Morgenröte in der Mulberry Lane - Rosie Clarke - E-Book
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Morgenröte in der Mulberry Lane E-Book

Rosie Clarke

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Beschreibung

Frischer Wind in der Mulberry Lane.

London 1958: Die Schrecken des Krieges verblassen und das Leben in der Mulberry Lane geht weiter. Peggys Zwillinge sind nun Teenager und planen schon ihr Leben nach der Schulzeit. Vor allem die zielstrebige Faye überrascht ihre Mutter mit neuen Plänen.

Maureen, Shirleys Tochter, hat ihr Medizinstudium mittlerweile abgeschlossen und kehrt in die Mulberry Lane zurück. Endlich kann sie ihren Traum verwirklichen und als Ärztin den Ärmsten helfen. Doch inmitten all der Arbeit tritt auf einmal die Liebe in ihr Leben.

Janet hingegen ist alles andere als glücklich. Sie liebt ihren Mann Ryan, aber sie sehnt sich nach einem neuen Lebensinhalt.

So ist das Leben auch nach den Kriegswirren turbulent in der Mulberry Lane und wird immer mehr von der neuen Generation geprägt.

Liebe, Tod und Hoffnung - Das Schicksal der Mulberry Lane in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die große London-Saga für alle Fans von Donna Douglas, Katharina Fuchs und Ulrike Renk. Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 554

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Über das Buch

Frischer Wind in der Mulberry Lane.

London 1958: Die Schrecken des Krieges verblassen und das Leben in der Mulberry Lane geht weiter. Peggys Zwillinge sind nun Teenager und planen schon ihr Leben nach der Schulzeit. Vor allem die zielstrebige Faye überrascht ihre Mutter mit neuen Plänen.

Maureen, Shirleys Tochter, hat ihr Medizinstudium mittlerweile abgeschlossen und kehrt in die Mulberry Lane zurück. Endlich kann sie ihren Traum verwirklichen und als Ärztin den Ärmsten helfen. Doch inmitten all der Arbeit tritt auf einmal die Liebe in ihr Leben.

Janet hingegen ist alles andere als glücklich. Sie liebt ihren Mann Ryan, aber sie sehnt sich nach einem neuen Lebensinhalt.

So ist das Leben auch nach den Kriegswirren turbulent in der Mulberry Lane und wird immer mehr von der neuen Generation geprägt.

Liebe, Tod und Hoffnung – Das Schicksal der Mulberry Lane in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die große London-Saga für alle Fans von Donna Douglas, Katharina Fuchs und Ulrike Renk. Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Über Rosie Clarke

Rosie Clarke ist eine englische Autorin, die bereits seit vielen Jahren Romane schreibt. Sie lebt in Cambridgeshire, ist glücklich verheiratet und liebt das Leben mit ihrem Mann. Wenn sie nicht gerade faszinierende Geschichten über starke Frauen schreibt, dann verbringt sie ihre Zeit gerne in Marbella und genießt das gute Essen und die spanische Sonne. Allerdings hält sie es dort nie allzu lange aus, denn das Schreiben neuer Romane ist ihre größte Leidenschaft.

Uta Hege lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Saarbrücken. Mit dem Übersetzen englischer Titel hat sie ihre Reiseleidenschaft und ihre Liebe zu Büchern perfekt miteinander verbunden und ihren Traumberuf gefunden

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Rosie Clarke

Morgenröte in der Mulberry Lane

Übersetzt aus dem Englischen von Uta Hege

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

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Kapitel 10

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Kapitel 13

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Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Impressum

Kapitel 1

Juni 1958

Als Peggy Ronoscki an diesem sonnenhellen Junimorgen in die Bar des Pig & Whistle kam, blitzte und blinkte alles und es duftete nach der von Mrs. Mags verwendeten Lavendelpolitur. Auf ihre neue Putzfrau war Verlass, und deren Tochter Julie machte sich hinter dem Tresen ebenfalls sehr gut. Sowohl das Pig & Whistle als auch die Pension florierten, und ihrem Mann Able und Tom Barton ging die Arbeit ebenfalls niemals aus. Zwar hätte Able mit der Baufirma der beiden Männer gern noch größere Aufträge an Land gezogen, doch auch wenn die Langsamkeit und Vorsicht seines Freundes und Geschäftspartners ihn hier und da frustrierten, wusste er, dass er sich blind auf ihn verlassen konnte und wie groß Toms Anteil am Erfolg des Unternehmens war. Und Peggy selbst war froh, dass Tom die Dinge immer gründlich abwog, weil ihr Mann sich manchmal blind in irgendwelche Abenteuer stürzte, auch wenn ihm als dem geborenen Geschäftsmann mit den meisten Unternehmungen, die er in Angriff nahm, Erfolg beschieden war.

Tom Barton stammte aus dem East End, und schon lange ehe er und Able ihre Baufirma gegründet hatten, hatte Peggy ihn ins Herz geschlossen, weil er zuverlässig, hilfsbereit und stets freundlich war. Bereits als junger Bursche hatte er sich viele handwerkliche Fähigkeiten angeeignet und war jedes Mal gern eingesprungen, wenn es irgendwo etwas zu reparieren gab.

Able war damals bei ihr im Pig & Whistle aufgetaucht, als er als amerikanischer Soldat mit seinem vorgesetzten General in London stationiert gewesen war. Da Peggy sich zu der Zeit schon von ihrem ersten Ehemann Laurie entfremdet hatte, hatte sie sich gegen ihren Willen in den attraktiven Burschen, der ein wenig jünger war als sie, verliebt. Dann waren 1942 ihre Zwillinge geboren, um die sie sich allein gekümmert hatte, bis er vor Kriegsende 1945 zu ihr heimgekommen war. Er hatte einen Arm, jedoch nichts von seinem Elan und seiner Zuversicht verloren. Obwohl Peggys erster Mann, nachdem er ihrer besten Freundin Maureen während eines Messerangriffs beigestanden und sich dabei eine schwere Stichverletzung zugezogen hatte, sicher nicht verdient hatte, danach an Tuberkulose zu sterben, war sie nach ihrem Trauerjahr frei gewesen, um mit dem Mann, dem ihre ganze Liebe galt, den Bund der Ehe einzugehen.

Nach ihrer Hochzeit waren sie und Able mit den Kindern an die Südküste gezogen, aber obwohl das kleine Restaurant am Meer, das sie betrieben hatten, ein Erfolg gewesen war, waren sie am Ende unter anderem ihrer Tochter Fay zuliebe doch nach London heimgekehrt. Das Mädchen hatte es sich in den Kopf gesetzt, als Eiskunstläuferin zu reüssieren, und nachdem Pip, ihr Ältester, ihr kleines Haus in Devon hatte übernehmen wollen, weil er in der Nähe eine gute Stelle in der Flugzeugindustrie bekommen hatte, führte sie das Pig & Whistle, das sie ihm und ihrer Schwiegertochter überlassen hatte, wieder selbst.

Die Dinge hatten sich auf eine Art gefügt, mit der sie alle glücklich waren, ging es Peggy durch den Kopf, selbst wenn sie mittlerweile Falten um die Augen hatte und auch nicht mehr ganz so schlank wie früher war. Zwar sagte Able, dass er sie genau so lieben würde, wie sie wäre, aber sie hasste den Gedanken, dass sie plötzlich wie ein Hefekuchen auseinandergehen könnte wie so viele Frauen in den Wechseljahren. Inzwischen war sie Ende fünfzig, jedoch kerngesund und voller Energie. Sie kochte noch genauso gern wie früher, und obwohl sie wusste, dass die Leute die Gerichte, die sie schon seit Jahren von ihr vorgesetzt bekamen, ganz besonders liebten, hörte sie nie auf, mit neuen Zutaten zu experimentieren.

Sie griff nach einem Glas mit einem winzig kleinen Fleck und rieb mit einem Tuch daran herum. Sie hasste es, wenn Gläser nicht ganz sauber waren, und anscheinend hatte ihre Putzfrau diesen einen kleinen Fleck beim Spülen übersehen. Der Rest der Gläser und des Tresens aber waren makellos, und Peggy wollte gerade in die Küche gehen, als die Tür aufflog und ihre beste Freundin auf der Bildfläche erschien. Sie hatte einen roten Kopf und war so aufgeregt, dass Peggy sofort wusste, dass etwas geschehen war.

»Es geht um Gordon«, stieß Maureen mit atemloser Stimme aus. »Beim Aufstehen heute früh hatte er Schmerzen in der Brust, und dann ist er mir auf einmal mitten in der Küche umgefallen. Ich habe sofort einen Krankenwagen gerufen, und sie haben ihn auf direktem Weg ins Krankenhaus gebracht.«

»O nein.« Peggy nahm ihre Freundin tröstend in den Arm. »Aber warum bist du nicht mitgefahren?«

»Sie wollten mich nicht mitnehmen. Sie haben gesagt, ich wäre nur im Weg. Und dazu musste ich noch Gordy in die Schule bringen und den Laden aufmachen. Sie haben gesagt, dass es das Beste wäre, später nachzukommen, denn jetzt würde ich dort sowieso nur rumsitzen und Däumchen drehen, während die Ärzte nach ihm sehen. Er muss geröntgt werden.« Sie unterdrückte einen Schluchzer, doch ihr traten Tränen in die Augen. »Er war bewusstlos, also habe ich ihn bloß geküsst und ihm gesagt, ich käme nach. Ich habe Gordy bei der Schule abgesetzt und bin nun auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute früh nicht kommen kann.«

Ihr Mann betrieb den Lebensmittelladen an der Ecke, der Maureen von ihrer Großmutter hinterlassen worden war. Er hatte ihn erweitert und das Sortiment vergrößert, während seine Frau mit Peggy für das kleine Café backte, das unweit des Pig & Whistle lag.

»Natürlich nicht«, stimmte ihr Peggy zu. »Und wie kommst du ins Krankenhaus?«

»Mit Gordons Wagen. Meinen Lieferwagen kann ich nicht benutzen, weil damit die Ware ausgeliefert werden muss.«

Peggy wusste, dass Maureen den großen Daimler, den ihr Mann gebraucht erstanden hatte, eigentlich nicht gern fuhr. Er lenkte sich viel schwerer als der kleine Lieferwagen, den sie für gewöhnlich nutzte, aber wenn ihr Angestellter ihn fürs Ausfahren der Lebensmittel brauchte, blieb ihr keine andere Wahl.

Seit Gordon für den Laden neben dem ursprünglichen auch noch das alte Wollgeschäft von Mrs. Tandy nutzte, war dort immer Hochbetrieb. Er arbeitete dort von acht Uhr in der Früh bis nach halb sieben abends, und am Sonntagmorgen machte er die Inventur und füllte die Regale auf. Die Lieferfahrten übernahm ein junger Künstler namens James, der allein von seiner Malerei nicht leben konnte und für die paar Shilling, die er wöchentlich dazuverdiente, und das Essen, das Maureen ihm häufig brachte, dankbar war.

»Nun fahr schon«, drängte Peggy, als sie Maureens unglückliche Miene sah. »Ich habe jede Menge Hilfe, und ich komme hier allein zurecht. Gib mir Bescheid, wie es aussieht, wenn du kannst – und denk dran, ich bin immer für dich da.«

Die Freundin nickte, aber für ein Lächeln war sie viel zu angespannt. »Ich melde mich bei dir.«

Sie rannte eilig wieder los, und seufzend sah ihr Peggy hinterher. Mit der Launenhaftigkeit des Schicksals kannte sie sich aus. Sie hatte großes Mitgefühl mit ihrer Freundin, denn sie wusste noch zu gut, wie sie getrauert hatte, als ihr lieber Able jahrelang während des Kriegs verschollen gewesen war.

Auch Maureen hatte schon sehr viel im Leben durchgemacht. Ihr Vater war ein ziemlicher Tyrann gewesen, und als junges Mädchen war sie dann auf einen Schwerenöter hereingefallen, der sie hatte sitzen lassen, als sie von ihm schwanger war. Dann aber hatte Gordon sie gebeten, seine Frau zu werden, und sie hatte sich mit ihrem Mann, dessen Tochter Shirley und ihrem kleinen Sohn, der von ihrem Verflossenen Rory war, ein gutes Leben aufgebaut. Es hatte ausgesehen, als ob ihr Schicksal sich gewandelt hätte, bis der junge Robin an den Windpocken gestorben war. Zum Glück waren sie und Gordon danach mit zwei Söhnen gesegnet worden, ihrem lieben Gordy, der mit seinen vierzehn Jahren noch zur Schule ging, und ihrem Jüngsten Matty. Außerdem war Shirley, Tochter aus der ersten Ehe ihres Mannes, als Assistenzärztin an einem Krankenhaus in Durham angestellt. Die Freundin käme also sicher mit dem neuerlichen Schicksalsschlag zurecht, doch Peggy hasste es, sie abermals so unglücklich zu sehen.

*

Kopfschüttelnd trat Peggy durch die Küchentür. Sie hätte heute Morgen alle Hände voll zu tun. Schließlich müsste sie ganz alleine all die Kuchen für das kleine Café backen, das sie mit Maureen, einer Angestellten und gelegentlicher Unterstützung durch Tom Bartons Frau Rose betrieb. Daneben hätte sie sich auch noch um das Bed & Breakfast, das sie führte, kümmern wollen, obwohl sie dort zum Glück genügend Unterstützung hatte und im Grunde nur das Abendessen für die Gäste, die dort essen wollten, machen müsste, weil die junge Frau, die ihr dort half, den Rest der Arbeit auch alleine hinbekam.

»Ich kann auch gern das Frühstück für die Leute machen, und Sie können morgens später kommen, wenn Sie wollen«, hatte Pearl ihr angeboten und hinzugefügt: »Ich weiß schließlich, wie Sie es haben wollen, und mithilfe meiner Mum und meiner Tochter kriege ich das sicher hin.«

Peggy krempelte die Ärmel hoch und fing mit Sandkuchen und Zitronentörtchen an, bevor es mit Madeleines und Apfelkuchen weiterging. Kaum hatte sie den letzten Schwung im Ofen, als Rose Barton in der Tür erschien.

»Ich bin so schnell es ging gekommen«, meinte sie. »Ich wusste, dass du Hilfe brauchen würdest, als mir Tom erzählt hat, dass Maureen zu ihrem Mann ins Krankenhaus gefahren ist.«

»Ich brauche für die Wirtschaft noch zwei Käse-Zwiebel-Tartes und einen großen Shepherd’s Pie«, erklärte Peggy ihr. »Könntest du schon einmal mit dem Pie beginnen?«

»Natürlich. Oh, die Zitronentörtchen sehen wirklich lecker aus! Leg doch bitte eins für mich zur Seite, das ich Tom mitnehmen kann. Ich werde keine Zeit zum Backen haben, weil ich heute Nachmittag noch in die Schule muss. Die Lehrerin hat Molly gestern einen Brief an ihre Eltern mitgegeben, weil sie offenkundig irgendetwas ausgefressen hat.«

»Das kann doch gar nicht sein. Ich weiß, dass sie recht lebhaft ist, aber sie macht euch ganz bestimmt keine Scherereien.«

»Bisher dachte ich, dass sie in der Schule gut zurechtkommt«, stimmte Rose der Freundin zu und runzelte die Stirn. »Wobei ich die Probleme, die ich gerade habe, sicher nicht mit denen von Maureen vergleichen will. Weißt du, was Gordon fehlt?«

»Maureen hat nur gesagt, er hätte über Schmerzen in der Brust geklagt und wäre plötzlich umgefallen.«

Rose nickte. »Etwas in der Richtung hat auch Tom gesagt. Glaubst du, es ist sein Herz?«

Peggy rollte den Teig für die Pasteten aus. »Das könnte durchaus sein, denn er arbeitet wirklich viel. Er hat viel aus dem Laden herausgeholt, seit er ihn übernommen hat. Der alte Jackson hat damit im Grunde kaum etwas verdient, doch Gordon hat ihn ausgebaut und hätte jetzt noch einen weiteren Laden ein paar Straßen weiter übernehmen wollen. Obwohl Maureen dagegen war. Sie hatte Angst, dass er sich damit übernimmt, und wie es aussieht, hat sie damit durchaus recht gehabt.«

»Sie wird am Boden zerstört sein, wenn ihm was passiert«, bemerkte Rose. »Ich frage mich, wie sie mit alledem allein zurechtkommen soll.«

»So was darfst du nicht sagen. Mir ist selbst klar, dass es nicht gut aussieht, aber sie wissen heute doch bestimmt, wie damit umzugehen ist.«

»Ich weiß nicht …« Rose, die gerade Zwiebeln schälte, sah aus tränennassen Augen auf. »Schließlich ist Toms Vater letzte Weihnachten auch einfach umgefallen und starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie konnten nichts mehr für ihn tun.«

»Ich weiß, und das hat mir sehr leidgetan. Ich hatte Jack sehr gern, auch wenn er im Gefängnis war. Er war mir stets ein guter Freund und hatte es mit seiner Frau nicht leicht, denn sie war ziemlich kaltherzig.«

»Ich weiß, das hat mir Tom erzählt. Und sie hat ihm die Schuld daran gegeben, dass sein Bruder damals auf dem Trümmergrundstück umgekommen ist. Trotzdem war sie seine Mutter, er hat sie geliebt und es war wirklich schlimm für ihn, als sie am Ende den Verstand verloren hat. Und als dann auch sein Vater auf einmal einfach umgefallen ist, hat ihm das furchtbar zugesetzt. Der Kinder wegen hat er dennoch so getan, als ob er Weihnachten genießen würde, aber mit dem Herzen war er nicht dabei.«

»Geht es ihm jetzt denn wieder besser?«, fragte Peggy, denn sie mochte Tom und freute sich, dass er zu einem ordentlichen jungen Mann mit einer glücklichen Familie herangewachsen war. Er liebte Rose abgöttisch, und Rose’ Tochter Molly und die gemeinsamen Söhne Jackie und Frank waren sein ganzer Stolz. Er wollte ihnen allen ein gutes Leben bieten, hatte sich aus eigener Kraft ein eigenes Unternehmen aufgebaut, und Peggy hatte sich gefreut, als er die Partnerschaft mit Able eingegangen war. Sie hatte Tom schon immer blind vertraut und fand, er hätte mehr als jeder andere verdient, wenn er nun glücklich war.

»Die Sache lässt ihn immer noch nicht völlig los, auch wenn er meist so tut, als ginge es ihm gut«, erklärte Rose. »Ich habe keine Ahnung, was ich zu ihm sagen soll. Sein Vater war noch jung – im Grunde war er kaum älter als du.«

»Ich weiß. Wir waren gute Freunde. Macht sich Tom Gedanken, dass er das Problem vielleicht von ihm geerbt hat oder so?«

»Ich weiß es nicht genau. Die Ärzte haben gesagt, Jacks Herz hätte versagt.« Obwohl sie ihre Stirn in Falten legte, war sie mit den blonden Haaren und gleichmäßigen Zügen eine wunderschöne junge Frau, und Peggy konnte nachvollziehen, dass Tom – auch wenn ihn Rose zu Anfang keines Blicks gewürdigt hatte – gleich in sie verliebt gewesen war. »Aber Tom ist kerngesund, weswegen also sollte er sich jetzt Gedanken machen, dass ihm was passiert?«

»Weil er nun eine eigene Familie hat und bestimmt nicht wollen würde, dass du eure Kinder ganz alleine großziehen musst«, erklärte Peggy ihr. »Es geht ihm dabei nur um dich, Molly, Jackie und Frank, glaube mir.«

»Wahrscheinlich hast du recht. Wobei er sich doch keine Sorgen machen muss. Ich bin mir sicher, dass er uns noch eine Ewigkeit erhalten bleiben wird.«

»Bestimmt.« Zwar nickte Peggy, doch der Tod seines Vaters mit nur sechsundfünfzig Jahren hatte Tom wahrscheinlich furchtbar zugesetzt. Nachdem sein Vater plötzlich einen Herzinfarkt erlitten hatte, hatte er wahrscheinlich Angst davor, genauso plötzlich einfach umzufallen. Sie schüttelte den Kopf und meinte: »Lass uns an was anderes denken, Rose. Wusstest du schon, dass Fay den Wettkampf gestern Nachmittag gewonnen hat?«

»Im Ernst?« Rose lächelte sie an. »Ich hätte nie gedacht, dass sie so lange durchhält, und ich habe gerade erst zu Tom gesagt, ich hätte angenommen, dass sie irgendwann genug von all dem Training und der harten Arbeit hat. Und jetzt gewinnt sie plötzlich einfach diesen Wettbewerb.«

»Genauso ging es mir auch«, gab Peggy lächelnd zu. »Und Janet war sich sicher, dass Fay irgendwann alles hinschmeißen würde, doch das hat sie nicht getan. Wir alle freuen uns unglaublich, dass sie einen solchen Spaß am Schlittschuhlaufen hat. Und Freddie liebt es, Eishockey zu spielen, auch wenn der Fußball weiter seine große Leidenschaft ist. Und er ist wirklich gut, und Able meint, er wird ihn unterstützen, falls er in zwei Jahren nach Beendigung der Schule Profisportler werden will.«

Peggy hatte mit fast vierzig nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe Ables Zwillinge zur Welt gebracht, als ihre ersten beiden Kinder längst schon groß gewesen waren. Janet, die sich mit ihrem zweiten Mann Ryan, der Tochter Sheila und dem gemeinsamen kleinen Sohn Jon in Schottland niedergelassen hatte und nur noch gelegentlich nach London kam, und Pip, der in dem Haus in Devon lebte, weil er einen wirklich guten Job bei einem Flugzeugbauer hatte, der dort unten angesiedelt war. Auch er und seine Liebste hatten einen Sohn und eine Tochter – Chris und Margaret –, womit die Familienplanung abgeschlossen war. Bei der Geburt des Jungen wäre Sheila fast gestorben, und auch wenn sie trotzdem noch die kleine Meg bekommen hatte, hatten ihr die Ärzte davon abgeraten, es noch einmal zu versuchen. Sie hatte ihrem Mann versprochen, nicht noch mal ein solches Wagnis einzugehen, nachdem sie einander fast verloren hätten und ein Leben ohne den je anderen für sie beide unvorstellbar war.

Lächelnd dachte Peggy daran, dass Pip sie alle in den Ferien nach Devon eingeladen hatte. Sie hoffte nur, dass nichts dazwischenkäme, aber Janet hatte keinen festen Job in Schottland, könnte also Urlaub machen, wann sie wollte, Able könnte sich auf Tom verlassen und mit einer zusätzlichen Hilfskraft kämen sie im Pig & Whistle sicher eine Zeit lang ohne sie zurecht.

»Hast du von Janet wieder mal etwas gehört?«, erkundigte sich Rose in diesem Moment. »Hat sie etwas davon gesagt, dass sie ein drittes Kind will oder so?«

»Ich glaube, nicht. Sie haben Maggie und den achtjährigen Jon, und ich denke, das ist alles, was sie wollen. Die beiden Kinder sind laut Ryan genau das Richtige für sie, und Janet widerspricht ihm nicht. Sie ist mit ihrem Leben offenbar so zufrieden, wie es ist.«

Rose nickte zustimmend. »Genau das sagt Tom auch. Ich dachte, vielleicht hätte er ja gern noch ein Kind, und habe ihn vor Weihnachten drauf angesprochen, ob wir vielleicht noch ein Baby haben sollen, bevor der Altersunterschied zu groß wird, aber seit dem Tod seines Vaters ist das Thema für ihn abgehakt.«

Peggy bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. »Dann hat er offenbar tatsächlich Angst, dass du allein mit allzu vielen Kindern dastehst, falls ihm was passiert.«

»Aber ihm wird ganz sicher nichts passieren«, begehrte ihre Freundin auf. »Vor allem hätte ich tatsächlich gern ein viertes Kind, solange es noch möglich ist. Und da ich ein paar Jahre älter bin als Tom, läuft mir langsam die Zeit davon.«

»Du bist noch immer eine junge Frau und hast noch jede Menge Zeit, Rose«, stellte Peggy lächelnd fest. »Vor allem, wenn du dir an mir ein Beispiel nimmst. Ich bin inzwischen achtundfünfzig, und ich habe meine Zwillinge bekommen, als ich Anfang vierzig war.«

»Das sieht man dir nicht an«, erklärte Rose und unterzog sie einer eingehenden Musterung. »Ich finde, dass dir die paar zusätzlichen Pfunde wirklich stehen. Wenn Frauen zu dünn sind, wenn sie älter werden, sehen sie hager aus. Du dagegen wirkst noch total jugendlich.«

»Hat dir das Able eingeflüstert?« Peggy lachte auf. »Denn er behauptet ebenfalls, dass er sich über meine zusätzlichen Pfunde freut. Er sagt, dass ich zu dünn geworden wäre, aber trotzdem sehe ich mich besser etwas vor, sonst komme ich am Schluss nicht mehr in meine Kleider rein.«

Rose schüttelte den Kopf. »Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ich werde überglücklich sein, wenn ich es schaffe, in dem Alter wenigstens noch halb so hübsch zu sein wie du.«

Lächelnd schnappte Peggy sich den Teller mit den Schinkenbrötchen für die Bar, in der im Radio All I Have To Do Is Dream von den Everly Brothers erklang. Sie mochte dieses Lied, und ihre jungen Gäste mochten es, wenn die Musik in voller Lautstärke erklang, doch ihren Stammkunden missfiel der Lärm.

Entschlossen stellte Peggy ihren Brötchenteller ab, drehte das Radio etwas leiser, wandte sich zum Gehen und fragte sich, wie es Maureen und Gordon ging. Sie hatte keine Ahnung, was die Freundin machen würde, falls ihr Mann nicht mehr nach Hause käme, und sie betete zum lieben Gott, dass er wohlauf war!

Kapitel 2

Bitte, lieber Gott, lass ihn wieder gesund werden!

Maureen saß auf dem Plastikstuhl im Warteraum des London Hospital und betete für ihren Mann. Sie wartete jetzt schon zwei Stunden dort und dachte ein ums andere Mal, dass sie sich nie verzeihen würde, falls er sterben sollte oder einen Hirnschaden von einem Schlaganfall zurückbehielt. Sie hätte Gordon zwingen sollen, es ruhiger angehen zu lassen. Vor ein paar Jahren hatte er sich vorgenommen, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, dann aber hatte er den Laden noch erweitert und die meiste Zeit mit seiner Arbeit zugebracht. Warum nur hatte sie ihm nicht gesagt, dass ihr das viele Geld, das er verdiente, nicht so wichtig war wie er?

Natürlich war es wundervoll, dass Gordon so erfolgreich mit dem kleinen Laden ihres Vaters war. Er hatte ihn modernisiert und jede Menge weiterer Regale eingebaut, an denen sich die Leute selbst bedienen konnten, um dann bloß noch an der Kasse zu bezahlen. Ein paar von ihren Kunden hatten ihn für diese Neuerung verlacht und ihm erklärt, die Leute würden sich dann einfach holen, was sie wollten, und verschwinden, ohne zu bezahlen, aber das war nicht passiert. Die Kundschaft packte ihre Waren in die dafür vorgesehenen Körbe und legte danach alles vorne auf dem Tresen ab. Natürlich wurde ab und zu auch was geklaut, doch das passierte auch in anderen Geschäften, und die eher bescheidenen Verluste taten ihnen nicht wirklich weh.

»Ich habe heute mitbekommen, wie die alte Mrs. Jenkins eine Packung Streichhölzer stibitzt hat«, hatte Gordon ihr einmal erzählt. »Aber ich habe es nicht über mich gebracht, sie darauf anzusprechen, weil ich weiß, wie sehr sie knapsen muss. Manchmal schmuggle ich sogar absichtlich ein bisschen Käse oder Schinken unter ihre Einkäufe, die sie dann nicht bezahlen muss.«

»Du bist einfach zu weich, mein Lieber«, hatte Maureen ihn gescholten, gleichzeitig jedoch gelächelt, weil sie auch nicht anders war. Vor allem lag die Leitung des Geschäfts bei Gordon, und sie fand, dass diese Arbeit für ihn wie geschaffen war. Nach seiner schlimmen Kriegsverletzung hatte es so ausgesehen, als ob er niemals wieder einer Tätigkeit nachgehen könnte, aber langsam hatte sich sein Bein erholt, und Gordon hinkte nur noch, wenn er allzu weite Strecken lief. Vor allem war er gern im Laden, hatte einen Burschen, der ihm beim Befüllen der Regale half, und einen anderen jungen Mann, der zweimal in der Woche ihren Lieferwagen fuhr. Er hieß James Morgan und war Landschaftsmaler, und obwohl die Bilder, die Maureen gesehen hatte, ihr gefallen hatten, reichte der Erlös aus den Verkäufen der Gemälde nicht mal für die Miete aus.

Er war ein netter, leicht vergesslicher, verträumter junger Mann, der immer in die Ferne blickte, so als suche er dort etwas, was sich ihm entzog. Sie hatte ihm ein paarmal was zu essen in sein Atelier gebracht, denn er war viel zu dünn, weil ihm anscheinend mehr am Malen lag als daran, dass er etwas in den Bauch bekam. Er malte, aß und schlief in einem großen, offenen Raum, in dem es durchdringend nach Öl und Farbe roch. Am einen Ende gab es einen Spülstein, und in einer Ecke lag die durchgelegene Matratze, die als Bett und Sitzgelegenheit fungierte, von der aus er seine Staffelei betrachten konnte, während er beim Essen war. Das stille Örtchen war im Hof, genauso wie der kleine Schuppen, wo er ein paar Dinge aufbewahrte, die ihm wichtig, aber bei der Arbeit störend waren.

Statt weiter in Gedanken abzuschweifen dachte Maureen abermals an ihren Mann. Wie ging es ihm? Warum nur hatte ihr bisher noch niemand was gesagt? War er inzwischen wieder bei Bewusstsein oder nach wie vor besinnungslos? Ihr Schädel dröhnte, und ihr wurde schlecht vor Angst. Zumindest bräuchte sie Gordy und Matty erst um halb vier wieder aus der Schule abzuholen und wusste, dass sie, falls sie etwas später käme, keinen Unsinn machen würden, weil sie für ihr Alter sehr vernünftig waren. Es blieb ihr bloß zu hoffen, dass sich Ginger Murray halbwegs gut allein im Laden schlug. Er war erst fünfzehn, und sie hatte keine Ahnung, wie er sich im Umgang mit der Kundschaft machte ober ob er in der Lage wäre, ihr immer richtig herauszugeben. Doch sie konnte niemand anderen bitten, dort vorübergehend einzuspringen, denn die Bartons und vor allem Peggy hatten so schon alle Hände voll zu tun, und niemand anderes stand ihr nahe genug, um ihn vorübergehend mit der Führung ihres Ladens zu betrauen. Am besten wäre sie dort selbst eingesprungen, aber sie konnte hier nicht weg, solange sie nicht wusste, wie es Gordon ging.

Sie hob abrupt den Kopf, als eine Schwester auf sie zugelaufen kam.

»Mrs. Gordon Hart?«

In Erwartung einer schlechten Nachricht atmete Maureen tief durch. »Wie geht es ihm?« Vor lauter Angst verschränkte sie die Hände derart fest in ihrem Schoß, dass man das Weiß von ihren Knöcheln sah. »Ist er inzwischen wieder bei Bewusstsein?«

»Ja. Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, dass er wieder wach ist und darum gebeten hat, dass man Sie zu ihm lässt. Das heißt, Sie dürfen ihn ein paar Minuten sehen, Mrs. Hart.«

»Danke. Aber sagen Sie mir bitte noch, wie es ihm geht. Was war der Grund für den Zusammenbruch? Kann ich einen Arzt sprechen?«

»Erst, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind.« Die Schwester schüttelte missbilligend den Kopf und wandte sich zum Gehen.

Maureen verkniff sich einen bösen Kommentar. Als Schwesternhelferin im Krieg hatte sie stets versucht, besorgten Ehefrauen oder Müttern Trost zu spenden, anstatt sie mit barschen Worten abzuspeisen, doch das Einzige, was zählte, war, dass Gordon wieder bei sich war, deswegen folgte sie der Frau auf die Station, auf der er lag.

Er lag im letzten Bett im Raum, was hieß, dass er kein echter Notfall war. Erleichtert atmete sie auf, obwohl sie immer noch in Sorge um ihn war. Sie hoffte nur, sie nähmen Gordons Krankheit wirklich ernst und taten sie nicht als bloßen Schwächeanfall ab. Auch wenn sie anfangs lediglich aufgrund des Kriegs und um der Herrschaft ihres Vaters zu entkommen, an ein Krankenhaus gegangen war und ihre Arbeit dort bereits vor Jahren aufgegeben hatte, kannte sie sich nach wie vor ein bisschen aus.

Als sie an sein Bett trat, blickte Gordon sie mit einem müden Lächeln an. »Immer noch hier, mein Schatz? Ich wusste, dass du nicht nach Hause fahren würdest, ohne mich zu sehen. Aber du solltest wirklich heimgehen, denn schließlich hast du dort genug zu tun und weißt, dass ich hier bestens aufgehoben bin.«

»Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt«, erklärte sie und griff nach seiner Hand. »Plötzlich lagst du auf dem Küchenboden, und als ich den Arzt gerufen habe, hat der sofort einen Krankenwagen kommen lassen, der dich hergefahren hat. Ich bin so schnell wie möglich nachgekommen, sobald Gordy in der Schule war.«

»Ich weiß.« Er drückte zärtlich ihre Hand. »Und ich bin froh, dass du gekommen bist. Aber jetzt musst du trotzdem wieder heimfahren, Schatz, wenn ich mir keine Sorgen machen soll. Du musst an unsere Söhne und den Laden denken, und ich weiß nicht, wann ich selbst wieder heimkommen darf. Der Arzt sagte etwas von Röntgen und ein paar anderen Tests. Anscheinend denkt er, dass mein Herz Probleme macht.«

»O Gordon.« Maureen hielt erschreckt den Atem an. Sie hatte etwas in der Art befürchtet, jedoch gebetet, dass es etwas anderes war. »Du hast es mit der Arbeit übertrieben, und am besten sehen wir uns nach einem weiteren Angestellten für den Laden um, der ihn im Notfall auch alleine führen kann.«

»Während ich daheimsitze und Däumchen drehe?« Gordon runzelte die Stirn. »Ich trete vielleicht etwas kürzer, aber egal, was sie auch sagen, gebe ich die Arbeit ganz bestimmt nicht völlig auf. Es lohnt sich nicht zu leben, wenn man keine Arbeit hat und sich nicht ständig verbessern will, und da ich noch nicht einmal fünfzig bin, bin ich noch viel zu jung, um jetzt schon in Pension zu gehen.«

»So was darfst du nicht sagen!«, stieß Maureen mit rauer Stimme aus. »Was ist mit mir und unseren Kindern? Und was ist, wenn Shirley eines Tages heiratet? Das willst du doch sicher noch miterleben, oder nicht?«

»Natürlich will ich das, wenn es irgendwann mal so weit ist«, gab er zurück. »Ich bin entsetzlich stolz auf sie und auf euch alle, aber trotzdem kann ich nun nicht einfach aufgeben und mich aufs Altenteil zurückziehen, Maureen. Du weißt, dass ich das hassen würde, und als ich mit dem kaputten Bein nach Hause kam und dachte, dass es das für mich gewesen wäre, hast du mir den Laden anvertraut, und danach ging es mir wieder gut. Ich wollte was für dich und die Kinder aufbauen.«

»Und das hast du getan.« Maureen sah ihn mit einem liebevollen Lächeln an. »Ich bin sehr stolz auf das, was du geleistet hast, natürlich bin ich das. Aber dein Leben ist mir wichtiger als Geld. Wir könnten es uns leisten, noch jemanden einzustellen, damit du zukünftig mehr Freizeit hast – auch wenn du dennoch weiter darauf achten müsstest, dass der Laden läuft.«

Seufzend ließ sich Gordon in sein Kissen fallen, denn er war eindeutig erschöpft. »Am besten hören wir erst mal, was die Ärzte sagen. Allerdings werde ich sicher nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen und die Füße hochlegen. Dann würde ich vor Langeweile sterben, und das würdest du doch ganz bestimmt nicht wollen.«

»Natürlich nicht.« Sie lächelte ihn wieder an. »Mir würde es genauso gehen, mein Lieber – obwohl du ja vielleicht mir und der Familie zuliebe deine Arbeit etwas reduzieren kannst.«

Nun lächelte auch er und berührte ihre Hand, um sie zu ergreifen, fehlte ihm jedoch die Kraft. »Ich weiß, dass ich die Arbeit reduzieren muss. In letzter Zeit war ich oft ziemlich müde, wenn ich aus dem Laden kam. Aber ich will nicht, dass du mich ab jetzt in Watte packst.«

»Als würde ich das jemals tun.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Aber den zweiten Laden, den du auch noch hättest übernehmen wollen, brauchen wir ganz sicher nicht. Der würde jede Menge zusätzliche Arbeit machen – und wofür? Wir haben alles, was wir brauchen, oder nicht?«

Er runzelte erneut die Stirn, doch schließlich nickte er. »Wahrscheinlich hast du recht, Maureen. Dann investiere ich das Geld, das ich für diesen Laden vorgesehen hatte, eben in ein Haus, das ich vermieten kann. Dort ist das Geld vielleicht nicht so gut investiert, aber es böte dir und Gordy wenigstens ein Minimum an Sicherheit. Shirley wird es gut gehen, wenn sie wieder hier in London ist, denn sie ist wirklich engagiert, und mir ist klar, dass sie im Leben immer eine gute Arbeit haben wird.«

»Zumindest bis sie heiratet und ihre Arbeit aufgibt, um für die Familie da zu sein.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ihr das jemals reichen wird. Sie hat bestimmt nicht vor, so schnell zu heiraten, und jetzt, nachdem sie ihre Ausbildung beendet hat, wird sie wahrscheinlich bald zurück nach London kommen, um hier als Allgemeinärztin zu praktizieren.« Bei diesen Worten glätteten sich seine Sorgenfalten, und die Freude über seine Tochter war ihm deutlich anzusehen. »Sie wird nach Hause kommen, Maureen.«

»Ich weiß«, stimmte Maureen ihm lächelnd zu. Sie konnte seinen Stolz auf Shirley durchaus nachvollziehen. Das Mädchen hatte Medizin studiert und war seit drei Jahren als Assistenzärztin an einem Krankenhaus. Dort hatte man ihr eine feste Stelle angeboten, doch sie hatte sich in einer Praxis hier vor Ort beworben, denn sie hatte von Beginn an vorgehabt, nach London heimzukehren und sich als Ärztin um die Menschen in den ärmeren Vierteln wie dem East End zu kümmern.

»Ich möchte Menschen helfen, die so sind wie wir«, hatte sie letzte Weihnachten erklärt. »Ich möchte Hausbesuche machen und für diese Menschen da sein, wenn es wirklich wichtig ist.«

»Du warst auch früher schon sehr fürsorglich«, hatte Maureen gesagt und sie geküsst. »Ich hoffe nur, du weißt, wie stolz wir auf dich sind.«

Nachdem die junge Frau aus Pflichtgefühl nach ihrem Studium noch drei Jahre lang am Krankenhaus der Universität geblieben war, käme sie nun endlich zurück. Sie hätte sicher auch in London eine Anstellung in einem Krankenhaus gefunden oder – wie ihr Ausbilder meinte – irgendwo mit einer eigenen Facharztpraxis sehr viel Geld verdienen können, doch sie wollte ins East End heimkehren, um für weniger betuchte Menschen zur Stelle zu sein.

»Das habe ich von dir gelernt«, hatte sie ihrer Stiefmutter erklärt. »Du hast mich lieb gehabt, obwohl ich mich so schlecht benommen habe, als du mich und Dad zum ersten Mal zu dir nach Hause eingeladen hast. Und dann hast du mich heimgeholt, als ich dort auf dem Land so unglücklich gewesen bin, und warst von da an immer für mich da. Dass aus mir die Frau geworden ist, die ich jetzt bin, verdanke ich vor allem dir, Dad und Gran. Ihr habt immer hinter mir gestanden, und nur so konnte ich alle meine Ziele erreichen.« Als kleines Kind war Shirley schwierig und verwöhnt gewesen, aber nach den Wochen bei der kaltherzigen Bauersfrau, die sie misshandelt hatte, hatte sie Maureen die liebevolle Fürsorge, mit der sie sich um sie gekümmert hatte, zeitlebens gedankt.

Mitunter fragte sich Maureen, wie es um Shirleys Liebesleben stand. Als Backfisch hatte sie für ihren Nachbarn Richard Kent geschwärmt, der hatte sie jedoch im Stich gelassen, und sie hatte sich von ihm getrennt. Dann war sie Keith begegnet, der zu der Zeit noch bei der Armee gewesen war, Maureens Wissen nach war er allerdings seit ein paar Jahren in Afrika.

Nachdem er in Polen bei dem Bau von mehreren Waisenunterkünften mitgearbeitet hatte, wollte er zum Gedenken an seinen verstorbenen älteren Bruder Ken weiterhin Gutes tun und hatte sich ein anderes Projekt in Übersee gesucht. Zwar schrieben er und Shirley sich noch immer, aber Maureen hatte keine Ahnung, ob das zwischen ihnen beiden mehr als eine bloße Freundschaft war. Soweit sie wusste, hatte Shirley auch am College keinen Freund gehabt und ihr erklärt, für solche Dinge wäre nach dem Studium noch genügend Zeit. Inzwischen aber war sie fünfundzwanzig, und mitunter machte sich Maureen Gedanken, ob sie je die wahre Liebe finden würde oder irgendwann als alte Jungfer enden würde, weil ihr neben ihrer vielen Arbeit keine Zeit für anderes geblieben war.

»Was geht dir gerade durch den Kopf?«, erkundigte sich Gordon und nahm ihre Hand.

»Ich habe über Shirley nachgedacht. Ich freue mich schon sehr darauf, dass sie jetzt bald nach Hause kommen wird.«

»Ich weiß, wie sehr sie dir gefehlt hat, als sie mit dem Studium angefangen hat. So ging es mir auch – aber wir mussten sie nun einmal gehen lassen, Schatz.«

»Natürlich – und sie hat uns alle furchtbar stolz gemacht.«

»Das hat sie«, stimmte er ihr zu und sah sie an. »Und nun fahr heim und mach dir keine Sorgen mehr. Ich bin hier in den allerbesten Händen, und die Ärzte kriegen mich schon wieder hin.«

*

Shirley las Keiths letzten Brief und lächelte. Die Reise von Südafrika nach England war nicht einfach, deshalb war er in den letzten Jahren nur einmal kurz zu Hause gewesen, doch jetzt käme er im Juli endgültig zurück und wollte sie in London sehen. Er nähme einen Flieger aus Johannesburg und gäbe ihr Bescheid, sobald er wüsste, wann genau mit ihm zu rechnen war. Er hatte seine Arbeit für die Organisation beendet und beschlossen, erst einmal für eine Weile heimzukehren. Sie fragte sich, ob er womöglich ihretwegen nun zurück nach London kam, und war sich nicht ganz sicher, was sie davon hielt. Er war ihr im Laufe der Zeit ein guter Freund geworden – aber war er vielleicht mehr?

Zum letzten Mal hatten sie sich vor seiner Abreise nach Afrika gesehen, weil er von dort nicht einfach mal für ein paar Tage hatte heimkommen können, doch die Trennung von ihr war ihm damals ziemlich schwergefallen.

»Ich mag dich wirklich, Shirley«, hatte er gesagt. »Ich weiß, du hast mit deinem Studium alle Hände voll zu tun. Aber kannst du dir vorstellen zu heiraten, wenn du mal Ärztin bist?«

»Bittest du mich etwa, deine Frau zu werden, Keith?«, hatte sie freudig, aber gleichzeitig auch etwas furchtsam nachgehakt. Sie hatte ihn sehr gern, doch der Gedanke, sich noch einmal zu verlieben, hatte sie nervös gemacht. Sie hatte einfach noch zu gut gewusst, wie weh es tat, wenn jemand, den man liebte, einen fallen ließ.

»Noch nicht – aber wenn du erst dein Examen hast.«

»Wir kennen uns doch gar nicht gut genug«, hatte sie ihm in ernstem Ton erklärt. »Ich weiß nur, dass ich gern mit dir zusammen bin. Wir haben Spaß, wenn wir uns sehen, und das Zusammensein mit dir ruft ein Gefühl von Wärme in mir wach – aber ist das genug? Ich müsste dich erst besser kennenlernen.«

»Ja, natürlich«, hatte Keith ihr zugestimmt und sie durchdringend angesehen. »Ich weiß, dass ich dich liebe, Shirley. Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick, als du mich damals angelächelt hast. Ich weiß, du hattest damals noch daran zu knabbern, dass der Kerl, den du geliebt hast, dich im Stich gelassen hat – aber ich hoffe sehr, dass du das in der Zwischenzeit verwunden hast.«

Er hatte sie so ängstlich angesehen, dass sie ihm lachend um den Hals gefallen war. »Mittlerweile habe ich das längst verwunden, liebster Keith. Die Sache zwischen mir und Richard ist schon lange abgehakt, und vielleicht würde ich dich wirklich eines Tages gern heiraten. Auch wenn ich dich erst besser kennenlernen muss.«

»Dann werde ich zurück nach London kommen«, hatte er versprochen, und jetzt käme er nach drei Jahren tatsächlich zurück. Er würde da sein, wenn sie selbst zurück nach London ginge, um als Allgemeinärztin für die Menschen in ihrer alten Gegend da zu sein.

Tatsächlich war sie froh und aufgeregt, weil er nach Hause kam. Sie hatte großen Spaß an ihrem jahrelangen Briefwechsel gehabt. Zu Anfang waren seine Briefe kurz gewesen, und er hatte nur geschrieben, wo er seine Arbeit machte und ob seine Unterkunft zufriedenstellend war. Dann aber hatte er begonnen, im Plauderstil zu schreiben, so als wären sie im selben Raum. Er hatte ihr genau beschrieben, was er machte und wie lohnenswert die Knochenarbeit, wenn sie Häuser bauten oder Gräben oder Brunnen gruben, war.

Die Menschen sind so freundlich und dankbar, Shirley. Sie sehen jede noch so kleine Sache, die man für sie tut, als kleines Wunder, und beschenken uns mit Essen oder Ketten, die sie aus den Knochen oder Zähnen irgendwelcher Tiere fertigen. Wenn ich nach Hause komme, bringe ich Dir eine dieser wirklich hübschen Ketten mit. Die Kinder laufen ohne Schuhe und zum Teil fast ohne Kleider rum. Sie haben kein Spielzeug, und wenn sie etwas geschenkt bekommen, sind sie viel zu überwältigt, um damit zu spielen. Dann stellen sie es entweder zu Hause ins Regal oder die Eltern tauschen es gegen etwas zu essen ein.

Genauso beschrieb Keith die Hütten in den Dörfern, wo die Menschen lebten, die drückende Hitze und den Staub und dass es kaum sauberes Wasser gab.

Bevor wir einen Brunnen ausgehoben haben, sind die Frauen beinahe zwei Meilen bis zum nächsten Wasserloch gelaufen und haben danach das Wasser in den schweren Tonkrügen auf ihren Köpfen oder Schultern heimgeschleppt. Das ist der Grund, weshalb ein paar der Frauen erschreckend dünn und vorzeitig gealtert sind.

Ralph, mein Vorgesetzter, kehrt nur zurück nach England, um dort einen weiteren Auftrag für den Bau von Brunnen in den Dörfern der Provinz an Land zu ziehen. Die Organisation tut, was sie kann, aber sie brauchen finanzielle Unterstützung, und ich werde selbst versuchen, Geld zu sammeln, damit ihre Arbeit weitergehen kann.

Ralph möchte, dass ich weiter mit ihm arbeite, aber ich habe ihm erklärt, dass das zumindest erst einmal nicht geht.

Die letzten Worte brachten sie ins Grübeln – wollte Keith womöglich irgendwann zurück nach Afrika? Sie wusste, dass der Lohn für seine Arbeit dort nicht reichte, um in England eine Frau und Kinder zu ernähren. Vielleicht genügte er ja dort in Afrika? Sie hatte keine Ahnung, und sie hatte ihn auch nie danach gefragt. Sie hatte sich bei ihrem Studium und auch in der Klinik wirklich angestrengt und freute sich darauf, als Allgemeinärztin nach London heimzukehren. Zwar wusste sie, dass es in Afrika auch für sie selbst immer Arbeit geben würde, doch sie hatte nie aus England weggehen wollen.

Fühlte Keith sich vielleicht ebenso zu seiner Tätigkeit berufen wie einst sein Bruder Ken? Oder hatte er nur zum Gedenken an ihn ein weiteres Projekt in Angriff genommen, um seinen Tod zu verarbeiten? Er hatte dort sehr viel gelernt, was er auch gut gebrauchen könnte, wenn er jetzt nach Hause kam. Er konnte mauern, und er kannte sich mit Klempnerarbeit und Elektrik aus. In Afrika hatte er die meisten Sachen selbst machen müssen und sich im Laufe der Jahre vieles angeeignet, und auch wenn er hier in England vielleicht erst die eine oder andere Prüfung machen müsste, fände er bestimmt problemlos eine Arbeit auf dem Bau und könnte zur Erlangung der erforderlichen Abschlüsse daneben auf die Abendschule gehen.

Der Freund von ihrem Vater, Able, hatte eine Baufirma zusammen mit Tom Barton, und sie wusste, dass es dort für gute Leute immer irgendwelche freien Stellen gab. Wenn Keith sich also zukünftig in London niederließe, fände er dort sicher ganz problemlos eine Anstellung – aber würde er das wollen?

Am besten hängte sie ihr Herz erst gar nicht an ein Leben an der Seite eines Mannes, der die Absicht hatte, immer wieder über Monate nach Afrika zu gehen. Das war vielleicht ein bisschen egoistisch, weil die Tätigkeit, der Keith nachging, wunderbar und wertvoll war – sie aber wollte ein Zuhause unweit der Familie und dazu noch eine Tätigkeit, die sie gern machte und auf die sie sich verstand. Sie hatte kein Interesse daran, nirgendwo daheim und immer unterwegs zu sein.

Kapitel 3

Peggy zapfte gerade ein Glas Bier für einen Gast, als Freddie in der Tür des Pubs erschien. Normalerweise war er ruhig und ausgeglichen, aber jetzt verzog er ängstlich das Gesicht, und ihr war klar, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Er winkte sie zu sich heran, woraufhin sie eilig das Bierglas auf dem Tresen abstellte, Carla bat abzuziehen und zu ihrem Sohn in den Flur ging.

»Ist was passiert, Freddie?«

»Es geht um Fay«, erklärte er. »Sie ist im Krankenhaus. Sie hat noch lächelnd ihre Runden auf dem Eis gedreht und mir gewinkt, und fünf Minuten später hat sie sich vor Schmerz gekrümmt. Ich bin gleich zu ihr, und sie meinte, dass sie fürchterliches Seitenstechen hätte. Es war wirklich schlimm. Sie hat gestöhnt und schrecklich geweint, also habe ich die Trainerin gerufen, und die hat den Krankenwagen kommen lassen und ist dann mit Fay ins Krankenhaus gefahren. Ich bin so schnell wie möglich heimgekommen, um es dir zu sagen –«

»Haben die Sanitäter dir gesagt, was deine Schwester hat? Ist sie gestürzt oder hat ihr ganz plötzlich etwas wehgetan?«

»Sie hat gesagt, die Seite hätte ihr schon vorher wehgetan, aber sie hätte es erst einmal ignoriert, weil sie sich weiter hätte auf den nächsten Wettkampf vorbereiten wollen.« Freddie war die Angst um seine Schwester deutlich anzusehen. »Einer der Sanitäter hat gesagt, dass es vielleicht der Blinddarm ist. Deswegen haben sie sie gleich ins London Hospital gebracht, um sie im Notfall gleich zu operieren, denn falls er platzt –«

»O nein! Mein kleines Mädchen«, rief die Mutter mit vor Panik wild klopfendem Herzen aus, denn ein geplatzter Blinddarm führte oft zu einer schwerwiegenden Krankheit oder gar dem Tod. »Warum hat sie mir nichts davon gesagt? Ich hätte merken sollen, dass sie Schmerzen hat. Hat sie gesagt, wie lange sie bereits dieses Seitenstechen hat?«

Der Junge schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid. Die Schmerzen waren so heftig, dass sie im Grunde kaum ein Wort gesprochen hat.«

»Ich fahre gleich zu ihr ins Krankenhaus – und sie haben sie ganz bestimmt ins London Hospital gebracht?«

»Ja«, bestätigte der Sohn. »Ich habe extra noch mal nachgefragt. Kann ich mitkommen?«

»Du läufst jetzt bitte erst mal rüber zu Tom Barton und sagst deinem Vater, was passiert ist«, forderte ihn Peggy auf. »Sie würden dich im Krankenhaus wahrscheinlich sowieso nicht reinlassen, mein Schatz. Sobald es deiner Schwester wieder besser geht, fahren wir zusammen hin. Selbst wenn wir lügen und behaupten müssen, dass du schon achtzehn bist.«

Freddie grinste, denn er war sehr groß und stark für seine sechzehn Jahre und ging mühelos wie achtzehn durch. Er hatte es auf diese Art bereits geschafft, sich mit seiner Cousine Maggie letzte Weihnachten zusammen einen Horrorfilm im Kino anzusehen. »Danke, Mum. Dann laufe ich jetzt los und gebe Dad Bescheid.«

Als sich der Junge in Bewegung setzte, kehrte Peggy noch mal in die Bar zurück und sprach mit Carla, die den mittäglichen Ansturm an den Tresen nun allein beherrschen müsste, ehe sie die Schicht im Café übernahm. Dann ging sie weiter in die Küche und erklärte Mrs. Mags, was vorgefallen war.

»Machen Sie sich keine Sorgen, Peggy«, bat die Putzfrau und sah sie mit einem aufmunternden Lächeln an. »Wenn nötig, bringe ich noch was zu essen rüber in die Bar und zapfe selbst dort das Bier.«

»Ich nehme an, das wird nicht nötig sein. Die beiden Mädchen kommen drüben gut zurecht«, bezog sie sich auf Carla, die in ihrem Pub und im Café aushalf, und Julie, die die Tochter ihrer Putzfrau war. »Aber vielleicht könnten Sie ja für mich auf die beiden Kuchen aufpassen?«, bat Peggy, während sie die Bleche in den Ofen schob. »In einer knappen halben Stunde sind sie gut.«

Mit einem neuerlichen Lächeln meinte Mrs. Mags: »Überlassen Sie die Kuchen einfach mir, Liebes. Und Carla kann sie später dann mit rüber nehmen wie sonst auch.«

»Danke.« Peggy dankte ihrem Glücksstern für ihr neues Personal, das seine Arbeit wirklich ausgezeichnet machte und vor allem äußerst zuverlässig war. Wenn sie vor einer Weile einfach hätte alles stehen und liegen lassen müssen, hätte Able hier die Stellung halten müssen, und das wäre nicht gerecht gewesen, denn er hatte schließlich schon mit seiner eigenen Arbeit alle Hände voll zu tun. Und trotzdem hätte er sich nicht beschwert.

»Wenn ich jetzt loslaufe, bekomme ich wahrscheinlich sofort einen Bus.«

Sie schnappte sich ihren Mantel und ihre Handtasche und stürzte aus dem Haus. Die Haltestelle war drei Häuser weiter, und tatsächlich kam in diesem Augenblick der Bus und sie stieg eilig ein.

»Brennt es irgendwo?«, fragte der Schaffner kess und sah ihr forschend ins Gesicht. »Verzeihung, Ma’am – ich wollte nicht unhöflich sein.«

»Das waren Sie nicht«, versicherte sie ihm. »Aber ich muss so schnell es geht ins London Hospital und hätte nicht den nächsten Bus abwarten wollen.«

»Probleme?«, fragte er, bevor er sich das Geld für ihren Fahrschein geben ließ. »Das Leben hat die Angewohnheit, einem immer wieder in den Allerwertesten zu beißen, habe ich recht?«

Sie nickte, sagte jedoch nichts, bis er am Ende weiterging. Er hatte es nicht böse gemeint, allerdings war sie nicht in der Stimmung für ein längeres Gespräch, denn sie war außer sich vor Angst. Wenn Fay etwas passierte … nein, das würde es ganz sicher nicht. Sie war ein junges Mädchen, und sie hatte noch ihr ganzes Leben vor sich. Also würde sie ganz bestimmt nicht an einer derart dummen Sache sterben – aber wenn sie Schmerzen hatte, warum hatte sie das niemandem erzählt?

Um nicht in Tränen auszubrechen, kniff sie die Augen zu. Als würde es nicht reichen, dass bereits Maureen mit angstverzerrter Miene durch die Gegend lief, hatte ihnen ein geplatzter Blinddarm gerade noch gefehlt. Natürlich wusste sie nicht sicher, ob es überhaupt der Blinddarm war, doch Sanitäter kannten sich mit solchen Dingen aus und … Nein! So etwas dürfte sie nicht mal denken! Ihrer Tochter würde nichts passieren, weil Peggy selbst ein Glückskind war. Sie drückte beide Daumen und sandte stumm ein Stoßgebet zum Himmel, damit es auch weiterhin so blieb.

Doch würde der liebe Gott sie erhören oder fand er Menschen egoistisch, wenn sie einzig mit ihm sprachen, wenn sie Hilfe brauchten, aber kein Interesse daran hatten, regelmäßig in den Gottesdienst zu gehen? Sie ging nur selten in die Kirche, auch wenn sie sich davon abgesehen für eine gute Christin hielt. Aber konnte sie erwarten, dass er ihr auch dieses Mal zu Hilfe kam? Sie schüttelte den Kopf. Man stand frühmorgens auf, tat seine Arbeit und war Freunden, Nachbarn und mitunter Fremden gegenüber anständig und hilfsbereit. Mehr konnte man doch sicherlich nicht tun.

Verstohlen wischte sie sich eine Träne von der Wange und ging mit sich selbst ins Gericht. Sie durfte sich nicht gehen lassen, denn ihre Familie und die Freunde brauchten sie. Maureen war außer sich vor Angst um Gordon, weil die Ärzte immer noch nichts sagten, obwohl ihre Untersuchungen längst abgeschlossen waren. Deswegen müsste Peggy für sie da sein, um sie aufzubauen. Selbst wenn das Einzige, woran sie gerade denken konnte, ihre jüngste Tochter war. Und auch der arme Freddie hatte furchtbar elend ausgesehen. Obwohl die Zwillinge oft stritten, standen sie einander nahe, deswegen würde er sich schrecklich fühlen, und Able würde es ebenfalls sicher nicht verwinden, wenn der Tochter jetzt ein Leid geschah.

O nein! Sie durfte nicht so pessimistisch sein. Ihre Tochter würde wieder ganz gesund und dann nach Hause kommen und ihnen mit ihren Ansprüchen und Wutanfällen auf die Nerven gehen wie sonst. Nach einer Krankheit noch als kleines Mädchen hatte sie vorübergehend schlecht gehört, und wenn sie nichts verstanden hatte, hatte sie mit Trotz und Gereiztheit darauf reagiert. Sie war ein schwieriges und wenig umgängliches Kind gewesen, aber seit sie sich fürs Schlittschuhlaufen interessierte, kamen sie alle gut mit ihr zurecht.

Bitte, lieber Gott, lass sie nach Hause kommen und wieder ganz gesund und glücklich sein.

*

Auch wenn Fays Blinddarm sich noch nicht so weit entzündet hatte, dass er hätte platzen können, hatte sie so große Schmerzen, dass die Ärzte darin übereingekommen waren, ihn zur Vorsicht zu entfernen. Sie war bereits betäubt und wurde für den Eingriff vorbereitet, weshalb Peggy sie nur fünf Minuten sehen durfte, als sie in die Klinik kam.

»Sie können gern heute Abend anrufen, Mrs. Ronoscki«, sagte die Schwester. »Wenn sie dann wach und halbwegs munter ist, ist es zwischen sieben und acht Uhr gestattet, sie zu sehen.«

»In Ordnung. Vielen Dank. Dann kommen wir nachher noch mal zurück.«

Ihr weiterer Verbleib im Krankenhaus war nicht erwünscht, und auf dem Weg nach draußen traf sie ihren Mann. Er hatte sich gleich auf den Weg gemacht, als Freddie ihm berichtet hatte, was passiert war, und die Sorge um die Tochter war ihm deutlich anzusehen.

»Wie geht es ihr, Peggy?«

»Sie haben sie betäubt und nehmen gleich den Blinddarm raus. Aber zumindest ist er nicht geplatzt.«

»Gott sei Dank!« Er atmete erleichtert auf. »Ich hatte wirklich Angst, wir würden sie verlieren.«

»Ich nehme an, dass es ihr bald schon wieder besser gehen wird. Anscheinend hatte sie bereits eine ganze Weile Schmerzen. Warum hat sie nichts davon gesagt?«

»Ich nehme an, sie hatte Angst, dass sie dann nicht mehr Schlittschuhlaufen darf. Sie muss die ganze Zeit trainieren, wenn sie es zu was bringen will, und sicher wirft es sie ein ganzes Stück zurück, wenn sie jetzt eine wochenlange Trainingspause machen muss. Sie ist genau wie ich. Wir geben beide nicht so einfach auf.«

»Ich weiß«, stimmte ihm Peggy lächelnd zu. Sie wusste, dass er in dem Arm, den er im Krieg verloren hatte, auch nach all den Jahren manchmal Schmerzen hatte, aber für gewöhnlich tat er so, als ob nichts wäre, oder schluckte höchstens hin und wieder einmal eine Aspirin.

»Wir dürfen ihr das Schlittschuhlaufen trotzdem nicht erlauben, bis sie wieder völlig auf den Beinen ist«, erklärte er und runzelte die Stirn.

»Das wird ihr nicht gefallen«, pflichtete ihm seine Frau mit einem Seufzer bei.

»Aber inzwischen ist sie alt genug, um zu verstehen, dass sie sich erst mal ausruhen und wieder zu Kräften kommen muss. Vor allem muss sie sich nun sowieso erst einmal auf die Schule konzentrieren. Hat sie dir schon gesagt, was sie nach ihrem Abschluss machen will?«

»Bisher ging es immer nur ums Schlittschuhlaufen, und als ich mal von ihr wissen wollte, ob sie irgendwo in ein Büro oder vielleicht als Lehrerin an eine Schule gehen möchte, hat sie Nein gesagt und mir erklärt, wenn sie schon Geld verdienen muss, dann eher als Modell auf dem Laufsteg, auf der Bühne oder so.«

Der Vater nickte amüsiert. »Das klingt für mich nach unserer Fay, wobei ich mir nicht sicher bin, wie groß die Chance auf eine solche Arbeit ist.«

»Ich schätze, sie ist eher gering. Vor allem sind auch solche Tätigkeiten ziemlich arbeitsintensiv, und man weiß nicht, wie lange man auf diese Art sein Geld verdienen kann. Wobei sie, wenn sie Lust hat, recht gut kochen kann. Das heißt, dass sie mir erst mal helfen kann, wenn es zum Schlimmsten kommt. Wobei sie lieber eine Arbeit machen soll, an der sie wirklich Freude hat, obwohl ich keine Ahnung habe, was das ist. Das Schlittschuhlaufen ist ihr Ein und Alles – doch ich habe keine Ahnung, ob sie in der Richtung wirklich eine Zukunft hat.«

»Was ist denn Saras Meinung? Hast du sie einmal danach gefragt?«

»Mittlerweile ist es Wochen her, dass ich zum letzten Mal mit ihr gesprochen habe. Irgendwann nach Weihnachten. Damals war sie mit Fays Fortschritten zufrieden, aber …« Peggy dachte an die letzte Unterhaltung mit der Trainerin zurück. »Wahrscheinlich sollte ich noch einmal mit ihr reden, denn wir müssen schließlich wissen, wie groß ihre Chancen sind. Ich meine, Amateurwettkämpfe sind in ihrem Alter gut und schön, aber sie braucht auch etwas, wenn sie mit der Schule fertig ist, und wenn sie auf dem Eis Karriere machen könnte, wäre das vielleicht genau das Richtige für sie.«

»Ich nehme an, dass man bei ein paar großen Wettkämpfen gewonnen haben muss, bevor man einen Job bei einer Eisrevue bekommt«, warf Able ein. Sie sahen sich jedes Jahr in der Adventszeit eine der Vorstellungen, die in London dargeboten wurden, an. Es war ein netter Ausflug im Familienkreis und alle hatten ihren Spaß daran, doch Peggy war stets davon ausgegangen, dass die Tochter irgendwann aus ihrer Liebe zum Eiskunstlauf herausgewachsen wäre und vielleicht aufs College gehen wollen würde. Auf alle Fälle wollte Freddie einmal an die Uni gehen. Er wollte Sport studieren, um später einmal selbst Sport zu unterrichten oder Profi-Fußballer zu werden, falls sich die Gelegenheit dazu ergab.

Erst im Februar dieses Jahres hatte er mit Entsetzen auf die Nachrichten vom Absturz eines Flugzeugs reagiert, mit dem das Team von Manchester United unterwegs gewesen war. Nach einem Europapokalspiel in Belgrad hatten sie nach Hause fliegen wollen, aber nach einem kurzen Zwischenstopp in München, um das Flugzeug zu betanken, hatte sich der Weiterflug infolge dichter Schneefälle verzögert, ehe es beim dritten Startversuch zum Absturz und danach zu einem folgenschweren Brand gekommen war. Einundzwanzig Personen, die an Bord gewesen waren, davon sieben Mitglieder von ManU, waren auf der Stelle tot gewesen, und ein achter Spieler hatte tagelang vergeblich gegen seine furchtbaren Verletzungen gekämpft, bevor er ihnen ebenfalls erlegen war. Die furchtbare Tragödie hatte die gesamte Welt des Fußballs aus dem Gleichgewicht gebracht und auch zahlreichen Menschen zugesetzt, die keine Fans des Teams gewesen waren. Der arme Freddie war in Tränen ausgebrochen, als die Meldung von dem Unglück in den Nachrichten gekommen war.

»Es ist entsetzlich, Mum. So viele Tote …«

»Ja, ich weiß. Das ist sehr traurig, auch weil viele dieser Menschen noch so jung und wirklich talentiert gewesen sind.«

Als ausgemachter ManU-Fan versäumte Freddie nie ein Spiel im Fernsehen oder Radio, und zweimal hatte Able sich sogar ein Heimspiel seines Lieblingsteams mit ihm im Stadion angesehen. Sie waren mit dem Zug nach Manchester gefahren und nach einer Übernachtung im Hotel am nächsten Mittag wieder heimgekehrt. Wobei er mindestens genauso gern selbst spielte wie sich Spiele anzusehen.

»Vielleicht nimmt mich ja, wenn ich gut genug bin, einer von den großen Clubs in seine Juniormannschaft auf. Sie bilden einen weiter aus, und wenn man dann bereit ist, wird man probeweise in der ersten Mannschaft eingesetzt.« Er hatte seine Eltern angegrinst. »Und wenn ich nicht so gut bin, werde ich genauso gern Sportlehrer und bringe anderen das Fußballspielen bei.«

»Du bist in allen Sportarten sehr gut«, hatte sein Vater festgestellt. »Du solltest dich nicht unterschätzen, Sohn. Ich bin mir sicher, dass du alles tun kannst, was du willst.«

»Ich weiß. Ich wage zu behaupten, dass ich relativ problemlos einen Platz in einem von den kleineren Clubs bekommen würde, aber ich will für die beste Mannschaft spielen oder anderen beibringen, was sie können müssen, wenn sie weiterkommen wollen.« Er war zwar deutlich ruhiger als die Eltern und seine Zwillingsschwester, an Entschlossenheit und Ehrgeiz stand er jedoch hinter ihnen nicht zurück.

*

Um Freddie musste sie sich niemals Sorgen machen, dachte Peggy, während sie nach Hause fuhren. Er war das umgänglichste ihrer Kinder und genauso rücksichtsvoll und freundlich wie sein Dad. Es mangelte ihm nicht an Ehrgeiz, doch die Bedürfnisse der Zwillingsschwester gingen immer vor. Wie häufig hatte er sein Fußballtraining sausen lassen, um mit Fay in die Eishalle zu fahren, wenn seine Eltern zu beschäftigt waren und nicht wollten, dass sie abends noch alleine mit dem Bus durch London fuhr.

Und als sie diesen Sonnabend nach Hause kamen, saß er in der Küche und hörte Musik.

»Ich dachte, dass du heute Nachmittag noch Fußball hättest spielen wollen«, stellte Able fest.

»Ich wäre nur Ersatzspieler gewesen, also habe ich bei Mr. Miller angerufen und für diese Woche abgesagt. Das war für ihn in Ordnung. Er meinte, dadurch hätte ich genügend Zeit, um meine Verletzung auszukurieren.«

»Du bist verletzt?« Die Mutter starrte ihn entgeistert an. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«

»Ich bin beim Training gestern umgeknickt«, tat er die Frage achselzuckend ab. »Kein Grund zur Sorge, Mum. Mein Knöchel war ein bisschen angeschwollen, doch jetzt ist es wieder gut. Trotzdem hielt ich es für besser, heute nicht zu spielen. Aber wie geht es Fay? Das ist das Einzige, was wichtig ist.«

Er wirkte so erwachsen, dass sich Peggys Herz zusammenzog. Wo war ihr kleiner Junge plötzlich hin?

»Sie operieren sie gerade, aber es ist nicht so schlimm, wie du befürchtet hast, mein Schatz. Sie holen den Blinddarm einfach raus, weil sie auf Nummer sicher gehen wollen.«

»Da bin ich aber wirklich froh«, stieß er erleichtert aus. »Ich habe Fay noch nie so jämmerlich erlebt und dachte, dass sie stirbt.«

»Das wird sie nicht«, erwiderte die Mutter und hob eine Hand an sein Gesicht. »Mach dir keine Sorgen, Schatz. Die Ärzte wissen, was sie tun.«

Er nickte knapp. »Nur manchmal reicht das eben leider nicht. Maureen hat angerufen, als du unterwegs warst, und gesagt, dass sie dich sprechen will. Sie klang bedrückt. Ich nehme also an, dass es dem armen Onkel Gordon immer noch nicht besser geht.«

»Dann gehe ich am besten kurz bei ihr vorbei. War sie zu Hause?«