Horror Vacui - Sylvie Braesi - E-Book

Horror Vacui E-Book

Sylvie Braesi

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Beschreibung

Gibt es eine Verbindung zwischen dem Technikmuseum und der Lukasklause, die einen Mord erklären könnte? Wenn ja, was hat der längst verstorbene Otto von Guericke damit zu tun und hat er überhaupt etwas damit zu tun? Diese Fragen muss sich Hauptkommissar Martin Winkler stellen. Aber sind das auch die richtigen Fragen? Ich habe auch ein paar Fragen an Sie. Mögen Sie Vivaldi? Seine beliebten Vier Jahreszeiten werden regelmäßig in der Johanniskirche aufgeführt. Werden Sie nach dem Lesen dieses Buches Ihren nächsten Konzertbesuch ins Auge fassen, oder lieber nicht? Magdeburgs Ruf als etwas provinzielle Landeshauptstadt wird jedenfalls gehörig ins Wanken geraten. Schnell wird klar, Winkler hat es mit einem makabren und ungewöhnlichen Fall zu tun.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 598

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Buch

Hauptkommissar Winkler ist sich sicher, bis heute ist ihm noch nie ein so bizarrer Fall untergekommen. Dass in seiner kleinen Ermittlungsgruppe auch noch eine Neue auftaucht, macht die Arbeit auch nicht einfacher.

Noch fehlen Hinweise darauf, wer der Tote ist und wie er ermordet wurde. Aber sein Chef macht Druck und dann landet auch noch ein zweiter Fall landet auf seinem Tisch.

Sylvie Braesi

Geboren und aufgewachsen in Magdeburg. Sie hat eine Ausbildung als Heimerzieherin und war u.a. als Dozentin und Vermittlungscoach in der Erwachsenenbildung sowie als Kabarettistin tätig. Sie schreibt Krimis und Kurzkrimis.

Die beiden ersten Bücher der Manhattan Trilogie veröffentlichte sie 2018. Das dritte Buch, Manhattan Revenge, erschien 2019. Gemeinsam mit einer anderen Magdeburger Autorin veröffentlichte sie 2019 ein Buch mit Magdeburger Kurzkrimis unter dem Titel, Magdeburger Mord(s)geschichten.

Ihre Bücher veröffentlicht sie als Selfpublisher.

Mord: Die Tötung eines Menschen durch einen anderen. Es gibt vier Arten von Mord: verbrecherischen, entschuldbaren, gerechtfertigten und rühmlichen, doch dem Ermordeten ist es egal, welcher Art er zum Opfer fiel – die Klassifizierung ist nur zum Nutzen der Juristen da.

Ambrose Gwinnett Bierce, Des Teufels Wörterbuch (The Cynic’s Word Book), US-amerikanischer Journalist und Satiriker

Inhaltsverzeichnis

Kapitel Zero

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreindzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreißig

Kapitel Einunddreißig

Kapitel Zweiunddreißig

Kapitel Dreiunddreißig

Kapitel Vierunddreißig

Kapitel Fünfunddreißig

Kapitel Sechsunddreißig

Kapitel Siebenunddreißig

Kapitel Achtunddreißig

Kapitel Neununddreißig

Kapitel Vierzig

Kapitel Einundvierzig

Kapitel Zweiundvierzig

Kapitel Dreiundvierzig

Geht´s weiter?

Zero

Wer ihn so anschaute, sah nichts als eine erbärmliche Gestalt.

Genauso hatte er sich in den letzten Jahren auch gefühlt. Alles war ihm entglitten, sein Leben, der Job und seine Freunde. Sogar seine Behausung bot ein ziemlich trostloses Bild. Wohnung konnte man das nicht mehr nennen.

An den Wänden sah man die Umrisse des früheren Mobiliars.

Alles, was davon übriggeblieben war, stand oder lag als lose Brettersammlung herum, nicht mehr zu gebrauchen, nicht mehr von Wert.

Auf einer Kiste stand eine alte Nachttischlampe und spendete etwas Licht. Nicht viel, aber das war gut so. So hatte er den Dreck auf dem Boden, die fleckigen Wände, die Spinnweben und die schmutzigen Fenster wenigstens nicht so deutlich vor Augen.

Um das Elend nicht sehen zu müssen, verließ er das Haus schon früh und wartete bis zur Dunkelheit, bevor er zurückkam. Auf diese Weise blieb ihm auch eine Begegnung mit der Nachbarschaft erspart.

Er hasste es, beobachtet zu werden. Und dann ständig die Frage, ob er Hilfe brauchen würde. Diese Frau mit dem Cockerspaniel war besonders aufdringlich. Sie tat so freundlich und selbstlos, dabei war sie nur neugierig. Beim letzten Zusammentreffen hätte er beinahe die Kontrolle verloren.

Ich will keine Hilfe von dir, du alte Schachtel, hatte die Stimme in seinem Kopf gebrüllt. Aber gesagt hatte er nur: „Danke, nein.“

Und er brauchte auch keine Hilfe. Er kam gut allein klar. Vor allem jetzt, wo er endlich einen Ausweg sah. Der Gedanke daran ließ ihn hoffen, dass es endlich wieder bergauf ging.

In der letzten Zeit war es wirklich schlimm gewesen. Die Leere in seinem Leben war immer größer und größer geworden und nichts hatte geholfen. Einzig der Alkohol hatte etwas Linderung gebracht.

Aber wenn er ehrlich war, dann war es keine Linderung gewesen, sondern nur ein zeitweises Vergessen.

In seiner größten Verzweiflung war er schließlich auf eine Idee gekommen. Es gab einen Weg aus diesem Elend.

Sein Plan war nicht einfach, zugegeben. Es gab Tage, an denen er selber nicht an den Erfolg glaubte, doch er gab nicht auf.

Ein bisschen Anstrengung war von Nöten gewesen und es hatte Überwindung gekostet, aber nun war es geschafft. Inzwischen kam sogar so etwas wie Freude in ihm auf.

Er sah sich um. Nichts von dem hier hatte noch eine Bedeutung für ihn. Er würde das alles nicht vermissen.

Leises Rascheln ließ ihn aufschrecken. Waren es Mäuse, die alte Besitzrechte einfordern wollten? Spürten sie, dass dieses Haus bald ihnen allein gehören würde?

Sollten sie doch machen, was sie wollten. Er würde ihnen dieses Zuhause nicht missgönnen? Schließlich erwartete ihn auch ein neues Leben.

Es gab nur noch eine Sache, die er tun musste. Mühsam versuchte er die richtigen Tasten auf dem alten Klapphandy zu drücken. Bei dem matten Lichtschein konnte er kaum etwas erkennen, also rückte er den zerschlissenen Campinghocker näher an die Nachttischlampe.

Wieder raschelte es, diesmal hörte es sich an, als wäre die Quelle des Geräusches im selben Raum.

„Ein bisschen müsst ihr schon noch warten, bis ihr …“ Alles geschah furchtbar schnell und leise.

Ein Schatten tauchte plötzlich hinter seinem Rücken an der Wand auf, wuchs in die Höhe und das Rascheln war jetzt dicht an seinem Ohr. Bevor er sich umdrehen und nachschauen konnte, legte sich etwas Festes und Kühles über sein Gesicht. Der Schreck lähmte ihn für Sekunden, wertvolle Sekunden, in denen er sich vielleicht noch hätte wehren können.

Doch es dauerte einfach zu lange, bis er endlich begriff, dass ihm jemand eine Plastikfolie um den Kopf wickelte.

Schicht für Schicht legte sie sich eng über Mund und Nase, so dass er beim Versuch zu atmen, die Folie nur noch tiefer in die Mundhöhle einsog.

Nun wurde sein Körper nach hinten in eine fatale Schräglage gezogen, was es ihm unmöglich machte, aufzustehen. Seine Füße scharrten nur unkontrolliert über den Fußboden. Und noch immer hielt seine linke Hand krampfhaft das Handy umklammert, ließ es einfach nicht fallen. So blieb ihm nur die rechte Hand für den Versuch, die Folie vom Gesicht zu ziehen. Doch dafür war es zu spät. Die Folie war viel zu fest und seine Finger zu zittrig, um auch nur eine Lage davon zu zerreißen.

Wäre ihm noch genug Zeit geblieben, hätte er sich vielleicht die Frage gestellt, warum gerade ihm sowas passierte und wieso ausgerechnet jetzt.

Wenn sein Geist noch lange genug klar geblieben wäre, hätte er vielleicht erkannt, wie dumm er gewesen war, zu glauben, dass es besser werden würde. Auch wenn er es geschafft hätte, seine Probleme hinter sich zu lassen, neue Probleme wären aufgetaucht.

Nein, sie waren schon da.

Doch keiner dieser Gedanken schaffte es noch an die Oberfläche seines Bewusstseins. Der Sauerstoffmangel ließ nicht nur seinen Körper erschlaffen, auch sein Gehirn erstarb. Sein Mund formte noch einen letzten, stummen Schrei. Nein!

Eins

Es würde wieder ein heißer Tag werden, heiß und schwül, das spürte Dieter Bremer in seinen alten Knochen. Trotzdem war er in Hochstimmung, denn der heutige Tag sollte ein ganz besonderer werden.

Immerhin hatten sie alle seit Monaten daraufhin gearbeitet.

Das fünfundzwanzigste Jubiläum des Technikmuseums war schließlich ein Anlass, der mit Recht groß gefeiert werden durfte.

Umso mehr, weil ihr kleines Museum in der Vergangenheit oft genug stiefmütterlich behandelt worden war.

Bremer schüttelte missmutig den Kopf.

Im Normalfall konnten sie sich nicht gegen die Großen des Kunst- und Kulturlebens von Magdeburg behaupten. Dazu waren sie zu unbedeutend und zu weit weg vom Schuss. Geld war sowieso nie genug für alle da.

Und als ob das nicht alles schon schwierig genug war, sollte demnächst auch noch das Dommuseum eröffnet werden, mit dessen Namen er immer noch Schwierigkeiten hatte.

„Ottonianum“, brummelte Bremer vor sich her.

Was für ein bescheuerter Name war das, wenn man ihn sich nicht merken konnte? Und was für ein Tewes alle darum machten.

Die Wiederentdeckung des Kaisers hatte einen regelrechten Hype ausgelöst. Magdeburg wurde zur Ottostadt und mit Werbetafeln zugepflastert. Otto singt, Otto forscht, Otto hier, Otto da.

Seiner Meinung nach machte die Stadt sich langsam zum Otto. Und nun kriegte der Kerl auch noch ein eigenes Museum.

Na gut, Otto von Guericke hatte auch eins, in der Lukasklause, aber trotzdem.

Er hatte das Konzept gesehen und mit Leuten gesprochen, die am Aufbau der Exponate beteiligt waren. Vom Hocker gerissen hatte ihn das, was er zu hören bekam, jedenfalls nicht. Ganz zu schweigen von den gepfefferten Eintrittspreisen.

Als dann auch noch bekannt wurde, dass die Eröffnung des Ottonianums mit dem Jahrestag des Technikmuseums zusammenfiel, war allen sofort klar gewesen, dass ihr Jubiläum damit wieder nur die zweite Geige spielen würde.

Zum Glück hatten sich aber die Arbeiten am Domplatz verzögert und der neue Termin für die Eröffnung war jetzt erst für November geplant.

Ein allgemeines Aufatmen war durch die ehemaligen Grusonschen Werkshallen gezogen und schon ging’s mit neuem Elan an die Vorbereitung der Feierlichkeiten.

Das Kuratorium plante einen Festempfang, zu dem alles eingeladen worden war, was Rang und Namen hatte in dieser Stadt.

Regierung, Politik, Wirtschaft sowie Kunst- und Kultur würden ihre Vertreter schicken. Neben den üblichen Reden und Grußworten sollte es noch einen ganz besonderen Höhepunkt geben und ihm, Bremer, war die Aufgabe zugefallen, sich darum zu kümmern. Als Otto von Guericke verkleidet, sollte er das berühmte Magdeburger Halbkugelexperiment vorführen, allerdings aus Platzgründen ohne Pferde, sondern mit einem sogenannten Galgenbaum, also in senkrechter Anordnung.

Eigentlich war die Vorführung dieses Experimentes der Otto-von-Guericke-Gesellschaft vorbehalten, aber das Kuratorium hatte sich starkgemacht und mit Hilfe des Bürgermeisters eine Ausnahme erwirkt.

Heute war es endlich soweit und Bremer wurde von einer seltsamen Unruhe erfasst. Das ist die Aufregung, sagte er sich.

Zwar machte es ihm nichts aus, vor Besuchern zu reden, aber das heute waren keine normalen Besucher. Der Ehrengast des Abends war sogar ein Mitglied des niederländischen Königshauses. In der Thronfolge belegte er nur einen hinteren Platz, aber für einen Promistatus reichte es. Der Gast war ein Hobbyhistoriker und hatte verschiedene Artikel über Otto von Guerickes Studienzeit im niederländischen Leiden verfasst. 1994 hatte er als Kind eine Vorführung des Magdeburger Experimentes beim Trekpaardendagin Arnhem erlebt, was ihn stark beeindruckte. Als er nun auf einer inoffiziellen Reise durch Deutschland zufällig von dieser geplanten Vorführung des Galgenexperiments erfuhr, ließ er kurzerhand sein Programm umschmeißen, um dabei zu sein.

Die Nachricht von seinem Erscheinen hatte übrigens auch noch aus einem anderen Grund für einen ziemlichen Wirbel gesorgt.

Eine große Spende war mit der Bitte versehen worden, dem königlichen Gast doch die Ehre zuteilwerden zu lassen, das Ventil an der Kugel zu öffnen. Natürlich war der Bitte entsprochen worden, und das nicht nur, wie man betonte, wegen des Geldes.

Bremer dachte mit einem Grinsen daran, mit welch verkniffenem Gesicht der Vertreter der Otto-von-Guericke-Gesellschaft diese Nachricht aufgenommen hatte.

Mit diesem Grinsen betrat er das Museum.

So früh am Morgen hatte er die Räumlichkeiten noch ganz für sich. Als erstes drehte er seine Runde, so wie jeden Tag. Er lief durch die große Halle, das Depot und die Werkstadt für Kinder. In den Büros an der Rückseite der Halle machte er Licht und öffnete Fenster.

Zurück in der Halle sah er, dass die Stühle für den ersten und offiziellen Teil schon darauf warteten, in Reihe und Glied auf dem Rondell in der Mitte aufgebaut zu werden. Es fehlte nur noch die Tontechnik. Anlieferung und Aufbau war für den frühen Nachmittag geplant.

Als letztes ging Bremer nach draußen, auf das Freigelände, das Areal, welches für das anschließende Spektakel vorgesehen war.

Auf der Rückseite der Halle gab es einen überdachten Bereich. Hier waren schon Tische und Stühle aufgestellt worden. Rechts daneben, vor einer alten Lok, würde der Caterer das Buffett aufbauen.

Außerdem war ein Getränkewagen gemietet worden, der aber erst noch bestückt werden musste.

Ein kleiner Fleck neben einem orangeroten Container war für den DJ reserviert, der die ganze Chose musikalisch umrahmen sollte.

Dahinter stand die Thälmann Statue, die mit erhobener Faust sicher wie ein Anachronismus wirken würde. Schließlich gab es ja nur noch Westmusik, wie Bremer schmunzelnd konstatierte.

Der Rest der Freifläche war für das Experiment vorgesehen.

Ein großer, stabiler und extra angefertigte Galgenbaum stand schon in der Mitte des freien Platzes. In seinem Arm war eine Metallöse eingelassen, von der eine eiserne Kette mit einem Haken herunterhing. An diesem Haken würde man heute Abend die Kugel befestigen.

Normalerweise gehörten auch die Vorbereitungen für den Versuch zur Vorführung. Da aber der Ehrengast nur wenig Zeit hatte, war kurzerhand angeordnet worden, diese, nicht ganz so spektakulären Arbeiten, schon vorher zu erledigen.

Schade, wie Bremer fand, aber leider nicht zu ändern.

Übriggeblieben war nur das Aufhängen der Kugel, das Befestigen der Waagplatte für die Gewichte, das Auf- und Absetzen der Gewichte und letztendlich das Öffnen des Ventils.

Bremer sah sich um.

Hier draußen war alles bereit. Wenn Timo und Jason, seine Praktikanten, am Mittag kamen, würden sie noch die beiden Halbkugeln zusammensetzen und die Luft abpumpen. Dann war alles erledigt.

Bremer war zufrieden.

Jetzt konnte er beruhigt in sein Büro gehen und seinen ersten Kaffee trinken. Sicher würde das nicht sein letzter heute sein, ein langer Tag lag vor ihm.

Nach und nach erschienen die anderen Mitarbeiter und mit der Ruhe war es vorbei.

Eine Stunde vor dem Eintreffen der ersten Gäste erschien dann auch Dr. Röber, der Leiter des Museums.

Bei seinem Rundgang überzeugte er sich zuerst davon, dass der Caterer im Zeitplan lag und nichts vergessen hatte. Als Nächstes war die Eventfirma dran, die für Licht, Ton und Musik sorgte. Als er nach einer hitzigen Diskussion von dort zu Bremer herüberkam, war er aufgebracht und schimpfte erst mal über den schlampigen Aufbau, die rumliegenden Kabel und dass der Soundcheck erst in einer halben Stunde gemacht werden konnte.

Bremer, schon kostümiert, wartete geduldig auf das Ende der Tirade.

„Ist bei Ihnen wenigstens alles in Ordnung?“, fragte sein Chef schließlich und man sah, dass er nichts Negatives hören wollte.

Bremer nickte. „Alles bestens. Die Kugel liegt auf ihrem Podest, der Galgen steht und ich schwitz’ mich tot in dem Kostüm.“

Röber winkte ungehalten ab.

„Glauben Sie, mir geht es besser in dem Anzug? Da müssen wir wohl alle durch heute.“

Bremer sah neidisch zu den Frauen in ihren luftigen Kleidchen.

„Wir sollten froh sein, dass es nicht regnet, so wie letztes Wochenende“, hörte er Röber sagen. „Dann wäre das ganze Kugel-Spektakel ins Wasser gefallen. Apropos Kugel, ist die geschlossen?“

„Natürlich. Sie liegt schon auf ihrem Platz.“

„Sie haben hoffentlich jemanden dafür abgestellt, auf dieses verdammte Ding aufzupassen. Wenn da irgendwas drankommt, mache ich Sie dafür verantwortlich. Wahlrich wartet doch nur drauf, mir eins auswischen zu können.“

Mein Gott, war der Alte heute vielleicht gut drauf. So angespannt hatte er ihn ja noch nie erlebt. Aber er konnte es verstehen.

Dr. Wahlrich stand der Otto-von-Guericke-Gesellschaft vor. Röber und er hatten schon im Vorfeld der heutigen Veranstaltung einige Auseinandersetzungen gehabt.

„Keine Bange, Chef. Die Praktikanten sind die ganze Zeit bei der Kugel.“

Röber schien beruhigt und verschwand in Richtung Eingang.

Bremer dagegen ließ die angehaltene Luft raus. Das war gerade nochmal gut gegangen. Offensichtlich kannte Röber Timo und Jason nicht, sonst wäre ihm aufgefallen, dass die beiden gerade nicht, wie gesagt, bei der Kugel, sondern am Getränkewagen standen.

Mit wütendem Blick steuerte Otto von Guericke auf die jungen Männer zu, die sich gerade ein Bier genehmigten.

„Ihr habt wohl den Verstand verloren? Was an dem Satz, ihr bleibt bei der Kugel, habt ihr nicht verstanden?“

„Ma ganz ruhig, Chef“, ließ sich Timo vernehmen. „Der Murmel passiert schon nichts. Wir sind ja auch gleich wieder da. Wollten nur mal probieren, ob das Bier für die Gäste auch gut gekühlt ist. Wenn das zu lange in der Leitung steht, wird das warm und schmeckt wie Pisse.“

War ja klar, dass Timo mal wieder die Klappe aufriss. Er war mit Abstand der Schwierigere von den beiden. Ein Wunder, dass er sich überhaupt bereiterklärt hatte, heute Abend zu arbeiten.

Wahrscheinlich auch nur deshalb, weil es Essen und Getränke umsonst gab. Bremer antwortete mit gewohnter Schärfe, die leider an Timo abzuperlen schien, wie immer.

„Halt bloß die Klappe, Timo. Wenn du man beim Arbeiten auch so vorneweg wärst, wie mit deinem losen Mundwerk.“

Jason zog seinen Kollegen am Ärmel.

„Los Alter, die ersten Gäste kommen schon. Gehen wir auf unseren Platz.“

Widerstrebend ließ Timo sich von Jason fortziehen, aber nicht, ohne der süßen Blondine im Wagen noch einmal verschwörerisch zuzuzwinkern.

„Und zieht endlich eure Umhänge an!“, rief Bremer den beiden noch nach. Dann warf er der Blondine ebenfalls einen Blick zu, aber einen ärgerlichen.

„Möchten Sie auch ein Bier, Herr Guericke?“, flötete sie zuckersüß und keck.

„Nein, danke!“

Bremer nahm sich ein Exemplar des gedruckten Programms von einem der Stehtische und schlenderte, sich Luft zufächelnd, in Richtung Buffet.

Das sah alles sehr lecker aus. Hoffentlich war noch was von den guten Sachen übrig, wenn er endlich fertig war und sich unter die Gästeschar mischen konnte.

Bei seinem Glück hatte er wahrscheinlich nur noch die Wahl zwischen matschigen Kartoffelecken, weichem Brokkoli und Soljanka.

Es war soweit. Der offizielle Teil ging dem Ende entgegen.

Geduldig hatte man die vorbereiteten Reden über sich ergehen lassen, jedenfalls anfangs. Als die Grußworte aber kein Ende nehmen wollten, waren die sehnsuchtsvollen Blicke der Gäste immer öfter in Richtung Hallenausgang gewandert, aus der der verführerische Duft des Buffets herüberwehte.

Als Röber zu seiner holprigen Überleitung ansetzte, um die Gäste nach draußen zu bitten, stand Bremer schon längst neben dem Versuchsaufbau. Sein Blick wanderte hin und her zwischen Podest und Galgenbaum. Die beiden Spezis hatten sich die Umhänge übergeworfen und neben der Kugel postiert.

Timo fuhr sich immer wieder mit dem Finger unter den Kragen seines weißen Hemdes. Unzufrieden maulte er ständig rum.

Der Kragen sei zu eng, der Umhang zu warm und überhaupt würden sie lächerlich aussehen, wie eine Billigversion der Musketiere.

Glücklicherweise hörte Bremer nichts davon.

Der bekam gerade ein Headset verpasst. Ihm blieb kaum noch Zeit für eine kurze Sprechprobe und schon strömten die Zuschauer durch das große Hallentor.

Mittelalterliche Musik dröhnte aus den Boxen und Röber geleitete den Bürgermeister und den Ehrengast ganz nach vorn. Die Personenschützer hielten sich im Hintergrund, ließen die Gästeschar und das Areal aber keinen Augenblick aus den Augen.

Der Bürgermeister bekam ein Mikro gereicht und baute sich neben Bremer auf. Offensichtlich wollte er etwas sagen.

Das war so nicht verabredet und Bremer wurde nervös. Hoffentlich brachte der jetzt nicht den ganzen Ablauf durcheinander.

„Ich freue mich, dass mein früherer Amtskollege, Otto von Guericke sich auf mein Bitten hin bereiterklärt hat, aus Anlass des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums des Technikmuseums, seinen berühmten Halbkugelversuch heute Abend vorzuführen. Bitte Herr Kollege, spannen Sie uns nicht länger auf die Folter. Wir sind schon sehr gespannt und hungrig.“

Durch diesen dezenten Hinweis, dass er es gefälligst kurz machen sollte, geriet Bremer völlig aus dem Konzept.

Während seiner einleitenden Sätze sah er immer wieder zu Röber und den beiden Honoratioren hinüber, als erwarte er jeden Moment eine erneute Störung.

Er holperte durch die eigentlich wohlüberlegten Sätze und das wurde auch nicht besser, als er sah, dass sein Chef die Stirn runzelte.

Dabei hatte er seinen Vortrag so akribisch ausgearbeitet, mit schönen altertümlich klingenden Redewendungen, aber das war jetzt alles weg.

Schnell drehte er sich zu seinen beiden Helfern um und gab ihnen das vereinbarte Zeichen. Während er noch den Aufbau und den Zweck der Vorführung erläuterte, begannen die beiden sofort damit, die Kugel an der Galgenkonstruktion aufzuhängen.

Bremer hatte sich zur Auflockerung einen Witz überlegt. Er wollte eigentlich sagen, dass man den Versuch nicht wie üblich mit Pferden vorführen konnte, weil der vorhandene Platz für die Pferde zu klein und die Kugel für Ponys zu groß sei. Aber seine Assistenten waren schneller fertig, als geplant und brachten ihn auch um diesen Glanzpunkt.

Bremer gab Anweisung, die Platte an der unteren Halbkugel zu befestigen und die ersten Gewichte darauf zu stellen.

Entweder wollten seine Helfer so schnell wie möglich aus den Umhängen oder ihnen war die Unruhe des Ehrengastes aufgefallen, der ständig auf die Uhr sah. Jedenfalls stellten sie die Gewichte so schnell hintereinander auf die Platte, dass Bremer fast nicht hinterherkam.

Den Gästen schien das nichts auszumachen, denn mit jedem Gewicht wurde das Raunen stärker und die ersten begannen zu klatschen.

Kaum waren alle Gewichte auf der Platte, klatschten auch die Letzten und Bremers Ansage des Gesamtgewichts ging darin unter.

Genauso schnell wie rauf, kamen die Gewichte auch wieder runter und die Platte wurde ebenfalls wieder entfernt. Vorsichtig nahmen die Assistenten die Kugel vom Haken und legten sie auf den mit Stroh ausgelegten Boden.

Die Zuschauer hielten ihre Handys und die Presse die Kameras auf die Szenerie gerichtet, denn nun kam der Höhepunkt.

Mit einem breiten, königlichen Lächeln trat der Ehrengast auf Bremer zu, schüttelte begeistert dessen Hand und murmelte ein paar unverständliche Worte. Dann deutete er mit fragendem Blick auf die Kugel.

Was meinte der Mann? Der wollte doch nicht auch noch eine Rede halten. Bremer wirkte unsicher, denn er hatte kein Wort verstanden.

„Das Ventil!“ rief Röber, sehr bemüht, die Geräuschkulisse der Zuschauer zu übertönen.

Natürlich, das Ventil!

Bremer geleitete den Ehrengast zur Kugel.

Der große, schlanke Mann beugte sich vor und seine Hand berührte das Ventil, bewegte es aber noch nicht.

An das Posen für die Kameras gewöhnt, verharrte er einen Moment und wandte sein breites Lächeln dem Publikum zu. Die Auslöser wurden im Sekundentakt betätigt und ein wahres Blitzlichtgewitter brach über den Ehrengast herein.

Nach einer Weile hob er die freie Hand über den Kopf, um zu signalisieren, dass es nun endlich soweit sei.

Der Mann verstand es, sich in Szene zu setzen, das musste Bremer neidlos zugeben. Die Hand fiel nach unten, das Ventil wurde geöffnet, die entweichende Luft zischte leise und die Kugel klappte mit einem schwachen Scheppern auseinander.

Die Zuschauermenge erstarrte mit zum Applaus erhobenen Händen.

Eine Frau begann zu schreien und andere folgten.

Der Ehrengast sprang zurück, die Personenschützer nach vorn, nur Bremer stand wie vom Donner gerührt und starrte auf das Ding, das vor seinen Füßen lag.

Es war ein menschlicher Kopf und er war direkt aus der Kugel gerollt.

Als wäre ein abgetrennter, menschlicher Kopf nicht schon schlimm genug, bot er seinen unfreiwilligen Betrachtern auch noch einen besonders scheußlichen Anblick. Geronnenes Blut war an Mund, Nase, Augen und Ohren zu sehen. Die Augen waren aus ihren Höhlen gequollen und die Haut an vielen Stellen aufgeplatzt.

Bremers Gedanken überschlugen sich.

Das war doch nicht echt. Da hatte sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt. Sowas passierte doch nur in amerikanischen Filmen, nicht in Wirklichkeit und schon gar nicht hier, in Magdeburg.

Der Tumult um ihn herum, fühlte sich allerdings sehr echt an.

Jemand nahm ihn vorsichtig beiseite und führte ihn weg von dem Schauplatz des grausigen Vorfalls. Eine andere mitleidige Seele warf ein Tischtuch über den grausigen Inhalt der Kugel.

Zwei

Eine halbe Stunde später war der Tatort abgesperrt und die Beamten der Kriminaltechnik begannen mit ihrer Arbeit, der Sicherung von Spuren und Beweismitteln. Ihre erste Handlung war, sich in die, für diese Fälle vorgeschriebene, Ganzkörpermontur zu werfen.

Die Gäste hatte man wieder in die Halle gescheucht und dort saßen sie, geschockt und erschüttert, wieder auf genau den Stühlen, von denen sie gerade erst in freudiger Erwartung des unterhaltsameren Teils des Abends aufgesprungen waren.

Man hatte ihnen mitgeteilt, dass sie sich bis auf Weiteres zur Verfügung halten müssten und so warteten sie auf das, was da auf sie zukommen würde. Jeder versuchte, mit der Situation auf seine Weise klarzukommen.

Einige versuchten, möglichst viel von der polizeilichen Ermittlung mitzubekommen, andere drehten dem Schauplatz des Schreckens demonstrativ den Rücken zu.

Zu dieser Zeit wurde beim LKA eine Mordermittlung eingeleitet und eine Sonderermittlungsgruppe mit dem klangvollen Namen Halbkugel gebildet. Das bedeutete nichts anderes, als dass die betreffenden Beamten verständigt wurden.

Als ersten erreichte Hauptkommissar Martin Winkler die Nachricht und der rief seine beiden Kollegen, die Kommissare Sören Grießler und Lars-Ole Pasold an.

Sie drei würden das Herzstück der Mordkommission bilden, in den ersten Stunden zusätzlich unterstützt durch die Kollegen von der Spurensicherung. Wenn die erste Flut von Spuren und Beweisen erfasst und gesichert war, kamen die Spezialisten an die Reihe, die sich um die Auswertung kümmerten.

Winkler traf als erster Ermittler vor Ort ein.

Der Anruf hatte ihn zuhause erreicht. Na, eigentlich war es Lydia, seine Frau, gewesen, die auf das anhaltende Vibrieren des Handys aufmerksam geworden war. Winkler selber hatte auf der Couch gelegen und den Film verschlafen. Lydias anfänglich sanfte Berührungen waren immer heftiger geworden, begleitet von den Worten: „Martin, dein Handy! Es ist die Arbeit.“

Jetzt stand Winkler auf der Freifläche des Museums, vor dem Absperrband und betrachtete die Szenerie. Die Kollegen von der Kriminaltechnik wuselten schon in ihren Ganzkörperanzügen innerhalb der Absperrung herum und untersuchten den Tatort. Dabei ging es nicht nur um die Halbkugeln und den Kopf. Jeder noch so kleine Gegenstand innerhalb des gesicherten Bereiches erhielt eine gelbe Markierung mit Nummer und ein Tatortkärtchen, bevor Fotos aus allen Perspektiven gemacht wurden.

Winkler hatte im Verlauf seiner Dienstjahre schon einiges gesehen, auch schon einen abgetrennten Kopf, aber das hier war sogar für ihn neu. Was da vor ihm lag, sah fast so aus wie eine Requisite aus einem Zombiefilm, aber das war es nicht. Der Zustand des Kopfes hatte wohl eher etwas damit zu tun, dass er eine gewisse Zeit dem Vakuum in der Kugel ausgesetzt gewesen war. Doch damit sollte sich die Rechtsmedizin befassen.

Winkler betrachtete die Szenerie aus einem anderen Blickwinkel. Er achtete auf andere Dinge, die für ihn von Bedeutung waren. Zum Beispiel die Art und Weise, wie man den Kopf platziert hatte.

Jemand hatte viel Wert darauf gelegt, dass der Kopf in einem ganz bestimmten Moment auftaucht. Man wollte den Kopf nicht verstecken, sondern präsentieren.

„Das ist ja abgefahren.“ Der Satz kam von Lars-Ole Pasold, dem Jüngsten in Winklers Truppe. Für den Fünfundzwanzigjährigen waren die meisten Situationen noch neu und seine morbide Faszination immer noch beträchtlich. Bis jetzt sah Winkler noch großzügig darüber hinweg. Wenn er so an seine ersten Jahre bei der Kripo dachte. Er war auch nicht anders gewesen.

„Haben Sie sowas schon mal gesehen?“, wollte Pasold wissen.

„In der Verpackung noch nicht“, antwortete Winkler.

„Sieht so aus, als wollte da einer möglichst viel Schrecken verbreiten.“ Pasold machte wieder mal den zweiten Schritt vor dem ersten. Darauf musste Winkler reagieren.

„Tragen wir erst mal die Fakten zusammen und befragen die Zeugen. Danach kümmern wir uns um das Warum.“

Winkler sah, dass ihr dritter Mann, Sören Grießler, sich gerade an der Einfahrt zum Museumsgelände in die Liste der anwesenden Polizeibeamten eintragen ließ. Jetzt waren sie komplett.

Eigentlich bestand seine kleine Truppe aus vier Leuten, ihn eingeschlossen, aber sein langjähriger Partner, Rico Bauer, war auf unbestimmte Zeit zur Abteilung Organisiertes Verbrechen versetzt worden.

Grießler eilte zu ihnen und warf einen Blick auf den makabren Fund.

„Ich hab’s echt nicht geglaubt. Erinnert mich an…“ Winkler unterbrach ihn schnell. Wenn Grießler erst mal von seinen Erinnerungen anfing, dann konnte das dauern.

„Später, Sören. Wir müssen die Leute befragen. Ich übernehme den Bürgermeister, den Leiter des Museums und den Otto von Guericke Darsteller.“ Winkler sah auf seinen Notizblock. „Bremer heißt der Mann, arbeitet hier im Museum als technischer Leiter. Pasold, sie nehmen die Personalien der restlichen Gäste auf und befragen sie zum Ablauf. Sören, du sicherst die Fotos und Videos von den Handys und der Presse.“ Sören Grießler und er arbeiteten schon sehr lange zusammen, daher duzte man sich.

„Was ist mit den Fremdfirmen? Willst du die Angestellten nicht auch noch befragen?“

„Nur, wenn sich was ergibt. Die Assistenten von Bremer nehmen wir uns auf jeden Fall auch noch vor, aber später. Vom Catering und der Veranstalterfirma reichen wahrscheinlich erst mal die Namen.“

Er sah auf den Fund und verzog das Gesicht. „Leider ist das Gesicht so zerstört, dass wir kein Foto davon für die Identifizierung nutzen können. Trotzdem bleibt die wichtigste Frage, wer ist die Person zu dem Kopf?“

„…und wo ist der Rest?“, fiel Pasold Winkler ins Wort.

„Das ist das Nächste. Ich hab’ schon den Leichenspürhund angefordert, nur für den Fall, dass der eigentliche Tatort und der Rest der Leiche auch hier irgendwo sind. Ausschließen können wir das nicht. Pasold, bei den Befragungen konzentrieren wir uns auf drei Punkte. Hat einer was Merkwürdiges gesehen? Ist einer der Gäste oder Mitarbeiter des Museums nicht erschienen oder wird anderweitig vermisst? Und gibt es jemanden, der ein Motiv hätte, um so einen Eklat zu inszenieren?“

„Was ist eigentlich mit dem Ehrengast?“, fragte Grießler.

Winkler winkte ab. „Den hab’ ich gehen lassen. Sein Protokollführer wird sich morgen bei uns melden. Sonst noch Fragen?“

Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort.

Kaum hatte Winkler die Aufgaben verteilt, als ein sichtlich erregter Mann versuchte, durch die Absperrung zu ihnen zu kommen.

Es war Röber und er diskutierte heftig mit dem Polizisten, der sich stoisch weigerte, den Mann durchzulassen.

„Das ist Dr. Röber, der Leiter des Museums“, ließ sich Winkler mit einem Seufzer vernehmen. „Los, Leute. Fangen wir endlich an!“

Während Grießler und Pasold sich ihren Weg in Richtung Halle, möglichst weit ab von dem aufgebrachten Mann suchten, schritt Winkler direkt auf ihn zu.

Wortfetzen wie Ungeheuerliche Ignoranz oder Bürgermeister beschweren drang an sein Ohr. Je näher er kam, umso deutlicher verstand er die Tirade. Der Polizist warf Winkler einen vielsagenden Blick zu. Man war an solche Szenen gewöhnt und wusste damit umzugehen.

„Herr Röber, ich bin Hauptkommissar Winkler und leite die Ermittlung.“

Sofort wurde er von Röber rüde unterbrochen.

„Doktor Röber, bitte.“

Winkler holte tief Luft und redete weiter.

„Dr. Röber, würden Sie bitte wieder in die Halle zu den anderen Gästen zurückgehen. Ich kümmere mich so schnell wie möglich um Ihre Aussage. Sie werden jedoch verstehen, dass ich als erstes den Bürgermeister befragen muss. Danach sind Sie an der Reihe und dann Herr Bremer.“

„Dass Sie uns noch als Zeugen brauchen, ist mir schon klar. Aber bitte sagen Sie mir doch wenigstens, wann die Gäste gehen können.

Das sind doch alles ehrenwerte Leute und nicht irgendwelche Verbrecher. Die haben ganz sicher nichts mit all dem zu tun, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“ Röbers Stimme klang fast flehentlich, doch das beeindruckte Winkler nicht.

„Kommissar Pasold nimmt alle Personalien auf und stellt ein paar Fragen. Wer damit durch ist, kann gehen. Also, je eher wir anfangen, umso schneller sind wir fertig.“

Winkler schob sich an Röber vorbei, der aber nicht so schnell aufgeben wollte.

„Ich bitte Sie, Herr Kommissar …“ „Hauptkommissar, bitte.“ Winkler nahm es sonst nicht so genau mit seinem Dienstrang, aber wenn ihm einer so übergenau kam, dann konnte er das auch.

Der pikierte Blick von Röber zeigte ihm, dass der kleine Seitenhieb gesessen hatte.

„Natürlich, Herr Hauptkommissar.“ Röber gab sich zerknirscht.

„Aber ist es denn nötig, den Bürgermeister zu befragen? Man könnte ihn doch sicher auch gehenlassen, so wie den Ehrengast.“

Winkler hatte genug von Röbers Einmischungsversuchen.

„Was nötig ist und was nicht, das überlassen Sie mal uns. Ich sage Ihnen doch auch nicht, wie Sie Ihr Museum zu führen haben. Und jetzt lassen Sie mich endlich meine Arbeit machen. Wie wär’s, wenn Sie mir inzwischen eine Liste der Gäste und aller Mitarbeiter zusammenstellen? Und besorgen Sie gleich noch die Namen der heute hier Beschäftigten von Veranstaltungsfirma und Catering.“

Damit ließ Winkler den enttäuschten Röber stehen und nahm endlich den Bürgermeister ins Visier.

Der schien gar nicht so erpicht darauf zu sein, den Schauplatz des Verbrechens zu verlassen. Mit seinem Bier stand er da und beobachtete sehr interessiert die Leute von der Spurensicherung bei der Arbeit. Seine beiden Personenschützer hatten sich, gewohnt finster blickend, rechts und links neben ihrem Schützling aufgestellt und verzogen auch beim Anblick von Winklers Dienstmarke keine Miene. Sie traten lediglich einen Schritt zur Seite, als würden sie Winklers unausgesprochenen Wunsch, ein Gespräch unter vier Augen zu führen, respektieren. Winkler wusste, mehr an Ungestörtheit würde er nicht bekommen, nicht hier unter all den Menschen.

Er stellte sich dem Bürgermeister vor und fragte zuerst mal nach seinem Befinden.

„Mir geht’s gut, danke. Das war aber auch ein Schreck, kann ich Ihnen sagen.“

Winkler nickte und erwiderte: „Tut mir leid, dass ich Sie noch nicht gehenlassen kann, aber wir müssen alle Zeugen befragen, solange die Eindrücke noch frisch sind. Ich werde es so kurz machen, wie möglich.“

„Sie müssen sich nicht entschuldigen. Das ist schließlich Ihr Job.

Also los, fragen Sie mich.“

Na, das war ja mal ein umgänglicher Vertreter seiner Art, stellte Winkler überrascht fest.

Zunächst ließ er sich vom Bürgermeister den Ablauf des Abends, von seinem Eintreffen bis zum Auftauchen des körperlosen Kopfes, aus seiner Sicht schildern. Dessen Bericht war sehr detailliert bis zu dem Augenblick, als die Kugel auseinanderklappte.

Im selben Moment, in dem der Kopf herausrollte, hatten seine und die Personenschützer des Ehrengastes reagiert und ihre Schützlinge abgeschirmt.

So kam es, dass der Bürgermeister und der Niederländer erst später, als sie schon in Sicherheit waren, von Röber erfuhren, weshalb man sie in Sicherheit gebracht hatte.

Winkler fand die schnelle Reaktion des Sicherheitspersonals nicht ungewöhnlich. Er wusste natürlich, dass Personenschützer nicht ihren Schützling oder die Vorführung im Auge behielten, sondern das Umfeld. Sie wurden schließlich darauf trainiert, bei der kleinsten Unregelmäßigkeit schnell reagieren zu können.

Deshalb wandte sich Winkler jetzt auch den beiden Männern neben dem Bürgermeister zu und fragte sie: „Haben Sie heute Abend etwas Ungewöhnliches gesehen? Hat sich jemand merkwürdig verhalten?“

Beide tauschten schnell einen Blick aus, bevor einer es übernahm, zu antworten.

„Nein“, war alles, was er von sich gab.

Winkler warf seinem Kollegen einen fragenden Blick zu, doch der schüttelte nur den Kopf.

Was hatte er erwartet? Zwei Plaudertaschen?

Aber so schnell gab er nicht auf.

„Heißt das, es hat sich keiner merkwürdig verhalten oder Sie haben nicht drauf geachtet?“

Der Wortführer sah ihn mit bohrendem Blick an.

„Wir achten immer auf alles.“

„Verstehe“, murmelte Winkler.

Jetzt meldete sich der Schweigsame zu Wort.

„Wenn sich jemand merkwürdig verhalten hätte, dann hätten wir es auch bemerkt.“

„Und reagiert“, ergänzte sein Partner.

Da war was dran, fand Winkler und ließ die Männer in Ruhe.

Der Bürgermeister ergriff wieder das Wort.

„Ich fürchte, mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen. Also, wenn es weiter keine Fragen gibt, würde ich jetzt gern die Party verlassen.“

Winkler ließ sich nicht anmerken, dass er es nicht schätzte, wenn ein Zeuge entschied, wann die Befragung vorbei war.

„Wir sind dann für heute fertig. Nochmals Entschuldigung, für das Warten.“

Der Bürgermeister beugte sich zu Winkler vor und raunte ihm zu.

„Kein Problem. Es war trotz allem, sehr aufregend und ich habe sogar was gelernt.“ Er warf einen kurzen Blick in Richtung seiner Bodyguards. „Ich weiß jetzt, dass die beiden reden können.“

Winklers Fazit war: An seinen Witzen musste der Bürgermeister noch arbeiten.

Winkler sah, dass Röber schon ungeduldig auf ihn wartete. Er war in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen und hielt die gewünschten Informationen für ihn bereit.

Als müsste er seine Führungskompetenz unter Beweis stellen, verkündete er: „Ich habe Ihren beiden Kollegen schon Kopien der Listen gegeben.“

„Danke, das ist sehr hilfreich.“

Winkler überflog zuerst die Namen auf der Gästeliste, entdeckte einige bekannte und viele unbekannte. Sein Schweigen gab Röber die Gelegenheit, seine Meinung zu dem Geschehen kundzutun. Er war verzweifelt und er wollte, dass es jeder mitbekam.

„Was für eine schreckliche Tragödie. Ausgerechnet in unserem Museum muss sowas passieren und dann auch noch während der Jubiläumsfeier. Hätte ich doch nur dieses verdammte Experiment dagelassen, wo es hingehört.“

„Ich bin sicher, dem Opfer wäre es sicher furchtbar unangenehm, wenn es wüsste, welche Umstände sein Kopf verursacht hat.“

Winkler hatte sich die spitze Bemerkung nicht verkneifen können.

Dachte eigentlich außer ihnen keiner daran, dass da ein Mensch zu Tode gekommen war?

Mit der Frage: „Wissen Sie schon, wer die Person ist, deren Kopf aus der Kugel fiel?“, machte Röber einen ungeschickten Versuch, von seinem Gejammer abzulenken.

Winkler antwortete mit einer Gegenfrage: „Haben Sie eine Vermutung?“

Röber schrak zurück. „Oh Gott, nein! Ich bin froh, dass ich nichts gesehen habe. Ist denn das Gesicht noch zu erkennen?“

„Also, wenn sie sich ein Foto ansehen wollen, kann ich das arrangieren.

„Bloß nicht!“, wehrte Röber ab, stellte aber gleich die nächste Frage.

„Hat man der Person das etwa angetan, als sie noch lebte?“

Die Vorstellung davon musste so furchtbar für ihn sein, dass Röbers Gesicht nichts als Abscheu zeigte.

Auch auf diese Frage erhielt er keine Antwort und das nicht nur, weil man das zu diesem Zeitpunkt der Ermittlung noch gar nicht sagen konnte. Winkler ging die Fragerei einfach nur auf die Nerven.

Er war nicht hier, um Fragen zu beantworten, er war hier, um welche zu stellen.

„Fehlte jemand von den eingeladenen Gästen heute Abend?“

Röber riss die Augen auf.

„Du meine Güte, Sie glauben, es könnte einer der Gäste sein? Das wäre ja nicht auszudenken.“

„Würden Sie bitte meine Frage beantworten.“

Nach kurzer Überlegung tat Röber das endlich: „Nein, nicht das ich wüsste. Alle Tische waren voll besetzt, also von den Gästen fehlt niemand. Von meinen Leuten sind auch alle da, die hier sein müssten. Was mit den Fremdfirmen ist, weiß ich natürlich nicht.“

„Schon gut, das klären wir selber. Jetzt würde mich interessieren, ob Sie es für möglich halten, dass jemand Ihnen oder dem Museum auf diese Weise schaden wollte. Ein ehemaliger Mitarbeiter oder ein unzufriedenes Mitglied des Kuratoriums vielleicht?“

Röber sah Winkler an, als ob er an seinem Verstand zweifelte. Seine Stimme zitterte vor Entrüstung.

„Im Kuratorium sind nur Leute, die sich dem Erhalt und der Erweiterung des Technikmuseums verschrieben haben. Das sind ehrliche und kluge Köpfe …“ Er hielt erschrocken inne. „Ich meinte natürlich Menschen.“

Röbers Fauxpas nicht beachtend, erwiderte Winkler: „Sie können ja mal darüber nachdenken. Oder glauben Sie, dass der Kopf aus purem Zufall in der Kugel gelandet ist?“

Das gab Röber wohl zu denken, denn er verzichtete auf eine Antwort.

Winklers nächste Frage richtete sich auf etwas anderes. Es ging darum, wie der Kopf in die Kugel gekommen war.

„Die Halbkugeln gehören doch nicht zu Ihrem Museum, richtig?“

Wie es schien, gab Röber gern Auskunft darüber, denn es lenkte von seinem Museum ab.

„Die Halbkugeln gehören der Otto-von-Guericke-Gesellschaft. Sie wurden leihweise zur Verfügung gestellt, natürlich nur bei voller Übernahme der anfallenden Kosten.“

„Wann kam die Kugel hier an?“

„Gestern Nachmittag. Herr Bremer und ich haben sie in Empfang genommen. Wir haben sowohl das Abladen als auch die Lagerung überwacht. Selbstverständlich haben wir uns auch davon überzeugt, dass alles heil hier angekommen ist.“

„Dann gab es bei der Anlieferung keine Auffälligkeiten?“

„Nein, alles war in bester Ordnung.“

„Und konnte sich jemand danach unbemerkt an der Kugel zu schaffen machen?“

„Herr Bremer ist der Verantwortliche für alles, was mit der Kugel und der Vorführung zusammenhängt. Das müssen Sie also ihn fragen.“

Winkler überlegte kurz und entschied sich dann, genau das zu tun.

„Im Moment war’s das, Dr. Röber, aber halten Sie sich noch zu unserer Verfügung.“

Resigniert winkte Röber ab.

„Ich gehe hier sowieso erst raus, wenn alle, eingeschlossen der Polizei, weg sind.“ Damit drehte er sich um und wollte zu den noch verbliebenen Gästen gehen.

„Dr. Röber“, hielt ihn Winklers Stimme zurück. „Ich muss Sie bitten, vorläufig mit niemandem hier zu reden, außer mit mir und meinen Kollegen.“

Röber öffnete den Mund zu einer Erwiderung, schloss ihn aber beim Anblick von Winklers ernster Miene und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen.

Kein Zweifel, dieser so glanzvoll geplante Abend hatte sich für ihn zu einem Desaster entwickelt.

Seine einzige Hoffnung war, dass die Nachricht über den grausigen Fund in den nächsten Tagen für einen Besucheransturm sorgen würde. Natürlich musste er solche morbiden Gedanken für sich behalten.

Hauptsache, keiner seiner Angestellten war in den Fall verwickelt, denn sonst konnte er einpacken.

Drei

Bremer saß in der Nähe des Halleneingangs auf einem Stuhl, direkt unter dem Modell des Dreideckers, mit dem Hans Grade einst seine ersten Flugversuche auf dem Magdeburger Anger absolviert hatte.

Er trug noch immer sein Kostüm, nur den Hut und den Bart hatte er abgenommen. Der Schock über den grausigen Anblick des Kopfes begann sich nur langsam zu lösen.

Bevor Winkler sich zu ihm setzte, machte er einen Abstecher zum Buffet, dass man schnell in die Halle verlegt hatte. Zwar blieb das Essen, wie nicht anders zu erwarten, unberührt, doch die Getränke, die ebenfalls hineingeschafft worden waren, nahmen die Wartenden dankend an.

Winkler fragte nach Kaffee. Eine junge Frau nickte freundlich, worauf er sich zwei Tassen einschenken ließ.

Mit dem Kaffee setzte er sich zu Bremer, der die angebotene Tasse mit zitternden Händen entgegennahm.

Bevor er seine Fragen zu stellen begann, ließ Winkler den Mann ein paar Schluck von seinem Kaffee trinken. Dann erst nahm er die Befragung betont ruhig auf.

„Herr Bremer, ich weiß, dass war ein ziemlicher Schock für Sie.

Möchten Sie, dass ein Arzt gerufen wird?“

„Nein, danke. Es geht schon wieder. Ich kann das alles noch gar nicht fassen. Wer tut so etwas? Einem Menschen den Kopf abschneiden, meine ich.“

„Um das herauszufinden, muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen.

Fühlen Sie sich in der Lage, meine Fragen zu beantworten?“

„Ich denke schon. Fragen Sie nur. Ich weiß nur nicht, was ich Ihnen sagen könnte.“

„Na, mal sehen. Fangen wir damit an, ob Sie eine Vermutung haben, wer das Opfer sein könnte.“

Bremers Augen hatten den Kopf zwar gesehen, aber keine Einzelheiten wahrgenommen. Das war vielleicht gut so, jedenfalls für ihn. Trotzdem schien er ehrlich bemüht zu sein, zu helfen.

„Ich weiß ganz bestimmt nicht, wer das sein könnte. Tut mir leid.“

Mit dieser Antwort hatte Winkler schon gerechnet, deshalb lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung.

„Haben Sie vielleicht eine Vermutung, ob jemand dem Museum auf diese Weise schaden will?“

„Das müsste aber ein sehr kranker Mensch sein“, antwortete der immer noch fassungslose Bremer. Als er sah, dass der Kommissar ihn weiter ansah, setzte er müde hinzu: „Aber nein, ich wüsste niemanden, dem ich eine solch schreckliche Tat zutrauen würde.

Und warum sollte man uns so etwas antun. Wir sind doch nur ein kleines Museum.“

Winkler wechselte das Thema.

„Soweit ich weiß, waren die Halbkugeln eine Leihgabe der Otto-von-Guericke-Gesellschaft, richtig?“

Bremer nickte eifrig, froh darüber, endlich über etwas Harmloses reden zu können.

„Ja, das war gar nicht so einfach, kann ich Ihnen sagen. Die Otto-von-Guericke-Gesellschaft war anfangs nicht einverstanden, dass der Versuch außerhalb ihres Wirkungsbereichs vorgeführt werden sollte. Erst als der Bürgermeister sich einschaltete, bekamen wir die Zustimmung.“

Das klang interessant, aber so lange sie noch nicht wussten, bei wem es sich um das Opfer handelte, war nicht klar, ob es von Bedeutung sein würde.

„Was ist mit dem Galgenbaum? Woher stammt der?“

„Der wurde extra für heute angefertigt. Ein paar Ehrenamtliche, die sich auch um unsere Ausstellungsstücke kümmern, haben das gemacht, ohne Bezahlung.“

„Sind die heute auch hier?“

„Ja, natürlich. Das war ja wohl auch das Mindeste, sie einzuladen.

Soll ich Ihnen die Namen nennen?“

Winkler reichte ihm stattdessen die Gästeliste und ließ Bremer die Namen markieren.

„Gut, wann ist die Kugel hier angekommen?“

„Das war gestern Nachmittag, so gegen 15 Uhr. Dr. Röber und ich haben sie persönlich in Empfang genommen. Es waren zwei Kisten, eine für die Kugel und die zweite für die Pumpe und das Zubehör.

Nachdem wir uns von der Unversehrtheit der Kugel überzeugt hatten, wurde die Kiste wieder verschlossen und zwar bis heute Mittag.“

Bis jetzt stimmte alles, was Bremer sagte, mit Röbers Aussage überein.

„Was passierte dann?“

„Na, nichts weiter. Sie wurde nach draußen gebracht und für den Versuch präpariert.“

„Hielt sich zu dieser Zeit, jemand im Museum auf, der hier nicht hergehörte?“

„Nein, das Museum war heute für den Besucherverkehr gesperrt, damit wir alles in Ruhe aufbauen und vorbereiten konnten.“

Bremer stutzte und fragte: „Glauben Sie, dass der Mann hier ermordet wurde?“

Im Moment sah es nicht danach aus, darum beschäftigte Winkler eine ganz andere Frage.

„Könnte es sein, dass der Kopf schon in der Kugel war, als die hier ankam?“

Bremers Antwort überraschte den Hauptkommissar.

„Auf keinen Fall! Die Kugel wird nie im Ganzen transportiert, das ist einfach sicherer so. Außerdem, normalerweise gehört der Zusammenbau immer zur Vorführung. Nur weil der Ehrengast nicht so viel Zeit hatte, mussten wir das heute schon vorher erledigen.“

In Winkler keimte die Hoffnung auf, dass der Fall schneller gelöst sein würde, als gedacht.

„Dann muss der Kopf hier in die Kugel gelegt worden sein, und zwar beim Zusammenbau. Waren Sie nicht dafür verantwortlich?“

Mit dieser Entwicklung seiner Befragung hatte Bremer nicht gerechnet. Er wollte, ob der Absurdität dieses unterschwelligen Vorwurfs, schon aufbrausen, als ein anderer schrecklicher Gedanke sich seiner bemächtigte. Er sah sich um und entdeckte seine beiden Helfer an der Behelfsbar.

Winkler hatte die plötzliche Unruhe des Mannes natürlich bemerkt.

„Antworten Sie bitte auf meine Frage.“

Mit unsicherem Blick sah Bremer ihn an. Sollte er wirklich?

Winkler nahm ihm die Antwort ab.

„Herr Bremer, haben Sie die Kugel zusammengebaut und den Kopf hineingetan?“

„Nein, das habe ich nicht. Ich bin zwar für alles, was die Kugel betrifft verantwortlich, aber ich habe sie nicht zusammengebaut. Ich war nicht mal dabei“, kam es tonlos von dem erschöpften Mann.

„Und wer hat dann die Kugel zusammengebaut?“

Bremers Blick ging schnell zu den beiden Männern, als er sagte:

„Das waren unsere Praktikanten, Timo Schulz und Jason Weihler.

Sie haben mir auch bei der Vorführung geholfen. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, …“, er stutzte und seine Stimme wurde lauter, „dass sie etwas damit zu tun haben. Die Jungs sind vielleicht nicht die qualifiziertesten Arbeitskräfte, aber deshalb sind sie doch keine schlechten Menschen und erst recht keine Mörder.“

Das war etwas, was Winkler auch immer wieder zu hören bekam.

Wie oft hatte er Zeugen schon die Sätze: Er war immer ein so höflicher und ruhiger Nachbar, Mit ihm gab es nie Ärger in der Firma oder Mein Mann tut doch so etwas nicht, sagen hören. Die Wirklichkeit sah dann leider oft ganz anders aus.

Aber woher sollte jemand wie Bremer das wissen.

Er winkte einen der Polizisten heran, der zur Sicherung des Freigeländes am Hallentor stand. Nach ein paar Worten lief der hinaus und kam mit einer großen braunen Papiertüte wieder.

„Herr Bremer, ziehen Sie sich jetzt bitte um und übergeben Sie das Kostüm dem Beamten. Wir werden es als vorläufiges Beweismittel beschlagnahmen und untersuchen lassen. Es wird auch noch jemand kommen und ihre Fingerabdrücke nehmen. Gehen Sie, der Beamte wird sie begleiten.“

Sichtlich gealtert erhob sich Bremer und blickte hilfesuchend in die Runde. Wurde er hier wirklich gerade wie ein Verdächtiger behandelt?

Er fühlte, wie sich die Blicke der Anwesenden auf ihn richteten, nur kurz, dann wurde schnell wieder weggesehen. Als er begriff, dass niemand ihm zu Hilfe kommen würde, trottete er in Richtung Büro.

Winkler sah sich um. Pasold war noch mit den Befragungen beschäftigt. Grießler saß an einem Tisch in einer Ecke. Dorthin hatte er sich mit den Handys und Kameras der Zeugen zurückgezogen und sichtete das Video und Bildmaterial. Winkler beschloss, dass das warten konnte.

Die Befragung der Praktikanten hatte Vorrang. Und es war ebenfalls wichtig, dass beide Männer gleichzeitig befragt wurden, also mussten sie das zu zweit machen.

Grießler sollte mit Jason Weihler reden und er wollte sich Timo Schulz vornehmen.

Schnell brachte er Grießler auf den aktuellen Stand und dem war sofort klar, worauf es ankam. Trotzdem stimmten sie erst ihre Fragen ab, bevor sie sich den beiden Männern an der Bar näherten.

Inzwischen hatten sich Weihler und Schulz ihrer lästigen Umhänge entledigt und standen, mit einem Bier in der Hand, neben dem Buffet. Als klar war, dass die beiden Beamten direkt auf sie zu kamen, stellten sie ihre Getränke schnell ab.

Winkler teilte ihnen mit, dass sie als Zeugen befragt werden sollten.

„Herr Weihler, Sie werden von Kommissar Grießler befragt und Sie, Herr Schulz, von mir.“

„Können Sie uns nicht zusammen befragen? Wir haben doch sowieso das Gleiche gesehen“, warf Weihler ein.

Schulz stieß ihn an und bemerkte mit einem geringschätzigen Schmunzeln: „Mensch Alter, Zeugen werden immer getrennt befragt, damit keiner weiß, was der andere erzählt.“

Das brachte ihm zwar einen anerkennenden Blick von Weihler ein, allerdings auch die Bemerkung von Grießler: „Na, Sie scheinen sich ja bestens auszukennen. Haben Sie öfter mit der Polizei zu tun?“

Schnell ruderte Schulz zurück.

„Nu ma sachte, Herr Kommissar. Ich sehe eben gern Tatort, das ist ja wohl nicht verboten, oder?“

Winkler beendete den Disput, indem er Schulz bedeutete, ihm zu folgen. Auch Grießler suchte sich einen Platz in einiger Entfernung zu den Gästen.

Weihler sah nervös aus, so wie er sich immer wieder nach Schulz umsah. Schulz dagegen schien die Ruhe selbst zu sein.

„Was wollen Sie denn wissen?“, fragte er teilnahmslos, nachdem er es sich auf einem Stuhl bequem gemacht hatte.

Winkler nahm gegenüber seinem Zeugen Platz, zückte den Notizblock, und vertiefte sich schweigend in seine Notizen. Nach ein paar Augenblicken sah er Schulz fragend an, worauf dieser die Stirn runzelte und prompt darauf ansprang.

„Wollen Sie mir keine Fragen stellen?“

„Mein Kollege hat Ihnen doch schon eine Frage gestellt. Vielleicht beantworten Sie die erst mal vernünftig.“

Als Schulz nicht antwortete, hakte Winkler nach.

„Also, was ist? Hatten Sie schon mit der Polizei zu tun?“

Jetzt zeigten sich erste Risse in Schulzes Gelassenheit.

„Muss ich überhaupt darauf antworten? Ich bin doch kein Verdächtiger, oder?“

„Sie müssen natürlich nicht antworten. Ich kann das auch überprüfen lassen.“ Damit überging Winkler die zweite Frage von Schulz einfach und tat so als würde er fortfahren.

„Wie wär’s, wenn Sie mir den Ablauf Ihres heutigen Arbeitstages schildern, oder möchten Sie generell keine Aussage machen?“

„Das hab’ ich doch nicht gemeint. Sind doch eh alles nur alte Kamellen, was Sie in meiner Akte finden.“

Schulz war nicht erfreut über die Richtung, die seine Befragung nahm. Also fing er lieber an, zu erzählen, was er alles gemacht hatte, seit er gegen 12 Uhr im Museum eingetroffen war.

Dass Weihler und er die Kugel zusammenbauen sollten, erwähnte er nicht, nur dass sie das Scheißding, wie er es nannte, raus auf den Hof gewuchtet hatten.

„Sie hatten also den Auftrag, alles für den Versuch vorzubereiten, nicht?“

„Ja und das haben wir gemacht.“

„Und es war auch Ihre Aufgabe, auf den Versuchsaufbau und die Kugel zu achten.“

„Ja, und das haben wir auch gemacht.“

„Heißt das, Sie waren immer in der Nähe der Kugel?“

„Na klar doch! Der Alte hätte uns den Arsch aufgerissen, wenn dem Scheißding was passiert wäre.“

„Hat sich außer Ihnen noch jemand an der Kugel zu schaffen gemacht?“

„Ne, das hätten wir nicht zugelassen.“

„Wenn Sie und Herr Weihler also die Kugel die ganze Zeit über im Blick hatten und sich kein anderer ihr genähert hat, wie ist dann der Kopf in die Kugel gekommen?“

Schulz dämmerte langsam, dass der Kommissar ihn und Jason tatsächlich irgendwie in Verdacht hatte. Typisch Bullen, die waren immer nur auf eine schnelle Lösung aus. Aber nicht mit ihm.

„Was weiß denn ich, wie das passiert ist, hier jedenfalls nicht.

Vielleicht fragen Sie mal die Leute von der Transportfirma. Jason und ich haben nichts damit zu tun.“

Die Entrüstung war ihm deutlich anzusehen und sie war echt. Er presste die Lippen zusammen, zog die Stirn in Falten und verschränkte die Arme vor der Brust.

Winkler ließ sich davon nicht beeindrucken.

„Wie wir inzwischen wissen, kam die Kugel gestern nicht im Ganzen hier an. Sie musste vor der Vorführung erst noch zusammengefügt werden und das bedeutet, dass der Kopf erst hier in die Kugel gepackt worden sein kann.“

„Na, dann war es der, der die Kugel zusammengebaut hat, ist doch wohl klar!“

Schulz war immer lauter geworden und die ersten Köpfe begannen, sich umzudrehen. Deshalb wartete Winkler einen Moment, bis er fortfuhr.

„Herr Bremer hat ausgesagt, dass er Sie und Herrn Weihler beauftragt hat, die Hälften zusammenzufügen. Wenn Sie also die Kugel zusammengebaut und sie anschließend nicht aus den Augen gelassen haben, dann lässt das nur den einen Schluss zu, nämlich, dass Sie und Herr Weihler den Kopf in die Kugel legten.“

Schulz war wie vom Donner gerührt, aber nur einen kurzen Augenblick. Dann beugte er sich zu Winkler über den Tisch. Seine Augen zeigten wieder diesen verschlagenen Blick und seine Stimme troff vor Freundlichkeit.

„Da haben Sie sich ja eine schöne Geschichte zusammengereimt.

Sie hat nur leider einen Haken. Als wir den Auftrag erledigen wollten, war die Kugel schon zusammengebaut. Sie lag friedlich und rund in ihrer Kiste. Wir mussten sie nur noch raushieven.“

Das war nicht das, was Bremer gesagt hatte und Winkler fragte sich, wessen Aussage glaubhafter war, die von Bremer oder die von Schulz.

Als würde Schulz ahnen, was ihm durch den Kopf ging, fügte er hinzu: „Fragen Sie doch Jason. Der wird Ihnen das Gleiche erzählen.“

Winkler ließ Schulz sitzen und ging rüber zu Grießler, der ihm Schulzes Aussage bestätigte.

Damit waren die beiden wohl vorerst vom Haken. Wäre ja auch zu schön gewesen.

„Haben Sie Herrn Bremer oder jemand anderem erzählt, dass die Kugel schon zusammengebaut gewesen ist?“

„Nein, wir dachten, der Alte, also Herr Bremer, hätte die Kugel schon selber zusammengesetzt und es nur vergessen. Er ist ja nicht mehr der Jüngste und bei der ganzen Aufregung um die Party kann das schon mal passieren. Woher sollten wir denn wissen, dass das wichtig sein könnte.“

Ein Blick zu Grießler zeigte Winkler, dass die Befragung von Timo Weihler beendet war. Er selbst hatte noch drei Fragen.

„Das Museum war heute ja geschlossen. Haben sie jemanden gesehen, der hier nichts zu suchen hatte?“

„Jede Menge, Herr Kommissar. Hier rannten zwar keine Besucher durch die Halle, dafür aber die Leute vom Catering und die Techniker von der Veranstaltungsfirma. Ein paar Zeitungsfritzen waren auch noch da. Die sind aber gleich zum Chef durch.“

Und die müssen wir alle noch überprüfen, fügte Winkler in Gedanken hinzu.

„Eine letzte Frage noch, Herr Schulz. Als was arbeiten Sie hier?“

„Ich arbeite nicht wirklich hier. Mache nur ein Praktikum für drei Monate. Das ist so ‘ne Maßnahme vom Jobcenter. Ein Monat Bewerbungstraining, drei Monate Praktikum.“

„Und gefällt’s Ihnen?“

„Och, ist nicht schlecht hier und schwer ist der Job ja auch nicht.

Die würden Jason und mich vielleicht sogar einstellen, wenn sie Geld hätten, um uns zu bezahlen.“

Winkler beendete seine Befragung und setzte sich mit Grießler zusammen. Der war, genau wie er, der Meinung, dass Schulz und Weihler wahrscheinlich nichts mit der Sache zu tun hatten. Beide arbeiteten gern hier und im Moment ließ sich bei beiden kein Motiv erkennen. Allerdings war durch ihre Aussage Bremer wieder in den Fokus ihrer Ermittlung gerückt. Darum wollte Winkler sich noch mal mit ihm unterhalten.

Vier

Da alle befragten Zeugen, nach Hause gehen durften, begann sich das Museum langsam zu leeren. Gerade verließen auch die beiden Praktikanten, Schulz und Weihler, die Halle.

Bremer schaute ihnen hinterher und bemerkte dadurch nicht, dass sich Winkler wieder zu ihm setzte. Diesmal war auch Grießler dabei.

So ohne sein Kostüm sah Bremer kleiner und unscheinbarer aus, als vorher. Jetzt, wo sich der Schock langsam löste, setzte außerdem die Müdigkeit ein, was man ihm mehr als deutlich ansah.

Es tat Winkler zwar leid, ihn noch nicht gehen lassen zu können, aber so war das nun mal. Um es nicht unnötig in die Länge zu ziehen, begann er ohne Umschweife mit der zweiten Befragung.

„Herr Bremer, in Ihrer Aussage gibt es eine Unstimmigkeit. Das müssen wir klären.“

Der Mann sah Winkler verständnislos an.

„Was für eine Unstimmigkeit?“

„Sie haben ausgesagt, dass die beiden Praktikanten für den Zusammenbau der Kugel verantwortlich waren.“

„Ja natürlich, ich habe es ihnen selber aufgetragen. Wieso?“

„Die beiden haben unabhängig voneinander angegeben, dass die Kugel schon zusammengebaut war, als sie sich darum kümmern wollten. Wie kann das denn sein? Haben Sie eine Erklärung dafür?“

Bremer gab sich alle Mühe, den Sinn hinter den Worten zu erfassen.

„Was reden Sie da? Die Kugel kam in zwei Hälften an, in einer Kiste, so wie es üblich ist. Dr. Röber und ich haben nachgesehen und dann die Kiste wieder verschlossen. Als ich früh hier ankam, stand die Kiste immer noch verschlossen dort, wo wir sie abgestellt hatten und die Halbkugeln befanden sich darin. Wie und wann, bitte schön, sollte jemand die Kugel schon zusammengebaut haben?“

Das war genau die Frage, die sich Winkler auch stellte.

Nach einem kurzen Nachdenken stellte Bremer eine Frage, die ihn anscheinend beschäftigte.

„Wieso haben die beiden mir nicht gesagt, dass die Kugel schon zusammengebaut war?“

„Na ja, sie sind davon ausgegangen, dass Sie den Zusammenbau schon erledigt hatten.“

„Das ist doch Blödsinn. Ich hatte gar keine Zeit dazu. Und außerdem braucht es dafür mindestens zwei Leute. Einer allein kann die Hälften nie punktgenau übereinander bringen und gleichzeitig die Pumpe bedienen. Die wollten bloß nicht noch was anderes aufgebrummt kriegen, darum haben die nichts gesagt.“

Das war ein Punkt, an den Winkler noch gar nicht gedacht hatte.

Wenn Bremers Behauptung stimmte und davon ging Winkler aus, dann hatten sie es mit zwei oder mehr Tätern zu tun.

„Herr Bremer, wir müssen wissen, wer Zugang zur Kugel hatte, sagen wir in der Zeit von ihrem Eintreffen bis zum geplanten Zusammenbau.“

Bremer wählte seine Worte mit Bedacht, da ihm inzwischen klar geworden war, dass der Kopf wohl wirklich hier in die Kugel gekommen war.

„Die Kisten standen in dem großen Container auf dem Freigelände.

Der wurde mit einem Vorhängeschloss gesichert. Ich habe heute früh sofort nachgesehen und alles war noch genauso, wie gestern Nachmittag.“

„Wer hat einen Schlüssel zum Container?“, fragte Grießler.

„Nur Dr. Röber und ich.“

„Sonst noch jemand?“

„Nein, niemand. Es gibt noch einen Ersatzschlüssel in der Pförtnerloge.“

„Wo bewahren Sie Ihre Schlüssel auf?“

Bremer griff in seine Hosentasche. „Die hab’ ich immer bei mir und nehme sie mit nach Hause. Den Schlüssel für das Schloss habe ich den Jungens erst gegeben, als ich ihnen den Auftrag erteilt habe, alles vorzubereiten. Sie gaben ihn mir zurück, nachdem sie alles erledigt hatten. Na, jedenfalls dachte ich das. Sie haben mit keinem Wort erwähnt, dass die Kugel schon zusammengebaut war.“

Während Bremer versonnen auf das Schlüsselbund in seiner Hand starrte, stellte Winkler sich die Frage, was mit den anderen beiden Schlüsseln war.

Er nickte Grießler zu, worauf der sich sofort auf die Suche nach Dr. Röber machte.

„Zeigen Sie mir jetzt den Container“, sprach er Bremer an und erhob sich.

Winkler ließ Bremer vorangehen, bis zu einem orangefarbenen Überseecontainer. Als Bremer die Hand mit dem Schlüssel ausstreckte, um das Schloss zu öffnen, wurde er von Winkler zurückgehalten.

Der alte Mann sah verständnislos auf den Kripobeamten. Glaubte der etwa, dass der Mörder in dem Container lauerte? Dann sah er, wie sich Winkler ein paar Handschuhe überstreifte und das Schloss in Augenschein nahm.

Auf den ersten Blick konnte Winkler nichts erkennen, was auf ein gewaltsames Eindringen schließen ließ, aber das würde die Kriminaltechnik noch genauer überprüfen. Das Schloss war jedenfalls ein ganz normales Vorhängeschloss. Sowas bekam jede halbwegs geschickte Person im Handumdrehen auf. Mit einem Bolzenschneider wäre es allerdings auf jeden Fall schneller gegangen. Darauf hatten die Täter verzichtet. Sie wollten sicher vermeiden, dass man ihre Manipulation zu früh entdeckte.

Das war wichtig.

Jetzt ließ Winkler sich den Schlüssel reichen und öffnete den Container.

Zwei leere Kisten standen in der Mitte des Containers hintereinander auf Europaletten. Die Deckel hatte man beim Öffnen seitlich an eine Containerwand gelehnt.

Beide Kisten waren aus rohem Holz gefertigt. Winkler schätzte die Maße auf 4m x 2m x 2m. Rings um die Kisten lag etwas Holzwolle auf dem Boden verteilt.

Grießler kam zurück. Er war inzwischen nicht nur bei Röber gewesen, sondern auch bei den Kriminaltechnikern. Zwei von ihnen brachte er mit. Auch der Container und sein Inhalt würden nun genaustens untersucht werden müssen.

Winkler machte Platz und überließ den beiden Gestalten in Weiß das Feld. Mit Bremer und Grießler machte er sich wieder auf den Weg zurück in die Halle. Dabei schaute er sich suchend um.

„Gibt es hier eine Videoüberwachung?“

Bremer verneinte.

„Wir haben nur eine Alarmanlage mit Bewegungsmeldern, die abends eingeschaltet wird und sie ist mit einem Sicherheitsdienst verbunden. Die kommen sofort an, wenn ein Alarm ausgelöst wird.“

„Ist das alles?“, fragte Grießler verwundert.

Bremer schien erstaunt über die Frage.

„Wir haben hier zwar ein paar seltene und alte Ausstellungsstücke, aber mal ehrlich, wer würde sowas klauen wollen? Die meisten Stücke sind so groß, dass sie kaum durch die Tür gehen. Sie bräuchten schon schwere Technik und mehrere Männer, um die hier rauszukriegen.“

„Es hat ja auch keiner was rausgeholt, sondern reingebracht“, erinnerte ihn Grießler.