Hochzeit in der Mulberry Lane - Rosie Clarke - E-Book
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Hochzeit in der Mulberry Lane E-Book

Rosie Clarke

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Beschreibung

Während der Zweite Weltkrieg London beherrscht, halten die Frauen aus der Mulberry Lane fest zusammen …

Maureen Jackson wusste, dass das Leben als angehende Krankenschwester nicht einfach sein würde. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Krankenhaus gleich in ihrer ersten Schicht schwer bombardiert wird. Zudem halten sie Familie und Freunde in der Mulberry Lane Maureen auf Trab, denn dort wird sie genauso gebraucht wie bei ihren Patienten. Und als wäre das nicht genug, tritt auch Rory wieder in ihr Leben …

Peggys Mann Laurence ist im Kriegsdienst und weit entfernt stationiert. Peggy lebt in ständiger Angst um ihn, doch dann erfährt sie etwas über Laurence, das sie schwer belastet. Als eines Tages ein gutaussehender Amerikaner in ihrem Pub auftaucht und Peggy charmant den Hof macht, gerät ihr Leben mehr durcheinander, als ihr lieb ist.

Währenddessen ist der Mann ihrer Tochter Janet endlich zurück von der Front. Doch Janets anfängliche Freude schlägt zusehends in Entsetzen um. Mike ist nicht nur verletzt, sondern nun ein ganz anderer Mann als der, in den sie sich verliebt hat - und er erinnert sich weder an sie, noch an ihre kleine Tochter …

Liebe, Tod und Hoffnung - Das Schicksal der Mulberry Lane in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die große London-Saga für alle Fans von Donna Douglas, Katharina Fuchs und Ulrike Renk. Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Über das Buch

Während der Zweite Weltkrieg London beherrscht, halten die Frauen aus der Mulberry Lane fest zusammen …

Maureen Jackson wusste, dass das Leben als angehende Krankenschwester nicht einfach sein würde. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Krankenhaus gleich in ihrer ersten Schicht schwer bombardiert wird. Zudem halten sie Familie und Freunde in der Mulberry Lane Maureen auf Trab, denn dort wird sie genauso gebraucht wie bei ihren Patienten. Und als wäre das nicht genug, tritt auch Rory wieder in ihr Leben … Peggys Mann Laurence ist im Kriegsdienst und weit entfernt stationiert. Peggy lebt in ständiger Angst um ihn, doch dann erfährt sie etwas über Laurence, das sie schwer belastet. Als eines Tages ein gutaussehender Amerikaner in ihrem Pub auftaucht und Peggy charmant den Hof macht, gerät ihr Leben mehr durcheinander, als ihr lieb ist. Währenddessen ist der Mann ihrer Tochter Janet endlich zurück von der Front. Doch Janets anfängliche Freude schlägt zusehends in Entsetzen um. Mike ist nicht nur verletzt, sondern nun ein ganz anderer Mann als der, in den sie sich verliebt hat – und er erinnert sich weder an sie, noch an ihre kleine Tochter …

Liebe, Tod und Hoffnung – Das Schicksal der Mulberry Lane in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die große London-Saga für alle Fans von Donna Douglas, Katharina Fuchs und Ulrike Renk. Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Über Rosie Clarke

Rosie Clarke ist eine englische Autorin, die bereits seit vielen Jahren Romane schreibt. Sie lebt in Cambridgeshire, ist glücklich verheiratet und liebt das Leben mit ihrem Mann. Wenn sie nicht gerade faszinierende Geschichten über starke Frauen schreibt, dann verbringt sie ihre Zeit gerne in Marbella und genießt das gute Essen und die spanische Sonne. Allerdings hält sie es dort nie allzu lange aus, denn das Schreiben neuer Romane ist ihre größte Leidenschaft.

Uta Hege lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Saarbrücken. Mit dem Übersetzen englischer Titel hat sie ihre Reiseleidenschaft und ihre Liebe zu Büchern perfekt miteinander verbunden und ihren Traumberuf gefunden

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Rosie Clarke

Hochzeit in der Mulberry Lane

Übersetzt aus dem Englischen von Uta Hege

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Impressum

1

»Wo hast du das her?« Tommy Barton packte seinen kleinen Bruder Sam am Arm und drehte ihn herum, sodass dieser das halb gegessene süße Brötchen fallen ließ. »Das ist vom Bäcker auf dem Markt – woher hattest du das Geld dafür?«

Die Luft war nach wie vor vom beißenden Gestank der Brandbomben erfüllt, und über den getroffenen Häusern ein paar Straßen weiter stiegen dunkle Rauchsäulen in den Himmel auf. Seit über einem Monat fielen immer wieder Bomben auf die Gassen Spitalfields’, und zahlreiche Gebäude waren schwer beschädigt oder ganz zerstört. Im Januar 1941 herrschte Eiseskälte, doch die beiden Jungen hatten über ihren Hemden und den abgewetzten Hosen mit den Flicken auf den Knien nur dünne Sommerjacken an. Auch ihre abgetragenen Stiefel waren alles andere als warm, und durch das Loch, das in der Spitze von Sams rechtem Stiefel klaffte, drang die Nässe ein.

»Gib her, ich habe Hunger«, stieß Sam schmollend aus, und seine dunklen Augen, die das eingefallene Gesicht beherrschten, funkelten vor Zorn. »Du hättest mir das Brötchen gar nicht wegnehmen müssen, denn auch wenn dich das im Grunde überhaupt nichts angeht, habe ich es mir auf dem Schrottplatz selbst verdient.«

»Was hast du da gemacht?«, hakte sein Bruder nach. »Bert hat dich sicher nichts fürs Nichtstun bezahlt. Wenn du geklautes Zeug verhökert hast, zieht Ma dir deine Hammelbeine dafür lang.«

»Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß«, erklärte Sam ihm trotzig und wischte den Rotz, der wieder ihm mal aus der Nase lief, mit seinem Ärmel weg. »Ich sammle einfach Schrott für Bert. Die anderen Jungs und ich bringen ihm irgendwelches Zeug, und er bezahlt echt gut.«

»Und interessiert sich einen Dreck dafür, ob ihr es ehrlich irgendwo gefunden oder mitgehen lassen habt.« Trotz seines Ärgers drückte Tommy ihm das Brötchen wieder in die Hand. »Ma hat dir doch gesagt, dass du nicht auf den Trümmergrundstücken rumlaufen sollst, weil das gefährlich ist. Ein paar der Bomben explodieren nicht, wenn sie abgeworfen werden, und wenn du über so eine scharfe Bombe stolperst und sie hochgeht, wird sie dich in Fetzen reißen …«

Sam grinste derart breit, dass man die Lücke, wo er einen Schneidezahn verloren hatte, sah. »Ich gebe dir Tuppence, wenn du mich nicht bei Ma verpfeifst.«

Tommy gab ihm eine Backpfeife und lehnte ab. »Ich lasse mich ganz bestimmt nicht von dir bestechen, Sam. Diesmal halte ich noch dicht, aber ich warne dich – halt dich in Zukunft von den ausgebombten Häusern fern. Als Plünderer könntest du dort erschossen werden – hast du denn die Schilder nicht gesehen?«

»Die blöden Polizisten geben einem höchstens was hinter die Löffel und erzählen einem, dass man verschwinden soll. Und wenn sie können, lassen sie auch gerne selbst mal was mitgehen«, klärte Sam ihn immer noch mit einem selbstzufriedenen Grinsen auf. »Es tut doch niemandem weh, wenn ich mich dort ein bisschen umsehe. Ich nehme ja nichts mit, was wichtig ist, Tommy. Ein bisschen Schrott, die explodierten Bomben oder irgendwelchen anderen Müll. Ich nehme nichts, womit jemand wie wir noch etwas anfangen kann …«

»Wenn du dir was verdienen willst, geh herum und frag, ob du bei irgendwelchen Leuten Fenster putzen oder sonst was machen kannst«, schlug Tom ihm vor. »Heute früh habe ich mit Fensterputzen im Geschäft von Mrs. Tandy glatt Sixpence für Ma verdient – und Peggy gegenüber hat gesagt, dass sie mir für das Säubern ihrer Regenrinne einen Shilling gibt.«

»Ich habe mich schon umgehört, aber sie alle haben gesagt, ich wäre noch zu klein. Bert war der Einzige, der mir was angeboten hat. Er hat gesagt, dass ich Metall, das rumliegt, für ihn sammeln soll, und das habe ich gemacht …« Abermals verzog der junge Sam beleidigt das Gesicht. »Du bist älter als ich, und dir vertrauen sie.«

»Dann lassen wir es jetzt gut sein«, nahm der große Bruder die Entschuldigung des Kleinen an. »Sag Ma, dass ich zum Essen komme, wenn ich mit der Regenrinne fertig bin.«

Knurrend machte Sam sich auf den Weg. Normalerweise tat er am Ende immer, was sein Bruder sagte, und vor allem konnte Tommy ihm wohl kaum verdenken, dass er selbst ein paar Pence verdienen wollte, weil ihre Mutter nie genügend Geld hatte, um regelmäßig Essen auf den Tisch zu bringen oder ihnen gar ein kleines Taschengeld zu zahlen. Also suchte Tommy sich an Samstagvormittagen und, wenn möglich, abends immer irgendeine Arbeit, damit die Familie nicht gezwungen war, hungrig zu Bett zu gehen.

Er wünschte sich, dass Maureen Jackson noch im Laden wäre, denn sie hatte ihm gelegentlich Rabatt gegeben oder ihn für irgendwelche kleinen Arbeiten bezahlt. Ihr Vater hingegen war ein alter Geizhals, der für seine Waren stolze Preise verlangte und ganz bestimmt kein Geld für irgendwelche seiner Meinung nach vollkommen unnötigen Hilfsarbeiten aus dem Fenster warf. Und Violet, seine Frau, war furchtbar hochnäsig und schickte die geschäftstüchtigen Jungen aus der Gegend ebenfalls mit leeren Händen wieder weg, doch ein paar andere Bewohner der Mulberry Lane waren wirklich nett. Zum Beispiel zahlte Alice Carter ihm Tuppence fürs Holzhacken und Kohlenschleppen, aber das reichte einfach nicht. Mit seinen beinahe vierzehn Jahren fühlte Tom sich durchaus in der Lage, echte Männerarbeiten zu tun, und wünschte sich, er könnte seine Mutter dazu überreden, dass sie ihn nach seinem Geburtstag von der Schule abgehen ließe, doch sie bestand darauf, dass er dort bis zur Abschlussprüfung blieb.

»Du bist ein aufgeweckter Junge, Tommy«, hatte Tilly Barton ihm erst diesen Morgen abermals erklärt. »Du bist viel klüger als dein Bruder und dein Vater und ich selbst – also solltest du so lange, wie es möglich ist, zur Schule gehen und etwas aus dir machen, wenn du nicht dein Leben lang ein armer Schlucker bleiben willst.«

Tommy hatte nichts erwidert, doch er wusste, was er wollte. Er war ziemlich groß für einen Jungen seines Alters, muskulös und voller Energie, mit großen Händen und mit großen Füßen, und er wirkte deutlich älter, als er war. Er hatte schon versucht, sich zur Armee zu melden, und getan, als ob er bereits achtzehn wäre, der Sergeant hatte allerdings laut gelacht und ihm erklärt, wenn er in drei Jahren noch einmal wiederkäme, wäre das auf alle Fälle früh genug.

»Ich würde dich ja nehmen, Junge«, hatte er gesagt. »Aber dafür würden mich meine Vorgesetzten garantiert einen Kopf kürzer machen.« Er hatte Tommy einen Shilling in die Hand gedrückt. »In den alten Tagen wärst du durch die Annahme von diesem Shilling jetzt Soldat, doch heutzutage gibt es Regeln, heute musst du eben achtzehn sein. Kauf dir von diesem Geld etwas zu essen und kümmere dich weiterhin um deine Ma …«

Die Unterhaltung mit dem netten Sergeant hatte ihn in dem Beschluss, sich zur Armee zu melden, noch bestärkt, doch selbst wenn seine Mutter einverstanden wäre, könnte er die Schule frühestens mit Beginn des nächsten Schuljahrs verlassen, deshalb blieb ihm erst einmal nichts anderes übrig, als sich in den umliegenden Gassen irgendwelche kleinen Jobs zu suchen – und bei Peggy Ashley aus dem Pig & Whistle hatte er schon immer gerne ausgeholfen, weil er dort normalerweise, abgesehen von dem Geld, das er verdiente, auch noch etwas von dem wirklich guten Essen, das sie kochte, vorgesetzt bekam.

Fröhlich pfeifend überquerte er die Straße und sah lächelnd auf das Schild, das sich im Wind laut quietschend hin und her bewegte und auf dem ein nach den Klängen einer Blechflöte tanzendes Schweinchen abgebildet war. Dann ging er weiter durch den Hof zur dunkelgrün gestrichenen, wie eine Stalltür zweigeteilten Hintertür. Normalerweise stand die obere Hälfte offen, damit frische Luft in die oft überheizte Küche kam, doch heute war sie zu.

Er klopfte an, und Peggy machte lächelnd auf und nickte, als er ihr erklärte, dass er jetzt die Regenrinne säubern würde, wie es zwischen ihnen abgesprochen war.

*

»Das hast du wirklich gut gemacht«, erklärte Peggy Ashley, als er nach zwei Stunden wieder an die Tür der Küche kam. »Hier ist dein Shilling und dazu noch eine Erdbeermarmeladen-Biskuitrolle, die du mit nach Hause nehmen kannst. Ich wünschte mir, du wärst ein bisschen älter, Tommy, denn dann könntest du die Drinks im Pub servieren.«

»Das könnte ich bestimmt schon jetzt genauso gut wie jeder andere.« Grinsend steckte er den Shilling ein. »Und meine Ma könnte das sicher auch …«

»Sag deiner Ma, dass sie sich bei mir melden soll, falls sie mittags den Abwasch machen will. Ich würde ihr pro Schicht zwei Shilling zahlen«, bot Peggy an und sah ihm, als er pfeifend heimging, lächelnd hinterher. Er war seiner Mutter eine große Stütze, führte jede Arbeit, die ihm aufgetragen wurde, zuverlässig aus, und diese dumme Regenrinne hätte schon vor einer Ewigkeit gereinigt werden sollen. Laurence hatte bereits Monate, bevor er eingezogen worden war, um was auch immer für das Militär zu tun, davon gesprochen, dass das dringend nötig war. Stirnrunzelnd dachte Peggy an ihren Ehemann, der in der Ferne ein Verhältnis angefangen hatte, aber schließlich tat sie den Gedanken an den Vater ihrer Kinder ab. Sie hatte ihn geliebt, inzwischen fand ihr Leben jedoch ohne ihn im Kreise ihrer Freundinnen und Freunde, ihrer beiden Kinder und ihrer kleinen Enkeltochter statt.

Sie wandte sich gedanklich erneut dem jungen Tommy Barton zu. Der arme Junge hatte es nicht leicht. Tilly hatte Mühe, ihn und seinen Bruder durchzubringen, nachdem ihr Mann ein Postamt irgendwo im West End überfallen hatte und zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Zwar gab sie sich alle Mühe und ging jeden Morgen irgendwo im Hafen für zwei Stunden putzen, aber ihre beiden Jungen mussten trotzdem oft mit leerem Magen in die Schule gehen. Und dafür, im Pig & Whistle zu bedienen, war Tilly einfach nicht gemacht. Beim Abwasch hingegen könnte sie ihr durchaus helfen, und womöglich nähme sie das Angebot ja an.

»War das eben Tommy Barton?« Ihre Freundin Nellie, die ihr täglich bei der Arbeit half, kam in die Küche, während Peggy gerade eine Ladung duftender Zitronentörtchen in den Ofen schob. »Die sehen wirklich köstlich aus – ich habe schon seit Monaten keine Zitronencreme mehr irgendwo gesehen.«

»Ich hatte Glück, dass es in Henry Jacksons Laden, als ich dort war, gerade welche gab«, stimmte ihr Peggy zu. »Und ja, das eben war der junge Tom. Ich habe ihn die Regenrinne sauber machen lassen und hoffe, dass sie jetzt erst einmal nicht mehr überläuft.«

»Schade, dass sein kleiner Bruder Sam ein solcher Nichtsnutz ist.«

»Was willst du damit sagen?« Peggy lächelte die Frau, die zwischenzeitlich praktisch zur Familie gehörte, an. »Was hat er angestellt?«

»Ich habe ihn oben am Markt über ein Trümmergrundstück schleichen sehen. Er hat mit ein paar anderen Jungs zwischen den Trümmern nach Metall gesucht. Das ist natürlich alles andere als schlau, aber inzwischen machen das sehr viele Jungen in der Hoffnung, sich auf diese Weise ein paar Penny zu verdienen.«

Peggy runzelte die Stirn. »Das könnte sehr gefährlich sein. Er könnte sich an einem Stück Metall oder an Glassplittern verletzen ... und ich habe in der Zeitung von dem Jungen gelesen, der durch einen verdeckten Krater ein paar Meter bis in einen Keller fiel und sich beim Aufprall das Genick gebrochen hat. Denkst du, dass Tilly weiß, wo er sich rumtreibt?«

»Sie würde ihm die Ohren langziehen, aber daran hindern könnte sie ihn sicher trotzdem nicht. Nur ein Mann könnte einen Jungen in diesem Alter in seine Schranken verweisen. Tilly schafft das nicht. Und wenn er Sachen von den Trümmergrundstücken verhökert, kriegt er früher oder später sicher Ärger mit der Polizei. Er bräuchte seinen Vater, der ihm hin und wieder ordentlich das Hinterteil versohlt.«

Peggy verzog nachdenklich das Gesicht. »Ich habe das Gefühl, ich sollte Tilly sagen, was er treibt, aber ich habe Angst, dass es alles bloß noch schlimmer für sie macht.«

»Ich kann ja mit ihr reden, wenn du willst«, bot Nellie an. »Ich kannte Tillys Mutter gut – vielleicht nimmt sie es besser auf, wenn sie es von mir erfährt.«

»Wahrscheinlich«, pflichtete ihr Peggy bei. »Ich bringe erst mal die Pasteten rüber in die Bar. Behalt bitte die Törtchen so lange im Auge, und setz schon mal Wasser für den Tee auf, ja?«

*

»Das war wirklich nett von Peggy«, sagte Tilly, als ihr Ältester mit der Biskuitrolle nach Hause kam. »Zum Abendessen gibt es Blattgemüse, Möhren und Kartoffelbrei, aber kein Fleisch – es sei denn, du würdest schnell noch rüber in den Laden laufen, um mir eine Dose Büchsenfleisch zu holen.«

»Ich habe welches mitgebracht«, erklärte Tommy und stellte stolz die Dose auf den Küchentisch. »Es nur eine kleine Dose, aber Mrs. Jackson stand hinter dem Tresen, und sie gibt mir nie was extra wie Maureen.«

Tilly sah die Dose an, in der ganz sicher nicht genügend Büchsenfleisch für eine Frau und zwei heranwachsende Jungen war, und stellte traurig fest: »Ich werde nie verstehen, warum sie ihren Vater einfach so im Stich gelassen hat. Da hat sie jahrelang tagaus, tagein den Laden der Familie geführt – und plötzlich lässt sie alles stehen und liegen und verschwindet nach Gott weiß wohin.«

»Maureen will Krankenschwester werden«, klärte Tommy seine Mutter lächelnd auf. »Ich mag sie, Ma. Sie ist in Ordnung, und ihr Vater hat ihr all die Arbeit nie gedankt. Und trotzdem hat sie stets ein Lächeln und ein gutes Wort für einen gehabt. Alice hat mir erzählt, sie würde überlegen, ob sie nicht mit ihrer Lebensmittelkarte in den Laden in der Bell Lane wechseln soll. Sie hat gesagt, dass es ihr bei den Jacksons jetzt nicht mehr gefällt.«

»Auf eine dumme Frau wie Alice Carter solltest du nicht hören.« Schnaubend wandte sie sich ab.

Inzwischen war seine Mutter immer unzufrieden, ganz egal, was Tommy tat. Natürlich hatte sie es nicht leicht, aber so ging es anderen ebenfalls. Alice Carter war seit Jahren verwitwet, hatte auch nicht mehr als sie und machte dennoch ständig irgendwelche Witze, lachte gern und war vor allem immer gut gelaunt.

»Und jetzt ruf deinen Bruder rein und wasch dir die Hände«, wies ihn Tilly an und klemmte sich eine graue Strähne hinters Ohr. Ihr eingefallenes Gesicht war blass und ihre Augen wässrig grau. Falls sie je hübsch gewesen war, hatten die Sorgenfalten und die permanente Unzufriedenheit mittlerweile selbst die letzten Reste davon ausgewischt. »Ich muss mich später noch nach einem anderen Job umsehen, denn in den Docks haben sie die Stunden noch einmal runtergesetzt. Spül also nach dem Essen das Geschirr und nimm mir auch noch ein paar andere Hausarbeiten ab.«

Tommy nickte, denn jetzt konnte er die schlechte Laune seiner Mutter nachvollziehen. Das Putzen war nicht unbedingt ein Traumjob, aber mit dem Lohn, den sie dafür bekam, und mit dem Geld, das er verdiente, kamen sie gerade hin. Wenn sie jedoch keine neue Arbeit fände, um die ausfallenden Arbeitsstunden wettzumachen, könnten sie die Miete für ihr Häuschen nicht mehr zahlen und hätten nicht mal mehr ein Dach über dem Kopf.

»Peggy hat gesagt, du könntest mittags dort den Abwasch machen«, sagte er auf seinem Weg zur Hintertür, um seinem Bruder Bescheid zu geben, dass das Essen fertig war. Wie praktisch alle Gärten in der Gasse bot auch ihrer kaum genügend Platz für das Toilettenhäuschen, eine Mülltonne und eine Leine, um die Wäsche aufzuhängen, wenn die Sonne schien.

»Ja, okay, wenn ich nichts Besseres finde …«, meinte sie mit einem seltenen Lächeln, doch sofort wurde ihre Miene wieder ernst. »Ich weiß, dass du dir alle Mühe gibst, Tommy – aber wir brauchen den Verdienst von einem Mann. Die Schande, die dein Vater über uns gebracht hat, werde ich ihm nie verzeihen …«

Der Junge schwieg. Sein Vater war ein anständiger Kerl, doch nun bezahlten seine Frau und seine Söhne für den Fehler, der ihm einzig aus Verzweiflung unterlaufen war …

2

An einem Morgen Ende Januar öffnete der schon seit Tagen graue Himmel seine Schleusen, und im Hof hinter dem Pig & Whistle sammelten sich große Pfützen an. Das altmodische Kopfsteinpflaster war gefährlich rutschig, und im Grunde hätten sie es schon vor Jahren gegen die moderneren Natursteinplatten tauschen sollen, dachte Peggy und schob sich die feuchten honigblonden Haare aus der Stirn, während sie in der warmen Küche so wie jeden Tag das Essen kochte, das die Kunden selbst in dieser dunklen Zeit des Krieges weiter bei der Stange hielt.

Die Leute aus den Gassen der Umgebung wussten, dass sie neben einem warmen Lächeln ordentliche Hausmannskost von ihr bekamen, auch wenn es natürlich nicht mehr all die wunderbaren Kuchen und die leckeren Pasteten wie vor Ausbruch der Feindseligkeiten gab. Peggys Pub stand an der Ecke der Mulberry Lane, nicht weit vom Markt, der Frying Pan Alley und der Artillery Lane entfernt, wo ihre Mutter und ihr Stiefvater Percy daheim gewesen waren.

Statt sich im Labyrinth der schmalen Gassen und der alten Hinterhöfe zu verlieren, nahmen die Einheimischen ihre Straße für den Weg zum Spitalfields Market. Vielleicht war das der Grund, dass immer irgendjemand auf ein Bier, ein Schlückchen Whiskey oder heute oft auch nur auf eine Tasse Tee mit einem Stück ihres berühmten Apfelkuchens in das Pig & Whistle kam. Mitunter kamen die Leute auch bloß für ein kurzes Schwätzchen, weil der Pub und Peggy selbst der Mittelpunkt des Viertels waren, wo man in diesen dunklen Zeiten gern zusammenkam.

»Solange es das Pig & Whistle gibt, geht unser Leben weiter«, fasste es Jim Stillman durchaus zutreffend zusammen, als er ihr aus seinem Schrebergarten eine Kiste voll Gemüse brachte und im Gegenzug einen von Peggy frisch gebackenen Kuchen mit schwarzen Johannisbeeren und Äpfeln überreicht bekam. »Alice Carter hat erzählt, du hättest letztens beim Bombenalarm mal wieder allen Gästen euren Keller angeboten. Ihrer Meinung nach ist es dort sicherer als in den meisten gottverdammten Bunkern, die die Stadt errichtet hat …« Wenn diese Bunker einen direkten Treffer abbekamen, brachen sie zusammen, und nachdem man bereits unzählige Schwerverletzte sowie Dutzende von Toten aus den Trümmern irgendwelcher Luftschutzkeller hatte zerren müssen, brachten viele Londoner die Nächte lieber in der einen oder anderen U-Bahn-Station zu.

»Sie ist dort stets willkommen, genau wie du, wenn du bei einem Bombenalarm hier in der Nähe bist«, bot Peggy lächelnd an.

Jim wandte sich zum Gehen, und als Peggy ihre Tochter durch den Regen eilen sah, ließ sie die Tür so lange offen stehen, bis das Mädchen vor ihr in der Küche stand.

»Ich dachte schon, du würdest nie mehr kommen, Janet. Nicht einmal auf die Züge ist inzwischen noch Verlass, nicht wahr?«

»Die Strecke war dreimal gesperrt, und jedes Mal hat es eine halbe Ewigkeit gedauert, bis es weiterging.« Zitternd zog sich Janet ihren nassen Mantel aus und hängte ihn an einen Haken an der Tür. »Es ist so kalt, dass ich schon fürchtete, es würde anfangen zu schneien. Aber es gab nur etwas Schneeregen, und jetzt regnet es wieder ganz normal …«

Janet war ganz bleich, wodurch ihre Mutter sofort wusste, dass es keine guten Neuigkeiten gab. Entschlossen nahm Peggy das Mädchen bei den kalten Händen und schob es zu dem bequemen großen Sessel, der neben dem Ofen stand.

»Setz dich erst einmal hin, und dann erzähl mir, wie es war.«

Sie sah sich um, als abermals die Tür geöffnet wurde, und als Nellie ihren Blick bemerkte, nickte sie und gab ihr tonlos zu verstehen, sie ginge wieder rüber in die Bar. Seit Lauries Fortgang verließ sich die Wirtin immer mehr darauf, dass ihre Freundinnen ihr bei der Führung des Lokals behilflich waren.

»Was ist passiert? Warum siehst du so traurig aus, mein Schatz?«

Janet blickte in den Kinderwagen, in dem ihre kleine Tochter schlief. Sie hatte sie ihrer Mutter überlassen, während sie im Krankenhaus bei ihrem Ehemann gewesen war. Jetzt streichelte sie sanft den Kopf des Kinds und blinzelte gegen die aufsteigenden Tränen an. »Ich hoffe, sie war brav.«

»Du weißt, dass Maggie niemals irgendwelche Scherereien macht. Aber du bist ganz aufgewühlt – was ist geschehen?«

»Es ist wegen Mike«, erklärte Janet, und jetzt brachen sich die Tränen Bahn. Ihr Mann war während seines Diensts bei der Marine schwer verwundet worden, hatte danach als verschollen gegolten und war erst nach Monaten in einem Krankenhaus in Großbritannien aufgetaucht. »Er hat mich angestarrt, als ob ich eine Fremde wäre und … ich glaube nicht, dass ich ihm auch nur annähernd sympathisch war. Und als ich ihm erzählt habe, dass wir zusammen eine kleine Tochter haben, hat er bloß den Kopf geschüttelt, so als würde er das gar nicht wissen wollen.«

»Das Krankenhaus hatte dich vorgewarnt. Sie haben gesagt, es wäre noch zu früh. Mike wäre fast gestorben, Janet, und vielleicht kommt er mit seinen Verletzungen und all dem Grauen lediglich zurecht, indem er erst mal alles andere ausblendet«, stellte Peggy fest. »Es war bestimmt ein seltsames Gefühl für ihn, zu hören, dass er eine Frau und eine Tochter hat, die er nicht kennt.«

»Oh, Mum, ich weiß nicht, wie ich das ertragen soll«, stieß Janet schluchzend aus, weil Mike am zweiten Tag, als sie ihn im Krankenhaus besucht hatte, noch abweisender als beim ersten Mal gewesen war. »Wir haben uns so geliebt. Mike konnte nie genug davon bekommen, mich zu berühren und zu küssen – aber als ich ihn zum Abschied gestern küssen wollte, meinte er, dass ich das lassen soll …«

Bei diesen Worten zog sich Peggys Herz vor Mitgefühl zusammen. Janet war nicht nur ein hübsches, sondern obendrein auch ein warmherziges, wunderbares Mädchen, und nach allem, was sie erlitten hatte, hatte sie so etwas einfach nicht verdient. Ihre Heirat, bevor Mike gleich zu Beginn des Krieges hatte zur Marine gehen wollen, hatte die Familie entzweit, und danach hatte sie ihr Heim verloren und ewig nicht gewusst, ob ihr Mann gefallen oder noch am Leben war. Ein Hauptgrund für das Scheitern ihrer eigenen Ehe waren aus Peggys Sicht die permanenten Streitereien, die Laurie und sie Janets wegen ausgefochten hatten, denn nachdem ihre Tochter ihr gestanden hatte, dass sie unverheiratet ein Kind von Mike bekäme, hatte Laurence sich geschlagen geben und gestatten müssen, dass sie die erforderlichen Formulare für die Hochzeit unterschrieb, sich aber gleichzeitig für alle Zeit von seiner Tochter losgesagt. Inzwischen hatte er zwar nachgegeben, aber um die Kluft, die zwischen ihnen entstanden war, noch einmal vollständig zu überwinden, war es ihrer Meinung nach zu spät.

»Ich weiß, das ist nicht leicht für dich«, erklärte sie und kniete sich auf den geknüpften Teppich vor dem Ofen, der der Mittelpunkt der Küche war. Dort kochte sie das Essen für die eigene Familie und die Gäste ihrer Wirtschaft, die sie beinahe zwanzig Jahre lang mit ihrem Mann betrieben hatte, bis er eingezogen worden war, um wo auch immer irgendeinen hochgeheimen Job zu tun. Von seiner Arbeit hatte er an Weihnachten mit keinem Wort gesprochen, aber Peggy hatte während seines Kurzbesuchs herausgefunden, dass er eine andere hatte und die Beziehung mehr als ein bedeutungsloses Techtelmechtel für ihn war. Sie drückte Janets Hand und sah ihr ins Gesicht. »Wenn man etwas so Kostbares wie das, was du mit Mike hattest, verliert, tut das entsetzlich weh.«

»Woher willst du das wissen?«, stieß ihre Tochter unter Tränen aus. »Du hast schließlich noch nie etwas verloren. Du hast Dad, die Wirtschaft, Pip und mich und Maggie, um die du dich kümmern kannst. Du hast doch keine Ahnung, was für ein Gefühl es ist, wenn einem das Herz gebrochen wird …«

»Du weißt nicht alles über mich. Vielleicht ist ja in meinem Leben auch nicht alles rosig.« Peggy streichelte ihr sanft die Wange, gab ihr einen Kuss und sah sie reglos an. »Du kannst mir glauben, Schatz, ich kenne das Gefühl.«

»Ach ja?«, brauste das Mädchen auf, aber irgendwas an Peggys Stimme zeigte ihr, dass etwas nicht in Ordnung war. »War Dad dir untreu, Mum? Ist das der Grund, warum du oft so traurig bist?«

»Es geht jetzt nicht um mich. Mein Kummer ist bei Weitem nicht so groß wie deiner, Jan …« Sie wich dem Blick ihrer Tochter aus, denn bisher hatte keins der Kinder sehen sollen, wie schlecht es um die Ehe ihrer Eltern stand.

»Nein, sag mir die Wahrheit. Ich will wissen, ob dich Dad im Stich gelassen hat.«

Peggy zögerte, weil sie ihrer Tochter nicht noch mehr aufbürden wollte, doch schließlich gab sie zu: »Dein Vater hat etwas mit einer anderen Frau – ich glaube, dass sie jünger ist als ich …«

»Oj, Mum, das würde er doch niemals tun!« Das Mädchen starrte sie entgeistert an. »Oder wenn doch, ist das dann meine Schuld? Weil ihr euch meinetwegen permanent gestritten habt?«

»Natürlich nicht«, beschwichtigte die Mutter und stand wieder auf, als der verführerische Duft, der aus dem Ofen kam, verriet, dass ihre süßen Brötchen fertig waren. »Ich weiß nicht, wann es angefangen hat – aber es lief auch vorher zwischen deinem Dad und mir nicht mehr ganz rund.«

»Ich dachte immer, ihr wärt das perfekte Paar – glücklich und nach all den Jahren immer noch total verliebt …«

Mit einem leisen Seufzer kehrte Peggy ihr den Rücken zu. »Das dachte ich auch, doch dann ... aber egal.« Sie setzte ein gezwungenes Lächeln auf und drehte sich entschlossen wieder nach ihrer Tochter um. »Mach dir keine Gedanken über mich. Nun geht es erst einmal um dich und Mike.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Wie konnte Dad das tun? Du bist noch jung und attraktiv – und du hast diesen Pub zu einer Goldgrube gemacht. Ohne das wundervolle Essen, das du kochst, liefe er sicher nicht mal halb so gut.«

»Vor allem jetzt, da uns so oft das Bier ausgeht«, stimmte ihr Peggy zu. »Was mich daran erinnert, dass ich unbedingt die Brauerei anrufen muss. Die neue Lieferung hätte schon vor zwei Tagen kommen sollen …«

Angewidert schüttelte Janet erneut den Kopf. »Aber stört es dich denn gar nicht, weiter hier zu schuften, während Dad etwas mit einer anderen hat?«

»Guck nicht so böse, Schatz.« Die Mutter lachte leise auf. »Von Lauries Fehltritt wird die Welt nicht untergehen. Na klar, ich war verletzt und wütend, doch im Grunde lief es schon seit Längerem auf so etwas hinaus … und außerdem habe ich selbst einen Bewunderer.«

Der Schock war Janet überdeutlich anzusehen, und Peggy freute sich, denn offenkundig hatte sie ihre Tochter – wenn auch nur für kurze Zeit – von ihrer eigenen Tragödie abgelenkt.

»Ist das dein Ernst?«

Gespielt beleidigt schnitt Peggy eingemachte Birnen für einen Kuchen klein. »Hast du nicht gerade noch gesagt, ich wäre jung und attraktiv? Bei deiner Reaktion könnte man denken, dass ich eine alte Schachtel bin.«

»So habe ich das nicht gemeint. Wirklich nicht.« Mit einem etwas unsicheren Lächeln fügte Janet noch hinzu: »Auch wenn die Vorstellung, dass meine Mutter vielleicht ein Verhältnis hat, ein bisschen seltsam ist …«

»Also bitte«, gab sich Peggy übertrieben sittsam. »Es ist eine Sache, einen jungen Bewunderer zu haben – und ich gebe zu, dass mir das sehr geholfen hat, die dunkle Zeit nach Weihnachten zu überstehen – aber ein Verhältnis … nie im Leben! Im letzten Krieg habe ich andere Männer nicht mal angesehen, bis Laurie wiederkam.«

»Das war ja auch was anderes, schließlich war Dad da im Krieg. Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, Mike zu betrügen, während er auf See war … aber falls du dich mit Dad nicht mehr verstehst …« Sie schluchzte auf, denn plötzlich traten ihre Trauer und ihre eigenen Probleme wieder in den Vordergrund. »Oh, Mum, ich weiß, ich muss auch weiter tapfer sein. Im Krankenhaus haben sie gesagt, es würde noch sehr lange dauern, bis die körperlichen Wunden heilen, obwohl Mike danach vielleicht wieder laufen können und auch ansonsten wieder vollkommen gesund sein wird. Aber wann und ob er überhaupt je sein Gedächtnis wiederfindet, steht auf einem völlig anderen Blatt.«

»Du liebst ihn immer noch, nicht wahr?«

»O ja. Von ganzem Herzen. Warum fragst du?«

»Weil …« Ihre Mutter zögerte. »Wegen des Mannes, der dir die vielen schönen Dinge für die kleine Maggie schicken lassen hat, nachdem dein Haus in Flammen aufgegangen ist …«

»Du meinst Ryan Hendricks?« Janet wurde rot. »Er war nur ein guter Freund, Mum, und du weißt, dass er total vernarrt in seine Frau und seine Kinder ist …«

»Aber er hält sehr viel von dir. Das habe ich sofort gespürt. Und er hat nichts unversucht gelassen, um für dich herauszufinden, was aus Mike geworden ist, nicht wahr?« Tatsächlich hatte Ryan sämtliche Kontakte, die er hatte, ausgenutzt, um Mike zu finden, während dieser in einem Krankenhaus gelegen hatte, in dem niemand wusste, wer er war. So hatten sie die Nachricht deutlich eher bekommen, als wenn sie hätten darauf warten müssen, bis das zuständige Ministerium herausgefunden hätte, wer der unbekannte Mann ohne Gedächtnis war.

»Ja …« Janet zögerte. »Ich weiß, dass er vielleicht ein bisschen mehr für mich empfindet, als er sollte, aber ich bin nun einmal die Frau von Mike und werde niemals aufhören, ihn zu lieben.«

»Bist du dir da völlig sicher?«, hakte Peggy nach. »Bist du dir völlig sicher, dass nicht wenigstens ein kleiner Teil von dir auch Ryan noch mal wiedersehen will?«

Es war der armen Janet deutlich anzusehen, dass sie hin- und hergerissen war, doch schließlich meinte sie: »Nicht, wenn ich Mike so wiederkriege, wie er früher war …«

»Und wenn er nie wieder der Alte wird?«

Als Peggy sie aus ihren leuchtend blauen Augen ansah, machte Janet unglücklich die Augen zu.

Dann aber sah sie ihrer Mutter direkt ins Gesicht. »Woher soll ich das wissen? Es ist unfair, mich so was zu fragen, Mum.«

»Ich finde nicht, dass es das ist, und denke, dass du es in deinem tiefsten Inneren weißt«, erklärte Peggy und wusch sich die Hände in der großen Steinspüle neben dem Herd. »Natürlich sollte ich dir sagen, dass du bis zum Ende zu ihm stehen solltest, doch ich glaube nicht, dass ich das muss, denn mir ist klar, wie liebevoll und wie loyal du bist. Du und dein Bruder seid mein Trost und meine Hoffnung für die Zukunft. Wenn ich dich und Pip nicht hätte, würde ich vielleicht mit meinem jungen Geliebten in die Staaten durchbrennen, um es mir dort gut gehen zu lassen, während unser Land in Schutt und Asche gelegt wird.«

Janet verzog das Gesicht zu einem unglücklichen Lächeln, schüttelte den Kopf und stellte fest: »Ich weiß, dass du versuchst, mich aufzuheitern, Mum. Dir würde nicht im Traum einfallen, so etwas zu tun. Und ich werde auch weiter zu Mike stehen und versuchen, weiterhin daran zu glauben, dass wir als Familie eine Zukunft haben, Maggie, er und ich.«

»Es wird sicher alles gut«, erklärte Peggy und sah durch das Fenster in den Hof. »Und da kommt Anne, um mir im Pub zu helfen. Also bringe ich die süßen Brötchen rüber in die Bar, und du richtest ihr bitte aus, wo sie mich finden kann.«

»Kann ich was tun?«

»Kümmere dich einfach um dein Kind«, bat Peggy, als ein leises Weinen aus dem Kinderwagen drang. »Sie spürt, dass du zu Hause bist, und will gefüttert werden …«

Damit ging sie in den Schankraum, aus dem ihr der Duft der Möbelpolitur entgegenwehte, mit der all die kleinen Eichentische und das Holz des Tresens von der guten Nellie eingerieben worden waren. Das Pig & Whistle war ein altmodischer, über hundert Jahre alter Pub mit dunklen Eichendeckenbalken, einer Messingschiene oberhalb der Theke, an der Hufeisen im Licht der Lampen glitzerten, und hölzernen Regalen, die im Lauf der Jahre nachgedunkelt waren. Doch Peggy hatte Laurence überredet, Spiegel hinter den Regalen anzubringen, damit die ganze Bar noch größer wirkte, als sie war.

»Du hast mal wieder ganze Arbeit hier geleistet, Nellie«, lobte sie. »Wenn du das Wasser aufsetzt, können wir gleich noch einen Tee zusammen trinken, sobald Anne den Tresen übernimmt.«

Bevor ihre junge Freundin aber in den Schankraum kam, erschien bereits der erste morgendliche Gast. Ein Handelsreisender, der großes Aufhebens um seine Plattfüße machte, derentwegen ihn das Militär nicht hatte haben wollen. »Guten Morgen, Mr. Symonds«, grüßte Peggy ihn. »Wie geht es Ihnen?«

»Ich bin vollkommen durchgefroren, und meine Füße tun bei diesem Wetter noch mehr weh als sonst. Hätten Sie vielleicht ein Schlückchen Whiskey, Peggy? Einfach, um mich etwas aufzuwärmen …«

»Dann gehe ich jetzt rüber in die Küche, trinke meinen Tee, und danach gehe ich nach oben und mache die Schlafzimmer«, erklärte Nellie gut gelaunt.

»Ja, bitte.« Dankbar blickte Peggy ihrer Freundin hinterher, griff nach der Flasche, die unter dem Tresen stand, und schenkte ihrem Gast ein wenig daraus ein. Da die von ihrem Mann in einem der Keller vor dem Krieg noch angelegten Vorräte irgendwann zur Neige gehen würden, hatte sie für ihre Stammkunden eigene Flaschen außer Sichtweite unter die Bar gestellt. Bisher gelang es ihr, auch anderen Gästen irgendetwas vorzusetzen, aber da inzwischen alles immer knapper wurde, war ihr klar gewesen, dass sie dafür sorgen müsste, dass die Stammkundschaft auf jeden Fall etwas bekam. »Die Flasche ist nur noch ein Drittel voll«, bemerkte sie.

»Können Sie mir dann vielleicht noch eine andere wegstellen? Ich zahle gerne auch im Voraus, wenn Sie wollen«, bot Mr. Symonds an.

»Sie wissen, dass ich das niemals verlangen würde«, antwortete Peggy ihm. »Ich werde es versuchen, aber es kommt auf die nächsten Lieferungen an. Mittlerweile fallen sie immer unterschiedlich aus …«

Sie würde Mr. Symonds nicht erzählen, dass in ihrem Keller noch ein ganzer Vorrat voller Whiskeyflaschen stand. Sie selbst wusste nur etwas davon, weil Pip sie darauf hingewiesen hatte, denn das Lager hatte Laurie heimlich hinter ihrem Rücken angelegt. Genau wie dieses Sparbuch auf der Post, von dem er ihr erst Weihnachten etwas verraten hatte, damit sie, falls er nicht mehr nach Hause käme, abgesichert war.

Früher hatte sie sich eingebildet, dass sie alles voneinander wüssten, und bei ihrer Hochzeit war sie unsterblich in ihn verliebt gewesen, da er einen tollen Sinn für Humor gehabt hatte und ein Bild von einem Mann gewesen war. Er sah zwar nach wie vor gut aus, doch in den letzten Jahren hatte sie ihn immer seltener lachen hören, und bloß noch, wenn er hatte mir ihr schlafen wollen, hatte er sie angerührt. Bereits seit Jahren hatte er sie nicht mehr spontan geküsst oder umarmt, und ohne dass es ihr bewusst gewesen wäre, hatte Peggy die dadurch entstandenen leeren Stellen in ihrem Herzen mit der Freundschaft ihrer Kundinnen und Nachbarinnen ausgefüllt.

»Sie sind einfach die Beste, Peggy Ashley«, stellte Mr. Symonds augenzwinkernd fest. »Und jetzt seien Sie so nett und geben mir noch eins von diesen süßen Brötchen, ja?«

»Ich fürchte, dass es dazu heute einfach Margarine geben muss. Sie können auch gern ein bisschen Marmelade haben, aber weil sie nach Mandeln schmecken, essen sie die meisten Leute lieber einfach so.«

»Dann nehme ich ein bisschen Margarine«, seufzte er. »Dieser verdammte Krieg – es ist ganz einfach eine Schande, wenn man nicht mal mehr ein bisschen Butter für sein Brötchen kriegt …«

Er trug sein Glas und seinen kleinen Teller in die Ecke, wo er immer saß, nahm Platz und klappte seine Aktentasche auf.

Dann erschien Anne, und Peggy nickte ihrer Freundin zu.

»Ich war mir nicht ganz sicher, ob du heute kommen würdest …«

»Ich fange frühestens übernächste Woche wieder mit der Arbeit an«, erklärte Anne und stopfte eine Strähne zurück in den strengen Knoten, den sie heute trug. »Die Schulbehörde sucht noch immer nach den Kindern, die aus ihren Gastfamilien weggelaufen und vom Land hierher zurückgekommen sind. Wenn sie sie finden, muss ich sie dorthin zurückbringen und ihnen helfen, sich in ihren neuen Schulen einzugewöhnen.«

»Das heißt, dann bist du ständig unterwegs«, erklärte Peggy voller Mitgefühl und sah ihre Freundin an. Wenn sie sich etwas Mühe gäbe, wäre Anne mit ihrem seidigen hellbraunen Haar und ihren wunderschönen sanften grauen Augen sicher durchaus hübsch, doch in den langweiligen Tweedröcken und Strickpullovern wirkte sie, als würde sie um jeden Preis als alte Jungfer enden und den Männern deutlich zu verstehen geben wollen, dass sie nicht zu haben war. Was vielleicht an der alles andere als glücklichen Affäre, auf die sie sich einmal eingelassen hatte, lag. »Warum geben sie dir nicht einfach einen normalen Lehrerinnenjob?«

»Weil sie im Augenblick vor allem Lehrer brauchen, die flexibel sind. Die meisten unserer alten Schulen wurden ausgebombt oder werden inzwischen für was anderes gebraucht. Das heißt, wir müssen andere Räumlichkeiten suchen, und mittlerweile sind sehr viele junge Lehrerinnen beim freiwilligen Frauenhilfsdienst und fallen deshalb aus …«

»Du hast doch auch mal dran gedacht, dorthin zu gehen, nicht wahr?«

»Das stimmt. Es ging mit damals nicht so gut, und mit dem Krankenwagenfahren habe ich mich davon abgelenkt. Aber jetzt bin ich froh, dass ich den Job als Lehrerin nicht hingeschmissen habe, weil ich in London oder wenigstens hier in der Nähe bleiben kann. Beim Frauenhilfsdienst wird man quer durchs ganze Land geschickt. Zum Beispiel haben sie Maureen gesagt, dass sie nach Portsmouth runter muss …«

»Worüber sie sich ganz bestimmt nicht freut, weil Rory schließlich jetzt in einem Sanatorium hier in der Nähe ist.«

Die junge Maureen Jackson hatte nach dem Tod ihrer Mutter jahrelang im Laden ihres Vaters festgesessen, aber nachdem Henry für sie alle überraschend eine neue Ehefrau gefunden hatte, war sie ausgezogen, um beim freiwilligen Frauenhilfsdienst eine Ausbildung zur Schwesternhelferin zu absolvieren. Der Mann, den sie seit Jahren liebte, war im Krieg verwundet und in eine weit entfernte Klinik für Verbrennungsopfer eingeliefert worden, doch inzwischen hatte man ihn zur Erholung in ein Sanatorium verlegt, das in der Nähe Londons lag.

Peggy runzelte die Stirn, denn sie war sich nicht sicher, was ihre Freundin in dem halbseidenen Rory Mackness sah. Sie selbst fand, dass er ein Schwerenöter und ihm einfach nicht zu trauen war.

»Natürlich ist sie alles andere als begeistert, aber sie hat keine andere Wahl«, erklärte Anne und blickte dorthin, wo ein Mann in einer Hauptmannsuniform der Amerikaner durch die Tür getreten war. Sobald er Peggy sah, fingen sein Gesicht und seine schokoladenbraunen Augen an zu strahlen.

»Ich glaube, dieser Gentleman ist deinetwegen hier«, flüsterte Anne und suchte sich in aller Eile eine Arbeit, als der junge Officer den Raum durchschritt. Er nahm die Mütze ab, und in der eleganten Uniform und mit dem dunklen Haar sah er sehr gut aus, stellte Peggy fest und hielt den Atem an, weil auch er mit ihrem Anblick offenkundig rundherum zufrieden war.

»Guten Morgen, Peggy«, grüßte er sie lächelnd. »Ist das heute kalt …«

»Wenn es so weitergeht, wird es bestimmt bald schneien«, stimmte sie ihm zu und sah ihn fragend an. »Wissen Sie schon, was Sie möchten, Sir?«

Ihr war bewusst, dass Janet aus der Küche in die Bar gekommen war und irgendetwas Duftendes frisch aus dem Ofen in den Händen hielt.

»Ich dachte, dass wir Freunde wären und Sie mich Able nennen würden«, meinte er.

»Das sind wir, Able«, meinte sie, und ihr verräterisches Herz schlug einen wilden Purzelbaum. »Was darf es heute sein?«

»Ich hätte gern einen Kaffee und ein Stück von diesem Kuchen, denn er sieht echt lecker aus. Auch wenn ich keine Ahnung habe, was das ist.«

»Ein umgedrehter Birnenkuchen. Meine Tochter war so nett, ihn rauszunehmen, als er fertig war«, erklärte Peggy und warf einen vielsagenden Blick auf Janet, die versuchte, nicht zu grinsen, während sie den jungen Officer einer verstohlenen Musterung unterzog.

Nach dieser Antwort würde er bestimmt nicht mehr versuchen, sich an sie heranzumachen, ging es Peggy durch den Kopf. Wenn ihm bewusst würde, wie alt sie war, käme er sicherlich nicht mehr auf die Idee, was mit ihr anfangen zu wollen, nach einem kurzen Blick auf Janet jedoch wandte er sich abermals an sie und stellte fest: »Da müssen Sie ja selbst fast noch ein Kind gewesen sein, als Ihre Tochter auf die Welt gekommen ist.«

So viel zu ihrer Politik der Abschreckung. Sie atmete tief durch, als sie das flirtbereite Blitzen in seinen dunklen Augen sah, und wusste, dass sie ihrerseits erheblich größeres Interesse an ihm hatte, als sie hätte haben sollen. Im besten Falle wäre dieser junge Mann an einer flüchtigen Affäre interessiert, die nur so lange dauern würde, wie er hier in England war, und dann …

»Oje … sind das schon die Sirenen? Da fangen Hitlers Schergen aber heute schon in aller Frühe an.«

»Das ist bestimmt nur Fehlalarm«, bemerkte Janet, »aber vielleicht wären Sie ja so nett, die Tür vorn abzuschließen, Able, während ich schon einmal mit den anderen in den Keller gehe, wo wir sicher sind …«

»Dann werde ich schnell gehen, wenn Sie nichts dagegen haben, Mrs. Ashley«, meinte Mr. Symonds und stand eilig auf. »Ich habe heute früh noch einen wichtigen Termin und mache mich am besten sofort auf den Weg.«

Able folgte ihm zur Tür, schloss ab, und während Peggy nach der Kaffeekanne griff, nahm Anne den Teller mit den süßen Brötchen und er selbst den frisch gebackenen Kuchen, und sie gingen durch die Tür neben dem Tresen dorthin, wo die Kellertreppe war. Am Kopf der Treppe trafen sie auf Nellie, und unter dem anschwellenden Heulen der Sirenen kam auch Janet mit der kleinen Maggie angerannt. »Sie können uns doch nicht so früh am Morgen bombardieren, oder?«, stöhnte sie.

Der Keller war bereits bei Kriegsbeginn, schon lange vor den ersten Angriffen auf London, hergerichtet worden und bot mit den Bechern, Gläsern, Decken, Kissen, ein paar Stühlen und einer einzelnen Matratze wenigstens ein Mindestmaß an Behaglichkeit. Es gab auch einen Teekessel und einen kleinen Kocher, eine Reihe täglich frisch gefüllter großer Wasserkrüge und – um während eines Stromausfalls nicht im Dunkeln dazusitzen – Kerosinlampen und Kerzen, aber bisher spendete die Deckenlampe weiter Licht.

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Peggy hauptsächlich bei Able, der den Blick über die Kisten und die Fässer, die im Keller eingelagert waren, wandern ließ. Die Wein- und Schnapsflaschen, die Laurence heimlich vor dem Krieg gebunkert hatte, waren in diesem Teil des Kellers nicht zu sehen, und Peggy atmete erleichtert auf. Zwar hatte Laurie diesen Vorrat noch in Friedenszeiten angelegt, wenn allerdings die Behörden was davon erführen, würde er wahrscheinlich trotzdem wegen illegalen Hortens angeklagt. Inzwischen musste man fürs Horten irgendwelcher Waren nämlich hohe Strafen zahlen. »Bitte machen Sie es sich bequem und trinken erst einmal den Kaffee, den ich Ihnen oben schon hatte servieren wollen.«

Den heißen echten schwarzen Kaffee aus der Kanne hatte Able sich im Grunde selbst zu verdanken, denn er hatte ihr zu Weihnachten genug davon gebracht, dass immer noch was davon übrig war. Statt der Milch, die oben in der Küche stand, gab es etwas von der Kondensmilch, die im Keller eingelagert war.

»Dann ist der Kaffee süß und nicht so stark«, erklärte sie, bevor sie jeweils ein paar Tropfen aus der Dose in die Becher der drei anderen Frauen gab.

»Ich trinke ihn auch schwarz, aber ich brauche einfach meinen Zucker …«, meinte Able, während er ein Stück Papier mit einem halben Dutzend Zuckerstücken aus der Tasche zog. »Ich schleppe immer welchen mit mir rum, weil es den an den meisten Orten nicht mehr gibt. Ich brauche mindestens drei Stücke – möchte sonst noch jemand welchen?«

Lächelnd nahm auch Peggy sich zwei Würfel, weil sie ebenfalls den Kaffee lieber schwarz mit Zucker statt mit klebrig süßlicher Kondensmilch trank. Diese nutzte sie inzwischen ständig für Süßspeisen und Kuchen, weil es kaum noch Zucker oder Sahne gab. Zwar hatte Peggy, weil sie auch für zahlende Gäste kochte, Anspruch auf besondere Rationen, aber es gab einfach nicht genug zu kaufen, um genauso gut zu kochen wie noch vor dem Krieg. Wie jede andere Hausfrau musste sie mit dem zurechtkommen, was es gab, doch es war überraschend, was für Dinge man mit Eipulver oder Kondensmilch alles anstellen konnte, wenn man erst mal wusste, welche Menge Pulver oder Dosenmilch einem normalen Ei oder dem Zucker und der Sahne, die man sonst zum Pudding oder Teig gab, entsprach.

Jetzt schnitt sie ihren umgedrehten Birnenkuchen an, und alle griffen zu und unterhielten sich, statt angestrengt darauf zu horchen, wo die Bomben fielen. Janet meinte, dass sie ein paar Explosionen hören würde, aber auf der anderen Themseseite oder vielleicht noch weiter entfernt, und Peggy dachte, vielleicht hätte es ja die East India Docks erwischt.

Able gab zum Besten, wie er selbst einmal in einem Leichtflugzeug mit seinem General in einer Wüste hatte landen müssen, als der Treibstoff ausgegangen war. Natürlich hatten sie von dieser Wüste noch nie zuvor gehört, doch alle lachten über die Geschichte und das etwas sonderbare Englisch, das er sprach.

Die Entwarnung kam nach einer guten Stunde, und sobald sie wieder oben waren, trat Peggy vor die Tür und sah den Rauch, der, wie vermutet, aus den Docks zum Himmel stieg. Vor Kälte zitternd lief sie wieder in den Schankraum und erklärte Janet, dass die Stadt tatsächlich abermals von deutschen Bombern angegriffen worden war.

Sie machten wieder auf, und ein paar erste Mittagsgäste kamen durch die Tür gestürzt. Der Regen hatte aufgehört, doch alle schimpften auf die Kälte und versammelten sich vor dem Feuer aus den letzten Scheiten und dem letzten alten Holz, das es noch gab.

Immer mehr Leute kamen in den Pub, als wollten sie die Chance nutzen, sich zu amüsieren, weil es sicher erst mal keinen weiteren Angriff geben würde, und obwohl sich Peggy den im Keller angebotenen Kaffee und Kuchen auf keinen Fall bezahlen lassen wollte, legte Able ihr die Münzen dafür auf den Tresen und versprach, er käme bald zurück.

Mit gemischten Gefühlen blickte sie ihm hinterher. Natürlich war es nett, sich endlich wieder mal bewundert und begehrt zu fühlen, doch sie wäre eine Närrin, wenn sie darauf eingehen würde – oder nicht?

Dann hatte sie mit dem Bedienen ihrer Mittagsgäste alle Hände voll zu tun, und erst als sie bei ihrem eigenen Mahl aus Corned Beef und klein geschnittenen Kartoffeln saßen, zog ihre Tochter sie mit ihrem amerikanischen Verehrer auf.

»Er ist total in dich verschossen, Mum«, erklärte sie. »Wenn du die Chance hast, solltest du dich ruhig ein bisschen mit ihm amüsieren, auch wenn das zwischen euch bestimmt nicht ewig halten wird …«

»Gibt es überhaupt etwas, was ewig währt?«, erkundigte sich Peggy trocken und wandte sich einem anderen Thema zu. »Hast du mir nicht erzählt, du würdest heute Nachmittag mit Maggie zur Routineuntersuchung in die Kinderklinik fahren?«

»Stimmt. Warum kommst du nicht einfach mit?«

Peggy schüttelte den Kopf. »Ich setze mich ein bisschen in den Sessel, bis ich für die Abendgäste kochen muss. Vor allem hat Maureen gesagt, sie käme vielleicht kurz vorbei, und wenn sie erst in Portsmouth ist, werde ich sie wahrscheinlich eine ganze Weile nicht mehr sehen …«

3

Den größten Teil des Vormittags brachte Maureen im Sanatorium bei Rory zu. Er war nicht gerade begeistert, dass sie London verlassen würde, und verzog beleidigt das Gesicht. Wobei er immer noch nicht wusste, ob ihn Velma nicht erneut belogen hatte und die überstürzte Heirat damals zwischen ihnen wirklich ungültig gewesen war. Unglücklich wegen seiner Trennung von Maureen, war er vor ein paar Jahren sturzbetrunken mit der anderen Frau im Bett gelandet, und dann hatte ihm diese vorgemacht, dass sie ein Kind von ihm bekommen würde, und ihn so dazu gebracht, den sprichwörtlichen Bund fürs Leben mit ihr einzugehen. Sie hatte dieses Kind verloren, und die Tochter, die sie ihm geboren hatte, war ebenfalls verstorben, ohne dass ihm Velma auch nur eine Nachricht über den Tod der Kleinen übermittelt hätte, während er in Übersee gewesen war. Er wäre also durchaus vorstellbar, dass Velma bloß so tat, als ob sie schon mit jemand anderem verheiratet gewesen wäre, als sie damals seine Frau geworden war. Sie würde alles tun und sagen, was für sie von Vorteil wäre, deshalb war er sich nie sicher, wann sie ehrlich war und wann sie ihn belog.

»Ich muss jetzt gehen«, meinte Maureen und gab ihm einen sanften Kuss. »Ich weiß nicht, wann ich wiederkommen kann, aber ich werde dir auf alle Fälle schreiben und dich wissen lassen, wie ich telefonisch zu erreichen bin.«

»Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum du dich zum freiwilligen Frauenhilfsdienst melden musstest«, knurrte er, bevor sie aber die Gelegenheit bekam, sich wieder aufzurichten, presste er ihr seinerseits die Lippen auf den Mund und küsste sie so leidenschaftlich wie vor all den Jahren, als sie miteinander ausgegangen waren. »Tut mir leid, Molly, ich weiß, das war gemein, aber ich hatte nun einmal gehofft, wir könnten jetzt endlich richtig zusammen sein.«

»Wenn ich gewusst hätte, dass du …« Sie schüttelte den Kopf, denn wenn er schmollte, war er alles andere als attraktiv, auch wenn der Grund für seine schlechte Laune sicher war, dass er nach Wochen in der Klinik jetzt in diesem Sanatorium gefangen war. Bei ihrem ersten Treffen hatte sie sich in sein Lächeln und die Späße, die er permanent gemacht hatte, verliebt, inzwischen aber konnte sie sich kaum noch dran erinnern, wie es in der Zeit, bevor sie Rory damals hatte gehen lassen, gewesen war. »Nach all den Jahren in Dads Laden war mir einfach wichtig, endlich einmal etwas Sinnvolles zu tun, und schließlich wusste ich nicht mal, ob du mich jemals hättest wiedersehen wollen …« Sie sah ihn unglücklich aus ihren sanften grauen Augen an. Sie hatte ihren Vater Henry stets geliebt und Rory damals gehen lassen, um auch weiter für ihn da zu sein, dann aber hatte er ein zweites Mal geheiratet und sie zum Dank für ihre jahrelange Mühe vor die Tür gesetzt.

Rory nahm ihre Hand, und Maureen blinzelte gegen die aufsteigenden Tränen an. Sie hatte ihn von Anfang an geliebt und ihn verletzt, als sie ihn damals hatte ziehen lassen, um auch weiter ihren Vater zu versorgen und den Laden der Familie zu führen. Natürlich hatte Rorys Heirat vor sechs Jahren ihr das Herz gebrochen, doch einen Vorwurf hatte sie ihm deshalb nie gemacht. Wie hätte sie das auch gesollt, nachdem sie selbst ihn vorher hatte fallen lassen, um auch weiterhin für ihren Vater da zu sein? Und weil ihr selbst nach all der Zeit noch immer etwas an ihm lag, fand sie es einfach richtig, nach den schrecklichen Verwundungen, die er davongetragen hatte, sich um ihn zu kümmern. Vor allem, da Velma ihr auf ihre Frage, welches Krankenhaus ihn aufgenommen hatte, deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie nicht die Absicht hätte, selbst nach ihm zu sehen.

»Wenn ich gewusst hätte, dass du mich willst, hätte ich mir ganz sicher keinen Job in einem Krankenhaus gesucht«, erklärte sie, und jetzt brach sich die erste Träne Bahn.

»Das war wahrscheinlich meine eigene Schuld«, gab er mit einem süßen Lächeln zu, bei dem ihr Herz sich wehmütig zusammenzog. In diesem Augenblick sah er genauso jungenhaft und hemmungslos verliebt wie während ihres allerersten Treffens aus. »Als du zum ersten Mal zu mir ins Krankenhaus gekommen bist, haben meine Hände noch so wehgetan, dass ich mir sicher war, ich könnte mit ihnen niemals wieder Geld verdienen. Aber sie haben mich so gut wieder hingekriegt, dass ich mich wieder fühle wie ein ganzer Mann. Das heißt, wenn ich entlassen werde, finde ich auf alle Fälle irgendeinen Job. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob die Heirat zwischen Velma und mir wirklich ungültig gewesen ist …« Bei diesen Worten verzog Rory grimmig das Gesicht. »Wenn ich das Weibsbild in die Hände kriege, setzt es was … Sie hat mein kleines Mädchen einfach sterben lassen. Sie kann mit so vielen Männern schlafen, wie sie will, aber sie hat mein Kind vernachlässigt, und das verzeihe ich ihr nicht.«

»Es tut mir leid. Du wärst bestimmt ein guter Dad gewesen, aber Velma ist nun einmal für die Mutterrolle nicht gemacht«, meinte Maureen, ohne ihn anzusehen. Sie hatte Rory nicht erzählt, dass Velma ihr gestanden hatte, Rory abermals betrogen und ein weiteres Kind bekommen zu haben, während er in Übersee gewesen war. Jetzt nahm sie seine Hand und hielt sie fest. »Ich liebe dich und hoffe, dass wir eines Tages eigene Kinder haben werden. Mir ist klar, dass das die Kleine nicht ersetzen wird …«

»Natürlich tut es das«, erklärte er und drückte ihr so fest die Hand, dass es fast schmerzlich war. »Ich hätte meine Pflicht der Kleinen gegenüber zwar erfüllt, aber geliebt habe ich immer dich, Molly. Ich möchte, dass wir heiraten und eines Tages unsere eigenen Kinder haben … falls ich je genug verdiene, um …« Nun waren ihm die Zweifel wieder deutlich anzusehen.

»Natürlich wirst du das.« Sie schaute ihn mit einem liebe- und vertrauensvollen Lächeln an. »Ich hoffe nur, sie schicken dich nicht noch mal in den Krieg, schließlich hast du deinen Teil geleistet, Rory – doch vor allem bin ich zuversichtlich, dass du eines Tages eine Arbeit findest, die dir Spaß macht und von der du leben kannst ...«

Aber seine Zweifel hatten sich noch immer nicht gelegt, und ihr war klar, dass er sich Sorgen wegen seines linken Auges machte, mit dem er auch weiter bloß verschwommen sah. Doch die Verbrennungen in seinem Gesicht und an den Händen waren wunderbar verheilt, und die paar Narben, die er dauerhaft davon zurückbehalten würde, kümmerten sie beide nicht, denn er war alles andere als eitel, und sie liebte nicht sein Aussehen, sondern sein normalerweise gutmütiges, aufgekratztes Naturell.

»Ja, ich werde etwas finden«, stimmte er ihr schließlich zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Du musst jetzt wirklich gehen, Liebes, aber schreib, so schnell es geht – und ruf mich an, wenn es dir möglich ist. Wir haben hier im Tagesraum ein Telefon, auf dem man nachmittags Gespräche führen kann.«

»Das kommt auf meine Schichten an«, erklärte sie und küsste ihn ein allerletztes Mal.

Dann ging sie los, doch in der Tür des Krankenzimmers drehte sie sich noch mal um. Während sie ihm winkte, zog ihr Herz sich abermals zusammen, als er unglücklich die Schultern hängen ließ. Sie wusste, die Nachricht, dass sein Kind gestorben war, und die Oberflächlichkeit der Frau, die er für seine Ehefrau gehalten hatte, hatten ihn bekümmert und verärgert, inzwischen jedoch erschien er traurig und enttäuscht, weil er versehrt aus diesem Krieg zurückgekommen war. Er hatte das Gefühl, als ob sein Leben schon in jungen Jahren vorüber wäre, und er kam sich nutzlos und vor allem völlig überflüssig vor. Sie wünschte sich, dass sie auch weiterhin in seiner Nähe bleiben könnte, um ihn tatkräftig dabei zu unterstützen, sich ein neues Leben aufzubauen, aber sie hatte sich nun mal als Schwesternhelferin beworben, um der bisherigen Einsamkeit in ihrem Leben zu entgehen, und sie wusste, dass die Arbeit, die sie leisten würde, wirklich wichtig war.

Sie hätte gerne kehrtgemacht, um Rory zu versichern, dass sie dieser Tätigkeit nur vorübergehend nachgehen und so schnell wie möglich wiederkommen würde, doch sie wusste, dass man gerade alle Schwestern und auch Helferinnen brauchte, die man kriegen konnte, weil die Krankenhäuser überquollen und mittlerweile selbst in großen Herrenhäusern Lazarette und Genesungsheime wie das Sanatorium, in dem Rory sich hier aufhielt, eingerichtet worden waren. Vor allem wollte sie beweisen, dass sie auch für andere Arbeiten als im familieneigenen Geschäft geeignet war, und musste eigenes Geld verdienen, denn ihr Vater hatte sie in all den Jahren so schlecht bezahlt, dass sie mit praktisch leeren Händen bei ihm ausgezogen war. Womöglich wäre der verdammte Krieg ja auch vorbei, bis Rory aus dem Sanatorium entlassen würde, und dann könnte sie zurück nach London kommen und mit ihm zusammen auf Arbeits- und Wohnungssuche gehen.

Im Notfall nähme sicher ihre Gran sie beide erst mal auf, und Rory könnte dort zur Ruhe kommen, wenn er aus dem Sanatorium kam. Er fand es ziemlich lästig, dass er immer noch behandelt werden musste, doch zumindest bräuchte er, solange er im Sanatorium wäre, nicht noch einmal an die Front zurückzukehren.

Sie hasste diesen Krieg und alles, was damit zusammenhing. Gelegentlich las sie Zeitung, aber die Berichte von den Niederlagen und den schrecklichen Verlusten deprimierten sie, und ihr war klar, dass es bisher nicht gut für Großbritannien und die Alliierten lief. Natürlich war es unvorstellbar, dass sie diesen Krieg verlieren könnten, aber auch wenn niemand den Gedanken aussprach, war die Angst inzwischen da. Obwohl kein wahrer Brite es je eingestehen würde, zehrten die Bombardements der Städte und der Häfen an den Nerven, und die Meldungen von den Rückschlägen und Niederlagen in Übersee verstärkten noch das mulmige Gefühl. Zum Glück hatten die USA erstmals in der Geschichte ihres Landes einem Präsidenten eine dritte Amtszeit eingeräumt, und unter Roosevelts Führung stünde ihnen die Großmacht von der anderen Seite des Atlantiks weiter bei. Von allen anderen Seiten aber drohte dem Vereinten Königreich Gefahr, und da der Krieg mittlerweile täglich elf Millionen Pfund verschlang, sah Großbritanniens Zukunft düster aus.

Maureen verdrängte diese unguten Gedanken, denn sie hatte nur noch Zeit, um kurz bei Peggy reinzuschauen, bevor sie ihr Gepäck von ihrer Oma holte und zum Bahnhof fuhr. Im Grunde war sie bisher nie aus London rausgekommen, und es würde sicher seltsam, plötzlich weit entfernt von all den Menschen, die sie liebte und die ihr am Herzen lagen, ganz auf sich allein gestellt zu sein …

*

»He, Maureen!«, rief eine gut gelaunte Stimme, während sie die Straße überquerte, und als sie den Kopf hob, sah sie einen blonden Jungen auf dem Schutthaufen, wo einst das Antiquariat gestanden hatte, balancieren. »Wie geht’s?«

»Was machst du auf den Trümmern?«, fragte sie zurück und runzelte die Stirn. »Das ist gefährlich, Sam. Sei vorsichtig. Du könntest stürzen und dir wehtun.«

»Nee, schon gut«, klärte er sie mit einem kessen Grinsen auf. »Ich kenne mich hier aus.«

Sie zögerte, doch es war schwierig, einem Jungen dieses Alters Vorschriften zu machen, dessen Vater im Gefängnis saß und dessen Mutter einfach völlig überfordert war.