Wiedersehen in der Mulberry Lane - Rosie Clarke - E-Book
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Wiedersehen in der Mulberry Lane E-Book

Rosie Clarke

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Beschreibung

Ein Weihnachtsfest der schweren Entscheidungen.

London 1949:  Peggys Café ist ein Erfolg und somit war der Entschluss London den Rücken zu kehren richtig. Doch ihre älteste Tochter ist unglücklich und befürchtet, dass ihr Mann eine Affäre hat. Und ihre jüngste Tochter Fay wird als Eiskunstläuferin entdeckt und zur Förderung ihres Talents, müsste die Familie nach London zurückkehren. Peggy vermisst ihre alten Freundinnen aus der Mulberry Lane und hofft, dass ein weihnachtliches Wiedersehen mit ihrer Familie und den Freundinnen einige ihrer Probleme lösen kann.

Über die Weihnachtstage schließen sie das Café, um zusammen mit den Zwillingen das Fest bei der Familie in London zu verbringen. Peggy freut sich auf die gemeinsame Zeit und hofft nichts mehr, als dass ihr diese Tage bei der großen Entscheidung helfen werden …

 Liebe, Tod und Hoffnung - Das Schicksal der Mulberry Lane in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die große London-Saga für alle Fans von Donna Douglas, Katharina Fuchs und Ulrike Renk. Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Seitenzahl: 549

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Über das Buch

Ein Weihnachtsfest der schweren Entscheidungen.

London 1949: Peggys Café ist ein Erfolg und somit war der Entschluss London den Rücken zu kehren richtig. Doch ihre älteste Tochter ist unglücklich und befürchtet, dass ihr Mann eine Affäre hat. Und ihre jüngste Tochter Fay wird als Eiskunstläuferin entdeckt und zur Förderung ihres Talents, müsste die Familie nach London zurückkehren. Peggy vermisst ihre alten Freundinnen aus der Mulberry Lane und hofft, dass ein weihnachtliches Wiedersehen mit ihrer Familie und den Freundinnen einige ihrer Probleme lösen kann.

Über die Weihnachtstage schließen sie das Café, um zusammen mit den Zwillingen das Fest bei der Familie in London zu verbringen. Peggy freut sich auf die gemeinsame Zeit und hofft nichts mehr, als dass ihr diese Tage bei der großen Entscheidung helfen werden …

Liebe, Tod und Hoffnung – Das Schicksal der Mulberry Lane in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die große London-Saga für alle Fans von Donna Douglas, Katharina Fuchs und Ulrike Renk. Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Über Rosie Clarke

Rosie Clarke ist eine englische Autorin, die bereits seit vielen Jahren Romane schreibt. Sie lebt in Cambridgeshire, ist glücklich verheiratet und liebt das Leben mit ihrem Mann. Wenn sie nicht gerade faszinierende Geschichten über starke Frauen schreibt, dann verbringt sie ihre Zeit gerne in Marbella und genießt das gute Essen und die spanische Sonne. Allerdings hält sie es dort nie allzu lange aus, denn das Schreiben neuer Romane ist ihre größte Leidenschaft.

Uta Hege lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Saarbrücken. Mit dem Übersetzen englischer Titel hat sie ihre Reiseleidenschaft und ihre Liebe zu Büchern perfekt miteinander verbunden und ihren Traumberuf gefunden.

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Rosie Clarke

Wiedersehen in der Mulberry Lane

Übersetzt aus dem Englischen von Uta Hege

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

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Kapitel 21

Kapitel 22

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Kapitel 24

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Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Impressum

Kapitel 1

November 1949

Peggy Ronoscki stand in der Küche des Cafés vor einem Berg benutzter Teller, Tassen und Bestecks und blickte seufzend auf die Uhr. Seit sechs Uhr morgens war sie auf den Beinen und käme heute Abend sicher erst nach sieben heim. Die Arbeit in dem kleinen Café, das sie mit der Unterstützung ihres Mannes Able an der Küste zwischen Torquay und Lyme Bay eröffnet hatte, hörte einfach niemals auf, und da sich ihre Angestellte Masie Bennett heute Nachmittag nicht hatte blicken lassen, spülte sie, nachdem sie vorne nach dem Schließen hatte Ordnung machen müssen, eben auch noch das Geschirr.

»Müde?«, fragte Able.

Lächelnd drehte sich sie nach ihm um. Trotz der Erschöpfung hob sich ihre Stimmung, als ihr Mann den Raum betrat.

»Ich habe doch gesagt, dass du nicht alles machen musst, Peggy. Ich habe noch die Tische und den Tresen abgewischt, aber jetzt hab ich dir helfen wollen.«

Sie bedachte ihn mit einem liebevollen Blick. »Du arbeitest auch so schon hart genug.« Er war als amerikanischer Soldat in England stationiert gewesen, hatte aber auch gekämpft und dabei seinen linken Unterarm verloren. Nach mehreren Versuchen hatte er die Holzprothese, an der er sich immer wund gerieben hatte, abgelegt und kam verblüffend gut mit einem Arm und einem Stumpf zurecht. Es überraschte Peggy immer wieder, was er alles schaffte, auch wenn sie versuchte, ihm die Tätigkeiten abzunehmen, die für ihn ein bisschen schwierig waren. »Es liegt an diesem Mädchen, Able. Vielleicht sollte ich mir jemand anderen suchen, denn sie hat mir heute wieder mal gezeigt, dass man sich einfach nicht auf sie verlassen kann.«

»Das solltest du auf jeden Fall, schließlich kannst du nicht allein die Arbeit von drei Leuten übernehmen.« Er trat auf sie zu, schlang seinen rechten Arm um ihre Taille, neigte den Kopf und küsste sie. »Du solltest bereits seit zwei Stunden zu Hause bei den Kindern sein.«

»Schon gut«, versicherte sie ihm. »Sie haben heute ihren Kindertreff, und Sandra hat sie hingebracht. Ich habe ihr gesagt, ich wäre rechtzeitig zurück, um sie dort abzuholen. Also fahre ich dich heim und sammele sie dann dort ein. Aber es dauert noch fast eine Stunde, bis sie fertig sind.«

Sandra Brooks war ihre nächste Nachbarin. Nachdem sie in das kleine Haus in Devon eingezogen waren, hatte Peggy sich mit ihr angefreundet, und sie käme ohne ihre Hilfe wirklich nicht zurecht.

Sie kochte immer schon in aller Früh, und Able nahm die frischen Speisen in Containern mit in ihr Café und schloss dort auf, während sie selbst den Zwillingen das Frühstück machte und sie in die Schule fuhr. Sandra hatte schnell gemerkt, wie schwierig es für Peggy war, die Kinder nach der Schule abzuholen, und angeboten, Fay und Freddie mitzubringen, wenn sie ihre Kinder holen fuhr. Die beiden Frauen tranken oft Kaffee zusammen, tauschten Rezepte aus und luden sich, sooft es ging, zum Mittag- oder Abendessen ein. Was sie jedoch nur selten schafften, weil sie beide sehr beschäftigt waren. Sandra arbeitete als Sekretärin ihres Mannes, wenn sie sich nicht um die Kinder und den Haushalt kümmern musste, aber trotzdem hatte sie mehr freie Zeit als Peggy mit ihrem Café.

»Zumindest brauchst du nicht auch noch für uns zu kochen, wenn wir abends heimkommen«, stellte Able fest. »Die Kinder lieben es, wenn sie zum Essen herkommen können, auch wenn sie hier meist genau dieselben Sachen essen, die du auch zu Hause für sie machst.«

»Kinder.« Peggy dachte an die Tochter und den Sohn, die zwar am selben Tag geboren, aber trotzdem grundverschieden waren.

Inzwischen war November 1949, und die achtjährigen Zwillinge, die voller Energie und obendrein für jeden Spaß zu haben waren, freuten sich bereits sehr auf Weihnachten.

Außerhalb des Cafés bestand Peggys Leben überwiegend darin, dass sie ihre Kinder zu verschiedenen Unternehmungen durch die Gegend fuhr, doch das störte sie nicht. Und auch die Arbeit neben Able in dem gut gehenden Café knapp zwanzig Meilen außerhalb von Torquay, bis sie gegen vier die Kinder holte, machte Peggy großen Spaß, und dennoch hätte sie mitunter gern ein bisschen weniger zu tun.

»Sie können auf der Speisekarte wählen, was sie wollen, und wenn sie möchten, kriegen sie zum Nachtisch jedes Mal noch einen Pfannkuchen oder ein Extrastückchen Apfelkuchen von dir vorgesetzt.«

Auch Sandra brachte ihre Söhne oft zum Essen ins Café. Dann weigerte sich Peggy standhaft, Geld von ihr zu nehmen, und wenn sie darauf bestand zu zahlen, machte sie ihr einen guten Preis. So profitierten alle gleichermaßen, und die Kinder waren glücklich über dieses Arrangement und stürzten sich begeistert auf die Pfannkuchen, die Able backte, oder Peggys wunderbaren Apfelkuchen, von dem auch ihr Gatte nie genug bekam.

»Wie kann ich ihnen das verwehren, wenn ich selbst mir auch jedes Mal einen Nachschlag hole?« Er lächelte sie an. »Ich habe deine Kuchen schließlich immer schon geliebt, vor allem, wenn es dazu auch noch Vanillesauce oder Sahne gibt.«

»Während des Krieges hatte man Glück, wenn es Vanillesauce oder Sahne gab«, erinnerte sich Peggy, und ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Mittlerweile war sie Ende vierzig, aber Able fand, sie wäre noch genauso jugendlich wie an dem Tag, als er zum ersten Mal in ihren Pub gekommen war. »Zumindest ist inzwischen kaum noch etwas rationiert. Abgesehen vom Zucker. Der ist weiter knapp, und die Regierung macht uns keine Hoffnung, dass es bald wieder genug für alle geben wird, obwohl es langsam wirklich besser wird.«

Zu Beginn des Jahres hatte Harold Wilson der Nation verkündet, dass die Kleiderrationierung aufgehoben würde, und seit einer Weile waren die Regale in den Läden wieder gut gefüllt. Großbritannien erholte sich allmählich, doch die Schulden, die sie bei den Amerikanern hatten machen müssen, um den Krieg gegen die Deutschen fortzusetzen, belasteten das ganze Land.

»Du hast immer eine Möglichkeit gefunden.« Able lächelte. »Selbst während des Krieges.«

»Ja, weil du und deine Freunde mir geholfen habt«, sagte sie, denn Able hatte ihr des Öfteren Kaffee, Dosenfrüchte oder Lachs von seinem Stützpunkt mitgebracht. Und manchmal sogar Zucker, denn er war ein Leckermaul und trank seinen Kaffee am liebsten möglichst süß.

»Wir haben euch so gut wie möglich unterstützt.« Jetzt umwölkte sich auch sein Gesicht. Er dachte daran, dass nachmittags ein paar Gäste beanstandet hatten, die Amis hätten während des vergangenen Krieges viel zu wenig getan, und vor allem viel zu spät. Er hatte sich von ihnen zwar nicht in ein Gespräch verwickeln lassen und den Ärger über ihre Worte mühsam unterdrückt, jetzt aber meinte er: »Auch wenn das manche Leute offensichtlich anders sehen.«

Als Adjutant von einem General hatte Able die geheimen Abreden gekannt, mit denen Großbritannien durch die dunkle Zeit geholfen worden war, und Peggy wusste besser als die meisten anderen, wie hilfsbereit die Amerikaner gegenüber ihrem Land gewesen waren. Im Gegensatz zu ihr vergaßen allerdings mittlerweile manche Briten, dass auch Kanada, Australien, Neuseeland und zahlreiche andere Mitglieder des Commonwealth mit ihnen in den Krieg gezogen waren, wobei die meisten Vorwürfe gegen die USA erhoben wurden, auch wenn sie beim besten Willen nicht verstand, warum. Abgesehen davon, dass sie dachten, sie wären vielleicht von den Bombenangriffen der Deutschen weitestgehend verschont geblieben, wenn die USA bereit gewesen wären, Hitler von Beginn an deutlich zu verstehen zu geben, dass sie auf der Seite Großbritanniens waren. Aber als sie sich einmal entschieden hatten, hatten sie das Land derart entschlossen unterstützt, dass der Diktator am Ende in die Knie gezwungen worden war.

»Das waren einfach dumme Leute«, sagte sie und war nur froh, dass diese unhöflichen Menschen keine Stammgäste gewesen waren. »In der Mulberry Lane würdest du so etwas nicht hören. Unsere Gäste waren Freunde, und sie wären nie im Leben auf die Idee gekommen, dich derart zu beleidigen. Am besten ignorieren wir einfach diejenigen, die nicht verstehen, wie es damals wirklich war.«

»Du hast recht, Schätzchen«, stimmte ihr Able zu und lächelte sie erneut an. »Vor allem hatten wir mal wieder einen sehr guten Tag – wir haben diese Woche schon dreihundert Pfund eingenommen, wobei der Sonnabend noch vor uns liegt.«

Am Samstag hatten sie noch mehr als sonst zu tun. Dann hatte Peggy Hilfe von zwei Frauen, die von sechs bis zehn mit ihr zusammen kochten, bevor sie nach Hause zu den Kindern fuhr. Normalerweise spielten sie mit Sandras Kindern, bis sie wiederkam und dann mit ihnen ins Schwimmbad oder in die Rollschuhhalle fuhr. Die beiden waren gute Rollschuhläufer, wobei Fay noch besser als ihr Bruder war. Sie liebte diesen Sport und hätte gern auch Schlittschuhlaufen ausprobiert, doch Peggy hätte ihre Tochter schwerlich Tag für Tag zum Training fahren können, weil die nächste Eishalle in Torquay war.

An ihrem Geburtstag hatte Fay geschmollt, denn Peggy hatte ihr statt der erhofften Schlittschuhe nur ein Paar neuer weißer Rollschuhe aus Leder gekauft.

»Ich hatte mir doch Schlittschuhe gewünscht«, hatte das Kind gemault.

»Ich habe keine Zeit, um dich zur Eishalle zu fahren«, hatte Peggy ihr erklärt. »Das wäre nach der Schule viel zu weit. Du läufst doch gern Rollschuh und bist wirklich gut darin, weswegen willst du also plötzlich etwas anderes ausprobieren?«

»Weil Eiskunstlauf eine olympische Disziplin ist, Rollschuhlaufen aber nicht.«

Peggy war schockiert gewesen. Ihre Tochter hatte sich doch ganz bestimmt nicht in den Kopf gesetzt, als Eiskunstläuferin bei einer Olympiade teilzunehmen? Noch letzten Sommer hatte sie für die Tennisspielerin Gussie Moran und vor allem deren schockierend kurze Röcke während des Turniers in Wimbledon geschwärmt. Teddy Tenling hatte diesen ziemlich skandalösen Dress für sie entworfen, und am liebsten hätte Fay sich ebenfalls sofort in einer solchen Aufmachung auf einen Tennisplatz gestellt. Als aber in den Zeitungen und im Kino nicht mehr über den Skandal berichtet worden war, war ihr Interesse wieder abgeflaut.

Auch dieser neue Fimmel würde sich wahrscheinlich bald schon wieder legen, nahm die Mutter an. Sie selbst als Mädchen hätte nicht im Traum an so etwas gedacht. Sie hatte sich bereits gefreut, wenn sie mit ihrer Klasse hatte schwimmen gehen oder auf dem Sportplatz Netzball spielen dürfen, aber Fay war ohne jeden Zweifel talentiert, und Peggy hatte Schuldgefühle, weil sie nicht die Zeit hatte, um sie mehrmals pro Woche in die Eishalle zu fahren.

»Was ist mir dir, Freddie?«, hatte sie ihren Sohn gefragt. »Möchtest du auch eislaufen?«

»Nein, danke.« Er hatte sie mit einem liebevollen Lächeln angesehen, und er war Able derart ähnlich, dass ihr das Herz aufging, sobald sie dieses Lächeln sah. »Ich laufe gern Rollschuh, aber bloß zum Spaß. Wobei ich nichts dagegen hätte, wenn ich ein Paar neue Fußballschuhe haben könnte, denn die alten sind für Spiele mit der Schulmannschaft allmählich nicht mehr gut genug.«

»Schade, dass ich das nicht früher wusste, denn dann hätte ich dir welche mitgebracht«, hatte sie bedauernd festgestellt, weil er kaum je um irgendetwas bat. »Reicht Weihnachten, oder brauchst du sie jetzt sofort?«

»Bis dahin komme ich mit meinen alten sicher noch zurecht.«

Er jammerte niemals, wenn irgendetwas nicht nach seinem Willen ging. Er war nur wenige Minuten nach seiner Schwester auf die Welt gekommen, doch bei Weitem nicht so anspruchsvoll wie sie. Fay war furchtbar aufbrausend und konnte, wenn ihr irgendwas nicht passte, wahnsinnig schwierig sein, wohingegen er ein freundliches und ausgeglichenes Wesen hatte und es seinetwegen niemals Grund zur Sorge gab.

»Ich werde sehen, ob ich sie eher bekomme«, hatte sie ihm zugesagt. »Dann kriegst du zwar zu Weihnachten ein etwas kleineres Geschenk, aber ich werde schauen, was ich machen kann.« Und tatsächlich hatte sie ihm innerhalb von vierzehn Tagen ein Paar neue Fußballschuhe in die Hand gedrückt. Ihre Tochter hatte das Gesicht verzogen, doch da Peggy damit schon gerechnet hatte, hatte sie ihr zum Ausgleich ein Paar rote Knöpfstiefel gekauft und sie dadurch versöhnt.

Obwohl sie eigentlich nicht knapsen musste, wollte sie ihre Kinder nicht zu sehr verwöhnen und jeden Monat etwas sparen. Und auch wenn das Café gut lief, mussten sie jeden Monat Miete zahlen, und ständig schleppte Able irgendwelche teuren, neuen Kaffeemaschinen oder andere Geräte an.

»Die Leute sollen sehen, wie gut der Laden läuft«, hatte er ihr erklärt, als sie das alte, angeschlagene Porzellan auch weiter hatte nutzen wollen. »Mit diesem Geschirr sieht es so aus, als würde das Café schlecht laufen, und wenn das die Leute sehen, kommen sie sicher nicht öfter her. Und dazu haben wir an den Wochenenden jede Menge junger Kundschaft, die eine Musikbox haben will. Ich brauche mindestens zweihundert Dollar, wenn ich eine aus den Staaten kommen lassen will, und dieses Geld verdient sich ganz bestimmt nicht über Nacht.«

Obwohl er schon seit ein paar Jahren in England lebte, dachte er auch weiterhin in Dollar statt in Pfund und behielt auch die Feiertage seiner alten Heimat bei. Worüber seine Kinder glücklich waren, weil sie so noch öfter was geschenkt bekamen, denn er erfüllte ihnen anders als die Mutter praktisch jeden Wunsch. Doch auch wenn er seine Kinder maßlos verwöhnte, brauchte er im Gegensatz zu Peggy nur mit leiser Stimme Nein zu sagen, damit seine aufsässige Tochter sich benahm.

Peggy hatte ihre Brauen wegen der Musikbox hochgezogen, denn in ihrem Pub während des Krieges hatte sie bloß Alice bitten müssen, sie mit einem ihrer alten Gassenhauer aus dem Varieté zu unterhalten, die die Londoner noch immer liebten, aber die Jungen heutzutage wollten eben etwas anderes. Aus dem während des Krieges aus den Staaten mitgebrachten Jitterbug waren Lindy Hop und all die neuen Tanzformen entstanden, die jetzt in den Tanzlokalen in Mode waren. Able war bei diesen Dingen immer auf dem neuesten Stand, bis er allerdings das erforderliche Geld für die Musikbox aufgetrieben hätte, bliebe ihnen hoffentlich noch etwas Zeit. Denn sicher wäre es vorbei mit ihrer Ruhe, wenn das Ding erst in der Ecke stand.

An den Wochentagen kamen überwiegend ältere Leute entweder zum Mittagessen oder nachmittags zu Tee, Kaffee und Kuchen ins Café. Die meisten Leute waren Stammgäste, und sie kannte sie mit Namen, doch im Sommer kehrten auch zahlreiche Touristen aus den Badeorten auf Kaffee, ein Brötchen oder einen anderen kleinen Snack ein. Sie liebten das familienfreundliche Café, und Eltern, Großeltern und Kinder fühlten sich bei ihnen gleichermaßen wohl.

»Auf geht’s«, erklärte Able und versicherte sich, dass die Küchentür, durch die man in den kleinen Hinterhof gelangte, abgeschlossen war. Sie hatten dort auch einen großen Lagerraum für Lebensmittel und Getränke, der nur durch die Küche zu erreichen und deshalb besonders sicher war. Able wusste, dass in kleine Läden wie den ihren gern eingebrochen wurde und die Diebe es besonders auf die Zigaretten und die Süßigkeiten abgesehen hatten, die er vorne im Café verkaufte, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Ladentür aufbrechen würden, während sie im hellen Licht der Straßenlampen gut zu sehen waren, war eher gering. Auch aus diesem Grund hatten sie am Ende dieses Haus für ihr Lokal gewählt.

»Na komm, Peggy. Was jetzt noch nicht getan ist, hat auch noch bis morgen Zeit.«

Ein letztes Mal sah sie sich in der großen Küche um, die völlig sauber und aufgeräumt war. Den Abfall hatte sie noch vor dem Spülen draußen in der Mülltonne entsorgt. Sie wurde zweimal wöchentlich geleert und stand neben der Seitentür, doch nach der Rückkehr in die Küche hatte sie die Tür wie immer sorgfältig verschlossen und den breiten Eisenriegel vorgelegt. Das hieß, die Arbeit war erledigt und sie konnten endlich gehen.

»Ich weiß. Ich hoffe bloß, dass Mavis morgen wiederkommt.«

»Wenn nicht, kündigen wir ihr und stellen jemand anderen ein«, sagte ihr Able zu. »Und wenn wir eine zusätzliche Angestellte hätten, könnte sie dir ebenfalls beim Abwasch helfen, wenn sonst niemand anderes mehr da ist, Schatz.«

Da Peggy alles selbst kochte, stand er meistens vorne im Café, um die Kundschaft zu bedienen, die zu ihm an den Tresen kam. Die Würstchen im Schlafrock, den Apfelkuchen und das andere Gebäck stellte sie morgens noch zu Hause her, aber Pommes frites mit Speck und Rührei oder andere warme Speisen wurden auf Bestellung zubereitet, und die Sandwichs, die die Leute haben wollten, wurden immer frisch gemacht. Es gab auch Pfannkuchen und Omelette mit zahlreichen verschiedenen Füllungen, weil ihre Kundschaft alles liebte, worin Ei enthalten war. An frische Eier war man über Jahre kaum herangekommen, doch inzwischen bot ihnen der Bauer in der Nähe ihres Hauses jeden Tag so viele Eier an, wie sie haben wollten. Am liebsten mochten ihre Kundinnen und Kunden Peggys Apfelkuchen, Schinkensandwiches, ihre leckeren Tartes, Salate und Omelette, wobei sie auch auf Ables frisch gemachten Pfannkuchen total versessen waren. Am Samstagmorgen standen Jungen und Mädchen vor dem Tresen Schlange, und wenn er die Eierkuchen in die Luft warf, um sie wieder mit der Pfanne aufzufangen, spendeten sie tosenden Applaus.

Den Teig machte er selbst, und mit dem neuen strombetriebenen Mixer fiel ihm das nicht schwer. Die Quirle tauschte Peggy regelmäßig aus, damit sie immer frisch und sauber waren. Im Grunde war der Abwasch Mavis’ Aufgabe, aber Peggy ging ihr oft zur Hand, wenn sie nicht kochte, weil sie nicht darauf vertraute, dass das Mädchen daran dachte, auch die Rührhaken zu spülen. Im Grunde hatte sie auch sonst nicht viel Vertrauen zu dem jungen Mädchen, doch sie hatte sich vor allen anderen im Café beworben und die Arbeit unbedingt gebraucht. Mittlerweile tat es Peggy leid, dass sie sie angeheuert hatten, und sie wusste, Able hatte recht – sie hätten keine andere Wahl, als ihr zu kündigen.

Zum Glück gab es noch April Jenkins, die normalerweise abends für zwei Stunden in der Küche half und mittags drei Stunden bediente, während Peggy mit der Zubereitung der beliebten schlichten Mahlzeiten beschäftigt war. Sie machten neben Aufläufen und Suppen zwar auch aufwendigere Gerichte, doch ihr Geld verdienten sie hauptsächlich mit ein paar einfacheren Speisen, weil die ebenfalls sehr schmackhaft und auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich waren. An Samstagen war das Café nur bis halb fünf geöffnet, deshalb kam die Köchin namens Mabel zwischen zehn und vier, und nachmittags half April für vier Stunden aus. Peggy mochte sie, und sie war wirklich zuverlässig, doch es war nicht einfach, jemanden zu finden, der gegen Lohn Berge von Geschirr spülen wollte. Natürlich würden sich auf eine Anzeige zahlreiche Leute vorstellen, aber die meisten arbeiteten nicht so, wie es Peggys Vorstellung entsprach. Sie dachte öfter an die Zeit in ihrem Pub in der Mulberry Lane. Dort war Rose für sie tätig gewesen, und Peggy hatte ihr im Schankraum und der Küche und bei der Betreuung ihrer damals noch sehr kleinen Kinder blind vertraut.

Auch jede Menge anderer Freundinnen und Freunde hatten sie bei ihrer Arbeit in der Wirtschaft unterstützt. Ihr erster Mann Laurie hatte jahrelang im Pig & Whistle die Getränke ausgeschenkt, bis er bei Kriegsbeginn ins Militär eingetreten und dort einer hochgeheimen Tätigkeit nachgegangen war. Auf Dauer hatte ihre Ehe diese Trennung nicht verkraftet, und sie hatte lernen müssen, ohne ihn zu leben – doch sie hatte immer Unterstützung durch Maureen, Anne und Rose sowie ihre eigene, schon erwachsene Tochter Jan gehabt.

Sie runzelte die Stirn, als sie an Janet dachte, denn sie hatte sie fast einen Monat lang nicht mehr gesehen, und damals hatte Janet sich nicht gut gefühlt. Sie hatte eine Fehlgeburt erlitten und sich bisher kaum davon erholt. Maggie, die inzwischen achtjährige Tochter ihres ersten, allzu jung verstorbenen Mannes Mike, entwickelte sich prächtig, aber der kleine Harry, Sohn von ihrem zweiten Mann Ryan, war kurz nach der Geburt gestorben, und das hatte ihnen beiden furchtbar zugesetzt. Janet hatte sich danach ein Vierteljahr bei Peggy einquartiert, um den Verlust zu überwinden, daher hatte Peggy Angst gehabt, dass sie und Ryan vielleicht auseinandergehen würden, doch am Ende hatte ihre Tochter sich zusammengerissen und war wieder heimgekehrt.

Seither war es nicht leicht für sie und ihren Mann. Die Spannungen zwischen ihnen waren nicht zu übersehen. Zwar gar sich Janet alle Mühe, aber der Verlust des zweiten Babys hatte sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, und unglücklicherweise ließ sie ihre Trauer hauptsächlich an Ryan aus. Bisher war er noch freundlich und geduldig, doch er würde es sich ganz bestimmt nicht ewig bieten lassen, wenn sie ständig schlecht gelaunt und mürrisch durch die Gegend lief. Darüber hätte Peggy gern mit ihr gesprochen, aber Janet hatte sich mal wieder ganz in sich zurückgezogen und wies jedes Angebot zu einem Gespräch zurück.

»Du hast gut reden«, hatte sie in vorwurfsvollem Ton erklärt. »Du verlierst schließlich nicht jeden, den du liebst.«

Tatsächlich hatte Janet die Liebe ihres Lebens, Mike, im Krieg verloren. Es war eine grauenhafte Zeit für sie gewesen, deshalb hatte Peggy sich gefreut, als Janet schließlich Ryans Frau geworden war. Sie hatte angenommen, dass sie eine gute Ehe führen würden, und zu Anfang hatte Janet auch sehr glücklich mit dem neuen Ehemann gewirkt, nach dem Verlust ihres Sohnes und ihrer Fehlgeburt machte das Paar jedoch die Hölle durch.

Am besten wäre es, Peggy würde bald ein bisschen Zeit finden, um ihre Tochter zu besuchen. Es war eine Fahrt von über einer Stunde, die sie viel zu selten auf sich nahm – vielleicht, weil Janet ihr mitunter das Gefühl gab, dass sie nicht willkommen war. Sie hatte ihre Freundinnen, mit denen sie lieber ihre Zeit verbrachte, und sie kapselte sich – so wie damals, nachdem sie Mike verloren hatte – vollkommen von ihrer Mutter ab. Vor allem gab es auch noch Pip, Peggys erwachsenen Sohn, und dessen Frau und Kind, an die sie denken musste, statt sich ganz auf Jan und deren Leid zu konzentrieren.

Als sie aus London fortgezogen waren, hatte Pip den Pachtvertrag für ihre Wirtschaft übernommen, und da ihr die Zeit fehlte, um ihn in London zu besuchen, hatte er mit seiner Familie letzten Sommer eine Woche bei ihnen in Devon zugebracht. Er half nur selten in der Wirtschaft aus, denn seit er nicht mehr fliegen konnte, hatte er bei einem großen Unternehmen eine Anstellung als Konstrukteur. Er arbeitete überwiegend von zu Hause aus und fuhr lediglich in die Firma, wenn dort ein Gespräch mit seinen Arbeitgebern oder eine Besprechung mit den anderen Entwicklern nötig war. Das Pig & Whistle wurde hauptsächlich von seiner Frau geführt, und dabei wurde sie von ein paar Angestellten und Freundinnen unterstützt. Wobei sie nebenher zusammen mit Maureen am Nachmittag noch einen kleinen Teesalon betrieb, in dem es selbst gebackene Kuchen gab. Die arme Sheila hatte sicher alle Hände voll zu tun, und manchmal hatte Peggy Angst, dass sie sich übernahm, aber bei ihren Telefongesprächen klang die Schwiegertochter immer gut gelaunt. Die größten Sorgen machte Peggy sich deshalb um Jan.

Sie seufzte und verdrängte den Gedanken, während sie nach Hause fuhr. Sie würde Janet fragen, ob sie Weihnachten mit der Familie zu ihnen kommen wollte oder es ihr lieber wäre, wenn sie selbst mit Able und den Zwillingen zu ihnen kam.

Kapitel 2

Mulberry Lane, London

»Wollen wir dieses Wochenende wieder mal ins Kino gehen?«, fragte Gordon Hart.

Seine Frau Maureen hob überrascht den Kopf. »Warum, was kommt denn für ein Film, den du gern sehen willst?«

»Keine Ahnung. Vielleicht gibt es ja einen neuen Kriminalfilm oder irgendetwas anderes, was dir gefällt. Ich würde meine Frau ganz einfach gern mal wieder ausführen.«

Maureen lächelte erfreut. »Das wäre schön – falls Shirley nicht mit ihren Freundinnen ausgehen will.« Außer zu Schulveranstaltungen oder den Erste-Hilfe-Kursen in der Abendschule ging die Tochter allzu selten aus. Sie wollte Ärztin werden, deshalb saß sie meistens über ihren Büchern und bereitete sich auf die Eingangsprüfung für ihr Studium vor. »Wenn Shirley keine Lust hat, passt bestimmt Rose Barton auf die Kinder auf.«

»In Ordnung. Ich mag spannende Geschichten, und im Regal zeigen sie den neuesten Hitchcock-Film.«

Maureen bedachte ihren Mann mit einem nachdenklichen Blick. Er wirkte müde, und obwohl sie wusste, dass er sich von seiner schweren Kriegsverletzung vollständig erholt hatte, war sie um ihn besorgt. Gordon hinkte immer noch ein bisschen, doch er schwor, es täte nicht mehr weh. Maureen war sich nicht sicher, ob er diesbezüglich immer völlig ehrlich zu ihr war, denn er würde niemals wollen, dass sie sich Sorgen um ihn machte. Schließlich hatte sie mit den Kindern, ihrem Haushalt und dem Teesalon schon mehr als genug zu tun. Das Leben meinte es gut mit ihnen, und neben der jungen Shirley – ihrer Stieftochter, die sie jedoch genau wie ihre eigenen Kinder liebte – hatten sie den kleinen Gordon und jetzt auch noch Matthew, den sie alle Matty nannten und der sich von Shirley, seit er auf die Welt gekommen war, verwöhnen ließ. Er war nun drei und Gordy sieben, und wenn ihr geliebter Robin nicht gestorben wäre, wäre er jetzt acht.

Robin war das Kind von einem Mann gewesen, mit dem sie in ihrer Zeit als Schwesternhelferin verlobt gewesen war, doch als sie irgendwann herausgefunden hatte, dass er sie mit einer anderen Schwesternhelferin betrog, hatte sie sich von ihm getrennt. Rory hatte das nicht akzeptieren wollen, ihr daher immer wieder Scherereien gemacht und sie sogar, nachdem sie Gordons Frau geworden war, zurückerobern wollen, aber inzwischen lebte er nicht mehr. Er hatte ihr die Schuld an Robins Tod gegeben und behauptet, dass sie sich nicht gut genug um ihn gekümmert hätte, was vollkommen lächerlich gewesen war. Trotzdem war er überzeugt davon gewesen, dass sie ihn auf diese Art hatte bestrafen wollen.

Sie blinzelte gegen die aufsteigenden Tränen an. Der Verlust ihres geliebten Sohnes tat ihr auch nach all den Jahren in der Seele weh. Meistens schaffte sie es, die Erinnerung so gut wie möglich zu verdrängen, aber manchmal tauchte sie ganz unvermutet wieder auf, und dann brachen sich die Tränen Bahn. Dennoch durfte sie nicht in Selbstmitleid versinken, schließlich hatte sie drei wundervolle Kinder und war meistens zu beschäftigt, um darüber nachzugrübeln, was damals geschehen war.

Der Teesalon, den sie zusammen mit Pips Frau eröffnet hatte, lief sehr gut, und sie kam nur mit Mühe mit dem Kuchenbacken hinterher. Rose Barton half so oft wie möglich aus, aber da sie ebenfalls zwei Kinder hatte, war die Zeit, die sie in ihre Arbeit investieren konnte, relativ begrenzt. Und Anne Ross hatte Maureen während der letzten Jahre kaum gesehen. Als Peggy noch den Pub betrieben hatte, war sie Stammgast dort gewesen und war dort eingesprungen, wenn Not am Mann gewesen war. Dann aber hatte sie ihr lang ersehntes Kind bekommen, als ihr Ehemann nach Kriegsende zurückgekommen war. Inzwischen war sie Lehrerin in Cambridgeshire, und obwohl sie Karten, Briefe und Geschenke schickte und mitunter anrief, tauchte sie in London nur noch selten auf. Zumindest hatte Peggy Maureen während eines Telefongesprächs erzählt, dass Anne und Kirk mit ihrem Kind im Sommer mal bei ihnen zu Besuch gewesen waren. Sie hatten ihren Urlaub an der See verbracht und Peggy im Café und dann noch mal in ihrem Haus besucht. Im Anschluss hatte Anne Maureen am Telefon erzählt, wie gut ihr der Besuch gefallen hätte, doch obwohl sie ein ums andere Mal versprach, dass sie auch mal nach London kommen würde, hatten sich die Frauen vergangene Weihnachten zum letzten Mal gesehen.

»Du machst dir doch wohl keine Sorgen wegen des Geschäfts?«, erkundigte sie sich, denn Gordon wirkte irgendwie bedrückt. Er betrieb den Lebensmittelladen an der Ecke, in dem sie bereits als junges Mädchen ihrem Vater ausgeholfen hatte und der ihr von ihrer Oma hinterlassen worden war. Aber jetzt gehörte ihr und Gordon das Geschäft zusammen, schließlich wäre alles andere ungerecht. Der Laden lief auch nicht mehr unter ihrem Mädchennamen Jackson, sondern unter ihrem Ehenamen Hart. Gordon arbeitete dort wirklich hart und hatte es verdient, dass er ihr Partner war, doch die Verantwortung trug er allein und setzte alles dran, damit der Laden für sie selbst und ihre Kinder lief.

Sie konnte nachvollziehen, dass er sich Sorgen machte, denn das Pfund war im September abgewertet worden, was die Lebensmittelpreise hatte steigen lassen, und nachdem er für ein Brot Sixpence statt viereinhalb verlangen musste, hielten sich die Kunden bei den Einkäufen zurück.

»O nein, es läuft noch immer gut«, erklärte er ihr jetzt. »Unsere Kunden sind loyal, Maureen. Wenn es sein muss, schränken sie sich etwas ein, aber sie kaufen trotzdem weiterhin bei uns.« Er lächelte sie an. »Ich nehme an, sie haben nicht vergessen, dass du sie während des Krieges niemals übervorteilt hast.« In manchen Läden waren die Preise, wenn die Lebensmittel knapp gewesen waren, angestiegen, aber dabei hatte sie nie mitgemacht.

Obwohl sie ihrem Mann versprochen hatte, stets nach vorn zu sehen, seufzte sie und wünschte sich die alte Zeit zurück, in der Peggy noch den Pub betrieben hatte und sie jeden Tag auf einen Sprung bei ihr vorbeigegangen war. Auch Sheila war ihr eine gute Freundin, und sie hatte einen wunderbaren Mann und wundervolle Kinder, aber trotzdem fehlte Peggy ihr. Zwar riefen sie sich zweimal in der Woche an und tauschten Karten, Briefe und Geschenke aus, doch das war nicht dasselbe, wie sich gegenseitig in den Arm zu nehmen, wenn die jeweils andere einmal traurig war.

Seit Peggy ihr Café dort auf dem Land eröffnet hatte, fuhren sie jedes Jahr im Sommer hin. Aber jedes Mal verging die Woche wie im Flug, und für Maureen waren die paar Tage, die sie miteinander hatten, einfach nie genug. Sie wusste, dass ihr Mann deshalb ein bisschen böse war, weil er der Ansicht war, sie könnte mit dem Leben, das sie hatte, rundherum zufrieden sein – und selbstverständlich stimmte das. Sie hatten einen großen Laden, der gut lief und in dem es Zeitungen und Magazine, Wolle, Lebensmittel, Zigaretten sowie Süßigkeiten gab. Seit ein paar Wochen hatten sie sogar eine Lizenz für den Verkauf von Alkohol. Maureen hatte erst gezögert, weil sie Pip und Sheila Ashley, die den Pub betrieben, ganz sicher nicht hatte in die Quere kommen wollen, aber Sheila hatte ihr versichert, dass es ihre Umsätze bestimmt nicht schmälern würde, wenn man auch bei ihnen Alkohol bekam.

»Den Alkohol, den wir verkaufen, trinken unsere Gäste gleich vor Ort«, hatte die junge Wirtin ihr erklärt. »Und nebenher verkaufen wir auch Zigaretten, ohne dass ihr deshalb schlechtere Geschäfte macht. Und falls die Leute ein paar Flaschen Sherry oder Whisky bei euch kaufen, wird uns das nicht weiter stören, denn wir schenken das Zeug hier aus, damit es gleich getrunken wird.«

»Solange du nicht das Gefühl hast, dass wir euch mit dieser Sache auf die Füße treten«, hatte Maureen festgestellt. »Das wäre mir ein Graus.«

»Ihr habt da drüben einen wirklich guten Laden«, hatte Sheila ihr versichert. »Alle in der Gegend sind begeistert von der großen Auswahl, die es bei euch gibt. Jetzt brauchen sie nicht mehr so weit zu laufen oder sogar mit dem Bus zu fahren, um ihre Einkäufe zu machen, und schließlich macht ihr auch unserem Café nicht wirklich Konkurrenz, obwohl es bei euch Kekse und sogar Kuchen gibt. Bei euch sind diese Sachen abgepackt, und wir servieren unseren Gästen unsere Kuchen im Lokal oder packen ihnen ein paar Stücke für zu Hause ein.«

»Ich weiß – genau das hat auch Gordon schon gesagt.« Trotzdem hatte sich Maureen bei dem Gedanken, Alkohol in ihrem Laden zu verkaufen, nicht ganz wohlgefühlt, dann aber nachgegeben, als auch Pip ihr zu verstehen gegeben hatte, dass die Ängste, die sie hatte, völlig unbegründet wären.

»Ich verdiene meinen Lebensunterhalt, indem ich Flugzeuge entwerfe«, hatte er zufrieden festgestellt und achselzuckend angefügt: »Den Pub betreiben wir im Grunde nur, weil Sheila es so will. Sie möchte Mum nicht vor den Kopf stoßen, indem sie ihn an jemand anderen übergibt, nachdem sie uns den Pachtvertrag bei ihrem Umzug gratis überschrieben hat. Und außerdem würden die Leute aus der Gegend, wenn sie jetzt schon wieder einen anderen Wirt bekämen, bestimmt alles andere als begeistert sein.«

»Da hat sie recht«, hatte Maureen erwidert. »Alice hat erst vorgestern zu mir gesagt, dass sie Peggy fürchterlich vermisst, und ich bin mir sicher, dass es vielen anderen Leuten ganz genauso geht.«

»Sheila fragt sie schon seit Jahren, ob sie nicht wenigstens an Weihnachten nach London kommen wollen, aber in den ersten Jahren hatten sie zu viel zu tun, und dann war Janet krank, deswegen dachte sie, dass sie sich um sie kümmern muss«, hatte er stirnrunzelnd erklärt. »Aber ich glaube, dieses Jahr bestehe ich darauf, dass sie nach London kommt.«

»O ja, bitte.« Maureen hatte ihm den Arm gedrückt. »Ich sehe Peggy viel zu selten, und sie fehlt mir wirklich sehr. Zwar waren wir im Juli dort, aber inzwischen ist November, und vor allem ist es wirklich ewig her, seit sie zum letzten Mal in London war.«

»Zwei Jahre, glaube ich. Wir waren im August bei ihnen in Devon, aber es ist immer schwierig, jemanden zu finden, der hier in der Wirtschaft nach dem Rechten sieht. Du kümmerst dich schon um den Teesalon, wenn wir im Urlaub sind, Maureen, aber wir können wohl kaum erwarten, dass du dich auch noch hinter den Tresen stellst. Mum hat gesagt, sie würden über Weihnachten das Café für drei Wochen schließen, weil sie beide eine Pause brauchen, und ich glaube, die bekommen sie nur bei uns.«

»Wenn du es schaffst, sie herzuholen, kriegst du einen Kuss von mir.«

»Wenn das so ist, sorge ich auf jeden Fall dafür, dass Mum nach London kommt«, hatte er lachend zugesagt. »Dann werde ich dich dran erinnern, was du mir versprochen hast – nämlich einen Kuss unter dem Mistelzweig.«

»Tausend Dank.« Auch sie hatte gelacht. »Im Ernst, bring sie dazu, dass sie nach London kommt. Sie arbeitet dort sicher viel zu hart.«

»Das ist mein Ernst«, hatte er grinsend festgestellt. »Ich hole sie um jeden Preis hierher.«

Er hatte sich zum Gehen gewandt, und nachdenklich hatte Maureen ihm hinterhergesehen. Nach dem Verlust der Sehkraft eines Auges und dem Ende seiner Karriere als Pilot hatte er das Gefühl gehabt, er hätte keine Zukunft mehr, und erst als Sheila während ihrer Schwangerschaft schwer krank geworden war, hatte er eingesehen, dass es auch andere Dinge gab, die wichtig waren. Er hatte angefangen zu zeichnen, aber die Entwürfe erst mal niemandem gezeigt. Er hatte Angst gehabt, sie wären vielleicht nicht gut genug, doch schließlich hatte er sich überwunden, seine Mappe irgendwelchen Leuten vorgelegt und eine Stelle bei De Havilland bekommen, wo er in kurzer Zeit vom kleinen Zeichner zu einem der wichtigsten Entwickler aufgestiegen war.

Die Arbeit, die er machte, war sehr wichtig, denn obwohl der Krieg mit Deutschland seit vier Jahren vorbei war, hielt der Ärger in verschiedenen anderen Regionen weiter an. Konrad Adenauer war der neue deutsche Bundeskanzler, und nachdem die Sowjets die Berlin-Blockade aufgehoben hatten, wurden die Bewohner der drei westlichen Besatzungszonen wieder auf dem Landweg mit den notwendigen Lebensmitteln und allem anderen versorgt. In anderen Ländern aber gab es weiter Unruhen, zum Beispiel in China, wo im Mai Shanghai an Mao Zedongs Volksbefreiungsarmee gefallen war. Zwar hatte Maureen keine Ahnung von der Politik in diesem Teil der Welt, doch ihr war klar, dass allerorts die Furcht vor einem neuen grauenhaften Krieg bestand, an dem so kurz nach den Konflikten mit den Deutschen niemandem gelegen war. Doch die Geschehnisse und obendrein die Panik, mit der man in Amerika dem Kommunismus gegenüberstand, ließen befürchten, dass der Frieden nicht von Dauer war.

Sie lenkte ihre Überlegungen zurück auf Pip. Sie wusste, dass er jetzt genug verdiente und nicht länger auf die Einnahmen der Wirtschaft angewiesen war. Inzwischen konzentrierte er sich ganz auf seine Arbeit für De Havilland, und Sheila führte das Lokal mit Unterstützung eines älteren Mannes, der hinter der Theke stand, zweier junger Mädchen, die in Teilzeit dort bedienten, und Rose Barton, die so oft wie möglich half. Maureen erbot sich nicht mehr, einzuspringen, denn sie hatte mit dem Teesalon, drei Kindern und dem Haushalt bereits alle Hände voll zu tun.

Wobei ihr Shirley bei der Hausarbeit und der Versorgung ihrer jüngeren Geschwister eine große Hilfe war. Sie würde sicher einmal eine wundervolle Ehefrau und Mutter, aber Gordons Kind aus seiner ersten Ehe hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, ein Medizinstudium zu absolvieren. Sie war ein reizendes Geschöpf von sechzehn Jahren, würde bald die Abschlussprüfung in der Schule machen und danach aufs College gehen.

Shirley würde ihr entsetzlich fehlen, wenn sie mit dem Studium begann. Sie kümmerte sich oft um ihre Halbbrüder, damit Maureen ein wenig Zeit für sich hatte, und wenn sie mal ins Kino oder essen gehen wollten, brauchten sie nie einen Babysitter, weil das Mädchen, statt sich zu amüsieren, lieber über seinen Büchern saß. Ihr Freund studierte schon im dritten Jahr, weshalb sie ihrem eigenen Studienbeginn voll Ungeduld entgegensah. Richard Kent und sie waren schon seit Jahren eng befreundet – seit der grauenhaften Zeit, als Robin und auch Richards kleine Schwester an den Windpocken gestorben waren. Maureen war sich nicht sicher, ob die beiden mehr als gute Freunde waren, doch sie fragte Shirley nicht danach. Das Mädchen schrieb ihm regelmäßig, und genauso regelmäßig schrieb ihr Richard zweimal wöchentlich zurück. Zwar freute sie sich immer über seine Briefe, aber bisher hatte sie die Worte Heirat oder Liebe nie erwähnt und sprach stattdessen endlos von dem Studium, das sie nächstes Jahr in Angriff nehmen würde, und von ihrem Traum, als Kinderärztin an ein Krankenhaus zu gehen.

»Natürlich werde ich mir eine Stelle in der Nähe suchen, Mum«, hatte sie ihr erklärt. »Ich will in London arbeiten, damit ich euch so oft wie möglich sehen kann. Vielleicht kann ich dann ja sogar noch mal für eine Weile zu euch ziehen.«

»Eines Tages wirst du ja vielleicht auch heiraten«, hatte Maureen bemerkt.

Das Mädchen hatte ernst genickt. »Vielleicht«, hatte sie zugestimmt und sofort eingeschränkt: »Auch wenn das sicherlich noch ewig dauern wird. Denn erst mal will ich Ärztin werden und danach genügend Geld verdienen, sodass ich euch das Vertrauen, das ihr mir schenkt, zurückgeben kann.«

»Natürlich möchtest du gern deinem Beruf nachgehen. Und nur weil du heiratest, heißt das ja nicht zwingend, dass du ihn deshalb aufgeben musst.«

Das Mädchen hatte sie mit einem nachdenklichen Blick bedacht. »Ich weiß, bei dir war es ja auch nicht so. Aber viele Frauen hören nach der Hochzeit auf zu arbeiten, weil ihre Männer denken, dass sie sich allein um die Familie und den Haushalt kümmern sollen.«

»Ich weiß«, hatte Maureen ihr zugestimmt. »Doch wenn ein Mann dich liebt, wird er verstehen, dass du das selbst entscheiden musst. Ein Ehemann und Kinder sind im Grunde etwas, was wir alle wollen, wenn wir ehrlich sind – aber warum sollten wir nicht nebenher auch arbeiten? Wir haben schließlich hinlänglich bewiesen, dass wir dazu in der Lage sind. Seit Anfang des Jahrhunderts hat das Leben sich verändert, und der Arbeitsmarkt kommt ohne Frauen nicht mehr aus. Wenn wir während des Krieges nicht die Ärmel hochgekrempelt hätten, um hier unsere Frau zu stehen, hätte Großbritannien keine Chance gehabt.«

»Ich weiß, dass du so denkst«, hatte das Mädchen festgestellt. »Aber das tun nicht alle, und ich höre, was die Leute sagen, weil du weiter selbst Geld verdienst, und glaube, dass auch Dad eigentlich nicht damit einverstanden ist.«

»Das hat er mir bisher noch nie gesagt.« Sie hatte Gordon nicht gefragt, bevor sie in den Teesalon mit eingestiegen war. Sie hätte nicht gedacht, dass er etwas dagegen haben würde, denn damit verdiente sie ein bisschen zusätzliches Geld und hatte immer noch genügend Zeit für ihre Kinder und die Arbeit hier im Haus. Sie brachte Gordy morgens in die Schule, und wenn sie mit Sheila ihre Kuchen backte, saß ihr jüngster Sohn im selben Laufstall wie die Zwillinge von Peggy, als sie klein gewesen waren. Sheila hatte nur ein Kind, weil eine weitere Schwangerschaft aus Sicht der Ärzte zu gefährlich war. Ihr Sohn ging in die Grundschule, und wenn Rose Barton ihre beiden Kinder in die Schule brachte oder abholte, nahm sie ihn häufig mit. Und nach dem Backen ging Maureen mit Matty heim, erledigte dort ihren Haushalt und bereitete ein leichtes Mittagessen für Gordon und die Kinder zu. Nachmittags servierte sie den Gästen ihres Cafés Tee und die von ihr gebackenen Kuchen und kam rechtzeitig nach Hause, damit sie das Abendessen machen konnte, bevor Gordon aus dem Laden kam. Shirley brachte Gordy aus der Schule mit und machte ihm schon etwas eher sein Abendbrot, und wenn auch die Erwachsenen gegessen hatten, nahm Maureen sich noch die Bügelwäsche vor.

Sie hatte ausgefüllte Tage, aber trotzdem nahm sie sich, vor allem, wenn eins der Kinder etwas Besonderes vorhatte, frei. Die meisten Kinder aus der Gegend gingen in dieselbe Schule und spielten dann draußen auf der Straße, bis es Zeit fürs Abendessen war. Maureen sah keinen Grund zur Sorge, wenn der junge Gordy etwas später als geplant nach Hause kam, weil er über dem Spiel mit Sheilas Sohn oder Roses Tochter, die nur ein Jahr jünger waren als er, die Zeit vergaß. Daneben gab es auch noch andere Kinder ihres Alters, es gab einen Spielkreis, den sie gern besuchten, und an Samstagvormittagen fanden in der Schule Sportveranstaltungen statt. Den Samstagnachmittag nahm sie sich immer frei und ging mit ihren Kindern in den Park oder ins Kino, falls es einen Film für Kinder ihres Alters gab, und ab und zu fuhren sie im Sommer sonntags an die See. Natürlich kamen sie auch mit, wenn sie zu Peggy fuhr, aber der Weg war weit, deswegen waren die Kleinen froh, wenn es im Auto ihres Vaters nur nach Southend ging. Sie waren letzten Sommer mehrmals dort gewesen, und die Kinder hatten Sandburgen am Strand gebaut und Fish and Chips gegessen, die in eine Zeitung eingehüllt gewesen waren.

Shirley ging mit ihrem Vater an den Wochenenden öfter ins Museum, während Maureen einen Sonntagsbraten in den Ofen schob und nach den beiden anderen Kindern sah.

Inzwischen hatte Gordon sich mit seiner Zeitung vor das Radio gesetzt, daher beschloss Maureen, dass sie an Peggy schreiben und sie fragen würde, ob sie tatsächlich an Weihnachten nach London kam. Es wäre einfach wunderbar, sie an den Feiertagen hierzuhaben – fast wie in den alten Zeiten.

Doch erst einmal machte sie den Abwasch, während Shirley wie so häufig über ihren Büchern saß. Sie wirkte ungewöhnlich ruhig, was aber sicher kein Grund zur Sorge war. Wenn sie Probleme hatte, sprach sie sie normalerweise von alleine an, weshalb es bestimmt einfach um die Schule ging.

Seufzend setzte sich Maureen der Stieftochter gegenüber an den Tisch, zog den linierten Block zu sich heran und nahm den ganz besonderen Füller – ein Geschenk von Gordon – in die Hand.

»Du schreibst so viele Briefe«, hatte er zu ihr gesagt. »Da lohnt es sich auf alle Fälle, wenn du einen ordentlichen Füller hast.«

Erst nach längerem Überlegen fing Maureen zu schreiben an. Peggy hatte ständig irgendeine Ausrede parat dafür, dass sie sich mehr um Janet kümmern musste als um Pip, doch das war nicht gerecht. Auch Pip und Sheila wären froh, sie endlich wieder mal zu sehen, deswegen musste sie sie dazu überreden, dass sie diese Weihnachten nach London kam.

Nachdem sie ihren Brief beendet hatte, sah sie auf die Uhr und merkte, es war Zeit für den Kakao, den es für alle vor dem Schlafengehen gab. Normalerweise bot ihr Shirley an, die Milch zu kochen, wenn sie selbst beschäftigt war, doch sie war immer noch in Richards letzten Brief vertieft. Er ging in Eastbourne auf die Universität und würde in zwei Jahren mit dem Studium fertig sein.

*

Das Mädchen runzelte die Stirn. Richard käme Weihnachten fünf Tage heim und schrieb, er würde hoffen, sie zu sehen, hätte aber mit seiner Vorbereitung auf die nächsten Prüfungen alle Hände voll zu tun.

Inzwischen kommt es mir so vor, als wäre unser letztes Treffen ewig her, Shirley. Ich vermisse unsere Gespräche, und wenn wir uns schreiben, ist das einfach nicht dasselbe, oder was meinst Du? Aber ich habe schon eine Idee für die langen Sommerferien – falls Dein Vater damit einverstanden ist. Ich plane diese Sache bereits seit Längerem und werde Dir an Weihnachten Genaueres erzählen.

Sie war etwas enttäuscht, denn sie hatte gedacht, er käme Weihnachten für mindestens zwei Wochen heim, und schon Besuche in verschiedenen Museen und ein paar gute Filme, die ihm sicherlich gefallen würden, eingeplant. In dieser Jahreszeit war es zu kalt, um draußen rumzulaufen, und sie fand es langweilig, den halben Tag in einem Café herumzusitzen, auch wenn es dort warm und sie mit ihm zusammen war.

Zu Richard konnten sie nicht gehen, weil seine Mutter ihr die Schuld am Tod seiner kleinen Schwester gab. Sie dachte, Richard hätte sich die Windpocken von Robin eingefangen und Cathy damit angesteckt, und hasste es, dass er jetzt Medizin studierte, statt dass er wie andere direkt nach der Schule arbeiten gegangen war. Sein Vater aber hatte ihn dazu ermutigt und gab ihm allmonatlich ein bisschen Geld, auch wenn sein Sohn den größten Teil der Kosten seines Studiums als Aushilfskraft in einer Wirtschaft selbst bestritt. Im Gegensatz zu Mrs. Kent hätte Shirleys Mutter ihnen sicherlich gestattet, sich ins Wohnzimmer vor den Kamin zu setzen, doch dann tauchte jedes Mal ihr Vater auf und stellte Richard derart viele Fragen, dass Shirley mit ihm lieber in ein Museum, eine Galerie oder ein Lichtspielhaus ging, wo sie im Warmen sitzen und im Dunkeln Händchen halten konnten, ohne dass es jemand mitbekam.

Lächelnd fuhr sie mit dem Lesen seines jüngsten Briefes fort. Er schrieb ausführlich von den Dingen, die er machte, von den Freunden, die er dort gefunden hatte, und den Streichen, die sich die Studenten gegenseitig spielten, wenn sie angetrunken waren. Shirley fand, sein Leben klange durchaus amüsant, obwohl er ihr am Ende seiner Briefe immer schrieb, dass er sich wünschte, sie könnte ebenfalls bereits studieren, und er hoffen würde, sie bestünde ihre Prüfungen, um dann an dieselbe Universität wie er zu gehen, obwohl er dann wahrscheinlich schon fast fertig und gezwungen wäre, sich nach einer Stelle umzusehen.

Sie seufzte, denn wenn sie ans College käme, wäre er wahrscheinlich längst als Assistenzarzt irgendwo an einem Krankenhaus. Womöglich müsste er dafür zurück nach London gehen, während sie in Eastbourne war. Warum nur musste er vier Jahre älter sein als sie? Obwohl Richard stets mit ihr so umgegangen war, als ob sie beinahe gleichalt wären, hatte er in ihrer Schulzeit immer auf sie aufgepasst, bis er zum Studium fortgegangen war, und wenn sie ungefähr dasselbe Alter hätten, hätten sie vielleicht zusammen irgendwo studiert.

Nachdenklich verzog sie das Gesicht. Sie waren gute Freunde, und sie hatten sich von Herzen gern. Sie hatte ihn getröstet, als ihm seine Mutter vorgeworfen hatte, dass er schuld am Tod seiner kleinen Schwester wäre, die genau wie ihr geliebter Bruder Robin an den Windpocken gestorben war. Sie hatte selbst geglaubt, sie wäre schuld an Robins Tod, bis Richard ihr erzählt hatte, er hätte Cathy ebenfalls verloren. Auch ihre Granny hatte ein ums andere Mal gesagt, sie könnte nichts dafür, denn Robin hätte sich bestimmt bei einem von den Nachbarskindern angesteckt, doch Shirley hatte Maureens grenzenlose Trauer über den Verlust des kleinen Sohnes miterlebt und sich die größten Vorwürfe gemacht, weil sie als Erste krank geworden war. Sie hatten wie die Kents ein Mitglied der Familie verloren, und Shirley wollte unter anderem Medizin studieren, damit sie vielleicht andere Kinder retten könnte, denn dann bliebe den Familien das Leid, das sie und Mum nach Robins Tod verspürt hatten, erspart.

In ihrem Haushalt hatte damals eine grenzenlose Traurigkeit geherrscht, nachdem erst Robin und dann wenig später auch noch Gran gestorben waren. Sie hasste es, dass Menschen starben, und sie wollte dafür sorgen, dass es ihnen, wenn sie krank waren, bald wieder besser ging. Sie wollte Ärztin werden und den Leuten helfen, und das konnte Richard nachvollziehen. Genauso war ihm klar, dass bis zum Ende ihres Studiums mehr als eine Freundschaft zwischen ihnen ausgeschlossen war, doch manchmal war sie sich nicht sicher, ob sie nicht zu viel von ihm verlangte, weil er schließlich ein paar Jahre älter war und an der Universität und in der Wirtschaft, wo er mehrmals in der Woche Bier ausschenkte, sicher jede Menge hübscher Mädchen kennenlernte.

Zum Beispiel diese Katie, die Bedienung in derselben Wirtschaft war. Ihr Freund war bei der Army, und angeblich hoffte sie an Weihnachten auf einen Verlobungsring von ihm.

Katie sagt, dass Ricky sie gebeten hätte, seine Frau zu werden, ehe es für ihn nach Zypern ging. Sie hofft, dass er an Weihnachten nach Hause kommt, ihr einen Ring schenkt und sie dann mit ihm zusammen in den Süden ziehen und dort ein neues Leben anfangen kann. Klingt wundervoll, nicht wahr? Vielleicht hätte ich, statt zu studieren, ja zur Army gehen sollen …

Was wollte er ihr damit sagen?, fragte Shirley sich. Dachte er, wenn er sie mit nach Zypern nehmen könnte, wäre diese Katie vielleicht nicht an diesem Ricky, sondern an ihm selbst interessiert? Und interessierte er sich vielleicht andersrum für sie?

Vor Eifersucht gab es ihr einen Stich ins Herz. Bisher hatte sie nie darüber nachgedacht, ob Richard vielleicht eine Freundin dort in Eastbourne hätte, und sie hatte ihn auch nie danach gefragt. Sie hatte sich gesagt, dass es ihr reichen würde, wenn sie einfach gute Freunde wären, aber plötzlich wogten Eifersucht und Zorn in ihrem Innern auf, denn Richard Kent gehörte ihr.

Zwar waren sie bisher nur Freunde, weil sie selbst erst sechzehn und noch viel zu jung für etwas anderes war, aber sie standen sich so nahe, sie tauschten sich seit Jahren über alles aus, sie lachten miteinander, und deswegen war sie sicher davon ausgegangen, dass das bloß der Anfang einer dauerhaften, innigen Beziehung war.

Kapitel 3

Rose verließ die Praxis, bückte sich und nahm den kleinen Jackie auf den Arm. Er war knapp zwei und deutlich zarter als seine große Schwester, doch das Aussehen hatte er von seinem Vater und von seinem Großvater geerbt. Auch charakterlich waren Tom und Jack sich in sehr vielen Dingen ähnlich: Beide waren grundehrlich, arbeiteten hart, hielten sich an die Gesetze, und wenn ihnen was nicht passte, sprachen sie es offen aus. Tom sah seinen Vater inzwischen nur noch selten, weil der als Soldat die meiste Zeit im Ausland war und höchstens während seines Urlaubs in Begleitung seiner zweiten Frau nach London kam. Die beiden kannten sich noch aus der Zeit des Krieges, und es machte ihr nichts aus, dass er auch nach dem Sieg Soldat geblieben war, denn diese Arbeit war erheblich besser als die Tätigkeiten, die sich ihm zuvor geboten hatten, und vor allem hatten sie dadurch die Chance, etwas von der Welt zu sehen.

Tom hing an ihm und freute sich, wenn er nach Hause kam, und auch sie selbst liebte ihren Schwiegervater, weil er nach dem Tod von Jimmy für sie da gewesen war. Damals hatte sie von Jimmy ein Kind erwartet, und in ihrer Einsamkeit und ihrem Schmerz war ihr egal gewesen, was aus ihr und aus dem Baby würde, aber Jack, Maureen und Peggy hatten ihr geholfen, diese schwere Zeit zu überstehen.

Jetzt rümpfte sie die Nase, als sie Jackies volle Windel roch. Der Kleine hatte Durchfall, also musste sie ihn umziehen und ihn selbst und seine Kleider waschen, wenn sie gleich nach Hause kam. Aus welchem Grund auch immer hatte Jackie öfter Bauchweh, während ihre Tochter in diesem Alter stets kerngesund gewesen war. Tom liebte sie genau wie seinen Sohn, obwohl sie Jimmys Tochter war, Rose selbst aber konnte Molly nicht so lieben, wie sie sie als Mutter hätte lieben sollen. Aus irgendeinem Grund gab sie dem Kind die Schuld daran, dass Jimmy sie im Stich gelassen hatte, obwohl das natürlich blanker Unsinn war. Deshalb gab sie sich alle Mühe, keine Unterschiede zwischen ihrer Tochter und dem kleinen Sohn zu machen, doch das fiel ihr mindestens so schwer, wie ihren Zorn auf Jimmy abzulegen, auch wenn er als Held gestorben war. Anscheinend hatte er sie nicht genug geliebt. Sonst hätte er sich doch bestimmt nicht diesem Himmelfahrtskommando angeschlossen und so kurz vor ihrer Hochzeit eine Munitionsfabrik in Deutschland in die Luft gesprengt.

Seufzend schob sie den Gedanken in den Winkel ihres Hirns zurück, in dem er stets zugegen war. Dabei sollte sie sich nicht mehr fragen, wie ihr Leben hätte aussehen können, denn sie hatte einen wundervollen Ehemann in Tom gefunden, und sie liebte ihn – natürlich tat sie das. Und trotzdem hatten ihre Zweifel sich bis heute nicht gelegt. Hatte sie Toms Antrag nach dem Krieg vielleicht nur angenommen, weil sie damals unverheiratet in anderen Umständen gewesen war? Sein Vorschlag hatte wirklich gut geklungen, und sie hatte ihn schon immer gern gehabt. Natürlich war ihr klar, dass Jimmy nie so sanft und großzügig gewesen war, doch ständig beschlichen sie ganz unvermutet leise Zweifel.

Was für ein Leben würde sie wohl führen, wäre Jimmy nach dem Krieg als Held zurückgekehrt? Oder wenn sie nicht ein Kind von ihm erwartet hätte, als er umgekommen war, und frei gewesen wäre, um sich irgendwo ein neues Leben aufzubauen? Hatte sie Toms Antrag vielleicht einzig angenommen, weil er da gewesen war, sie liebte und bereit gewesen war, für sie und das Kind von einem anderen da zu sein?

Sie konnte es nicht sicher sagen, und sie hasste sich dafür. Tom rackerte sich ab, damit sie vier ein gutes Leben hatten, und er sorgte wirklich gut für sie. Mitunter war sie sich sicher, dass sie ihn von ganzem Herzen liebte, und schätzte sich glücklich, weil sie seine Frau geworden war, doch manchmal sehnte sie sich nach wie vor danach, dass Jimmy plötzlich vor der Haustür stünde, um sie abzuholen.

Natürlich war es lächerlich, dass sie sich etwas wünschte, was niemals passieren würde, denn nach all den Jahren gab es keinen Zweifel mehr daran, dass er damals gestorben war. Keine Frage, während dieses grauenhaften Krieges waren andere tot geglaubte Männer später doch noch einmal heimgekehrt, aber ihr war klar, dass Jimmy keiner von ihnen war. Vor allem sollte sie dem lieben Gott auf Knien dafür danken, dass sie einen derart guten Ehemann gefunden hatte, weil es jede Menge Frauen gab, die nicht so viel Glück hatten. Sie machten Tag für Tag die Hölle durch, weswegen also konnte sie mit ihrem Leben und ihrer Ehe nicht zufrieden sein?

»Rose …«, erklang in diesem Augenblick die Stimme von Maureen, und Rose drehte sich um, als ihre Freundin auf sie zugelaufen kam. Maureen war die Besitzerin des Lebensmittelladens an der Ecke, und da praktisch alle Leute aus der Gegend Stammkunden bei ihr und Gordon waren, konnte sie über das Geschäft wirklich nicht klagen. »Wie geht es dir?«

»Sehr gut«, erklärte Rose und hoffte, dass die Zweifel und die Ängste, die sie hatte, ihr nicht anzusehen waren. »Abgesehen davon, dass der arme Jackie Durchfall hat. Aber nun kriegt er Medizin, damit es ihm hoffentlich bald wieder besser geht.«

»Bestimmt. Das haben Kinder in dem Alter öfter. Übelkeit und Bauchweh können ein paar Tage schrecklich sein, und dann sind sie genauso plötzlich wieder weg, wie sie gekommen sind. Warst du mit ihm beim Arzt?«

»Ja, wobei die Schwester ihn sich angesehen hat. Sie hat mir was verschrieben, und das habe ich jetzt gerade aus der Apotheke abgeholt.« Rose zeigte ihr die Flasche mit der milchig weißen Flüssigkeit.

Maureen nickte zustimmend. »Das haben meine Kinder auch bekommen, wenn sie Durchfall oder Bauchweh hatten, aber falls der Kleine auch noch Fieber oder Ausschlag kriegt, bring ihn direkt zum Arzt, damit du auf der sicheren Seite bist.«

Rose nickte. »Ja, das werde ich. Ich habe Sheila schon Bescheid gesagt, dass ich erst übermorgen wiederkommen kann. Ich habe jede Menge Wäsche, und Tom kann es sicher nicht brauchen, wenn er sich nach seiner anstrengenden Arbeit abends noch um einen kranken Jungen kümmern muss.«

»Da hast du recht.« Maureen sah sie mit einem mitfühlenden Lächeln an. »Mit Kindern ist es manchmal ziemlich anstrengend, aber wenn wir sie nicht hätten, wären wir auch nicht froh.«

»Wahrscheinlich nicht.« Mit einem unterdrückten Seufzer fügte Rose hinzu: »Ich überlege, ob ich Jackie nächstes Jahr nicht morgens ein paar Stunden in die Kinderkrippe geben soll. Im Augenblick läuft er mir ständig hinterher und will bei allem, was ich tue, helfen, aber eigentlich ist er mir bei der Arbeit eher im Weg.«

»Der kleine Schatz.« Ihre Freundin lachte auf. »Mein Gordy war genauso, bis er in den Kindergarten kam, und auf einmal wollte er von mir kaum noch was wissen und hat sich fast ausschließlich für seinen Vater interessiert.«

»Molly hat Tom schon immer angebetet, aber schließlich geht er auch wunderbar mit ihr um, Maureen. Er könnte ihr kein besserer Vater sein, wenn er …« Auch ohne dass sie ihren Satz zu Ende sprach, wusste Maureen, dass Molly Jimmys Tochter war. Dem Mädchen selbst hatten sie das bisher nicht erzählt, und Rose befürchtete, dass vielleicht irgendjemand hinter ihr Geheimnis käme und ein anderes Kind der Kleinen dann verriete, dass sie nicht Toms echte Tochter war. Sie hatte ihn gefragt, ob sie ihr nicht die Wahrheit sagen sollten, aber davon hatte er nichts hören wollen.

»Für mich ist sie nicht weniger mein Kind als unser Sohn«, hatte er ihr erklärt und dabei so verletzt gewirkt, dass Rose vor lauter Elend schlecht geworden war. »Und falls ihr irgendjemand etwas anderes erzählt, werde ich sagen, dass er einfach neidisch auf sie ist und ich ihr Daddy bin.«

Rose hatte sich gefügt. Tom überschüttete sie selbst, die Tochter und den Sohn mit seiner Liebe, und sie hätte ihm nie wehtun wollen.

»Ich hoffe, dass wir uns am Freitag auf dem Kirchenbasar sehen«, unterbrach Maureen ihren Gedankengang. »Ich habe ihnen ein paar alte Sachen meiner Gran gegeben, als sie an die Haustür kamen, und wenn ich sonst nichts finde, kaufe ich einfach die Gläser, die auf ihrem Frisiertisch standen, dort zurück.«

»Da bin ich immer gern«, meinte Rose. »Dort kann man wundervolle Schnäppchen machen, und beim letzten Mal habe ich dort einen Satz Silberlöffel für nur einen Shilling gekriegt.« Dann allerdings verzog sie das Gesicht und fügte unglücklich hinzu: »Wobei es erst mal Jackie besser gehen muss, damit ich hingehen kann.«