Homer: Die Odyssee - Ulrich Karger - E-Book

Homer: Die Odyssee E-Book

Ulrich Karger

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Beschreibung

Kaum ein anderer Sagenheld muß sich so vieler Gefahren erwehren wie ODYSSEUS auf seinen Irrfahrten über das Meer. Nur dank seines Wagemutes und Listenreichtums vermag er Begegnungen wie jene mit dem Kyklopen Polyphem oder den Ungeheuern Skylla und Charybdis zu überstehen. Und als ODYSSEUS nach vielen Jahren endlich die Heimkehr gelingt, sind es die habgierigen Fürstensöhne aus der Nachbarschaft, die Ihm nach dem Leben trachten ... Ulrich Karger hat die weltberühmten Gesänge der Odyssee in eine heute zeitgemäße Prosa übertragen. Befreit vom Ballast unnötiger Wiederholungen, vereint seine Nacherzählung auf glückliche Weise die Poesie Homers und gute Lesbarkeit. Ergänzt um ein informatives Vorwort und einen Anhang, dürften selbst erwachsen gewordene Liebhaber der Odyssee Lust bekommen, sie in diesem neuen Gewand noch einmal nachzulesen. Weitere Informationen zu dem Titel unter: ulrich-karger.de "Die vorzügliche Nacherzählung in einer zeitgenössischen Sprache ist eine Meisterleistung und dürfte mithelfen, dass das homerische Gelächter weiterhin erschallt. Gehört in den Grundbestand jeder Bibliothek." Peter Gyr, Kommission für Schul- u. Gemeindebibliotheken (CH-Luzern), 17.2.1997 "Ohne Prüderie und klar in der Sprache - Ulrich Kargers neue Version der Odyssee hebt sich ab von Schwab" Jutta Grützmacher, Der Tagesspiegel, Berlin, 20.4.1997 "Die Nacherzählung, die dem homerischen Text am nächsten kommt, ist die des in Berlin lebenden Lehrers Ulrich Karger." Dr. Hans-Ludwig Oertel, Akademischer Rat in: FORUM CLASSICUM, Ausgabe 1/2003

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Ulrich Karger

Homer: Die Odyssee

nacherzählt von Ulrich Karger

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zum Buch

VORWORT

1 Ratschluss der Götter

2 Ein Schiff für Telemach

3 Bei Nestor in Pylos

4 Die Weissagungen des Proteus

5 Abschied von Kalypso

6 Nausikaas Waschtag

7 Im Schutz des Nebels

8 Eifersüchtiger Hephaistos und ein hölzernes Pferd

9 Niemand blendet Polyphem

10 Die Zauberin Kirke

11 Am Eingang ins Totenreich

12 Skylla und Charybdis

13 Rückkehr nach Ithaka

14 Der treue Schweinehirt

15 Ein Mordplan misslingt

16 Odysseus und Telemach

17 Unerkannt im eigenen Palast

18 Zweikampf der Bettler

19 Eurykleia muss schweigen

20 Letzte Warnung

21 Der Wettstreit mit Odysseus’ Bogen

22 Das Strafgericht

23 Odysseus und Penelope

24 Der flammende Blitz des Göttervaters

ANHANG

Stichwortverzeichnis

Die Götterwelt des Odysseus

Der „STAMMBAUM“ des Odysseus

Abbildung des Stammbaums

Register zum Stammbaum:

Danksagungen

Übrigens ...

Zur Edition Gegenwind

Impressum neobooks

Zum Buch

Gewidmet den beiden starken und listenreichen Frauen an meiner SeiteRegina und Marion

Die Erstausgabe dieser vollständigen Nacherzählung der Homerschen Odyssee ist 1996 im Echter Verlag (Würzburg) erschienen. Seit 2004 liegt ungekürzt zudem eine leicht überarbeitete und in die „Neue Rechtschreibung“ übertragene Schulbuchausgabe im Ernst Klett Verlag (Leipzig) vor.

In dieser E-Book-Ausgabe der Edition Gegenwind entspricht der Text der Nacherzählung der Schulbuchausgabe, das Vorwort und insbesondere der umfangreiche Anhang hingegen entstammen im Wesentlichen der Erstausgabe, beides hierfür erneut durchgesehen, aktualisiert sowie ebenfalls in „Neue Rechtschreibung“ übertragen. (Die Schulbuchausgabe von 2004 ist um Materialien für den Unterricht von Ute Reuter erweitert, wofür in Teilen auch Abschnitte des Anhangs der Erstausgabe genutzt wurden.)

Weiteres zum Buch bzw. zu dieser E-Book-Ausgabe ist dem Vorwort mit den Abschnitten Einige Merkmale der Odyssee, Zu Original und „klassischen“ Übersetzungen der Odyssee, Eigene Vorgaben für diese Nacherzählung und Editorische Hinweise zu entnehmen.

Webseiten mit Informationen (u.a. Rezensionen) zu allen Buchausgaben sind abzurufen unter: ulrich-karger.de/uk-rody.htm

Edition GegenwindReihe BelletristikNeuausgabe

VORWORT

Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,Vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt hat,Und auf dem Meere so viel’ unnennbare Leiden erduldet,Seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft.[1]

So lesen sich die ersten Hexameter-Verse der Odyssee in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß (1751-1826).___________________________________

[1]  Zitiert aus ODYSSEE von Homer; Übersetzung Johann Heinrich Voß; Goldmann Verlag, München 1957

Einige Merkmale der Odyssee:Die Odyssee ist eine, um nicht zu sagen, die Sage des griechischen Altertums. Wie in einem Märchen wird in ihr nicht umfassend erzählt oder gar psychologisch ausgedeutet, was die handelnden Personen „denken“. Stattdessen sind es oft die jeweilige Anbindung an einzelne olympische Gottheiten, die mit ihren jeweiligen „Zuständigkeiten“ und daraus abgeleiteten Möglichkeiten Auskunft über die Hintergründe von „Heldentaten“ geben – um letztendlich aber dann doch, wie die Olympier selbst, von den Göttinnen des Schicksals bestimmt zu sein. Eine Sage wie die Odyssee ist nicht nur von daher um einiges vielschichtiger bzw. doppelbödiger als ein Grimm’sches Märchen.

Odysseus ist zudem weder ein rein „guter“ noch ein rein „böser“ König. Sein Eigensinn bringt Freunde und Schutzbefohlene in höchste Nöte. Andererseits setzt er auch alles daran, ihnen zu helfen, wenn sie sich selbst in Gefahr gebracht haben. Am Ende aber kann er nur sich selber retten – und dies weniger infolge seiner kriegerischen Fertigkeiten, als dank seiner ausdauernden Zuversicht und seiner Gewitztheit. Er symbolisiert somit den Übergang vom lediglich auf die Körperkraft vertrauenden, zumeist kurzsichtigen Helden zu einem Mann, der auch sein Denken und seine Phantasie einzusetzen weiß. Seine Schutzgottheit wird nicht von ungefähr als Kopfgeburt eines männlichen Gottes mit weiblichen Geschlecht charakterisiert: Pallas Athene, die Göttin der Weisheit.

Zu Original und „klassischen“ Übersetzungen der Odyssee:Der Originaltext ist die Niederschrift von 24 Gesängen, die wahrscheinlich vor rund 2800 Jahren erstmals zur Harfe bzw. zur Kithara vorgetragen worden sind. Das Versmaß des Hexameters lag den Menschen damals „im Blut“. Sein Rhythmus musste nicht erklärt werden, genauso wenig wie man heutzutage einem Jugendlichen den Rap erklären muss. Im Gegensatz zu heute konnten allerdings nur sehr wenige der einstigen Zuhörer und Zuhörerinnen lesen. Damit sie nicht den Erzählfaden verloren, bauten die Sänger in ihren Vortrag eine Vielzahl von Wiederholungen ein. Wer den eigentümlichen Rhythmus der Hexameter schätzt und auch gegen Wiederholungen nichts einzuwenden hat, kennt und liebt sicher auch die originalgetreue, vorzügliche Übersetzung von Voß, wenn er oder sie sich nicht sogar aufs Altgriechische versteht und die Odyssee gleich in der Sprache Homers zu lesen vermag.

Oder man liest die Odyssee in der 1838 bis 1840 geschaffenen und seither sprachlich immer wieder angepassten Sammlung „Klassische Sagen des Altertums“ von Gustav Schwab (1792-1850) nach: Keine inhaltlichen Wiederholungen und keine Hexameter, nur ... Gustav Schwab gibt nicht allein Homers Odyssee wieder, sondern baute auch noch die Erzählstränge anderer Autoren ein. Und er verfasste seine Nacherzählungen „für die Jugend“ zu Zeiten des Biedermeier. So geschmeidig die Ergänzungen auch eingefügt sind, so schwer fällt dagegen ins Gewicht, dass Schwab „seine“ Odyssee inhaltlich „geglättet“ hat. Vor allem die etwas delikateren Stellen wie den Dialog zwischen Hermes und Kalypso „entschärfte“ er ebenso wie die durchaus sinnliche Beziehung zwischen Odysseus und Kalypso. Solche gut gemeinten Verfälschungen sind heute, gerade auch angesichts eines jugendlichen Leserkreises, nicht mehr zu begründen. Und der aus heutiger Sicht leicht schwülstig wirkende Sprachstil hebt auf einen Pathos ab, der nach meinem Dafürhalten auch  der Lakonie Homers nicht wirklich gerecht wird.

Eigene Vorgaben für diese Nacherzählung:Mein Ziel war es nun, die Odyssee vollständig und in „schlanker“ Prosa nachzuerzählen – immer mit der Vorgabe, die Auffassung und den Aufbau Homers nicht allzu sehr anzutasten. Das enthebt mich auch einer Konkurrenz mit Wolfgang Schadewaldt, der seine herausragende Übersetzung von 1958 bzw. 1965 zwar „von dem regulären Hexameter befreite“, aber mit seiner „gedankenrhythmischen Prosaform“ nicht auf den „poetischen Grundgehalt Homers“ verzichten wollte.

Aus den 24 lyrischen Gesängen habe ich also 24 Prosakapitel samt jeweils ihnen vorangestellten Überschriften entwickelt. Das Original hat keine. Voß und auch Schadewaldt leiteten die Gesänge aber immerhin mit kurzen Zusammenfassungen ein, so dass meine als Orientierungshilfen gedachten Überschriften eine gar nicht so große Eigenmächtigkeit darstellen.

Die Namen sind in der Regel der originalen Lautierung entlehnt, allerdings mit einigen Ausnahmen: So heißt es z.B. bei mir, wie auch schon bei Schwab, anstelle von Telemachos „Telemach“. Telemach ist in der Odyssee im Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen, und die Endung ‘os’ gibt m.E. seinem Namen im Deutschen zuviel Gewicht. (Außerdem ließ mich die Bildung des Genitivs bei den vielen ‘s’-Endungen der griechischen Namen ohnehin oft genug in Verzweiflung geraten.). Den griechischen Laut „Ai“ ersetzte ich nur bei traditionell eingedeutschten Orts- bzw. Landesbezeichnungen wie Ägypten durch ein „Ä“.

Das gemeinsame Essen, das Opfern für die Götter und ähnliches habe ich schon allein wegen des sonst fehlenden Lokalkolorits nicht weggekürzt, aber im Gegensatz zum Original eben nur einmal ausführlich im Text beschrieben belassen. Ähnliches gilt für die Anspielungen auf andere Sagenkreise, nicht zuletzt für die Vorgeschichte der Odyssee: Die Ilias.

Editorische Hinweise:

Neben den bekannten Vorteilen von E-Books gibt es leider auch einige Einschränkungen:• In den Printausgaben meiner Nacherzählung sind auch drei Fußnoten, die in dieser E-Book-Ausgabe nur bedingt nachvollzogen werden können. Sie sind im Vorwort s.o. gleich unter das Zitat und im 1. Kapitel ans Kapitelende gesetzt worden.• In den Printausgaben sind zudem die Absätze durchgehend im Blocksatz, d.h. zugleich links- wie rechtsbündig, und Überschriften mittig bzw. zentriert gesetzt. Dieser Vorgabe unterliegt auch mein Manuskript für dieses E-Book. Doch der Ersteller neobooks wandelt mein komplettes Manuskript - Absätze wie Überschriften - automatisch in einen linksbündigen Satz um, mit dem Argument, dass die Leser auf ihren Readern unterschiedliche Schriftgrößen vorgeben und so unschöne Lücken entstehen könnten. Neuere Reader sollen zudem über entsprechende Einstellmöglichkeiten verfügen, ggf. auch den Blocksatz für einen Text nachträglich vorzugeben.• Das Stichwortregister im Anhang musste in ein Stichwortverzeichnis für handelnde Personen, Orte und andere Begriffe umgewandelt werden, das zu den Stichworten zwar noch die gleichen zusammenfassenden Erinnerungshilfen bietet, aber eben keine Angaben mehr zu Seitenzahlen machen kann, wo diese Begriffe im Buch auftauchen.

Seit das homerische Gelächter zum ersten Mal erschallte, sind viele hundert Jahre vergangen. Neues bedarf der Kenntnis des Alten – ich wünsche dazu viel Vergnügen!

Ulrich Karger, Berlin 2015

1 Ratschluss der Götter

Ob ein Menschenleben alterssatt oder durch einen Schwertstreich in der Blüte seiner Jugend beendet wurde, unterlag allein den Launen der drei Moiren[1]. Diese Göttinnen zogen Fäden und verwebten sie zu Mustern, die keinem Gesetz, schon gar nicht dem Gesetz der Schönheit unterworfen waren. Aber gemäß den Linien ihres Musters kreuzten sich die Lebenswege, verbanden und umschlangen sich oder strebten auseinander. Mal waren die Fäden lang, wurden zu ihrem Ende hin immer dünner, bis sie schließlich nur noch in einer Faser endeten, oder sie waren kurz, der Faden schien gerade an seiner kräftigen Mitte gerissen zu sein. Da half kein Fluchen und kein Bitten und Betteln, dem Willen der Moiren konnte sich niemand entziehen.

Fast zwanzig Jahre war es her, dass Odysseus in den Krieg gegen Troja gezogen war. Fast zehn Jahre war es her, dass Odysseus mit einer List diesen Krieg siegreich beendet hatte.

Alle Helden, die dem Schlachtfeld oder dem Sturm auf der Heimfahrt entkommen waren, lebten, glücklich oder unglücklich, bereits geraume Zeit wieder auf ihren eigenen Gütern.

Odysseus jedoch, der Sohn des Laërtes[2] war noch immer nicht in seinem Königreich Ithaka. Die göttliche Nymphe Kalypso hielt ihn seit Jahren auf ihrer Insel gefangen. Sie umschmeichelte Odysseus, versprach ihm sogar ewige Jugend und Unsterblichkeit, damit er Ithaka und seine geliebte Frau Penelope vergesse. Doch das alles lockte ihn nicht mehr. Odysseus wollte endlich in die heimatlichen Gefilde zurückkehren, auch wenn seine Frau und sein Kind ihn vielleicht längst tot glaubten.

Alle Götter und Göttinnen im himmlischen Olymp bedauerten Odysseus. Alle, bis auf Poseidon.

Denn es war der Meeresgott, der seiner Wut freien Lauf gelassen und Odysseus auf seinen Wassern hin und her geschleudert hatte. Dass Odysseus überhaupt noch lebte, war ganz gewiss nicht der Milde dieses Gottes zu verdanken. Doch die Moiren, die Göttinnen des Schicksals, hatten es anders bestimmt. Sie waren es auch, die Poseidons Augenmerk jetzt auf die Küste der sanften Aithiopen lenkten. Würde doch kein olympischer Gott ohne Not ein ihm geweihtes Opfer verschmähen. Und die Aithiopen brachten Poseidon ein wahrlich großes Opfer an Stieren und Schafböcken dar. Dieses Opfermahl vermochte nun eine andere Göttin zu nutzen, um sich des traurigen Geschickes von Odysseus anzunehmen.

Pallas Athene, die Göttin der Weisheit schätzte den Helden Odysseus sehr. Neben seiner nicht geringen Körperkraft wusste er seinen listenreichen Verstand als Waffe einzusetzen, und vor einer Unternehmung widmete er zumeist ihr seine Gebete und Opfergaben – ihr, Pallas Athene, der dem Kopf des Zeus entsprungenen Tochter.

Zeus schüttelte gerade, wie so oft, seinen Kopf über die Kurzsichtigkeit der Menschen. Er erinnerte die Götterrunde an die Mörder des Heerführers gegen Troja. Ließen sie sich etwa von ihrer Schandtat abhalten, obwohl sie vom Götterboten Hermes gewarnt worden waren? Als sie dann aber die Rache des Orestes ereilte, jammerten sie, die Götter seien an allem Übel schuld. Bevor Zeus jedoch auf ein Neues ausholen konnte, unterbrach ihn Athene: „Die Mörder Agamemnons haben ihre Strafe mehr als verdient. Wie aber steht es mit Odysseus? Warum hast du kein Mitleid mit ihm, Vater? Hat er uns Göttern an Trojas Strand zu wenig geopfert? Oder warum verfolgst du ihn mit deinem Zorn?“

Zeus antwortete: „Mein Kind, weder verfolge ich Odysseus noch habe ich seine Opfergaben für uns Himmelsbewohner vergessen. Es ist mein Bruder Poseidon, der immer noch gegen Odysseus wütet, weil dieser vorzeiten seinen Sohn Polyphem geblendet hat.

Aber du hast Recht, wir sollten jetzt die Heimkehr dieses unglücklichen Menschen beschließen. Poseidon muss sich endlich wieder beruhigen, und dem Willen von uns allen kann auf Dauer selbst er nicht widerstehen.“

Auf dieses Stichwort hatte Athene nur gewartet: „So lasst uns Hermes zur Insel Ogygia senden, damit er der Nymphe Kalypso unseren Ratschluss mitteilt. Ich aber will in Ithaka nach dem Rechten sehen.“

Schon hatte die Göttin ihre goldenen Sandalen festgeschnürt, mit denen sie wie der Wind über die endlosen Weiten von Wasser und Land jagen würde. Dann nahm sie den gewaltigen Speer mit der eisernen Spitze in ihre mächtige Faust und schwang sich vom Gipfel des Olymp hinab.

  ***

Telemach saß verzweifelt in einer Ecke des königlichen Hofes.

Um ihn herum vertrieben sich die heiratsfähigen Söhne der nachbarlichen Fürstentümer die Zeit mit Brettspielen, oder sie lagen faul ausgestreckt auf den Häuten der von ihnen in großer Zahl geschlachteten Rinder. Alle diese Tagediebe freiten um die Hand seiner Mutter und hofften an ihrer Seite die Krone über Ithaka zu erringen.

An der Schwelle zum Hof verweilte ein fremder Mann. Ein weiterer Freier? Nein, dazu war er zu alt, und wie er bescheiden und zugleich würdevoll abwartend dastand, unterschied er sich doch erheblich von der unbekümmert feiernden Gesellschaft.

„Wer weiß, vielleicht hat er ja etwas von Odysseus zu berichten“, dachte Telemach. „Außerdem soll mich dieser Abschaum nicht auch noch an der Wahrung des üblichen Anstandes hindern.“

Hastig erhob er sich nun, um dem Fremden nach alter Sitte die Hand zu reichen und den Speer abzunehmen: „Sei willkommen, Fremder! Dir soll sogleich Essen und Trinken gereicht werden. Bist du dann satt, kannst du mir erzählen, was dich hierher geführt hat!“

Mit diesen Worten geleitete er den neuen Gast in das Innere der hohen Halle. Den Speer stellte Telemach in den Ständer zu den verwaisten Speeren des Odysseus, dann rückte er abseits von den Plätzen der Freier zwei weich gepolsterte Sessel und Fußschemel zurecht. Gerade hatten sie es sich bequem gemacht, eilte schon eine eifrige Dienerin mit einer goldenen Kanne und einem silbernen Becken herbei. In der Kanne war Wasser, das ihnen über die Hände gegossen wurde, um dann in das daruntergehaltene Becken zu tropfen. Als Nächstes wurden ihnen von der Wirtschafterin auf einer Tischtafel Brot und allerlei Beilagen, vom Fleischzerleger große Schüsseln mit verschiedenen Fleischsorten vorgesetzt. Ein vierter Diener wiederum achtete darauf, dass die gereichten goldenen Becher immer randvoll mit Wein gefüllt sein würden.

Inzwischen drängten die Freier herein und verlangten ebenfalls nach Speise und Trank. Wie Telemach und sein neuer Gast ließen sie sich Tische heranschieben und die Hände mit Wasser abspülen. Anmutige Mädchen mussten körbeweise Brot austeilen und halbwüchsige Knaben hatten ihre Kelche zu füllen. Noch mit schmatzenden Mündern riefen die Unersättlichen dann nach Tanz und Gesang.

Der berühmte Sänger Phemios konnte sich den Zurufen der Freier nicht lange entziehen und stimmte auf den Saiten seiner schöngeschwungenen Harfe ein Vorspiel an. Diese Ablenkung nutzte Telemach, um dem Fremden hinter vorgehaltener Hand zuzuflüstern: „Verzeih, lieber Gast, darf ich dich nun fragen, wer du bist und welches Schiff dich hierher getragen hat? Bist du etwa ein Gastfreund meines Vaters Odysseus? Er hatte viele Freunde und verstand sich auf den Umgang mit Menschen.“

Darauf antwortete ihm der Fremde: „Ich bin Mentes, der Sohn des Herrschers auf Taphos, und ich bin mit meinen Männern unterwegs, um in Temesa Kupfer einzuhandeln. Mein Schiff habe ich soeben am unbefestigten Strand außerhalb der Stadt gelandet.

Wir Taphier sind mit euch Ithakesiern schon seit Väter Zeiten befreundet. Da brauchst du nur deinen Großvater Laërtes zu fragen. Dieser alten Freundschaft wegen bin ich auch zu deinem Haus gekommen.

Außerdem wurde mir erzählt, dein Vater sei endlich heimgekehrt. Aber das war wohl nur ein Gerücht. Die Götter scheinen ihn noch immer an der Heimkehr zu hindern.

Im Geiste sehe ich ihn auf einer Insel, gefangen gehalten von feindseligen Mächten. Nicht dass ich ein Seher wäre oder mich auf die Deutung des Vogelfluges verstünde, aber in einem bin ich mir sicher, als hätten es mir die Götter eingegeben: Dein Vater lebt, und er wird bald zurückkehren. Er sinnt auf Flucht, und dank seines erfinderischen Geistes wird sie ihm gewiss auch gelingen. Aber sag': Du bist ein leiblicher Sohn des Odysseus, nicht wahr? Die Augen, das ganze Gesicht, gleichen ihm auffallend!“

Telemach erklärte darauf: „Ja, ich bin ein Sohn des Odysseus. Ich wäre jedoch lieber der Sohn eines glücklicheren Vaters, der sein Alter in Ruhe genießen kann, anstatt irgendwo in der Ferne verschollen zu sein.“

Aber hierauf ging der Taphier gar nicht ein.

„Die Götter werden den Namen eures Geschlechtes nicht untergehen lassen. Penelope hat, wie ich sehe, dem Odysseus einen würdigen Nachfolger geboren. Doch erkläre mir einmal, was hier eigentlich vor sich geht. Gibst du ein Fest für Freunde, oder ist das etwa eine Hochzeit? Die Leute hier scheinen ja außer Rand und Band zu sein.“

„Ach, lieber Freund“, seufzte Telemach, „was soll ich dir darauf antworten? Seitdem mein Vater als verschollen gilt, benehmen sich die Männer aus der Nachbarschaft, als seien sie die Herren über unseren Besitz.

Am meisten hat meine Mutter unter ihnen zu leiden. Diese Schurken bedrängen sie, obwohl ihre ganze Sehnsucht nach wie vor meinem Vater gilt. Unterdessen verkommt hier alles, und am Ende wird man wohl auch noch nach meinem Leben trachten.“

„Bei den Göttern“, entfuhr es Mentes, „diesem schamlosen Treiben muss ein Ende gesetzt werden! Da dir dein Vater nicht zur Seite stehen kann, höre auf meinen Rat: Berufe gleich morgen eine Ratsversammlung ein und fordere bei der Gelegenheit die Freier zum Verlassen deines Hauses auf! Denn wollte deine Mutter tatsächlich wieder heiraten, soll sie sich zu ihrem begüterten Vater begeben. Es ist letztendlich sein Recht und seine Pflicht, die Hochzeiten seiner Tochter auszurichten.

Als Nächstes fordere von der Versammlung ein Schiff mit zwanzig Ruderern. Gehe damit auf Erkundungsfahrt! Fahre am besten zuerst nach Pylos und wende dich dort an den hoch geehrten Nestor.

In Sparta solltest du beim blonden Menelaos dein Glück versuchen. Er ist als Letzter von Troja nach Hause gekehrt. Hast du dann erfahren, dass dein Vater noch lebt, solltest du geduldig ein weiteres Jahr auf ihn warten.

Wurde dir jedoch vom traurigen Gegenteil berichtet, nun, so errichte deinem Vater einen Totenhügel und lege so viele Gaben hinein, wie es seinem ehrenden Angedenken gebührt. Wie auch immer – als Nächstes musst du dir überlegen, wie du dich an den Freiern rächst, falls sie nach deiner Rückkehr noch immer dein Haus verwüsten. Du bist schließlich der Sohn des Odysseus und kein Kind mehr.

Denke an den Ruhm des Orestes, den er erwarb, als er die Mörder seines Vaters Agamemnons tötete.“

Damit erhob sich Mentes.

„Jetzt muss ich aber auf mein Schiff zurück. Meine Gefährten erwarten mich sicher schon ungeduldig.“

Telemach wollte diesen hilfreichen alten Freund der Familie zum Bleiben überreden. Wenigstens so lange, bis er ihm ein Gastgeschenk ausgesucht habe. Aber Mentes hatte es eilig, wegzukommen.

Und ehe Telemach erneut zur freundlichen Widerrede ansetzen konnte, war sein Gast einem Vogel gleich durch den Rauchfang entflogen.

Telemach hatte offenkundig eine Gottheit zu Gast gehabt, und diese Gottheit war ihm wohl gesinnt. Derart in seinem Selbstvertrauen gestärkt, wendete er sich nun wieder den Freiern zu.

Ihnen sang und spielte noch immer Phemios auf. Hingerissen lauschten die Freier seinem Lied über die unglückliche Heimfahrt der Achaier von Trojas Strand. Dieser Gesang zog auch Penelope an.

Sie kam mit zwei Dienerinnen die Stufen herabgestiegen. Auf der Schwelle zum Saal wartete sie, bis das Lied beendet war. Dann sprach sie unter Tränen zu dem Sänger: „Mein lieber Phemios, du kennst viele herrliche Lieder über Götter und Menschen. Warum wählst du jetzt nicht ein anderes aus? Die Männer werden dir nicht weniger andächtig zuhören. Nur singe nicht mehr von der Heimkehr der Achaier! Ich weine nun schon so lange um meinen Gemahl, und ich werde ihn auch ohne dein Lied gewiss nicht vergessen.“

Da fiel ihr Telemach ins Wort: „Liebe Mutter, Zeus allein ist dafür verantwortlich, was die Menschen bewegt. Außerdem wollen die Zuhörer immer die neuesten Lieder hören und spenden für sie den größten Beifall. Dafür musst du Verständnis haben. Bedenke, dass nicht nur Odysseus die Heimkehr verwehrt worden ist: Wie viele sind vor Troja gefallen und werden nie zurückkehren! Geh also wieder an deinen Platz und kümmere dich um die Geschäfte der Frauen. Hier unten aber gilt das Wort des Mannes im Haus, und der bin ich.“

Penelope war erstaunt über die bestimmte Rede ihres Sohnes. Beklommenen Herzens stieg sie die Treppe zu ihrer Kammer empor. Wie sehr fehlte ihr doch der schützende Arm ihres geliebten Mannes. Weinend ließ sie sich auf das Lager sinken, und umgeben von ihren Mädchen weinte sie, bis Athene ihr sanft die Augenlider mit Schlaf beschwerte.

Nach dieser kurzen Unterbrechung hatten die Freier wieder ihr übliches Lärmen aufgenommen. Alle wünschten lauthals, mit Penelope das Lager zu teilen. Aber auch vor ihnen hielt sich Telemach nun nicht mehr zurück: „Euer schlechtes Benehmen muss ein Ende haben! Heute könnt ihr meinetwegen noch das Mahl beenden und in Musse dem Sänger lauschen. Aber morgen früh lade ich euch auf den Markt vor. Der Rat soll mein Zeuge sein, wie ich euch verabschiede.

Ihr habt doch alle eigene Güter, von denen ihr reihum leben könntet. Ich jedenfalls bete zu den Göttern, dass sie euch für euer schändliches Treiben endlich bestrafen.“

Im ganzen Saal war es still geworden. So mancher Freier biss sich verlegen auf die Lippen. Nur einer von ihnen, Antinoos, setzte sogleich zur spöttischen Gegenrede an: „Das haben dir wohl die Götter eingegeben! Da kann man ja nur hoffen, dass sie dich nicht noch eines Tages über uns zum König einsetzen.“

„Oh Antinoos", erwiderte darauf Telemach, „wenn mir Zeus die Herrschaft über Ithaka antragen sollte, werde ich sie nicht ausschlagen. Herrscher zu sein ist sicher nicht das Schlechteste. In unserer Gegend gibt es jedoch genügend Männer von Adel. Wollte irgendein anderer die Nachfolge von Odysseus antreten, könnte ich das kaum verhindern. Um die Herrschaft über mein Haus und über meine Leute werde ich allerdings zu kämpfen wissen!“

Eurymachos, der Sohn des Polybos, versuchte zu vermitteln: „Wer in Zukunft über Ithaka herrschen wird, das wissen allein die Götter, und es wird auch keiner bestreiten, dass du über euer Anwesen das Sagen hast. Aber etwas anderes:

Wer war denn der geheimnisvolle Fremde? Er wurde uns gar nicht vorgestellt. Wusste er vielleicht etwas über den Verbleib deines Vaters?“

„Nein, nein – und selbst wenn, auf Gerüchte gäbe ich nichts mehr. Der Mann war Mentes, ein alter Gastfreund unserer Familie.“

Noch während er redete, kam es Telemach in den Sinn, dass es Athene gewesen sein könnte, die ihm in der Gestalt des Mentes erschienen war. Hatte seine Mutter nicht des Öfteren erzählt, dass Athene schon seit langem dem Hause ihrer Familie gewogen war?

Erst spät in der Nacht hatten die Freier genug von Tanz und Gesang. Aber Telemach wahrte die Rolle des Gastgebers und verließ als Letzter die hohe Halle.

Den Weg über den Hof zu seiner Kammer leuchtete ihm die alte Eurykleia aus. Der Großvater Laërtes hatte sie einst für zwanzig Rinder zusammen mit dem Gut gekauft. Damals war sie noch ein junges Mädchen, und sie hatte dem Laërtes gefallen. Um seine Gemahlin jedoch nicht zu kränken, hatte er Eurykleia nie berührt, sie aber dennoch wie eine zweite Gemahlin geehrt. Jetzt war sie die treue Dienerin des Telemach, dessen Heranwachsen sie schon von Kindesbeinen an begleitete.

Als die beiden Telemachs Kammer betreten hatten, setzte er sich aufs Bett, entledigte sich seines Gewandes und warf es der alten Frau in die Arme. Eurykleia strich es ordentlich zurecht und hängte es an den hölzernen Kleiderhaken. Dann entfernte sie sich lautlos, zog an dem silbernen Ring die Tür hinter sich zu und schob den Riegel mit dem Riemen vor. Telemach aber hatte sich auf seinem Lager mit weichen Schaffellen zugedeckt und war schon in Gedanken auf der Reise, zu der ihm die Göttin geraten hatte.

[1]   Moiren, sprich: Meu-ren

[2]   Laërtes, sprich: La-er-tes

2 Ein Schiff für Telemach

Am Horizont schimmerten die ersten zarten Strahlen der Morgenröte, als Telemach die Augen öffnete. Er stand auf, kleidete sich an und gurtete sein scharfes Schwert um die Schulter. So für den Tag gerüstet, trat er unter seine Bediensteten und befahl den Ausrufern, alle Männer für eine Ratsversammlung auf dem Markt zusammenzurufen.

Als er sich dann auf den Platz seines Vaters setzte, meldete sich gerade der alte Aigyptios zu Wort. Einer seiner Söhne war Antiphos und mit Odysseus gegen Troja ausgefahren. Ein anderer war Eurynomos, der sich zum Kumpanen der Freier gemacht hatte.

„Leute von Ithaka! Seit Odysseus fort ist, hat es keine Versammlung mehr gegeben. Weiß jemand, wer uns heute geladen hat und worum es eigentlich geht? Auf jeden Fall ist es gut, dass sich wieder jemand um unser Gemeinwohl kümmert. Zeus segne diesen Mann, ganz gleich, was ihn dazu bewogen haben mag!“

Eine bessere Einleitung konnte sich Telemach gar nicht wünschen. Darum erhob er sich sogleich wieder und bat ums Wort: „Edler Greis, du sollst nicht länger im Ungewissen bleiben: Ich war es, der euch hier zur Versammlung geladen hat. Aber es handelt sich nicht um ein Anliegen des Gemeinwohls, sondern ich will hier und jetzt die Interessen meines eigenen Hauses vertreten.

Mein Haus wird verwüstet und ausgeraubt. Nicht etwa von unbekannten Strauchdieben, sondern von den Söhnen und Erben der vornehmen Familien unseres Landes. Darüber hinaus bedrängen diese Helden meine Mutter, einen von ihnen zum Mann zu nehmen, obwohl sie es nicht will. Nach alter Sitte müssten sie dazu außerdem zu Ikarios, dem Vater meiner Mutter, gehen, der dann einen Mann seiner Wahl bestimmen würde. Aber das wagen sie nicht, denn sonst hätten sie keine Ausrede mehr, sich weiterhin an meinen Gütern zu vergreifen.

Hätte euch“, sprach er dann die Freier an, „mein Vater seinerzeit etwas Rachewürdiges angetan, wäre ich vielleicht etwas weniger aufgebracht. So aber kann ich nur hoffen, dass ihr alsbald der Rache der Götter zum Opfer fallen werdet.“

Tränen der Wut waren Telemach bei seinen letzten Worten in die Augen geschossen, so dass er am Ende den Rednerstab weit von sich schleuderte. Antinoos jedoch zeigte sich davon nicht sonderlich beeindruckt: „Telemach, du scheinst ja wirklich noch als Volksredner enden zu wollen!

Was fällt dir eigentlich ein, uns vornehme Achaier derart zu beleidigen? Deine Mutter ist es doch, die uns an der Nase herumführt! Und das schon seit fast vier Jahren!

Es begann damit, dass sie uns allen Botschaften schickte. Nach und nach erweckte sie in jedem von uns falsche Hoffnungen und hat uns dadurch gegenseitig im Zaum gehalten. Als das keine Wirkung mehr zeigte, griff sie zu einer neuen Hinterlist: Sie wolle sich angeblich nicht von den Frauen Vorhaltungen anhören müssen, wenn der alte Laërtes einst standesgemäß zu begraben wäre. Solange sein Leichentuch noch nicht gewebt sei, sollten wir uns zurückhalten – was blieb uns anderes übrig, als ihren Willen zu achten?

Doch dann stellte sich heraus, dass sie alles bei hellem Tageslicht Gewebte im Schein der Fackeln wieder aufgetrennt hatte. Über drei Jahre lang trieb sie dieses Spiel mit uns. Wir wären noch immer die Betrogenen, hätte uns nicht erst vor kurzem eines der Mädchen von dem trügerischem Handwerk deiner Mutter erzählt.

Ich will dir etwas sagen, und auch die andern sollen gut zuhören:

Deine Mutter muss sich jetzt endgültig entscheiden, wen von uns sie sich zum Manne nehmen will! Soll sie sich meinetwegen mit ihrem Vater beraten – solange sie nicht meint, uns länger für dumm verkaufen zu können.

Wenn dir also etwas an deinem Erbe liegt, solltest du ihr endlich die Leidensmiene ausreden, mit der sie unserem berechtigten Verlangen entgegentritt. Wir jedenfalls werden nicht nachgeben!“

Wenn Antinoos nun aber glaubte, den jungen Telemach zum Schweigen gebracht zu haben, so hatte er sich geirrt: „Antinoos! Ich soll deiner Meinung nach also die Frau vor die Tür setzen, die mich geboren und aufgezogen hat?

Weder Ikarios, ihr Vater, noch die Götter könnten so ein Verhalten billigen, und meine Mutter würde mich völlig zu Recht verfluchen. Alle würden mit Fingern auf mich zeigen und mich künftig zum Abschaum zählen.

Nein, nein, ihr habt euch gefälligst andere Freitische zu suchen, und ich bete zu den Göttern, dass ihr endlich an euren Schandtaten umkommt!“

Und Zeus schickte zum Zeichen zwei Bergadler in den Himmel von Ithaka. Sie begannen über der Versammlung zu kreisen und bald dicht über die Köpfe hinwegzustreichen. Dann fielen die riesigen Vögel plötzlich übereinander her und behackten sich mit Schnäbeln und Klauen, dass die Federn flogen. Schließlich ließen sie voneinander ab und glitten unvermittelt rechts über die Häuser der Stadt hinweg.

Noch wie gelähmt lauschten alle der Deutung eines alten Ausrufers: „Was ihr eben zu sehen bekommen habt, gilt vor allem den Freiern! Odysseus kommt bald zurück, und dann ist euch der Tod gewiss. Ich verkündete dem Odysseus schon vor seiner Ausfahrt nach Troja, dass er erst nach vielen Jahren einsam und unerkannt heimkehren würde. Es ist nun so weit! Meine Weissagung wird sich bald erfüllt haben!“

Aber Eurymachos wollte davon nichts wissen: „Mach lieber, dass du nach Hause kommst, mein Alterchen! Du hoffst mit deinem Zukunftsgefasel ja nur auf eine Belohnung von Telemach. Vögel fliegen her und fliegen weg, so ist das nun einmal. Odysseus jedoch ist sicher schon lange tot, und es ist schade, dass du sein Schicksal nicht teilst. Pass also lieber auf, was deiner Zunge entfliegt, es könnte, eher als du denkst, dein Letztes sein.

Und du, Telemach, solltest dich besser an das halten, was dir Antinoos gesagt hat. Wir alle warten, bis Penelope einem von uns gegeben wird.

Wir gönnen den anderen Frauen noch nicht einmal einen Blick, obwohl wir durchaus das Recht hätten, auf ihren Lagern Trost zu finden. Daran kannst du erkennen, welch hohe Meinung wir von deiner Mutter haben.“

Telemach winkte ab, war doch von ihm dazu bereits alles gesagt worden. Wie von Athene geraten, forderte er nun von der Versammlung ein Schiff, um bei Nestor und Menelaos nach Lebenszeichen von Odysseus Ausschau halten zu können. Stelle sich dabei heraus, dass für das Leben seines Vaters noch Hoffnung bestehe, würde er noch ein Jahr abwarten, ansonsten müsse sich Penelope einen neuen Mann erwählen.

Nach diesen Erklärungen Telemachs ging das Wort an die Versammlung zurück, und es erhob sich Mentor. Er war ein alter Freund des Odysseus. Trotz seiner aufgestauten Wut achtete Mentor sorgsam auf die Wahl seiner Worte: „Es scheint, dass es keinen Sinn hat, wenn sich ein Herrscher um Gerechtigkeit bemüht. Habt ihr alle vergessen, wie gütig Odysseus uns gegenüber war? Schlimm genug, dass die Freier unbedingt glauben wollen, Odysseus sei tot – aber dass ihr andern nicht einmal in Erwägung zieht, den Freiern entgegenzutreten, ist schändlich. Dabei seid ihr sogar in der Überzahl!“

Als Mentor sich wieder gesetzt hatte, meldete sich als letzter Leiokritos aus der Partei der Freier zu Wort: „Du scheinst nicht ganz bei Trost zu sein, Mentor! Was hetzt du die Leute hier gegen uns auf? Selbst Odysseus hätte in einem Kampf gegen uns alle kaum Aussicht auf einen Sieg!

Aber hier wurde lange genug dummes Zeug geschwätzt! Geht jetzt besser wieder an eure Arbeit. Mentor und der alte Himmelsdeuter können ja dem Telemach bei seiner geplanten Fahrt zur Hand gehen. Wahrscheinlich ist diese Schiffsreise sowieso nur leeres Gerede, und Telemach weint sich vorzugsweise weiterhin am Strand die Augen nach seinem Vater aus.“

Die Versammlung wartete auch wirklich keine Antwort mehr auf die höhnische Rede des Freiers ab. Im Nu war sie seiner Aufforderung nachgekommen. Da lachten sich die Freier ins Fäustchen und nahmen alsbald ihre gewohnten Plätze im Haus des Odysseus ein.

Telemach hingegen hatte sich auf den Weg zum Strand gemacht, allerdings nicht um dort zu weinen, sondern um zu jener Gottheit zu beten, mit der er am letzten Abend zu Tisch gesessen hatte und deren Namen er nicht mit letzter Sicherheit wusste. Er flehte um ihren weiteren Beistand, denn er fürchtete, dass ihn die Freier zuletzt doch noch an seiner Suche hindern könnten. Athene erhörte sein Gebet und erschien ihm in der Gestalt Mentors: „Als Sohn des Odysseus musst du keine Angst haben. So viel von seinem Unternehmungsgeist sollte in dir stecken, als dass dich jetzt noch jemand aufhalten könnte. Oder kommst du nicht nach deinen Eltern? Dann allerdings hätte ich wenig Hoffnung für dich.

Aber du wirst das schon meistern, da bin ich ganz sicher! Lass dich nicht von den Freiern einschüchtern. Sie sind nicht gerade sehr weitblickend und werden ihrem Schicksal nicht entgehen. Ich will dir helfen, ein Schiff und Ruderer für deine Fahrt zu besorgen. Du aber stelle unauffällig die nötigen Vorräte zusammen. Am wichtigsten sind Wein und Mehl, damit unsere Mannschaft bei Kräften bleibt. Wir treffen uns dann am Strand bei den Schiffen.“

So ganz gewiss war sich Telemach seiner Sache zwar immer noch nicht, aber er ging nun doch mit festerem Schritt ins Haus zurück.

Als Telemach über die Hofschwelle trat, kam ihm Antinoos lachend entgegen. Er tat so, als sei nichts weiter gewesen: „Ach Telemach, sei doch nicht länger aufgebracht! Wenn du willst, kümmern wir uns auch um dieses Schiff für dich. Aber bis dahin setze dich zu uns, und halte bei unserem kleinen Gelage mit.“

„So weit kommt es noch“, riss sich Telemach von ihm los, „dass ich mit euch meinen Untergang feiere! Ich bin alt genug, dein Angebot zu durchschauen. Wenn ich kein eigenes Schiff ausrüsten kann, dann schiffe ich mich eben in einem fremdem ein. Dass ich nach Pylos fahre, ist jedenfalls sicher – so sicher, wie es euch bald an den Kragen gehen wird!“

Da wollten sich die Freier schier kugeln vor Lachen.

„Ja, jetzt wird es wirklich ernst! Der Telemach holt jetzt Verbündete aus Pylos und dann noch welche aus Sparta! Er strengt sich wirklich an, das muss man sagen.“

„Nein, nein, er geht insgeheim nach Ephyra und kauft sich dort Gift, das er uns dann in den Wein mischen will.“

„Oder es geht ihm wie seinem Vater, und er bezahlt seinen Ausflug mit dem Leben. Dann hätten wir hier eine noch größere Plackerei, sein Hab und Gut aufzuteilen. Und schließlich vermählt sich Penelope, und wir müssten ohne Lohn für diese schwere Arbeit abrücken.“

  Sollten sie ruhig spotten, Telemach hörte gar nicht mehr hin. Er stieg unbemerkt zu den Kellergewölben hinunter, in denen die Vorräte und Schätze des Odysseus unter der Obhut Eurykleias gelagert waren. Hinter schweren, fest verschlossenen Flügeltüren stapelten sich Gold und andere edle Erze, Truhen, voll mit prächtigen Gewändern, Fässer mit wohlriechendem Öl und solche, die mit schwerem, alten Wein auf den Tag der Rückkehr des Hausherrn warteten.

Telemach rief Eurykleia herbei und verlangte zwölf Krüge mit Wein und zwanzig Maß Mehl in gut genähten Lederbeuteln. Zugleich hielt er sie zum Schweigen an. Die Freier dürften nichts davon erfahren! Er werde die Sachen dann in der Nacht abholen.

Eurykleia konnte es nicht fassen, dass sich nun auch ihr junger Herr den Gefahren einer Fahrt auf dem Meere aussetzen wollte. Aber schließlich versprach sie ihm bei allen Göttern im hohen Olymp, selbst seiner Mutter erst nach dem elften oder zwölften Tag der Abfahrt Bescheid zu sagen.

Damit fürs Erste zufrieden, mischte sich Telemach wieder unter die Freier.

  Athene warb unterdessen in der Gestalt ihres Schützlings Ruderer an und bat den Schiffshalter Noemon um ein schnelles Schiff. Der sagte dies dem vermeintlichen Telemach auch ohne Wenn und Aber bereitwillig zu.

Die Sonne ging schon unter, als die Göttin das Schiff zu Wasser brachte, es mit den notwendigen Gerätschaften belud und anschließend am Ausgang der Bucht vertäute. Die inzwischen angelangte Mannschaft wurde von ihr in alles eingewiesen und leistete den Treueschwur.

Kaum war dies geschehen, ließ Athene den Freiern große Müdigkeit in die Glieder fahren, so dass ihnen die Becher aus den Händen fielen und sie alle alsbald nach Hause wollten.

Jetzt erst rief die Göttin, nun wieder in der Gestalt Mentors, Telemach zu sich: „Komm, alles ist bereit und wartet nur noch auf uns. Wir müssen uns beeilen!“

„Der Alte ist wirklich gut zu Fuß“, dachte sich Telemach, der der davonstürmenden Athene kaum folgen konnte. Am Liegeplatz begrüßte er die langhaarigen Seeleute und befahl ihnen, den Proviant abzuholen und einzuladen. Schließlich setzten sich Telemach und der angebliche Mentor hinten an das Steuer. Nachdem der Mast aus Fichtenholz aufgerichtet und befestigt war, spannten sich alsbald die weißen Segel vor einem von Athene gerufenen, günstigen Wind. Das Schiff war auf Kurs. Die Becher wurden mit Wein gefüllt, und die ganze Mannschaft trank auf das Wohl der unsterblichen Götter. Besonders hochleben ließen sie aber die Tochter des Zeus, Athene, die die ganze Zeit unerkannt bei ihnen saß.

3 Bei Nestor in Pylos