelegt und erst 1939 an den Schmausenbuck verlegt wurde. Oder die großartigen Attraktionen, die im Rahmen der Landesausstellung von 1906 entstanden, wie beispielsweise der Leuchtturm oder die Wasserrutsche.“
Nun lösten historische Darstellungen und kolorierte Postkartenmotive die romantischen Aufnahmen ab. Man sah Damen in weißen Blusen und mit blumengeschmückten Hüten in Ruderbooten, Männer in Frack und Zylinder beim Eislaufen und eine voll besetzte Gondel mit Baldachin.
„Neben all diesen Sensationen gab es im Gegensatz zu heute zahlreiche Wirtshäuser und Cafés, wie beispielsweise die Waldlust, die Seerose, das Café Bellevue und das vornehme Teichrestaurant.“
„War nicht die Seerose jahrelang das Vereinslokal vom Club?“, unterbrach ihn ein junger Mann aus dem Plenum und erhielt dafür begeisterte Zurufe.
„Das ist richtig“, stimmte Friedhelm Eck zu und hatte Mühe, sich in der plötzlichen Unruhe wieder Gehör zu verschaffen. „Das Gebäude, das 1896 errichtet wurde, musste leider in den 1990er Jahren dem Bau der Ringstraße weichen ... Aber lassen Sie mich fortfahren.“
Die prunkvoll gekleideten Damen mit ihren ausladenden Hüten und bodenlangen Rüschenkleidern verschwanden von der Leinwand. Die Musik verstummte.
Es erschienen aktuelle Aufnahmen des Geländes, die es mit der Stimmung der vorherigen Fotos bei weitem nicht aufnehmen konnten. Parkende Autos im Nieselregen, eine halb verfallene Imbissbude, Müll auf der Wiese, eine tote Ente. Und alles überragend der düster wirkende Torso der Kongresshalle, das beeindruckendste und mächtigste Überbleibsel des Reichsparteitagsgeländes, der damals größten Baustelle der Welt.
„Heute ist nur noch wenig von dem übrig, was damals den Charme des Dutzendteiches ausgemacht hat.“ Ecks Stimme war nun ebenso freudlos wie die Bilder auf der Leinwand.
„Im Moment gibt es gerade mal eine gastronomische Einrichtung. Eine!“
Er machte eine bedeutungsschwangere Pause.
„Wenn wir nicht schnell handeln, wird unser Volkspark in der Bedeutungslosigkeit versinken.“
Der Vorsitzende schmunzelte.
„Nun, Herr Eck, ich denke, Sie haben uns eindrucksvoll vor Augen geführt, dass es diesbezüglich fünf vor zwölf ist. Wir sind jetzt sehr gespannt zu erfahren, wie Ihr Rettungsversuch aussehen könnte. Bitte sehr.“
Leises Gelächter war zu hören.
Friedhelm Eck setzte ein professionell-distanziertes Lächeln auf und griff zu einem Laserpointer in Form eines silbernen Stiftes. Auf der Leinwand erschien eine Skizze des gesamten Areals.
„Wie Sie sicherlich wissen“, fuhr er unbeeindruckt fort, „befinden sich im gesamten Volkspark neben dem großen Dutzendteich mehrere andere Seen und Teiche. Der prominenteste ist sicherlich der Silbersee.“
Er ließ den roten Lichtpunkt des Laserpointers über die Leinwand flitzen. „Der Todesteich vom Dritten Reich, wie ihn die Zeitungen nach Kriegsende betitelten, der See, um den sich skurrile und grausige Geschichten ranken“, ergänzte er in geheimnisvoll anmutendem Tonfall. „Weiter in nördlicher Richtung befindet sich neben dem kleinen Dutzendteich der Flachweiher, ein Biotop der besonderen Art, findet man doch dort die in Bayern vom Aussterben bedrohten Schwarzhalstaucher. Und schließlich die beiden Nummernweiher, einst Teile des Nürnberger Tiergartens. Von den vormals vier Teichen wurden zwei zugeschüttet. Die beiden, die heute noch erhalten sind, waren die Becken für die Schwimmvögel, die Eisbären und die Seelöwen, was Sie an den Resten des Seelöwenfelsens erkennen können.“
„Bitte halten Sie uns keinen Vortrag über die einzelnen Teiche, Herr Eck“, meldete sich nun ein untersetzter Mann in grauem Anzug und mit geröteten Wangen aufgebracht zu Wort. „Sie können davon ausgehen, dass wir uns mit der Topografie des Geländes vertraut gemacht haben.“
„Aber natürlich, Herr Hügelschäffer. Daran habe ich gar keine Zweifel.“ Friedhelm Eck hatte nicht vor, sich aus der Ruhe bringen zu lassen, oder auch nur einen kleinen Teil seiner Präsentation zu kürzen, egal, wer welche Einwände bringen würde.
„Dann erzählen Sie uns doch endlich, wie Ihr Konzept aussieht und stehlen Sie uns nicht die Zeit!“
Die beiden Männer kannten sich seit Jahren, denn Karl Hügelschäffer war als Leiter der Abteilung für Lebensmittelüberwachung des Nürnberger Ordnungsamtes regelmäßig in Ecks gastronomischen Betrieben unterwegs. Das hieß aber nicht, dass sie sich auch mochten – im Gegenteil. Hügelschäffer, Bürokrat aus Leidenschaft, legte allergrößten Wert auf die Einhaltung sämtlicher Vorschriften, Regeln und Gesetze, während der Gastronom immer wieder Ausnahmeregelungen für Sonderfälle beantragte, die ihm aufgrund seiner Prominenz und womöglich auch seiner finanziellen Möglichkeiten meist gewährt wurden.
„Das weitläufige Ensemble an Seen und Teichen ist ein unbedingt erhaltenswertes ökologisches Juwel mitten in der Stadt.“ Er nickte dem Vertreter der Umweltbehörde zu. „Und doch darf nicht vergessen werden, dass auch die Menschen, damals wie heute, diesen einzigartigen Park dringend zur stadtnahen Erholung benötigen. Hat der große Dutzendteich zumindest einen gastronomischen Betrieb und einen Tretbootverleih zu bieten, gibt es westlich der Großen Straße außer einem heruntergekommenen Toilettenhäuschen und einer Imbissbude keinerlei Angebote und Einrichtungen.“
„Weswegen wir ja auch den Wettbewerb ausgeschrieben haben“, warf der Vorsitzende ein.
„Richtig. Meine Damen und Herren ...“, es fehlte nur noch der Trommelwirbel, „... hier ist mein Vorschlag!“
Das Licht im Saal ging an, die Tür öffnete sich, zwei Männer schleppten einen flachen, hölzernen Kasten herein und legten ihn auf einem freien Tisch in der Mitte des Raumes ab.
„Bitte kommen Sie doch näher. Ich möchte Ihnen meine Ideen für den neuen Erlebnispark Nummernweiher anhand eines Modells präsentieren.“
Wieder Musik - diesmal dramatische Fanfaren.
„Kommen Sie zu mir“, forderte Friedhelm Eck erneut die Anwesenden auf. Zögernd und mit fragenden Gesichtern standen sie auf und versammelten sich rund um den unscheinbar aussehenden Kasten.
Als alle da waren, löste Eck die Verriegelungen an der schmalen Seite und klappte mit Unterstützung seiner Assistentin den Deckel auf.
Ein Raunen ging durch die Menge.
Zum Vorschein kam ein täuschend echt aussehendes, aufwendig gestaltetes Modell des Geländes mit glitzerndem Wasser, Bäumen, Blumen, schwimmenden Enten und vielen Spaziergängern, Joggern und Menschen auf Picknickdecken, alles in Miniaturgröße.
„Der Volkspark Dutzendteich“, holte Eck erneut aus, „viel Natur - wenig Erlebnis. Doch das soll sich ändern. Frau Haas ...“
Die junge Frau reichte ihrem Chef einen kleinen, blumenumrankten Pavillon mit einer begrünten Terrasse, auf der unter Sonnenschirmen winzige weiße Tische, Stühle und Bänke aufgestellt waren.
„Zunächst wird das Strandcafé Seerose wieder auferstehen.“
Stolz platzierte Friedhelm Eck das Mini-Café auf einer Anhöhe zwischen den beiden Nummernweihern. „Hier, etwas erhaben über der wunderschönen Seenlandschaft, hat der Erholungsuchende einen fabelhaften Ausblick auf die beeindruckende Flora und Fauna. Wer sich näher für all die Wasservögel interessiert, die auf der Insel im östlichen Nummernweiher brüten, kann sich auf unsere neue Beobachtungsplattform begeben.“
Vorsichtig stellte er einen schmalen, hölzernen Steg mit verschiedenen Ausbuchtungen und Bänken über das angedeutete Wasser. Der Weg endete auf einer Insel, die unter einer vollständig zugewachsenen Kuppel versteckt lag. Wie Gewehrmündungen lugten mehrere Fernrohre unauffällig aus dem Dickicht.
„Im westlichen Weiher lebten zur Zeit des ersten Tiergartens die Seelöwen, was ich ja bereits erwähnte, und die Eisbären.“
Begeistert blickte er sich um.
„Hier am südwestlichen Ende des Teiches stand der Eisbärenfelsen, der leider gesprengt wurde. Man sieht heute nur noch wenige Überreste aus Beton. Das wird bald vorbei sein, denn der Teich wird in naher Zukunft wieder zum Eisbärenweiher werden.“
„Aber ...“, meldete sich der Vertreter der Umweltbehörde zu Wort, doch Friedhelm Eck ließ ihn nicht ausreden.
„Keine Angst, ich werde keine echten Eisbären ansiedeln, das wäre sogar für meine Begriffe übertrieben.“ Er lachte kurz auf. „Nein, es sind andere gestalterische Elemente, die das Gewässer aufwerten sollen.“
Wieder reichte ihm Frau Haas verschiedene Elemente, die der Gastronom anschließend mit theatralischen Gesten an den entsprechenden Stellen anbrachte.
„Das Prunkstück wird natürlich der Eisbärenfelsen sein, auf dem Kinder und Jugendliche klettern können. Außerdem können Familien in schnuckeligen Eisbärenbooten über den See schippern oder die interaktive Eisbärenausstellung im Inneren des Felsens besuchen. Am südlichen Ende des Flachweihers entsteht die Hauptattraktion des Geländes: der neue Leuchtturm mit Turmterrasse und VIP-Lounge.“
Die Zuhörer beobachteten fasziniert, wie Friedhelm Eck mit leuchtenden Augen den rot-weiß gestreiften Leuchtturm mitten in den Flachweiher stellte und eine mit bunten Fähnchen geschmückte Brücke anbrachte.
Jetzt war er nicht mehr zu bremsen.
Es folgten noch das Freibad mit Wasserrutsche im kleinen Dutzendteich sowie mehrere Premium-Grillplätze mit luxuriösem Mobiliar, Stromanschluss für Kühlgeräte und einem kleinen Pool.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren“, schloss Eck seine Ausführungen, „ich bin überzeugt davon, dass der Volkspark Dutzendteich durch diese innovativen, zukunftsweisenden Ideen massiv aufgewertet und dadurch weit über die Grenzen unserer fränkischen Metropole hinaus Aufsehen erregen wird. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, bald mit den Bauarbeiten beginnen zu können.“
Der Vorsitzende räusperte sich. „Vielen Dank für die eindrückliche Präsentation. Ich denke, wir machen eine kurze Pause und gehen dann dazu über, die Fragen aus den einzelnen Gremien zu beantworten.“
Nach einer weiteren Stunde waren die wichtigsten Punkte bezüglich Finanzierung, Umweltverträglichkeit und Rentabilität geklärt. Der Vorsitzende konnte die Sitzung beenden.
„Wir haben alle einen sehr guten Eindruck davon gewinnen können, wie Sie sich die Ausgestaltung des Areals vorstellen. Sobald wir alle Vorschläge gehört haben, werden wir Ihnen unsere Entscheidung mitteilen. Bei einem Projekt dieser Größenordnung können wir keine voreiligen Entscheidungen treffen.“
„Aber ...“
„Wenngleich sicher viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Gremium Ihre Erfahrungen und Kompetenzen zu schätzen wissen“, fügte der Vorsitzende lächelnd hinzu.
„Dessen bin ich mir sicher“, gab Eck betont selbstbewusst zurück und schüttelte seinem Gegenüber herzlich die Hand.
„Auf Wiedersehen.“
Frau Haas hatte inzwischen alle Cafés, Wasserrutschen, Leuchttürme und Eisbärenboote wieder sicher verstaut und mithilfe der beiden jungen Männer die Kiste aus dem Saal getragen.
Auf dem Gang wischte sich Friedhelm Eck mit einem Taschentuch über die Stirn und zog sein Jackett aus.
„Sie haben das wieder sehr souverän gemacht“, meinte Franziska Haas und nahm ihrem Vorgesetzten das Jackett ab. „Sehr überzeugend und professionell. Sie werden sicher den Zuschlag bekommen.“
„Aber natürlich.“ Eck schenkte seiner Assistentin ein gewinnendes Lächeln. „Wer wäre sonst dazu in der Lage, ein solches Projekt zu stemmen?“
„Ich zum Beispiel.“
Ein auffallend großer Mann Mitte vierzig mit gepflegtem Bart und einer Sonnenbrille im halblangen, blonden Haar kam auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Er trug eine enge Jeans und ein weites, weißes Hemd, das über die Hose hing und dessen obere Knöpfe offen waren. Die weißen Zähne blitzten und die grünen Augen leuchteten im braungebrannten Gesicht. Neben ihm stand eine ebenso attraktive, geschmackvoll gekleidete Dame in beigem Hosenanzug und mit langem, dunklem Haar.
„Guten Tag, Herr Eck, ich denke, wir kennen uns noch nicht. Mein Name ist Bertram de Jong, und das ist meine Frau Inga.“
Zögernd schüttelte Friedhelm Eck die dargebotene Hand.
„Wie ich hörte, sind Sie hier in Nürnberg ein erfolgreicher, wenn nicht gar der erfolgreichste Gastronom, der bereits viele innovative Projekte realisiert hat. Habe ich recht?“
„Ja, wenn Sie das gehört haben ...“
„Ich denke vor allem an Ihr Angebot im Lochgefängnis.“
Bertram de Jong legte ihm anerkennend die Hand auf die Schulter. „Es ist großartig, die Leute so hautnah in die Welt der mittelalterlichen Kriminalgeschichte eintauchen zu lassen. Die Termine sind sicherlich gut ausgebucht, nehme ich an.“
„Ja, ich ...“
„Darling, diese Aktionen sind wirklich einzigartig. Man kann sich ein kratziges Büßerhemd überziehen, sich in eine stockdunkle Zelle im Lochgefängnis sperren lassen, den Gestank menschlicher Exkremente einatmen und die Schreie anderer Gefangener über eine Lautsprecheranlage hören“, berichtete de Jong mit einer Begeisterung, die leicht übertrieben wirkte. „In der Folterkammer werden dem Delinquenten dann authentische Folterszenen vorgespielt.
Gruselig, was?“
Inga de Jong wurde etwas blass um die Nase.
„Bei der anschließenden Henkersmahlzeit können dann die Kunden ihre Erfahrungen austauschen. Unglaublich! Was ist eigentlich aus Ihrer Idee mit den inszenierten Hinrichtungen auf dem Augustinerhofgelände geworden? Ich habe in jüngster Zeit nichts mehr darüber in der Presse lesen können.“
„Nein, ich habe ...“
„Sie brauchen mir nichts zu erzählen, ich komme selbst aus der Branche und weiß, dass es oft ein harter Kampf ist, kreative Ideen gegen all die bürokratischen Hürden durchzusetzen. Wenn wir so könnten, wie wir wollten ...“
Er zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Sehen wir mal, was auf dem Gelände am Dutzendteich möglich ist und wer von uns beiden die Bürokraten überzeugen kann. Wir sehen uns.“
Damit öffnete er schwungvoll die Tür, ließ seiner Frau galant den Vortritt und verschwand im Sitzungssaal.
Ärgerlich starrte ihm Friedhelm Eck hinterher.
„Das ist also dieser Emporkömmling, der angeblich ein so fabelhaftes Konzept eingereicht hat. Wissen Sie etwas über ihn? Bertram de ... was?“
„De Jong. Bertram de Jong“, erläuterte Franziska Haas. „Er ist vor einigen Monaten nach Nürnberg gezogen.“
„Ach ja! Und jetzt will er gleich einen so lukrativen Auftrag an Land ziehen.“ Friedhelm Eck blitzte seine Assistentin aufgebracht an. „Für ein so großes Projekt braucht man nicht nur reichlich Erfahrung, sondern auch umfangreiches Wissen über die historischen Hintergründe des gesamten Geländes. Man muss eine über Jahre gewachsene emotionale Bindung haben, um ermessen zu können, welche Bedeutung der Volkspark Dutzendteich für die Bevölkerung hat.“
Franziska Haas nickte zustimmend.
„Wie soll jemand, der erst seit wenigen Wochen hier wohnt,
all diese Erfahrung aufbringen?“
Friedhelm Eck schien sie mit seinem Blick zu durchbohren.
„Besorgen Sie mir alle Informationen, die Sie über diesen Mann finden können. Alle!“
Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel, und die Luft war erfüllt vom Gesumme der Bienen und Gezwitscher der Vögel. An Bäumen und Büschen war erstes zartes Grün zu entdecken. Die Natur erwachte aus ihrem langen Winterschlaf, reckte und streckte sich und war wieder bereit, alles zu geben, um das Gelände rund um den Dutzendteich in eine üppig grüne Landschaft zu verwandeln.
Auch die Menschen blühten förmlich auf. Überall sah man noch etwas blasse, aber fröhliche Gesichter, die sich glücklich den warmen Sonnenstrahlen entgegenstreckten.
„Ist das nicht unfassbar schön?“, rief Sandra Watzlawick ihrer Freundin Charlotte euphorisch zu, während sie leise mit ihren Inlinern auf dem glatten Asphalt dahinglitten. Wie viele andere junge Leute waren auch die beiden Frauen an diesem ersten richtig schönen Frühlingstag des Jahres am Dutzendteich verabredet, um sowohl ihre eingerosteten Muskeln, als auch ihre über den Winter ziemlich eingestaubten Inliner zu bewegen.
„Ich liebe es!“, stimmte Charlotte nicht minder begeistert zu, schloss die Augen und rollte mit weit ausgebreiteten Armen dahin. „Wenn nur nicht dieser fürchterliche Heuschnupfen wäre“, schränkte sie kurz darauf ein, nieste herzhaft und schnäuzte sich anschließend geräuschvoll in ein Taschentuch. „Ich habe leider gestern Abend vergessen, meine Tablette zu nehmen.“
Die Freundin warf ihr einen bedauernden Blick zu.
„Du Arme! Vielleicht solltest du doch über eine Hyposensibilisierung nachdenken?“
Sandra war Krankenschwester und kannte sich mit der Behandlung von Allergien gut aus.
„Hyper ..., was?“ Erneut wurde Charlotte von einer gewaltigen Niesattacke geschüttelt.
„Hypo, nicht Hypersensibilisierung“, erläuterte Sandra, nun ganz in ihrem Element. „Über einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren werden dem Patienten geringe Dosen des entsprechenden Allergens verabreicht ...“
„Zwei bis vier Jahre?“, fuhr Charlotte entsetzt dazwischen, doch Sandra setzte ihren Vortrag ungerührt fort.
„... um eine Gewöhnung des Immunsystems an das Allergen zu erreichen und eine Überreaktion zu verhindern.“
„Und das wirkt?“, fragte Charlotte ungläubig nach und kramte ein weiteres Taschentuch hervor.
„Es kann auch sein, dass sich die allergischen Reaktionen durch Hormonumstellungen, zum Beispiel im Rahmen einer Schwangerschaft, verändern und sich möglicherweise dann in Form von Hautausschlägen zeigen.“
„... sprach Frau Professor Doktor Watzlawick“, spottete Charlotte und zog missbilligend die Augenbrauen nach oben.
Sandra zuckte mit den Schultern. „Es war ja nur ein Vorschlag. Du kannst gerne auch weiter leiden.“
„Lass dich nicht ärgern. Komm, ich lade uns auf ein Eis ein.“ Charlotte klopfte der Freundin versöhnlich auf die Schulter. Sie hatte nicht vor, sich die Freude über diesen herrlichen Tag von ihrem Heuschnupfen oder unnötigen Streitereien nehmen zu lassen.
Alles war perfekt.
Sie hatte einen Tag frei, hatte ihre eher unsportliche Freundin zu einem kleinen Inliner-Ausflug überreden können - und das auch noch bei herrlichem Wetter.
Was wollte man mehr?
Glücklich ließ sie ihren Blick über den See gleiten. Noch wenige Wochen zuvor waren hier Schlittschuhläufer unterwegs gewesen, jetzt warteten die Tretboote wieder auf Kundschaft. Vielleicht sollte sie mit ihrem Freund Tim wieder einmal eine kleine Fahrt wagen. Es fühlte sich immer ein bisschen an wie Urlaub.
Inzwischen waren sie im Schatten der mächtigen und imposanten Fassade der Kongresshalle angekommen. Vor dem Eingang ins Dokumentationszentrum waren jede Menge Besuchergruppen unterwegs. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 2001 hatte sich die Einrichtung zu einem Besuchermagneten entwickelt, zu einem absoluten Muss eines jeden Nürnberg-Touristen.
Doch heute wollte sich Charlotte nicht mit der braunen Vergangenheit ihrer Heimatstadt befassen, heute war Erholung angesagt.
Die vergangenen Wochen und Monate hatten an ihren Kräften gezehrt, sie fühlte sich erholungsbedürftig und ausgelaugt, und das nicht nur wegen des trüben und kalten Winterwetters. Als Kriminalhauptkommissarin hatte sie zwei nervenaufreibende Mordfälle bearbeitet und sehnte sich jetzt nach Sonne, Licht, Luft, Wärme und etwas Freizeit. Da war ein Tag am Dutzendteich genau das Richtige.
Das einzige, was Charlottes Glück etwas dämpfte, war das Frühlingsvolksfest, das jetzt am frühen Mittwochnachmittag so langsam Fahrt aufnahm. Schrill und aufdringlich lärmte die Musik der Fahrgeschäfte, das Plärren der Schausteller und Kreischen der Besucher über das Gelände.
Es war Familientag.
Charlotte hatte noch nie etwas für die Wilde Maus, die Wildwasserbahn oder den Gruseltempel übrig gehabt - auch wenn es heute nur die Hälfte kostete. Die monotonen Ansagen der Schausteller, dieses nervtötende immer-wiederdabei-sein, immer-wieder-mitmachen, kommen-Sie-kommen-Sie, waren für sie unerträglich.
Einzig der Duft nach gebrannten Mandeln oder die Aussicht auf eine leckere, in Zartbitterschokolade gehüllte Banane konnten sie dazu bewegen, sich ins Getümmel zu stürzen.
„Gilt die Einladung auch für eine Schokobanane?“ Sandra schien Gedanken lesen zu können. „Jetzt ist noch nicht so viel los.“
Wenig später hielten beide einen dicken Holzspieß mit köstlicher Schokofrucht in den Händen und sahen sich nach einer adäquaten Sitzgelegenheit um, doch leider waren alle Bänke bereits besetzt.
„Komm, wir setzen uns dort vorne auf die Wiese“, schlug Sandra vor, nicht gewillt, noch länger mit der Banane in der Hand spazierenzufahren. Etwas ungelenk staksten die Freundinnen mit ihren schweren Inlinern an den Füßen über das weiche Gras und ließen sich unweit des Ufers auf den Boden fallen.
„Lass es dir schmecken“, wünschte Charlotte, öffnete den Mund und schob sich die duftende Banane hinein. Mit einem wohligen Seufzer knackte sie die dicke Schokoladenhülle und genoss die unwiderstehliche Mischung aus Banane und Schokolade auf der Zunge. Viel schneller als ihr lieb war, verschwand der letzte Rest in ihrem Mund. Selig kauend wollte sie den leeren Spieß neben sich ins Gras legen, als sie plötzlich hinter sich ein vornehmes Hüsteln hörte.
Sie drehte sich um und erkannte einen Mann in einem altmodischen, braun-karierten Jackett, der vorwurfsvoll auf sie herabsah. Er trug eine weite Hose, deren Beine im Schaft hoher, schwarz glänzender Lederstiefel steckten und einen Hut, der offensichtlich aus Sherlock Holmes´ Garderobe stammte. In der rechten Hand hielt er eine Reitgerte, mit der er rhythmisch in die linke Hand klopfte wie Lehrer Lämpel bei Max und Moritz.
Mit tränenden Augen blinzelte Charlotte in die Sonne. „Ja? Was ist denn?“
„Sie fragen mich ernsthaft, was denn sei?“, ließ sich der Herr in seiner eigenartigen Fistelstimme vernehmen. „Junge Frau, ich bitte Sie!“
Überrascht setzte sie sich auf, hielt die Hand schützend über die Augen und betrachtete ihr Gegenüber fragend.
„Erst bohren Sie die Räder Ihrer modernen Rollschuhe in die schutzlose Erde, dann setzen Sie sich auch noch auf den frühlingshaft-jungfräulichen Rasen, um anschließend den Müll Ihrer gesundheitsbelastenden Süßigkeit auf ebendiesem abzulegen. Und dann fragen Sie auch noch, was denn sei? Ich für meinen Teil halte dieses Verhalten für mehr als unangemessen. Und jetzt darf ich Sie dringend bitten, sich Ihres zerstörerischen Schuhwerks zu entledigen und stante pede auf die für Ihre Zwecke zur Verfügung gestellten Wege zu begeben und unverzüglich den unnötigerweise produzierten Müll in dem dafür vorgesehenen Behälter zu entsorgen. Bitte!“
Damit strich er sich mit dem Finger über seinen akkurat gestutzten Schnauzer dessen Enden professionell in die Höhe gezwirbelt waren.
„Wie bitte?“, presste Charlotte hervor.
Auch Sandra starrte die skurrile Erscheinung mit offenem Mund an. Verstohlen verstaute sie den Holzspieß und die Serviette in ihrem Rucksack.
„Sie haben mich schon verstanden. Wenn ich Sie jetzt bitten dürfte.“
Der Blick des Mannes wurde strenger, unnachgiebiger und trotz seiner fast lächerlich wirkenden Aufmachung beinahe etwas furchteinflößend.
„Jetzt hören Sie mal“, entfuhr es jetzt Sandra, doch Charlotte legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. Sie hatte heute keine Lust, die Situation eskalieren zu lassen. Das war es ihr nicht wert. Wenn dieser komische Typ ein Problem damit hatte, dass sie hier im Gras eine Schokobanane aßen, dann konnte sie es auch nicht ändern. Sie würde sich deshalb nicht mit ihm streiten.
„Bitte verzeihen Sie“, antwortete sie stattdessen mit einem sanften Lächeln und beschloss, diese Episode unter der Rubrik skurrile Erlebnisse abzuheften. „Wir waren uns unseres frevelhaften Verhaltens nicht bewusst und entschuldigen uns in aller Form dafür. Natürlich werden wir alles in unserer Macht Stehende dafür tun, dass es nicht wieder vorkommt. Haben Sie Dank für den freundlichen Hinweis.“
Nach einem abschließenden reuevollen Augenaufschlag zog sie die Inliner aus und spazierte ehrfürchtig über den Rasen. Sandra folgte ihr kopfschüttelnd.
Auf dem Weg angekommen drehten sie sich um und konnten amüsiert beobachten, wie Meister Lämpel gerade mit forschem Schritt auf eine Gruppe junger Männer zuging, die es sich mit Bierflaschen, Pizzakartons und Ghettoblaster gemütlich gemacht hatten.
„Meine Herren! Ich muss Sie eindringlich darauf hinweisen, dass Sie...“
Charlotte sah Sandra schmunzelnd an, zuckte ungläubig mit den Schultern und zog sich ihre Inliner wieder an. „Ist es nicht unglaublich, was es für Leute gibt?“
„Kennt ihr den nicht?“, fragte eine ältere Dame mit fleckiger Schürze aus den Tiefen eines Imbisswagens hervor. Mit hochroten Wangen und freundlichen Lachfältchen um die Augen strahlte sie die beiden Freundinnen an und lachte laut auf. „Das ist der Teichwächter. Der sorgt hier für Zucht und Ordnung.“
„Das haben wir gemerkt“, gab Sandra leicht angesäuert zurück.
„Lasst euch nicht ärgern, er meint es nicht böse“, behauptete die Frau, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Bratwurst-Gerti hatte, der Besitzerin einer Bratwurstküche am Hauptmarkt, bei der Charlotte regelmäßig zu Gast war.
„Teichwächter? Das klingt interessant.“ Charlotte stützte sich neugierig auf den Tresen und wurde augenblicklich in eine riesige, fettige Wolke gehüllt. „Was ist das für ein Typ?“
„Ein komischer Kauz. Er fühlt sich als Aufpasser und behauptet, er müsse hier am Dutzendteich für Ordnung sorgen. Er quatscht die Leute an, die friedlich im Gras sitzen oder grillen. Die meisten nehmen ihn nicht ganz ernst und reagieren so wie ihr gerade eben, aber manchmal fühlt sich auch jemand belästigt und es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen. Ein paarmal war auch schon die Polizei da, aber unser Teichwächter kommt immer wieder. Er gehört einfach zum Dutzendteich wie das Tretboot mit dem Schwan und eine leckere Portion Pommes. Wollt ihr?“
Charlotte winkte freundlich ab. „Nein, danke. Ich hatte gerade erst eine üppige Schokobanane.“
„Und was ist mit dir?“, rief die Frau Sandra zu. „Du siehst noch ein bisschen hungrig aus. Ich hab gerade eine frische Portion fertig.“
„Da sage ich nicht nein“, strahlte Sandra und nahm kurz darauf eine gut gefüllte Pappschale fettig glänzender und mit einem ordentlichen Klecks Ketchup garnierter Pommes entgegen.
„Vielen Dank. Das ist jetzt genau das Richtige nach der Zuckerbombe von eben.“
„Lass es dir schmecken.“
„Oh, danke. Wir kommen sicher wieder einmal hungrig vorbei. Tschüß!“
Zufrieden grinsend ignorierte Sandra Charlottes ungläubiges Kopfschütteln und hielt ihr die dampfende Schale entgegen.
„Willst du?“
Unterdessen verließ ein kleiner Schwarzhalstaucher sein halbfertiges, schwimmendes Nest auf dem Flachweiher und watschelte auf der Suche nach Baumaterial hinüber zu einem der beiden Nummernweiher. Er liebte den ruhigen, flachen Teich, an dem nur wenige lärmende Menschen unterwegs waren. Ebenso liebte er die vielen Pflanzen, die abgestorbenen Äste und Baumstämme, die in Ufernähe im Wasser lagen. Die schwarzgefiederte Ente ließ sich in das kühle Naß gleiten und schwamm auf einen Baum zu, der vor Kurzem noch nicht hier gelegen hatte. Der Stamm war unter die Oberfläche gesunken, die kahlen, morschen Äste ragten hilfesuchend empor.
Hungrig streckte der Wasservogel auf der Suche nach kleinen Insekten seinen Kopf unter Wasser, sah mit seinen auffallend roten Augen ein kleines, glänzendes Ding auf dem schlammigen Boden liegen und schnappte zu. Doch statt der erhofften stärkenden Mahlzeit spürte er ein ungewohntes Gewicht an seinem Schnabel hängen. Mit aller Kraft paddelte er ans Ufer und zerrte das Ding aus dem Wasser.
Nürnberger Nachrichten 08.04.2010
Vogelliebhaber entdeckt wertvollen Ring
NÜRNBERG Damit hatte Harry F. nicht gerechnet! Seit mehreren Tagen macht sich der Vogelliebhaber allabendlich auf den Weg zum Flachweiher im Volkspark Dutzendteich, um ein seltenes Paar Schwarzhalstaucher zu beobachten. Am gestrigen Abend machte er eine Entdeckung der besonderen Art: Statt der erwarteten Eier fand er einen wertvollen Ring im Nest der Wasservögel.
„Ich beobachte das Vogelpärchen schon seit über zwei Wochen“, berichtet der Hobby-Ornithologe. „Gestern am späten Abend waren die beiden ungewöhnlich aufgeregt. Sie tänzelten um ihr Nest herum, pickten immer wieder auf etwas ein, das ich nicht erkennen konnte.“
Harry F. näherte sich vorsichtig und sah etwas glitzern. Schließlich fand er zwischen dem Nistmaterial den wertvollen Schmuck, dessen Wert Experten auf einen hohen vierstelligen Betrag schätzen. Nach Aussagen der Polizei handelt es sich bei dem Ring um ein handgefertigtes Einzelstück. Bei der Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer bitten die Behörden die Bevölkerung um Mithilfe.
Der Parkplatz auf der Großen Straße war für diese frühe Uhrzeit erstaunlich voll. Friedhelm Eck stellte seinen Wagen ab und beobachtete erstaunt, wie Grüppchen von Menschen mit Fototaschen, Ferngläsern und Gummistiefeln bewaffnet in Richtung Flachweiher unterwegs waren. Was wollten all die Leute dort? Es interessierte sich doch sonst auch kaum jemand für den abseits gelegenen Teich - noch nicht!
Er lächelte siegessicher in sich hinein. Wenn im nächsten Frühjahr erst der Leuchtturm stand, die interaktive Ausstellung im neu errichteten Eisbärenfelsen eröffnet war und die hübschen Bärenboote über das Wasser glitten, würden regelmäßig Prozessionen Erholungssuchender hierher pilgern und ansehnliche Summen an Eintrittsgeldern in seine Kasse spülen. Alle würden das schnuckelige Strandcafé Seerose besuchen und reichlich konsumieren.
Vorausgesetzt er würde den Zuschlag erhalten, wovon er selbstverständlich ausging. Allerdings musste er zugeben, dass ihm das Auftauchen dieses Möchtegern-Gastronomen mit dem lächerlichen holländischen Namen keine Ruhe ließ.