Hope in Action - Die Zukunft gehört uns - Sanna Marin - E-Book

Hope in Action - Die Zukunft gehört uns E-Book

Sanna Marin

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Beschreibung

Das wegweisende Buch der ehemaligen Ministerpräsidentin Finnlands

In Hope in Action nimmt Sanna Marin die Leser*innen mit auf die außergewöhnliche Reise ihrer bahnbrechenden Karriere und teilt ihre Vision einer neuen Art der Führung. Als sie im Alter von nur 34 Jahren finnische Ministerpräsidentin wurde, schrieb Marin als jüngste finnische Regierungschefin zum Zeitpunkt ihrer Amtsübernahme Geschichte und fesselte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit ihren fortschrittlichen Ideen und ihrem dynamischen Regierungsansatz.
Ihre Geschichte ist eine Geschichte der Resilienz und des Triumphs. Als Erste in ihrer Familie, die eine Universität besuchte, durchbrach sie Barrieren, um zu einer globalen Ikone der fortschrittlichen Führung zu werden. Ihre Zeit als Ministerpräsidentin war geprägt von historischen Meilensteinen: Nach der russischen Invasion in der Ukraine führte Marin ihr Land durch den schnellsten NATO-Beitrittsprozess in der Geschichte des Bündnisses und leitete einige der weltweit ehrgeizigsten Klimainitiativen mit dem Ziel der CO2-Neutralität bis 2035. Ihre Regierung setzte sich für Geschlechtergleichstellung und digitale Innovation sowie für umfassende Reformen zur Verbesserung des Gesundheitswesens, der Bildung und der Menschenrechte ein.
Lebhaft erzählt sie von ihren Erfahrungen und wie sie bedeutende politische und persönliche Herausforderungen bewältigte – allen voran das Video, das sie beim Tanzen auf einer Party zeigte, und das einen globalen Medienrummel auslöste.
Hope in Action ist viel mehr als eine Autobiografie – es ist ein Aufruf zum Handeln. Marin fordert die nächste Generation von Leadern auf, Herz und Seele in ihre Arbeit einzubringen. Ihre Geschichte ist ein ermutigendes Zeugnis für die Möglichkeiten, die wir besitzen, um echte Veränderung in unserer Welt herbeizuführen.

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Seitenzahl: 333

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch:

In Hope in Action nimmt Sanna Marin die Leser*innen mit auf die außergewöhnliche Reise ihrer bahnbrechenden Karriere und teilt ihre Vision einer neuen Art der Führung. Als sie im Alter von nur 34 Jahren finnische Ministerpräsidentin wurde, schrieb Marin als jüngstes Staatsoberhaupt der Welt Geschichte und fesselte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit ihren fortschrittlichen Ideen und ihrem dynamischen Regierungsansatz. Ihre Geschichte ist eine Geschichte der Resilienz und des Triumphs. Als Erste in ihrer Familie, die eine Universität besuchte, durchbrach sie Barrieren, um zu einer globalen Ikone der fortschrittlichen Führung zu werden. Ihre Zeit als Ministerpräsidentin war geprägt von historischen Meilensteinen: Nach der russischen Invasion in der Ukraine führte Marin ihr Land durch den schnellsten NATO-Beitrittsprozess in der Geschichte des Bündnisses und leitete einige der weltweit ehrgeizigsten Klimainitiativen mit dem Ziel der CO2-Neutralität bis 2035. Ihre Regierung setzte sich für Geschlechtergleichstellung und digitale Innovation sowie für umfassende Reformen zur Verbesserung des Gesundheitswesens, der Bildung und der Menschenrechte ein. Lebhaft erzählt sie von ihren Erfahrungen und wie sie bedeutende politische und persönliche Herausforderungen bewältigte – allen voran das Video, das sie beim Tanzen auf einer Party zeigte, und das einen globalen Medienrummel auslöste. Hope in Action ist viel mehr als eine Autobiografie – es ist ein Aufruf zum Handeln. Marin fordert die nächste Generation von Leadern auf, Herz und Seele in ihre Arbeit einzubringen. Ihre Geschichte ist ein ermutigendes Zeugnis für die Möglichkeiten, die wir besitzen, um echte Veränderung in unserer Welt herbeizuführen.

Über die Autorin:

Sanna Marin ist die ehemalige Ministerpräsidentin Finnlands und Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Finnlands. Marin schrieb Geschichte als jüngste Regierungschefin der Welt und führte eine parlamentarische Koalition an, die ausschließlich von Frauen geführt wurde, sowie ein Kabinett, das mehrheitlich aus Frauen bestand. Neben den historischen Herausforderungen während ihrer Amtszeit verabschiedete Marins Regierung viele fortschrittliche Reformen in Finnland, darunter die weltweit ehrgeizigsten Klimagesetze mit dem Ziel der CO2-Neutralität bis 2035, eine Reform der Elternzeit, die die gleichberechtigte Aufteilung auf beide Elternteile vorsieht sowie wichtige Reformen zur Verbesserung des Gesundheitswesens, der Bildung und der Menschenrechte. Seit September 2023 ist sie strategische Beraterin am Tony Blair Institute for Global Change und berät Länder, Regierungen sowie Staats- und Regierungschefs zu politischen Themen wie guter Regierungsführung, Technologie, Klima und Gleichstellung der Geschlechter.

Sanna Marin

Hope in Action

Die Zukunft gehört uns

Inspiration und Impulse von Finnlands jüngster Ministerpräsidentin

Aus dem Englischen von Ursula Held, Heike Maillard und Franka Reinhart

Die Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel Hope in Action: A Memoir About the Courage to Lead bei Scribner, an Imprint of Simon & Schuster, New York.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © 2025 by MA/PI Oy

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025 by Ariston Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

www.penguin.de/verlage/ariston

Alle Rechte vorbehalten.

Übersetzung: Ursula Held, Heike Maillard und Franka Reinhart

Redaktion: Regina Carstensen

Umschlaggestaltung: wilhelm typo grafisch unter Verwendung des Originalcovers und eines Fotos von © Meeri Koutaniemi

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-33349-2V001

Für meine Tochter Emma und alle Mädchen, die die Welt verändern werden

Inhalt

Einleitung Keine übliche Politikerkarriere

Kapitel 1 Muss ich das jetzt wirklich tun?

Kapitel 2 Gemeinsame Anfänge

Kapitel 3 Teil der Bewegung

Kapitel 4 Lernkurve

Kapitel 5 Female Leadership

Kapitel 6 Die Pandemie

Kapitel 7 Im Krieg aufwachen

Kapitel 8 Geopolitische Realitäten

Kapitel 9 Harte Verhandlungen

Kapitel 10 Skandale

Kapitel 11 Es gibt noch viel zu tun

Kapitel 12 Kleine Momente der Hoffnung

Danksagung

Einleitung

Keine übliche Politikerkarriere

Im Dezember 2019 wurde ich mit vierunddreißig Jahren Ministerpräsidentin der Republik Finnland. Damit war ich weltweit die jüngste Person an der Spitze einer Regierung und führte eine Koalition aus fünf Parteien, deren Vorsitzende allesamt Frauen waren. Vier von uns waren jünger als vierzig. Und nun stellen sich wahrscheinlich viele Leute die Frage: Wie kam es dazu?

Es war zwar kein Zufall, dass ich nach über einem Jahrzehnt intensiven Engagements in der Sozialdemokratischen Partei Finnlands, der SDP, eine gewisse Stellung erreicht hatte, doch mit einem so raschen Aufstieg hatte ich weder gerechnet noch hatte ich ihn angestrebt. Eigentlich hatte ich eine ganz gewöhnliche politische Laufbahn vor Augen – falls man eine Karriere in der Politik überhaupt als »gewöhnlich« bezeichnen kann. Eine Möglichkeit, von meinem Weg zu erzählen, wäre meine persönliche Geschichte: wo ich aufgewachsen bin, was mir mein Zuhause mitgegeben hat, warum ich zum ersten Mal auf eine Demonstration ging, wie ich meine erste Wahlkampagne bestritt, wie ich zur Ministerpräsidentin gewählt wurde und was für ein Gefühl es war, Verantwortung für eine Regierung zu tragen. Aber ich muss sagen, dass es mir unangenehm ist, viele Worte über mein Privatleben oder meine Vergangenheit zu machen. Das liegt nicht daran, dass es schmerzhaft oder peinlich wäre, sondern daran, dass ich mich auf die Dinge konzentrieren möchte, die für die Allgemeinheit wichtig sind. Ich habe es nicht etwa an die Spitze der politischen Pyramide geschafft, weil ich etwas Besonderes wäre, sondern, weil ich Themen und Werte vertrete, die viele Menschen teilen.

In die Politik bin ich in einer Zeit eingetreten, in der alte Strukturen aufgebrochen wurden: Plötzlich änderte sich alles, von der Art, wie wir über politische Ereignisse berichten und Nachrichten weitergeben, bis hin zu unserem Verständnis von globalen Herausforderungen. Auch Menschen mit eher unkonventionellem Hintergrund fanden einen Weg ins politische Establishment. Dennoch war meine Berufswahl alles andere als naheliegend. In meiner Kindheit kannte ich Politiker überwiegend als alte Männer in grauen Anzügen, die über technische Details debattierten. Diese Welt war mir fremd.

Anfangs war ich mir unsicher, ob der Politikbetrieb mir genügend Raum bieten würde. Ich bin nicht die Einzige, die so empfunden hat. Aber so beengt mir dieser Raum manchmal vorkam, bin ich doch froh, dass ich um ihn gekämpft habe, denn so eröffnete sich die Möglichkeit, dass Menschen nachrücken und ihn erweitern. Ich betrachte Themen und Ereignisse vorrangig aus dem Blickwinkel von politischen Bewegungen, von Geschichte, Ideologie und Gesellschaft. Meine Aufgabe sah ich darin, meine Fähigkeiten und Erfahrungen einzubringen, um so meinen Teil zum Fortschritt beizutragen, und nicht unbedingt darin, ein »female leader« zu sein. Die Verhältnisse, die eine Frau in einer Spitzenposition hervorbringen, und die Arbeit, die sie in dieser Rolle leistet, sind wichtiger als das, was diese Frau empfinden mag und eindeutig wichtiger als ihr Styling.

Die Geschichte, wie ich Ministerpräsidentin und Anführerin einer Regierungskoalition aus gleich fünf weiblichen Führungskräften wurde, ist auch die Geschichte Finnlands – ein Land, das für seine Fortschritte in den Bereichen Gleichstellung, Nachhaltigkeit, soziale Sicherung und Resilienz gefeiert wird. Ebendiese Entwicklungen waren es, die mich dazu bewogen haben, Politikerin zu werden. Dem Bild einer Art winterlichen, egalitären Utopie, in der laut Umfragen die glücklichsten Menschen der Welt leben, wird Finnland zwar nicht immer gerecht, doch bin ich stolz auf mein Land und vor allem glücklich, dass ich die Chance hatte, ihm zu dienen. Stolz bin ich, weil Finnland über ein stabiles Sozialsystem verfügt, das für Vertrauen und Solidarität sorgt. Dieses feste Vertrauen sichert unserer Gesellschaft das Vorankommen. Auch wenn das konservative Lager behaupten mag, dass sozialdemokratische Politik die Freiheit einschränkt, ist es doch in Wahrheit so, dass sie uns Freiheit erst ermöglicht: Wir können sicher leben, von einer Ausbildung profitieren, für einen fairen Lohn arbeiten, wir haben Zeit für Familie und Freunde und können uns selbst verwirklichen. Gewährt ein Land allen seinen Bürgerinnen und Bürgern diese Rechte, dann kann ein Kind alles werden, was es will, und jeder Mensch ein erfüllendes Leben haben.

Doch diese Strukturen müssen ständig gepflegt und reformiert werden, man kann sie nicht als selbstverständlich betrachten. Jede Generation hat die Pflicht, das Erbe der vorangegangenen anzuerkennen und zu erneuern. Das sind wir zum einen jenen schuldig, die in der Vergangenheit für unsere Rechte gekämpft haben, zum anderen aber schulden wir der kommenden Generation Unterstützung für die Zukunft.

Als ich zur Ministerpräsidentin gewählt wurde, hatte ich keine Ahnung, was noch bevorstand. Zusätzlich zu den typischen Aufgaben – Gesetzgebungsdebatten, Haushaltsverhandlungen, der Umgang mit den üblichen politischen Streitigkeiten und Fallstricken, die Koordinierung mit der Europäischen Union – waren während meiner Amtszeit historische globale Krisen zu bewältigen. Ich war knapp drei Monate im Amt, als es aufgrund der Coronapandemie zu einem weltweiten Lockdown kam, der die Fähigkeit erforderte, mit zunächst sehr wenig Wissen beispiellose Entscheidungen zu treffen. Es galt, in einem äußerst komplexen Umfeld Entschlossenheit zu zeigen, zugleich aber flexibel zu reagieren. Das verlangte gute Kommunikationsfähigkeiten und vor allem auch Durchhaltevermögen. Es stand unglaublich viel auf dem Spiel. Dabei waren wir uns bewusst, dass die Auswirkungen unserer Entscheidungen noch Jahre zu spüren sein würden.

Gerade zwei Jahre später folgte Russlands Invasion der Ukraine, welche der europäischen Sicherheitsarchitektur und der regelbasierten internationalen Ordnung einen enormen Schlag versetzte. Finnlands langjährige Politik der militärischen Neutralität musste neu bewertet und überarbeitet werden – und zwar schnell. Wir teilen eine 1340 Kilometer lange Grenze mit der Russischen Föderation und können uns und die EU nicht der Gefahr einer Aggression aussetzen. Die finnische Regierung musste das Land mit beschleunigtem Tempo durch den Beitrittsprozess zur NATO führen.

Meine Amtszeit als Ministerpräsidentin war, wie sich manche vielleicht erinnern werden, mit Skandalen gespickt, die manche harmlos, andere wiederum empörend fanden – so wie das berüchtigte Video, in dem ich auf einer Party tanze. Zu meinen aus erster Hand gemachten Erfahrungen gehört, dass unsere politischen Systeme ungern anerkennen, dass Politiker auch nur Menschen sind. Im schlimmsten Fall kann dies Menschen von politischem Engagement und der Übernahme eines Amtes abhalten, da sie befürchten, nicht in die engen Stereotypen eines Politikers zu passen. Eben deshalb war es mir wichtig, mich auch unter der scharfen Beobachtung der Medien nicht zu verbiegen. Eine inklusive und widerstandsfähige Gesellschaft kann nur entstehen, wenn sich Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Hintergrund in die Politik einbringen.

Ich schreibe dieses Buch nicht, um mich – meine Erfolge oder Rückschläge – zu verewigen, sondern, weil ich vermitteln möchte, wie wichtig Werte sind. In einer zerrütteten Welt kann das Beharren auf dem, was richtig ist, Kraftquelle und Leitfaden sein. Falls meine persönliche Geschichte von Bedeutung sein kann, dann, weil sie zeigt, was in Bewegung gerät, wenn man sich weigert, das Falsche zu akzeptieren. Ab dem Tag, an dem ich mein Amt als finnische Ministerpräsidentin antrat, habe ich mich geweigert, das traditionelle Bild eines Regierungschefs zu akzeptieren – auch gegen den lautstarken Protest von Kritikern. Wenn wir Traditionen über Ideen stellen, stagnieren wir nicht nur, wir zerfallen. Aber wenn wir für unsere Ideen einstehen, ebnen wir den Weg für Veränderungen – für eine Welt, in der man nach getaner Arbeit tatsächlich ausgelassen tanzen kann.

Kapitel 1

Muss ich das jetzt wirklich tun?

Nur ein Jahr bevor ich Ministerpräsidentin wurde, saß ich zum ersten Mal im Parlament, als Abgeordnete der Region Pirkanmaa, in der ich aufgewachsen bin und studiert habe. Landesweite Bekanntheit als Politikerin hatte ich 2015 erlangt, als ich bei den Wahlen in meiner Region die meisten Stimmen erhielt. Seit 2013 war ich Vorsitzende des Stadtrats von Tampere, der drittgrößten Stadt Finnlands. Neben diesen Aufgaben war ich stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten und unterstützte meine Partei bei den Vorbereitungen für die bevorstehenden Parlamentswahlen im April 2019.

Nach Jahren des Stillstands hatten die Sozialdemokraten ein neues Programm erarbeitet, das unseren Werten deutlicher gerecht wurde und eine progressive Politik für die Zukunft des Landes vorstellte. Als Mitglied des Parteivorstands war ich intensiv an dieser Arbeit beteiligt gewesen und führte nun in ganz Finnland Wahlkampf, um unsere Ideen zu den Bürgerinnen und Bürgern zu bringen. Es war der goldrichtige Job für mich, ich ging in dieser Aufgabe auf. Zu den Wahlen, so verstärkte sich unser Eindruck, würde sich die harte Arbeit auszahlen. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren hatten die Sozialdemokraten gute Chancen, von allen im finnischen Parlament vertretenen Parteien (damals waren es neun) die meisten Stimmen auf sich zu versammeln. In einem parlamentarischen System, in dem keine Partei jemals eine absolute Mehrheit erreicht, würde unser Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten also die Verhandlungen zur Bildung einer Mehrparteienregierung führen. Ich war sehr stolz auf das, was wir erreicht hatten, und wappnete mich für einen unermüdlichen Wahlkampf durch den gesamten Winter und Frühling.

Doch dann, um Weihnachten 2018, passierte etwas Schreckliches: Während eines Spanienurlaubs wurde unser Parteivorsitzender Antti Rinne auf einmal schwer krank. Es war mehr als eine Grippe. Man brachte ihn auf die Intensivstation und versetzte ihn wegen einer Herzentzündung zwei Wochen lang in ein künstliches Koma. Rinne war ja der Kandidat der Sozialdemokratischen Partei Finnlands für das Amt des Ministerpräsidenten, aber niemand wusste, wann er zurückkäme oder ob er überhaupt genesen würde. Kurz nachdem uns diese Information erreicht hatte, folgte eine zweite niederschmetternde Nachricht: Ich erhielt einen Anruf von der zweiten stellvertretenden Vorsitzenden unserer Partei, Maarit Feldt-Ranta. Ihr zuvor besiegter Magenkrebs war zurückgekehrt, die Prognose stand schlecht. Ihre Erkrankung verlangte den sofortigen Rückzug von ihrer Tätigkeit und dem Wahlkampf.

Nun rangen also zwei meiner engen Kollegen um ihr Leben. Die gesamte Partei stand unter Schock. Als erste stellvertretende Vorsitzende – direkt nach Rinne – war es meine Aufgabe, nur wenige Monate vor den Parlamentswahlen die Führung des Wahlkampfs zu übernehmen. Und das tat ich auch, doch beschäftigte mich, was dies mit sich ziehen könnte. Wenn es mir gelänge, die wachsende Unterstützung für die Sozialdemokraten aufrechtzuerhalten, würden wir die Wahl gewinnen. Und dann müsste ich als unsere Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin die Regierungsverhandlungen führen. Ich kannte unser Programm zwar in- und auswendig und hatte inzwischen eine Menge Erfahrung mit öffentlichen Auftritten und Fernsehdebatten, dennoch fühlte ich mich dieser Aufgabe noch nicht gewachsen. Da wir aber den Aufschwung der Sozialdemokraten nicht einfach so aufgeben konnten, blieb mir nichts anderes übrig, als mich der Herausforderung zu stellen.

Für Panik war keine Zeit: Der Wahlkampf musste weitergehen. Wir mussten den Wählerinnen und Wählern zeigen, dass wir alles unter Kontrolle hatten und uns die drohende parteiinterne Krise nicht überwältigen würde. Im Januar veranstalteten wir dann eine große Auftaktveranstaltung für den Wahlkampf. Sie war als ein Fest gedacht, zu dem Mandatsträger, Kandidaten und Wahlhelfer aus dem ganzen Land zusammenkommen und sich für die bevorstehende Aufgabe motivieren sollten.

Anfangs war die Stimmung gedrückt. Die Menschen, die den großen Konferenzraum eines am Meer gelegenen Hochhaushotels in Helsinki betraten, wirkten traurig und verwirrt. Es sah aus, als hätten sie bereits alle Hoffnung verloren. Bis dahin hatten wir in den Umfragen geführt, aber jetzt erwarteten die Medien – und die mit uns konkurrierenden Parteien – einen Einbruch unserer Unterstützung. Die Auftaktveranstaltung musste alle davon überzeugen, dass wir noch gewinnen konnten. Ich wusste, dass es sich um einen entscheidenden Moment handelte, als ich aufs Podium zuging, um vor Hunderten Parteimitgliedern meine Rede zu halten. Die Stimmung war sehr getrübt, wir brauchten dringend eine Wende. Ich musste auftreten und klingen wie die Anführerin, die uns den Sieg bringen würde.

Zwei Dinge sollten meine Worte erreichen: Einmal musste ich der Traurigkeit, Angst und Hoffnungslosigkeit Ausdruck verleihen, die alle in der Partei empfanden, doch zugleich musste ich diese Gefühle in Kampfeswillen verwandeln. Ich musste der Partei wieder Zuversicht geben, damit wir wiederum die Wählerinnen und Wähler davon überzeugen konnten, dass wir ihr Vertrauen verdient hatten. Ich hatte nichts niedergeschrieben, sondern wollte frei sprechen. Ich wusste, was zu sagen war, schließlich fühlte ich dasselbe wie die Versammelten. Ich berichtete von den Ereignissen, schilderte die Situation ohne Beschönigung und legte daraufhin dar, wie wir die Schwierigkeiten überwinden und die bevorstehenden Wahlen dennoch gewinnen würden. Wir hatten eine Verantwortung gegenüber unserem Land und unseren Bürgerinnen und Bürgern: In den kommenden Jahrzehnten würden wir Finnland als wirtschaftlich starke, sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Nation nach vorn bringen. Und wir könnten dies trotz der Rückschläge erreichen, wenn wir als Team zusammenarbeiteten.

Ich bemerkte, wie sich die Stimmung im Raum veränderte. Die Menschen waren mit einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit gekommen, aber als sie gingen, spürten sie neue Energie, Motivation, ja gar Begeisterung. Es mag rührselig klingen, aber es braucht einfach den Glauben an den eigenen Erfolg. Man muss überzeugt sein, dass man etwas bewirken kann, nur dann gelingt es auch. Nach der Veranstaltung kamen immer wieder Menschen auf mich zu, sie bedankten sich und sprachen mir Mut zu. Ihre Reaktionen gaben mir die Kraft zum Weitermachen. Und so bekam ich das Selbstvertrauen, das ich selbst so dringend benötigte, ausgerechnet dadurch, dass ich in anderen Zuversicht weckte.

Eine Krise kann seltsamerweise auch Ansporn sein. Man hat keine Zeit für Gefühle oder lange Abwägungen, sondern tut einfach, was getan werden muss. Ich hatte mich immer in erster Linie als Fußsoldatin der Sozialdemokraten betrachtet: Mit einundzwanzig Jahren war ich Mitglied der Sozialdemokraten geworden und hatte zwar überrascht reagiert, als man mich bat, für den stellvertretenden Vorsitz zu kandidieren, mich dabei doch immer als Vertreterin einer größeren Bewegung und als Sprachrohr für unser Parteiprogramm gesehen. Jetzt verstand ich zum ersten Mal, was Führung bedeutet und erfordert. Ich machte Wahlkampf, nahm an Debatten teil, kam in ganz Finnland mit Wählerinnen und Wählern zusammen. Unser Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten lag im Krankenhaus, ich selbst wachte jeden Morgen mit Angst auf, wenn ich daran dachte, was noch alles passieren mochte – doch zu meiner Überraschung gab es eine große, ja wachsende Unterstützung für die Partei. Ich fürchtete den Gedanken, Ministerpräsidentin zu werden, und dennoch wusste ich, was zu tun war, und tat es nach besten Kräften – auch wenn ich hoffte, dass Antti Rinne genesen würde und zurückkehren könnte.

Und tatsächlich, zu meiner großen Erleichterung wurde Rinne aus dem Krankenhaus entlassen und konnte etwa einen Monat vor den Wahlen wieder arbeiten. Doch er war noch geschwächt, hatte Mühe beim Gehen und klang bei öffentlichen Auftritten nicht mehr wie der Alte. Viele Menschen zweifelten an seiner Eignung als Regierungschef, unser Rückhalt drohte zu schwinden. Bei jeder neuen Umfrage hielten wir den Atem an. Während ich auf Wahlkampftouren quer durchs Land unterwegs war und für unsere Partei und für Rinne warb, bekam ich oft zu hören, ich hätte doch die Führung übernehmen sollen. Ich war zwar stolz, welche Aufgaben ich unter schwierigen Umständen bewältigt hatte, dennoch war es eine unangenehme Situation. Ich unterstützte unseren Vorsitzenden und respektierte die parteiinterne Hierarchie. Aber die Wählerinnen und Wähler sagten mir eben einfach, was sie dachten. Insgeheim befürchtete ich, dass wir die Wahlen verlieren würden.

Fast wäre es so gekommen. Mitte April 2019 fanden in Finnland Parlamentswahlen statt, und die SDP gewann die meisten Sitze – jedoch mit nur 0,2 Prozentpunkten Vorsprung. Hätten die Wahlen eine Woche später stattgefunden, hätten wir wahrscheinlich verloren. Dennoch wurden wir zum ersten Mal seit 1999 wieder stärkste Partei: Zum ersten Mal seit 2003 würde es in Finnland wieder einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten geben.

Mit Beginn der Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung veränderte sich die Stimmung. Im Rampenlicht mochte Rinne zu kämpfen haben, in diesen Gesprächen aber zeigte er seine wahre Stärke. Es war leicht, den Grünen Bund, das Linksbündnis und die Schwedische Volkspartei zu Verhandlungen zu bewegen, doch reichte das für eine Regierungsbildung nicht aus. Um unsere progressive Mitte-links-Agenda umsetzen zu können, brauchten wir auch die Zentrumspartei. Mit einer rechten Partei in der Regierung hätten wir unsere wichtigsten Reformen in den Bereichen Soziales, Bildung, Nachhaltigkeit, Arbeit und Wachstum nicht vorantreiben können. Die Zentrumspartei hatte in der vorangegangenen Legislaturperiode den Ministerpräsidenten gestellt, nun aber massive Verluste hinnehmen müssen. Sie wollte sich weder unserer noch einer anderen Regierung anschließen. Es war ein großer Erfolg, dass Rinne sie dazu bewegen konnte, unserem Bündnis beizutreten. Mit dieser Koalition könnten wir die Schwerpunkte unserer Politik in die Wirklichkeit überführen. Wir waren voller Elan.

Im Juni 2019, anderthalb Monate nach den Wahlen, erfolgte die Ernennung der Regierung unter Antti Rinne, und wir nahmen unsere Arbeit auf. Zu meiner Überraschung wurde ich Ministerin für Verkehr und Kommunikation. Dass Rinne mir einen Posten in der Regierung anbot, verwunderte mich nicht – ich hatte während seiner Erkrankung erfolgreich Wahlkampf geführt und von allen Sozialdemokraten die meisten Stimmen erhalten. Außerdem brachte ich ihm seit Jahren Loyalität entgegen – eine in der Politik sehr wichtige Eigenschaft. Doch hatte ich wenig Erfahrung mit Verkehr und Kommunikation und hatte eigentlich gehofft, als Ministerin für Klima und Umwelt tätig zu werden, da ich mich seit Jahren mit diesen Themen befasste. Natürlich nahm ich das Angebot trotzdem an, und je mehr ich über das Mandat und die Aufgaben erfuhr, desto mehr begeisterte ich mich für diesen Posten. Es war eine herausfordernde Position mit ausreichendem Budget und es gab viele Überschneidungen mit Klimathemen. Und vor allem ging ich jeden Tag mit einem Gefühl der Erleichterung zur Arbeit, da ich nicht als Ministerpräsidentin kam.

Ich weiß nicht, warum ich zu diesem Zeitpunkt eine solche Scheu vor der Regierungsverantwortung hatte. Rückblickend wünschte ich, ich hätte mich nicht so sehr vor der Aussicht gefürchtet. Frauen denken oft, sie könnten eine neue Verantwortung – sei es ein Projekt, ein Aufgabenfeld oder eine Position – nur dann übernehmen, wenn sie bestens darauf vorbereitet sind. Wir haben oft eine ideale Herangehensweise im Kopf, und wenn die Realität davon abweicht, zögern wir. Das hat natürlich auch Vorteile. Wir sind oft besser organisiert und machen weniger Fehler, wenn genügend Zeit bleibt, damit die Realität mit unseren Erwartungen gleichzieht. Aber der perfekte Moment, in Aktion zu treten, kommt selten bis gar nicht, und derweil hilft es nicht weiter, Angst vor dem Scheitern zu haben oder davor, den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Der bessere Rat lautet: Wenn man sich einer Aufgabe mit Herz und Verstand widmet, dann wird man ganz sicher an ihr wachsen und sie gut erfüllen.

Zum Glück hatte ich diese Lektion früh gelernt, denn ich würde sie bald wieder brauchen. Die Freude der SDP währte nur kurz. Rinnes erste Monate im Amt gestalteten sich schwierig. Unsere Unterstützung sank innerhalb von sechs Monaten von 17,7 Prozent auf 13,2 Prozent, zum Herbst kam es noch ärger.

Es standen nämlich einige Tarifverhandlungen an. So auch bei der Posti Group Oyj, einem staatlichen Unternehmen, das Post- und Logistikdienstleistungen erbringt. Hauptstreitpunkt war, dass die Unternehmensleitung Anfang des Jahres beschlossen hatte, siebenhundert Mitarbeitende in ein Tochterunternehmen zu versetzen. Für die Betroffenen bedeutete dies niedrigere Gehälter und schlechtere Arbeitsbedingungen. Im Herbst fanden Streiks statt.

Diese Entwicklungen belasteten die Regierung und insbesondere die Sozialdemokraten, galten wir doch seit jeher als die Partei, die sich für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzte. Hinzu kam, dass Rinne zuvor als Gewerkschaftsführer tätig gewesen war und daher ein besonderes Interesse an dieser Angelegenheit hatte. In der Annahme, er könne zur Lösung der Spannungen zwischen den Arbeitnehmern und der Posti Group beitragen, wies er die Ministerin Sirpa Paatero, zuständig für Kommunen und Verwaltungsreformen, an, entgegen den Good-Governance-Prinzipien in die Politik des Unternehmens einzugreifen. Diese Maßnahme wurde als inakzeptable Einmischung gewertet. Der Eigentümer, also der Staat, kann den Vorstand und die Führung eines Unternehmens austauschen, sollte jedoch nicht in konkrete Managemententscheidungen eingreifen.

Rinnes Vorgehen sorgte für einen Skandal. Einerseits fühlte er sich unter Druck gesetzt, sich in die Tarifverhandlungen einzuschalten und die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen, andererseits war der Staat verpflichtet, etablierte Regeln einzuhalten. Rinne, der aufgrund unserer rückläufigen Umfragewerte ohnehin schon in der Defensive war, wurde zur perfekten Zielscheibe. Die Presse biss sich an dem Thema fest, auch die Zentrumspartei äußerte harsche Kritik. Chaos machte sich breit. Akteure mit unterschiedlichen politischen Motiven gingen daran, die Instabilität für ihre Zwecke auszunutzen. Und dann unterliefen Rinne zudem noch unglückliche Fehler, wie sie nicht selten vorkommen, wenn man von mehreren Seiten unter Druck steht und glaubt, die Kontrolle zu verlieren. Rinne vertraute den falschen Leuten innerhalb unserer Partei, die insgeheim nur darauf lauerten, ihn zu ersetzen. Ich versuchte noch, ihn zu warnen, aber ich glaube, er übersah den Ernst der Lage – es war zu spät.

Es war, als würde man einen Auffahrunfall in Zeitlupe miterleben. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich auf meine eigene Arbeit zu konzentrieren und mich nicht zu sehr einzumischen. In der Hoffnung, dass sich die Lage schon noch beruhigen würde, unterstützte ich Rinne in seiner Rolle als Ministerpräsident und Parteivorsitzender. Ende November jedoch, bei einer Fragestunde im Parlament, wurde mir klar, dass das Ganze ein böses Ende nehmen würde. Rinne und Paatero wurden zu dem Skandal befragt und konnten keine klaren Antworten geben. Ich weiß nicht mehr, was genau gesagt wurde, jedenfalls läuteten bei mir die Alarmglocken. Sobald die Sitzung vorbei war, ging ich zurück ins Ministerium und rief meine engsten Berater in mein Büro. Ich verkündete ihnen den Ernst der Lage: Sicher, es sei unser Ziel, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Rinne und die Regierung durch diese Krise zu bringen, doch müssten wir auch darauf vorbereitet sein, dass es nicht gelingen könnte.

Tags darauf erklärte Paatero ihren Rücktritt. Zur Begründung gab sie an, sie könne ihre Arbeit nicht mehr machen, wenn sie das Vertrauen des Ministerpräsidenten verloren habe. Diese Nachricht verschlimmerte die Lage für Rinne nur noch und Paateros Rücktritt ließ die Kritik nicht verstummen. Die Zentrumspartei veröffentlichte eine Stellungnahme, in der es hieß, sie könne den Ministerpräsidenten nicht länger unterstützen und verlange Rinnes Rücktritt. Und das war keine leere Drohung: Falls sie es ernst meinten, könnten sie sich aus der Regierung zurückziehen, und wir würden die Mehrheit im Parlament verlieren. Die Koalition würde zusammenbrechen.

Von da an überschlugen sich die Ereignisse, in der Regierung herrschte eine immer chaotischere Stimmung. Alle anderen Koalitionsführer unterstützten Rinne als Ministerpräsidenten, die Zentrumspartei aber bestand auf seiner Ablösung. Ihre Beharrlichkeit hatte mehrere Gründe. Der offensichtlichste war Rinnes Verhalten während des Postskandals, doch spielte noch mehr mit hinein. Die Zentrumspartei hatte bei den Wahlen im Frühjahr viel Unterstützung verloren, und es war parteiintern von Anfang an umstritten gewesen, ob man sich an Rinnes Regierung beteiligen sollte. Viele ihrer führenden Köpfe waren strikt dagegen und fanden, die Partei sollte sich besser in der Opposition neu profilieren und so Wähler zurückgewinnen. Man fühlte sich in der Mitte-links-Regierung ideologisch unsicher, hatte man doch vordem eine Mitte-rechts-Regierung angeführt und vertrat insbesondere gegenüber den Grünen und dem Linkbündnis bei mehreren Themen andere Ansichten. Der Status der Zentrumspartei innerhalb der Koalition blieb während der folgenden vierjährigen Legislaturperiode ein wunder Punkt und führte zu Störungen und Spannungen, welche die Regierungsführung beeinträchtigten.

Es mag kleinlich klingen, aber ich glaube, es gab auch historische Gründe, warum die Zentrumspartei Rinne unbedingt ersetzen wollte. 2003 nämlich hatte die Zentrumspartei die Parlamentswahlen in einem sehr knappen Rennen mit den Sozialdemokraten gewonnen – mit 0,2 Prozentpunkten Vorsprung, genau wie wir 2019. Bis 2003 waren wir acht Jahre lang an der Macht gewesen und hatten den Ministerpräsidenten gestellt, nun bildete die Zentrumspartei mit den Sozialdemokraten und der Schwedischen Volkspartei eine Koalitionsregierung. Da sie die meisten Stimmen erhalten hatten, wurde ihre Vorsitzende, Anneli Jäätteenmäki, zur ersten Ministerpräsidentin in der Geschichte Finnlands ernannt. Doch war ihre Amtszeit von kurzer Dauer. Nach nur zwei Monaten musste sie aufgrund eines Skandals um durchgesickerte vertrauliche Dokumente über die Position Finnlands im Irakkrieg zurücktreten. Ihr wurde vorgeworfen, diese Dokumente im Wahlkampf benutzt zu haben, um den damaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen der Überschreitung seiner Befugnisse zu beschuldigen, und später dann die Öffentlichkeit darüber belogen zu haben, wie sie an die Papiere gelangt war. Die Sozialdemokraten waren außer sich und forderten ihren Rücktritt. Die Zentrumspartei musste einen neuen Ministerpräsidenten stellen. Und nun, sechzehn Jahre später, kam die Abrechnung. Rinne musste gehen.

Sobald mir klar wurde, dass Rinne in ernsthaften Schwierigkeiten steckte, besprach ich mit meinen Beratern, was dies für unsere Partei und die Weiterführung der Regierung bedeuten könnte – eine Regierung, in die wir sehr viel investiert hatten. Für mich bedeutete es die Bereitschaft, bei Bedarf wieder die Führung zu übernehmen. Es gab noch eine weitere Person in der Partei, die den Posten des Ministerpräsidenten anstreben könnte: Antti Lindtman, nur wenig älter als ich, Fraktionsvorsitzender der SDP und ein sehr ehrgeiziger junger Politiker. Wir kannten uns seit Jahren und arbeiteten seit 2014 gemeinsam im Vorstand. Beide verfügten wir über eine breite Basis in der Partei, und es war immer klar, dass wir irgendwann gegeneinander antreten würden – sobald es an der neuen Generation wäre, die Führung zu übernehmen. Wir haben unterschiedliche Charaktere. Wenn ich uns beschreiben müsste, würde ich sagen, dass ich eher ideologisch geprägt bin, während Lindtman eher taktisch denkt. Wenn es den perfekten Politiker, die perfekte Politikerin gäbe, besäße diese Person beide Eigenschaften.

Als sich immer deutlicher abzeichnete, dass Rinne zurücktreten würde, begann ich, Unterstützer um mich zu versammeln, auf deren Stimme ich zählen konnte. Ich war im Vorteil, weil ich als erste stellvertretende Vorsitzende direkte Nachfolgerin von Rinne war. Unseren angespannten Wahlkampf hatte ich unter erheblichem Druck erfolgreich geführt und am Ende die meisten Stimmen von allen SDP-Politikern erhalten, mehr als Lindtman oder Rinne. In den vergangenen sechs Monaten war ich als Ministerin für Verkehr und Kommunikation tätig gewesen. Die Menschen vertrauten mir.

Obwohl mir die Aussicht, Ministerpräsidentin zu werden, immer noch Respekt einflößte, war ich inzwischen viel besser vorbereitet als bei den Wahlen im April. Zum einen war die Idee nicht völlig neu, ich hatte mich inzwischen intensiv damit auseinandergesetzt. Außerdem hatte ich Erfahrungen auf höchster Regierungsebene gesammelt, ich war in meiner Funktion als Ministerin viel gereist und hatte Verhandlungen geführt. Und vor allem hatte ich Selbstvertrauen gewonnen. Ich hatte mich schwierigen Situationen gestellt und sie mit Sorgfalt und Entschlossenheit gemeistert. Ich war so bereit wie nie.

Natürlich ging die Regierungsarbeit mit dem Skandal nicht zu Ende. Finnland erschütterten Streiks, wichtige außenpolitische Fragen erforderten Aufmerksamkeit, und wir standen im Mittelpunkt sämtlicher die EU betreffenden Debatten, da Finnland in diesem Herbst den turnusmäßig wechselnden Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehatte. Ich war gerade in Brüssel und leitete eine Ratssitzung zum Thema Verkehr, als ich einen Anruf von Antti Rinne erhielt, der mir mitteilte, dass er zurücktreten werde. Die Lage daheim in Finnland änderte sich rapide. Die SDP berief sofort die Parteiführung ein, und ich verließ die Ratssitzung für einige Minuten, um mich in das Meeting einzuloggen. Aber ich musste zurück. Also steckte ich meine AirPods ein, damit ich die Besprechung in Finnland weiterverfolgen konnte, während ich in den Saal zurückkehrte, um die Sitzung fortzusetzen. Ich bat meine Beraterin und gute Freundin Pirita Ruokonen, mir so schnell wie möglich einen Flug zurück nach Helsinki zu buchen. Wir konnten erst am nächsten Morgen zurückreisen, es würde also eine lange Nacht des Wartens werden.

Als Pirita und ich spät in der Nacht in unser Brüsseler Hotel zurückkehrten, wussten wir, dass eine Entscheidung fällig war. Ich rief meinen Partner Markus Räikkönen an, der mit unserer fast zweijährigen Tochter Emma in Finnland geblieben war, und fragte ihn nach seiner Einschätzung: Sollte ich kandidieren? Er antwortete, ohne zu zögern: Natürlich. Das überraschte mich nicht. Er hatte meine politische Karriere immer unterstützt und mich jedes Mal, wenn ich an mir zweifelte, zum Weitermachen ermutigt. Danach kontaktierte ich meine engsten Unterstützer. Sie waren sich alle einig, dass es meine Pflicht sei, mich zur Kandidatur zu stellen, und dass sie in diesem Fall hinter mir stünden. Jetzt oder nie. Ich musste eine Entscheidung treffen. Wir konnten die Regierung nicht ohne Führung lassen.

Es war kein Geheimnis, dass ich mich wahrscheinlich zur Wahl stellen würde – am Flughafen von Helsinki würde die Presse auf mich warten. Nach der Landung legte ich mit Pirita einen Stopp in der Damentoilette ein, richtete mir die Haare und das Make-up und wappnete mich für die Begegnung mit den Medienvertretern. »Ich scheue mich nicht vor Verantwortung«, sagte ich zu den Reportern, die hinter dem Ankunftsbereich mit ihren Kameras auf mich warteten. »Sollte meine Partei sich für mich entscheiden, stehe ich für das Amt zur Verfügung.«

Die sozialdemokratische Fraktion hielt gerade ihre wöchentliche Sitzung ab, als Antti Lindtman, der Fraktionsvorsitzende, offenbar Wind davon bekam, dass ich soeben meine Kandidatur angekündigt hatte. Er stand mitten in der Sitzung auf, verließ den Raum und wandte sich an die Medien, um bloß keine Zeit zu verlieren. Auch er stehe für den Posten des Ministerpräsidenten zur Verfügung, erklärte er. Der Wahlkampf hatte begonnen.

Gemäß dem Verfahren muss die Kandidatin oder der Kandidat vom Parteirat gewählt werden. An dieser offiziell einberufenen Sitzung nehmen einundsechzig Personen teil. Schon am folgenden Sonntag, den 8.Dezember, sollten sie sich für einen von uns entscheiden. Damit hatten wir nur knapp eine Woche Zeit, für uns zu werben. Im Grunde hatte die Partei seit Jahren auf diese Wahl gewartet, da Lindtman und ich doch sehr unterschiedliche Wege beschritten. Beide hatten wir starke Anhänger und genossen allgemeine Beliebtheit. Niemand hatte jedoch damit gerechnet, dass es so schnell zu diesem Duell kommen würde. Wir ahnten, dass es knapp werden würde.

Die Zeit lief, mein Team und ich waren quasi ununterbrochen am Telefon und bemühten uns, die Mehrheit der einundsechzig Sitzungsteilnehmer auf unsere Seite zu holen. Am Ende der Woche sah unsere Excel-Tabelle recht vielversprechend aus, obgleich es sicher manche SDPler gab, die beiden Seiten ihre Stimme zugesichert hatten. Wir waren jedenfalls zuversichtlich, genügend Unterstützer gewonnen zu haben. Dennoch würde es knapp werden. Kurz vor der Abstimmung würde ich noch eine Rede halten. Ich musste überzeugende Worte finden. Sie konnten wahlentscheidend sein.

Die Zeitungen berichteten ausführlich über das anstehende Kandidatenduell. Bürgerinnen und Bürger wurden befragt, genauso wie Mitglieder des Parteirats, viele aber wollten sich nicht öffentlich äußern. In Interviews schnitt ich gut ab, aber mir war klar, dass es hier nicht um allgemeine Beliebtheit ging, sondern um reine Mathematik. Da die Wahlkampfwoche sehr anstrengend gewesen war, hatte ich erst am Morgen der Sitzung Zeit, meine Rede zu schreiben. Doch so viel Stress mich auch umgeben mochte, ich war ruhig und zuversichtlich. Es blieb keine Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, ob ich der Aufgabe gewachsen war: Ich musste einfach mein Bestes geben. Ich stellte meinen kleinen Küchentisch in die Mitte des Wohnzimmers, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, dann begann ich zu schreiben.

Diese Rede war der Höhepunkt der monatelangen Krisen und Schwierigkeiten innerhalb unserer Partei. Ich hatte mittendrin gesteckt und daher den Eindruck, dass ich die Stimmung unserer Mitglieder und der finnischen Bevölkerung richtig wiedergeben konnte. Ich betonte, wie viel Arbeit wir bereits geleistet hatten, und mahnte zugleich, dass wir Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern hatten, die uns mit ihrer Stimme ihr Vertrauen geschenkt hatten. Und beendete meine Rede mit den Worten: »Ich baue auf Sie. Jetzt ist es an der Zeit, Mut zu zeigen.« Ich hatte das gute Gefühl, die richtigen Worte gefunden zu haben.

Der Saal im Parlamentsgebäude war voller Parteimitglieder und Journalisten. Auf der Tagesordnung stand nur ein einziger Beschluss: Wer würde der nächste Ministerpräsident Finnlands werden? Die Luft war wie elektrisiert, alle waren nervös, außer mir. Ich wusste, dass ich gewinnen würde. Wir hatten Tag und Nacht gearbeitet, und ich war mir sicher, dass wir ausreichend Stimmen hatten. Aber da war noch etwas: Ich habe schon einige Wahlen gewonnen und verloren, und dieses Mal hatte ich eine gute Vorahnung.

Das Verfahren läuft so ab: Alle Anwesenden bleiben im Raum, und jedes Parteimitglied schreibt seine Stimme auf einen Zettel. Sobald alle Stimmen gesammelt und ausgezählt sind, wird der Wahlausgang bekannt gegeben. Innerhalb einer Stunde stand das Ergebnis fest. Es war knapper als erwartet, aber ich hatte mit drei Stimmen Vorsprung gewonnen.

In letzter Minute hatte Antti Lindtman mir mitgeteilt, dass seine Frau bei der Abstimmung anwesend sein würde. Markus und ich wohnten damals nicht in Helsinki. Ich hatte eine kleine Einzimmerwohnung in der Nähe des Parlamentsgebäudes, pendelte aber vom etwa zwei Autostunden nördlich gelegenen Tampere in die Hauptstadt. Die Ereignisse hatten sich dermaßen überstürzt, dass ich nicht daran gedacht hatte, Markus herzubitten. Wir waren schon viele Jahre zusammen, aber in der finnischen Politik spielt das Privatleben eine viel kleinere Rolle als etwa in den USA. Es ist nicht üblich, dass Ehe- oder Lebenspartner zu politischen Veranstaltungen kommen, mögen diese noch so wichtig sein. Aber jetzt musste Markus natürlich auch kommen. Markus war also nach Helsinki geeilt, um in einem der am unwirklichsten scheinenden Momente meines Lebens an meiner Seite zu stehen.

Die ganze Aufmerksamkeit war ihm etwas unangenehm, aber ich war froh, dass er da war und mir Halt gab. Sobald das Wahlergebnis bekannt gegeben wurde, umarmte ich Antti Lindtman und betrat das Podium, um eine weitere, allerdings etwas weniger ausgefeilte Rede zu halten. Ich sprach kurz mit der Presse, und ein Foto, das daraufhin in der New York Times erschien, offenbarte meine akute Gefühlslage: Es war nicht gerade der Gesichtsausdruck, der Selbstvertrauen ausstrahlt. Der Sieg war mir sicher, doch konnte ich es kaum glauben, hielt unbeholfen einen Blumenstrauß in den Händen und richtete den Blick zur Seite. Die hinter mir stehende Kommunikationsmanagerin der SDP wirkte ebenfalls leicht geschockt.

Doch dann begann gleich die Arbeit. Wir stürzten uns in die Vorbereitung der kommenden vier Jahre. Ich begab mich in einen kleinen Besprechungsraum in der Nähe des Auditoriums, weil ich die Minister für die Regierung auswählen musste. Die erste Person, die ich bat, einen Platz in der Regierung einzunehmen, war mein Gegner Lindtman. Er lehnte ab, da er nach dem knappen Wahlkampf weiterhin als Fraktionsvorsitzender tätig sein wollte, wofür ich natürlich Verständnis hatte. Nach dem Postskandal kam Sirpa Paatero nicht mehr als Ministerin für die Kommunen und Verwaltungsreformen infrage, doch ich bot ihr einen anderen Posten an, den sie gerne annahm. Außerdem musste ich jemanden auswählen, der mein Ministerium für Verkehr und Kommunikation übernehmen würde. Das Ganze fühlte sich ein bisschen an wie Tetris, denn ich musste versuchen, jeden Minister so schnell wie möglich an den richtigen Platz zu setzen. Am Ende kehrten alle in den Saal zurück und ich gab die neuen Zuständigkeiten unserer Minister und eine Neuernennung bekannt. Das Kabinett bestand aus fünf Frauen und zwei Männern.

Um neun Uhr abends war der Tag endlich zu Ende und eine kleine Gruppe versammelte sich in meiner Wohnung. Ich war froh, dass Markus da war, und dazu meine engen und loyalen Kollegen aus dem Parlament, Suna Kymäläinen, Ilmari Nurminen und Krista Kiuru, die Ministerin für Familie und Soziales. Wir wollten zusammen anstoßen, bevor am nächsten Tag die Arbeit so richtig beginnen würde. Als wir mit unserem Glas Champagner im Wohnzimmer zusammenstanden, kehrte das Gefühl der Fassungslosigkeit zurück. So viele Menschen standen hinter mir und unterstützten mich. Ich durfte sie nicht enttäuschen. Plötzlich war ich die Vertreterin einer ganzen Bewegung, sowohl in der Partei als auch im Land: Ich hatte gerade die Macht übertragen bekommen, Finnlands Zukunft mitzugestalten.

Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde. Ich konnte nur denken: Muss ich das jetzt wirklich tun? Natürlich wussten wir alle die Antwort: Ja. 

Kapitel 2

Gemeinsame Anfänge

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lief die Berichterstattung in den Medien bereits auf Hochtouren. Finnland ist ein kleines Land, unsere Wahlen werden in der internationalen Presse normalerweise mit einer Kurzmeldung abgehandelt. Niemand hatte damit gerechnet, dass das Telefon meiner Kommunikations- und Medienberaterin derart heißklingeln würde, dass sie es nicht mehr benutzen konnte. Das Ausmaß des Interesses war unglaublich. Ich bedauerte, dass ich nicht daran gedacht hatte, die wenigen Babyfotos von Emma zu löschen, die ich auf meinem Instagram-Account gepostet hatte. Die Bilder selbst waren harmlos, aber lieber wäre mir gewesen, dass sie nicht in der internationalen Presse aufgetaucht wären. (Seitdem achte ich peinlich darauf, meine Tochter nicht in Situationen zu bringen, in denen ihre Privatsphäre gefährdet sein könnte.)

Rückblickend ist leichter zu erkennen, warum es um die Wahl einer vierunddreißigjährigen, linksliberalen Ministerpräsidentin zu einem solchen Medienrummel kam. Ende 2017 hatte sich die aus den Vereinigten Staaten kommende #MeToo-Bewegung international ausgebreitet, die Rechte von Frauen am Arbeitsplatz wurden zu einem wichtigen Thema. Was als Bewegung gegen sexuelle Belästigung in der US-amerikanischen Filmbranche begonnen hatte, entwickelte sich zu einer weltweiten Auseinandersetzung in vielen Bereichen, auch in der Politik. Viele Feministinnen hatten es seit Jahren gesagt, nun wurde es als gesellschaftlicher Konsens akzeptiert: Der relative Mangel an Politikerinnen beeinträchtigt die Rechte der Frauen im Allgemeinen. An