Shop Girls - Zauber junger Liebe - Rosie Clarke - E-Book

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Rosie Clarke

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Beschreibung

»Ich denke, das würde schon genügen, um auf der Stelle verhaftet zu werden«, warnte Sally.

Die anderen nickten. Es war nicht leicht, in diesen unruhigen Zeiten eine Frau zu sein.


London, 1913. In ganz England setzen sich Frauen für ihre Rechte ein. Auch Beth, Rachel, Sally und Maggy beteiligen sich an den Demonstrationen. Anders als die meisten anderen Frauen verdienen sie als Angestellte von Harpers Emporium, einem Kaufhaus an der edlen Oxford-Street, ihren Lebensunterhalt selbst. Doch auch zwischen Hüten und Handschuhen, edlen Schals und Taschen spielen sich Dramen ab, und nicht alles im Leben der vier ist einfach zu meistern. Jede der Frauen ist auf der Suche nach ihrem Glück. Zwei werden die Liebe ihres Lebens finden, sogar heiraten, mit den beiden anderen hingegen meint es das Schicksal weniger gut ...


Vier starke junge Frauen stellen sich den Herausforderungen ihrer Zeit - Band zwei der Reihe um die Shop Girls

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CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38

 

»Ich denke, das würde schon genügen, um auf der Stelle verhaftet zu werden«, warnte Sally.

 

Die anderen nickten. Es war nicht leicht, in diesen unruhigen Zeiten eine Frau zu sein.

 

London, 1913. In ganz England setzen sich Frauen für ihre Rechte ein. Auch Beth, Rachel, Sally und Maggy beteiligen sich an den Demonstrationen. Anders als die meisten anderen Frauen verdienen sie als Angestellte von Harpers Emporium, einem Kaufhaus an der edlen Oxford-Street, ihren Lebensunterhalt selbst. Doch auch zwischen Hüten und Handschuhen, edlen Schals und Taschen spielen sich Dramen ab, und nicht alles im Leben der vier ist einfach zu meistern. Jede der Frauen ist auf der Suche nach ihrem Glück. Zwei werden die Liebe ihres Lebens finden, sogar heiraten, mit den beiden anderen hingegen meint es das Schicksal weniger gut …

 

Vier starke junge Frauen stellen sich den Herausforderungen ihrer Zeit – Band zwei der Reihe um die Shop Girls

 

Rosie Clarke schreibt schon seit vielen Jahren. Sie lebt im englischen Cambridgeshire, ist glücklich verheiratet und genießt ihr Leben mit ihrem Ehemann. Sie liebt es, unter der spanischen Sonne spazieren zu gehen und in ihrem Lieblingsrestaurant in Marbella einzukehren. Ihre wahre Passion aber ist das Schreiben.

Roman

Aus dem Englischenvon Ulrike Moreno

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

 

Deutsche Erstausgabe

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2020 by Rosie Clarke

Titel der englischen Originalausgabe: »Love and Marriage at Harpers«

Originalverlag: Boldwood Books Ltd.

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Anja Lademacher, Bonn

Einband-/Umschlagmotive: © iStock/Getty Images Plus: phokin | Roxy Sadoughi | blackdovfx | rimglow | kobeza; © Colin Thomas, London; © akg-images

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7517-2820-1

luebbe.de

lesejury.de

 

Hast du schon die Neuigkeiten gehört?«, fragte Rachel Craven, als Sally Ross am Morgen des 21. Februar 1913 die Wohnung betrat, die sie sich mit Maggie Gibbs und Beth Grey teilten. Alle vier arbeiteten bei Harpers, dem neuen Kaufhaus in der Oxford Street, und die Idee, sich eine Wohnung zu teilen, hatte sich für die vier jungen Frauen, die sich bei ihrer Bewerbung um eine Stelle in dem renommierten Kaufhaus kennengelernt hatten, als geradezu perfekt erwiesen.

Sally zog ihren Mantel aus und warf ihn über die Rückenlehne eines Stuhls, nachdem sie die Küche betreten hatte.

»Ich glaube nicht, dass ich den Mut hätte, das zu tun, was Emmeline getan hat«, fuhr Rachel fort, während sie das Gas unter dem Kochtopf herunterdrehte, der vor ihr auf dem Herd stand.

Am 19. Februar hatte Emmeline Pankhurst mit einigen noch ungenannten Komplizen eine Villa in die Luft gesprengt, die in der Nähe des Walton Heath Golf Clubs für Lloyd George erbaut wurde. Dieser Vorfall hatte sogar die Nachricht von den Titelseiten verdrängt, dass es Kapitän Scott nicht gelungen war, den Nordpol zu erreichen.

»Und ich bin mir nicht sicher, ob ich so etwas überhaupt tun wollte«, erwiderte Sally, während sie sich ihr blondes Haar aus den Augen strich, das der Wind durcheinandergebracht hatte, da sie es länger trug als sonst. »Natürlich war es sehr mutig von Emmeline, weil sie statt Lloyd Georges neuer Villa auch sehr leicht sich selbst in die Luft hätte sprengen können – aber was hat sie mit dieser Aktion erreicht? Sie wird ins Gefängnis gehen, und ich glaube nicht, dass sie die Frauenbewegung damit auch nur einen Zentimeter vorangebracht hat. Stattdessen wird sie nur viele einflussreiche Männer dazu bringen, uns weiterhin für einen Haufen verrückter Frauenzimmer zu halten … und wenn sie es ein paar Minuten später getan hätte, wären vielleicht sogar unschuldige Bauarbeiter ums Leben gekommen.«

Rachel musste Sally recht geben, denn obwohl sie aus Loyalität gegenüber der Anführerin ihrer Bewegung nur ungern ihre Meinung dazu äußerte, war Emmeline in letzter Zeit doch definitiv zu militant geworden.

Rachel und Sally hatten sich beide im Jahr zuvor der Frauenrechtsbewegung angeschlossen und auch oft an deren Versammlungen teilgenommen. In letzter Zeit jedoch waren einige der Rednerinnen zu hitzig gewesen und waren von Männern ausgebuht worden, die nur erschienen waren, um die Veranstaltung zu stören. Bei einer der letzten Versammlungen war Sally auf die Bühne getreten und hatte klargestellt, dass sie gewaltlose Proteste für sinnvoller hielt. Man solle sich darauf beschränken, mit Spruchbändern zur Downing Street und zum Buckingham Palace zu marschieren, aber auf gar keinen Fall sollten Bomben oder dergleichen zum Einsatz kommen, wie es die Womens Social and Political Union zurzeit mache. Von einigen der lautstärkeren Mitglieder war sie jedoch mit Buhrufen bedacht und niedergeschrien worden.

»Meiner Meinung nach geht die WSPU zu weit, Rachel, und deshalb werde ich nicht mehr an ihren Versammlungen teilnehmen – oder nur noch an denen des weniger militanten Flügels der Frauenrechtsbewegung. Schließlich sind wir zu Anfang alle davon ausgegangen, dass die Frauenbewegung keine militante Vereinigung ist.«

»Ja, da hast du natürlich recht, Sally. Die WSPU ist viel zu militant geworden. Ich werde künftig auch nicht mehr zu ihren Versammlungen gehen.« Rachel lächelte Sally zu und wechselte dann das Thema, weil sie sich nicht in einer politischen Diskussion verlieren wollte. »Mir gefällt übrigens die Farbe deiner neuen Bluse – wie nennt man diesen Farbton eigentlich genau?«

»York Tan – zumindest bezeichnete der Lieferant sie so. Ich hatte diese Blusen für die Modeabteilung von Harpers bestellt, und als sie kamen, gefielen sie mir so gut, dass ich gleich eine für mich selbst gekauft habe.«

»Eine gute Entscheidung.« Rachel wandte sich wieder dem Gasherd zu, auf dem sie Kartoffeln für das Abendessen kochte, das sie sich mit Beth und Maggie teilen würden, sobald sie heimkamen. »Ich habe auch etwas gekochten Schinken gekauft, den wir zu dem Kartoffelpüree und den gedünsteten Karotten essen werden.«

»Ich bin nur froh, dass du heute mit dem Kochen an der Reihe bist und nicht ich«, bemerkte Sally seufzend.

»Wieso? Fühlst du dich nicht wohl, Sally?«, fragte Rachel, weil ihre Freundin ziemlich müde wirkte. »Es ist aber auch wirklich viel für dich. Erst sorgen Ben Harper und seine Schwester Jenni dafür, dass du Einkäuferin bei Harpers wirst, obwohl du doch gar nicht dafür ausgebildet bist, und dann kehren die beiden nach Amerika zurück und lassen dich einfach mit allem alleine.«

Ben Harper, der Besitzer des neuen Kaufhauses in der Londoner Oxford Street, war nun schon seit über fünf Monaten in Amerika, und Rachel fand das einfach unmöglich von ihm. Für sie war es, als ob der Kapitän sein Schiff im Stich lässt und Einkauf und Betrieb des Kaufhauses einfach Sally und seinen Managern überlässt.

»Ja, aber Jenni Harper schreibt mir lange Briefe, in denen sie mich berät, und wenn ich etwas Dringendes brauche, schicke ich ihr ein Telegramm, und ich kann mich immer darauf verlassen, dass sie mir hilft.« Sally schüttelte den Kopf. »Als Jenni kurz vor Weihnachten hier war, hat sie mir erklärt, dass ihr Bruder zwar gerne zurückkehren möchte, ihn aber im Moment wichtige Gründe daran hindern.«

»Und was könnte schon so wichtig sein, dass es ihn von dem Geschäft fernhält, an dem ihm doch angeblich so viel gelegen ist?«, murmelte Rachel.

Sally schüttelte den Kopf. »Jenni sagte, es sei etwas äußerst Wichtiges. Aber sie ist mit allem einverstanden, was wir hier tun, und meint, sie glaube nicht, dass Mr. Harper es besser machen könnte. Außerdem haben wir einen neuen Einkäufer für die Herrenkonfektion eingestellt, die sich jetzt viel besser zu verkaufen scheint.« Anfangs hatte diese Abteilung sich schwergetan, da die Ware nicht ideal für den britischen Markt gewesen war, doch das hatte sich gebessert, seit Sally um Rat gebeten und ihre Meinung beherzigt worden war.

»Ich nehme an, es war Miss Harpers Idee, den Ausverkauf nach Weihnachten stattfinden zu lassen«, sagte Rachel stirnrunzelnd. »Es war eine Riesenarbeit für das Personal, und eigentlich hatten wir gar nicht so viel beschädigte oder unverkäufliche Ware, die wir noch unbedingt loswerden mussten.«

»Nein, wir hatten Glück, dass unsere Sachen sich so gut verkaufen«, sagte Sally mit nachdenklicher Miene. »Ich habe für den Ausverkauf einige Artikel zweiter Wahl bei unseren Lieferanten bestellt, von denen die meisten nur einen winzig kleinen Fehler hatten …«

Rachel zögerte, bevor sie sagte: »Ich hoffe, du bist jetzt nicht beleidigt, Sally, aber ich persönlich fand die Idee nicht so gut. Einige meiner Kundinnen reagierten ein wenig verschnupft, als ich ihnen sagte, dass sie Waren zweiter Klasse kauften.«

Sally nickte zustimmend. »Jenni sagte, dass sie es in ihren Kaufhäusern in New York so machen, aber ich glaube, du hast recht, Rachel. Bei unseren Kundinnen funktioniert das nicht. Ich werde es wohl nicht noch mal so machen …« Sie unterbrach sich, als die Tür geöffnet wurde und einen kalten Luftstrom von der Diele hereinließ. Maggie hatte eine rote Nase, und Beth sah ganz durchgefroren aus, als sie hereineilten.

»Oh, hier drinnen ist es wärmer!«, rief Maggie, die Jüngste von ihnen. »Tut mir leid, dass wir uns verspätet haben, Rachel. Wir haben nur schnell ein bisschen Dosenobst für den Nachtisch gekauft, aber dann haben wir den Bus verpasst und mussten zwanzig Minuten auf den nächsten warten.«

»Und der Wind geht einem durch Mark und Bein dort draußen«, fügte Beth hinzu. Sie und Sally waren beide Anfang zwanzig, während Rachel, die Leiterin der Hut-, Handtaschen- und Schmuck-Abteilung, Mitte dreißig und verwitwet war. Beth hatte aufgrund ihrer größeren Erfahrung eine höhere Position als Verkäuferin, und Sally war schon nach kurzer Zeit zur Einkäuferin aufgestiegen, weil Ben und Jenni Harper sehr schnell Gefallen an ihrer Arbeit gefunden hatten.

»Werdet ihr beide heute Abend zu dem Suffragetten-Treffen gehen?«, fragte Beth. »Ich wollte eigentlich auch hingehen, aber ich weiß nicht, ob ich diese Eiseskälte noch einmal ertrage …«

»Die Versammlungen wurden bis auf Weiteres abgesagt«, antwortete Rachel. »Wegen Emmeline Pankhursts Verhaftung und des bevorstehenden Gerichtsverfahrens gegen sie glauben die Genossinnen, dass sich Agitatoren unter die Menge mischen würden. Deshalb werden wir abwarten, bis sich die Aufregung ein bisschen gelegt hat – und im Übrigen haben Sally und ich beschlossen, auch in Zukunft nicht mehr zu den WSPU-Versammlungen zu gehen. Was Emmeline getan hat, war schlichtweg zu viel – und zu gewalttätig. Es hätten unschuldige Menschen dabei verletzt werden können.«

»Ja, ich habe in der Zeitung etwas darüber gelesen«, warf Maggie ein. »Ein Mann hatte seine Abendzeitung im Bus liegengelassen. Ich habe sie mitgebracht. Den ganzen Artikel habe ich noch nicht gelesen, aber dort stand, dass sie blass, aber ruhig war, als sie verhaftet wurde, und sich des Bombenangriffs und anderer Ausschreitungen schuldig bekannt hat.«

»Sie werden sie ins Gefängnis stecken«, sagte Sally. »Ich begreife einfach nicht, warum sie das getan hat – und ich denke, dass es Männer, die unsere Sache vielleicht sogar befürworteten, gegen uns aufbringen wird.«

»Das denke ich auch«, sagte Rachel. »Aber ihr wisst ja, dass Emmeline glaubt, wir müssten etwas Drastisches tun, um die Aufmerksamkeit der Männer zu erlangen, weil sie uns sonst wahrscheinlich einfach weiter ignorieren. Vor ein paar Wochen habe ich bei einer unserer Versammlungen mit ihr gesprochen, weil ich ihre Meinung hören wollte – und wie ihr wisst, ist sie ja auch immer sehr offen allen Mitgliedern gegenüber. Sie sagte, dass sogar die, die nicht gegen uns sind, uns wie Kinder oder Haustiere behandeln, die man bei Laune halten muss. Als ich sie fragte, ob ihr das persönliche Risiko angemessen erscheine, erwiderte sie, sie sei bereit, ihr Leben dafür hinzugeben, wenn es sein müsse … Ich bewundere und mag sie sehr, aber ich befürchte, dass sie die Unterstützung beider Flügel der Bewegung verlieren wird, wenn sie so weitermacht.«

Rachel schaute Beth flehend an, weil Sally ganz offensichtlich verärgert war und nicht weiter über Politik sprechen wollte. »Würdest du den Tee aufbrühen, während ich die Kartoffeln stampfe? Die Karotten habe ich schon mit brauner Butter übergossen …«

»Wunderbar, ich habe nämlich Hunger«, sagte Beth und ging zum Herd, um heißes Wasser in die Teekanne zu gießen. »Ich möchte mich auf jeden Fall der Frauenbewegung anschließen und nicht nur zu den Versammlungen gehen, wenn sie denn wieder beginnen, Rachel, aber nicht Emmelines WSPU, sie ist einfach zu radikal.«

»Ja, ich auch«, stimmte Maggie ihr zu. »Ich finde, es ist an der Zeit, dass uns Frauen endlich die gleichen Rechte zugestanden werden wie den Männern. Warum sollten wir hinter ihnen zurückstehen? Sie haben lange genug gemacht, was sie wollten!« Sie sah sehr zornig aus, auf ihren Wangen zeichneten sich rote Flecken ab. »Aber natürlich finde ich auch, dass keine unschuldigen Menschen verletzt werden dürfen …«

Rachel wusste, dass ein Teil des Zorns in der Stimme der jungen Frau immer noch daher rührte, dass sie sich im letzten Herbst von ihrem Freund Ralf getrennt hatte. Nach einer heftigen Auseinandersetzung über Maggies Besuch bei ihrer sterbenden Mutter, die Maggie zuvor übel mitgespielt hatte, schien Ralf von der Bildfläche verschwunden zu sein. Eigentlich jedoch war all das von Ralfs herrschsüchtiger Mutter ausgegangen, die glaubte, das junge Mädchen gefügig machen zu müssen, damit sie ihrem Sohn eine gehorsame Braut sein würde. Maggie hatte jedoch ihren eigenen Kopf, und die Einmischungen von Ralfs Mutter waren ihr schon bald zu viel geworden. Schließlich hatte sie ihre vorübergehende Unterkunft dort aufgegeben und war in die Wohnung ihrer Freundinnen gezogen. Ralf hatte versucht, sich bei ihr zu entschuldigen, doch sie hatte seine reumütigen Worte ignoriert und ihm gesagt, dass sie ihn nie wiedersehen wolle. Seitdem hatte er sich nach Feierabend nicht mehr bei Harpers gezeigt, wo er sonst immer auf Maggie gewartet hatte. Sie war immer noch empört darüber, dass er seiner Mutter gegenüber nicht Partei für sie ergriffen hatte, und diese Verärgerung äußerte sich hin und wieder auch in anderen Situationen.

Rachel dachte darüber nach, wie sehr sich das junge Mädchen verändert hatte, seit sie ihre Stelle bei Harpers angetreten hatte. Der Tod ihres Vaters und der Verdacht, dass ihre Mutter daran beteiligt gewesen sein könnte, hatten aus dem schüchternen Kind, das sie einst gewesen war, die selbstbewusste junge Frau gemacht, die sie jetzt vor sich sah – eine Frau, die sich zu wehren wusste.

Seit Maggie eingezogen war – und wenig später dann auch Beth –, war die Wohnung ein bisschen überfüllt, da sie nur über zwei Schlafzimmer, eine Küche, ein Bad und ein Wohnzimmer verfügte. Es gab zwar in jedem Schlafzimmer zwei Betten, aber nicht viel Platz für persönliche Dinge. Die Bemühungen der vier Freundinnen, eine größere Wohnung zu finden, waren bisher erfolglos geblieben, da die Vermieter Ehepaare oder Familien vorzogen und dazu neigten, zusammenlebenden Frauen mit Misstrauen zu begegnen.

Zum Glück durften sie einen Schuppen in der Ecke des Hofs benutzen, in dem Rachel einige ihrer Sachen untergebracht hatte, die aus ihrem früheren Zuhause stammten, wo sie mit ihrem Mann gelebt hatte, bevor er qualvoll und bitterlich gestorben war. Seine Krankheit hatte sich über mehrere Monate hinweg nach und nach verschlimmert und sie lange mit Kummer und Verzweiflung erfüllt. Was sie in dem Schuppen aufhob, waren nur ein paar Kartons mit Andenken, von denen sie sich nicht trennen wollte, und einige wenige Möbelstücke.

»Ich habe heute eine Anzeige für eine größere Wohnung gesehen«, bemerkte Sally, als sich alle zum Abendessen hinsetzten. »Ich glaube, zu viert hätten wir sie uns gerade so leisten können, aber als ich vom Büro aus dort anrief, hieß es, sie sei bereits vermietet …«

»Glaubst du, dass sie wirklich schon weg ist?«, fragte Rachel. Es hatte gedauert, jemanden zu finden, der ihnen überhaupt etwas vermietete, und Sally war sich ziemlich sicher, dass sie ihre derzeitige Wohnung nur bekommen hatten, weil Mr. Harper für sie gebürgt hatte und sie gleich um die Ecke von Harpers in der Berwick Street lag, von wo es nur ein kleiner Fußweg bis zur Arbeit war.

»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte Sally und verzog den Mund. »Beim nächsten Mal werde ich einfach lügen und behaupten, ich wolle die Wohnung für meinen Mann und mich.«

»Aber dein nicht vorhandener Ehemann würde den Mietvertrag unterschreiben müssen«, stellte Rachel seufzend fest. »Auch wieder ein Grund, warum gesetzlich anerkannt werden muss, dass Frauen mehr sind als der Besitz ihres Ehemannes.«

»Ich werde an dem nächsten Protestmarsch für Frauenrechte teilnehmen«, erklärte Maggie. »Natürlich werde ich weder Bomben noch sonst etwas werfen, aber ich werde ein Spruchband tragen und laut rufen.«

»Ich denke, das würde schon genügen, um auf der Stelle verhaftet zu werden«, warnte Sally. »Die Polizei wird ganz schön hart mit uns allen verfahren, wenn wir ihnen die Chance dazu geben – deshalb finde ich ja auch, dass Emmeline mehr als töricht war.« Die anderen nickten. Es war nicht leicht, in diesen unruhigen Zeiten eine Frau zu sein. Aber sie war fest entschlossen, alles zu tun, um die Situation der Frauen zu verbessern.

 

Sally lag im Bett und las den neuesten Brief von Jenni Harper. Sie hatte sich schon früh zurückgezogen und die anderen plaudernd und lachend im Wohnzimmer zurückgelassen. Sie war bereits den ganzen Tag über sehr deprimiert gewesen. Seit Wochen erwartete sie die Rückkehr von Ben Harper, dem Eigentümer des Geschäfts. Sie war sich so sicher gewesen, dass er rechtzeitig in London sein würde, um die wundervollen weihnachtlich dekorierten Schaufenster zu sehen, die sie und Marco zusammen entworfen hatten. In einem war eine Schneelandschaft zu sehen, mit Bergen im Hintergrund und Schneemännern und spielenden Kindern im Vordergrund, während ein anderes Fenster mit Weihnachtsbäumen und Geschenkpäckchen geschmückt war sowie mit einer überdimensionalen Weihnachtstorte aus Pappkarton auf einem mit künstlichen Leckereien bedeckten Tisch.

Leider verkaufte Harpers bisher weder Spielzeug noch Kosmetik, und Sally fand es schade, dass ihnen dieses zusätzliche Weihnachtsgeschäft entging. Aber auch so hatte aufgrund von Mr. Marcos zauberhaften Schaufensterdekorationen tagelang ein sehr großer Andrang geherrscht, nur war Mr. Harper leider nicht da gewesen, um es mitzuerleben, und er hatte ihr auch seit Wochen schon nicht mehr geschrieben und es seiner Schwester Jenni überlassen, die Verbindung aufrechtzuerhalten. Auch diese Nachlässigkeit war etwas, was Sally zu denken gab, weil sie geglaubt hatte, dieses neue Kaufhaus sei derzeit das Allerwichtigste für ihn.

Sein Verhalten war wirklich eigenartig, genau wie es Rachel gesagt hatte. Was könnte schon so wichtig sein, dass Mr. Harper London und dem Unternehmen fernblieb, das ihm doch angeblich so sehr am Herzen lag? Oder war er seiner bereits müde geworden? Schließlich war er Amerikaner, und ein paar Monate gleichbleibend guter Verkaufszahlen würden vermutlich schon genügen, damit er Harpers zu einem guten Preis verkaufen konnte … aber das würde er doch bestimmt nicht tun? Sally konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er sie alle dermaßen enttäuschen würde. Also musste es wirklich einen triftigen Grund dafür geben, dass er nicht wie geplant nach London zurückgekehrt war?

Sally gefiel ihre Stelle als Einkäuferin für die Mode-, Schmuck- und Handtaschenabteilung, und sie hatte auch schon mit Jenni darüber gesprochen, eine Kosmetik- und eine kleine Spielzeugabteilung einzurichten, aber manchmal fühlte sie sich sehr allein bei ihrer Arbeit. In einem Büro zu sitzen war nicht das Gleiche wie mit Maggie und Beth in ihrer früheren Abteilung zu arbeiten. Und die Tage, an denen sie keine Kundinnen zu Gesicht bekam und sich nur mit ihrer Buchführung befasste, erschienen ihr manchmal endlos lang. Früher, als sie noch in Rachels Abteilung beschäftigt gewesen war, hatte sie sich wie eins der anderen Mädchen gefühlt, während sie heute oft nur noch mit ihren Freundinnen sprach, wenn sie nach Hause kamen.

Im Grunde war es jedoch nicht wirklich ihre neue Aufgabe, die sie deprimierte, denn eigentlich liebte sie dies alles sehr. Nein, im Grunde ihres Herzens wusste sie sehr wohl, dass es an Mr. Harpers anhaltendem Schweigen lag. Bevor er nach Amerika zurückgekehrt war, war sie fasziniert von seiner dynamischen Persönlichkeit gewesen und hatte sich sogar zu ihm hingezogen gefühlt, obwohl sie wusste, wie dumm das von ihr war. Hin und wieder hatte sie das Gefühl gehabt, dass auch er an ihr interessiert war. Aber dann war er ihr wieder gleichgültig erschienen. Sie wusste, dass es eigentlich sogar besser für sie wäre, wenn er überhaupt nicht mehr zurückkehrte. Und falls das Kaufhaus verkauft wurde, konnte ihre Erfahrung bei Harpers ihr helfen, irgendwo anders eine gute Stelle zu finden, auch wenn sie nicht glaubte, dass viele andere Unternehmen ihr die Chance geben würden, als Einkäuferin zu arbeiten, wie Jenni und Ben Harper es getan hatten.

Manchmal wünschte Sally, sie könnte wieder mit ihren Freundinnen zusammenarbeiten, auch wenn das natürlich ein törichter Gedanke war. Schließlich verdiente sie mehr als je zuvor in ihrem Leben, und Jenni hatte ihr sogar eine baldige Gehaltserhöhung versprochen. Das Kaufhaus hatte gute Gewinne erzielt, auch wenn Sally die Verkaufszahlen des Januars noch nicht kannte. Einige der Artikel zweiter Wahl, die sie bestellt hatte, waren in den Regalen liegengeblieben, und sie wusste nicht, was sie mit ihnen anfangen sollte. Heute betrachtete sie es als schlechte Entscheidung und die geringe Gewinnspanne bei den Verkäufen als Versagen. Doch auch das war nicht der Anlass für ihre Niedergeschlagenheit.

In jäher Wut begann sie, auf ihr Kissen einzuschlagen. Sie wollte sich nicht über ihren Arbeitgeber ärgern – kein Mann war das wert! Sie zwang sich, positiv zu denken. Im nächsten Monat hatte sie einige Tage frei, und es wurde langsam Zeit, dass sie etwas für sich selbst tat. Vielleicht würde sie ein paar Freunde besuchen … es war schon eine Weile her, seit sie ihre Freundin Sylvia oder auch Mick gesehen hatte, der den Pub gegenüber der Pension leitete, in der sie gelebt hatte, bevor sie bei Rachel eingezogen war. Vor Weihnachten hatte Mick eines Abends draußen vor Harpers auf sie gewartet, um ihr eine Weihnachtskarte und eine Schachtel köstlicher Pralinen zu überreichen und ihr ein frohes Fest zu wünschen. Sally hatte nicht daran gedacht, ihm auch ein Geschenk zu kaufen. Aber sie hatte ihm eine Weihnachtskarte geschickt. Und da sie an jenem Abend schon mit Beth verabredet gewesen war, hatte sie auch noch Nein sagen müssen, als er fragte, ob sie Zeit für ein Abendessen oder einen Drink mit ihm hätte. Erst später war ihr bewusst geworden, dass er ihre Ablehnung möglicherweise falsch verstanden hatte, und wünschte, sie hätte ihm erzählt, dass sie mit einer Freundin ins Varieté ging. Wahrscheinlich dachte er, sie hätte einen Freund oder Verehrer, was jedoch ganz und gar nicht der Fall war. Es war Mick, der ein Freund für sie und ein bisschen wie der Bruder war, den sie nie gehabt hatte. Sie war gern mit ihm zusammen und wollte seine Gefühle nicht verletzen. Also sollte sie sich vielleicht mal wieder bei ihm melden …

Seufzend wälzte Sally sich im Bett herum und wünschte, sie könnte einfach einschlafen und am Morgen aufwachen, um festzustellen, dass all ihre persönlichen Probleme verschwunden waren – auch wenn das im wahren Leben natürlich nie geschah.

Als sie Beth’ Stimme hörte, die den anderen eine gute Nacht wünschte, schloss Sally die Augen und umklammerte das silberne Kreuz, von dem die Nonnen ihr gesagt hatten, es gehöre ihrer Mutter. Sie trug es immer unter ihrem Kleid und legte es nur selten ab. Jetzt hoffte sie nur, dass Beth nicht mehr reden wollte, denn sie war an diesem Abend beim besten Willen nicht in der Stimmung dazu …

***

Beth schlich sich ins Schlafzimmer, weil Sally bereits fest zu schlafen schien. Sie selbst hatte bis spätabends an Rachels Nähmaschine gesessen, um einen neuen Rock für sich zu nähen. Da Rachel ihr erlaubt hatte, die Nähmaschine jederzeit zu benutzen, fertigte Beth damit auch hübsche Sachen für die anderen an. Gerade erst hatte sie ein sehr schönes Spitzen-Bettjäckchen für Rachels Schwiegermutter fertiggestellt.

»Meine Schwiegermutter hat Geburtstag«, hatte Rachel ihr erzählt, »und sie liebt schöne Dinge. Etwas Vergleichbares im Geschäft zu kaufen würde mehrere Guineen kosten, Beth. Es ist wunderschön geworden und viel besser, als ich es hätte nähen können.«

»Tante Helen hat es mir beigebracht«, hatte Beth lächelnd erwidert. »Wie du sicher weißt, hat sie jahrelang als Schneiderin gearbeitet und immer gut davon gelebt. Sie mochte es allerdings nicht, dass ich ihre Maschine benutzte, weil sie meinte, ich sei nicht gut genug, um es jemals zu meinem Beruf machen zu können. Ich habe mich immer mit ihr verglichen und festgestellt, dass ich tatsächlich noch nicht gut genug war – aber mit dem Bettjäckchen bin ich zufrieden.«

»Meiner Meinung nach bist du in vielen Dingen besser, als du glaubst«, hatte Rachel sie ermutigt. »Alle mögen, was du kochst, und ich habe auch bemerkt, dass unsere Kundinnen sich sehr gern von dir bedienen lassen.«

Beth hatte gelächelt. »Jack liebt meine Kuchen und mein anderes Gebäck. Fred sagt, ich sei eine bessere Köchin, als seine Frau es war, und ich koche mindestens einmal im Monat für sie alle – und sogar öfter, wenn Jack zu Hause ist.«

Ihr Freund Jack Burrows arbeitete als Steward auf den Schiffen, die die Amerika-England-Route fuhren. Er war auch während der verhängnisvollen Jungfernfahrt der Titanic an Bord gewesen und hatte nicht nur wie durch ein Wunder überlebt, sondern auch zwei Frauen und ein Kind gerettet, bevor er bewusstlos in ein halbleeres Rettungsboot gezogen worden war, als der Befehl erging, sich zu entfernen, bevor der Sog des sinkenden Schiffs die Boote unter Wasser ziehen konnte. Nach seiner Entlassung aus einem Krankenhaus in New York hatte er für die Hamburg-Amerika-Schifffahrtslinie zu arbeiten begonnen und befand sich derzeit wieder auf einer seiner häufigen Reisen. Seit er und Beth sich begegnet waren, sahen sie sich bei jedem seiner Heimaturlaube.

Jack war Fred Burrows’ Sohn, der als Hausmeister bei Harpers arbeitete und die Verantwortung dafür trug, die neuen Waren an die richtigen Abteilungen auszuliefern. Keine leichte Aufgabe für einen einzelnen Mann, dem nur ein junger Lehrling zur Seite gestellt worden war. Beth verbrachte ihre Teepause meist noch immer bei dem alten Mann im Souterrain. Fred war stolz auf seine Söhne Jack und Tim, der inzwischen beim Royal Flying Corps, der Fliegertruppe des britischen Heeres, war. Aber Beth wusste, dass Jacks dramatische Erlebnisse auf der Titanic seinen Vater ganz besonders stolz gemacht hatten.

»Eines Tages werde ich die Schifffahrt aufgeben«, hatte Jack zu Beth gesagt, als er von der Zukunft sprach. »Bald werde ich genug gespart haben, um mich nach einem kleinen Hotel oder Pub umzusehen, das wir zusammen führen könnten – oder mir zumindest einen Job als Geschäftsführer suchen, bis ich mein eigenes Lokal besitze …«

Beth hatte nur gelächelt und ihn reden lassen. Das Zusammensein mit Jack machte sie glücklich und half ihr, die Enttäuschung mit ihrem vorherigen Freund zu vergessen. Er hatte sie verlassen, weil sie nicht bereit gewesen war, ihre kranke Mutter im Stich zu lassen, um ihn zu heiraten. Allerdings musste sie zugeben, dass es auch die Schuld ihrer Mutter gewesen war; sie hatte sie emotional sehr unter Druck gesetzt, seinen Antrag abzulehnen. Aber Mark Stewart hatte nicht auf sie gewartet, sondern war nach Übersee gegangen und verheiratet zurückgekehrt. Eine Zeitlang war Beth todunglücklich gewesen, aber schließlich war sie darüber hinweggekommen und genoss jetzt das Leben mit Jack, auch wenn es nicht das Wichtigste für Beth war zu heiraten. Sie liebte die Freiheit und die Unabhängigkeit, die ihr ihre Arbeit gab, nachdem sie jahrelang ihre Mutter gepflegt und nach deren Tod bei ihrer Tante Helen gelebt hatte. Sie war noch nicht bereit, ihre Arbeit aufzugeben, um Ehefrau und Mutter zu werden, auch wenn sie wusste, dass all das für Jack nicht schnell genug gehen konnte.

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie zu Bett ging und sich unter ihre warmen Decken kuschelte. Moderne Mädchen konnten es sich leisten, ein bisschen unabhängiger zu sein als ihre Mütter, denen meist keine andere Zukunft offen gestanden hatte als die Ehe.

»Gute Nacht, Beth!«

»Gute Nacht, Sally. Entschuldige bitte, falls ich dich geweckt habe.«

»Das hast du nicht, Beth. Ich habe nachgedacht.«

»Geht es dir nicht gut? Kann ich irgendetwas für dich tun?«

»Nein, ich habe nur an die Arbeit gedacht – aber wie geht es dir?«

»Da Jack an diesem Wochenende heimkommt, bin ich natürlich bester Laune!«

»Du Glückliche«, sagte Sally. »Ich glaube, ich werde am Wochenende ein paar Freunde besuchen …«

»Na dann schlaf gut …«

»Du auch«, antwortete Sally.

Beth schloss die Augen. Jack war immer nur höchstens sechs Wochen auf See. Bei gutem Wetter war die Fahrt in nur vier Wochen zu schaffen, aber manchmal verzögerte sie sich auch aufgrund von schlechtem Wetter oder Reparaturen am Schiff. Doch selbst wenn er pünktlich heimkehrte, erschien es Beth wie eine Ewigkeit. Und diesmal hatte sie ihn seit Neujahr nicht mehr gesehen, vielleicht wegen der heftigen Stürme über dem Atlantik.

Er hatte ihr gesagt, dass sie von Amerika begeistert sein würde, aber Beth war zu beschäftigt mit ihrem eigenen Leben, um ans Reisen denken zu können. Außerdem konnte sie sich die Passage gar nicht leisten, und selbst wenn sie sich bei der Schifffahrtsgesellschaft als Bedienung oder dergleichen beworben hätte, gäbe es keine Garantie dafür, dass sie Jacks Schiff zugeteilt würde. Deshalb blieb sie lieber bei Harpers und freute sich auf seine Heimkehr. Auch diesmal würden sie sich so viel zu erzählen haben.

 

Maggie brachte ihr Haar in Ordnung, strich sich eine Strähne hinters Ohr und glättete ihr Kleid. Rachel Craven war zwar eine Freundin und Mitbewohnerin, aber bei der Arbeit war sie ihre Vorgesetzte und erwartete von ihrem Personal ein gepflegtes Äußeres, und Maggie bemühte sich, ihr alles recht zu machen. Mit gerade einmal sechzehn Jahren war ihr Leben aus den Fugen geraten. Eines Abends war sie von der Arbeit heimgekommen und hatte ihren schwerkranken Vater zusammengekrümmt auf dem Fußboden vor seinem Bett aufgefunden. Neben ihm hatte eine leere Flasche Laudanum gelegen, und ihre Mutter war verschwunden. Monate später hatte sie erfahren, dass ihre Mutter sterbend in einem Krankenhaus lag. Maggie hatte sich ein Herz gefasst, sie besucht und ihr schließlich verziehen, nachdem ihre Mutter bereit gewesen war, ihr alles zu gestehen, wie sie ihren Mann, Maggies Vater, einfach seinem Schicksal überlassen hatte, um das Geld aus seiner Lebensversicherung zu bekommen und es anschließend mit ihrem Geliebten durchbringen zu können.

Ihre Mutter war von ihrem Geliebten getäuscht und in die Irre geführt worden, und ihre Dummheit hatte sie und auch Maggies Vater das Leben gekostet. Maggie hatte ihre sterbende Mutter besuchen wollen, und Ralfs Mutter hatte es ihr verbieten wollen. Ralf hatte dem Mädchen, das er angeblich doch so liebte, seine Unterstützung verweigert und sich einfach aus allem herausgehalten. Maggie konnte ihm das einfach nicht verzeihen. Sie hatte sich derart verraten und verletzt gefühlt, dass sie ihre Beziehung zu ihm schließlich beendet hatte und mit ihren Freundinnen zusammengezogen war. Und sie war glücklich und zufrieden mit ihrer Entscheidung.

Ihr war allerdings durchaus bewusst, dass sie als Jüngste am wenigsten verdiente und daher nur wenig Geld zu ihren gemeinsamen Ausgaben beitragen konnte. Sie verdiente heute zwar ein bisschen mehr als zu Beginn ihrer Arbeit bei Harpers, aber immer noch nicht so viel wie Beth, die zu Weihnachten eine Gehaltserhöhung erhalten hatte, und nicht einmal annähernd so viel wie Rachel oder Sally. Als Einkäuferin war Sally die Höchstbezahlte und verdiente mehr als viele Männer. Sie steuerte den größten Beitrag zu Miete und Haushaltskasse bei und schien es auch sehr gern zu tun. Bei Beth hingegen spürte Maggie, dass sie manchmal das Gefühl hatte, nicht genügend aufbringen zu können, und Maggies Beitrag war noch geringer. Deshalb war sie der Meinung, dass sie den anderen von Nutzen sein und sich bei der Arbeit von ihrer besten Seite zeigen musste.

Rachel nickte ihr kurz zu, als sie ihren Platz hinter dem Ladentisch mit den Schals und Handschuhen einnahm. Maggie war froh, dass der Januar-Ausverkauf vorüber war und ihre Ware jetzt nur noch aus erstklassigen Seidenschals und sehr gut verarbeiteten Lederhandschuhen bestand, die hier auf ihre Käuferinnen warteten. Mit dem Ausverkauf hatte sie sich schwergetan, weil Rachel darauf bestanden hatte, den Kundinnen jeden noch so kleinen Fehler an der Ware zu zeigen, damit sie genau wussten, was sie kauften. Drei Frauen hatten sich nämlich beschwert, und es war Maggie sehr peinlich gewesen, ihnen erklären zu müssen, dass die Ausverkaufswaren nicht der regulären Ware entsprachen.

»Also das finde ich ja unmöglich«, hatte eine aufgebrachte Frau erklärt, als Maggie ihr gesagt hatte, dass die günstigeren Schals nur zweite Wahl waren.

Eine andere Kundin war schnurstracks und ohne ein weiteres Wort wieder gegangen, während eine dritte gesagt hatte, es sei ihrer Meinung nach Betrug, zweitklassige Waren zu Ausverkaufspreisen zu verkaufen, anstatt die reguläre Ware um einen gewissen Prozentsatz herabzusetzen. Maggie hatte sich auf die Zunge beißen müssen, um ihr nicht recht zu geben.

Eine Frau kam auf sie zu, und Maggie verkrampfte sich, weil sie diese Dame erst kürzlich bedient zu haben glaubte.

»Guten Morgen, Madam«, sagte sie höflich. »Was kann ich für Sie tun?«

»Wenn Sie mir bitte ein paar hochwertige Schals zeigen würden, Miss?«, antwortete die Frau. »Ich will nichts von dem Plunder, den Sie während des Ausverkaufs angeboten haben.«

»Nein, natürlich nicht«, sagte Maggie. »Sie sind aus dem Angebot genommen worden, sowie der Ausverkauf beendet war. Haben Sie irgendeine spezielle Farbe im Sinn?«

»Ja, ich bin an grünen oder türkisfarbenen Schals interessiert«, erwiderte die Kundin. »Ich möchte etwas Schönes, es soll ein Geschenk für meine Tochter sein.«

»Selbstverständlich.« Maggie öffnete die entsprechende Schublade und begann, die gewünschten Farben herauszusuchen. Doch plötzlich sah sie einen seegrünen Schal, der noch zur Ausverkaufsware gehörte, und schnappte erschrocken nach Luft. Wie hatte sie ihn übersehen können, als sie ihren Ladentisch ausgeräumt hatte?

»Der ist hübsch«, sagte die scharfäugige Kundin. »Darf ich ihn bitte sehen?«

»Dieser dürfte gar nicht mehr in der Schublade sein«, sagte Maggie. »Er hat einen kleinen Fehler …«

»Zeigen Sie ihn mir bitte …«

Maggie entfaltete den Schal nur widerstrebend und zeigte auf den winzigen Riss an einem Ende. »Dies ist ein Fabrikationsfehler, Madam. Ich muss mich entschuldigen, weil er gar nicht mehr in der Schublade sein dürfte, da ich gestern die neue Ware eingeräumt habe. Ich muss ihn versehentlich wieder hineingelegt haben.«

»Was kostet er?«

»Fünf Schilling«, sagte Maggie entschuldigend.

»Dann werde ich diesen für mich selbst mitnehmen. Und nun können Sie mir die hochwertigeren Schals für meine Tochter zeigen.«

Maggie war so verblüfft, dass sie ohne weitere Worte tat, worum die Kundin bat, und kaum aus dem Staunen gar nicht heraus, als die Kundin tatsächlich zwei Seidenschals in Blau und Türkis für jeweils fünfzehn Schilling sowie den beschädigten Schal für fünf Schilling kaufte.

Zufrieden schlug sie alle drei getrennt in Seidenpapier ein und legte die Päckchen in eine der schicken schwarzgoldenen Einkaufstüten, die Harpers verwendete.

»Vielen Dank, Miss«, sagte die Kundin lächelnd. »Ich konnte nicht zum Ausverkauf kommen, meine Freundinnen hätten hinter meinem Rücken über mich getuschelt – aber ich mache genauso gern ein Schnäppchen wie jeder andere auch. Es war also ein Glück für mich, dass der billige Schal noch in Ihrer Schublade lag!«

Maggie nickte sprachlos. Erst sehr viel später, als sie mit Rachel im Restaurant eine Tasse Kaffee trank, erzählte sie ihr von dem erstaunlichen Erlebnis.

»Das ist ja interessant«, meinte Rachel, als Maggie ihr alles erklärt hatte. »Ich frage mich … Du weißt ja, wie sehr Sally sich über sich selbst ärgert, weil sie zu viel von der Ausverkaufsware eingekauft hat. Aber vielleicht könnten wir ja ganz diskret ein paar reduzierte Artikel auf der Theke platzieren und schauen, was passiert. Ich werde es Sally heute Abend vorschlagen und sehen, was sie davon hält.«

»Vorausgesetzt, dass sie sehr billig sind und nicht allzu viel an ihnen auszusetzen ist, könnte es klappen. Wenn sie einen größeren Fehler haben sollten, kann ich mir das allerdings nicht vorstellen.« Maggie lächelte. »Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, als sie heute Morgen diesen Schal sehen wollte.«

»Ich verstehe ihre Argumentation«, sagte Rachel nachdenklich. »Wenn man sie beim Einkaufen während des Ausverkaufs beobachtet hätte, würden ihre Freundinnen vielleicht hinter ihrem Rücken über sie reden und behaupten, ihre gesamte Garderobe stamme aus dem Ausverkauf. Aber wenn sie zu einem anderen Zeitpunkt einkauft und dabei ein Schnäppchen macht, erfährt es niemand.«

»Stolz«, sagte Maggie. »Meine Mutter war auch immer zu sehr darauf bedacht, dass die Nachbarn nicht über sie redeten, bis sie –«

»Ja, ich weiß.« Rachel legte ihr mitfühlend eine Hand auf den Arm. »Aber jetzt lassen Sie uns wieder an die Arbeit gehen, Miss Gibbs, und vielen Dank, dass Sie die Information an mich weitergegeben haben.«

Dass ihre Chefin sie nun wieder siezte, half Maggie, ihre Tränen zurückzuhalten, und entlockte ihr sogar ein Lächeln. Bei der Arbeit war sie Mrs. Cravens Untergebene, doch daheim waren sie Freundinnen. Dieses Arrangement funktionierte gut. Und Maggie tat alles dafür, dass es so blieb, weil es ihre größte Furcht war, ihre Freundinnen zu verlieren und wieder allein zu sein.

»Danke, Mrs. Craven«, sagte sie auf dem Rückweg zu ihrer Abteilung. »Und ich denke, Ihre Idee ist gut …«

Als Rachel und Maggie wieder in der Abteilung ankamen, sahen sie, wie Miss Hart, die Etagenaufsicht, Beth finster anschaute. Sie war eine dünne, mittelgroße Frau mit mausgrauem Haar, das sie in einem festen Knoten trug. Sie hatte einen blassen Teint und einen schmalen Mund, der fast immer missbilligend verzogen war. »Sie haben eine Kundin zehn Minuten lang an der Handtaschentheke stehen lassen, und schließlich ist sie wieder gegangen, ohne bedient worden zu sein«, sagte sie gerade, als Rachel und Maggie hereinkamen.

»Die Kundin, die ich gerade bediente, hat einen Großeinkauf gemacht, sie hat sechs neue Hüte gekauft«, antwortete Beth. »Ich habe mich bei der wartenden Dame entschuldigt und ihr erklärt, dass meine Kolleginnen gerade Mittagspause haben, und sie sagte, sie verstehe. Dann ging sie, um eine Tasse Kaffee zu trinken und dann wiederzukommen.«

Miss Hart wandte sich an Rachel. »Hätten Sie nicht allein in die Pause gehen können? War es klug von Ihnen, die Abteilung unterbesetzt zu lassen?«

»Hier war vorhin alles ruhig, und uns fehlt nach wie vor ein Lehrmädchen«, antwortete Rachel ruhig. »Ich habe mit Ihnen, Mr. Stockbridge und Miss Ross über diese Angelegenheit gesprochen. Der Hochbetrieb hier beginnt etwa in einer halben Stunde, und dann sind die Verkäuferinnen in der Mittagspause. Ich finde, dass Miss Grey sich völlig korrekt verhalten hat.«

Miss Hart runzelte ärgerlich die Stirn, nickte dann aber und ging. Es stimmte zwar, dass sie ein Lehrmädchen zu wenig hatten, aber Rachel hätte die Pausen auch besser einteilen können. Sie war jedoch davon ausgegangen, dass der größte Betrieb gegen zwei Uhr nachmittags begann, und sie hatte darauf gesetzt, dass Beth für kurze Zeit auch allein zurechtkam. Es blieb ihr jedoch keine Zeit, über ihren Fehler nachzudenken, weil Mr. Marco, ihr extravaganter und talentierter Schaufensterdekorateur, gerade hereingekommen war.

»Ah, Mrs. Craven«, sagte er mit einem warmen Lächeln in seinen dunklen Augen. »Wie elegant Sie immer gekleidet sind! Und ich bin hergekommen, um Sie um einen Rat zu bitten …«

»Guten Tag, Mr. Marco«, begrüßte sie ihn freundlich. »Wie schön, Sie zu sehen. Ich hoffe, Sie haben sich mittlerweile von der Erkältung erholt, die Sie letzte Woche hatten?«

»Oh, mir geht es schon wieder ganz gut, meine Liebe … und deshalb wollte ich Sie bitten, mir zu sagen, welche Ihrer Handtaschen Sie gern in meinem neuen Fenster sehen würden. Ich konzipiere gerade meine letzte Winterszene, bevor wir in der nächsten Woche mit der Frühjahrskleidung beginnen. Miss Ross würde vorher jedoch gern noch einige der … nun ja, sagen wir, noch vorhandenen Wintersachen verkaufen. Ich habe einen kirschroten Mantel mit einem grauen Pelzkragen als zentrales Element – was meinen Sie, was für eine Handtasche mein Modell dazu tragen sollte?«

»Oh … nun ja, ich finde diese graue Schlangenhauttasche sehr schön, und sie würde auch gut zu dem Mantel passen, aber sie ist immer liegengeblieben, obwohl andere ähnliche Taschen buchstäblich im Nu verkauft waren.«

»Dann werde ich sie ausstellen, und binnen weniger Tage werden jede Menge Kundinnen danach fragen«, versprach Mr. Marco.

»Das hoffe ich«, sagte Rachel und reichte ihm die teure Tasche, bevor sie sie in ihrem Bestandsbuch als »für Schaufensterdekoration verwendet« vermerkte.

»Das mit vorhin tut mir leid, Mrs. Craven«, sagte Beth, als Mr. Marco gegangen war. »Was Mrs. Hart gerade zu Ihnen sagte, meine ich, aber ich hab es einfach nicht geschafft … Ah, da ist ja Ihre Kundin … Sie ist zurückgekommen, wie versprochen.« Sie lächelte, als eine gutaussehende Frau in die Abteilung kam.

Die hübsche Frau nickte Beth lächelnd zu. »Sie hatten ja leider sehr viel zu tun vorhin. Aber ich habe mir die Zeit mit einer schönen Tasse Kaffee und einem Stückchen Sahnetorte vertrieben, die ganz köstlich war, aber meiner Figur nicht gerade guttun wird.« Da sie jedoch gertenschlank und ausgesprochen attraktiv war, lachten alle.

»Vielleicht kann ich Ihnen jetzt ja helfen, Madam?«, fragte Rachel und nahm ihren Platz hinter der Verkaufstheke ein, als Beth sich einer neuen Kundin zuwandte und Maggie zu ihrer eigenen Theke zurückging. Als sie dort ein wenig aufräumte, bemerkte sie, dass Rachel zwei teure Lederhandtaschen und einen silbernen, mit Granaten und Perlen besetzten Armreif verkauft hatte. Es war ein Armreif, der Maggie so gut gefallen hatte, dass sie ihn am liebsten für sich selbst gekauft hätte, obwohl sie kaum zu hoffen wagte, ihn sich jemals leisten zu können.

»Meine Kundin erzählte mir, wie gern sie bei uns einkauft«, berichtete Rachel, als sie wenig später zu Maggie hinüberging. »Sie fragte mich sogar, ob ich mir vorstellen könnte, dass ihre Tochter Shirley ein paar Monate hier arbeitet. Sie muss ein Praktikum für ihr College-Projekt machen. Sie will anscheinend die Warenhäuser ihres Großvaters übernehmen, aber ihr Praktikum möchte sie lieber woanders machen. Ich habe der Kundin gesagt, dass wir hier ein Lehrmädchen brauchen und ihre Tochter sich bei Mr. Stockbridge bewerben solle.«

»Dann lasst uns hoffen, dass er sie einstellt«, sagte Maggie. »Ich bin froh, dass nicht ich es war, die Ärger mit der Etagenaufsicht hatte.« Miss Hart war neuerdings noch giftiger als sonst, und Maggie lebte in der ständigen Angst, sie zu verärgern und vielleicht schon wegen eines kleinen Missgeschicks entlassen zu werden. Als ihr Vater noch lebte, hatte sie das noch weit weniger beunruhigt. Er hätte sich niemals beklagt, selbst wenn sie nichts zu den Haushaltskosten hätte beitragen können. Aber jetzt hatte sie eben keine Familie mehr und konnte von ihren Freundinnen nicht erwarten, dass sie alle Kosten trugen.

Maggie fragte sich, warum Miss Hart wohl immer so griesgrämig und verbittert war. Sie kannte inzwischen die meisten Angestellten bei Harpers, denn sie sah sich gerne in den anderen Abteilungen um, wenn sie Zeit dazu hatte, und die meisten von ihnen waren nett und freundlich, sogar die Etageninspizientinnen – warum also sah Miss Hart immer so aus, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen?

Doch Maggie verdrängte ihre Sorgen sofort und lächelte, als mehrere Kundinnen gleichzeitig die Abteilung betraten. Drei von ihnen gingen zu Beth’ Verkaufstisch und begannen, nach Hüten zu fragen und sie anzuprobieren, eine andere ging zu Rachels Tisch, und die fünfte kam zu Maggie. Es war eine ältere, ein bisschen rundliche Frau, die nicht so aussah, als ob sie viel Geld für einen Schal ausgeben könnte.

»Ich möchte Ihre allerbesten Seidentücher sehen«, verkündete sie augenzwinkernd. »Meine Schwiegertochter hat gerade einen kleinen Jungen bekommen, und ich weiß, dass sie liebend gerne eines Ihrer Seidentücher hätte …«

Maggie überlegte schnell und erinnerte sich an eine hochschwangere junge Frau, die sich vor Kurzem ihre Waren angesehen hatte. »Hat sie dunkelblondes Haar, das sie zur Nackenrolle aufgesteckt trägt?«, fragte sie, und die Frau nickte. »Dann waren es diese beiden, die sie sich erst letzte Woche angeschaut hat, Madam.« Maggie legte zwei sehr hübsche Tücher in Marineblau, Rot und Weiß auf die Theke, die jeweils siebzehn Schilling und sechs Pence kosteten.

»Hat meine Daisy gesagt, welchen sie am schönsten fand?«, fragte die Frau.

»Sie konnte sich nicht recht entscheiden und sagte, sie würde es sich überlegen.«

»Dann sollte ich vielleicht beide nehmen«, sagte Maggies Kundin lächelnd. »Meine Daisy ist ein kluges Mädchen und hat mir gerade einen bildhübschen kleinen Enkelsohn geschenkt. Dafür gebührt ihr doch wohl ein Geschenk, nicht wahr?«

»Auf jeden Fall, Madam«, stimmte Maggie ihr zu und lächelte, als sie die beiden geschmackvollen Tücher in Seidenpapier einschlug. »Sie wird begeistert sein über ein solch wunderbares Geschenk.«

Maggie nahm den exakten Geldbetrag, gab ihrer Kundin eine Tüte und sah ihr nach, als sie die Abteilung verließ. Wie nett diese alte Dame war – so ganz anders, als Ralfs Mutter zu ihr gewesen war.

 

Beth’ Unmut darüber, dass ihr zu Unrecht vorgeworfen worden war, eine Kundin warten gelassen zu haben, schwelte in ihr, bis sie in ihrer Teepause Sally traf. Sally lud sie zu einem Kaffee in ihr Büro ein, der dort mit Zuckerguss überzogenen Plätzchen und Früchtebrot serviert wurde, was natürlich sehr viel angenehmer war, als im Restaurant anstehen zu müssen. Doch Sally war so großzügig, ihre Privilegien mit ihren Freundinnen zu teilen, wann immer es ihr möglich war.

»Du hast Glück, dieses Büro und eine Sekretärin zu haben«, bemerkte Beth und genoss den Geschmack der gut gerösteten Bohnen, als sie an dem duftenden Getränk nippte.

»Eigentlich soll ich es ja teilen, aber im Moment gehört es mir allein«, antwortete Sally. »Und meine Arbeit macht mir auch Spaß, und die Vergünstigungen sind großartig – aber es ist keine leichte Aufgabe, Beth. Manchmal wünschte ich, ich wäre wieder in eurer Abteilung. Dort hätte ich weniger Verantwortung, während sich jetzt jeder Fehler, den ich mache, auf das Geschäft auswirken kann …«

»Ja, das verstehe ich«, sagte Beth, weil der Druck von so viel Verantwortung wirklich schwer auf Sally lasten musste. »Mir gefällt meine Arbeit auch – aber nicht, wenn Miss Hart herumschleicht und nach einem Grund zum Nörgeln sucht«, fügte sie hinzu und erzählte Sally von der Kundin, die an der Handtaschentheke gewartet hatte. Sally nickte.

»Ja, das ist das Problem, wenn man es mit teuren Waren zu tun hat. Man muss jede Kundin bedienen und kann sie nicht einfach stehen lassen. Bei Hüten und Kleidern können sie zumindest eine Weile herumspazieren, sich umschauen und etwas anprobieren – und die Verkäuferinnen begleiten sie dann zu den Umkleidekabinen. Bei Handtaschen und Silberschmuck dagegen müssen die Kunden entweder warten oder später wiederkommen.«

»Das hat sie getan und sogar zwei Taschen und einen Armreif gekauft – und zwar genau den, den Maggie sich so gewünscht hat und den wir drei ihr zum Geburtstag schenken wollten.«

»Dann ist es ja gut, dass ich noch einen davon eingekauft und in Reserve habe«, sagte Sally lächelnd. »Maggie denkt sicher schon bald nicht mehr daran, und dann wird es eine echte Überraschung werden.«

»Oh, das ist ja großartig!«, sagte Beth. »Ich werde meinen Anteil bezahlen, wenn Maggie nicht zu Hause ist. Auch wenn sie ja nicht oft ausgeht, höchstens mit einer von uns.«

»Ich habe sie schon ewig nicht mehr von ihrem Freund reden hören«, erwiderte Sally nachdenklich. »Da ist es doch ziemlich unwahrscheinlich, dass sie sich noch mit Ralf trifft, oder? Ich weiß, dass er bei Harpers war, um sie zu sehen, doch so, wie er sich benommen hat, glaubte ich eigentlich nicht, dass sie noch mal mit ihm ausgehen würde.«

»Im Moment sagt sie, dass sie ihn nicht wiedersehen will«, sagte Beth. »Er hat zwar seit Weihnachten ein paar Mal versucht, mit ihr zu sprechen, aber sie ist immer noch sehr erbost darüber, wie seine Mutter sich verhalten hat. Er hätte ihr die Stirn bieten und Maggie in einem solchen Augenblick beschützen müssen …«

Sally schüttelte den Kopf. »Er hat sich wirklich nicht gut benommen.«

»Ich mag ihn nicht und hoffe, dass sie sich nicht wieder mit ihm einlässt«, gab Beth zu. »Übrigens habe ich heute Morgen eine Postkarte aus Irland bekommen. Jacks Schiff liegt dort wegen eines Sturmschadens im Dock. Er selbst ist schon auf dem Heimweg und wird die ganze nächste Woche Urlaub haben.«

»Du Glückliche«, sagte Sally lächelnd, weil sie Beth’ Freund mochte.

»Danke für den Kaffee«, sagte Beth, »aber ich gehe jetzt besser wieder. Miss Hart ist wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden und heute auf dem Kriegspfad.«

»Wann ist sie das mal nicht?« Sally lachte. »Ich weiß, dass auch sie keine einfache Aufgabe hat, aber das gilt für Mr. Stockbridge auch, und er schafft es trotzdem immer, zu allen nett zu sein.«

Beth stimmte ihr zu und ging, wobei sie Miss Summers, Sallys Sekretärin, beim Durchqueren des Vorzimmers freundlich grüßte. Sie beneidete ihre Freundin jedoch nicht wirklich um diesen Job, auch wenn er gut bezahlt war und Extras wie den Morgenkaffee enthielt, der Sally auf einem Tablett hereingebracht wurde.

Als Beth zum Aufzug ging, verließ Mr. Stockbridge gerade sein Büro und sprach mit Mr. Marco und Mr. Brown, dem neuen Einkäufer, einem Mann im ähnlichen Alter, der klein und dunkelhaarig war und etwas ängstlich wirkte. Er kümmerte sich um den Einkauf für die Herrenabteilung, die bisher am wenigsten erfolgreich lief, was sich aber bereits zu ändern begann.

»Guten Morgen, die Herren«, sagte Beth im Vorbeigehen zu ihnen.

»Guten Tag, Miss Grey«, antwortete Mr. Marco mit einem schelmischen Blick, der sie daran erinnerte, dass es schon weit nach Mittag war.

»Richtig, Sir«, sagte sie lachend, als er ihr diskret zuzwinkerte.

Mr. Brown machte ein Gesicht, als ob er Zahnschmerzen hätte, und sie fragte sich, wie zwei Menschen derart unterschiedlich sein konnten – aber Mr. Marco hatte ja auch eine Aufgabe, die er liebte, und war sehr erfolgreich auf seinem Gebiet, während Mr. Brown wahrscheinlich nicht ganz so glücklich mit seiner Arbeit war. Ja, es ist wohl wirklich besser, wenn man Freude hat an dem, was man tut, dachte Beth.

Hüte zu verkaufen machte ihr Spaß. Es fiel ihr leicht, und sie war gut darin. Natürlich hätte sie auch nichts gegen Rachels Position als Abteilungsleiterin gehabt, aber sie neidete sie ihr nicht. Es war nur so, dass die Bezahlung für ihre Arbeit nicht immer ausreichte und sie gern einen höheren Posten gehabt hätte, um etwas mehr Geld zu verdienen und Jack helfen zu können, auf sein eigenes Geschäft zu sparen. Er war so begeistert von dem Hotel, das er sich wünschte, und sie wiederum liebte es, wenn er daheim und nicht auf See war. Sie würde sich sehr einsam fühlen, wenn er unterwegs war, hätte sie nicht ihre Freundinnen gehabt, mit denen sie zusammenlebte.

Beth kehrte gerade noch rechtzeitig zu ihrem Ladentisch zurück, als der Andrang begann. Sie verbrachte die nächsten drei Stunden damit, Kundinnen zu bedienen. Außerdem räumte sie ihre Auslage auf und holte neue Ware aus dem Lager. Sally hatte eine ganze Menge heller Strohhüte für das Frühjahr gekauft, die sich trotz des anhaltend kalten Wetters schon gut verkauften. Die Damen hatten genug von dem langen Winter, und ein neuer Hut wirkte immer ein wenig aufheiternd.

Beth dagegen hatte es nicht nötig, sich mit einem neuen Hut aufzumuntern, da Jack wieder auf Urlaub heimkam. Sie wusste, sie würden an mehreren Abenden zusammen ausgehen, und wenn auch nur auf einen Drink im Pub oder bei ihm zu Hause. Beth lächelte bei dem Gedanken. Sie würde bei Fred Burrows vorbeischauen, um ein wenig mit ihm zu plaudern, bevor sie nach Hause ging. Dann würde sie ihm auch erzählen, dass sie Nachricht von seinem Sohn hatte und dass er am Wochenende oder vielleicht sogar noch vorher bei ihnen sein würde.

***

Fred grinste Beth breit an, als sie im Souterrain vorbeischaute, das sein Reich war. Er war einer der Letzten, die noch arbeiteten, und er vergewisserte sich, dass alles sicher war, bevor er für den Abend abschloss. Wie Mr. Stockbridge hatte auch er einen Schlüssel für den Personaleingang und kontrollierte jeden Abend zusammen mit dem Geschäftsführer sämtliche Türen und Fenster, bevor sie beide gingen. Er hatte inzwischen einen jungen Helfer namens Willie Jones, der ihm einen Teil der Arbeit abnahm. Willie war gerade einmal fünfzehn Jahre alt, und dies war sein erster Job. Beth mochte den sommersprossigen, aufgeschlossenen Jungen und war froh darüber, dass Fred nun endlich Unterstützung hatte.

»Das sind ja wunderbare Neuigkeiten, Beth«, sagte er, als sie ihm die Nachricht von Jacks Rückkehr überbrachte. »Du musst unbedingt mal abends zum Essen kommen, wenn er zu Hause ist. Wenn wir Glück haben, taucht sogar Tim auf, der seinen Bruder sicher auch sehen möchte.«

Beth lächelte. »Ich wette, dass Tim begeistert ist, dass das Royal Flying Corps jetzt endlich auch einen eigenen Militärflugplatz hat, dort oben in Schottland.«

»Ich bin gar nicht so erfreut darüber, dass er jetzt die Hälfte der Zeit dort oben stationiert ist«, erwiderte Fred seufzend. »Ich weiß, dass er ein erwachsener Mann ist, Beth, aber ich hätte ihn trotzdem gerne hier bei mir in der Nähe.«

»Na, dann wollen wir doch mal hoffen, dass er bald Urlaub bekommt«, sagte Beth aufmunternd. »Wir besorgen Fisch und Chips und ein paar von diesen eingelegten Zwiebeln, die deine Freundin Martha auf dem Markt verkauft.«

»Aye, Martha macht einfach das beste Essiggemüse«, stimmte Fred ihr zu. »Oder zumindest das beste, das ich je probiert habe.«

»Ja, das finde ich auch«, sagte Beth und lächelte ihn an. »Aber jetzt muss ich los, Fred. Ich gehe heute Abend zu einem Vortrag über Frauenrechte – es ist keine der großen Kundgebungen, sondern nur ein Treffen von Freunden. Wir wollen darüber reden, wie die Dinge laufen. Wir müssen im Moment ein bisschen vorsichtig sein nach dem, was Emmeline Pankhurst getan hat.«

»Ja, das arme Ding«, sagte Fred. »Sie werden diese Frau diesmal ins Gefängnis stecken, und wie sie Mädchen und Frauen dort behandeln, ist manchmal wirklich schrecklich. Wie die Zwangsernährung dort, die geradezu schändlich ist. Pass nur gut auf, dass du dich nicht auch in Schwierigkeiten bringst und hinter Gittern landest.«

»Heute Abend gehen nur Mrs. Craven und ich dorthin, aber nicht zur Veranstaltung von Mrs. Pankhursts Gruppierung, sondern nur zu unseren Leuten, die nicht so militant sind. Aber leider denken die Menschen, wir wären alle gleich«, gab Beth zu. »Aber gut, wir sehen uns dann morgen, Fred.«

»Gute Nacht, Beth«, antwortete der alte Mann. »Ich freue mich schon darauf, dich nächste Woche zum Abendessen bei uns zu sehen! Und sei morgen früh schön pünktlich, weil ich gleich als Erstes eine Ladung Waren in eure Abteilung bringen werde …«

Sie winkte ihm zu und verbarg ein Lächeln, als Willie ihr mit einem breiten Grinsen zuzwinkerte. Ihr Leben schien im Moment so viel erfüllter zu sein als damals, als sie noch zu Hause bei ihrer kranken Mutter gelebt hatte.

 

Sehr zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass Christabel Pankhurst England verlassen wird, um eine Zeitlang in Paris zu leben«, sagte die Rednerin. Sie stand auf der Bühne eines kleinen, für die Versammlung angemieteten Saals, der randvoll war mit Damen, die jedes ihrer Worte gespannt verfolgten. »Wir werden ihre Anwesenheit sehr vermissen, aber wegen des unmenschlichen Cat and Mouse Act kann sie nicht in England bleiben …«

Bei dem sogenannten Cat and Mouse Act handelte es sich um ein Gesetz, das von Mr. Asquiths liberaler Regierung eingeführt worden war, um den Widerstand derjenigen Suffragetten zu brechen, die in den Hungerstreik traten, wenn sie wegen ihres Einsatzes für die Rechte der Frauen verhaftet wurden. Aufgrund des zunehmenden Protests gegen die Zwangsernährung von Frauen, die in den Hungerstreik getreten waren, hatte das Parlament beschlossen, die Hungerstreikenden freizulassen, wenn sich ihr Zustand in der Haft zu sehr verschlechterte. Sobald sie wieder zu Kräften gekommen waren, konnten sie erneut verhaftet werden. Man glaubte, mit diesem Gesetz ihren Widerstand brechen zu können. In der gesamten Bewegung, im militanten wie im gemäßigten Flügel, war dieses Gesetz verhasst.

Christabel Pankhurst, eine attraktive, kluge und engagierte Frau, war die Tochter von Emmeline Pankhurst und ihres hingebungsvollen Vaters, der sie alle uneingeschränkt in ihrer Sache unterstützte. Christabel hatte eine hervorragende Ausbildung genossen und wurde zur Mitbegründerin der WSPU, der Women’s Social Political Union, wodurch sie die Bewegung in zwei Flügel aufgespalten hatte, in einen militanten und einen, der sich für eher passive Formen des Protests aussprach. Aber es bestand Einigkeit darüber, dass ihre Abwesenheit für die Bewegung sehr schmerzlich sein würde. Doch da sie schon mehrfach inhaftiert worden war, musste sie Großbritannien eine Zeitlang fernbleiben, um ihre Kraft und Gesundheit wiederzuerlangen.

»Unsere Schwester wird selbstverständlich mit uns in Kontakt bleiben und uns von Paris aus führen«, erläuterte die Sprecherin. »Und auch die liebe Emmeline sieht sich wieder einmal der Brutalität des Gesetzes gegenüber, und deshalb bitte ich Sie, mit mir für sie zu beten, Schwestern.«

Alle standen auf und beteten gemeinsam dafür, dass Emmeline Pankhurst die Strapazen des Prozesses und der Inhaftierung wohlbehalten überstehen möge, und dann war die Versammlung auch schon beendet. Es war vorgeschlagen worden, sehr bald schon einen Protestmarsch durch London zu veranstalten und die gesamte Bewegung darüber zu informieren. Zum Zeichen der Unterstützung würden Spruchbänder und anderes Material zum Einsatz kommen, aber diesmal würde es ein friedlicher Protest sein.

»Wir sollten den Behörden keinen Anlass geben, uns so schlecht zu behandeln«, fügte die Sprecherin hinzu. »In anderen Ländern bringt man uns mehr Respekt entgegen, aber hier scheinen unsere Politiker blind und taub für unsere Forderung nach Gleichberechtigung zu sein.«

»Ja, ich glaube auch, dass es in Amerika für uns Frauen besser aussieht«, stimmte Rachel zu, als sie und Beth nach der Versammlung heimgingen. »Wie können unsere Politiker also so blind sein? Warum können sie nicht einsehen, dass es bloß eine Kleinigkeit für sie wäre, uns das Wahlrecht zuzugestehen?«

»Vielleicht fürchten sie, dass wir noch mehr verlangen, wenn das erst einmal erreicht ist«, meinte Beth. »Frauen haben schon immer ihren Ehemännern gehorcht und für Herren gearbeitet, die sie wie Hausangestellte behandelt haben. Wenn wir wählen dürfen, können wir auch gleiche Rechte bei der Arbeit und beim Vergnügen einfordern …«

»Ich wüsste nicht, inwiefern es einem Mann schaden könnte, wenn eine Frau dieselben Rechte hat.«

»Und den gleichen Lohn«, fügte Beth hinzu. »Aber wer Frauen in seinen Fabriken beschäftigt, wäre nie bereit, ihnen genauso viel zu zahlen wie den Männern.«

»Und warum nicht, wenn sie genauso viel arbeiten wie die Männer?«

»Ein Mann würde jetzt behaupten, dass das gar nicht möglich wäre, und wahrscheinlich ist das bei einigen körperlichen Tätigkeiten auch tatsächlich so«, erwiderte Beth lächelnd. »Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass eine von uns beiden gut darin wäre, Straßen aufzureißen oder Häuser zu bauen, meinst du nicht?«

»Nein, das glaube ich auch nicht«, sagte Rachel lachend. »Aber wir sind genauso gut darin wie sie, in einem Laden zu bedienen.«

»Vielleicht sogar noch besser«, meinte Beth. »Aber ich glaube nicht, dass unsere männlichen Kollegen bei Harpers sehr erfreut wären, wenn wir genauso viel verdienen würden wie sie.«

»Nein, das wären sie ganz sicher nicht«, stimmte Rachel zu, als sie gerade die Bushaltestelle erreichten. Heute Abend hatte es draußen vor dem Versammlungsraum ausnahmsweise keinen Ärger gegeben, weil das Treffen nicht öffentlich angekündigt worden war. Gemeinsam fühlten sie sich aber auch einigermaßen sicher, auch wenn keine von ihnen bei Nacht gern allein unterwegs gewesen wäre.

Als sie in den Bus einstiegen, der sie nach Hause bringen würde, schwiegen sie nachdenklich. Sie hatten beide entschieden, an dem friedlichen Protestzug teilzunehmen. Aber sie wussten genauso gut wie alle Frauen bei der Versammlung, dass es bei solchen Protestmärschen nicht immer möglich war, den Frieden aufrechtzuerhalten. Provokateure würden versuchen, die Veranstaltung zu sprengen, und wenn es zu Gewalttätigkeiten kam, würde die Polizei diese zum Vorwand nehmen, um die Versammlung aufzulösen und die teilnehmenden Frauen zu verhaften … wobei es keinen Unterschied machen würde, ob sie zu der pazifistischen Seite der Bewegung oder zur militanten gehörten.

***

»Ich bin so froh, dass du wohlbehalten wieder daheim bist!«, begrüßte Beth Jack, als er am nächsten Abend draußen vor Harpers auf sie wartete. Sie warf sich ihm in die Arme und drückte ihn an sich, weil sie so unendlich glücklich war, ihm wieder nahe sein zu können. Und jedes Mal, wenn sie ihn wiedersah, verliebte sie sich mehr und mehr in ihn.

»Ich konnte es auch kaum noch erwarten, dich zu sehen«, antwortete er. »Ich habe mein Auto dabei – sollen wir eine kleine Spazierfahrt machen, bevor ich dich nach Hause bringe?«

»Oh ja, bitte!«

Jack öffnete ihr die Autotür, und sie stieg ein. Er lächelte ihr zu, bevor er den Wagen von der Bordsteinkante auf die Straße lenkte.

»Du fehlst mir sehr, wenn du nicht da bist, Jack«, sagte sie leise.

Auch diesmal antwortete er nicht, sondern lächelte sie nur an, bis er auf den Parkplatz eines Gasthofs einbog, der für sein gutes Essen bekannt war.