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Eine Reisegruppe aus Deutschland freut sich auf einen entspannten Urlaub im Gartenhotel Moser in Montiggl/ Südtirol. Doch schnell wird die Freude getrübt: Der Hotelchef Wolfgang Moser wird entführt! Er soll angeblich mehrere Werke des berühmten Südtiroler Malers Max Parer versteckt halten. Nachdem der zuständige Commissario Roberto Pagani den Fall nicht ernst genug nimmt, muss die Hotelchefin Christine, zusammen mit einer kleinen, mutigen Gruppe Hotelmitarbeiter, das Problem selbst in die Hand nehmen ...
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Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Eine Reisegruppe aus Deutschland freut sich auf einen entspannten Urlaub im Gartenhotel Moser in Montiggl/ Südtirol. Doch schnell wird die Freude getrübt:
Der Hotelchef Wolfgang Moser wird entführt! Er soll angeblich mehrere Werke des berühmten Südtiroler Malers Max Parer versteckt halten. Nachdem der zuständige Commissario Roberto Pagani den Fall nicht ernst genug nimmt, muss die Hotelchefin Christine, zusammen mit einer kleinen, mutigen Gruppe Hotelmitarbeiter, das Problem selbst in die Hand nehmen ...
Monika Martin ist Sozialpädagogin und arbeitet als Autorin und Stadtführerin in Nürnberg.
In ihrer Reihe „Krimis mit Geschichte“ verbindet sie ihre literarische Tätigkeit mit ihrem regionalgeschichtlichen Engagement zu Kriminalromanen mit Fakten aus der Nürnberger Stadtgeschichte.
In den Krimis der Reihe „Ermitteln, wo andere Urlaub machen“ nimmt sie die Leser mit an Orte und Schauplätze, die sie selbst oft und gern bereist hat: Ungarn, Italien, die Nordseeküste und Südtirol.
„Bilderrätsel“ ist in Zusammenarbeit mit dem Gartenhotel Moser (Montiggl/Südtirol) entstanden.
Im November 2018 wurde ihr der Elisabeth-Engelhardt-Literaturpreis verliehen.
Monika Martin lebt mit ihrer Familie in Schwanstetten bei Nürnberg.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Epilog
22. Dezember 1969
Ein eiskalter Wind fegte durch das tiefverschneite Tal, die Äste der kahlen Bäume bogen sich unter der ungewohnten Last. Links und rechts der schmalen Straßen türmten sich riesige weiße Wände auf. Nur selten hatten die Menschen im Süden Südtirols solche Schneemassen erlebt. Die beiden Montiggler Seen waren zugefroren, es herrschte seit Tagen strenger Dauerfrost.
Auch heute, am kürzesten Tag des Jahres, hingen dicke, graue Wolken am Himmel. Es war den ganzen Tag über nicht richtig hell geworden.
Fest in ihren Mantel gewickelt, den wollenen Schal mehrmals um den Kopf geschlungen, stapfte Margarete am frühen Abend den schmalen Pfad entlang zum Schlösschen.
Der voll bepackte Korb mit Brot, Schinken, hartgekochten Eiern und so manch anderen Leckereien wog schwer in ihrer blaugefrorenen Hand. Sie wusste, dass der alte Mann bereits sehnsüchtig auf sie wartete, und das nicht nur wegen der Verpflegung, die sie ihm seit Jahren regelmäßig vorbeibrachte. Nein, es war auch ihre Gesellschaft, nach der sich Max Parer sehnte, die er sich mehr herbeiwünschte, als alle Brote dieser Welt. Auch Margarete genoss die Zeit mit dem verschrobenen Künstler, der ihr Großvater hätte sein können.
Sie liebte den Geruch von Farbe und Terpentin, die anregenden Gespräche im stets überheizten Wohnraum des alten Schlösschens.
Nach einem langen, kräftezehrenden Arbeitstag als Zimmermädchen im nahe gelegenen Hotel kostete es sie oft einige Mühe, sich aufzuraffen und den einsamen Weg zu dem abseits gelegenen Anwesen auf sich zu nehmen. Doch für die Stunde der Ruhe, für die Freude, die sie dem alten Mann mit ihrem Besuch machte, war sie gern dazu bereit.
Sie hatte nicht viele Freunde im kleinen Ort Montiggl, denn es haftete ein Makel an ihr:
Sie war unverheiratet und hatte einen Sohn. Der Vater des Kindes hatte ihr damals eine gemeinsame Zukunft versprochen, einen eigenen Hof, eine große Familie. Doch als herauskam, dass sie schwanger war, hatte er sie fallen lassen. Seither war sie allein mit ihrem Jungen, kämpfte sich durch all die Schwierigkeiten, die das Leben als ledige Mutter mit sich brachte.
Sie war unendlich froh und dankbar gewesen, als sie die Stelle in dem Hotel der Familie Moser bekommen hatte.
Max Parer war es egal, ob sie verheiratet war oder nicht. Er machte sich nichts aus den engen gesellschaftlichen Moralvorstellungen, mochte und schätzte sie so wie sie war.
Seit nunmehr fünf Jahren kümmerte sich Margarete um den Maler, war oft die einzige Person, die er zu Gesicht bekam.
Seit fast 40 Jahren lebte und arbeitete er zurückgezogen in dem alten Haus. Er liebte seine Südtiroler Heimat und hielt diese Heimatverbundenheit in stimmungsvollen Motiven von Almen und Bergen fest.
Leider schätzten die Leute seine Kunst wenig. Mit dem Erlös aus dem Verkauf der Bilder verdiente er kaum genug, um über die Runden zu kommen. So nahm er dankbar die Hilfe aus dem nahen Hotel an, die ihm regelmäßig mit der freundlichen jungen Frau geschickt wurde.
Schemenhaft tauchte das alte Gemäuer in der Dunkelheit auf. Im Fenster sah man den flackernden Schein einer Kerze, aus dem Kamin stieg Rauch auf.
Margarete schluckte.
Womöglich war dies ihr letzter Besuch hier.
Parer war krank. Er weigerte sich, ins Krankenhaus zu gehen, sprach immer wieder davon, hier in seinem Haus sterben zu wollen.
Morgen früh wollte sie zu ihrer Schwester in die Stadt fahren, um dort die Weihnachtsfeiertage zu verbringen.
Wenn sie in einer Woche zurückkommen würde, lebte er vielleicht schon nicht mehr.
Sie spürte einen Kloß im Hals, ihre Lippen zitterten, warme Tränen rannen ihr die eiskalten Wangen hinab. Mit klammen Fingern zog sie ein Taschentuch hervor und wischte sich über das Gesicht. Parer durfte nicht sehen, dass sie geweint hatte, es würde ihn nur beunruhigen.
Margarete atmete tief durch und klopfte.
Eine Stunde später stand sie wieder draußen im schneidenden Wind und hielt den Schlüssel zum Vorratskeller in der Hand. Er befand sich nur wenige Meter vom Haus entfernt und war in eine kleine Böschung eingegraben worden.
Mit klammen Fingern öffnete sie die wackelige Tür und trat hinab in den dunklen, niedrigen feuchten Keller. Ein leicht modriger Lufthauch streifte ihr Gesicht. Der Raum war nicht mehr als ein Erdloch und maß etwa drei mal drei Meter. Im schwachen Schein einer Taschenlampe ließ sie den Blick über morsche Regale, zerfledderte Kartons und allerlei Gerümpel schweifen. In einem Weidenkorb moderten eine handvoll gammeliger Kartoffeln vor sich hin.
Irgendwo hinter einem der halb verfallenen Schränke musste die Tür sein, die angeblich in einen geheimen Raum führte.
Margarete trat auf ein schmales, halbleeres Regal zu und versuchte, es zur Seite zu schieben. Schnell war der Spalt groß genug, um dahinter leuchten zu können – Nichts!
Auch hinter dem zweiten Schränkchen war keine Tür zu erkennen. Blieb nur noch ein massives, mit unzähligen Einweckgläsern vollgestelltes Regal.
Margarete seufzte, legte die Taschenlampe auf den Boden und begann damit, die Gläser vorsichtig auszuräumen.
Was hatte Parer gesagt? Hinter der Tür gebe es einen geheimen Raum, in dem vier seiner besten Gemälde lagerten? Sein Sohn habe es auf die Bilder abgesehen, wolle alles zu Geld machen. Diese Bilder seien aber für sie, Margarete, reserviert, als Dank für die Mühe und die angenehmen Stunden. Als Bezahlung für die vergangenen fünf Jahre.
Diese Bilder sollten ihre Altersvorsorge sein, sollten ihr ein besseres Leben ermöglichen.
Langsam wurde ihr warm, war die Kälte vergessen. Sollte sie wirklich die Gemälde finden, würde sie diesen Ort vielleicht doch verlassen und in die Anonymität der Stadt ziehen, dorthin, wo sie nicht von jedem als die ledige Mutter stigmatisiert würde, wo sie ein neues Leben beginnen könnte.
Mit klopfendem Herzen schob sie das schwere Möbelstück Zentimeter für Zentimeter zur Seite und leuchtete auf die Wand.
Tatsächlich!
Hier war eine Tür!
Sie war unverschlossen. Margarete öffnete sie und gelangte in eine winzige Kammer, in der lediglich eine wuchtige Truhe stand. Aufgeregt hob sie den gewölbten Deckel an und stieß einen spitzen Schrei aus.
Da waren die Bilder!
Meine Mutter weckte mich sehr früh. Ich hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen gewesen zu sein. Sie wirkte aufgeregt und irgendwie glücklich. Das konnte ich gut verstehen, denn Weihnachten und damit eine Woche Ferien bei meiner Tante Lotte standen bevor. Es schien aber noch etwas anderes zu sein, was meine Mutter beschäftigte, etwas, das mit den Gegenständen zu tun hatte, die Mutter in den Kofferraum des kleinen Wagens geräumt und mit einem Tuch zugedeckt hatte. Sie strahlte mich an, küsste und umarmte mich.
Der Motor des Autos knatterte durch die Stille des frühen, dunklen und klirrend kalten Morgens. Es hatte einige Zeit gedauert bis wir mit vereinten Kräften die Scheiben vom Eis befreit hatten. Meine Hände waren blau vor Kälte, meine rote Nase tropfe unaufhörlich. Hoffentlich funktionierte die Heizung. Aber wir durften nicht undankbar sein. Es war schließlich nicht selbstverständlich, dass uns ein Kollege von Mutter das Fahrzeug über die Feiertage überlassen hatte.
Nebel lag über dem Tal. Es schneite.
Mutter zitterte, schaffte es beinahe nicht, das Auto über den vereisten Hof auf die Straße zu lenken. Endlich hatten wir es geschafft.
Der Schneefall wurde stärker. Mutter klebte förmlich mit der Nase an der Windschutzscheibe, während sich die Wischblätter quietschend über die Scheibe bewegten. Ein ums andere Mal rutschten die Hinterräder auf der spiegelglatten Fahrbahn weg.
Ich hielt die Luft an, bekam zunehmend Angst. Die ohnehin schmale Straße war durch die aufgetürmten Schneemassen zu einer einzigen Fahrspur verengt. Zum Glück war außer uns niemand zu so früher Stunde unterwegs.
Konzentriert und schweigend starrte Mutter auf die weiße Fahrbahn. Bald würden wir Eppan erreicht haben. Dort würde die Straße breiter werden, besser geräumt.
Noch zwei Kurven...
Plötzlich konnte ich im dichten Schneetreiben einen Lichtstrahl erkennen. Mein Herz schlug schneller.
Da kam uns ein Fahrzeug entgegen!
Die Scheinwerfer blendeten.
Mutter versuchte, das Auto unter Kontrolle zu bekommen, doch es ließ sich nicht mehr lenken.
Das andere Fahrzeug kam näher. Das Licht wurde unerträglich.
Mutter hielt sich eine Hand vor die Augen. Unser Auto schlitterte. Das entgegenkommende Fahrzeug hupte laut.
Mutter riss verzweifelt das Lenkrad herum, schrie auf!
Dann wurde es dunkel.
17. September 2014
Die Nacht ist sternenklar. Bis auf das Quaken der Frösche im nahen See und das Rauschen des mannshohen Schilfgrases ist kein Laut zu hören. Nach der Betriebsamkeit des vergangenen Spätsommertages liegt jetzt, zwei Stunden nach Mitternacht, eine fast unheimliche Stille über dem kleinen Tal.
Niemand bemerkt mich, die dunkle Gestalt, die lautlos über den hölzernen Steg schleicht. Die Mütze tief in das Gesicht gezogen, einen schweren Rucksack auf dem Rücken, bewege ich mich schnell auf mein Ziel zu. Das Wasser links und rechts des Steges gluckst, ein Käuzchen schreit, der Mond wirft gespenstische Schatten.
Mein Atem geht stoßweise.
Nach einem kurzen Stück durch den Wald erreiche ich das alte, verlassene Gebäude, das einsam am Ufer des Sees liegt. Jedem anderen hätte der Anblick des Gemäuers einen Schauer über den Rücken gejagt, doch ich stapfe auf das Haus zu, ohne meinen Schritt zu verlangsamen. Ich umrunde das Gebäude, ziehe einen rostigen Schlüssel aus der Tasche und öffne quietschend die massive Holztür.
Feuchte, modrige Luft streicht über mein erhitztes Gesicht als ich mir einen Weg durch all das umher liegende Gerümpel bahne. Der lehmige Boden ist übersät von kaputten Möbeln, zerbrochenem Geschirr, Brettern und aufgeweichtem Papier. Offenbar haben hier des Öfteren Leute nach Brauchbarem gesucht.
Mit einer starken Taschenlampe leuchte ich in jeden Winkel des Raumes.
Hier hat er also gelebt.
Hierher kam meine Mutter regelmäßig, um den Alten mit Lebensmitteln zu versorgen.
Ich selbst war auch ein paarmal dabei gewesen, kann mich aber nicht mehr daran erinnern.
Langsam trete ich wieder hinaus ins Freie und suche den Vorratskeller.
Ich blicke mich in der näheren Umgebung des Gebäudes um, sehe den See auf der einen Seite, Schilf und Gebüsch auf der anderen. Dahinter den Wald. Mutter hat mir genau beschrieben, wo ich den Zugang finde.
Plötzlich entdecke ich im immer schwächer werdenden Schein der Taschenlampe hinter hohen Brennnesseln eine versteckte, verfallene Tür.
Vorsichtig bahne ich mir den Weg durch das dichte Grün, stets darauf bedacht, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen.
Schließlich soll meine Unternehmung geheim bleiben.
Nach wenigen Metern habe ich die Tür erreicht. Sie ist etwa 1,5m hoch und mit einem mächtigen Vorhängeschloss gesichert.
Ich hole den alten Schlüssel aus meiner Tasche und stecke ihn in das verrostete Schloss.
Es muss der Richtige sein! Immerhin hing er zusammen mit dem anderen Schlüssel am Haken im Büro.
Ich lächle in mich hinein. Wie leicht es doch gewesen ist, an den Schlüssel heranzukommen. Die Bürotür steht meistens offen, ich habe mich nur bedienen müssen.
Er lässt sich nicht bewegen!
Das habe ich erwartet.
Vermutlich ist das Schloss seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet worden. Ich krame den Rostlöser aus meinem Rucksack. Ein Sprühstoß genügt und der Schlüssel lässt sich butterweich drehen.
Das Schloss springt auf.
Ich öffne die niedrige Tür und leuchte in den stockfinsteren Raum hinein.
Es ist alles genauso, wie Mutter es mir beschrieben hat. Alte Regale, Schränke, Körbe. Zielsicher schiebe ich das schwere Regal mit den Einweckgläsern zur Seite. Ich muss einen Blick in die Kammer werfen, in denen die Bilder aufbewahrt waren.
Tatsächlich!
Hier ist die Tür, die Kammer, die leere Truhe.
Ein Lächeln huscht über mein Gesicht und macht einen Augenblick später Verbissenheit Platz.
Ich habe genau das gefunden, wonach ich gesucht habe.
Der ideale Ort für die Durchführung meines Plans.
Mein Herz macht einen Sprung.
Ich werde die Bilder finden!
Ich habe es dir versprochen. Wer auch immer sie uns nach dem Unfall weggenommen hat, ich werde sie finden und nehmen, was mir schon lange zusteht.
Wie anders wäre mein Leben verlaufen?
Meine gesamte Kindheit war geprägt von diesen Bildern, die uns genommen wurden.
Wie oft hatte meine Mutter die Bemerkung fallen lassen „...wenn wir nur die Bilder noch hätten ...“
Ich konnte es nicht mehr hören.
Wir sind auch so über die Runden gekommen, mehr schlecht als recht.
Vielleicht hätten wir, vielleicht könnten wir, ...
Wütend knalle ich die Tür zu der kleinen Kammer zu, schiebe das Regal zurück an seinen Platz.
Jetzt ist Mutter tot und ich habe ihr versprochen, die Bilder zu finden, damit sie endlich Ruhe finden kann.
Der Motor des modernen Reisebusses erstarb, die Türen öffneten sich mit einem leisen Seufzer. Schlagartig breitete sich hektische Betriebsamkeit unter den Reisenden aus.
Jeder kramte sein Gepäck zusammen und versuchte nach der etwa siebenstündigen Fahrt so schnell wie möglich nach draußen zu kommen.
Hartmut Öchsner beugte sich zu seiner Frau Helene hinüber, die wenige Kilometer vor dem Ziel eingeschlafen war.
„Wir sind da“, flüsterte er vorsichtig, konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass Helene aufschreckte.
„Was ist passiert?“, rief sie erschrocken aus und blickte sich um.
„Du hast den interessantesten Teil der Reise verschlafen“, grinste Hartmut und drückte ihr die Tasche mit dem Reiseproviant in die Hand.
Helene schüttelte den Kopf. „Wir sind schon so oft über den Brenner gefahren, das ist doch nichts Neues mehr. Ich freue mich, dass wir endlich da sind und ich meine Beine wieder ausstrecken kann.“
Das Ehepaar Öchsner lebte in einem kleinen Dorf nahe Würzburg in Bayern. Die beiden waren viel unterwegs und hatten nach Hartmuts Pensionierung die halbe Welt bereist.
Inzwischen bevorzugten sie Reisen in die Berge, die von einem Busunternehmen aus dem Nachbarort organisiert wurden. Sie genossen es, sich um nichts kümmern zu müssen, in schicken Hotels untergebracht zu sein und interessante Ausflüge unternehmen zu können.
Helene zog einen kleinen Spiegel und einen Kamm aus ihrer Handtasche und fuhr sich durch ihr kurzes, graues Haar.
Nachdem sie sich ihr Haar jahrzehntelang gefärbt hatte, trug sie es seit einigen Jahren so wie es war: grau. Und fühlte sich wohl damit. Immerhin war sie vor kurzem 75 geworden.
Hartmut hatte keine Probleme dieser Art. Er wurde bald 79 und war froh um jedes Haar, das sich noch auf seinem Kopf finden ließ, egal welche Farbe es hatte.
Mühsam stemmte sich Helene aus dem weichen Sitz und schob sich durch den engen Gang in Richtung Tür.
So gern sie auch verreiste, die Anreise mit dem Bus war immer eine Quälerei für sie. Durch das lange Sitzen wurden ihre Beine schwer und das Laufen nach dem Aufstehen anstrengend. Doch sie nahm es gern in Kauf, um einige abwechslungsreiche Tage in netter Gesellschaft zu verbringen.
Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel, die Luft war mild, es duftete betörend nach reifen Äpfeln und prallen Weintrauben.
Mit leuchtenden Augen stand die Reisegruppe aus Franken vor ihrem Feriendomizil: Dem Gartenhotel Moser in Montiggl, Südtirol.
Die Hotelanlage lag traumhaft ruhig zwischen Weinbergen und Apfelplantagen in unmittelbarer Nähe zu den beiden Montiggler Seen, nahe des kleinen gleichnamigen Ortes mit seinen stolzen 99 Einwohnern.
„Herzlich Willkommen im Gartenhotel Moser!“, rief eine freundliche, blonde Dame im Dirndl und kam mit ausgebreiteten Armen auf die Gruppe zu.
„Mein Name ist Christine Moser, ich bin die Hotelchefin und freue mich sehr, Sie in unserem wunderschönen Südtirol begrüßen zu dürfen. Bitte folgen Sie mir zur Rezeption.
Meine Mitarbeiter zeigen Ihnen Ihre Zimmer und Suiten und helfen Ihnen mit Ihrem Gepäck. Wenn Sie sich eingerichtet und etwas ausgeruht haben, erwarten wir Sie gern auf unserer Terrasse oder im Garten zu einem kleinen Imbiss.“
Am frühen Abend hatten Hartmut und Helene das Gelände erkundet, ein erfrischendes Bad im Pool genommen und sich für das Abendessen zurechtgemacht. Sie freuten sich beide auf das angekündigte Meeresfrüchte-Buffet und das darauffolgende Menü. Als sie das Restaurant betraten, kam ein großer dunkelhaariger Mann auf sie zu.
„Guten Abend“, begann er und schüttelte beiden herzlich die Hand. „Ich bin Wolfgang Moser, der Chef des Hauses. Ich hoffe, Sie fühlen sich bei uns wohl.“
„Vielen Dank“, gab Helene zurück, „es ist alles wunderbar hier bei Ihnen. Wo dürfen wir sitzen? Ist freie Platzwahl?“
„Wir haben einen Tisch für Sie reserviert“, erklärte der Hotelchef, „der Ihnen während Ihres gesamten Aufenthalts zur Verfügung steht. Verraten Sie mir Ihren Namen?“
Wolfgang Moser führte die beiden am verlockend aussehenden Vorspeisen- und Salatbuffet vorbei in einen kleinen Raum.
„Das ist unsere Max-Parer-Stube“, meinte Moser und wies auf einen großen, gemütlichen Tisch in der Ecke, auf dem ein Schildchen mit zwei Namen stand: Öchsner und Köhler.
„Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn noch ein weiteres Paar bei Ihnen am Tisch sitzt?“, fragte Moser, doch Hartmut winkte ab.
„Im Gegenteil, wir freuen uns über Gesellschaft. Der Tisch ist ja groß genug.“
„Wer ist Max Parer?“, fragte Helene. „War das ein Vorfahre von Ihnen?“
Moser lachte. „Nein, so kann man das nicht sagen. Parer war ein bekannter Maler aus Montiggl, der 1970 verstorben ist.
Die Bilder hier an den Wänden sind alle von ihm.“
Helene blickte sich interessiert um und sah verschiedene Zeichnungen und Aquarelle mit Motiven aus Südtirol.
„Wenn Sie morgen einen Spaziergang zum See unternehmen möchten, können Sie einen kleinen Abstecher zum Schlössl machen. Dort hat Parer seinen Lebensabend verbracht“, schlug der Hotelchef vor. „Wir haben auch verschiedene Bücher, falls Sie sich näher für ihn und sein Werk interessieren.“ Er deutete auf ein Bücherregal mit mehreren Bildbänden und Taschenbüchern.
„Danke, sehr freundlich“, gab Helene zurück. „Vielleicht schaue ich nach dem Essen in eines der Bücher hinein.“
„Ich wünsche Ihnen noch einen guten Appetit und einen erholsamen Aufenthalt. Vielleicht sehen wir uns nach dem Essen noch in der Lounge oder draußen beim Lagerfeuer?“,
verabschiedete sich Moser und wandte sich anderen Gästen zu. Kurz darauf trat ein italienisch aussehender Kellner in Begleitung eines Paares an ihren Tisch. Er war nicht sehr groß und hatte ein freundliches, verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Auf seinem Namensschild war