Nachwuchs in der Mulberry Lane - Rosie Clarke - E-Book
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Nachwuchs in der Mulberry Lane E-Book

Rosie Clarke

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Beschreibung

Der Krieg wütet in London, doch neues Leben bringt Hoffnung und Freude in die Mulberry Lane…

1941, Mulberry Lane, London. Für die Bewohner in der Mulberry Lane brechen harte Zeiten an, denn der Krieg beherrscht die Stadt. Während die Männer weit weg an der Front kämpfen, warten ihre Frauen sehnsüchtig auf Briefe und Nachrichten, um zu wissen, dass es ihnen gut geht. Und es gibt auch Hoffnung: Peggy erwartet Zwillinge und Maureen hat ebenfalls gute Neuigkeiten. Doch dann verläuft Peggys Schwangerschaft nicht wie erwartet und sie ist erneut auf die Hilfe ihrer Freundinnen angewiesen.Als wäre das alles nicht genug, steht eines Tages Helen Barnes vor ihrer Tür und bittet Peggy um Hilfe.

Anne Riley lernt durch Zufall den jungen Soldaten Kirk Ross kennen, in den sie sich augenblicklich verliebt. Hat Anne endlich den Mann ihrer Träume getroffen?

Währenddessen vermisst die frisch verheiratete Ellie Morris ihren Mann, der im Kriegseinsatz ist. Um sich abzulenken, geht sie abends aus und flirtet mit den Soldaten. Doch dafür muss sie einen bitteren Preis zahlen, der ihr ganzes Leben zu zerstören droht …

Liebe, Tod und Hoffnung - Das Schicksal der Mulberry Lane in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die große London-Saga für alle Fans von Donna Douglas, Katharina Fuchs und Ulrike Renk. Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Über das Buch

Der Krieg wütet in London, doch neues Leben bringt Hoffnung und Freude in die Mulberry Lane …

1941, Mulberry Lane, London Für die Bewohner in der Mulberry Lane brechen harte Zeiten an, denn der Krieg beherrscht London. Während die Männer weit weg an der Front kämpfen, warten ihre Frauen sehnsüchtig auf Briefe und Nachrichten, um zu wissen, dass es ihnen gut geht. Und es gibt auch Hoffnung: Peggy erwartet Zwillinge und Maureen hat ebenfalls gute Neuigkeiten. Doch dann verläuft Peggys Schwangerschaft nicht wie erwartet und sie ist erneut auf die Hilfe ihrer Freundinnen angewiesen. Als wäre das alles nicht genug, steht eines Tages Helen Barnes vor ihrer Tür und bittet Peggy um Hilfe. Anne Riley lernt durch Zufall den jungen Soldaten Kirk Ross kennen, in den sie sich augenblicklich verliebt. Hat Anne endlich den Mann ihrer Träume getroffen? Währenddessen vermisst die frisch verheiratete Ellie Morris ihren Mann, der im Kriegseinsatz ist. Um sich abzulenken, geht sie abends aus und flirtet mit den Soldaten. Doch dafür muss sie einen bitteren Preis zahlen, der ihr ganzes Leben zu zerstören droht …

Liebe, Tod und Hoffnung – Das Schicksal der Mulberry Lane in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die große London-Saga für alle Fans von Donna Douglas, Katharina Fuchs und Ulrike Renk. Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Über Rosie Clarke

Rosie Clarke ist eine englische Autorin, die bereits seit vielen Jahren Romane schreibt. Sie lebt in Cambridgeshire, ist glücklich verheiratet und liebt das Leben mit ihrem Mann. Wenn sie nicht gerade faszinierende Geschichten über starke Frauen schreibt, dann verbringt sie ihre Zeit gerne in Marbella und genießt das gute Essen und die spanische Sonne. Allerdings hält sie es dort nie allzu lange aus, denn das Schreiben neuer Romane ist ihre größte Leidenschaft.

Uta Hege lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Saarbrücken. Mit dem Übersetzen englischer Titel hat sie ihre Reiseleidenschaft und ihre Liebe zu Büchern perfekt miteinander verbunden und ihren Traumberuf gefunden

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Rosie Clarke

Nachwuchs in der Mulberry Lane

Übersetzt aus dem Englischen von Uta Hege

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Impressum

1

An diesem Morgen im Dezember 1941 war es bitterkalt. Eine dicke Frostschicht überzog die Regenrinnen und die Dächer, und die Fenster der Geschäfte und der Häuser wiesen feine weiße Muster auf, als hätten die Betreiber und Bewohner über Nacht von außen Spitzenvorhänge dort angebracht. Da die Bürgersteige vereist waren, bahnte sich die Frau vorsichtig einen Weg über die Straße und klappte erschaudernd ihren Mantelkragen hoch. Irgendwo briet jemand Röstkastanien über einem offenen Feuer, und der Duft rief ein Gefühl von Hunger in ihr wach. Sie sah sich um, die Schaufenster aber lagen im Dunkeln, und mit Ausnahme von Mrs. Tandy, die den kleinen Wollladen betrieb, hatte keiner der Geschäftsleute die Auslagen wie in den anderen Jahren vorweihnachtlich geschmückt. Der Winter war auch sonst in dieser Gegend eine trübe Angelegenheit, doch seit den Bombardierungen im Frühjahr und im Sommer sahen die Gassen richtiggehend trostlos aus. Die Trümmer des Gebäudes dort, wo einmal die Kanzlei gestanden hatte, waren so weit abgetragen worden, dass das Grundstück halbwegs sicher war, aber die geschwärzten Mauerreste wirkten traurig und verloren, und die Bürgersteige waren genauso schmutzig wie vor allen anderen Trümmergrundstücken der Stadt. Allerdings waren weder die Ruinen noch die Kälte der Grund, aus dem die Stirn der jungen Frau in Falten lag.

»Hallo«, grüßte Anne, als sie die junge Ellie Morris vor dem Haus des Schusters unterhalb des Pig & Whistle traf. Sie lächelte das hübsche Mädchen, das ihr immer wunderbar die Haare machte, an. »Ich hab später noch vorbeikommen wollen. Könntest du mir Freitag nach der Schule wohl die Haare schneiden? Sagen wir, gegen halb fünf? Bis die letzten Kinder weg sind, dauert es immer etwas.«

»Ich kann Sie sicherlich dazwischenschieben.« Ellie lächelte sie freundlich an. »Vielleicht müssen Sie ein paar Minuten warten, aber wenn ich in den Laden komme, trage ich Ihren Termin sofort in den Kalender ein.«

»Danke.« Anne erschauderte. »Echt kalt heute, nicht wahr?«

»Ich hasse den Winter und die Dunkelheit.« Angewidert verzog Ellie das Gesicht. »Aber nun muss ich mich beeilen und aufsperren, bevor die nächste Kundin kommt.«

Anne nickte und betrat die Werkstatt von Bob Hall. Sie hatte zwei Paar Schuhe, deren Sohlen abgelaufen waren, doch das dicke Gummi, mit dem Bob sie heutzutage reparierte, fand sie einfach grauenhaft, denn anders als die schönen dünnen Ledersohlen, die er sonst verwendet hatte, ruinierten sie die Form des ganzen Schuhs.

Er saß hinter dem Tresen seiner kleinen, ziemlich dunklen Werkstatt, in der es nach Leder, Politur und Klebstoff roch, und hämmerte an einem Paar Armeestiefeln herum.

Als Anne den Raum betrat, hob er den Kopf und stand mit einem einladenden Lächeln auf. »Guten Tag, Miss Riley. Schön, Sie wieder mal zu sehen. Werden Sie jetzt auf Dauer hier in London bleiben?«

»Das kann ich noch nicht sicher sagen, Mr. Hall.« Sie hatte das Gefühl, als ob sie von der Kälte draußen eine leuchtend rote Nase hätte, und schob sich verlegen eine Strähne ihrer seidigen hellbraunen Haare aus der Stirn. »Wir machen ein paar Schulen wieder auf. Das heißt, zumindest haben wir übergangsweise schon einmal eine für die Kinder, die zurück sind, aufgemacht. Ein paar von ihnen haben es nicht geschafft, sich an das Leben auf dem Land und an die fremden Menschen zu gewöhnen, und seit die Bombardierungen nachgelassen haben, wollen auch die Mütter sie endlich zu Hause haben, weil sie denken, dass es zwischenzeitlich wieder halbwegs sicher ist. Auf alle Fälle will ich weiter unterrichten, wenn das möglich ist.«

»Ich bin mir sicher, dass sich Mrs. Ashley freut, dass Sie nun wieder abends ab und zu im Pub aushelfen können – und sicher sind auch alle Ihre Freundinnen und Freunde froh, dass Sie wieder in London sind.«

»Das hoffe ich.« Anne lächelte, denn sie ging Peggy Ashley, die das Pig & Whistle führte und mit der sie gut befreundet war, tatsächlich gern zur Hand. Sie nahm die Schuhe aus dem Korb an ihrem Arm und stellte sie dem Schuster hin. Ein Paar eleganter grauer Wildlederpumps und ein Paar schwarzer Schnürschuhe, die sie im Grunde längst schon gegen ein Paar neuer Schuhe hätte tauschen sollen. »Ich habe mich gefragt, ob Sie die beiden Paare wohl mit neuen Ledersohlen und Absätzen versehen können.«

»Die Pumps bestimmt«, erklärte er, nachdem er sie sich angesehen hatte. »Aber für die schwarzen Schuhe wäre Gummi besser, denn sie brauchen ordentliche, dicke Sohlen, wenn sie noch mal die alte Form bekommen sollen.«

»Ich mag die Gummisohlen nicht, die sind so furchtbar schwer«, gestand ihm Anne mit einem Seufzer ein. »Aber ich nehme an …«

»Es gibt auch dünnere Gummisohlen …« Bevor er sie ihr zeigen konnte, ging die Tür des Hinterzimmers auf, und ein Mann in Armeehose mit Hosenträgern über einem Unterhemd und mit nackten Armen und Schultern kam herein.

»Bob, sind die Stiefel fertig …« Errötend brach er ab. Er war ordentlich rasiert, duftete nach Seife und war mit den hohen Wangenknochen, den dichten dunklen Locken und den blauen Augen mit den dicken Wimpern, auf die sicher alle jungen Frauen neidisch waren, ausnehmend attraktiv. »Verzeihung, Miss. Ich wusste nicht, dass ich auf eine Lady treffen würde, als …«

»Du kannst in einem solchen Aufzug doch nicht einfach in den Laden kommen, Kirk«, schalt Bob. Obwohl er deutlich älter war und graue Schläfen hatte, war die Ähnlichkeit der beiden nicht zu übersehen. »Es tut mir leid, Miss Riley«, wandte er sich wieder seiner Kundin zu. »Kirk ist der Junge meiner Schwester und für ein paar Tage zu Besuch.«

»Kirk Ross«, stellte sich der Soldat jetzt vor und reichte Anne die Hand. Sie merkte, dass die Nägel abgebrochen, aber sauber und die Finger lang und wohlgeformt, infolge harter, körperlicher Arbeit jedoch schwielig waren. »Es tut mir leid, falls ich Sie in Verlegenheit gebracht habe, Miss Riley.«

»Kein Problem«, gab sie zurück, selbst wenn ihr Herz beim Anblick dieses gut aussehenden Mannes etwas schneller als gewöhnlich schlug. Er wirkte fit und durchtrainiert, und seine Muskeln hätten selbst einen Gewichtheber mit Stolz erfüllt. »Ich habe auch schon vorher hin und wieder einen Mann im Unterhemd gesehen, Mr. Ross.« Dann aber wandte sie sich erneut dem Schuster zu. »Also gut, dann nehmen wir Ledersohlen für die grauen und Gummi für die schwarzen Schuhe, denn diese sind inzwischen sowieso so abgelatscht, dass ich mir längst schon hätte neue besorgen sollen, nur dass es einfach nichts zu kaufen gibt, was mir gefällt.«

»Alles klar, Miss Riley. Ich werde das dünnste Gummi nehmen, das ich auf Lager habe, und bis Freitag müssten Ihre Schuhe fertig sein.«

»Danke und noch einen schönen Tag, Mr. Hall … und Mr. Ross.«

Mit diesen Worten trat sie wieder in die kalte Luft hinaus. Es hatte sie ein wenig überrascht, als Bobs Neffe halb bekleidet ins Geschäft gekommen war, doch einen Mann mit einem solchen Körper hatte sie bisher nicht oft gesehen und konnte es kaum erwarten, Peggy von dem kleinen Zwischenfall beim Schuster zu erzählen. Sie wollte sowieso noch kurz bei ihr vorbeischauen, um ihr zu berichten, dass sie jetzt in ihrer Nähe wohnte, weil sie tatsächlich bei Mavis Basset eingezogen war. Auf die Idee hatte die Wirtin sie gebracht, und wenn sie ihr in Zukunft so wie heute Abend in der Wirtschaft helfen wollte, hätte sie es nicht mehr weit. Außerdem hätte sie heute Morgen auf diese Art genügend Zeit, um ausgiebig mit ihr zu schwatzen, ehe sie nach Hause gehen müsste, um sich für den Abend umzuziehen. Mit diesen Augen und mit diesen Muskeln würde Kirk für einiges an Aufhebens in ihrer Gegend sorgen, und sie fragte sich, ob er vielleicht des Öfteren ins Pig & Whistle kommen würde, während er bei seinem Onkel war. Mit etwas Glück würde sie ihn dann ja vielleicht bereits am Abend wiedersehen.

*

Anne lächelte verstohlen, als sie eine halbe Stunde später wieder aus der Küche ihrer Freundin kam. Sie hatten einen netten Plausch gehalten und gelacht, und jetzt kam es ihr vor, als ginge es in ihrem Leben endlich wieder mal bergauf. Nach ihrer unglücklichen Liebschaft mit einem verheirateten Mann hatte die Schulbehörde sie im ganzen Land herumgeschickt, um die Beschulung der dorthin evakuierten Kinder zu organisieren. Nun aber war sie wirklich froh, dass sie wieder in London in der Nähe ihrer Freundinnen und Freunde war.

Bei Peggy gab es immer eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen, obwohl ihre Freundin selbst Probleme hatte, weil sie sich von ihrem Ehemann entfremdet hatte, der im Auftrag der Regierung irgendwo in Schottland war. Anne betrachtete sie fast als Schwester und bewunderte sie grenzenlos. Inzwischen war Peggy Anfang vierzig und hatte schon zwei erwachsene Kinder und die kleine Enkeltochter Maggie, aber es schien ihr nicht das Geringste auszumachen, dass sie jetzt noch einmal schwanger war.

Ihre andere gute Freundin Maureen Hart lebte im Haus ihrer Großmutter, das ebenfalls ganz in der Nähe lag. Vor einem guten Monat erst war sie die Frau von Gordon Hart geworden, hatte eine Tätigkeit als Schwesternhelferin im London Hospital, die ihr gefiel, und kümmerte sich rührend um die kleine Tochter ihres Mannes, Shirley, während er mit der Armee wer weiß wo war. Auch sie erwartete ein Kind und hatte Anne in ihr Geheimnis eingeweiht, dass Gordon nicht der Vater war, sie jedoch darin übereingekommen waren, so zu tun, als wäre es von ihm. Er war eben ein anständiger Mann, und Anne hatte Maureen nie glücklicher erlebt, als seit sie seine Frau geworden war. Er hatte bereits für sie geschwärmt, als Maureen selbst sich eingebildet hatte, dass sie Rory Mackness lieben würde, und als dieser Schuft sie abermals im Stich gelassen hatte, hatte Gordon sie gebeten, ihn zu heiraten, und ihr versprochen, wie ein echter Vater für ihr Baby da zu sein.

Sie hatte wirklich großes Glück mit ihm gehabt, sagte sich Anne und seufzte leise auf. Und auch Peggy hatte es mit ihrer letzten Liebe gut getroffen, nahm sie an. Sie hatte Anne zwar nie erzählt, dass etwas zwischen ihr und diesem jungen amerikanischen Soldaten lief, bei ihrer Arbeit in der Wirtschaft hatte Anne allerdings bemerkt, dass Able Peggy immer angesehen hatte, so, als wäre sie für ihn die schönste Frau der Welt. Auf eine solche Art geliebt zu werden musste einfach herrlich sein.

Dann aber war der arme Able Ronoscki auf einem Flug in Richtung Belgien mit seinem Leichtflugzeug verschollen. Er hatte Peggy als die nächste Angehörige genannt, was Anne verriet, dass ihre Freundin dem Mann sehr wichtig gewesen war. Obwohl Peggy nicht darüber sprach, konnte Anne nachvollziehen, dass sie in einer Zeit, in der der Tod allgegenwärtig war, die Chance auf Liebe und Glück hatte ergreifen wollen. Nach den Verheerungen der Bombardierungen im Frühjahr und Sommer und da selbst die kleinsten Luxusgüter, die sie früher einfach als gegeben hingenommen hatten, knapp geworden waren, war das Leben kostbar, und man musste jede Gelegenheit nutzen, die sich einem bot.

Anne wünschte sich, sie hätte ebenfalls die Chance, einmal im Leben wahrer Liebe zu begegnen, denn in ihrem tiefsten Inneren war ihr schon zu Anfang der Affäre mit dem Rektor ihrer alten Schule klar gewesen, dass sie nicht von Dauer wäre, auch wenn sie so dumm gewesen war, sich sein Lamento über seine angebliche Einsamkeit und dass er sie so dringend bräuchte, anzuhören. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn er tatsächlich bereit gewesen wäre, sich von seiner Ehefrau zu trennen, aber am Ende hatte ihm der Mut dazu gefehlt, und nach der Trennung war Anne noch keinem anderen Mann begegnet, an dem ihr tatsächlich etwas lag. Das hatte sie sich zwar im Sommer eingebildet, am Ende hatte es dann allerdings doch nicht funktioniert. Das hieß, sie war jetzt mal wieder allein, und niemand führte sie zum Tanzen aus oder schenkte ihr zum Geburtstag einen Blumenstrauß, weshalb sie trotz der Arbeit, die sie liebte, und der vielen Freundinnen und Freunde, die sie hatte, häufig einsam war. Da zu allem Überfluss die meisten jungen Männer kämpfen mussten, war es alles andere als einfach, jemanden zu finden, der noch jung und ungebunden war.

Seufzend ging sie bis zum letzten Haus der Straße und dort weiter in die Küche, in der Mavis Basset gerade Wasser in den Kessel gab und lächelte, als sie sie kommen sah. Sie war eine Frau von Mitte sechzig, grauhaarig, relativ klein und leicht gebeugt, mit Hauspantoffeln an den Füßen und einer blau-weiß gestreiften Schürze über ihrem Kleid. Sie trug ein feines graues Haarnetz über ihren festen Locken, eine Brille mit pinkfarbenem Gestell und duftete nach dem Lavendelwasser, das sie wie so viele Frauen ihres Alters gerne nahm.

»Da sind Sie ja, Miss Riley«, grüßte sie. »Wie wäre es mit einer Tasse Tee? Und wenn Sie möchten, mache ich uns gern Gemüsewürstchen und Kartoffelbrei.«

»Das ist lieb von Ihnen, aber ich habe keinen Hunger«, antwortete Anne. »Ich habe in der Schule was gegessen, und bevor ich Peggy heute Abend in der Wirtschaft helfe, muss ich erst noch ein paar Hefte korrigieren.«

»Na dann.« Die arme Mavis Basset verzog traurig das Gesicht. »Aber für eine Tasse Tee haben Sie doch bestimmt noch Zeit.«

Obwohl sie gerade erst bei Peggy einen Tee getrunken hatte und später im Pub eine Kleinigkeit essen würde, konnte sie das Angebot nicht ablehnen, weil die alte Dame offenkundig ziemlich einsam war.

»Das wäre schön«, erklärte sie. »Morgen kaufe ich ein Päckchen Tee und etwas Zucker, damit unser Tee nicht immer nur auf Ihre Kosten geht. Zum Frühstück esse ich normalerweise lediglich einen Toast mit Marmelade oder einen Muffin, wenn ich welche kriege, also werden Sie mit mir kaum Arbeit haben, Mrs. Basset«, fügte sie hinzu.

»Nein …« Anscheinend hätte sich die arme Mavis diese Arbeit durchaus gern gemacht. »Das müssen Sie natürlich halten, wie Sie wollen, Miss Riley – oder darf ich Anne zu Ihnen sagen?«

»Selbstverständlich dürfen Sie, und ich werde Sie Mavis nennen, ja?«, schlug Anne ihr lächelnd vor und setzte sich auf einen Stuhl am Tisch. »Wir sind jetzt schließlich Freundinnen, nicht wahr?«

*

Anne wusste nicht, warum sie an diesem Abend ihren schönsten grauen Faltenrock und eine hübsche weiße Bluse trug. Das hieß, im Grunde wusste sie es durchaus, doch sie hätte sich niemals eingestanden, dass sie diese Dinge in der Hoffnung angezogen hatte, Kirk Ross würde ins Pig & Whistle kommen. Auf alle Fälle fühlte sie sich in den Sachen, mit dem breiten roten Ledergürtel und den neuen Schuhen aus rotem Wildleder – die sie erst nach der Ankunft in der Wirtschaft angezogen hatte, weil es ihre besten Schuhe waren –, durchaus wohl. Anders als im Schuldienst, wo sie sich das Haar zu einem strengen Knoten band, trug sie es heute Abend offen, weshalb ihr die leichten Wellen, die sie von Natur aus hatte, locker auf die Schulter fielen, und während sie, nachdem ihr Lieblingspuder kaum noch zu bekommen war, vollkommen ungeschminkt vor ihre Klasse trat, trug sie nun etwas Puder sowie einen Hauch von Lippenstift.

Je später allerdings der Abend wurde, umso stärker ebbte ihre freudige Erwartung ab. Die Gäste kamen und gingen, doch von dem Mann, der hätte kommen sollen, war nichts zu sehen. Sie hatten alle Hände voll zu tun gehabt, allmählich aber legte sich die Hektik, als die Tür geöffnet wurde und zwei lachende Soldaten an den Tresen kamen. Anne räumte gerade ein paar Tische ab, deshalb bediente Peggy sie, dann jedoch drehte Kirk sich um und sah, dass Anne mit einem vollen Tablett in seine Richtung kam.

»Ah, Miss Riley«, grüßte er, und seine blauen Augen fingen an zu leuchten, während er den Blick an ihr herunterwandern ließ. »Onkel Bob hat mir erzählt, dass Sie hier abends manchmal arbeiten …«

»Das stimmt. Ich helfe Peggy gelegentlich aus. Wir müssen schließlich alle unseren Beitrag zu den Kriegsanstrengungen leisten, und es gibt inzwischen kaum noch Personal. So ist es überall. Deswegen machen augenblicklich eben viele Leute neben ihrer eigentlichen Arbeit auch noch einen anderen Job.«

»Wie Sie?« Noch während er die Brauen hob, tippte ihn sein Freund zum Zeichen, dass er ihre Drinks bekommen hätte, auf den Arm.

»Nimm unsere Gläser schon mal mit zum Tisch, Mac«, bat er ihn. »Ich komme gleich …«

Der andere Soldat trug die Getränke zu dem einzigen freien Tisch, bemerkte, dass am Nebentisch ein Mädchen ganz alleine saß, ließ Kirks Glas stehen und nahm mit seinem eigenen Glas dem Mädchen gegenüber Platz.

Kirk lachte. »Typisch Mac. Wenn er ein hübsches Mädchen sieht, gibt es für ihn kein Halten mehr.«

»Und wie sieht es mit Ihnen aus?«, zog Anne ihn lächelnd auf. Normalerweise war sie Fremden gegenüber weniger direkt, den attraktiven und vor allem netten Kirk aber hatte sie auf den ersten Blick gemocht.

»Es kommt drauf an«, klärte er sie mit einem gut gelaunten Augenzwinkern auf. »Ich ziehe echte Ladies vor. Und wenn sie obendrein noch etwas auf dem Kasten haben, bin ich hin und weg. Mein Onkel sagt, Sie hätten vor dem Krieg als Lehrerin gearbeitet?«

»Das mache ich noch immer, und daneben war ich noch in Teilzeit Krankenwagenfahrerin. Aber beim freiwilligen Frauenhilfsdienst wird man sonst wo hingeschickt, und das hätte ich nicht gewollt. Vor allem kann ich neben meiner Arbeit an der Schule tun und lassen, was ich will, und jetzt helfe ich eben hier bei meiner Freundin aus.«

»Das kann ich gut verstehen, denn dieser Pub ist echt nett. So warm und freundlich …«, meinte Kirk und sah ihr ins Gesicht. »Darf ich Sie vielleicht auf einen Drink einladen?«

»Danke für das Angebot, aber wenn ich während meiner Arbeit trinken würde, würde ich wahrscheinlich ständig irgendwelche Gläser fallen lassen oder so.« Sie lachte, auch wenn ihr verräterisches Herz, als sie ihm in die Augen blickte, schneller schlug. Was hatte er nur an sich, dass er ihr, obwohl sie sich kaum kannten, schon derart sympathisch war?

»Wahrscheinlich lädt Sie jeder zweite Gast auf was zu trinken ein.«

»Das kommt tatsächlich öfter einmal vor, aber die meisten wissen, dass ich ablehne. Zumindest alle, die hier aus der Gegend kommen.«

»Sie haben hier sicher jede Menge Freunde.«

»Ein paar …« Ihr wurde klar, dass er versuchte, rauszufinden, ob sie ungebunden war, doch als ein anderer Soldat ein kleines Bier bestellte, kümmerte sie sich erst einmal um den anderen Gast.

Nachdem sie ihn bedient hatte, sah sie sich um und merkte, dass Kirks Freund zusammen mit dem jungen Mädchen aufgestanden war. »Ihr Kumpel will anscheinend gehen.«

Kirk runzelte die Stirn. »Ich hätte dieses Mädchen warnen sollen, dass er nicht mehr ganz nüchtern ist.«

»Sie sollte wirklich etwas vorsichtiger sein«, pflichtete Anne ihm bei. »Das dumme Mädchen ist schließlich verheiratet. Die junge Ellie arbeitet hier in der Nähe als Frisörin und kommt abends regelmäßig in den Pub. Ich sehe öfter, dass sie was mit irgendwelchen fremden Männern trinkt, und wenn ihr Mann dahinterkäme, wäre er wahrscheinlich außer sich. Wenn sie so weitermacht, wird es nicht mehr lange dauern, bis die Leute sich die Mäuler über sie zerreißen.«

»Ja.« Mit grimmigem Gesicht verfolgte Kirk, wie sein Kumpan mit Ellie das Lokal verließ. Auch ein paar andere Gäste wandten sich zum Gehen, und ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass es bereits ziemlich spät geworden war. »Haben Sie Zeit, um sich dazuzusetzen, während ich mein Bier trinke? Oder hole ich mein Glas am besten an die Bar?«

»Ich muss noch ein paar Tische abräumen, aber danach habe ich bestimmt ein paar Minuten Zeit. Sie sollten langsam austrinken, wenn Sie noch was bestellen wollen.«

»Das eine Bier reicht mir vollkommen aus. Haben Sie bald Feierabend?«

»Wenn ich mit dem Abräumen der Tische fertig bin.«

»Und wo wohnen Sie?«

»Am andere Ende der Mulberry Lane.«

»Darf ich Sie dann vielleicht nach Hause bringen – und würden Sie danach vielleicht einmal mit mir ins Kino oder tanzen gehen wollen?«

Nach kurzem Zögern nickte sie. »Das würde mir gefallen … Sergeant?«

»Ja. Ich wurde gerade erst befördert, und das haben mein Freund und ich mit einem Zug durch die Gemeinde feiern wollen. Aber nennen Sie mich doch bitte einfach Kirk. Und jetzt lasse ich Sie erst mal Ihre Arbeit machen, und dann unterhalten wir uns weiter, wenn ich Sie nach Hause bringe, ja?«

»In Ordnung. Also dann bis gleich …«

Lächelnd wandte Anne sich wieder ihrer Arbeit zu. Peggy hatte durch das Läuten ihrer Glocke angezeigt, dass sie bald schließen würden, und die Gäste tranken aus und machten sich allmählich auf den Weg. Voller Vorfreude auf ihren Heimweg trug sie das Tablett mit Gläsern in die Küche und zog ihren Mantel an. Es war genauso interessant, mit Kirk zu sprechen, wie sie angenommen hatte, und sie freute sich auf eine Fortsetzung ihres Gesprächs.

Er wartete auf sie, als sie im Mantel wieder in den Schankraum kam, und bot ihr lächelnd seinen Arm.

»Sie wohnen also am Ende der Mulberry Lane?«

»Ich bin dort erst vor ein paar Tagen eingezogen«, klärte sie ihn auf. »Von dort aus habe ich es nicht weit zu meiner Schule, und vor allem sind alle meine Freundinnen und Freunde hier.«

»Da habe ich ja wirklich Glück gehabt, denn wenn Sie heute früh nicht zu uns ins Geschäft gekommen wären, wären wir uns vielleicht nie begegnet …«

»Wahrscheinlich nicht«, stimmte sie ihm zu und unterzog ihn einer neugierigen Musterung. Er sah fantastisch aus, hatte ein echt nettes Lächeln, sagte, was er dachte, und im Grunde gab es nichts an ihm, was ihr nicht ausnehmend gut gefiel.

Sie wünschten Peggy eine gute Nacht, traten gemeinsam in die Dunkelheit hinaus und gingen den Weg hinauf.

»Ich würde Sie sehr gerne wiedersehen, Anne. Arbeiten Sie jeden Abend – oder haben Sie vielleicht mal Zeit, um mit mir auszugehen?«

»Ich arbeite nur, wenn ich will«, erklärte Anne. »Peggy ist eine gute Freundin, und ich bin nicht bei ihr angestellt.«

»Dann gehen Sie also einmal mit mir aus?«, vergewisserte er sich, nahm ihren Arm und drehte sie zu sich herum. »Ich mag Sie sehr. Das hören Sie wahrscheinlich ständig, aber es ist wahr …«

»Im Grunde höre ich das eher selten …«

»Ach ja? Sind denn alle Männer in der Gegend blind oder bescheuert?«, fragte er und sah sie abermals mit diesem ganz besonderen Lächeln an, bei dem ihr Herz vor Freude einen Salto schlug. »Ich finde, Sie sind eine wunderbare Frau. Sie sehen sehr gut aus, sind alles andere als dumm und haben offenbar ein wirklich gutes Herz.«

»Was sind Sie nur für ein elendiger Schmeichler«, rief sie lachend, während ihr Herz vor Freude sang.

Zwar waren auf der Straße auch noch ein paar andere Leute unterwegs. Infolge der Verdunkelung jedoch waren sie kaum zu sehen, und es war fast, als wären sie beide vollkommen allein. Sie gingen an der leer stehenden Bäckerei vorbei, und plötzlich hörten sie ein Stück vor sich ein Mädchen schreien.

»Was zum Teu… – ich wette, das sind Mac und dieses Mädchen«, knurrte Kirk. »Na, der wird was erleben!« Er lief los, und eilig rannte Anne ihm hinterher.

Es war nicht leicht zu sehen, was da vorn passierte, aber als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten, sah sie einen Soldaten, der ein junges Mädchen gegen eine Mauer drückte, obwohl es wild um sich schlug und gellend schrie. Inzwischen hatte Kirk die zwei erreicht, riss seinen Freund zurück, schlug ihm, damit er zur Besinnung käme, ins Gesicht und packte seinen Arm, bevor er eine Chance hatte, auf ihn loszugehen.

»Hör auf, du dummer Narr, sonst zeige ich dich an.«

»Scher dich zum Teufel, Kirk. Ich habe nichts gemacht …«

»Du bist betrunken, Mac. Wenn eine Lady Nein sagt, heißt das Nein.«

»Sie ist ganz sicher keine Lady. Dieses kleine Flittchen hat es darauf angelegt …«, stieß er mit alkoholbedingt schleppender Stimme aus.

»Habe ich nicht …« Die junge Ellie Morris brach in Tränen aus. »Er hat gesagt, ich sähe einsam aus, und hat mir angeboten, mich zum Bus zu bringen – dabei hat er mir nicht einmal einen Drink spendiert …«

»Sie sollten besser gehen«, empfahl ihr Kirk. »Kommen Sie allein zurecht?«

»Ich habe kein Geld mehr für den Bus …«

Kirk starrte sie durchdringend an, doch schließlich zog er eine Münze aus der Tasche und hielt sie ihr hin. »Fahren Sie nach Hause, und seien Sie in Zukunft etwas vorsichtiger«, gab er ihr mit auf den Weg. »Soldaten auf Urlaub wollen sich amüsieren, und wenn sie was getrunken haben, benehmen Sie sich nicht immer, wie sie sollten. Vergessen Sie das nicht.«

»Danke, dass Sie mir geholfen haben.« Mit einem verschämten Blick auf Anne verschwand sie in der Dunkelheit.

»Ich sollte Mac nach Hause schaffen«, meinte Kirk. »Es tut mir leid, aber ich komme morgen noch mal in den Pub. Dann machen wir was aus, okay?«

»In Ordnung«, sagte sie und sah ihm nach, als er mit Mac zur Werkstatt seines Onkels lief. Wahrscheinlich würde Mac die Nacht dort auf der Couch verbringen und seinen Rausch ausschlafen, der der Grund für sein erbärmliches Verhalten gegenüber einer, wenn vielleicht auch leicht naiven, so doch völlig unschuldigen jungen Frau gewesen war.

Anne sah den beiden hinterher und setzte dann allein den Weg nach Hause fort. Es war ein Jammer, dass es zu dem Zwischenfall gekommen war. Sie hatte sich auf das Gespräch mit Kirk gefreut, doch sie war froh, dass sie noch rechtzeitig genug gekommen waren, um Ellie vor der Vergewaltigung durch diesen Dreckskerl zu bewahren. Auch wenn es dumm von ihr gewesen war, dass sie sich überhaupt von diesem Trunkenbold begleiten lassen hatte und es sicher jede Menge Ärger geben würde, wenn ihr Mann dahinterkäme, was sie trieb, wenn sie alleine war. Sie war bestimmt kein schlechtes Mädchen, aber sie war einsam und litt darunter, dass sie ihren Mann nur alle Jubeljahre einmal sah. Genauso wie für alle anderen waren eben auch für sie die Zeiten nicht gerade leicht.

2

»Ich habe jede Menge Strickmuster, das heißt, ich brauche diese erst mal nicht zurück«, erklärte Maureen Hart, als sie am Montag auf ein kurzes Schwätzchen in das Pig & Whistle kam. Sie wickelte sich aus dem dicken Schal, den sie aufgrund der Eiseskälte trug, und legte ein paar Strickmuster für Babyjäckchen, die sich Peggy von ihr ausleihen wollte, auf den Tisch. »Als ich heute früh am Wollgeschäft vorbeikam, hatte Mrs. Tandy einen Hinweis, dass auch Wolle rationiert wurde, ins Schaufenster gehängt. Selbst wenn man Marken hat, muss sie die Menge, die die Kundinnen bekommen, begrenzen, und bestimmte Farben sind praktisch überhaupt nicht mehr zu beziehen. Aber zartes Gelb und Weiß, Blau und Rosa gibt es anscheinend noch genug.«

»Das heißt, dass man auf jeden Fall noch Babysachen stricken kann. Bei allem anderen müssen wir jetzt eben improvisieren, wie es immer heißt. Ich habe kein Problem damit, ein paar von meinen alten Wollpullovern wieder aufzulösen, damit ich für Janet und mich etwas Neues stricken kann, aber ein Baby braucht ganz einfach ein paar neue Sachen, findest du nicht auch?«

»Mein Baby wird auf alle Fälle neue Sachen kriegen, denn ich habe nirgends was zurückgelegt«, meinte Maureen. »Ich glaube, Mum hat meine Babysachen schon vor Jahren weggegeben, als für den Basar der Kirche oder so gesammelt worden ist. Sie wusste schließlich nicht, dass noch mal ein verdammter Krieg kommen würde und es dann nichts mehr zu kaufen gibt.«

»Woher hätte sie das auch wissen sollen?«

Bevor Peggy weitersprechen konnte, platzte Janet, ihre kleine Tochter Maggie auf den Armen, durch die Küchentür.

»Du glaubst nicht, was passiert ist, Mum. Mach schnell das Radio an.«

»Was ist?« Maureen erschauderte. »Hat es was mit dem Krieg zu tun?«

Die Wirtin schaltete das Radio ein, und die drei Frauen hörten sich den Rest der Nachricht an. »Nach dem grauenhaften Angriff auf Pearl Harbor haben die USA Japan den Krieg erklärt …« Anscheinend hatte Japans Luftwaffe am Tag zuvor vollkommen überraschend einen Flottenstützpunkt der Amerikaner attackiert.

»Grundgütiger …« Mit großen Augen starrte Peggy erst ihre Tochter und danach ihre Freundin an. »Krieg mit Japan … also ist Amerika jetzt endlich mit von der Partie. Ist euch klar, was das bedeutet? Wir haben uns ewig abgestrampelt, aber nun wird sicher endlich alles gut.«

»Gestern Abend habe ich schon was in der Richtung läuten hören, aber die Nachricht von dem Angriff war brandneu, und mir war nicht bewusst, wie ernst es war.« Ihr Töchterchen fing an zu greinen, und Janet wiegte es im Arm. »Und die Amerikaner haben den Japanern tatsächlich den Krieg erklärt?«

»Gestern Abend habe ich bereits die Schlagzeilen von diesem Angriff auf Pearl Harbor in den Zeitungen gesehen, als ich mit dem Bus nach Hause fuhr«, sagte Maureen. »Aber mir war nicht klar, dass das ein Flottenstützpunkt der Amerikaner war und wie schlimm es war. Ich hatte diesen Namen noch nie zuvor gehört …«

»Das hatte sicher niemand«, pflichtete ihr Peggy bei. »Das muss ein fürchterlicher Schlag für die Amerikaner sein … all die Toten und die ganzen verlorenen Schiffe, aber wenn dadurch das Ende dieses Krieges näher kommt …«

»Es war bestimmt die Hölle«, meinte Janet, während sie die Kleine in den Laufstall setzte, damit sie mit ihren Holzklötzen und einem kleinen Lastwagen aus Holz spielte. »Es hat sie kalt erwischt, und diese Schiffe waren die perfekten Zielscheiben, und all die Männer, die an Bord waren, sind nun tot oder zumindest schwer verletzt.«

»Aber wenn die Amerikaner sich ab jetzt um Japan und um den Pazifik kümmern, müsste das den Alliierten eine große Hilfe sein.«

»Dann führen wir nun also auch noch gegen Japan Krieg«, meinte Maureen und schüttelte den Kopf. »Immer, wenn man denkt, dass es allmählich besser wird, passiert was neues Schlimmes und bringt alles wieder durcheinander.«

»Es ist echt schrecklich, obwohl ich denke, dass es so kommen musste«, stellte Janet fest. »Amerika hat Japan schließlich ein ums andere Mal gewarnt, aber wie es aussieht, haben die Japaner es drauf angelegt, sie in den Krieg mit reinzuziehen.«

»Wahrscheinlich hast du recht.« Peggy blickte zwischen ihrer Tochter und ihrer Freundin hin und her. »Dann hätte Able jetzt auch kämpfen müssen, und ich hätte keine Ahnung, wo er ist …« In ihren Wimpern hingen Tränen, als sie von dem jungen Captain aus den Staaten und dem Vater ihres ungeborenen Kindes sprach.

»Reg dich nicht auf, Mum.« Janet sah sie ängstlich an, denn sie war Anfang vierzig und somit schon ziemlich alt für eine Schwangerschaft. »Vor allem finde ich, dass das doch eigentlich ein Grund zum Feiern ist. Irgendwer muss diesen Hitler schließlich aufhalten, bevor er die gesamte Welt zerstört. Natürlich ist mir klar, dass all die Toten und Verletzten und der Untergang der Schiffe schrecklich sind, aber wir können wirklich Hilfe brauchen, und wenn sich Amerika nun in die Kämpfe einmischt, wird dadurch der Krieg doch sicherlich verkürzt.«

»Das können wir nur hoffen.« Peggy stellte den gefüllten Wasserkessel auf den Herd und wandte sich erneut ihrer Tochter zu. »Und mach dir über mich keine Gedanken, Schatz. Wahrscheinlich spielen bei mir einfach die Hormone ein bisschen verrückt. Egal, worum es gerade geht, bin ich den Tränen nah.«

»Ich weiß. So ging es mir auch, als ich mit Maggie schwanger war …« Janet blickte auf die Strickmuster und stellte fest: »Ein paar der Muster sind echt hübsch – aber für Maggie sind sie sicher bereits zu klein. Sie wird im März schließlich schon zwei.«

Nun sah sich auch Peggy eins der Muster an. »Die hat Maureen mir mitgebracht. Sie strickt bereits seit Jahren für die Babys ihrer Freundinnen und hat die Muster aufbewahrt. Jetzt muss ich nur noch schauen, ob es bei Mrs. Tandy noch genügend Wolle gibt. Ansonsten habe ich auch noch ein paar von deinen und Pips Sachen, die ich nehmen kann. Ich hatte sie dir eigentlich für Maggie geben wollen, aber bei den vielen schönen Sachen, die du für sie hattest, hast du die gar nicht gebraucht.«

»Ich hatte wirklich Glück«, stimmte ihr Janet zu. »Nachdem der Flieger über unserem Haus in Portsmouth abgestürzt war und ich nichts mehr für sie hatte, hat mir mein Freund Ryan jede Menge Zeug für sie geschenkt. Er hat im Grunde bloß versucht, die Dinge zu ersetzen, die verloren gegangen waren, aber er war dabei übertrieben großzügig. Ein paar der Sachen, die er mir geschenkt hat, hatte Maggie derart selten an, dass sie noch aussehen wie neu.«

»Mrs. Tandy hat gesagt, sie würde überlegen, neben Wolle zukünftig auch Babysachen zu verkaufen«, fiel Maureen bei Janets Worten ein. »Sie meint, wenn ihr die Mütter gut erhaltene Babysachen brächten, würde sie je Pfund, das sie dafür bekommt, einen Shilling einbehalten, damit auch sie selbst ein bisschen was daran verdient.«

»Ich finde, das ist eine ausgezeichnete Idee. Du könntest ja ein paar von Maggies Sachen hinbringen und sie verkaufen, Janet«, wandte Peggy sich ihrer Tochter zu.

»Die gebe ich lieber dir oder Maureen. Die Kleidchen sind so chic, dass man sie nur zu besonderen Gelegenheiten anziehen kann, aber ein paar der Mützchen und der Jäckchen sind echt niedlich, und wenn eine von euch zweien ein Mädchen kriegen würde, kämen die ihr bestimmt zupass.«

»Maggie hatte wirklich wunderschöne Sachen«, pflichtete Maureen ihr bei. »Im Grunde habe ich bisher noch kaum etwas. Zwar habe ich schon ein paar Sachen selbst gestrickt, aber die reichen sicher nicht. Deshalb würde ich dir tatsächlich gerne abkaufen, was du nicht mehr gebrauchen kannst.«

»Das solltest du nur tun, wenn es ein Mädchen wird«, gab Janet lachend zu bedenken. »Denn die Sachen sind fast alle rosa und haben dazu noch Blumenstickereien. Falls es ein Junge wird, habe ich bloß zwei weiße Strampler, die ich Maggie niemals angezogen habe, weil sie nicht so niedlich wie die anderen Sachen waren.«

»Aber bist du dir sicher, dass du diese Sachen nicht behalten willst, falls du sie selbst noch einmal brauchst?«, fragte Maureen und wünschte sich, sie hätte nichts gesagt, als sie die plötzlich unglückliche Miene ihrer jungen Freundin sah.

»Es wird noch ewig dauern, bevor Mike und ich ein zweites Kind bekommen«, antwortete Janet, und die für gewöhnlich gut versteckte Trauer, weil sich Mike, obwohl er sich von seinen schrecklichen Verwundungen erholte, immer noch nicht an sie selbst und an ihr Kind erinnern konnte, war ihr plötzlich deutlich anzusehen. Eilig trat sie vor die Anrichte und maß den Hagebuttensirup für die kleine Maggie ab. Vor Kurzem hatte die Regierung die Rationen an Lebertran für Kinder angehoben, weil es kaum noch frisches Obst und andere vitaminhaltige Lebensmittel gab, das Mädchen aber mochte lieber Hagebuttensirup, der noch überall zu haben und genauso gut für die Gesundheit war. »Für diese Art von Nähe ist es noch zu früh, und außerdem wird es mit Sicherheit noch dauern, bis er endgültig nach Hause kommen kann …«

»Das tut mir leid. Ich wollte nicht neugierig sein.«

»Natürlich nicht.« Janet schüttelte den Kopf und hielt den Becher ihrer Tochter mit zwei Händen fest. »Wir haben wirklich Glück, dass wir die kleine Maggie haben. Viele Frauen werden nie ein Kind von ihrem Ehemann bekommen, weil sie ihn in diesem Krieg verloren haben.«

»Ich weiß. Im Krankenhaus in Portsmouth hatten wir sehr oft Patienten, die nicht mehr zu retten waren, aber Mike ist ganz bestimmt kein hoffnungsloser Fall. Ich bin mir sicher, dass er sich auch weiterhin erholen wird. Er wurde doch nicht … da unten verwundet, oder?«

»Nein, natürlich nicht!« Jan schaffte es zu lachen, aber ihre Augen blieben ernst, und Maureen schätzte, dass sie einen Teil der Last, an der sie trug, für sich behielt. »Ich glaube, es ist eher was Mentales – also sprechen wir am besten erst mal weiter über Maggie und die beiden Babys, die bald kommen werden, ja? Ich hätte gerne ein paar Strickjacken in Maggies Größe, also könntest du mir ja vielleicht zwei Jacken stricken und bekommst dafür etwas von Maggies Babyzeug von mir.«

»Okay. Ich habe Mrs. Tandy schon gebeten, mir verschiedene Wollknäuel zurückzulegen, und obwohl sie das normalerweise nicht gern macht, hat sie mir den Gefallen getan. Welche Farbe würdest du denn haben wollen?«

»Vielleicht etwas in Rosa und in Weiß – falls das nicht zu viel Mühe macht.«

»Im Gegenteil: Das ist perfekt, weil ich dann ein paar Reste für die Streifen oder andere Muster nutzen kann.« Maureen stand auf. »Es tut mir wirklich leid, was den Amerikanern in Pearl Harbor zugestoßen ist, doch jetzt wissen sie, wie es uns seit Anfang dieses Krieges geht. Nun muss ich aber allmählich los, ich habe nämlich heute Abend Dienst im Krankenhaus.«

»Wie lange wirst du dort noch arbeiten?«, erkundigte sich Janet. »Und was haben sie dazu gesagt, dass du verheiratet und schwanger bist?«

»Das habe ich bisher noch niemandem erzählt. In den letzten Tagen war mir morgens immer etwas übel, aber bis zum Abend ging es mir immer wieder gut. Ich werde also weiterarbeiten, solange es noch geht.«

»Das solltest du auf jeden Fall … Und nachher suche ich dir ein paar Babysachen raus.«

»Und ich hole bei Mrs. Tandy morgen meine reservierte rosa Wolle ab.« Maureen gab Janet und danach auch Peggy einen Kuss auf die Wange. »Im Übrigen sehen deine Haare wirklich gut aus, Janet. Ist das Ellies Werk?«

»Nein, ich war bei dem Frisör am Markt. Ellie ist eine fantastische Frisörin, aber sie …« Kopfschüttelnd brach sie ab. »Im Grunde geht es mich nichts an, was Ellie tut.«

»Nein«, pflichtete Maureen ihr bei. »Aber es ist mir auch schon aufgefallen. Erst gestern Abend habe ich gesehen, wie sie Arm in Arm mit einem Soldaten heimgelaufen ist und sich auf offener Straße von ihm auf den Nacken küssen lassen hat.«

»Das solltet ihr für euch behalten«, mischte Peggy sich in ihre Unterhaltung ein. »Vor allem haben wir drei wohl kaum das Recht, jemand anderen zu verurteilen, weil wir schließlich selbst alles andere als unfehlbar sind.«

»Da hast du recht«, stimmte Maureen ihr voller Reue zu. Wie sollte sie sich über jemand anderen erheben, während sie von ihrem Ex-Freund schwanger war? Zumindest aber hatte sie dem lieben Gordon, als er sie gebeten hatte, seine Frau zu werden, gleich von ihrer Schwangerschaft erzählt, das hieß, sie hatte niemanden getäuscht. »Natürlich geht mich das nichts an, doch ich möchte nicht in Ellies Haut stecken, wenn jemand Peter Morris was davon erzählt, weil jeder weiß, wie furchtbar jähzornig und aufbrausend er ist.«

»Solange es er nicht von uns erfährt, soll Ellie tun und lassen, was sie will. Sie muss ihr Leben leben, wie sie will, denn meiner Meinung nach war sie mit ihren gerade einmal achtzehn Jahren viel zu jung zum Heiraten, und niemand weiß, ob Peter überhaupt noch mal nach Hause kommt …«

»Wir wissen alle nicht, ob unsere Männer noch mal wiederkommen.« Maureen erschauderte, denn Gordon hatte kurz nach ihrer Heirat wieder an die Front gemusst, und da sie bisher keinen Brief von ihm bekommen hatte, konnte sie nur hoffen, dass er noch gesund und munter war. »Ich hoffe für den armen Mann, dass er nach Hause kommen wird – und bete jeden Abend für die kleine Shirley und für mich, dass Gordon wohlbehalten zurückkehrt.« Das Mädchen war die kleine Tochter aus der ersten Ehe ihres Mannes, das ihr im Verlauf des letzten Jahres sehr ans Herz gewachsen war.

»Wie gesagt, ich suche dir die Sachen raus«, kam Janet auf das eigentliche Thema des Gesprächs zurück. »Und ich kann dir auch ein paar Umstandsblusen leihen, wenn du willst.«

»Danke. Vielleicht könnte ich die Blusen ja als Vorlagen benutzen, denn ich habe vor, mir selbst etwas zu nähen, wenn es so weit ist. Ich habe noch verschiedene Kleider meiner Mum. Sie sind aus gutem Material, und wenn mir meine eigenen Sachen nicht mehr passen, lasse ich sie einfach aus. Ich bin mir sicher, dass sie sich darüber freuen würde«, fügte sie mit Wehmut in der Stimme an, weil ihre Mutter nicht mehr mitbekommen hatte, dass sie Gordons Frau geworden und mit ihrem ersten Baby schwanger war. Zumindest aber konnte sie sich freuen, weil ihr Vater seine letzte Krankheit halbwegs überstanden hatte und – auch wenn er niemals mehr ganz der Alte würde – Weihnachten nach Hause kommen dürfte, falls es nicht noch einmal einen Rückfall gab.

Maureen trat an den Laufstall, strich der kleinen Maggie sanft über das goldblonde Haar und machte sich mit einem leisen Seufzer auf den Weg. Am liebsten hätte sie sich noch ein wenig länger mit den beiden anderen Frauen in der warmen Küche unterhalten, doch sie hatte noch ein paar Besorgungen zu machen, und dann müsste sie sich umziehen und ins Krankenhaus. Ohne ihre Arbeit hätte sie noch sitzen bleiben können, aber sie wollte weiter ihren Dienst versehen, solange es ihr möglich war. Sie konnte das verdiente Geld durchaus gebrauchen, auch wenn sie jetzt einen Teil von Gordons Sold bekam.

Sie ging die Mulberry Lane hinauf, vorbei an Mrs. Tandys Wollgeschäft, in dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift Bin sofort wieder da! befestigt war, bis zu dem Lebensmittelladen, der so viele Jahre lang ihr Heim und Arbeitsplatz gewesen war. Erst zu Beginn des Krieges hatte sie gewagt, zu Hause auszuziehen und eine Ausbildung zur Schwesternhelferin zu absolvieren.

Jack Barton stand hinter dem Tresen und zog einem Kunden eine Packung Player’s-Zigaretten sowie einen Riegel dunkler Schokolade ab. Er wohnte gegenüber und kam gerade erst aus dem Gefängnis, denn nachdem er seinen Job verloren hatte, hatte er in seiner Not ein Postamt ausgeraubt. Es war eine Verzweiflungstat gewesen, denn die Geldnot und das Jammern seiner Frau hatten ihm damals furchtbar zugesetzt. Diesen Fehler hatte er bitterlich bereut, und nach dem Tod des jüngsten Sohns und der Erkrankung seiner Frau war er vorübergehend aus der Haft entlassen worden, um für die Familie da zu sein.

Als Maureen durch die Tür trat, sah er lächelnd auf.

Der Kunde ging, und während Jack die Kasse zuschob, meinte er: »Es ist bestimmt ein seltsames Gefühl, nachdem Sie jahrelang hier selbst hinter dem Tresen standen, reinzukommen und hier jemand anderen zu sehen.«

»Sie sind kein Fremder, Jack, und Dad ist wirklich froh, dass er Sie hat. Ich wünschte nur, Sie könnten länger bleiben.« Das Geschäft gehörte Maureens Vater Henry Jackson, der vor Kurzem mit der deutlich jüngeren Violet den Bund fürs Leben eingegangen war. Statt ihm im Laden auszuhelfen, hatte seine Frau ein eigenes kleines Unternehmen und fertigte in ihrer Wohnung über dem Geschäft maßgeschneiderte Korsagen an.

»Noch einen Monat, dann muss ich zur Armee«, erklärte er. »Die Arbeit hier im Laden macht mir wirklich Freude, und ich würde sie sehr gerne weitermachen, aber die Bewährungskommission lässt mir nun einmal keine andere Wahl. Wenn ich mich weigere, zur Armee zu gehen, wandere ich wieder in den Knast.«

»Ich weiß.« Maureen gab ihm den Einkaufszettel ihrer Großmutter. »Aber ohne das Gefängnis wären Sie schon längst bei der Armee und irgendwo in Übersee, statt jetzt für Ihre Familie da zu sein.«

»Da haben Sie recht«, pflichtete Jack ihr bei. »Nur geht es Tilly immer noch nicht gut genug, um heimzukommen. Und Tom sitzt drüben rum und langweilt sich zu Tode.«

»Was ich sehr gut nachvollziehen kann, denn schließlich hat er bisher immer irgendwelche kleinen Arbeiten gemacht. Haben die Ärzte schon gesagt, wann er die Schulter wieder voll benutzen kann?« Tom hatte seinen kleinen Bruder Sam von einem Trümmergrundstück holen wollen, als dort ein Sprengsatz hochgegangen war. Bei diesem Unglück wurde Sam getötet und Tom schwer verletzt, doch anders als die Mutter, die den Tod des jüngsten Sohnes nicht verwunden hatte und die wegen des erlittenen Traumas immer noch im Krankenhaus behandelt wurde, war ihr Ältester inzwischen wieder heimgekehrt.

»Vielleicht in einem Vierteljahr, wenn er die Übungen, die ihm die Ärzte aufgegeben haben, regelmäßig macht«, erklärte Jack und zog die Waren ab. »Das macht dann fünfzehn Shilling und sechseinhalb Pence, Maureen.«

»Danke«, sagte sie und legte ihm die abgezählten Münzen auf den Tisch. »Langsam muss ich mich für die Arbeit fertig machen, aber morgen schaue ich einmal bei Tom vorbei. Ich habe vielleicht was, wobei er helfen kann, wofür er seinen linken Arm nicht wirklich braucht.«

»Gott segne Sie«, erklärte Jack und lächelte sie an. »Ihr Frauen aus der Mulberry Lane seid einfach wunderbar. Mit meinem Sohn und meiner Frau in zwei verschiedenen Krankenhäusern wäre ich wahrscheinlich im Gefängnis durchgedreht. Dass Peggy diese Petition gestartet hat, um mich dort rauszuholen, macht einen Riesenunterschied für uns – vor allem, seit Tom wieder zu Hause ist. Wenn ich im Knast geblieben wäre, hätten sie den armen Jungen wahrscheinlich in ein Heim gesteckt, weil er mit seinen fünfzehn Jahren schließlich nicht alleine leben kann.«

»Peggy hilft, sooft sie helfen kann. Ich werde morgen mit Tom reden – aber jetzt muss ich mich sputen, wenn ich nicht zu spät zur Arbeit kommen will.«

Nachdem das Wollgeschäft noch immer nicht geöffnet war, ging Maureen auf direktem Weg nach Hause, denn die Wolle konnte sie auch morgen auf dem Weg zu Tommy Barton holen.

*

Ellie kämmte ihrer Kundin sorgfältig das Haar und blickte sie im Spiegel an. Wenn Mrs. Tandy eins von ihren Treffen entweder des Women’s Institute oder des Frauenhilfsdiensts hatte, peppte sie den dichten silbergrauen Schopf manchmal mit einer blauen Spülung auf. Das Women’s Institute bemühte sich, den Frauen in Großbritannien zu helfen, sich an die Gegebenheiten anzupassen und die Stimmung trotz der kriegsbedingten Härten hochzuhalten, und da Mrs. Tandy wunderbare Marmelade kochte und sich auch aufs Einmachen verstand, hatte ihr Ortsverband sich extra ein Gerät zum Verschließen von Konservendosen ausgeliehen.

»Wollen Sie heute eine blaue Spülung, Mrs. Tandy, oder soll ich Ihnen den Kopf massieren? Wir haben diese Woche ein paar wunderbare neue Düfte reingekriegt.«

»Eine Kopfmassage wäre schön.« Die alte Dame lächelte die junge Frau im Spiegel an. »Was für Düfte hast du dieses Mal?«

»Schwarze Gardenie, Paris um Mitternacht und Maiglöckchen«, erklärte Ellie und hielt ihr die Fläschchen hin. Wenn man nur ein paar Spritzer in die Kopfhaut einmassierte und die Haare kämmte, hielten diese Düfte einige Tage an, vor allem aber waren sie wunderbar erfrischend und verursachten ein angenehmes Kribbeln auf der Haut.

»Schwarze Gardenie hatte ich schon mal. Das war sehr elegant. Aber diesmal nehme ich die Maiglöckchen …« Sie schnupperte, als Ellie ihr die kleine Flasche vorsichtig unter die Nase hielt. »O ja, das riecht sehr gut und herrlich frühlingshaft. Wunderbar. Ich hätte nicht gedacht, dass das noch zu kriegen ist.«

»Das gibt es auch nicht oft«, stimmte ihr Ellie zu, während sie Mrs. Tandy ein paar Spritzer auf die Haare gab. »Ich habe keine Ahnung, woher Mrs. Stimpson ihre Sachen kriegt, aber diese Woche kam sie mit ein bisschen Dauerwellenflüssigkeit, zwei Flaschen Shampoo und drei Flaschen Haarlack an. Sie hat gesagt, ich sollte sparsam damit umgehen, weil es eine Weile dauern könnte, bis wieder Nachschub kommt.«

»Wem sagst du das?« Die alte Dame verzog das Gesicht. »Es fällt mir immer schwerer, meine Wollvorräte aufzufüllen. Vor dem Krieg habe ich alle Regale und das Lager vollgestopft und halte bisher halbwegs durch, aber wenn sich die Dinge nicht bald ändern, gehen mir wahrscheinlich in Kürze auch noch die letzten Waren aus.«

»Ich fürchte, so sieht es in den meisten Läden aus.« Ellie drehte Mrs. Tandys Haare links und rechts des Kopfs zu großen Wellen, machte sie mit breit gezackten Klammern fest und drehte dann den Rest des Haars zu ordentlichen kleinen Lockenreihen auf. Sobald sie trocken wären, würden sie durch Auskämmen zu einer weichen Masse aufgebauscht.

»Ich überlege, außer Wolle vielleicht noch gebrauchte Babykleider für die Mütter aus der Gegend zu verkaufen – und wenn es dann immer noch nicht reicht, muss ich mir vielleicht einen Untermieter suchen.« Mrs. Tandy seufzte. »Was ich eigentlich nicht will, weil man schließlich nicht weiß, wen man bekommt …«

Ellie hielt in der Befestigung des pinkfarbenen Haarnetzes auf Mrs. Tandys Locken inne. »Falls Sie jemanden zur Untermiete suchen – warum nehmen Sie nicht mich?«

»Dich, Ellie?« Die alte Dame war verwirrt. »Aber wohnst du denn nicht bei deiner Schwiegermutter?«

»Doch …« Das Mädchen seufzte schwer. »Peter hielt es für das Beste, bis er wiederkommt. Er dachte, eine eigene Wohnung könnte ich mir von dem Teil von seinem Sold, den ich bekomme, sowieso nicht leisten, und er wollte, dass ich das, was ich verdiene, spare, damit wir uns ein paar schöne Sachen kaufen können, wenn er nach Hause kommt.«

»Aber du bist mit dem Arrangement nicht mehr zufrieden?« Mrs. Tandy hob die Brauen.

»Doris mag mich nicht«, gab Ellie unumwunden zu. »Sie meint, ich müsste mehr für meinen Unterhalt bezahlen und heimkommen, wenn sie es sagt. Vor allem geht sie ständig einfach in mein Zimmer und liest sich dort meine Briefe durch …«

»Oje, das klingt tatsächlich alles andere als ideal.« Trotz ihres Mitgefühls bedachte Mrs. Tandy sie mit einem nachdenklichen Blick, als sie die Haube holen ging.

Das Mädchen schob sie ihr über den Kopf und fragte sie: »Ist es so gut? Und möchten Sie vielleicht noch eine Zeitschrift und ein Tässchen Tee?«

»Ja, danke, Ellie«, sagte Mrs. Tandy und nahm ihr die Zeitschrift ab. »Wir reden später weiter, ja?«, schlug sie ihr vor, weil gerade eine junge Frau für Marcelwellen kam.

Ellie führte sie zu einem Stuhl, legte ihr einen Umhang um und bat sie, kurz zu warten, während sie nach hinten ging, um Mrs. Tandys Tee zu holen.

Dann holte sie die Brennschere und brachte eine knappe Stunde mit den Marcelwellen zu, doch als sie Mrs. Tandys roten Kopf bemerkte, stellte sie so schnell es ging die Trockenhaube aus.

»Es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten, aber unsere Auszubildende ist letzte Woche in die Munitionsfabrik gegangen, weil sie dort mehr verdient. Zum Glück hat Mrs. Stimpson aber schon ein anderes Mädchen eingestellt, das nächste Woche anfangen wird.«

»Du hast hier wirklich alle Hände voll zu tun«, bemerkte Mrs. Tandy in verständnisvollem Ton, als Ellie ihr die Klammern und die Nadeln aus den Haaren zog und mit dem Kamm durch ihre Haare fuhr. Am Ende bauschte sie sie mit den Händen auf, und Mrs. Tandy stellte fest: »Das hast du wieder einmal wunderbar gemacht, Ellie …«

Die junge Frau nahm ihr den Umhang ab, und sie stand auf und folgte ihr nach vorne, wo die Kasse stand.

»Vier Shilling und Sixpence wie immer?«

»Ich fürchte, dass die Kopfmassage etwas raufgegangen ist und dass es jetzt zusammen fünf Shilling macht.«

»Alles wird immer teurer«, brummte Mrs. Tandy, fügte jedoch umgehend hinzu: »Aber das ist ja nicht deine Schuld, Ellie. Hier sind sechs Shilling, einer ist für dich.« Sie schob den Geldbeutel zurück in ihre Handtasche und bot dem Mädchen an: »Ich kann dir gerne mal mein Gästezimmer zeigen, wenn du willst. Komm einfach heute Abend nach der Arbeit kurz vorbei, dann reden wir in Ruhe über alles, ja?«

»Danke«, antwortete Ellie hocherfreut. »Ich suche schon seit einer Ewigkeit nach einem Zimmer, doch das Einzige, das ich bisher gefunden habe, war ein grässliches Kabuff und so weit weg, dass ich zur Arbeit ewig unterwegs gewesen wäre. Wenn ich in der Nähe wohnen würde, wäre es viel einfacher für mich, und dazu könnte ich auch noch das Fahrtgeld sparen.«

»Nun ja, ich denke, wenn du bei mir einziehen würdest, käme mir das selbst zupass. Dann sehen wir uns gegen sechs?«

»Halb sieben, weil um vier noch eine Dauerwelle kommt …«

Freudestrahlend blickte Ellie Mrs. Tandy hinterher. Sie war die Schimpftiraden ihrer Schwiegermutter, wenn sie abends spät zurückkam, einfach leid. Deshalb hatte sie sich bereits des Öfteren gestritten, und die blöde Doris hatte ihr damit gedroht, an ihren Sohn zu schreiben und ihm mitzuteilen, was sie trieb. Solange ihr geliebter Sohn da draußen um sein Leben kämpfte, gönnte sie auch Ellie keinen Spaß.

»Du bist ein undankbares Gör«, hatte sie missmutig erklärt. »Mein Peter würde dir die Ohren langziehen, wenn er wüsste, was du hinter seinem Rücken treibst.«

»Wenn er das wagen würde, wäre ich im Handumdrehen weg. Wenn ich geahnt hätte, wie es hier bei dir ist, hätte ich mir das mit der Heirat sowieso noch einmal überlegt. Wie es aussieht, hat mich meine Tante vor der Hochzeit nicht umsonst vor dir gewarnt. Sie hat gesagt, du wärst ein fürchterlicher Sauertopf … und damit hat sie recht gehabt. Ich halte deine permanente schlechte Laune und dein ständiges Gemecker einfach nicht mehr aus!«

»Du kleines Flittchen wagst es, so mit mir zu reden?«, hatte Doris sie mit schriller Stimme angeschrien. »Ich habe dich alleine meines Peters wegen noch nicht vor die Tür gesetzt. Ich werde nie verstehen, was er jemals in dir gesehen hat …«

»Er liebt mich«, hatte Ellie ihre Schwiegermutter trotzig aufgeklärt. »Und keine Angst, sobald ich irgendwo ein Zimmer finde, bin ich weg …«

Sie lächelte noch immer, als die Kundin für die Dauerwelle kam. Wenn Mrs. Tandy es sich nicht noch einmal anders überlegte, zöge sie am besten auf der Stelle bei ihr ein. Dann wäre sie die neugierige Schwiegermutter und auch den Gestank von abgestandenem Kohl und dem kaputten Abfluss in der Küche endlich los. Es wäre eine wundervolle Chance, und am liebsten hätte Ellie auf der Stelle ihre Sachen abgeholt, um gleich bei Mrs. Tandy einzuziehen.

3

Tom Barton verzog das Gesicht, als er den schweren Kohleneimer in die Küche trug, denn seine linke Schulter war nach wie vor steif und wund, und auch die tiefen Schnittwunden in seinem Unterarm waren noch nicht ganz verheilt. Die Ärzte hatten ihm erklärt, wenn er die aufgetragenen Übungen regelmäßig machte, würde seine Schulter wieder ganz gesund, wohingegen sie beim Anblick seines Unterarms zu Anfang sehr besorgt gewesen waren. Sie hatten Angst gehabt, dass er sich an dem rostigen Metall, das ihm auf dem verdammten Trümmergrundstück in den Arm geschnitten hatte, eine Blutvergiftung zugezogen hätte, doch er hatte Glück gehabt und anders als sein kleiner Bruder überlebt. Der junge Sam war auf der Stelle tot gewesen, während Tom inzwischen wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war.

Er war daheim und froh, dass auch sein Dad vorübergehend zu Hause war. Zwar schämte er sich etwas, weil er seine Mutter kaum vermisste, doch er wusste, dass sie ihm die Schuld am Tod seines Bruders gab, und selbst wenn sie nichts sagen würde, würde ihm ihr Blick verraten, dass er ihr zuwider war. Das hatte er im Grunde immer schon gewusst, auch wenn er keine Ahnung hatte, was der Grund für ihre Abneigung ihm gegenüber war. Sie hatte Sam von jeher vorgezogen und ihn selbst immer weniger gemocht, je älter er geworden war. Im Gegensatz zu Sam war er nie frech zu ihr gewesen oder hatte sich vor irgendwelchen Arbeiten gedrückt. Trotz allem aber hatte ihre Mutter Sam vergöttert, und jetzt würde sie ihn noch mehr hassen, weil er anders als ihr Liebling noch am Leben war. Tom wusste, dass er bei der Hochzeit ihrer Eltern bereits unterwegs gewesen war. Gab seine Mutter also vielleicht ihm die Schuld an ihrer Ehe mit dem ungeliebten Mann? Seinen Vater darauf anzusprechen käme nicht infrage, und als er einmal von seiner Mutter hatte wissen wollen, warum sie ihn nicht mochte, hatte sie sich einfach abgewandt.

Toms Augen füllten sich mit Tränen, denn trotz all des Ärgers, den sein Bruder ihm bereitet hatte, hatte er ihn wirklich gerngehabt. Er wünschte sich, dass er an seiner Stelle bei der Explosion der Bombe umgekommen wäre, und das hatte er auch seinem Vater gegenüber ausgesprochen, als Jack Barton zu Besuch ins Krankenhaus gekommen war.

»Ach, red doch keinen Unsinn, Junge«, hatte Jack geknurrt. »Du bist deiner Ma und mir ein guter Sohn, und ich bin froh und dankbar, dass du noch am Leben bist.«

»Aber es war meine Schuld, dass Sam gestorben ist. Ich hätte etwas unternehmen und ihn daran hindern sollen, auf diese Trümmergrundstücke zu gehen …«

»Das hast du ihm doch sicher oft genug gesagt.« Sein Vater hatte traurig das Gesicht verzogen und hinzugefügt: »Wenn jemand schuld an irgendetwas ist, dann ja wohl ich. Wenn ich daheim gewesen wäre, statt im Knast zu sitzen, hätte Sam getan, was man ihm sagt. Und du lägst nun nicht schwer verletzt im Krankenhaus. Ich bin dafür verantwortlich, nicht du.«

»Aber ich wusste, was er treibt. Ich hätte zur Polizei gehen sollen – sie hätte ihn daran gehindert, auf die Trümmergrundstücke zu gehen, und dann wäre all das wahrscheinlich nicht passiert …« Tom hatte zischend Luft geholt, denn der Gedanke, dass sein Bruder ganz umsonst gestorben war, tat ihm noch immer weh.

»Dann hätten sie ihn garantiert in eine Besserungsanstalt gesteckt, und das hättest du doch ganz sicher nicht gewollt.«

»Nein, aber …« Tom hätte um ein Haar seinem Vater von dem Mann erzählt, der mit den Jungs gesprochen hatte, als sie zwischen den Ruinen herumgeklettert waren. Sam hatte großspurig erklärt, es gäbe Leute, die ihn schützen würden, und Tom war sich sicher, dass das irgendwelche Kriminellen waren, Schwarzmarkthändler oder Hehler, die den Jungen ein paar Schilling für die Sachen zahlten, die sie unter Einsatz ihres Lebens fanden, was dem wahren Wert der Dinge bestimmt nicht mal annähernd entsprach. Diese finsteren Gestalten waren die wahren Diebe, und sie waren schuld daran, dass Sam gestorben war, denn schließlich hatten sie ihn an den Ort der Explosion geschickt. Ein bisschen Altmetall für Bert zu suchen war das Eine, aber in den Trümmern eines Juweliergeschäfts nach Gold- und Silberschmuck zu wühlen war eine Straftat und vor allem hochriskant. Doch Tom war klar, dass Sam nicht einfach hätte sagen können, er hätte keine Lust mehr, diese Kerle zu beliefern, denn sobald sie einen in den Klauen hatten, gab es kein Entrinnen mehr.

»Willst du mir etwas sagen, mein Sohn?«